Kitabı oku: «Seewölfe Paket 19», sayfa 26
3.
Siri-Tong, Arkana, Araua, Gotlinde und die Schlangen-Kriegerinnen winkten den davonziehenden Schiffen noch eine Weile nach, dann gesellten sie sich zu den Männern, die sich um Thorfin Njal, Jerry Reeves und George Baxter scharten und die jüngsten Ereignisse von Tortuga eifrig diskutierten. Die Rote Korsarin hörte eine Weile zu, dann aber sonderte sie sich ab und schritt zur Werft, wo sie sich mit Hesekiel Ramsgate verabredet hatte.
Auch Thorfin Njal erfuhr schon wenig später, über was die beiden sprachen – und daß weder von einem „Komplott“ noch von einem „Geheimnis“ die Rede sein konnte. Siri-Tong wollte lediglich auf der Schlangen-Insel bleiben, um mit dem alten Ramsgate beraten zu können, was schon seit einiger Zeit ihre Gedanken bewegte. Seit dem Verlust ihres Viermasters „Roter Drache“ sehnte sie sich nach einem neuen Schiff.
„Ich habe daran auch schon gedacht“, sagte der alte Ramsgate und lächelte. „Immerhin können Sie, Madam, nicht immer als zweiter Mann auf einem anderen Schiff fahren – beziehungsweise, als zweiter Kapitän, meine ich natürlich.“
„Ein neues Schiff ist mein Traum“, sagte sie und ließ ihren Blick über die Werft wandern. „Aber ich muß noch einen genauen Plan entwerfen.“
„Wir könnten zusammen eine Zeichnung anfertigen“, sagte Ramsgate. Die Begeisterung hatte ihn bereits gepackt. Der Bau eines Segelschiffes war eine Schöpfung, eine Verbindung von solidem Handwerk und genialem Entwurf und die Vollendung menschlichen Könnens. Ramsgate hätte sich keine schönere Aufgabe vorstellen können. Sein Herz schlug für den Schiffbau, und er versah seine Arbeit mit dem Feuereifer eines echten Liebhabers.
„Ich habe an einen schnellen, wendigen Dreimaster gedacht“, fuhr Siri-Tong fort. „Etwa im Stil der ‚Isabella‘, der ‚Tortuga‘ und der ‚Le Vengeur‘. Aber ich hätte einige Sonderwünsche, von denen ich hoffe, daß sie sich verwirklichen lassen.“
Wieder lächelte der Alte. „Das hängt davon ab, um welche Art von Wünschen es sich handelt, Madam.“
„Ich erinnere mich beispielsweise an die spanische Kriegsgaleone ‚Aguila‘, die wir vor Tortuga versenkt haben – und an ähnliche Schiffe, die mit Heckkanonen ausgerüstet waren.“
„Heckkanonen lassen sich im Achterschiff durchaus unterbringen, man muß nur gewisse statische Berechnungen anstellen und die Lage der Stückpforten richtig wählen“, sagte Ramsgate.
„Ich stelle mir das so vor: Es müßte eine Kammer unter dem Achterdeck ausgespart und als Geschützdeck für eine oder zwei Kanonen verwendet werden.“
„Mit wasserdichtem Schott zu den übrigen Achterdeckskammern und Speigatten, damit überkommendes Wasser ablaufen kann“, fügte der Alte hinzu. „Ja, das halte auch ich für eine gute Idee. Achterlich ausgerichtete Siebzehn- oder Zwanzigpfünder erfüllen die gleiche Funktion wie Buggeschütze. Ich meine, sie können in einem Gefecht von großer Bedeutung sein, obwohl sie natürlich nicht so beweglich sind wie Drehbassen oder Serpentinen.“
„Sie lassen sich meinen Vorschlag also durch den Kopf gehen, Hesekiel?“
„Ja. Und vielleicht fertige ich auch gleich eine entsprechende Skizze dazu an.“
„Mit anderen Worten, Sie können mir schon in den nächsten Tagen detaillierte Vorschläge unterbreiten?“
„Ganz bestimmt“, erwiderte der Alte. „Aber sind Sie wirklich davon überzeugt, daß es ein Dreimaster sein soll – und kein Viermaster wie ‚Roter Drache‘?“
Siri-Tong nickte. „Ich kenne die ‚Isabella‘, und ich bin lange genug an Bord der ‚Le Vengeur III.‘ gefahren. Die Schiffe faszinieren mich von der Schnelligkeit und Wendigkeit her, von ihren guten Am-Wind-Eigenschaften und der Manövrierfähigkeit – wie im übrigen auch die ‚Tortuga‘, welche die gleiche Qualität hat.“
Diese Worte erfüllten den alten Mann mit Stolz, ja, fast mit Ergriffenheit. Schließlich war er der Konstrukteur der drei Galeonen gewesen, sie waren daheim in Plymouth auf seiner Werft vom Stapel gelaufen.
Er murmelte etwas Unverständliches, dann streckte er der Roten Korsarin die Hand entgegen. „Na, dann also – auf ein gutes Gelingen, Madam.“
Siri-Tong ergriff seine Hand und drückte sie fest. „Ich bin schon jetzt davon überzeugt, daß die Pläne für das neue Schiff bei Ihnen in sicheren und kundigen Händen sind. Ich bin neugierig auf Ihre Entwürfe.“
Der Alte kicherte. „Ich selbst auch. Mal sehen, was dabei herauskommt. Haben Sie denn auch schon eine Vorstellung, wie die Galeone heißen soll? Das Kind muß schließlich einen Namen haben, das sagt sogar Thorfin Njal.“ Er hatte gehört, was der Wikinger Gotlinde während der Beratung zugerufen hatte – es war ja nicht zu überhören gewesen.
„Ich weiß es noch nicht“, erwiderte Siri-Tong. „Das muß ich mir noch überlegen.“
Gemeinsam schritten sie zu den anderen, und die nächsten Stunden verstrichen mit Mutmaßungen und Erwägungen, die bezüglich der Ankunft von Hasard und Ribault in Punta Gorda angestellt wurden. Hielt sich die Black Queen wirklich noch auf Hispaniola auf? Oder war sie inzwischen weitergesegelt, mit unbekanntem Ziel? Was würde geschehen, wenn die Männer der „Isabella“ und der „Le Vengeur III.“ die Bande der „Caribian Queen“ tatsächlich antrafen?
Es würde gekämpft werden, daran bestand kein Zweifel. Wie aber ging das Gefecht aus? Gelang es dem Seewolf, die Black Queen endlich zu vernichten? Die Männer und Frauen auf der Schlangen-Insel hofften darauf, aber eine genaue Vorhersage ließ sich nicht treffen.
Die Queen war geschwächt, aber sie hatte immer noch ein Schiff und eine Mannschaft. Sie würde sich mit allen Mitteln gegen den Feind wehren, notfalls mit Zähnen und Nägeln. Sie durfte auch jetzt nicht unterschätzt werden.
Aber das wußten Hasard und Ribault – sie hatten aus den Erfahrungen der jüngsten Zeit gelernt. Sie gingen in keine Falle und fielen auf keinen Trick herein. Nur die offene Auseinandersetzung würde eine Entscheidung herbeiführen.
Gilbert Sarraux und Joao Nazario waren auf Tortuga in eine Felsenhöhle in der Nähe der „Schildkröte“ gesperrt worden. Carlos Rivero hatte die Wachen im vierstündigen Turnus eingeteilt und kontrollierte jede Ablösung genau. Hin und wieder sah er auch nach dem Bretonen und dem Portugiesen und überzeugte sich davon, ob ihre Fesseln noch straff genug saßen.
Sarraux und Nazario waren die Hände auf den Rücken gebunden, und auch ihre Fußknöchel wurden durch Stricke zusammengehalten. Vor dem Eingang der Höhle standen immer zwei Posten. Die beiden Gefangenen hatten nicht die geringste Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien und zu fliehen.
Die ersten Stunden verbrachten sie in dumpfem Schweigen. Wut und Panik lösten sich in Nazarios Geist ab. Zunächst gab er seinem Kumpan die Schuld an dem Mißlingen der Mission, die ihnen zwanzig Piaster eingebracht hätte.
Sarraux indes brütete in dumpfer Niedergeschlagenheit und Verzweiflung vor sich hin. Er wußte keinen Rat mehr. Was sollten sie unternehmen? Es gab nichts zu tun, sie konnten nur abwarten, was weiter mit ihnen geschah.
Wieder fand eine Wachablösung statt, und erneut trat Carlos Rivero zu ihnen in die Höhle, um die Fesseln zu überprüfen. Er hatte kein Mitleid mit den Kerlen, denn er mußte immer wieder an das Mädchen Esther und an El Tiburon denken, der in seinen Augen ein aufrichtiger und mutiger Mann gewesen war und einen solchen Tod nicht verdient hatte.
Geld erzeugte Gier, sorgte für Blindheit und säte Haß, aber Sarraux und Nazario hätten sich von der Black Queen nicht derart verblenden lassen dürfen. Nur ein ausgesprochener Galgenstrick wurde für Gold und Silber zum Meuchelmörder.
Carlos Rivero verließ die Höhle, ohne ein Wort zu sprechen. Wieder verstrich die Zeit quälend langsam. Bald hielt Nazario es nicht länger aus. Er beugte sich zu dem Bretonen hinüber und zischte: „Wo bleibt deine Gerissenheit? Du hast doch sonst immer so gute Einfälle. Hol uns aus dem Schlamassel raus. Es ist deine Schuld, daß wir erwischt worden sind.“
„Nein. Du hast dich von dem Weibsbild Esther überlisten lassen. Vergiß das nicht.“
„Du hättest sie niederschlagen können.“
„Sie wäre zu sich gekommen und hätte geschrien.“
„Wir hätten sie verschleppen können.“
„Um was mit ihr anzufangen?“ raunte Sarraux. „Um sie nach Hispaniola zu bringen und dann doch zu töten? Tut mir leid, den Ballast wollte ich nicht am Bein haben. Im übrigen hat es keinen Sinn, daß wir uns gegenseitig Dreck an den Kopf werfen.“
Nazario sann eine Weile darüber nach, dann sagte er kaum vernehmbar: „Du hast recht. Aber ich will nicht sterben. Wir müssen hier raus, bevor der Seewolf eintrifft, bevor wir noch mal vernommen werden oder irgend jemand auf den Gedanken verfällt, uns kurzerhand am nächsten Baum aufzuknüpfen.“
„Vielleicht hat die Höhle einen zweiten Ausgang?“
„Damit ist nicht zu rechnen“, zischte Nazario. „Wir haben nur eine Chance: Flucht nach vorn.“
„Und die Fesseln?“
„Von denen müssen wir uns natürlich befreien. Eine Glasscherbe würde mir genügen.“
„Ich habe mit den Fingern alles abgesucht“, wisperte Sarraux. „Aber es gibt nicht mal einen spitzen Stein. Und die Posten? An die gelangen wir nicht auf einen Schritt heran, ohne daß sie’s merken.“
„Warten wir den nächsten Wachwechsel ab.“
„Und dann?“
„Sie müssen uns was zu essen und zu trinken bringen“, raunte der Portugiese. „Ich habe gehört, wie sie vorhin darüber geredet haben. Das nutzen wir aus. Wenn sie hier aufkreuzen und uns den Fraß vorsetzen, werfen wir uns auf sie.“
„Sie haben nicht nur Säbel, sie haben auch Pistolen und Musketen“, gab der Bretone zu bedenken.
„Warte ab“, flüsterte Nazario. „Es muß sich eine Gelegenheit ergeben. Wichtig ist, daß wir bereit sind, wenn es soweit ist.“
Einer der Posten vor dem Eingang der Höhle drehte sich zu ihnen um. „Ihr beiden – was habt ihr zu tuscheln?“
„Wir sprechen unsere letzte Beichte“, erwiderte Nazario höhnisch. „Habt ihr keinen Kaplan? Den könnten wir jetzt brauchen.“
„Ihr seid schon wieder ganz schön frech“, sagte der zweite Bewacher. „Wenn ihr nicht das Maul haltet, legen wir euch in Ketten, verstanden?“
„Verstanden“, brummte Nazario und bedeutete seinem Spießgesellen durch eine Kopfbewegung, daß es wirklich besser war, nicht mehr miteinander zu flüstern.
Die Gelegenheit, auf die Nazario und Sarraux warteten, bot sich tatsächlich beim nächsten Wachwechsel. Zwei Männer stiegen durch das Gebüsch zum Eingang der Höhle auf, einer von ihnen trug einen kleinen Essenkübel und einen Krug Wasser. Er war der grauhaarige Seemann aus Northumbria, der sich schon an der Suche nach den beiden Spionen beteiligt hatte und nun zu den Freiwilligen gehörte, die Carlos Rivero ihre Dienste angeboten hatten.
Der andere Mann war ein untersetzter, rotgesichtiger Spanier, der ständig Durst hatte. Allerdings trank er erstaunlicherweise nur ganz wenig Wein oder mit Wasser vermischten Wein. Meistens löschte er seinen Durst mit reinem Quellwasser, das auf Tortuga ausreichend vorhanden war. Er pflegte Gallonen davon die Kehle hinunterzustürzen, wie viele am Tag, wußte er selbst nicht.
Die beiden lösten die Wachtposten ab, die ihrerseits froh waren, nach vier Stunden Dienst in die „Schildkröte“ zurückzukehren und einen Umtrunk zu halten. Sie murmelten ein paar Grußworte und verschwanden im Dickicht.
„Also dann“, sagte der grauhaarige Engländer. „Ich bringe den Kerlen das Essen und Trinken rein.“
„Ich muß mal in die Büsche“, sagte der Spanier. „Warte solange.“
„Gut, aber beeil dich. Carlos und Willem Tomdijk wollen nachher erscheinen und die Kerle noch einmal verhören. Es wäre mir unangenehm, wenn sie in einem Moment auftauchen, in dem du gerade nicht auf deinem Posten bist.“ Der Engländer nahm seine Aufgabe sehr ernst.
Grinsend verschwand der Spanier. „Es dauert wirklich nicht lange“, sagte er noch, dann hörte der Engländer ihn nur noch im Gebüsch rascheln.
Es war Sarraux’ und Nazarios Chance, daß der Engländer hin und wieder einen Anflug von Zerstreutheit hatte. Einige Augenblicke verstrichen, dann betrat er mit dem Essenkübel, in dem eine Suppe schwappte, und dem Wasserkrug die Höhle – ohne die Rückkehr des Spaniers abzuwarten.
4.
Sarraux und Nazario hatten jedes Wort verstanden, das vor der Höhle gesprochen worden war. Es bedurfte nur noch eines einzigen Blickes. Sie tauschten ihn und waren sich einig: Jetzt oder nie! Versagten sie, war es aus und vorbei. Gelang ihnen die Überrumpelung des Engländers, zogen sie ihren Kopf aus der Schlinge, die sich bereits um ihre Kehlen zusammenzog.
Der Engländer trat auf sie zu, bückte sich und wollte ihre Näpfe mit der Suppe füllen. Er sprach kein Wort, sah die Gefangenen nur finster an. Mörder, dachte er, was seid ihr nur für Menschen, euch an einem wehrlosen Mädchen zu vergreifen?
Sarraux und Nazario hatten ihn fast genau zwischen sich – und das war der entscheidende Moment. Sarraux riß die Beine hoch, seine Füße trafen die Hände des Engländers. Die Kelle und ein Napf flogen hoch, und die Suppe klatschte dem Engländer ins Gesicht. Sie war nicht mehr sehr heiß, sein Schreck war größer als der Schmerz, den er verspürte. Er fuhr zusammen und griff zur Pistole.
Auch Nazario wurde aktiv, seine beiden Füße hieben gegen den Rücken des Mannes. Der Engländer stürzte vornüber und wurde dabei von dem Kübel und dem Krug behindert. Der Krug zerbrach, das Wasser floß über den Höhlenboden. Eine Scherbe bohrte sich in den Arm des Mannes, er stöhnte auf. Der Kübel wackelte, kippte aber nicht um.
Jetzt war es der Bretone, der wieder mit den Beinen und Füßen zuschlug. Der Engländer schlug mit der Stirn auf einen flachen Stein. Er gab keinen Laut mehr von sich, als er schlaff zusammensank und reglos liegenblieb.
Nazario war über ihm und drehte sich so, daß er ihm mit den Fingern das Messer aus der Scheide des Waffengurtes ziehen konnte. Sarraux rückte dicht zu ihm heran. Immer wieder warfen sie gehetzte Blicke zum Eingang der Höhle, während sie wie die Besessenen mit dem Messer an ihren Fesseln arbeiteten. Jeden Moment konnte der Spanier auftauchen. Er brauchte sie nur zusammenzuschießen, dann war der Fall für ihn erledigt.
Sarraux’ Handstricke lösten sich. Ein Ruck noch, und seine Finger waren frei. Er griff zu dem Messer, das der Kumpan ihm hingehalten hatte, und säbelte an dessen Fesseln herum. Sie sprangen auf. Hastig zerschnitten sie auch ihre Fuß stricke, rissen die Waffen des Engländers an sich und stürzten zum Ausgang.
Der Spanier kehrte leise vor sich hinpfeifend zur Höhle zurück.
„He, Engländer“, brummte er. „Du solltest doch auf mich warten.“
„Ja“, sagte Nazario und bemühte sich, die Stimme des Engländers so täuschend wie möglich nachzuahmen. Er kauerte an der linken Seite des Höhlenausgangs, Sarraux hatte sich an der rechten Seite postiert.
Der Spanier war heran und wollte einen Blick ins Innere der Grotte werfen, doch in diesem Moment traf ihn der Kolben der Muskete, die Nazario von dem Engländer erbeutet hatte. Der Schlag war entschlossen, hart und sicher geführt. Der Kolben knallte gegen den Kopf des Spaniers, und dieser sackte mit einem Ächzer, in dem sich Entsetzen und Verblüffung vereinten, zu Boden.
„Der schläft für eine Weile“, zischte Sarraux. „Los jetzt, nichts wie weg.“ Er kroch auf den Spanier zu, sah sich nach allen Seiten um und hob das Messer. Er hatte wirklich vor, auf ihn einzustechen, doch Nazario hielt ihn davon ab.
„Vorwärts“, raunte er ihm zu. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Bis die Hunde wieder bei Bewußtsein sind, haben wir uns längst verdrückt.“ Sie liefen geduckt zu den Büschen und waren im nächsten Augenblick darin untergetaucht.
Carlos Rivero konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß es noch mehr aus den auskunftsbereiten Gefangenen herauszuholen gab. Diese Vermutung ließ ihm keine Ruhe – und auch Willem Tomdijk erging es nicht anders. Früher als ursprünglich beabsichtigt, verließen sie die „Schildkröte“ und stiegen zu der Höhle hinauf, die als Verlies eingerichtet worden war.
„Fragen wir sie vor allen Dingen, was die Black Queen eigentlich in Punta Gorda sucht“, sagte Carlos. „Will sie Proviant und Munition? Ich nehme es mit Sicherheit an. Aber vielleicht versucht sie auch schon wieder, neue Männer für ihr Schiff zu rekrutieren.“
„Wenn ihre Crew wächst, wird sie wieder zu einer Gefahr für uns“, sagte der Dicke, der einige Schwierigkeiten hatte, mit dem Spanier Schritt zu halten. „Es wäre besser gewesen, wenn der Seewolf sie verfolgt und auf See gestellt hätte.“
„Das entspricht aber nicht den Prinzipien des Seewolfs“, sagte Carlos. „Einem Gegner, der ohnehin kapituliert und das Weite sucht, versetzt er nicht noch den Todesstoß.“
„Ein sehr guter und vor allem humaner Grundsatz“, sagte Willem keuchend. „Aber im Fall der Black Queen ist er nicht angebracht. Sie kämpft ja selbst auch nicht fair.“
„Das spielt keine Rolle, jedenfalls nicht in den Augen des Seewolfs. Ich war lange genug mit Ribault und Siri-Tong zusammen, sie haben mir seine Ansichten genau auseinandergesetzt.“
„Schön und gut“, sagte Willem. „Dennoch wäre ich froh, wenn die ‚Wappen von Kolberg‘ bald zurückkehrte. Arne von Manteuffel überbringt uns sicher die Order des Seewolfs. Ich bin erst beruhigt, wenn ich die beiden Mörder baumeln sehe.“ Abrupt blieb er stehen. „Überhaupt – wäre es nicht besser gewesen, wenn wir sie uns hätten vorführen lassen? Dieser verdammte Marsch. Ich bin nicht gut zu Fuß, das weißt du doch.“
Ein Nörgler war er schon immer gewesen, und am schlimmsten wurde sein Gejammer, wenn er sich auf den eigenen Füßen durch die Gegend bewegen mußte. Er hatte darüber nicht richtig nachgedacht, als sie aufgebrochen waren, und bereute jetzt, nach nicht mehr als dreihundert Schritten, bereits seinen Entschluß.
Carlos mußte grinsen. „Stell dich nicht so an“, sagte er. „In El Triunfo bist du auch nicht so zimperlich gewesen und konntest ganz hübsch rennen, als die Spanier die Siedlung zusammenschossen. Also los – nur Mut.“ Er ging einfach weiter, um den Dicken durch sein Beispiel anzuspornen.
Willem dachte aber nicht daran, weiterzumarschieren. Er stand nur da, schwitzte und schnappte japsend nach Luft. Sein Herz schlug wie verrückt. Eine halbe Meile Flachland hätte er noch akzeptiert, aber diese Steigung raubte ihm seine letzten Kräfte.
Was weder Willem noch Carlos bemerkten: Manon war ihnen heimlich gefolgt. In der „Schildkröte“ hatte sie vernommen, was sie besprochen hatten. Sie wollte dabeisein, wenn die Gefangenen noch einmal vernommen wurden. Auch sie mußte jede Einzelheit erfahren, die zu Esthers Tod geführt hatte, das war sie nicht nur Esther, sondern auch ihren Freundinnen schuldig.
Sie hörte den dicken Mann vor sich im Gestrüpp schnaufen und keuchen, aber sie sah nicht, daß Carlos sich von ihm abgesondert hatte und immer mehr Vorsprung gewann. Sie orientierte sich an Willems Lauten und steuerte auf ihn zu.
Carlos hatte die Höhle inzwischen fast erreicht, blieb aber plötzlich stehen, weil er ein verdächtiges Geräusch gehört zu haben glaubte. Er griff zur Pistole. Mißtrauisch blickte er nach links und nach rechts. Aus welcher Richtung war der Laut gedrungen? Es hatte sich angehört, als sei ein Mensch auf einen trockenen Zweig getreten.
Dicht vor ihm raschelte es – und Carlos zückte die Pistole und schritt auf das Geräusch zu. Aber er ahnte nicht, daß es eine Falle war. Sarraux und Nazario hatten rechtzeitig das Nahen des Gegners bemerkt. Sie waren ja auch durch das, was sie von dem Engländer und dem Spanier erlauscht hatten, gewarnt und wußten, daß Rivero und Tomdijk früher oder später erscheinen mußten.
Sarraux täuschte Carlos also durch das Rascheln, und Nazario befand sich dicht hinter dem Rücken des Spaniers. Carlos hatte den Bretonen fast erreicht, da riß Nazario hinter ihm die Muskete hoch und ließ den Kolben auf seinen Hinterkopf niedersausen. Carlos registrierte die Bewegung und wollte herumfahren. Aber er hatte keine Chance mehr. Der Schlag traf ihn, er brach zusammen und rührte sich nicht mehr.
Sarraux ging zu Nazario und stieß einen grimmigen Laut der Genugtuung aus, als er Carlos daliegen sah. „Recht so. Immer kräftig drauf. Aber es darf kein Schuß fallen, Joao, sonst haben wir gleich wieder das ganze Pack auf dem Hals.“
„Klar.“ Nazario grinste und eilte weiter.
Sein Kumpan folgte ihm. Sie huschten durch das Dickicht den Hang hinunter, begingen jetzt aber doch einen Denkfehler: Sie rechneten nicht mit Willem. Vielmehr nahmen sie an, daß Carlos entgegen der Annahme der beiden Wachtposten allein erschienen wäre, um sie noch einmal zu verhören. So geschah das Unvermeidliche: Nazario prallte unversehens mit dem Dicken zusammen. Wie aus heiterem Himmel erfolgte der Zusammenstoß, und sie waren beide so überrascht und schockiert, daß sie nur ein dumpfes „Ach“ und „Oh“ von sich gaben.
Willem krachte schwer zu Boden, Nazario indes blieb auf den Füßen. Willem geriet ins Rollen und walzte mit seinem Gewicht die Büsche platt. Seine Bewegung gewann immer mehr an Geschwindigkeit, und es hatte den Anschein, als würde er bis vor die „Schildkröte“ rollen.
Manon hörte das seltsame Rumpeln, mit dem sich der Holländer ihr näherte. Es knackte und prasselte, dann kugelte der Dicke auf sie zu. Sie stieß einen Schrei aus, hatte aber die Geistesgegenwart, sich durch einen Sprung in Sicherheit zu bringen. Willem kullerte an ihr vorbei, ein japsender und schimpfender Berg von Mensch, dessen Hände hierhin und dorthin griffen, aber keinen Halt fanden.
Manon streckte noch die Hand nach ihm aus, aber es war zu spät, er war vorbei. Sie hätte ihn auch nicht festhalten und bremsen können. Er hätte sie nur mitgerissen.
Nazario und Sarraux hatten den Schrei gehört und eilten auf das Mädchen zu. Sie ahnte mehr etwas von den beiden, als daß sie sie wirklich herannahen hörte, und ergriff die Flucht. Willems Sturz konnte nur einen Grund haben: Die Gefangenen waren ausgebrochen und hatten ihn überwältigt. Aber wo war Carlos?
Manon wollte nach ihm rufen, doch jetzt schossen Nazario und Sarraux aus dem Dickicht hervor und packten sie an beiden Armen. Sie stöhnte auf vor Entsetzen, ging in die Knie und riß den Mund weit auf.
Bevor sie jedoch schreien konnte, preßte Nazario ihr eine Hand gegen die Lippen und zischte: „Ich töte dich, wenn du dich wehrst. Sei vernünftig. Du weißt, daß wir mit Weibern nicht gerade zart umspringen. Und ich weiß, daß du nicht sterben willst.“
Manon hing an ihrem Leben wie jeder andere Mensch, aber die Wut und der Haß brachten sie zur Raserei. Sie war wie von Sinnen und leistete auch weiterhin Widerstand. Sarraux und Nazario mußten ihre ganze Kraft aufbieten, um sie festzuhalten. Der Portugiese war drauf und dran, sie für immer zum Schweigen zu bringen, aber er bezwang sich. Er wußte, daß sie das Mädchen noch brauchten – als Geisel.
Willem war es unterdessen gelungen, einen Strauch mit beiden Händen zu packen. Durch die ungestüme Rollbewegung wurde der Busch glatt entwurzelt, aber Willem nahm ihn mit und hielt ihn so vor sich hin, daß er seine Abfahrt bremste. Rutschend stoppte er und rappelte sich staubbedeckt und mit zerfetzter Kleidung auf.
„Hurensöhne“, zischte er. „Das werdet ihr mir büßen!“ Zornig begann er loszuhasten – in die Richtung, aus der er abwärts gesaust war. Sein Bauch wackelte bedenklich, aber seine Abneigung gegen das Laufen hatte sich gelegt. Er hatte auch Manon gesehen und schreien hören und sorgte sich um sie. Und Carlos? Wo war der?
Carlos Rivero erhob sich auch gerade wieder und rieb sich stöhnend den Hinterkopf. Die Ohnmacht war kurz gewesen, das Erwachen schlimm. Aber er wußte, daß es die Gefangenen gewesen waren, die ihn niedergeschlagen hatten. Die Gewißheit versetzte ihn in unbändigen Zorn, er richtete sich auf und hastete den Hang hinunter. Wo steckte Willem?
Wenig später prallten die beiden fast miteinander zusammen. Im letzten Augenblick stoppten sie ab und blieben keuchend voreinander stehen.
„Manon“, stammelte Willem. „Wo – wo ist sie? Sie muß uns gefolgt sein. Jetzt ist sie den Kerlen – in die Arme gelaufen.“
„Wie haben die bloß entwischen können?“ fragte Carlos. Er wandte den Kopf und vernahm wieder ein Geräusch im Dickicht. Ohne zu zögern, eilte er in die Richtung, aus der es herüberwehte. Rascheln – die Gefangenen auf der Flucht! Was hatten sie mit Manon gemacht? Carlos lief, so schnell er konnte. Willem folgte ihm, konnte aber natürlich nicht mithalten und blieb wieder zurück.
Carlos erreichte eine Anhöhe, der dichte Buschbewuchs öffnete sich vor ihm zu einer Art Rondell. Er sah Sarraux und Nazario – und er entdeckte auch Manon, die von ihnen mitgeschleift wurde, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Carlos blieb stehen und hob die Pistole.
„Stehenbleiben!“ rief er. „Nazario, du bist der erste, der stirbt! Ergebt euch! Was ihr tut, ist sinnlos!“
Die beiden hielten tatsächlich an. Aber Sarraux hielt Manon das Messer an die Kehle, und Nazario zielte mit der Muskete auf Carlos.
„Auf was wartest du?“ rief er. „Schieß doch! Wahrscheinlich hast du recht – ich verrecke! Aber auch du beißt ins Gras, verfluchter Hurensohn! Und das Weib verblutet hier am Boden, vor deinen Augen! Wie findest du das?“
„Das wagt ihr nicht“, sagte Carlos so ruhig wie möglich. „Ihr habt die ganze Insel gegen euch. Man wird euch finden und in Stücke zerreißen.“
„Wir haben nichts zu verlieren“, sagte Sarraux höhnisch. „Vergiß das nicht, Bastard. Und denk auch daran, daß ich Esther getötet habe, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Warum wollt ihr eure Lage durch einen weiteren Mord erschweren?“ fragte Carlos. Er hoffte, daß Willem alles mithörte und schleunigst Verstärkung holte. Aber Willem war nicht schnell genug. Bis er die „Schildkröte“ erreichte, war bereits alles vorbei.
„Manon wird leben, wenn du vernünftig bist“, sagte Nazario. „Wir nehmen sie mit. Als Faustpfand. Später lassen wir sie frei. Verlaß dich darauf, Rivero. Wir fordern freies Geleit, sonst nichts.“
„Ich habe keine andere Wahl.“ Carlos ließ die Pistole sinken. Dies war die Probe aufs Exempel. Wenn Nazario schoß, bewies er, daß er grundlos und ohne jeden Skrupel tötete. Dann würde auch Manon sterben. Schoß er nicht, hatte sie noch eine Chance.
Nazario nahm die Muskete herunter. Er grinste flüchtig, dann entfernten sich Sarraux und er rückwärts mit Manon. Noch einmal versuchte sie, sich loszureißen, aber sie konnte sich dem Griff der Kerle nicht entwinden.
Carlos Rivero mußte in ohnmächtiger Hilflosigkeit mit ansehen, wie sie mit dem Mädchen verschwanden. Willem Tomdijk traf viel zu spät mit der Verstärkung ein, aber es hätte wenig genutzt, wenn er schneller gewesen wäre. Nazario und Sarraux hatten Manon in ihrer Gewalt. Ihr Leben durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Die Männer von Tortuga fanden den grauhaarigen Engländer und den Spanier. Der Engländer war schlimmer verletzt, als sie anfangs angenommen hatten. Er mußte sich beim Wundarzt in Behandlung begeben. Konnte man ihm Vorwürfe machen? Kaum. Aber Willem Tomdijk, Carlos Rivero, Diego und die anderen wußten jetzt nicht, was sie Arne von Manteuffel erzählen sollten, wenn dieser wieder auf Tortuga eintraf.
Sarraux und Nazario hatten unterdessen in einer verborgenen Nebenbucht einen Einmaster gefunden und lösten die Leinen. Niemand behelligte sie. Ungestört konnten sie die Segel setzen. Dann nahmen sie Kurs auf Punta Gorda.
Manon lag zu ihren Füßen. Sie hatten sie gefesselt, damit sie nicht über Bord sprang und zurück zur Insel schwamm. Es war damit zu rechnen, daß sie in ihrer grenzenlosen Wut auch vor den Haien keine Angst hatte.