Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 12
Wieder bereute er, kein Gift mitgenommen zu haben. Mit einer winzigen Dosis eines weißen Pülverchens hatte er schon oft Probleme beseitigt, die sich anders nicht lösen ließen. Zuletzt hatte Don Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna, dran glauben müssen, der ihm auf höchst bedenkliche Weise gefährlich geworden war.
Doch er hatte kein Gift, und auch die doppelläufige Pistole, mit der er seinen Fluchtversuch unternommen hatte, war natürlich nicht mehr vorhanden. Er war machtlos und konnte nur noch abwarten, was weiter geschah.
Gerade das stimmte ihn so verzweifelt. Cubera hatte ihn in der Hand: Wenn er wollte, konnte er dafür sorgen, daß Don Antonio de Quintanilla ums Leben kam. Auf diese Weise würde er sich rächen und gleichzeitig einen unbequemen Zeitgenossen aus dem Weg schaffen.
Daß Cubera nicht der Mann war, der so üble Taten vollbrachte, vergaß Don Antonio in seiner panischen Angst. Cubera war es gewesen, der ihm zu dem Kammerarrest verholfen hatte, sonst wäre es längst um ihn geschehen gewesen, weil das Bordgericht, das Gomez Guevara zum Tod verurteilt hatte, mit Leichtigkeit auch ihn hätte hängen lassen können. Doch das vergaß Don Antonio völlig, und er empfand nicht die Spur von Dankbarkeit gegenüber dem Capitán Cubera, sondern nur tiefen Haß.
Don Antonio fluchte und stöhnte. Wenig später, als die Kanonen zu donnern begannen, preßte er wieder die Hände gegen die Ohren und jammerte um sein erbärmliches Leben.
Don Garcia Cubera hatte alles viel zu genau verfolgen können – das Eindringen der „San Gabriel“ in den Felsendom, dann die Explosion, bei der es die Pulverkammer des Schiffes mit einem enormen Getöse zersprengt hatte. In ohnmächtigem Entsetzen schloß Cubera die Augen, als es geschah, und für kurze Zeit wünschte er sich, dem Kapitän der „San Gabriel“ nicht den Befehl zu diesem Himmelfahrtskommando in die Bucht der Schlangen-Insel gegeben zu haben.
Aber es war falsch, sich jetzt etwas vorzuwerfen. Ein Befehl war ein Befehl, und die Seefahrt brachte stets Gefahren mit sich. Ein Soldat der Marine hatte den Tod immer vor Augen und wußte, daß er ihn eines Tages holen würde, unerwartet und brutal. Nur – Cubera hatte nicht angenommen, daß sich noch Menschen auf der Insel befanden und sie verbissen verteidigten.
Die vorherigen Rundumerkundungen der Schaluppen schienen eindeutig ergeben zu haben, daß die Insel geräumt worden war. Cubera hatte sich darauf verlassen und nicht mit Widerstand gerechnet. Somit konnte er sich doch nicht den stillen Vorwurf ersparen, einen Fehler begangen oder zumindest in diesem Punkt voreilig gehandelt zu haben.
Für Augenblicke stand er wie gelähmt auf dem Achterdeck der, „San José“. Die „San Gabriel“ war ein Totalverlust, es gab keinen einzigen Überlebenden, wie die Ausguckposten mühelos durch ihre Spektive erkennen konnten.
„Aus“, murmelte er. „Gott sei ihren armen Seelen gnädig.“
Aber noch im Schock des Erlebten brach die Wut in ihm durch. Er gab sich einen innerlichen Ruck, blickte zu seinen Offizieren und rief dem Ersten zu: „Signalisieren Sie den Kapitänen den Befehl, auszuschwärmen!“
„Ja, Señor!“
„Sie sollen das Feuer ringsum auf die Insel eröffnen, sobald wir unsere Kanonen zünden!“
„Ja. Aber wir haben dort immer noch keinen Gegner gesichtet.“
„Das spielt keine Rolle“, sagte Cubera schroff, dann ließ er seine Order durch Zuruf an die Achterdecks der anderen Galeone und der drei Karavellen weiterleiten.
Die sechs Schaluppenführer erhielten die Anweisung, zurückzubleiben und sich an der Kanonade nicht zu beteiligen. Sie bildeten die Reserve und die Nachhut, gleichzeitig aber auch die Patrouille, die darauf zu achten hatte, ob sich Schiffe der Insel näherten.
Die fünf Kriegsschiffe schwärmten aus und segelten auf eine Schußweite von etwa siebzig Yards von allen Seiten an die Insel heran. Die „San José“ hielt dabei die am weitesten nach Norden versetzte Position, während sich die zweite Galeone von Nordwesten auf das Zielobjekt zubewegte. Die Karavellen griffen die Südwest-, die Nordost- und die Südostseite an. In sternförmiger Formation schoben sie sich auf ein imaginäres Zentrum zu, an dem sich ihre Kurse kreuzten. Dieser Punkt lag – theoretisch – im Mittelpunkt der Bucht.
Cuberas Zorn hatte sich immer noch nicht gelegt. Don Antonio fiel ihm ein, und er sagte sich, daß es durchaus richtig sei, wenn auch der Dicke an dem Geschehen teilhatte, das jetzt seinen Anfang nehmen würde.
„Lassen Sie Don Antonio de Quintanilla holen“, sagte er zu seinem Ersten Offizier. „Ich will, daß er bei mir ist, hier, auf dem Achterdeck.“
„Señor“, sagte der Erste, der ahnte, welche Absicht hinter dem Befehl des Kommandanten steckte. „Ist das nicht zu riskant?“
„Glauben Sie, er springt ins Wasser?“
„Es wäre durchaus möglich.“
Cubera schüttelte den Kopf. „Sie vergessen, daß er ein miserabler Schwimmer ist. Oder vielmehr – er kann überhaupt nicht schwimmen. Also wird er sich hüten, außenbords zu springen, zumal er annehmen muß, daß es dort von Haien wimmelt.“ Er deutete zur Insel. „Selbst wenn er es schaffen sollte, sich in einem unbewachten Moment an Land zu retten, was hätte er damit erreicht? Die würden ihm einen heißen Empfang bereiten.“
„Die, Señor?“ fragte der Erste erstaunt.
„Die Verteidiger der Insel natürlich. Oder zweifeln Sie etwa daran, daß sie existieren?“
„Ich frage mich nur, wo sie sich verkrochen haben“, erwiderte der Erste.
„Zwischen den Felsen“, sagte Cubera. „Es gibt genug Löcher und Spalten und wahrscheinlich auch Höhlen. Dort finden sie ausreichenden Unterschlupf, und natürlich kennen sie sich bestens aus. Aber wir werden sie ausräuchern, das schwöre ich Ihnen.“
Wenig später erschien Don Antonio, von seinem derzeitigen Wachtposten vorwärts dirigiert, über den Backbordniedergang auf dem Achterdeck. Er sah verstört aus. Sein äußerer Zustand war nahezu verwahrlost, er schien sich selbst bereits aufgegeben zu haben.
„Señor“, sagte Cubera, „ich nehme an, die kandierten Früchte und der Portwein schmecken Ihnen nicht mehr. Sie haben inzwischen begriffen, daß wir es mit einem harten Gegner zu tun haben.“
„Ja. Und Sie brauchen mich nicht zu verhöhnen.“
„Das tue ich nicht.“
„Was wollen Sie von mir?“
„Daß Sie am Kampfgeschehen teilnehmen.“
„Ich soll … Aber ich kann mit Kanonen nicht umgehen und hasse Pulverrauch!“ protestierte Don Antonio.
„Mit Pistolen können Sie aber umgehen“, sagte Cubera scharf. „Hiermit ordne ich an, daß Sie auf dem Achterdeck bleiben und dem jetzt erfolgenden Angriff auf die Insel der Engländer beiwohnen.“
„Nein! Das können Sie von mir nicht verlangen!“
„Das ist ein Befehl“, sagte Cubera nur noch schroff. Dann wandte er ihm den Rücken zu.
Die Schiffe hatten die Insel bis auf eine Distanz von siebzig Yards angelaufen und drehten bei, um ihre Batterien in Schußposition zu bringen. Die Kapitäne und Besatzungen warteten auf den ersten Schuß der „San José“ – und dort standen die Geschützführer mit glimmenden Lunten neben ihren Stücken.
Don Antonio stand mit weichen Knien da und verfolgte die Vorbereitungen wie in Trance. Er konnte nicht recht begreifen, was um ihn herum vorging, es schien sich um einen gräßlichen Alptraum zu handeln. Er hatte das Gefühl, in den Knien zusammenbrechen zu müssen, und doch trat es nicht ein. Weiterhin aufrecht stehend, erlebte er nun, wie es war, wenn die Kugeln pfiffen und heulten.
Was folgte, schien an Weltuntergang zu grenzen. Don Garcia hob die Hand zum Zeichen und schrie: „Feuer!“
Dann wurden die Backbordgeschütze der „San José“, die auf die Schlangen-Insel gerichtet waren, gezündet, und mit grollendem Donner rasten die Kugeln, von flammenden Zungen gestoßen, aus den Rohren. Sie flogen auf das Ufer zu, und noch ehe sie ihr Ziel erreichten, ertönte auch von Bord der anderen Schiffe das Wummern der Geschütze. Die Geräusche prallten auf die Felsen der Insel und schienen in hundertfachem Echo zurückzukehren. Es zuckte und blitzte, und im explosionsartigen Donnern der Stücke stiegen fette Qualmwolken in den Himmel auf.
Genau dies war der Moment, in dem sich Don Antonio die Hände gegen die Ohren preßte. Er hätte dies lieber unten in der Kammer getan, wo ihn keiner sehen konnte, aber auch hier konnte er sich dem übermächtigen Drang, es zu tun, nicht widersetzen. Er stöhnte und jammerte, und er ertrug die Verachtung in den Mienen der umstehenden Männer, die nicht so schlimm war wie seine nackte, gräßliche Angst.
Die fünf Schiffe hämmerten ihre Breitseiten in die Felsen der Schlangen-Insel, aber nach wie vor rührte sich dort nichts. Don Garcia Cubera selbst ließ sich ein Spektiv reichen und beobachtete unausgesetzt, ob sich drüben etwas tat. Aber er wurde enttäuscht. Kein Lebewesen zeigte sich, und wieder wirkte die Insel verlassen und menschenleer.
2.
Karl von Hutten kauerte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder neben den Freunden. Außer ihm befanden sich Arkana, Hesekiel Ramsgate, Pater David sowie ein paar Männer der Werft-Crew im Gefechtsstand. Sie spähten aus sicherer Deckung zu den Schiffen des Gegners und verfolgten, wie der Verband auseinanderfächerte.
„Aha, sie belegen uns jetzt von allen Seiten mit Beschuß“, sagte Karl von Hutten. „Sie kochen vor Wut, aber sie wissen noch nicht genau, wie groß und welcher Art der Widerstand ist, der sie auf der Insel erwartet.“
„Das mit den Pulverfässern war eine gute. Idee“, sagte Ramsgate. „Daran haben sie erst mal schwer zu schlucken. Ich glaube nicht, daß sie so leicht darüber hinwegkommen. Habt ihr die Schreie und Flüche an Bord der Schiffe gehört?“
„Ja“, antwortete Pater David. „Und ich habe für die armen Teufel von der versenkten Galeone gebetet.“
„Wie geht es weiter?“ fragte Arkana. „Die Schaluppen scheinen an dem Kanonenzauber nicht teilzunehmen. Sie rühren sich nicht vom Fleck.“
„Das macht nichts“, sagte Ramsgate. „Uns soll es nicht stören. Es geht gleich los. Sie umzingeln uns.“
Mit den Kiekern hielten sie nach allen Seiten Ausschau und verfolgten, wie sich die beiden Galeonen und die drei Karavellen in Schußposition brachten. Nur wenige Atemzüge später brach der Donner los, und fast meinten sie, die Schlangen-Insel müsse unter den Treffern erbeben.
Aber sie wackelte nicht – sie ließ nicht das geringste Zittern verspüren. Sie war aus hartem, solidem Gestein gewachsen, diese Insel, das hatte ja auch der Felsendom bewiesen, der bei der Explosion nicht eingestürzt war.
Die Kanonen der Insel schwiegen. Die Batterieführer in den einzelnen getarnten Geschützstellungen rings um die Insel hatten den strikten Befehl, erst zu feuern, wenn sie sicher waren, Treffer zu erzielen.
„Das bedeutet, der Gegner muß sich bis auf Kernschußweite genähert haben, ehe wir was unternehmen“, erläuterte Karl von Hutten Pater David, als sie sich auch im Donnern der Schiffsgeschütze hoch unterhielten.
„Warum ist das so wichtig?“
„Diese Kernschußweite soll den direkten horizontalen Schuß ermöglichen“, entgegnete von Hutten. „Ohne daß die Höhe berücksichtigt zu werden braucht. Das ist einfacher.“
„Die Geschoßflugbahn bildet keine Parabel, sondern nahezu eine direkte Gerade“, erläuterte Hesekiel Ramsgate. „Das dürfte bei etwa fünfzig Yards gewährleistet sein.“
„Ja, das glaube ich auch“, sagte Karl von Hutten. „Die Schiffe müßten sich also noch etwas nähern.“
„Wir dürfen aber auch nicht vergessen, daß sich die Geschützstellungen in den Felsen über Meereshöhe und somit auch höher als die Stücke auf den Schiffen befinden“, sagte Arkana.
„Und deine Leute können inzwischen auch gut genug mit den Dingern umgehen“, sagte der alte Ramsgate und grinste. „Ja, sie haben eine harte Schule über sich ergehen lassen müssen, aber es hat sich gelohnt.“
Die Schlangen-Krieger waren von Karl von Hutten und Jean Ribault in der Bedienung der Geschütze ausgebildet und unterrichtet worden, und zwar gründlich. In dieser Beziehung waren sie also keine Neulinge mehr. Schon seit geraumer Zeit waren auf der Schlangen-Insel Übungsschießen veranstaltet worden. Dabei wurde von der jetzigen Gefechtsstation oder von den Felsen im Südwesten aus auf Seeziele gefeuert, und zwar auf Scheiben, die von Jollen geschleppt wurden. Allmählich war es den Kriegern gelungen, dabei hervorragende Trefferquoten zu erzielen.
Demzufolge lauerten die Schlangen-Krieger jetzt gelassen darauf, daß sich der Gegner noch weiter herantraute. Alle waren feuerbereit. Die Kanonen waren fertig geladen, und die Luntenstöcke lagen griffbereit neben den Kupferbecken, in denen die Holzkohlenglut brannte. Sie alle warteten nur noch auf das Zeichen, das Arkana ihnen geben würde, sobald die Entfernung zwischen Insel und Feind noch ein wenig mehr zusammengeschrumpft war.
Der Beschuß durch den Feind erschöpfte sich in einem infernalischen Getöse, das kurze Zeit andauerte und dann wie auf einen Schlag wieder aussetzte. Das Donnergrollen rollte mit dem Wind über die See davon, der Rauch kroch träge und schwerfällig in dieselbe Richtung, also nach Südwesten.
„Das war’s“, sagte Karl von Hutten. „Natürlich wenden sie auf den anderen Bug und feuern auch die Batterien der anderen Seite ab, aber ich glaube nicht, daß noch viel passiert.“
In der Tat vollzog der Feind das von Karl von Hutten angekündigte Manöver, und wenig später dröhnte und wummerte es wieder, als erschüttere ein gewaltiges Seebeben das Meer und die Insel. Auch diese Breitseiten lagen voll im Ziel und krachten in die Felsen, aber das Ergebnis war das gleiche wie zuvor: Die Kugeln richteten keinerlei Schaden an.
Nur Gestein wurde zertrümmert. Brocken flogen durch die Luft und rollten an den Hängen hinunter. Sie klatschten in die Brandung, als der Donner der Breitseiten bereits wieder verklang.
Ruhe trat ein. Die Schiffe bewegten sich wie verirrte Schwäne scheinbar ziellos durchs Wasser. Rufe ertönten, doch Karl von Hutten und seine Freunde konnten nicht verstehen, wie die nächsten Befehle des spanischen Kommandanten lauteten.
„Also schön“, sagte Karl von Hutten mit geringschätzigem Lächeln. „Bislang haben sie sich aufs Steineklopfen beschränkt, aber sie werden inzwischen eingesehen haben, daß es sie nicht weiterbringt.“
„Sie müssen sich eine neue Taktik einfallen lassen“, sagte Ramsgate.
„Viele Möglichkeiten haben sie nicht“, meinte Arkana. „Aber sie könnten beispielsweise die Schaluppen mit hinzuziehen.“
Karl von Hutten blickte durch sein Spektiv zur „San José“ und erkannte, daß sich auf dem Achterdeck ein ziemlich beleibter Mensch befand, den er dort vorher nicht bemerkt hatte. Dieser Mann beschrieb eine eigenartige Geste. Er hatte sich die Ohren zugehalten und ließ jetzt die Arme baumeln wie jemand, der den Glauben an Gott und das Vaterland aufgegeben hat.
„Der Dicke da“, sagte von Hutten, „das muß Don Antonio de Quintanilla sein, der Gouverneur von Havanna. Wie eine überragende Führerpersönlichkeit sieht er aber nicht aus.“
Pater David spähte ebenfalls durch eins der Rohre und sagte: „Er scheint mächtige Angst zu haben. Am liebsten würde er über Bord springen, nicht wahr?“
„Den Eindruck habe ich auch“, erwiderte von Hutten. „Die Zügel scheint hingegen der Kommandant des Verbandes in der Hand zu haben.“
Aufmerksam beobachteten sie jetzt den hageren, in seiner Haltung straff und energisch wirkenden Mann mit den eisgrauen Haaren, der sich auf dem Achterdeck des Flaggschiffes bewegte und Befehle zu erteilen schien. Er war der Kommandant, daran bestand kein Zweifel. Auch Arkana richtete jetzt ihren Kieker auf ihn und betrachtete ihn mit ernster, nachdenklicher Miene.
„Das ist kein Mann, der aufgibt“, sagte sie. „Er wird kämpfen, bis entweder nichts mehr von seinen Schiffen übrig ist oder unsere Abwehr zusammenbricht. Eins von beiden. Er weicht nicht zurück. Er ist stolz, klug und unbeugsam.“
„Mal sehen, wer der Schlauere ist“, sagte Ramsgate grimmig. „So leicht sind wir nicht zu überrumpeln, das haben wir ihm bereits bewiesen. Ich bin gespannt, wie’s weitergeht.“
„Wir sollten nicht zu optimistisch sein“, warnte Pater David und ließ das Spektiv wieder sinken. „Sie haben noch alle Trümpfe in der Hand, obwohl es im Augenblick vielleicht nicht so aussehen mag.“
„Vergessen wir auch nicht, daß unsere Krieger ihre bisherige Tarnung preisgeben, sobald sie ihr Abwehrfeuer eröffnet haben“, gab Arkana zu bedenken.
„Das ist nicht zu ändern“, sagte Karl von Hutten. „Wir sind aber immer noch geschützter als die Gegner, die nur hinter den Schanzkleidern Deckung suchen können.“
„Wenn überhaupt“, sagte der Alte. „Wir werden ihnen schon einheizen. Und – Hölle und Teufel – wir halten die Stellung, darauf könnt ihr euch verlassen.“ Seine Zuversicht schien keine Grenzen zu kennen, aber von Hutten, Pater David und Arkana teilten seine Meinung nicht unbedingt.
Die Batterien auf der Schlangen-Insel befanden sich hinter Sandsackbarrieren, die Kugeln jeden Kalibers abfingen oder verschluckten. Es konnte allenfalls passieren, daß Sand aus den Löchern der Säcke rieselte. In diesem Punkt hatte Hesekiel Ramsgate durchaus allen Grund, optimistisch gestimmt zu sein, was den Ausgang des Kampfes betraf. Aber es gab auch noch andere Aspekte, die berücksichtigt werden mußten.
Karl von Huttens Erfolg im Einsatz gegen die „San Gabriel“ war ein vielversprechender Anfang, aber es gab noch keinen Grund zum Jubeln. Die Lage war nach wie vor ernst genug: Denn veranschlagte man auf jedem der fünf spanischen Kriegsschiffe etwa zweihundert Mann Besatzung einschließlich der Seesoldaten, dann standen etwa achtzig Verteidiger der Schlangen-Insel einer Streitmacht von etwa tausend Mann gegenüber, wobei die Besatzungen und Seesoldaten der sechs Schaluppen noch nicht mitgerechnet waren.
Somit verfügten die Spanier über eine mehr als zwölffache Übermacht. Die Verteidiger waren nach wie vor auf sich allein gestellt und durften nicht mit Hilfe, rechnen. Kein Schiff des Bundes der Korsaren stand zur Zeit zur Verfügung, es wäre illusorisch gewesen, darauf zu hoffen.
Die „Empress of Sea II.“ und die „Wappen von Kolberg“ konnten bei einer Hin- und Rückfahrt zwischen der Schlangen-Insel und Coral Island, die für jeden Törn etwa fünf Stunden beanspruchte, allenfalls gegen Abend oder in der ersten Nachthälfte wieder eintreffen und von See her in das Geschehen eingreifen.
„Aber wo bleiben die sechs Schiffe unserer Freunde?“ fragte Pater David, als sie sich über diesen Punkt unterhielten. „Wir wissen ja immer noch nicht genau, was vorgefallen ist.“
„Sie sind dem Gegner entgegengesegelt und haben ihn wohl auch stellen können“, sagte von Hutten. „Aber die Frage ist, ob eine Schlacht stattgefunden hat.“
„Natürlich“, sagte Ramsgate. „Das beweist doch die Tatsache, daß statt des durch die Brieftaube angekündigten Zehnerverbandes nur sechs Kriegsschiffe bei uns eingetroffen sind.“
„Also ein Gefecht, bei dem unsere Schiffe vier der Dons versenken konnten“, sagte Arkana. „Aber wie ist es ihnen dabei ergangen?“
„Wir müssen das Schlimmste befürchten“, erwiderte von Hutten gepreßt. „Anderenfalls wären unsere Schiffe auch längst hier gewesen. Sie hätten die Spanier ja verfolgt.“
„Vorläufig sind wir auf reine Vermutungen angewiesen“, sagte Pater David. „Wir kennen den wahren Sachverhalt nicht und sollten uns deswegen jetzt nicht die Köpfe zerbrechen, es hat keinen Sinn. Wir machen uns nur unnötig verrückt.“
„Ja“, pflichtete von Hutten ihm bei. „Zumal der Untergang unserer Schiffe für uns bedeuten würde, daß wir lediglich noch von der ‚Empress‘ und der ‚Wappen‘ unterstützt werden können. Dann haben auch wir verspielt, denn wir können uns auf die Dauer nicht gegen die Übermacht der Angreifer halten.“
Trotzdem war die kleine Gruppe der Verteidiger eisern entschlossen, dem Gegner die Zähne zu zeigen, auszuhalten und zu kämpfen, und sei es schließlich Mann gegen Mann.
Was Karl von Hutten, Arkana, Ramsgate, Pater David und die anderen einkalkuliert hatten, trat jetzt ein. Der Gegner, der durch keinerlei Gegenreaktion oder Abwehr mehr gewarnt war, wurde weniger vorsichtig. Die fünf Kriegsschiffe rückten näher an die Insel heran und erreichten die Fünfzig-Yards-Grenze.
Leicht konnten Arkana und die Männer die Distanz abschätzen. Als Arkana sicher war, daß sich die Schiffe im Schußbereich der Kanonen befanden, gab sie ihren Kriegern den Feuerbefehl.
Plötzlich spuckten die Felsen der Schlangen-Insel, die eben noch so öde und verlassen gewirkt hatten, Feuer, Rauch und Eisen. Ein wahrer Höllensturm brach gegen die Angreifer los und belegte sie mit stakkatohaftem Beschuß.
Von einem Moment zum anderen hatte sich die Insel in eine feuerspeiende Festung verwandelt, und bei dem Donnern der Kanonen allein blieb es nicht. Schon huschten die ersten Pfeile zu den Schiffen hinüber. Arkanas Krieger und Kriegerinnen, die nicht an den Geschützen eingesetzt waren, richteten sich aus ihren Deckungen auf, sandten sie von den Sehnen ihrer Langbogen und duckten sich wieder hinter die Felsen.
Sie hatten Brandpfeile und Pfeile mit pulvergefüllten Schäften zur Verfügung – nach dem Muster und Vorbild Big Old Shanes und Batutis, des Gambia-Mannes, an Bord der „Isabella“. Mit züngelnden Spitzen, flackernden Fanalen gleich, surrten sie in den Himmel und senkten sich auf die Takelagen und Decks des Feindes.
Die Kanonen wurden inzwischen in Windeseile nachgeladen. Dann donnerten sie wieder, und der Beschuß hielt weiterhin an. Die Schiffe schossen aus allen Rohren zurück, aber ihre Geschützführer hatten keine sichtbaren Ziele, auf die sie halten konnten, weil die Kanonen der Schlangen-Insel meisterhaft getarnt und verborgen waren und die Krieger und Kriegerinnen immer nur wie geisterhafte Schemen zwischen dem Gestein und dem Buschwerk auftauchten und sogleich wieder verschwanden.
Siebzehnpfünderkugeln und Pfeile prasselten auf die Schiffe ein, die ersten Detonationen rollten grollend über sie, als sei ein Gewitter im Anzug. In das Wummern und Dröhnen der Kanonenschüsse und Explosionen mischte sich das Fluchen und Brüllen der Besatzungen – und im Nu herrschte auf allen Schiffen Wuhling und Zustand.
Dieser erste Feuerschlag der Verteidiger der Insel war mit strategischem Geschick geplant und generalstabsmäßig durchgeführt. Es gab keinen Punkt der Insel, der nicht von Kanonen oder Pfeilschützen besetzt war, keine schwache Stelle also, an der der Feind den Durchbruch wagen und landen konnte. Die Spanier sahen sich einer flammenden und tosenden Barriere gegenüber – und weder die beiden Galeonen noch die drei Karavellen blieben von dem Beschuß verschont.
Das taktische Konzept, das Karl von Hutten, Arkana, Pater David und Ramsgate ausgearbeitet hatten, forderte, daß dem Gegner von Beginn an, auf Anhieb, die schwersten Verluste zugefügt werden sollten. Er mußte dazu gezwungen werden, sich zurückzuziehen, denn nicht zuletzt ging es ja auch darum, Zeit zu gewinnen.
Das Konzept stimmte, die Rechnung ging auf: Auf allen fünf Schiffen gab es schwere Brände und Schäden – ganz abgesehen von den Toten und Verletzten. Riggs wurden zerschossen, Segel samt Rahen krachten auf die Decks, und die Schreie der Sterbenden und Verwundeten hallten über die See.
Immer noch grollten die Kanonen, und nach wie vor hagelte es Pfeile, die wiederum die Brandherde an Bord der Schiffe vermehrten. Die See zwischen den Seglern und der Insel schien zu brodeln und zu kochen. Fontänen stiegen mit gischtenden Kronen auf und fielen wieder in sich zusammen. Das heulende, tosende Inferno hielt an, und es schien kein Ende abzusehen zu sein.
Besonders schlimm traf es eine der drei Karavellen. Die Flammen stiegen lodernd aus ihrem Rigg auf – wie das Feuer in einem Kamin. Es prasselte, knisterte und knackte, und die brennenden, qualmenden Rahen lösten sich und donnerten auf die Decks. Wild schrien die Männer, zwei oder drei waren unter der Großrah begraben, Verwundete wälzten sich auf allen Decks.
Zwei Decksleute versuchten, einen der Schwerverwundeten zu bergen, doch jetzt ertönte der Befehl des Kapitäns: „Alle Mann von Bord!“ Es hatte keinen Sinn mehr, das Schiff zu halten. Das Feuer schickte sich an, das Vordeck einzuhüllen, und die Pulverkammer konnte jeden Augenblick in die Luft fliegen. Es galt zu retten, was noch zu retten war, sonst traf auch diese Mannschaft das Schicksal der Männer der „San Gabriel“.
Die Männer sprangen außenbords, landeten im Wasser, tauchten wieder auf und schwammen, so schnell sie konnten, zu den Schaluppen, die herandrehten und Kurs auf sie nahmen. Zwei Männer der Karavelle trachteten noch danach, das Beiboot auszuschwenken und abzufieren. Sie hatten Angst vor den Haien.
„Vorwärts!“ brüllte der Kommandant ihnen zu. „Weg! Haut ab! Ihr schafft es nicht mehr! Das Schiff fliegt euch um die Ohren!“
Einer der beiden sprang daraufhin in die See. Der andere stolperte, kippte über den Handlauf des Schanzkleides, hielt sich noch am Dollbord des bereits ausgeschwenkten Bootes fest und strampelte mit den Beinen – dann löste sich das Boot aus den vom Feuer aufgezehrten Tauen und fiel ins Wasser. Der Mann ließ es los, klatschte in die Fluten, entging der Jolle mit knapper Not und schwamm seinen Kameraden nach.
Jetzt verließ auch der Kommandant das lodernde Schiff. Er spürte die Hitze des Feuers hinter seinem Rücken und wußte, daß schon in diesem Augenblick die Pulverkammer in die Luft fliegen konnte.
„Adios“, sagte er, dann schwang er sich über das Schanzkleid und stürzte dem Wasser entgegen. Er tauchte unter, bewegte die Arme und Beine und versuchte verzweifelt, den Abstand zwischen sich und dem Schiff zu vergrößern.
Dann aber vernahm er das Dröhnen der Explosion, das ihm die Trommelfelle zu sprengen drohte. Eine Druckwelle stieß durchs Wasser und nahm ihn mit. Er fühlte sich wie von einem Katapult geschnellt, aber er blieb unter Wasser, solange die Atemluft ausreichte, und entging auf diese Weise den wirbelnden Trümmerteilen, die in diesem Moment in die See fielen.
Wenig später tauchte auch er auf und erkannte, daß die Schaluppen nicht mehr weit entfernt waren. Er Warf einen Blick zurück zu seinem Schiff. Es war verschwunden. Es hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Nur die schwimmenden Trümmer zeugten noch davon, daß es existiert hatte.
Don Garcia Cubera hatte auch diese Explosion vom Achterdeck der „San José“ aus beobachtet. Er schloß unwillkürlich die Augen und biß die Zähne so heftig zusammen, daß sie knirschten. Dann fällte er seinen Entschluß. Es hatte keinen Sinn, weiterhin die Inselfestung mit Kugeln zu beschießen. Wie die Dinge im Moment standen, vergeudete er dabei lediglich Munition, und er setzte seine Männer einem zu hohen Risiko aus.
„Rückzug!“ befahl er. „Wir gehen auf Distanz!“
Eine derart massive und treffsichere Abwehr hatte er nicht erwartet. Er mußte seine Taktik überdenken und sich etwas Neues einfallen lassen. Die Insel schien eine uneinnehmbare Festung zu sein, sie hatte ihn schon zwei Schiffe gekostet.
Herrgott, dachte er, ist denn hier alles verhext? Stehen die Hunde mit dem Teufel im Bunde?
Mit dem Teufel nicht, hätte ihm Arkana geantwortet, wohl aber mit dem Schlangengott.