Kitabı oku: «Seewölfe Paket 19», sayfa 25

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„Weiter, Angeklagter“, sagte Willem.

Wieder breitete sich Schweigen aus, in das die helle, gehetzt klingende Stimme des Bretonen fiel.

„Ich wußte nicht, was ich tat“, sagte er. „Ich dachte, Joao sei tot. Er ist mein bester Freund, mein Bruder. Das müßt ihr verstehen. Ich wollte von dem Mädchen wissen, was los wäre, aber sie schrie nur und riß vor mir aus. Da habe ich das Messer nach ihr geschleudert. Aber – ich wollte sie nur verletzen.“

„Mit Sicherheit“, sagte Carlos. „Soviel Menschlichkeit würde ich einem Galgenvogel wie dir jederzeit zutrauen. Es war also ein Unfall, daß das arme Ding gestorben ist.“

„Sozusagen, ja“, erwiderte der Bretone.

„Gilbert wollte sie nicht töten“, fügte Nazario sofort hinzu. „Er hatte ja kein Interesse daran. Und ich – ich mochte diese Esther, wirklich. Wäre ich bei Bewußtsein gewesen, dann, äh – wäre sie noch am Leben, denn ich hätte verhindert, was Gilbert getan hat.“

„Genug“, sagte Diego. „Das reicht. Mir wird gleich schlecht.“

„Wirklich geschmacklos und abstoßend zugleich“, sagte Willem. „Weiter jetzt. Wo habt ihr El Tiburon gefaßt, als ihr auf der Flucht wart?“

„In dem Hohlweg“, entgegnete Sarraux und beschrieb die Lage der Höhle, in der sie sich versteckt hatten. „Wir hörten ihn, und da hat Joao auf ihn gelauert und ihm eins mit einem Stein übergezogen. Es ist die volle Wahrheit, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist.“

„Euch Kerlen ist nichts heilig“, sagte Carlos.

„Weiter, weiter“, drängte Willem. „El Tiburon kam euch gerade recht. Ihr brauchtet ja jemanden, den ihr aushorchen konntet. Habt ihr ihn gefoltert? Hat er gesprochen? Was wolltet ihr von ihm wissen? Wer ist überhaupt euer Auftraggeber?“

„Er hat nichts ausgespuckt“, erwiderte Nazario. „Er ist ein ganz hartgesottener Kerl, das muß man ihm lassen. Wir wollten alles von ihm wissen – alles über Tortuga, und wo die Schiffe des Seewolfs abgeblieben sind.“

„Die Black Queen schickt uns“, sagte Sarraux mit jammernder, weinerlicher Stimme. „Warum sollen wir das noch länger verheimlichen? Sie hat sich nach der Schlacht, die hier stattgefunden hat, nach Hispaniola verholt, zur Nordküste. Sie liegt in Punta Gorda, dort haben wir sie in der Hafenkneipe ‚El Escarabajo‘ getroffen.“

„Sie hat uns angesprochen“, sagte Nazario in freizügiger Veränderung des wahren Sachverhalts. „Wir wollten erst gar nichts von ihr wissen, aber sie hat uns mit diesem Auftrag geködert und uns zwanzig Piaster versprochen für den Fall, daß wir Neuigkeiten über den Seewolf und Tortuga herauskriegen.“

„Die Münzen haben euch natürlich nicht verlockt“, sagte Diego voll Hohn und Verachtung. „Nur zögernd habt ihr euch auf das Unternehmen eingelassen, nicht wahr? Und natürlich bereut ihr jetzt, eure Einwilligung gegeben zu haben.“

„Ja, so ist es“, erwiderte der Bretone. „Wenn ich könnte, würde ich alles wieder rückgängig machen.“

Arne von Manteuffel hatte aufgehorcht. Er ließ sich alles ganz genau schildern: die Ankunft der Queen in Punta Gorda, ihr Eintreffen im Hafen, ihr Verhalten. Sarraux und Nazario waren die ersten gewesen, die den Zweidecker gesichtet hatten, sie wußten über jede Einzelheit Bescheid und hatten ja auch das Schiff bespitzelt, als es in der Nebenbucht vor Anker gegangen war.

Gemeinsam redeten sie sich von der Seele, was sie jetzt plagte und ihren Untergang bedeutete. Sie konnten nur noch darauf hoffen, durch ihr umfassendes Geständnis die Gemüter zu besänftigen.

Als sie geendet hatten, sagte Arne von Manteuffel: „Das ist ja hochinteressant. Ich stelle hiermit den Antrag, die Gefangenen einzusperren und es dem Seewolf zu überlassen, den letzten Urteilsspruch über sie zu fällen. Ich breche sofort auf und verständige ihn. Ihr anderen wartet hier auf mich.“

Es entstand eine tumultähnliche Situation – Manon und die Mädchen forderten Vergeltung, und auch die Siedler und Inselbewohner wollten den Bretonen und den Portugiesen auf der Totenrutsche sehen.

Willem Tomdijk hatte dieses Mal Mühe, den Aufruhr zu schlichten. Er nahm einen Humpen zur Hand und hieb damit mehrmals auf den Tisch, so hart, daß der Humpen in zwei Stücke zerbrach.

„Ruhe!“ schrie er. „Arne von Manteuffel hat recht! Der Seewolf muß sofort unterrichtet werden! Er hat die Queen besiegt, es steht ihm zu, auch über ihre Schergen das Urteil zu verhängen!“

Nach einigem Hin und Her wurde die Diskussion abgeschlossen und der Beschluß gefaßt: Carlos Rivero sollte die Agenten Sarraux und Nazario solange streng bewachen, bis er neue Anweisungen erhielt. Die Gerichtsverhandlung war somit beendet, die Gefangenen wurden abgeführt und die Versammlung aufgelöst.

Arne von Manteuffel kehrte schleunigst an Bord seines Schiffes zurück. Er gab seine Befehle, und O’Brien ließ ankerauf und in See gehen. Die „Wappen von Kolberg“ verließ die Hafenbucht von Tortuga – ihr Ziel war die Schlangen-Insel.

Der Spionageauftrag der Black Queen und die Kenntnis ihres derzeitigen Aufenthaltsortes waren zwei Faktoren, die für den Seewolf von größter Wichtigkeit waren. Allein wollte Arne über die Konsequenzen und Schritte, die sich daraus ergaben, nicht entscheiden.

2.

El Tiburon wußte genau, wohin er sich zu wenden hatte. Während der Überfahrt von Tortuga nach Hispaniola war er zu der Überzeugung gelangt, daß es doch besser war, den Kampf gegen die Black Queen nicht als Einzelgänger aufzunehmen. Immerhin waren da noch Caligula und die Crew der „Caribian Queen“, die er nicht vergessen durfte. Wie sollte er mit der Horde von wilden Schlagetots fertig werden, wenn etwas von seinem Plan mißglückte?

Hispaniola erhob sich in den Schleiern und Schatten der Abenddämmerung aus der See – der Rücken eines schwimmenden Giganten. Bald konnte El Tiburon mit bloßem Auge die Wipfel der uralten Mangroven und Sumpfzypressen, der Palmen und Eukalypten erkennen. Die gewaltige Manzanillo-Bucht dehnte sich vor ihm aus. El Tiburon steuerte ihren östlichen Bereich an, dort wollte er vertäuen und an Land gehen.

El Tiburons gewöhnlicher Aufenthaltsort befand sich an der Westseite von Hispaniola. Dort hatte er in einer einsamen Küstenregion eine Hütte gebaut, einige hundert Yards vom Ufer entfernt im Inneren des undurchdringlichen Busches. Ungestört wollte er sein, er führte das Dasein eines Eremiten, seit er damals, vor zwei Jahren, gegen den französischen Freibeuter Chagall hatte kämpfen müssen.

Die alte Siedlung von Cabo Samaná war wenige Wochen nach dem Überfall der Franzosen aufgelöst worden. Die Bukanier hatten sich in alle Winde zerstreut. El Tiburon wußte aber nach wie vor, wo Rosario, einer der früheren Kameraden, zu finden war. Es gab eine Übereinkunft zwischen ihnen: Wenn der eine den anderen brauchte, dann begab er sich zu ihm. Auch Rosario wußte, wo El Tiburon gewöhnlich hauste, aber außer ihm war das nur wenigen Männern bekannt.

Natürlich hatte sich El Tiburon noch einmal die Frage gestellt, ob es nicht doch ratsamer gewesen wäre, Verstärkung aus dem Hafen von Tortuga mitzunehmen. Aber auch diesmal hatte er die Möglichkeit verworfen. Vielleicht war es sogar gut, wenn man ihn – vorläufig zumindest – auf Tortuga für tot hielt. Denn Arne von Manteuffel, Diego und die anderen hätten sicherlich nichts unversucht gelassen, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten.

War es letztlich nicht wirklich Wahnsinn, was er plante? Bevor er landete, stellte er sich erneut die Frage. Aber er wußte, was er tat. Er hatte ein impulsives, schnell aufbrausendes Temperament und war ein typischer Südländer. Doch er konnte auch gründlich Denken und wußte, seine Unternehmungen genau abzuwägen.

Die Black Queen mußte bekämpft und vernichtet werden, ehe sie ein noch größeres Unheil als auf Tortuga anrichtete. Viel stand auf dem Spiel. Das hielt sich El Tiburon noch einmal vor Augen – und dann landete er am Ufer der Manzanillo-Bucht unter dichtem überhängendem Gestrüpp.

Sorgfältig vertäute er das Fischerboot am Stamm einer Mangrove, brach ein paar Zweige ab und tarnte es. Er nahm seine wenigen Sachen an sich: das Messer, mit dem er gegen die Haie gekämpft hatte, einen alten Säbel, den er in der Hecklast gefunden hatte, sowie den Kieker. Er stieg an Land und bahnte sich mit dem Säbel einen Weg durch das Dickicht.

Mühsam war diese Art, sich voranzubewegen. Das Unterholz wurde immer verfilzter und schien sich gegen den Eindringling zu wehren. Aber El Tiburon ließ sich nicht beeindrucken. Er war im Urwald zu Hause. Nichts konnte ihn hier aufhalten. Er arbeitete schnell und mit kräftigen Schlägen, verausgabte sich aber nicht zu sehr.

Nach etwa hundert Yards blieb er stehen. Der Dschungel atmete Feuchtigkeit, die Nässe schien durch alle Poren der Haut zu dringen. Die Selva dünstete einen morastigen Geruch aus, aber das Faszinierendste war im Dunkelwerden die eigentümliche Musik, die den einsamen Mann umgab. Papageien und andere Vögel kreischten, Affen keckerten, Zikaden zirpten, und aus den Niederungen ertönte das Quaken der Frösche.

Etwas bewegte sich träge vor El Tiburons Füßen – eine Schlange. Giftig oder harmlos? Der Kenner stellte sich die Frage nicht, er verhielt sich ruhig und ließ das Tier ziehen. Schlangen waren im Prinzip scheu und suchten lieber das Weite. Sie griffen nur an, wenn sie selbst sich in die Enge getrieben fühlten.

Ein Laut schwang in dem abendlichen Konzert mit, den El Tiburon nicht einzuordnen wußte. Die Nachahmung des Schreis einer Uferschnepfe – unwillkürlich mußte er grinsen. Jetzt wußte er, daß er am Ziel war.

„Keine Angst“, sagte er halblaut. „Ich bin ein Freund, kein Feind. Ich suche Rosario. Ich bin Joaquin Solimonte.“

„El Tiburon!“ Der Mann, der den Namen aussprach, trat aus dem Unterholz, keine drei Yards von El Tiburon entfernt. Er war mittelgroß und fiel durch sein entstelltes Gesicht auf. Er hatte eine Hasenscharte, konnte aber deutlich und verständlich sprechen. „Es ist gut, daß du deinen Namen genannt hast“, sagte er. „Ich habe unseren Leuten eben schon ein Alarmsignal gegeben.“

„Das habe ich gehört. Wer bist du?“

„Fango. Rosario hat uns viel über dich erzählt.“ Fango ließ einen Pfiff ertönen, der sofort erwidert wurde.

El Tiburon grinste immer noch. „Entwarnung. Wie viele seid ihr?“

„Zehn Mann. Wir hätten dich glatt erschossen, wenn du einfach so in unser Lager geplatzt wärst.“ Fango musterte El Tiburon im Büchsenlicht. „Du siehst genauso aus, wie Rosario dich beschrieben hat. Komm!“

Er führte El Tiburon, und sie gelangten durch das Dickicht auf einen schmalen Pfad, der sich wie eine große Schlange durch den Urwald wand. Alle drei, vier Tage mußte der Pfad vom wuchernden Gestrüpp befreit werden, das wußte El Tiburon. Der Dschungel verschlang alles, was der Mensch schuf, alles mußte ihm mühsam abgerungen werden.

Auf einer kreisförmigen Lichtung endete der kurze Marsch. Neun Männer richteten ihren Blick auf El Tiburon und Fango. Einige von ihnen hatten gesessen, die anderen gelegen. Rosario erhob sich aus einer Hängematte, und auch seine Kameraden waren plötzlich auf den Beinen.

„El Tiburon!“ rief Rosario. Ein breites Lächeln glitt über seine markanten Züge. „Das ist eine gelungene Überraschung! Ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht gesehen! Was führt dich zu mir?“

„Der Durst“, erwiderte El Tiburon und lachte. „Habt ihr Wein? Oder wenigstens ein bißchen Wasser?“

„Wasser und Rum“, erwiderte Fango und gab einem der Männer einen Wink. Eine Flasche wurde hervorgezaubert und weitergereicht, schweigend nahm El Tiburon einen Begrüßungsschluck zu sich. Dann schüttelte er allen nacheinander die Hand.

„Bist du der Anführer?“ fragte er seinen Freund Rosario.

„Ja“, erwiderte dieser. „Willkommen in dieser Runde von Glücksrittern und Teufelskerlen. Fango hast du schon kennengelernt, die anderen stelle ich dir noch mit ihren Namen vor. Gibt es Schwierigkeiten? Du kannst offen sprechen, du bist hier unter Freunden. Ich lege für jeden meine Hand ins Feuer.“

Erst jetzt bemerkte El Tiburon die Baumhütte hoch über seinem Kopf. Eine Strickleiter führte hinauf. Die Plattform, auf der man das Haus aus Schilf und Matten errichtet hatte, war zwischen den Blättern der Urwaldsträucher fast völlig versteckt.

„Ich störe euch nicht gern in eurem Domizil“, sagte El Tiburon. „Vielleicht habt ihr auch Wichtigeres zu tun, als euch meine Probleme anzuhören. Aber ich brauche tatsächlich eure Hilfe.“

Ein Lagerfeuer wurde entfacht, die Männer ließen sich nieder und tranken wieder aus der Flasche.

„Keine langen Vorreden“, sagte Rosario. „Welches Schiff gilt es zu überfallen? Wir haben eine Pinasse, El Tiburon, ein prächtiges Schiffchen, mit dem ich mich an jeden dicken Don herantraue.“

„Meine Gegner sind diesmal nicht unsere lieben Landsleute“, sagte El Tiburon. „Die verhalten sich ruhig und scheinen zur Zeit fest und tief zu schlafen. Nein, die Gefahr droht aus einer anderen Ecke. Habt ihr schon einmal etwas von der Black Queen gehört?“

„Ich schon“, entgegnete ein Ire namens O’Toole. „Sie soll vor kurzem in El Triunfo an der Küste von Honduras gewesen sein. Es heißt, sie sei auf der Suche nach Verbündeten. Aber der Henker soll mich holen – ich habe keine Ahnung über ihre Machenschaften. Sie ist überall und nirgends, taucht mal hier und mal dort auf. Ein schwarzer Bulle steht ihr zur Seite. Er heißt Caligula.“

„Zur Zeit befinden sich die Black Queen und Caligula in Punta Gorda“, erklärte El Tiburon.

Dann erzählte er alles, was er wußte und was sich auf Tortuga zugetragen hatte. Rosario, Fango, O’Toole und die anderen lauschten interessiert. Hin und wieder trank jeder einen Schluck Rum aus der Flasche und am Ende des Berichts wurde kräftig geflucht.

„Ein Teufelsweib, diese Queen“, sagte Rosario. „Was hat sie vor? Ist sie verrückt?“

„Eher größenwahnsinnig“, erwiderte El Tiburon. „Man muß ihr das Handwerk legen, bevor es zu spät ist. Sonst heißt es eines Tages: Auf Hispaniola regiert jetzt die Schwarze Königin, und jeder hat sich ihr zu unterwerfen. Jeder muß von dem, was er sich als Eigentum erworben hat, die Hälfte an die Queen abgeben. Jeder hört auf die Befehle der Queen.“

„Niemals!“ stieß Fango zornig hervor. „Ich unterwerfe mich keinem, den ich nicht selbst auswähle! Ich lasse mich nicht herumkommandieren, schon gar nicht von dieser schwarzen Hure!“

„Verjagen wir sie von Hispaniola!“ rief O’Toole. „Dies ist unser Revier!“

„Also auf nach Punta Gorda“, sagte Rosario entschlossen. „Sehen wir uns diese Queen mal aus der Nähe an. Los, holt die Waffen! Löscht das Feuer, nehmt genügend Proviant, Rum, Wasser und Munition mit!“

Im Handumdrehen waren alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen. Der Trupp von elf Männern bewaffnete sich und brach zu dem Platz auf, an dem die Pinasse vertäut lag.

El Tiburon atmete auf. Rosario hatte seine Erwartungen nicht enttäuscht, und er schien sich auf seine kleine Gruppe voll und ganz verlassen zu können. Diese Männer redeten nicht viel herum, wenn es zu handeln galt. Sie waren gewohnt, jederzeit sprungbereit zu sein und ihr Versteck im Dschungel mit den Posten an Bord der Pinasse zu vertauschen.

El Tiburons Worte hatten sie sofort überzeugt. Sie zweifelten nicht an der Richtigkeit seiner Darstellungen. Die Freundschaft zwischen Joaquin und Rosario war die Garantie dafür, daß alles stimmte und seine Richtigkeit hatte.

Binnen kurzer Zeit hatten sie die Entfernung zu dem versteckten Liegeplatz der Pinasse überbrückt und kletterten an Bord. Die Leinen wurden losgeworfen. El Tiburon registrierte, daß es sich bei der Pinasse um einen schlanken, überaus schnellen und wendigen Einmaster handelte. Als er jetzt aus dem Versteck glitt und Kurs auf die offene See nahm, schien das Wasser unter ihm dahinzufliegen.

Solche Einmaster hatten den Bukanier zu ihren Siegen verholfen. Bei nächtlichen Angriffen – aber auch bei Überfällen im Tageslicht – gingen die Männer tollkühn an Galeonen heran, die im Vergleich zu ihren Fahrzeugen wie Riesen wirkten. Dann wurde gepullt und gesegelt, und das Entermanöver erfolgte so schnell, daß die Besatzung des überfallenen Schiffes meistens völlig überrumpelt war.

Die Nacht senkte sich über See und Insel, es wurde stockdunkel. Schweigend verrichteten die Männer an Bord der Pinasse ihre Manöver. Bald gingen sie auf östlichen Kurs und hielten ihren Einmaster am Wind, der immer noch aus Nordosten wehte.

Rosario, O’Toole, Fango und die anderen stellten El Tiburon vorläufig keine Fragen mehr. Er sagte ihnen noch nichts über seine genauen Absichten. Sie unterstellten sich bedingungslos seinem und Rosarios Kommando. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, in der jeder vorbehaltlos für den anderen eintrat. El Tiburons Sache war jetzt auch ihre Sache. Was sie in Punta Gorda erwartete, stand auf einem anderen Blatt. Sie würden ihre Handlungen den Gegebenheiten anpassen.

Im Heraufziehen des neuen Tages erreichte Arne von Manteuffel mit der „Wappen von Kolberg“ die Schlangen-Insel. Mit geblähtem Zeug fiel die Galeone vom Wind ab und glitt dann, von der Crew mit großem Geschick gesteuert, durch den gefährlichen Mahlstrom. Der Felsendom nahm sie auf und ließ sie wieder frei. Sie schob sich in die Bucht, drehte bei und ging vor Anker.

Hier lagen die „Isabella IX.“, die „Le Vengeur III.“, der Schwarze Segler und die „Tortuga“ vor Anker. Die Bordwachen liefen auf den Decks zusammen, es wurde gejohlt und gewinkt.

Arne und seine Männer grüßten zurück, dann wurde das Beiboot der „Wappen von Kolberg“ abgefiert, und Arne, Oliver O’Brien, Renke Eggens, Hein Ropers und zwei Decksleute enterten ab. Sie nahmen auf den Duchten Platz, legten ab und pullten an Land, wo sich bereits alles versammelt hatte.

Kaum hatte sich der Bug des Bootes in den Uferstand geschoben, sprang Arne an Land und ging zu seinem Vetter. Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal, Jerry Reeves, Karl von Hutten, Arkana, Araua, Ramsgate, Gotlinde und Ben Brighton bildeten den Kern der Gruppe, die sich um Arne und dessen Begleiter scharte.

„Schlechte Nachrichten?“ fragte Hasard.

„Ja und nein“, entgegnete Arne.

Dann berichtete er in aller Eile, was sich seit dem Auslaufen von Hasards Verband aus der Bucht von Tortuga auf der Insel zugetragen hatte.

Wer bis jetzt noch etwas schlaftrunken in die Morgenluft geblinzelt hatte, war mit einem Schlag hellwach. Carberry, der hinter Ben Brighton stand, ließ einen saftigen Fluch vernehmen und wollte auch noch etwas hinzufügen, verstummte aber, als er den zurechtweisenden Blick von Gotlinde wahrnahm.

Hasard wartete, bis sein Vetter den Bericht abgeschlossen hatte. Dann sagte er: „Die Black Queen ist also wieder aufgetaucht. Kein Wunder – wir hätten damit rechnen müssen. Um Esther und El Tiburon tut es mir leid, ihr Tod ist absurd und sinnlos. Was geschehen ist, hätte nicht passieren dürfen. Aber wir können es nicht mehr ändern. Nur einen Trumpf haben wir jetzt: Wir wissen, wo sich die Queen aufhält und auf die Rückkehr ihrer beiden Agenten Sarraux und Nazario wartet.“

„Das sollten wir ausnutzen“, sagte Jean Ribault. „Sie ahnt nicht, daß wir bereits alles erfahren haben.“

„Mit anderen Worten, wir haben eine gewisse Zeitspanne zur Verfügung – bis zu dem Moment, in dem sie mißtrauisch wird und etwas zu ahnen beginnt“, sagte Siri-Tong. „Eine bessere Gelegenheit, ihr nun doch den entscheidenden Schlag zu versetzen, gibt es für uns nicht.“

„Immer wieder ist es ihr geglückt, uns zu entwischen“, sagte Thorfin Njal grimmig. „Wie wäre es, wenn wir sie diesmal festnageln würden? In Punta Gorda müßte es gelingen, da sitzt sie in der Falle.“

Gotlinde stemmte die Fäuste in die Seiten. „Ihr lauft also wieder aus? Bei Odin und allen Göttern, Thorfin, da habe ich ja wohl ein Wörtchen mitzureden.“

„Einen Augenblick“, sagte der Seewolf. „So weit sind wir noch nicht. Der Bund der Korsaren tritt unverzüglich zur Beratung zusammen. Arne, ich schlage vor, du kehrst sofort nach Tortuga zurück, sobald wir abgestimmt haben, was zu tun ist. Dies ist mein erster Antrag, wir sollten sofort darüber entscheiden.“

Kurze Zeit später wurde der Antrag einstimmig gutgeheißen – der Bund der Korsaren hockte beisammen, diesmal allerdings nicht auf dem Ratsfelsen der Schlangen-Insel, sondern aus Zeitgründen am Strand der Bucht.

Arne von Manteuffel sollte mit der „Wappen von Kolberg“ wieder in der Hafenbucht von Tortuga ankern und seine Kontrollfunktion fortsetzen. Seine vordringliche Aufgabe war es, die Dinge im Griff zu behalten und die Spione Sarraux und Nazario zu bewachen, die vorerst auf Nummer Sicher blieben. Erst wenn der Seewolf mit seinem Verband Tortuga anlief, sollte über – das weitere Schicksal des Bretonen und des Portugiesen entschieden werden.

„Nun mein nächster Vorschlag“, sagte Hasard. „Wir sollten nicht lange fackeln und sofort nach Punta Gorda segeln – mit der ‚Isabella‘ und der ‚Le Vengeur‘. Nur so haben wir eine Chance, die Black Queen noch zu erwischen. Der Schwarze Segler und die ‚Tortuga‘ bleiben hier.“

„Bei Geri und Freki, Odins Raben, nein!“ Thorfin Njal hieb mit der Faust in den Sand, daß eine Fontäne hochspritzte. „Das lasse ich nicht zu! Das könnte euch so passen, ohne mich zu segeln! Ich habe mit der schwarzen Satanswalküre auch noch ein Hühnchen zu rupfen und eine Rechnung zu begleichen, vergeßt das nicht!“

„Gotlinde hast du wohl ganz vergessen, was?“ sagte die Rote Korsarin. „Sie hat recht – es wird Zeit, daß du dich um sie kümmerst. Eine Ehefrau, die guter Hoffnung ist, läßt man nicht dauernd allein, oder hast du das immer noch nicht begriffen, du ungehobelter Klotz?“

Jean Ribault konnte sich eines Grinsens nicht erwehren. „Das gehört nun mal zu den Pflichten eines treusorgenden Ehemannes. Daran muß sich auch ein Thorfin Njal gewöhnen. Da hilft kein Fluchen und kein Protestieren.“

„Unfaßbar“, sagte der Wikinger „Ihr seid also alle gegen mich?“

„Stimmen wir ab“, sagte der Seewolf. „Hand hoch, wer dafür ist, daß Thorfin auf der Schlangen-Insel bleibt.“

Er selbst hob die rechte Hand. Siri-Tong, Ribault, Arne und Jerry Reeves folgten seinem Beispiel. Der Wikinger saß da wie vom Donner gerührt. Dann weiteten sich seine Augen, er lief rot an und brüllte: „Hand hoch, wer dafür ist, daß ich mit nach Punta Gorda segle!“

Diesmal riß nur er den Arm hoch, sonst rührte sich keiner. Fast sah es so aus, als sträube sich sein Bart vor lauter Wut. Aber er nahm die Entscheidung hin.

„Na schön“, sagte er grollend, „dann bleibe ich eben hier. Aber ihr beißt euch vor Ärger noch selbst wohin, ihr Hänflinge, nämlich dann, wenn ihr mit der schwarzen Hexe aneinandergeratet und dringend meine Unterstützung braucht.“

„Richtig“, sagte Ribault. „Wir haben ja auch noch nie etwas ohne die Hilfe des Wikingers unternommen. Du bist unsere Amme, Thorfin, aber wir strampeln uns trotzdem zurecht, glaub es mir.“

„Du mit deinen Sprüchen“, brummte der Nordmann. „Du kannst mich ruhig anöden, aber du wirst trotzdem noch an meine Worte denken.“

Er verspürte Lust, sich den Helm vom Kopf zu reißen und ihn in den Sand zu knallen, aber wieder bezwang er sich. Gotlinde stand außerdem nicht weit entfernt und sandte immer wieder neugierige Blicke zu ihnen herüber. Es sollte nicht so wirken, als wolle er partout nicht bei ihr bleiben. Das gab erst recht böses Blut. Teufel, was für eine Situation! Es gab keinen Ausweg.

Hasard sah den Wikinger an und konnte sich nur schwer ein Lachen verkneifen. „Du bleibst also hier, Punktum und basta. Tröste dich, auch Siri-Tong ist diesmal nicht mit von der Partie.“

„Richtig“, erklärte die Rote Korsarin. „Ich leiste Gotlinde, dir und allen anderen Gesellschaft, Thorfin. Was sagst du jetzt?“

Er war sprachlos, blickte vom einen zum anderen und begriff nicht, was geschah. Er fixierte Ribault aus schmal werdenden Augen und beugte sich etwas vor. „Was hat das zu bedeuten? Verdammt, kannst du mir erklären, was hier gespielt wird?“

„Ja“, erwiderte der Franzose fröhlich grinsend. „Ich weiß Bescheid. Aber es würde zu lange dauern, dir jetzt alles auseinanderzusetzen. Hab’ Geduld bis nachher.“

„Gotlinde!“ brüllte der Wikinger. „Hier wird ein Komplott gegen mich geschmiedet! Beeil dich und bring unseren Sohn bald zur Welt, oder ich drehe noch durch!“

Gotlinde lächelte nachsichtig. „Ich fürchte, da mußt du noch ein paar Monate warten. Außerdem steht noch nicht fest, ob wir einen Jungen haben werden. Es könnte auch eine Tochter werden.“

Thorfin Njal erhob sich mit den anderen. „Wenn’s ein Junge wird, nenne ich ihn vielleicht Thor“, brummelte er. „Wenn’s eine Tochter wird, Thora. Mal sehen.“

„Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden“, sagte Gotlinde, als die Versammlung sich auflöste.

„Tausend Wörtchen“, sagte der Wikinger.

Aber er hatte sich doch beruhigt. Was blieb ihm anderes übrig? Er mußte sich den Dingen fügen. Nur eins war sicher: Sollte während der Abwesenheit von Hasard und Ribault irgend jemand versuchen, die Schlangen-Insel zu erobern, dann würde er sich höllisch die Finger verbrennen – am frisch gewetzten Messerchen von Thorfin Njal.

Der Abschied fiel kurz aus. Hasard, Ribault und Arne sowie die Crews begaben sich an Bord der „Isabella IX.“, der „Le Vengeur III.“ und der „Wappen von Kolberg“. Die Beiboote wurden hochgehievt und binnenbords geschwenkt, auf den Decks festgezurrt und mit gewachstem Segeltuch abgedeckt. Die Männer eilten auf ihre Manöverposten, enterten in den Wanten auf und setzten die Segel, während andere das Spill besetzten und den Anker hievten.

Kurz darauf segelte die „Isabella IX.“ als erste mit dem Mahlstrom aus der Bucht. Die „Le Vengeur III.“ lag in ihrem Kielwasser und folgte dichtauf. Als letztes Schiff verließ die „Wappen von Kolberg“ die Bucht.

Vor der Schlangen-Insel trennten sich die drei Galeonen. Arne von Manteuffel nahm Kurs auf Tortuga. Hasards und Jean Ribaults Kurs lag etwas südwestlich versetzt, sie liefen Punta Gorda an. Ein neues Abenteuer begann, und keiner wußte, wie es enden würde.