Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 13
3.
Don Antonio de Quintanilla war bereits übel, als die Schiffe das Feuer auf die Insel eröffneten. Als aber zurückgeschossen wurde, als die Kugeln heranheulten und sich zischende, sausende Pfeile wie todbringende Rieseninsekten auf die Schiffe senkten, war es endgültig um seine Beherrschung geschehen. Er begann vor Angst zu schreien.
Ein Pfeil bohrte sich nicht weit von ihm entfernt in die Planken. Es war ein Brandpfeil. Er starrte ihn an, würgte ohne Erfolg an einem dicken Kloß, der in seiner Kehle zu stecken schien, und brach dann in den Knien zusammen. Er knallte auf die Planken – und das tat weh. Er hatte die Hände von den Ohren genommen und stützte sich an der Nagelbank des Besanmastes ab. Er stöhnte und wimmerte und glaubte, jeden Moment sterben zu müssen.
Der Dritte Offizier war bei dem Pfeil, packte ihn mit beiden Händen und riß ihn aus dem Holz. Er schleuderte ihn außenbords und verbrannte sich dabei die Finger. Er stieß einen Fluch aus, dann tauchte er die Hände in einen der Kübel mit Seewasser, die zum Anfeuchten der Wischer bei den Kanonen bereitstand den.
Don Antonio sah einen Mann, der von einem heranfliegenden Pfeil durchbohrt wurde, dann verfolgte er, wie auf dem Hauptdeck ein Pulverpfeil auseinanderflog. Die rußgeschwärzten Gesichter der Umstehenden färbten sich rot. Gräßlich sahen sie aus, und noch schlimmer waren die Laute, mit denen die Schwerverletzten zusammensanken.
Don Antonio keuchte und schrie, und mit einer Hand griff er nach dem Herzen. War dies das Ende? Ja – so war es, wenn man starb. Er war verloren, verraten und verkauft, für ihn gab es keine Rettung mehr. Auch ein Sprung ins Wasser nutzte ihm nichts, denn er konnte nur zur Insel schwimmen, und dort würden sie ihn greifen und köpfen oder pfählen oder bei lebendigem Leibe in Stücke reißen. So grausam waren diese Piraten, so sprangen sie mit den Gegnern um, die ihnen in die Hände fielen.
Es gab nur die eine Möglichkeit – er mußte an Bord der „San José“ bleiben und auf das Ende warten. Aber wenigstens wollte er sich in seine Kammer zurückziehen, um nicht mehr das Entsetzliche miterleben zu müssen, das hier, an Oberdeck, seinen Lauf nahm.
Er wollte sich aufrappeln, fiel aber hin und wälzte sich auf den Planken. Ein Schuß donnerte, die Kugel heulte heran, und er kreischte vor Panik, drehte sich auf den Bauch und schirmte mit beiden Händen seinen Kopf ab. Die Perücke hatte er längst verloren.
Krachend ging das achtere Schanzkleid der „San José“ in die Brüche. Die Splitter wirbelten durch die Luft, und alle Männer – von Don Garcia Cubera bis zum Rudergänger – warfen sich sofort in Deckung, um nicht getroffen zu werden.
Den dicken Gouverneur aber erwischte es. Ein Splitter bohrte sich in seinen Allerwertesten, und er kreischte und quietschte wie ein Schwein, das geschlachtet werden soll. Er sprang auf, taumelte, prallte gegen die Nagelbank des Besanmastes, griff mit beiden Händen nach dem Gesäß und brüllte vor Schmerz. Dann führte er eine Art Veitstanz auf, und es war ein Wunder, daß er dabei nicht durch die im Schanzkleid entstandene Bresche außenbords stürzte.
Manch einer wünschte es ihm im stillen – auch der Erste Offizier, der in diesem Augenblick wieder den Kopf hob und zu ihm blickte. Es war kein Haß, der sie dazu trieb, eher die Verachtung, die sie für ihn empfanden. Kein Mensch konnte ihn leiden, weder an Bord der „San José“ noch auf den anderen Schiffen des Verbandes. Aber das hatte er, Don Antonio, sich selbst zuzuschreiben. Fast hatte es den Anschein, als habe er von Anfang an darauf hingearbeitet, sich sämtliche Sympathien zu verderben.
Don Antonio wankte zum Backbordniedergang, der das Achterdeck mit dem Hauptdeck verband, breitete die Arme aus, begann zu fuchteln und schrie mit verzerrtem Gesicht: „Hilfe! Capitán! Ich bin verletzt! Ich blute! Ich sterbe! Einen Arzt – rasch!“
Don Garcia Cubera richtete sich hinter ihm auf. „Señor! Ich bin hier!“
Don Antonio fuhr zu ihm herum. Er ruderte mit den Armen und hatte wieder Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
„Ich bin getroffen!“ kreischte er mit hoher, seltsam gequetscht klingender Stimme. „Zu Hilfe! Ich verblute!“
Er verlor auf dem leicht schwankenden Deck die Balance und stürzte den Niedergang hinunter. Seiner Körperfülle hatte er zu verdanken, daß er sich nicht ernstlich verletzte oder sich die Knochen brach. Wie eine große Kugel rollte er auf die Kuhl hinunter, dann streckte er die Arme und Beine weit von sich und pumpte wie ein zu Tode erschrockener Mondfisch, den es an Land verschlagen hat, Atemluft.
Kurz darauf fiel es ihm wieder ein: Er war verletzt, schwer verletzt. Die Blessur konnte ihn das Leben kosten, wenn nicht sofort etwas geschah. Warum rührte sich niemand? Warum rannten die Kerle nicht, um sein edles Leben zu retten?
„Au!“ brüllte er. „Capitán, um Himmels willen!“ Erst jetzt schien er richtig zu registrieren, daß er diesmal auf dem Rücken lag. Der feine Splitter, so schien es, hatte sich bei dem Aufprall auf die Planken der Kuhl noch ein wenig tiefer ins Fleisch gebohrt. Don Antonio japste und keuchte, verschluckte sich, hustete und schien irgend etwas, vielleicht grünes Gift, auszuspucken.
„Er spuckt sich die Galle aus dem Leib“, sagte der Zweite Offizier.
„Nur zu“, sagte der Dritte. „Recht so. Weiter so. Er hat es verdient. Seht ihn euch an. Ist er nicht ein Jammerlappen?“
Sie alle gönnten dem Dicken von Herzen, was ihm widerfahren war. Und keiner rührte sich, keiner zeigte Einsatz.
„Stehenbleiben“, sagte der Profos mit dunkler Stimme. „Wir haben keinen Befehl vom Comandante. Ohne Befehl läuft nichts.“
„Ein Ding steckt in seinem Achtersteven“, sagte der Schiffszimmermann. „Aber es wäre besser gewesen, wenn er eine Kugel abgekriegt hätte, und zwar mitten hinein in den fetten Hintern. Ja, das hätte mir weitaus besser gefallen.“
„Daß es ihm den Arsch aufreißt?“ fragte der Profos unverblümt. „Stimmt. Er hätte es verdient.“
„Señor!“ rief Don Garcia Cubera noch einmal, nachdem er bereits den Befehl zum Anluven und zum Rückzug gegeben hatte. „Was ist los? Was ist geschehen?“
„Ich sterbe!“
„Es hat nicht den Anschein, Señor!“
„Sie wollen mich verrecken sehen!“ kreischte der Dicke. „Darauf haben Sie’s angelegt? Ja, das könnte Ihnen so passen!“
„Reden Sie keinen Unsinn“, sagte Cubera scharf, indem er sich der Schmuckbalustrade am vorderen Querabschluß des Achterdecks näherte. „Versuchen Sie doch, sachlich zu bleiben.“
„Sachlich? In dieser Hölle?“
„Es ist ein Gefecht“, sagte Cubera so ruhig wie möglich. „Wir haben gewußt, daß wir keine Spazier- oder Lustfahrt unternehmen.“
„Sie mit Ihren Reden!“ stieß Don Antonio keuchend hervor und versuchte, sich erneut aufzurappeln. Diesmal wollte es einfach nicht gelingen. Mit einem Schrei plumpste er auf die Planken zurück – wieder auf die „schwere Blessur“. Er stöhnte und wimmerte und wand sich vor Schmerz und Qual.
Einige der Seeleute und Seesoldaten wandten sich angewidert ab. Andere lachten trotz der bedrohlichen Situation, in der sie sich befanden. Auch die „San José“ hatte einige Treffer zu verzeichnen, von denen zwei bedenklich stimmten, weil sie unmittelbar über der Wasserlinie lagen.
Hinzu kam das Unheil, das die Pfeile angerichtet hatten: Zwei Tote mußten geborgen und beigesetzt, sechs Verletzte so schnell wie möglich verarztet werden. Außerdem galt es, die Feuer zu löschen, die nach wie vorauf den Decks und in der Takelage flackerten. Die Männer waren mit Pützen und Kübeln unterwegs und gossen Seewasser auf die Brände.
„Helfen Sie mir!“ stieß Don Antonio flehend und händeringend hervor.
Cubera betrachtete ihn ohne die geringste Spur von Mitleid. „Señor, für Blessuren bin nicht ich zuständig. Darum kümmert sich der Schiffsarzt.“
„Wo ist er?“
„Er ist jetzt schwer beschäftigt.“
„Was?“ Don Antonio stieß pfeifend die Luft aus. Er war hochrot im Gesicht angelaufen, und ein jäher Schlaganfall schien jeden Moment seinem Dasein ein Ende bereiten zu wollen – was dann aber doch nicht der Fall war. „Der Kerl hat gefälligst mich, den Gouverneur, als ersten zu versorgen!“
Cubera tat drei Schritte nach links und stand am Niedergang.
„Welchen Kerl meinen Sie?“ fragte er kalt.
Das Donnern der Kanonen hatte aufgehört, es flogen auch keine Brand- und Pulverpfeile mehr. Zu hören waren nur noch das Stöhnen der Verwundeten, das Knarren der Rahen und Blöcke und das Plätschern des Seewassers an den Bordwänden. In aller Deutlichkeit waren Cuberas Worte nun zu vernehmen, und die eisige Kälte, mit der er sprach, traf Don Antonio wie eine Reihe von Peitschenhieben.
„Sie wissen, daß ich von dem Arzt spreche“, sagte er etwas leiser. „Wo, zum Teufel, steckt er?“
„Wahrscheinlich im Schiffslazarett, das Gott sei Dank unbeschädigt geblieben ist. Und danken wir auch dem Herrn, daß unser Arzt am Leben ist“, entgegnete Cubera.
„Señor“, sagte der Dicke. „Ich wiederhole es: Ich bin verwundet und habe Anspruch auf Behandlung.“
„Wo hat es Sie getroffen?“
„An einer – empfindlichen Körperstelle.“
„Am Kopf?“
„Sie wissen genau, wo!“ stieß Don Antonio hervor.
„Nein, Señor! Wenn Sie sich nicht dazu bequemen, es mir zu erklären, kann ich dem Arzt auch nicht die Order erteilen, Sie zu versorgen! In dem Fall müssen Sie so in Ihre Kammer zurückkehren!“
„Nein“, stöhnte Don Antonio. „Nur das nicht. Ich brauche – Hilfe.“
„Dann beantworten Sie meine Frage!“ rief Cubera.
Langsam richtete sich der Dicke an der Nagelbank des Hauptmastes auf, dann drehte er sich um und deutete mit dem Finger der rechten Hand wehleidig und mitleidheischend auf sein Hinterteil.
„Ich sehe nichts!“ rief Cubera. „Es kann sich höchstens um eine Lappalie handeln!“
„Nein! Ich leide große Schmerzen!“
„An welcher Seite?“
„Links!“ schrie Don Antonio.
„Linke Backe!“ brüllte der Profos. „Backbord! Wißt ihr jetzt, warum man Backbord sagt, ihr Himmelhunde?“
„Ja!“ schrien die Männer, und für einen Moment war es, als sei nichts geschehen und als gelte es nicht mehr, einen zähen, bis zum äußerten kämpfenden Gegner zu bezwingen.
„Wollen Sie sagen, daß Sie einen Splitter empfangen haben, Señor?“ fragte Cubera laut – beinahe so laut, daß es auch an Bord der Schaluppen zu verstehen war, auf die sie jetzt zuhielten.
„Ja!“ stieß Don Antonio mit spitzer Stimme hervor. „Und hören Sie auf, mich vor Ihren Leuten zu erniedrigen!“
„Ich erniedrige Sie nicht, ich stelle nur den Sachverhalt fest“, sagte Don Garcia Cubera, „das ist alles. Profos!“
„Señor?“
„Don Antonio de Quintanilla verlangt, von unserem Arzt behandelt zu werden. Wie ist zur Zeit die Lage?“
„Es sind noch vier andere vor dem Di… dem Señor Gouverneur an der Reihe!“ rief der Profos. „Er kann sich auf die Warteliste setzen lassen, wenn er will!“
„Das ist eine Unverschämtheit!“ schrie Don Antonio.
Cubera beugte sich etwas vor. „Eine was? Habe ich Sie richtig verstanden?“
„Will sagen – daß ich natürlich so lange warte, bis ich an der Reihe bin“, murmelte der Dicke mit kläglicher Miene. Sein innerer Widerstand war zusammengebrochen, er war nur noch ein Häufchen Elend – und der Splitter steckte nach wie vor Vierkant in seinem Allerwertesten.
Was tun? Es hatte keinen Zweck, aufzubegehren und herumzuschreien, dadurch wurde alles nur noch schlimmer. Ein Mann wie Cubera war auch durchaus imstande, ihn einfach wieder unter Kammerarrest zu stellen.
Deshalb stand Don Antonio de Quintanilla da, klammerte sich fest und wartete darauf, endlich in das Schiffslazarett geführt zu werden, das im Vordeck der Galeone eingerichtet war.
Der Schiffsarzt der „San José“ war nicht der derbe und grobschlächtige Zeitgenosse, als den man sich den Wundarzt und Feldscher einer Kriegsgaleone im allgemeinen vorstellte. Er war ein schlanker Mann mit feinsinnigen Zügen und einer gehörigen Portion Humor – die er auch brauchte, um in seinem Metier bestehen zu können.
Er hieß Almenara und stammte aus Fornovalasco. Kein Mensch außer ihm hatte jemals von diesem Ort gehört, der nicht in Spanien, sondern in Italien lag und wohl nicht einmal mehr als hundert Seelen zählte. Früh, im Alter von drei Jahren, hatte es Almenara nach Spanien verschlagen, wo sein Vater als Arzneimittelhändler reichlich Arbeit und ein bescheidenes, aber hübsches Heim im tiefsten Andalusien gefunden hatte.
Almenara war als die Verschmitztheit des reinblütigen Italieners zu eigen, wenn er sonst auch wie ein typischer Spanier empfand. Diese Charaktereigenschaft hatte er sich bewahrt, und sie half ihm über viele Situationen hinweg, in der manch anderer an seiner Stelle zumindest die Nerven verloren hätte.
Zum Beispiel der Seemann, den er gerade auf dem Behandlungstisch des Lazarettraumes unter sich hatte: Diesen armen Teufel hatte es mitten ins Gesicht getroffen, als ein Pulverpfeil auf dem Hauptdeck explodiert war. Er hatte das linke Auge eingebüßt, es war nicht mehr zu retten. Sein Mund war verunstaltet, seine Wangen bluteten, seine Stirn war durch eine ebenfalls heftig blutende Platzwunde böse gezeichnet. Am schlimmsten aber waren die Laute des Mannes. Er stöhnte und schrie zum Gotterbarmen, und die beiden Sanitätsgasten, die Almenara zur Hand gingen, wußten nicht, wie sie ihn zum Schweigen bringen sollten.
„Warum wirst du nicht ohnmächtig?“ fragte ihn der eine. „Hölle, es wäre besser für dich, Kamerad. Wenn du nachher wieder zu dir kommst, ist alles vorbei.“
„Mein Auge!“ schrie der Mann. „Ich seh’ nichts mehr!“
„Holt mal die eiserne Reserve aus dem Schapp“, sagte Almenara. „Her damit. Beeilt euch!“
Ein Sanitätsgast eilte zum Schapp, riß die Tür auf und holte die bauchige Flasche, die gemeint war. Almenara ließ sie sich aushändigen.
Er entkorkte sie, setzte sie dem Patienten an die Lippen, nickte ihm aufmunternd zu und brummte: „Trink. Das ist ein feiner Tropfen, den du richtig kosten solltest.“
Der Seemann saugte an der Flasche wie ein Kind. Das scharfe Getränk brannte in seiner Kehle, in seinem Hals und tief in seinem Inneren, und es schien ihm die Sinne rauben zu wollen. Gleichzeitig ließen aber auch die gräßlichen Schmerzen etwas nach.
„Das ist echter Grappa“, sagte Almenara. „Aus meiner Heimat Italien. Das Zeug wird aus dem Trester, den Rückständen bei der Weinherstellung, gewonnen.“ Sorgfältig tupfte er das gesunde Auge des Mannes mit einem sauberen, weißen Tuch ab, das er mit einer seiner geheimnisvollen Substanzen getränkt hatte. „So, und jetzt versuche mal, das rechte Auge zu öffnen.“
„Ich trau’ mich nicht.“
„Du bist ein dummer Tropf“, sagte Almenara. „Weil du dich im Moment nur selbst bemitleidest. Das zählt bei mir nicht. Stell dir vor, ich hätte dir ein Bein oder einen Arm abnehmen müssen. Oder den Kopf. Das wäre viel schlimmer gewesen.“
Der Seemann mußte trotz seiner Lage grinsen – und er versuchte es. Das Augenlid öffnete sich, er konnte alles erkennen: Almenara, die Sanitätsgasten und alle Einzelheiten des Raumes, die ihn umgaben.
„Ich bin ja doch nicht ganz blind“, murmelte er erstaunt.
Almenara verabreichte ihm noch rasch einen Schluck Grappa, dann sagte er: „Und du solltest froh sein. Du hättest sterben können.“
„Ja, ich weiß.“
„Bei mir zu Hause sagt man: Ein Auge reicht zum Sehen, zwei sind überflüssig. Ein reiner Luxus. Ist dir das klar?“
„Ja“, erwiderte der Seemann und grinste weiterhin. „Und du bist ein verfluchter Satansbraten, Señor Doktor. Ich danke dir für das, was du für mich tust.“
„Das ist meine verdammte Pflicht“, sagte Almenara, dann säuberte und verband er das Gesicht des Mannes. „Steh mal auf“, sagte er anschließend. „Du kannst nämlich auf deinen beiden Beinen stehen und bestens laufen, wette ich.“
Auch das gelang. Der Seemann verließ allein und aus eigenen Kräften das Lazarett, obwohl er natürlich noch entsetzliche Schmerzen litt. Aber der scharfe Grappa hatte sie tatsächlich etwas gedämpft.
„So“, sagte Almenara. „Das war der letzte, nicht wahr?“
„Nein“, entgegnete einer seiner Helfer – jener, der die Grappaflasche aus dem Schapp geholt hatte. „Da wäre noch einer: Don Antonio.“
„Don was? Nein, tut mir das nicht an.“
„Haben Sie ihn nicht schreien hören?“ fragte der zweite Sanitäter.
„Schon, aber der schreit ja, seit das Gefecht begonnen hat. Er dürfte wohl die Beinkleider gestrichen voll haben.“
„Auch das“, erklärte der erste Helfer. „Aber inzwischen ist er von einem Splitter getroffen worden.“
„Wo?“
„In seinem dicken Hintern.“
„Das geschieht ihm recht.“
„So denken wir auch, Señor“, sagte der zweite Mann. „Aber der Kommandant hat soeben den Befehl gegeben, Don Antonio ins Lazarett zu schaffen, sobald die Decksleute und Soldaten versorgt sind.“
„Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dem Kerl zu helfen“, sagte Almenara grimmig. „Aber verdient hat er’s nicht, beim Henker nicht.“
Wenig später schleppten die Sanitätsgasten den Dicken an. Er jammerte und schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Almenara stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte ihn an, als sie sich gegenüberstanden.
„Nun? Wo zwickt es denn?“ fragte er.
„Das wissen Sie bereits“, versetzte der Gouverneur gepreßt.
„Das weiß ich nicht.“
„Der Kapitän …“
„Ich bin der Schiffsarzt, Señor“, sagte Almenara höflich, aber bestimmt. Ungeniert musterte er ihn von oben bis unten. „Und in dieser Eigenschaft muß ich Ihnen eine solche Frage schon stellen und habe auch Anspruch auf eine präzise Antwort.“
„Hinten“, sagte Don Antonio gequält. „So beeilen Sie sich doch, Mann.“
„Links oder rechts?“
„Links.“
„Er riecht auch unangenehm“, sagte der erste Sanitätsgast.
„Wie ich richtig vermutet habe“, sagte Almenara mit feinem Lächeln. „Also säubert ihr ihn, bevor wir ihn der erforderlichen Operation unterziehen.“
„Operation?“ wiederholte Don Antonio ersetzt. „Aber das … So schlimm kann es doch gar nicht sein.“
„Ihrem Geschrei nach zu urteilen, Señor, könnten durchaus noch andere, wichtige und empfindliche Körperpartien verletzt sein“, sagte Almenara. „Verzeihen Sie, aber Sie können das nicht beurteilen. Überlassen Sie das ruhig mir. Es ist meine Pflicht und Aufgabe, Sie gründlich zu untersuchen.“
„Aber ich flehe Sie an, beeilen Sie sich!“
„Waschen“, befahl Almenara. „Schnell und gründlich. Holt heißes Wasser aus der Kombüse, rasch!“
Während des Beschusses der Insel waren die Kombüsenfeuer gelöscht worden, aber inzwischen hatte der Koch sie auf Befehl des Profos’ hin wieder angeheizt, weil Don Garcia Cubera angeordnet hatte, daß der Mannschaft und den Soldaten eine Extraration Branntwein mit heißem Wasser verabreicht werden sollte.
So ergab es sich, daß auch Don Antonio in den Genuß eines heißen Bades kam – aber so ganz anders, als es beim erstenmal auf der „San José“ der Fall gewesen war.
Schreiend ließ er die Prozedur über sich ergehen, aber er war völlig am Ende und wünschte sich in diesem Augenblick wirklich, so schnell wie möglich zu sterben.
4.
Auf dem Achterdeck der „San José“ fand unterdessen eine Kommandantenbesprechung statt. Don Garcia Cubera hatte alle Schiffsführer zu sich gerufen, auch die Schaluppenführer und die Hauptleute der Seesoldaten. Die Männer umringten ihren Capitán und blickten mit großem Interesse auf die Skizze, die Cubera in der Zwischenzeit hatte anfertigen lassen.
Es war der Zweite Offizier der „San José“ gewesen, der sie gezeichnet hatte. Er bewies stets ein großes Geschick in diesen Dingen, und er war es auch, der die für das Logbuch erforderlichen Skizzen entwarf, auf die Cubera den größten Wert legte.
Die Karte stellte eine perspektivische Draufsicht der Insel dar, mit Buchten und Erhebungen – ein kleines Meisterwerk, auf das der Zweite mit Recht stolz sein durfte, zumal er sie in der Hektik der auf den kurzen Kampf folgenden Phase des Rückzugs in größter Eile gezeichnet hatte.
Im Norden erhob sich, einem verschrumpelten Kegel gleich, der Felsendom mit der Einfahrt zur großen, geräumigen Bucht. Die Erinnerung an das furchtbare Ende der „San Gabriel“ wurde in den Männern sofort wieder wach, als sie drauf blickten.
Einer von ihnen räusperte sich, es war der Erste Offizier. Sein Zeigefinger richtete sich auf die Berge im Westen.
„Die höchste Erhebung, nicht wahr?“ sagte er. „Dort scheinen sich die meisten von ihnen eingenistet zu haben.“
„Um wie viele Engländer handelt es sich Ihrer Ansicht nach?“ fragte Cubera.
„Das ist schwer zu sagen.“
„Zweihundert bis dreihundert Mann“, sagte einer der Schaluppenführer.
„Weniger“, sagte Cubera. „Ich bin ziemlich sicher, daß es unter hundert Mann sind, die uns da in Atem halten und uns schwer zusetzen.“
„Ungeheuerlich“, sagte einer der Karavellenkapitäne. „Ich kann es kaum fassen, daß wir mit ihnen nicht fertig werden. Sie haben nicht einmal Schiffe – und doch haben sie bereits zwei unserer Schiffe versenkt.“
Cubera schürzte leicht die Unterlippe. „Es hat wenig Sinn, das jetzt noch groß zu erörtern. Ich bitte Sie vielmehr darum, jetzt all das auf der Skizze einzuzeichnen oder durch Punkte und Kreuze zu markieren, was sie bei dem Feuerüberfall der englischen Freibeuter entdeckt haben – also mit anderen Worten die Geschützstellungen.“
„Ja, Señor“, murmelten die Männer. Dann griffen sie nach der Karte und reichten sie von einem zum anderen weiter.
Auch der Kapitän der explodierten Karavelle, jetzt ein Capitán ohne Schiff, war mit zur Stelle. Er betrachtete die Karte besonders genau und tippte schließlich ebenfalls mit grimmiger Miene auf die Bergregion im Westen der Insel, wie es der Erste der „San José“ getan hatte.
„Es stimmt“, sagte er. „Hier ist die Abwehr besonders massiv. Wir, meine Männer und ich, haben es ja am eigenen Leib zu spüren bekommen, denn wir befanden uns an dieser Uferseite, als sie unser Schiff in Brand setzten. Aber das werden sie noch bereuen, ich schwöre es.“
„Da scheinen mehr Kanonen zu sein als an anderen Stellen der Insel“, bestätigte nun auch einer der Schaluppenführer, und die anderen pflichteten ihm durch Kopfnicken bei. „Da ist der Widerstand so stark, daß man sich unweigerlich versengt, wenn man auf kurze Entfernung herangeht.“
„Also“, sagte Cubera. „Darüber sind wir alle uns einig. Ich ziehe aus Ihrer Aussage, Señores, den Schluß, daß wir dort, vor allem am Nordwestpunkt, keinesfalls landen dürfen.“
„Sie wollen landen?“ fragte der Erste Offizier halb erstaunt, halb betroffen.
„Ja, das ist mein nächstes Vorhaben“, entgegnete Cubera. „Ein Landeunternehmen im Feuerschutz unserer vier verbliebenen Schiffe. Darüber, Señores, will ich mit Ihnen sprechen. Deswegen habe ich Sie an Bord der ‚San José‘ gerufen.“
„Sie denken also nicht daran, aufzugeben?“ fragte der Kapitän der explodierten Karavelle.
„Ich denke nicht daran. Sie vielleicht?“
„Nein, Señor, das habe ich ja bereits hervorgehoben.“
Cubera blickte in die Gesichter der anderen Kommandanten und der Offiziere. „Ich will nichts beschönigen und habe auch nicht die Absicht, unsere eigenen Verluste herunterzuspielen. Diejenigen unter Ihnen, die mich schon länger kennen und unter meinem Kommando gefahren sind, werden es bestätigen: Es liegt nicht in meiner Art und paßt nicht zu meinem Charakter. Von ursprünglich zehn Kriegsschiffen, Señores, sind nur noch vier übriggeblieben. Man muß sich das einmal vorstellen! Ich betone ausdrücklich: Der Gegner darf von nun an keinesfalls unterschätzt werden. Ich selbst habe mir die Eroberung der Insel wohl leichter vorgestellt, als sie in Wirklichkeit ist.“
„Das glaube ich nicht, Señor Comandante“, sagte der Kapitän der zweiten Galeone. „Keiner von uns hat sich denken können, daß noch Menschen auf der Insel sind, die uns derart die Zähne zeigen.“
„Was folgern Sie daraus?“
„Daß die Engländer verdammte Hundesöhne sind!“ stieß der Mann erbost hervor. „Und daß es unsere verfluchte Pflicht ist, sie zu erledigen!“
„Sie haben mir mit Ihren Worten aus dem Herzen gesprochen“, sagte Cubera. „Unsere Verluste sind ein Beweis für die Härte des Gegners, für seine Kampfstärke und Gefährlichkeit, die es jedoch auszuschalten gilt, um weiteren Schaden für Spanien und seine Besitzungen in der Neuen Welt abzuwehren – schweren Schaden, der sich ins Unermeßliche steigern könnte, wenn die Engländer beispielsweise in der Karibik weitere Expansionsversuche unternehmen. Das Ganze könnte die Ausmaße eines Krieges annehmen.“
„Und wir dürfen die Armada nicht vergessen“, sagte ein Schaluppenführer. Er verstummte aber sogleich wieder, denn die anderen sahen ihn ärgerlich und zurechtweisend an. Keiner wollte an die Niederlage von 1588 erinnert werden.
„Wir müssen vor allem daran denken, daß die Nation auf uns blickt“, fuhr Cubera fort. „Von dem Erfolg unseres Unternehmens hängt einiges ab. Scheitern wir, so legen die Engländer es wiederum als Schwäche aus, und bald werden neue Überfälle auf unsere Geleitzüge die Folge sein. Die Karibik wird zu einem unsicheren Gewässer, wir können uns dann bald nicht mehr halten.“
„Nein!“ stieß der Kapitän der explodierten Karavelle wütend hervor. „So weit darf es nicht kommen!“
„Wir sind uns also alle darüber einig, Señores, daß es kein Zurück gibt?“ fragte Cubera.
„Einig, Señor“, erwiderte der Kapitän der zweiten Galeone. „Aber es würde ohnehin keiner von uns wagen, etwas gegen Ihre Befehle einzuwenden oder gar dagegen aufzubegehren. Das wäre Meuterei.“
„Ja, natürlich“, sagte Cubera. „Aber mir war es in diesem besonders heiklen Moment wichtig, Ihnen noch einmal den Sachverhalt darzulegen.“ Er war kein sturer Militarist, sondern er legte Wert auf den menschlichen Kontakt zu seinen Männern, was sich immer als Vorteil erwiesen hatte. Sie mochten und achteten ihn, und der überwiegende Teil von ihnen wäre bereit gewesen, für ihn über glühende Kohlen zu gehen, falls die Lage es erfordert hätte.
„Kurzum, die Insel muß erobert und zerstört werden“, sagte Don Garcia Cubera. „Nie wieder darf sie Piraten als Schlupfwinkel dienen. Ich bitte Sie, noch einmal die Karte anzuschauen.“ Er hielt sie inzwischen wieder in den Händen und warf einen Blick auf die Eintragungen. „Wie ich sehe, scheint es insgesamt elf oder zwölf Geschützstellungen zu geben.“
Sie beugten sich wieder über die Karte, und der Kapitän der zweiten Galeone sagte: „Sollten wir nicht besser von zwei Seiten landen? Beispielsweise von Norden und Süden gleichzeitig – um die Abwehr der Kerle zu zersplittern.“ Er wies dabei auf die große Bucht im Norden, die sich zwischen dem Felsendom und der höchsten Erhebung der Insel befand, und auf die beiden südlichen Buchten, von denen die östliche wiederum eigentlich aus zwei kleinen Buchten bestand.
Cubera zeigte sich skeptisch. „Ich verspreche mir mehr von einem massiven Landeangriff an nur einer Stelle“, sagte er, „weil wir dabei die volle Feuerkraft unserer vier Schiffe einsetzen können, um den Gegner niederzuhalten und die Landungsboote durchbrechen zu lassen. Eine Aufsplitterung der Abwehr, bedeutet gleichzeitig auch eine Aufsplitterung der eigenen Kräfte, zumal wir keinerlei Information über die tatsächliche Stärke des Gegners haben. Nach wie vor stützen wir uns lediglich auf Vermutungen, und ich bitte Sie, daran zu denken, daß diese Einschätzung des Feindes sehr vage ist und erhebliche Risiken mit sich bringt.“
Er wandte plötzlich den Kopf und blickte zum Vordeck. Von dort ertönte eine seltsame, absonderliche Mischung von Lauten. Jemand schien zu kreischen und zu quieken, aber gleichzeitig waren auch keuchende, schnaufende und grunzende Laute zu vernehmen. Alles in allem klang es so, als würde jemand einem peinlichen Verhör unterzogen.
„Was ist da los?“ fragte er verblüfft.
„Das ist Don Antonio“, erwiderte der Erste Offizier. „Er wird gerade im Lazarettraum behandelt, scheint mir.“
„Sorgen Sie dafür, daß das abgestellt wird“, sagte Cubera schroff. „Das ist ja eine Schande. Für uns alle. Selbst der Gegner kann das hören, und ich will nicht, daß er sich auch noch über uns lustig macht.“
Der Erste Offizier ging zur Querbalustrade des Achterdecks, winkte den Profos zu sich heran und sagte: „Veranlassen Sie, daß das Gebrüll aufhört, Profos.“
„Jawohl, Señor“, sagte der Mann. „Mit Vergnügen.“ Er drehte sich um und schritt entschlossen auf das Steuerbordschott des Vordecks zu.
Almenara, der Schiffsarzt, versah sein Werk sehr gewissenhaft. Don Antonio war gründlich gesäubert worden und bildete alles in allem einen rosigen, jedoch keineswegs appetitlichen Anblick. Es stimmte – er hatte einen Splitter empfangen, und dieses „Ding“ galt es jetzt zu „fischen“. Almenara hatte sich mit seinen Gerätschaften bewaffnet und führte die „Operation“ durch, die er dem Dicken bereits angekündigt hatte.
Don Antonio lag auf dem Bauch. Nur mit Widerwillen und Ekel hatte er sich darauf eingelassen, sich auf dem Behandlungstisch auszustrecken, auf dem vor ihm bereits das „gemeine Decksvolk“ verarztet worden war. Er jammerte und zitterte, und sein Klagen steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Kreischen und Brüllen, als Almenara ihn zu berühren begann.
Die beiden Sanitätsgasten hielten ihn an den Armen und Beinen fest und grinsten begeistert. Nie hatten sie sich besser amüsiert. Der Dicke hatte eine Abreibung verdient – und die erhielt er jetzt, ohne daß man Almenara vorwerfen konnte, er quäle den Mann absichtlich.
„Ruhig bleiben und nicht wackeln, Señor“, sagte Almenara. „Je mehr Sie sich bewegen, desto schlimmer wird es für Sie.“
„Aufhören!“
„Wir haben gerade erst angefangen“, sagte Almenara, ohne eine Miene zu verziehen. „Sie haben aber gar keine Geduld.“
„Du Satan!“
„Señor, es ist sehr ungerecht von Ihnen, mich so zu beschimpfen. Ich helfe Ihnen, und Sie revanchieren sich mit derartigen Kraftausdrücken.“ Mit einer langen Pinzette versuchte er, die Spitze des Splitters in der zuckenden Masse zu fassen.