Kitabı oku: «Seewölfe Paket 20», sayfa 12

Burt Frederick
Sturmfahrt nach Hispaniola
1.
Die Nacht vom 24. auf den 25. April des Jahres 1594 war ungewöhnlich lau. Ein sanfter karibischer Wind strich über die Schlangen-Insel. Das silberne Mondlicht verlieh dem Wasser in der Außenbucht einen Glanz von flüssigem Metall.
Rauhes und doch heiteres Stimmengewirr erfüllte die Felsenkaverne, die seit ihrer Entdeckung „Old Donegals Rutsche“ hieß. Einige der Männer hatten sich vor dem Eingang im Freien niedergelassen, um die Nachtluft zu genießen. Aus der Felsenkneipe wehte der Geruch von Bierpfützen und rußenden Pechfackeln zu ihnen hinaus.
Es war die rechte Art von Gemütlichkeit, wie Old Donegal Daniel O’Flynn sie sich früher in seinen Träumen immer vorgestellt hatte.
Er blickte vom Zapfhahn auf, als seine bessere Hälfte von draußen zurückkehrte. Ein Hauch von Rührung erfaßte ihn. Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, war mit Gold nicht aufzuwiegen. Was sie auch anpackte, sie bewältigte es spielend. Und wenn es sich nur um die Kleinigkeit eines vollen Dutzends leerer Henkelkrüge handelte, die sie hereinwuchtete. Mit einem Kranz von sechs Humpen in jeder Hand schob sie sich auf den Tresen zu.
„Mister O’Flynn!“ übertönte ihre energische Reibeisenstimme den Lärm. „Willst du deine Gäste verdursten lassen? Oder warum stierst du Löcher in die Luft?“
Old Donegal zuckte zusammen und beeilte sich, seine Tätigkeit am Zapfhahn fortzusetzen. Wie sollte er denn vor aller Öffentlichkeit erklären, daß sie nicht etwa Luft für ihn war? Und sie selbst hätte am allerwenigsten Verständnis dafür gehabt, wenn er ihr mitten in der Arbeit seine rührselige Anwandlung zu verklaren versuchte. Davon, daß er an übernatürliche Kräfte glaubte, die sie beide zusammengeführt hatten, brauchte er erst gar nicht anzufangen. Spinnflausen nannte sie das, und das energische Funkeln in ihren grauen Augen hatten ihn bislang jedesmal verstummen lassen. Dennoch gab er die Hoffnung nicht auf, daß er ihr eines Tages seine innersten Überzeugungen schildern durfte.
Mary knallte die leeren Trinkgefäße auf den Tresen, wischte sich eine Strähne ihres feuerroten Haars aus der Stirn und stemmte die Fäuste in die Hüften. Stirnrunzelnd beobachtete sie ihn, wie er den Gerstensaft in die Krüge schäumen ließ.
„Du wirst doch wohl nicht müde werden, mein Alter?“ sagte sie halblaut. Nur er konnte es im durcheinander der Männerstimmen hören.
Ihre plötzliche Besorgnis ließ ihn stutzen. Meinte sie es ernst? Oder war das ein Wink mit dem Zaunpfahl, daß er nicht mehr der Jüngste war?
„Sehe ich so aus?“ knurrte er daher, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
Ihr Grinsen gab ihm wieder einmal das Gefühl, daß sie ihn bis auf die Knochen durchschaute. Sie schüttelte den Kopf.
„Nicht, wenn du dich anstrengst. Aber sag lieber rechtzeitig Bescheid, wenn’s dir zuviel wird. Die Kerls schlucken heute abend wie die Wale. Und je schneller wir ihnen Nachschub bringen, desto besser für unsere Kasse. Wenn du also Hilfe brauchst …“
Er schnitt ihr das Wort ab.
„Brauche ich nicht. Wir füllen sie ab, bis ihnen das Bier zu den Ohren rausläuft. Das schaffe ich ohne einen Handlanger. Ist das klar, Miß Snugglemouse?“ Er begann, die gefüllten Humpen eilends auf den Tresen zu schieben.
Sie nickte und grinste noch breiter.
„Aber ja. Hauptsache, du kippst mir nicht aus den Pantinen.“
Er schluckte es, denn er begriff nun, daß sie auf ihre Art tatsächlich um ihn besorgt war. Sie war eben doch eine Frau, auch wenn sie meistens so tat, als wollte sie sämtliche Mannsbilder dieser Welt in die Tasche stecken. Ohne mit der Wimper zu zucken, rückte Mary O’Flynn die vollen Krüge zurecht und packte zu. Wieder waren es sechs Humpen in jeder Hand, mit denen sie abrauschte. Der alte O’Flynn konnte nur staunen, wie sie das Stunde um Stunde, Abend für Abend bewältigte. Schon die leeren Krüge hatten ein beträchtliches Gewicht. Aber in gefülltem Zustand würde selbst mancher Mann seine liebe Not damit haben.
Mary hatte die Hälfte ihres Weges in Richtung Ausgang zurückgelegt, als einer der Männer von den leeren Fässern aufsprang, die als Sitzgelegenheit dienten. Er war ein mittelgroßer, drahtiger Bursche mit schwarzem Kraushaar und gehörte zur Mannschaft der Ramsgate-Werft.
„Nicht so schnell, Lady!“ rief er bierselig und schwenkte einen leeren Humpen in der rechten Hand. Breitbeinig versperrte er ihr den Weg. „Die da draußen können warten. Mir trocknet die Kehle aus, wenn ich nicht sofort Nachschub kriege. Also zeig ein mitfühlendes Herz und rück einen von deinen Krügen heraus.“
Mary blieb einen Schritt vor ihm stehen.
„Du bist noch nicht dran“, sagte sie ruhig. „Hier gilt gleiches Recht für alle. Also setz dich wieder.“
„Eine Ausnahme wird doch wohl drin sein, oder?“ Der Kraushaarige verzog das Gesicht zu einer flehenden Miene.
Old O’Flynn unterbrach sein Humpenspülen. Er sah den Verdruß heraufziehen. Doch wenn er glaubte, daß Mary wegen ihrer schweren Last hilflos war, dann sah er sich im nächsten Moment getäuscht. Sein Holzbein erlaubte ihm ohnehin keine besondere Schnelligkeit. Noch bevor er die Theke hinter sich lassen konnte, klärte Mary die Lage auf ihre eigene Art.
„Jetzt reicht’s“, knurrte sie und walzte mit ihrer flüssigen Last auf den Kraushaarigen zu.
Sein Mund klappte auf, und in seiner Verblüffung schaffte er es nicht mehr, zu reagieren.
Der Anprall von Mary O’Flynns Krugkränzen traf ihn vor den Brustkasten. Er stieß einen erschrockenen Laut aus, verlor das Gleichgewicht und kippte hintenüber auf den felsigen Boden. Sein leerer Humpen zerschellte dabei mit einem trockenen Geräusch.
„Den Schaden wirst du ersetzen“, sagte Mary O’Flynn gelassen und stieg über ihn weg.
Schallendes Gelächter hallte durch die Kaverne. Einige der Männer klatschten Beifall, als das vollbusige Weib des alten O’Flynn mit hoch erhobenem Haupt ins Freie marschierte.
Old Donegal kehrte mit ungläubigem Kopfschütteln hinter seinen Tresen zurück. Da sollte einer noch vom schwachen Geschlecht reden! Auf Mary, geborene Snugglemouse, traf das jedenfalls nicht zu.
Während der nächsten halben Stunde gab es für das Schankwirtspaar in „Old Donegals Rutsche“ kaum Zeit zum Luftholen. Besonders in einer Nacht wie dieser, so mußte Old O’Flynn feststellen, entwickelte sich die Bierversorgung der vielen durstigen Seelen zu einer schweißtreibenden Arbeit. Bei nächster Gelegenheit, so beschloß Old Donegal, mußte er ein fachmännisches Gespräch mit Willem Tomdijk führen.
Der dicke Holländer war in einer Bierbrauerfamilie großgeworden. In El Triunfo an der Küste von Honduras hatte er seine Brauerei und seine gesamte sonstige Habe verloren, als die Spanier die Siedlung zusammenschossen. Auf Tortuga hatte Willem mit Hilfe des Bundes der Korsaren eine neue Heimat gefunden. Er würde nur zu gern bereit sein, einem Neuling in der Schankwirtsbranche Ratschläge zu erteilen.
Old Donegal wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er im Begriff war, Mary mit einem neuen Dutzend gefüllter Bierkrüge zu versorgen.
Ein schlankes, schwarzhaariges Mädchen stürmte aufgeregt in den Eingang der Felsenkneipe – Araua, die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana. Nur einen Moment verharrte sie. Dann hastete sie auf Mary O’Flynn zu.
Schlagartig verstummte das Stimmengewirr in „Old Donegals Rutsche“.
„Mary, schnell, wir brauchen deine Hilfe!“ Keuchend blieb das Mädchen vor der stämmigen rothaarigen Frau stehen. „Gotlinde hat furchtbare Schmerzen. Sie schreit, daß einem angst und bange wird.“
Mary O’Flynn lächelte und legte Araua die Hand auf die Schulter.
„Kein Grund zur Sorge, Mädchen. Das hört sich zwar schlimm an, aber es ist die Ankündigung eines freudigen Ereignisses. Ich hatte eigentlich schon gestern damit gerechnet, daß bei Gotlinde die Geburtswehen einsetzen würden.“ Mary begann, die mit Bierflecken übersäte Schürze loszubinden. „Dann wollen wir ihr mal helfen, den neuen Erdenbürger auf die Welt zu bringen.“
Araua atmete beruhigt auf.
„He, was soll das heißen, Miß Snugglemouse?“ rief Old Donegal mit verdutztem Blinzeln. „Du willst doch wohl nicht allein losmarschieren!“
„Was denn sonst.“ Sie knüllte ihre Schürze zusammen und warf sie mit einem entschlossenen Ruck auf ein Bierfaß hinter dem Tresen.
„Kommt nicht in Frage“, sagte Old Donegal auftrumpfend. „Für einen solchen Fall ist ein Mann vom Fach zuständig. Zum Glück brauchen wir ihn nicht erst zu suchen.“ Er deutete auf Mac Pellew, der nur wenige Schritte entfernt auf einem Faß hockte.
Der griesgrämige Kombüsenmann und Feldscher der „Isabella IX.“ hatte sich gemeinsam mit Will Thorne, Jack Finnegan und Paddy Rogers an einem der Tische niedergelassen. Doch der Bierverbrauch hatte bei Mac nicht dazu geführt, daß sich seine Miene aufhellte. Jetzt, da er mit mäßigem Interesse herüberblickte, waren seine Augen trübe und teilnahmslos wie eh und je. So jedenfalls mußte es demjenigen erscheinen, der ihn nicht besser kannte.
Mary O’Flynn hieb mit der Faust auf den Tresen, daß Old Donegal unwillkürlich den Kopf einzog.
„Jetzt hör mir mal gut zu, du neunmalkluger Hüpfer. Erstens befinden wir uns hier auf der Schlangen-Insel und nicht auf irgendwelchen verrotteten Schiffsplanken, auf denen nur Mannsbilder herumschlurfen. Und zweitens würde die arme Gotlinde wahrscheinlich eine Fehlgeburt erleiden, wenn sie den Sauertopf Pellew zu sehen kriegt.“
Drüben, am Tisch, sackte Macs Kinnlade weg. Will Thorne und die anderen sahen Mary O’Flynn mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung an.
Und Old Donegal schüttelte den Kopf, als traue er seinen eigenen Ohren nicht mehr. Er wollte etwas entgegnen, doch Mary brachte ihn mit einer energischen Handbewegung zum Verstummen.
„Drittens“, fuhr sie mit dröhnender Reibeisenstimme fort, „habe ich in Plymouth zehn Jahre als Hebamme gearbeitet. Ich denke nicht daran, mir von einem Kerl wie Mac Pellew ins Handwerk pfuschen zu lassen. Ist das klar?“ Herausfordernd blickte sie in die Runde.
Niemand wagte, auch nur einen Ton von sich zu geben.
Old Donegal Daniel O’Flynn kriegte den Mund nicht wieder zu. Bevor er erneut zur Gegenrede ansetzen konnte, folgten ihre Anweisungen Schlag auf Schlag.
„Die Kneipe wird sofort geschlossen. Solange Gotlinde in den Wehen liegt, gibt es keine Sauferei und keinen Lärm mehr. Das ist das Mindeste, was man an Rücksicht erwarten muß. Mister O’Flynn, du besorgst saubere Leinentücher und hältst ständig kochendes Wasser bereit. Außerdem brauchen wir Seife, saubere Schüsseln und Eimer. Laß dir meinetwegen von deinem Fachmann Mac dabei helfen.“
Mary O’Flynn wandte sich ab, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie zog Araua mit sich, und nichts als staunende Blicke folgten der resoluten Frau, die ohne langes Fackeln die Befehlsgewalt an sich gerissen hatte. So blieb es auch während der darauffolgenden Stunden. Folgsam hatten sich die Besucher von „Old Donegals Rutsche“ in ihre Kojen zurückgezogen, während der alte O’Flynn und seine Helfer kein Auge zukriegten. Laufend gab es neue Anweisungen von Mary O’Flynn, die meist durch Araua übermittelt wurden. Kochendes Wasser mußte geschleppt werden, und immer wieder wurden neue Leinentücher angefordert.
Das Geschehen konzentrierte sich auf einen der kühlen Kavernenräume der Schlangenkriegerinnen. Dort war Gotlinde untergebracht worden, und die Frauen umsorgten sie voller Tatkraft. Außer Mary O’Flynn waren Siri-Tong, Arkana, Araua und Gunnhild, Smokys Ehefrau, dabei. Auch die Schlangenkriegerinnen hielten sich für Hilfsdienste bereit.
Die männlichen Bewohner der Schlangen-Insel hatten indessen das Gefühl, von jeglichem Geschehen ausgeschlossen zu sein. Das begann schon bei Old Donegal und seinen Helfern. Das kochende Wasser und die sonstigen Utensilien hatten sie am Kaverneneingang abzustellen. Dort wurden die Sachen von den Frauen übernommen. Keiner der Männer erhielt Zutritt zu der Kaverne. Wenn sie allzu nahe beim Eingang lauerten, und auf Geräusche horchten, schien Mary O’Flynn dies regelrecht zu wittern. Denn dann tauchte sie auf wie ein zorniger Racheengel und verscheuchte die Lauscher mit Donnerstimme.
Der Morgen graute, und die Stunden schleppten sich weiter in quälender Spannung dahin. Die Gedanken der Männer waren voller Mitgefühl bei Thorfin Njal, der seiner Gotlinde in ihrer schwersten Stunde keinen Beistand leisten konnte. Ausgerechnet jetzt versah der Wikinger mit seinem Schwarzen Segler den Patrouillendienst rund um die Caicos- und Turk-Inseln. Allerdings wagten Old Donegal und etliche andere zu bezweifeln, daß die resolute Mary, geborene Snugglemouse, den nordischen Poltermann überhaupt bis an das Kindbett vorgelassen hätte.
Der Himmel über der Karibik strahlte in wolkenlosem Blau. Die Sonne stieg höher und höher und näherte sich bereits dem Zenit.
Old O’Flynn, Mac Pellew und Jack Finnegan warteten in respektvoller Entfernung von der Kaverne auf neue Anweisungen.
„Verdammt“, knurrte Old Donegal, „das ist ja nicht zum Aushalten. Diese Ungewißheit macht einen ganz rappelig.“
„Muß wohl an der Geburtshelferin liegen“, sagte Mac Pellew dumpf. „Wenn ich die Sache in die Hand genommen hätte, wäre Thorfins Nachwuchs längst zur Stelle. Aber bei diesem Weiberregiment …“
Er verstummte jäh. Old Donegal und Jack Finnegan ruckten herum.
Was da aus der Kaverne tönte, war so eindeutig und unmißverständlich, daß es eigentlich keiner weiteren Erklärungen bedurfte.
Wie ein Krähen klang es, hell und langgezogen.
Die Männer sprangen auf und näherten sich vorsichtig und erwartungsvoll der Kaverne.
„Hört sich an wie Protest“, murmelte Mac Pellew. „Ich würde mich auch sträuben, wenn ich noch mal in dieses Jammertal Erde entlassen werden sollte.“ Im nächsten Moment erschien eine ungewöhnlich freundliche Mary O’Flynn im Eingang der Kaverne. In den Armen hielt sie ein Bündel mit leuchtend rotem Haarschopf.
„Ein Mädchen“, verkündete sie strahlend. „Aber das ist noch nicht alles.“ Die Männer starrten sie an. „Das ist noch nicht alles?“ wiederholte Old Donegal entgeistert. „Was, in aller Welt, soll das heißen?“
„Geduld, Geduld“, sagte Mary geheimnisvoll. „Ich denke, wir werden es sehr bald wissen.“ Ohne eine weitere Erklärung wandte sie sich ab und verschwand wieder in dem Felsenraum, der für die Männerwelt versperrt war.
Dann, eine halbe Stunde später, war es mit der Spannung endgültig vorbei.
Nach dem rothaarigen Baby weiblichen Geschlechts wurde Gotlinde von einem ebenso rothaarigen Baby männlichen Geschlechts entbunden. Vor der Kaverne hatte sich nach dem ersten freudigen Ereignis bereits eine stattliche Zahl von neugierigem Mannsvolk versammelt. Allesamt starrten sie stumm und entgeistert zum Eingang der Felsenbehausung, als Mary O’Flynn mit dem rotschopfigen Pärchen erschien.
Old O’Flynn schüttelte die Überraschung als erster ab.
„Zwillinge!“ brüllte er begeistert. „Ja, ist es denn zu fassen? Unser Wikinger hat Zwillinge gekriegt!“
Seine Worte waren wie ein Signal für die anderen. Schlagartig brach begeistertes Gejohle aus. Die Männer hieben sich gegenseitig auf die Schultern, und in ihrem lautstarken Freudenausbruch merkten sie nicht einmal, daß der Wikingernachwuchs vor Schreck dag Krähen einstellte.
Siri-Tong, Gunnhild, Arkana und Araua hatten sich zu Mary O’Flynn gesellt und beobachteten den Trubel vor der Felsenkaverne. Die Frauen sahen erschöpft aus. Sie lächelten nur nachsichtig über die Kerle, die samt und sonders verrückt spielten, als wären sie selbst zu Vaterwürden gelangt.
Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, verzichtete sogar auf eine Zurechtweisung Old Donegals. So blieb sein Ausruf unwidersprochen, daß der Wikinger Zwillinge gekriegt habe. Bei passender Gelegenheit jedoch, so beschloß Mary, würde sie ihm verklaren, daß es immer noch die Frauen waren, die die Kinder kriegten. Wahrscheinlich hatte er das in seiner Begeisterung völlig vergessen.
„Dafür lege ich ein Faß auf!“ rief Old Donegal kurz entschlossen. Wohlweislich fügte er hinzu, daß das Begießen des Wikingernachwuchses an der Innenbucht und nicht etwa in der „Rutsche“ stattzufinden habe, weil eine übermäßige Lärmbelästigung des besagten Nachwuchses zu vermeiden sei.
Seine gestelzten Worte fanden das Wohlwollen von Miß Snugglemouse, und so gab es wegen Old Donegals Spendierfreudigkeit keinen Widerspruch. Während er mit Jack Finnegan und Paddy Rogers zum Faßtransport loszog, bewegte sich die gesamte übrige Meute in Richtung Innenbucht, um die freudige Nachricht auch auf den vor Anker liegenden Schiffen zu verbreiten. In Minutenschnelle machte die Neuigkeit die Runde.
Eine halbe Stunde nach der Geburt des Pärchens gab es auf der Schlangen-Insel niemanden mehr, der nicht den Grund der ausgelassenen Stimmung gekannt hätte. Sämtliche Schiffsbesatzungen hatten sich am Strand versammelt, wo inzwischen das Bier aus dem Zapfhahn rauschte. Old Donegal selbst hielt sich mit dem Gerstensaftgenuß zurück, da er mittlerweile einen Entschluß gefaßt hatte. Im allgemeinen Trubel stelzte er auf Ben Brighton zu und nahm ihn beiseite.
Bedauert wurde, daß die Männer, die auf der „Pommern“ unterwegs waren, an dem nachmittäglichen Freudenfest nicht teilhaben konnten. Der Seewolf hatte die Schlangen-Insel mit Teilen der Crews der „Isabella“ und der „Wappen von Kolberg“ verlassen, um gegen die Black Queen vorzugehen. Bei der „Pommern“ handelte es sich um die ehemalige spanische Perlengaleone „Santa Clara“, die allerdings so gründlich umgerüstet worden war, daß kein Spanier sie jemals wiedererkennen würde.
„Ben“, sagte Old Donegal, „ich meine, wir dürfen den Wikinger nicht im Ungewissen lassen. Er hat ein Recht darauf, so schnell wie möglich benachrichtigt zu werden.“
„Ich verstehe“, erwiderte der Erste Offizier der „Isabella“ lächelnd. „Und du willst derjenige sein, der die Nachricht überbringt.“
„Keine Frage! Meine ‚Empress‘ ist nun mal die schnellste von allen.“
Nach kurzem Überlegen war Ben Brighton einverstanden. Er nickte bedächtig, wie es seine Art war.
„Also gut“, sagte er, „ich werde dir Batuti und Bob Grey mitgeben.“
„Danke“, entgegnete Old O’Flynn strahlend. „Und welchen Kurs empfiehlst du?“
Ben Brighton überschlug es kurz. Für den Patrouillendienst war ein Kreistörn links herum um die Caicos- und die Turk-Inseln vereinbart worden. Nach der Auslaufzeit des Patrouillenschiffes, nach Windrichtung und Windstärke konnte man daher in unvorhergesehenen Fällen leicht berechnen, wo sich das betreffende Schiff ungefähr befinden mußte.
„Am besten steuerst du Coral Island an“, sagte Ben. „Dort müßte der Schwarze Segler etwa am Spätnachmittag stehen.“
Old Donegal verlor keine Zeit. Gemeinsam mit den beiden Männern von der „Isabella“ und Martin Correa, seinem Steuermann, begab er sich an Bord der kleinen dreimastigen Karavelle.
Der Mahlstrom stand günstig, und so konnte die „Empress“ eine knappe Stunde später die Innenbucht der Schlangen-Insel verlassen und bei Wind aus Norden Kurs auf Coral Island nehmen.
2.
Von Stolz erfüllt harrte Old Donegal Daniel O’Flynn den ganzen Nachmittag auf dem Achterdeck der „Empress“ aus.
Er besaß nun alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. In Freiheit lebte er mit seinen Freunden auf der Schlangen-Insel. Er hatte seine lange geplante Schenke eröffnet, und er verfügte über sein eigenes Schiff. Nicht zuletzt war da Mary, geborene Snugglemouse, die mit beiden Beinen fest auf der Erde stand. Ein besseres Weib gab es nach Old Donegals Maßstäben nicht.
Auch Martin Correa, Steuermann und Bootsmann der „Empress“ in einer Person, zählte zu den positiven Errungenschaften, die der alte O’Flynn an diesem Nachmittag des 25. April in seiner gedanklichen Bestandsaufnahme zusammenreihte.
Correa leistete die harte Arbeit an der Pinne der „Empress“ ohne die geringsten Anzeichen von Erschöpfung. Er war ein kräftig gebauter Mann, seine grauen Augen und das kantige Gesicht spiegelten Zähigkeit und Tapferkeit. Als ehemals zweiter Steuermann der spanischen Galeone „San Nicolas“ hatte er bereits zweimal die Karibik bereist, und seine Fähigkeiten als Seemann und hervorragender Navigator hatte er unter dem Kommando des alten O’Flynn bereits hinreichend unter Beweis gestellt.
Batuti, der herkulisch gebaute Gambianeger, und Bob Grey, der drahtige blonde Engländer, hatten mit der Decksarbeit auf der „Empress“ keine Schwierigkeiten. Das Lateinerrigg der dreimastigen kleinen Karavelle war von Hesekiel Ramsgate so ausgelegt worden, daß eine geringe Mannschaftsstärke ausreichte.
Auf nordöstlichem Kurs lag das vierzig Fuß lange schlanke Schiff hart am Wind und bewies seine hervorragenden Segeleigenschaften. Für Zubringer- und Nachrichtendienste, so stellte Old O’Flynn abermals fest, was seine „Empress“ eben unübertroffen. Keine der großen Galeonen des Bundes der Korsaren hätte die dreißig Seemeilen von der Schlangen-Insel bis zur nordöstlich gelegenen Korallen-Insel in weniger als fünf Stunden bewältigt. Selbst mit der „Isabella“ wäre ein zeitraubendes Aufkreuzen notwendig gewesen.
Der Abwärtsweg der Sonne näherte sich bereits ihrem Ende, als die Umrisse von Coral Island über der nordöstlichen Kimm auftauchten. Mit hoch schäumender Bugwelle rauschte die „Empress“ auf ihr Ziel zu, und sehr bald zeichneten sich die Einzelheiten immer deutlicher ab. Da war der Gischtkranz zu sehen, der von den mächtigen Korallenbänken verursacht wurde, welche die Insel als schützender Ring umgaben. Und da war die üppige tropische Vegetation, die das Eiland als leuchtend grünes Kleinod in der Weite der Karibischen See erscheinen ließ.
„Ein herrliches Stück Erde“, sagte Martin Correa, dem der Anblick von Coral Island weniger geläufig war als den übrigen Männern aus dem Bund der Korsaren. „Nichts gegen die Schlangen-Insel, aber die Timucuas dürften hier wie im Paradies leben.“ Er kannte die Geschichte des Indianerstammes aus Florida, der mit Hilfe des Seewolfs seine zweite Heimat auf Coral Island gefunden hatte.
Old Donegal wandte sich um und legte sein verwittertes Gesicht in Falten.
„Alles schön und gut, aber mir wäre lieber gewesen, wenn sie uns auch noch das Geheimnis des Jungbrunnens verraten hätten.“
„Wahrscheinlich wissen sie es selber nicht“, entgegnete der Steuermann. „Sonst würden sie das doch schon aus Dankbarkeit preisgeben.“ Wie kein zweiter verstand es Martin Correa, auf die Schrullen des Alten einzugehen. Wenn den Arwenacks und ihren Gefährten längst der Geduldsfaden riß, hörte Martin den Erzählungen Old Donegals immer noch geduldig und interessiert zu. Daß es sich dabei stets um übersinnliche Dinge handelte, störte ihn nicht im mindesten. Auch die Geschichte mit dem Jungbrunnen, der sich irgendwo im südlichen Florida befinden sollte, kannte der Steuermann der „Empress“ längst auswendig.
„Bei den Indianern kann man nie ganz sicher sein“, sagte Old Donegal. „Manches verraten sie selbst ihren besten Freunden nicht. In der Beziehung sind sie verdammt merkwürdig, wenn sie sonst auch feine Kerle sind.“
Im nächsten Moment wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, und das Thema Jungbrunnen war damit beendet.
Denn die „Empress“ rauschte jetzt auf die Ostküste der Insel zu. Die Einfahrt zur Ankerbucht zeichnete sich in Sichtweite ab. Über den schroffen Formationen der Korallenbänke erhoben sich jedoch nicht nur die Masten der „San Donato“. Auch der Schwarze Segler lag dort in der Bucht. Thorfin Njal hatte also die Patrouillenfahrt zu einem kurzen Besuch bei den Timucuas genutzt.
Old Donegal dachte nicht daran, auch nur einen Fetzen Tuch wegnehmen zu lassen. Eine fieberhafte Besessenheit packte ihn, die freudige Nachricht so schnell wie möglich zu überbringen. Martin Correa und die beiden Männer von der „Isabella“ hatten nichts einzuwenden. Sie kannten die prächtigen Eigenschaften der „Empress“, und es gab in der Tat kein übermäßiges Risiko.
Auf Anweisung von Old O’Flynn legte Correa die Karavelle auf Kurs Ost-Nord-Ost. Als sie mit sechs Kabellängen Abstand an der Passage zur Bucht vorbeijagten, ertönte von dort bereits Begrüßungsgebrüll. Der alte O’Flynn grinste bis zu den Ohren, denn er malte sich aus, wie es ihnen gleich die Sprache verschlagen würde, wenn sie die Neuigkeit erfuhren. Dann folgte eine Wende nach Backbord. Willig drehte die „Empress“ ihren Bug durch den Wind und rauschte bei halbem Wind mit Direktkurs auf die Einfahrt zu.
Es zeigte sich, daß der schwarze Viermaster nicht nutzlos in der Bucht lag. Der Wikinger beschränkte sich keineswegs darauf, den Timucuas „Guten Tag“ zu sagen. Auch an die Versorgung der Schlangen-Insel dachte er bei dieser Gelegenheit. In der Bucht und am Ufer herrschte reger Betrieb. Timucuas brachten große Körbe mit Früchten und Gemüse aus dem Inneren der Insel und reihten sie am Strand auf. Beiboote dienten für den Pendelverkehr zwischen dem Schwarzen Segler und dem Ufer. Als Gegenleistung erhielten die Bewohner von Coral Island Werkzeuge, Baumaterialien, Stoffe und Gerätschaften, die samt und sonders aus Beutezügen des Bundes der Korsaren stammten.
Die Idee, Coral Island als Versorgungsinsel für die Schlangen-Insel auszubauen, begann sich zu verwirklichen. In der kurzen Zeit ihres Aufenthalts auf dem Korallen-Eiland hatten die Timucuas bereits Beträchtliches geleistet. Plantagen waren angelegt worden, und ihr Arbeitseifer wurde durch eine stattliche Ernte belohnt.
Thorfin Njal, der auf seinem Sesselchen auf dem Achterdeck des Viermasters thronte, hob erstaunt den behelmten Kopf, als der alte O’Flynn wie ein Irrer mit der „Empress“ in die Bucht brauste.
Die Arbeiten wurden indessen nicht unterbrochen. Ein Beiboot der „San Donato“ lag längsseits. An der nach Backbord ausgeschwenkten Besan-Gaffelrute des Schwarzen Seglers war eine Talje angeschlagen, die dazu diente, die Körbe aus dem Beiboot an Bord zu hieven.
Mit killenden Segeln schoß die „Empress“ nahe bei „Eiliger Drache“ an Steuerbord in den Wind. Breitbeinig stand der alte O’Flynn auf dem Achterdeck seiner Kleinkaravelle. Mit beiden Händen formte er einen Trichter vor dem Mund und brüllte seine Nachricht zu dem großen Viermaster hinauf, wo die ersten neugierigen Gesichter an der Verschanzung erschienen.
„He, Thorfin, du verdammter Glückspilz! Du bist Vater geworden! Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal! Gotlinde hat dir ein Pärchen beschert! Heute mittag war das, seitdem krähen die beiden Kleinen auf der Schlangen-Insel um die Wette!“
Einen Augenblick herrschte auf dem Schwarzen Segler die Stille der Überraschung.
Dann brach das Gebrüll los.
Was sich allerdings dort oben an Backbord abspielte, konnte Old Donegal vom Achterdeck seiner „Empress“ aus nicht sehen.
Thorfin Njal, der Klotz von einem Kerl, fuhr jäh von seinem „Sesselchen“ hoch, als hätte ihn der wilde Affe gebissen. Er warf die Arme hoch, und ein urgewaltiger Schrei entrang sich seinem mächtigen, von Fellen bedeckten Brustkasten.
Wie ein Röhren klang es, überall auf den Decks des Viermasters pflanzte es sich fort und vereinte sich zu einem vielstimmigen „Hurra“ aus den heiseren Stimmen der Crew.
Immer noch röhrte der Wikinger, und für einen Moment schien es, als wolle er sich vor lauter Freude den Helm vom Kopf reißen, um ihn in der Luft zu schwenken. Im Taumel seiner Vatergefühle achtete er nicht auf den schweren Korb, den der Stör an der Talje soeben hochgehievt hatte.
Bedächtig schwenkte der Nordmann mit dem langen Gesicht die Gaffelrute binnenbords. Mit der ihm eigenen Verzögerung begriff er erst jetzt, was sich abspielte. Sein Blick fiel auf den röhrenden Wikinger, und das Gegröl der übrigen Männer hallte in seinen Ohren nach.
„Hurra!“ brüllte der Stör und warf die Arme hoch, wie es Thorfin tat, den er so gern nachahmte.
Daß er dabei die holende Part losließ, bemerkte er erst, als sie wie eine Schlange durch die Talje züngelte. Doch das verhängnisvolle Geschehen war nicht mehr aufzuhalten.
Der schwere Gemüsekorb raste abwärts.
Dem Stör stockte der Atem, und sein Freudengebrüll versiegte schlagartig.
Denn haargenau unter dem fallenden Korb befand sich der Wikinger. Und dem Stör blieb keine Zeit, zu reagieren.
Mit einem dumpfen Laut knallte der Korbboden auf den Kupferhelm und platzte auf. Für einen Sekundenbruchteil waren noch Thorfins erschrockene Augen zu sehen. Dann erstickte sein Freudenröhren in der Gemüseladung, die ihn weich und saftig einschloß.
Vergeblich ruderte er mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Doch der Korb gab seinen Kopf mitsamt Helm nicht frei.
Der Stör wich entsetzt beiseite, als der Wikinger ins Taumeln geriet – ein Berg von Muskeln, gekrönt von einem riesigen Flechtkorb, aus dem leuchten rote Früchte purzelten. Tomaten!
Drei, vier davon zerplatzten auf den Achterdecksplanken.
Die Männer auf der Kuhl und auf der Back stellten ihr Gegröl ein, als sie das Geschehen erfaßten. Für einen Moment waren sie versucht, in Gelächter auszubrechen. Der fellbekleidete Riese, der statt eines Kopfes einen Korb trug, sah in der Tat aus wie ein urkomisches Wesen aus einer noch unentdeckten Welt.
Aber fleischige Tomateröte behinderte sein Sehvermögen und raubte ihm das Gleichgewichtsgefühl.
Bevor einer aus der Crew eingreifen konnte, taumelte Thorfin ausgerechnet auf den Steuerbordniedergang zu. Der Stör, der nahe genug gewesen wäre, um noch zuzupacken, war vor Entsetzen wie gelähmt.
Der Wikinger kriegte Übergewicht. Der schwere Korb zog ihn buchstäblich nach unten. Ein dumpfes Gurgeln drang durch die Tomaten, als er einen letzten Schritt versuchte. Doch der führte nur ins Leere. Sein linker Fuß verfing sich in den obersten Stufen, und dadurch verlor er endgültig den Halt.
Kopfüber – oder besser „korbüber“ – segelte er auf die Planken der Kuhl. Tomaten kullerten nach allen Seiten. Unter den Fußsohlen der herbeieilenden Männer wurden die Früchte zu rotem Brei zermatscht.