Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 23
1.
Mit einem unterdrückten Stöhnen flog Hasard außenbords. Die Besanrute hatte seinen Brustkorb getroffen. Er hatte das Gefühl, zerquetscht zu werden. Seine Lungen schienen eingeklemmt zu sein, er hatte nicht mehr die Kraft, zu schreien und konnte nicht mehr atmen. Eine unsichtbare Macht schien ihn vom Deck seines Schiffes zu entführen. Er stürzte in einen wild kreisenden, schwarzen Sog, der ihn in unendliche Tiefen riß.
Er nahm kaum wahr, wie die Fluten über ihm zusammenschlugen. Alles schien in tiefster Finsternis zu versinken, jedes Gefühl erstarb. Die Schmerzen klangen ab und wichen einem trägen Gefühl der Erlösung und Sorglosigkeit.
Genau dies war der kritischste, gefährlichste Punkt. Hasard drohte zu ertrinken, aber er spürte nicht, daß er Wasser schluckte. Sein Körper drehte sich im Wasser, die Arme und Beine waren bewegungslos wie die einer Gliederpuppe. Er drohte, immer tiefer abzusinken, verlor die Besinnung und war seinem Schicksal ausgeliefert.
Plötzlich aber setzte doch eine instinktive Abwehr ein. Er begann, knappe, zuckende Schwimmbewegungen zu vollführen, die ihm etwas Auftrieb verliehen. Das Salzwasser drang in seine Atemwege ein, er fing an, zu spucken und zu husten, schluckte beinah noch mehr Wasser und hatte keine Luft mehr. Er krümmte sich, arbeitete heftiger mit den Armen und Beinen und riß die Augen weit auf. Die Gefahr, ohnmächtig zu werden, war gebannt. Aber die stechenden Schmerzen in seinem Brustkorb brachten ihn fast um.
Hinzu kam eine aufsteigende, würgende Übelkeit, die ihm ebenfalls zuzusetzen begann. Er war kaum noch Herr seiner Bewegungen. Etwas schien an seinen Gliedmaßen zu zerren und ihn gefangenzusetzen und zu paralysieren. Wieder drehte er sich, und ein tosender Strudel griff nach seinem Kopf. Er glaubte, den Verstand zu verlieren.
Er spürte kaum, wie sein Kopf durch die Wasseroberfläche stieß. Noch war er wie gelähmt und nahezu unfähig, zu atmen. Der übermächtige Schmerz in seinem Brustkorb schien ihn zerreißen zu wollen. Noch einmal ging er unter, schluckte Wasser, schoß wieder hoch und spuckte es hustend aus. Japsend schöpfte er ein wenig frische Luft und trat Wasser, um zu verhindern, daß er erneut wegsackte.
Nach wie vor befand er sich in einem Zustand halber Betäubung, so daß er immer noch nicht die Kraft und den Willen zu einer Reaktion hatte. Hätte er jetzt um Hilfe gerufen, wäre seine Donnerstimme nicht zu überhören gewesen. Aber er blickte nur halb irritiert, halb verständnislos um sich und versuchte, durch ständige Arm- und Beinbewegungen ein erneutes Abgleiten in die Tiefe zu verhindern.
Wer unvermutet ins Wasser fliegt, der steht unter einer Art Schockwirkung, die entweder Lähmung oder wilde Panik hervorruft. In dieser Situation ist es sogar leicht möglich, daß ein Mann einen Herzanfall erleidet und ihm erliegt.
Hasard vermochte einen Anflug aufsteigender Panik zwar zu bezwingen, aber er war unfähig, die Männer der „Isabella“ zu alarmieren. Er trieb ab, war allein und konnte auf keine Hilfe mehr hoffen, hier, am späten Nachmittag des 24. Juni 1594 nördlich der Bahia de Nipe an der Nordostküste von Kuba. Es gab keine Rettung.
Er konnte nur keuchen und nach Luft ringen. Sonst war er vollauf damit beschäftigt, sich durch paddelnde Armbewegungen und stetige Beinarbeit über Wasser zu halten. Was er tat, geschah nach wie vor eher unbewußt. Die Schmerzen und die Übelkeit wollten nicht nachlassen, rote und schwarze Schleier schienen vor seinen Augen zu wallen.
Farbige, fallende Nebelschwaden – nur undeutlich konnte er die „Isabella IX.“ vor sich erkennen. Sie schien in einer anderen Sphäre zu segeln, fern und unerreichbar. Fast war er versucht, die Hand nach ihr auszustrecken, aber es blieb bei dem Verlangen, er drohte unterzugehen. Es kostete ihn seine ganze Kraft, wenigstens mit dem Kopf über Wasser zu bleiben, um ständig Luft schöpfen zu können.
Etwas anderes schob sich in sein Blickfeld: gigantische Schatten. Sie wirkten wie unfertige, angedeutete Gemälde, Silhouetten vor dem blassen Himmel, die jeden Augenblick verwischen wollten. Täuschte er sich? Gaukelte ihm sein verwirrter Geist dieses Bild nur vor – oder existierte es wirklich?
Flüche und Gebrüll ertönten, spanische Wortfetzen schallten zu Hasard. Zwei Kriegsgaleonen glitten auf ihn zu, eine war wie zum Greifen nahe. Was war geschehen? Er versuchte, sich an die Ereignisse zu erinnern, aber es fiel ihm nicht leicht.
Doch allmählich fügte sich aus Bruchstücken und Fetzen wieder eine Vorstellung zusammen. Die „Isabella IX.“ und die „Le Vengeur III.“ hatten die Verfolgung des spanischen Kriegsverbandes aufgenommen, nachdem die Schiffe des Bundes der Korsaren im Nebel den Gegner verfehlt hatten.
Eine rasche Umkehr erfolgte, und die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ als die eindeutig schnellsten Schiffe hatten die Spanier als erste eingeholt. Zwei Schiffe gegen neun schwer armierte Kriegssegler – da stand ihnen einiges bevor.
Auch die Spanier sichteten ihren Feind, und drei Galeonen und eine Karavelle gingen auf Gegenkurs und segelten ihnen entgegen. Sie sollten die „Isabella“ und Ribaults Schiff aufhalten, während der Restverband mit östlichem Kurs weiter in Richtung Schlangen-Insel segelte.
Hasards Befehl lautete, nach Norden und Süden auszuweichen, die vier Kriegsschiffe zu umgehen und leerlaufen zu lassen, wieder auf den Verband der fünf anderen Kriegsschiffe zuzustoßen und dann mit aller Härte zuzuschlagen. Ribault fiel nach Süden ab, da er die Leeposition hatte. Der Seewolf hingegen brachte die „Isabella“ hoch an den Wind, der aus Nordosten wehte.
Sofort reagierte der Gegner, und zwei Kriegsgaleonen luvten an, um die „Isabella“ zu fassen. Die dritte Galeone und die Karavelle fielen mit der Absicht ab, den Kurs der „Le Vengeur“ zu kreuzen. Beide Gegnergruppen steuerten Kollisionskurs.
Ribault gelang es dennoch, seinen beiden Gegnern zu entwischen, indem er plötzlich hochluvte und hinter ihnen auf den alten Kurs durchbrach. Aber sie ließen sich nicht hinters Licht führen und drehten nach.
Der Seewolf und seine Männer trachteten danach, durch plötzliches Abfallen am Gegner vorbeizustoßen, aber der fiel, wenn auch mehr aus Zufall, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ab. Was sich aus dieser Situation ergab, war ein Passiergefecht, in dem die „Isabella IX.“ die Luvposition hatte. Mit Volltreffern stieg sie in den Kampf ein, aber dann feuerten beide Seiten gleichzeitig aufeinander, und es gab Treffer bei den Spaniern und bei den Arwenacks.
Der „Isabella“ wurde die Besanrute weggeschossen. Sie wischte mit Drall nach Backbord über das Achterdeck und nahm Hasard mit, der sich zu spät abgeduckt hatte. Wie ein Geschoß wurde er nach Luv außenbords katapultiert, und keiner seiner Männer bemerkte es in diesem Augenblick, denn ihre volle Konzentration war auf den Gegner gerichtet.
Im übrigen herrschte Wuhling: Auf der Kuhl schrie Carberry nach dem Kutscher, weil Sam Roskill flach an Deck lag. Ein Holzsplitter hatte ihm den halben Rücken aufgerissen. Auf dem Achterdeck war Ben Brighton besinnungslos zusammengebrochen.
Pulverqualm lag auf allen Decks, die Männer husteten und fluchten. Pete Ballie steuerte den Kurs, der die „Isabella“ an den Fünferverband der Spanier führen sollte, und die „Le Vengeur“ folgte ihm bereits, hatte aber den Gegner im Nacken.
Ein Kettenschuß hatte Rack und Toppnanten der Großrah der „Isabella“ getroffen und zum Teil zerschlagen. Doch sie krachte erst an Deck, als Pete Ballie bereits auf dem neuen Kurs lag. Niemand wurde durch diese Spiere verletzt, aber genau in diesem Augenblick registrierte Dan O’Flynn auf dem Achterdeck, daß Hasard fehlte.
Hasard blickte wieder zu der „Isabella“, die jetzt, ohne Besan und Großsegel, nicht mehr viel Fahrt lief und nach Lee driftete. Er glaubte, wie aus weiter Ferne eine Stimme zu vernehmen: Dan, der nach ihm rief.
Hasard wußte nicht, daß seine Männer zunächst wie erstarrt dastanden, dann aber fieberhaft nach ihm Ausschau hielten. Wieder wehten Rufe heran, aber die Suche war zwecklos. Für sie war er verschwunden. In der eintretenden Dämmerung hatten sie weder die nötige Sicht noch die Zeit, nach ihm zu fahnden, denn jetzt war auch wieder der Gegner heran und setzte ihnen mit donnernden Kanonenschüssen zu.
Die erste Galeone war ziemlich stark angeschlagen, aber ihr Kapitän gab trotzdem noch nicht auf. Er wollte es wissen. Verbissen nahm er den Kampf wieder auf, und mit eiserner Hand brachte er Ordnung in die Reihen seiner Männer, die gerade eben die ersten Verletzten geborgen und versorgt hatten. Das Gebrüll wollte nicht abreißen, aber der Capitán schrie lauter als alle anderen und verschaffte sich Gehör. Er ließ halsen und lief hinter der „Isabella“ her.
Die Galeone steuerte direkt auf Hasard zu und schien ihn unter sich begraben zu wollen. In einem Abstand von nur etwa fünf Yards rauschte sie an ihm vorbei – ein beängstigender Koloß. Im Schwell ihrer Bugwelle tanzte er wie ein Korken auf und nieder. Das Wasser schlug wieder über ihm zusammen. Er konnte sich nicht mehr halten, drohte zu ertrinken, schluckte Wasser, erbrach es und kämpfte wieder mit seiner Atemnot.
Jetzt stieg doch Panik in ihm hoch. Aus, dachte er verzweifelt, vorbei, Gott im Himmel, es ist alles aus!
Er tauchte aber doch wieder auf, spuckte das salzige Wasser aus und schöpfte japsend und hustend neue Luft. Die Galeone war an ihm vorbei und segelte, gefolgt von der anderen Galeone, der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ nach. Die Wogen glätteten sich. Hasard gelang es, seine Panik wieder zu bezwingen. Allmählich verebbte auch der Schockzustand, er konnte wieder klare Gedanken fassen.
Aber die Schmerzen in seinem Brustkasten blieben, und er war nach wie vor nicht dazu in der Lage, um Hilfe zu rufen. Das Tageslicht schwand jetzt rasch, von einem Moment zum anderen. Neuer Kanonenböller ertönte, Schußblitze zuckten über die See, das Gefecht ging weiter.
Hasard konnte sich wieder in etwa orientieren: Das war südostwärts von seiner Position und gar nicht allzu weit von ihm entfernt. Dort kämpfte die „Isabella“ nun weiter gegen ihren Feind, und seinen Augen bot sich ein schaurig-schönes Bild.
Von Bord der „Isabella“ flogen in rasender Folge Brandpfeile zu den beiden Galeonen hinüber, leuchtende Fanale in der zunehmenden Dunkelheit, die sich gierig durch Holz und Segeltuch fraßen. Gleichzeitig stachen aus den Mündungen der Kanonen grelle Lichtblitze, die den fallenden Vorhang der Nacht zerschnitten, gefolgt vom Wummern und Dröhnen der Pulverexplosionen. Schließlich torkelten Höllenflaschen mit zischenden Lunten durch die Luft, polterten auf die Decks der Spanier und flogen mit ohrenbetäubendem Krachen auseinander.
Zum erstenmal verfolgte Hasard auf Distanz, wie seine Männer kämpften. Er war beeindruckt und besorgt zugleich. Die „Isabella“ wirkte wie ein Feuerspeier, dessen Depots sich nie leerten und dessen Reserven unerschöpflich waren. Aber konnten die Männer es schaffen, gegen zwei Schiffe zu bestehen?
Sehr manövrierfähig war die „Isabella“ zur Zeit keineswegs, sie bewegte sich eher plump. Aber die Männer befanden sich in einem Zustand der Raserei – wegen des Verlustes ihres Kapitäns und wegen der Verletzten, die es in ihren Reihen gegeben hatte. Ihre Berserkerwut verdoppelte ihre Kräfte, sie tobten und fluchten, schossen und brüllten.
Feuer brach auf beiden spanischen Kriegsgaleonen aus, und laufend entstanden durch die Brand- und Pulverpfeile neue Brände. Eine Galeone hatte bereits schwere Schlagseite. Es war jene, die um ein Haar über den Seewolf hinweggesegelt wäre. Gellende Schreie begleiteten die Treffer, die Ferris Tucker mit seinen Pulverflaschen erzielte. Es krachte und donnerte immer noch unablässig – und die Arwenacks waren erbarmungslos.
Dan O’Flynn, der das Kommando über die „Isabella“ übernommen hatte, brachte abwechselnd die Breitseiten zum Einsatz. Inzwischen waren die Spanier zu sehr mit dem Löschen der Brände beschäftigt, um ihrerseits noch zurückfeuern zu können. Das Grauen vor diesem wild um sich schlagenden Gegner schien sie gepackt zu haben, sie vermochten sich gegen die rasenden Teufel nicht mehr zur Wehr zu setzen.
Dieses Geschehen verlieh Hasard plötzlich neue Kraft und die Energie, durchzuhalten. Mühsam begann er zu schwimmen, aber es bereitete ihm große Schwierigkeiten. Er drehte sich auf den Rücken und beschränkte sich auf die Beinbewegungen. Viel war es nicht, es brachte ihn nur schleppend voran. Aber er bildete sich dennoch ein, näher an die „Isabella“ zu gelangen.
Vielleicht kann ich es noch schaffen! Dieser Gedanke durchströmte ihn mit neuer Kraft, und er versuchte, die Schmerzen zu ignorieren. Als er sich einmal umdrehte und wieder Wasser trat, um die Lage zu erkunden, sah er, daß die beiden spanischen Galeonen lichterloh brannten. Für die Kapitäne gab es nur noch eine Chance: Sie mußten die Schiffe aufgeben, denn bald würde das Feuer die Pulverkammern erreicht haben.
In der Tat: Boote wurden von den beiden Galeonen ausgesetzt – soweit sie nicht bereits zerschossen waren. Vier Jollen, mit Männern überfüllt, bewegten sich nach Süden.
Sie fliehen zur Küste, dachte Hasard. Dann drehte er sich wieder auf den Rücken und schwamm weiter.
Aber schon nach kurzer Zeit gab er diese Körperlage wieder auf. Trotz seiner Schmerzen zwang er sich jetzt zum Kraulstil. Noch etwa zehn Kabellängen, dachte er, und wühlte sich durch die Fluten. Der Kampfplatz schien näher zu rücken, und doch war der Abstand immer noch unendlich groß, zu groß für einen Mann, der sich behindert fühlte und sich nicht bewegen konnte, wie er wollte.
Kurze Zeit später flogen die beiden brennenden Galeonen mit Donnergetöse auseinander. Dicke Feuerbälle leuchteten über der See, es krachte und splitterte, und die Trümmer wirbelten durch die Luft. Die Druckwelle war deutlich zu spüren, sie fuhr wie ein glutiger Hauch über Hasard hinweg.
Dann sah er, daß die „Isabella“ nach Südosten ablief. Sie verschwand in der Dunkelheit, und mit ihr erlosch die letzte Hoffnung. Hasard versuchte, die Fassung zu bewahren, obwohl es ihn wieder fast um den Verstand brachte. Er konnte nachempfinden, was in seinen Männern vor sich ging: Sie waren hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, nach ihm zu suchen, und der Pflicht, dem Verband der Spanier zu folgen und für die Freunde und die Schlangen-Insel zu kämpfen. Sie mußten Prioritäten setzen. Es zerriß ihnen das Herz, aber die Schlangen-Insel und der Bund der Korsaren gingen vor.
Trotz seiner verzweifelten Lage sah auch Hasard ein, daß ihr Verhalten völlig richtig und den Umständen entsprechend logisch war. Er selbst hätte nicht anders gehandelt. Er war jetzt auf sich ganz allein gestellt, aber er klammerte sich an dem letzten dünnen Faden fest, an dem sein Leben noch hing.
Und die Haie? Er versuchte, zu grinsen, wußte aber, daß er nur eine Grimasse zustande brachte. Sie wollen dich nicht, dachte er, du bist für sie ungenießbar – und zu zäh zum Sterben.
2.
Ein Umstand, der sich jetzt einstellte, wirkte einigermaßen ernüchternd auf ihn. Um ihn herum landeten spritzend und gischtend die Trümmerteile der beiden explodierten Galeonen in der See. Nur etwa dreißig Yards von ihm entfernt schoß eine Wassersäule hoch, als sei dort ein schweres Kaliber eingeschlagen. Etwas Unförmiges sprang aus dem Wasser und klatschte wieder zurück.
Ohne zu zögern, schwamm Hasard darauf zu. Er versuchte zu erkennen, um welche Art von Gegenstand es sich handelte. Eine Gräting? Nein – es schien eher ein Stück Bordwand zu sein. Im Näherkommen sah er trotz der Dunkelheit, daß sich an der Innenseite noch die Spanten befanden. Mit einiger Phantasie gelang es ihm, sich das Ding als eine Art Floß vorzustellen.
Auf jeden Fall schien es groß genug zu sein, um sein Gewicht zu tragen. Er erreichte es, klammerte sich daran fest und zog sich keuchend und ächzend hinauf. Schwer atmend ließ er sich sinken. Die Brust schmerzte wie verrückt, aber wieder zwang er sich dazu, ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Gerettet, dachte er, vorerst jedenfalls. Haie, ihr könnt kommen, es gibt nichts mehr zu holen!
Doch sie zeigten sich nicht. Ihm fiel die alte Legende ein, das Seemannsgarn, demzufolge die grauen Mörder nachts schliefen oder überhaupt nicht imstande waren, auf kürzeste Distanz eine mögliche Beute zu erkennen. Blind waren sie, hieß es, und am liebsten griffen sie bei Tageslicht und bleischwerer, spiegelglatter See an.
Aber das war eben Seemannsgarn oder reine Phantasie. Hasard wußte, daß er Glück im Unglück gehabt hatte. Leicht hätte er Haien oder Barrakudas zum Opfer fallen können. Eine Gefahr war gebannt, auf der herausgebrochenen Bordwand war er einigermaßen sicher. Er lag auf dem Rücken, atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen.
Das gelang nur im Ansatz. Die Schmerzen stachen ihn wie glühende Nadeln. Bei jedem Atemzug bohrten sie sich tiefer in seinen Oberkörper. Er versuchte jetzt, flacher und regelmäßiger Luft zu holen. Gleichzeitig überlegte er. Der Brustkorb mußte geprellt sein, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Auch der Kutscher oder Mac Pellew hätten nichts anderes festgestellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte es ein paar Rippen erwischt, sie waren angebrochen. Das tat wirklich höllisch weh.
Aber trotz der Schmerzen und der Erschöpfung, die an ihm zehrte, blieb er nicht untätig. Wenn du überleben willst, brauchst du noch einiges, dachte er, alles, was du kriegen kannst.
Er richtete sich wieder auf, kniete sich hin und glich das Schaukeln seines Untersatzes durch Gegenbewegungen aus. Es war nicht sonderlich schwer, die Balance zu halten, er mußte nur darauf achten, daß er sich nicht zu heftig bewegte.
Eine Planke trieb auf ihn zu. Sie war für seine Zwecke geeignet, handgerecht genug, um als Paddel zu dienen. Er beugte sich vor und streckte die rechte Hand aus, aber die Planke glitt um Zollbreite an seinen Fingern vorbei. Er drehte sich leicht nach rechts, griff wieder zu – und hatte sie. Grimmig packte er zu und zog sie zu sich heran.
Es lohnte sich, weiterhin Ausschau zu halten. Er trieb mit seinem Floß mitten im Trümmerbereich und konnte noch so manches auffischen, was ihm dienlich war. Aufmerksam spähte er nach allen Seiten. Was konnte er noch gebrauchen?
Seinen Degen hatte er verloren, das Wehrgehänge war leer. Aber das Messer fiel ihm ein, das im rechten Stiefel stecken mußte. Er tastete an seinem Bein entlang, schob die Hand in die Öffnung des Stulpenstiefels und berührte das Heft des Messers. Er grinste, lachte, hustete, verspürte neue Schmerzen und war doch froh, es wiedergefunden zu haben. Fast war ihm, als habe er einen Sieg errungen.
Rasch zog er das Messer heraus, sah sich erneut um und entdeckte treibende Teile, an denen noch Leinen hingen. Er arbeitete sich unter Zuhilfenahme des Paddels darauf zu, beugte sich wieder etwas außenbords und kappte die Leinen mit dem Messer.
Die Leinen brauchte er, um sich eventuell auf seinem provisorischen Floß festzubinden. Wenn das Wetter sich verschlechterte und der Seegang zunahm, würde das erforderlich werden. Die Gefahr, ins Wasser zu rutschen, war dann groß, zumal er in seinem Zustand nicht in der Lage war, sich auf einer tanzenden, nur etwa zwei mal zwei Yards messenden Plattform zu halten.
Er belegte die Leinen an dem herausragenden Ende eines Spants, richtete sich wieder auf und ließ seinen Blick erneut wandern. Wenig später sichtete er etwas Helles, das sich als ein Stück Segeltuch entpuppte. Es hing an dem zerschossenen Überrest einer Spiere, ein Fetzen, der dennoch verwendbar war.
Mit etwas Akrobatik gelang es ihm, die Spiere zu sich heranzuziehen und das Stück Segel davon loszuschneiden. Er barg es und verstaute es zwischen den Leinen, so daß es nicht abtreiben konnte. Immerhin, dachte, er, das ist schon eine ganze Menge. Aber eine Waffe müßtest du noch haben – und Proviant.
Es war vermessen, zu hoffen, daß er sich alles verschaffen konnte, was er als Schiffbrüchiger zum Überleben brauchte. Aber er gab nicht auf. Wieder hielt er Umschau. Er erblickte etwas Unförmiges, das sich genau auf ihn zuzubewegen schien, kniff die Augen zusammen und versuchte, es zu identifizieren.
Die Erkenntnis war grausig: Ein Toter trieb im Wasser, die Arme und Beine weit von sich gestreckt. Er lag auf dem Rücken, dümpelte auf das Behelfsfloß zu und berührte es mit seiner Hand. Für einen Moment wirkte es so, als wolle er sich daran festklammern. Die Wellenbewegungen des Wassers erweckten ihn zu gespenstischem Leben. Aber seine gebrochenen Augen waren blicklos in den Nachthimmel gerichtet, und die Blessuren in seinem Unterleib verrieten, daß er eines schmerzhaften, aber schnellen Todes gestorben sein mußte.
„Gott sei deiner Seele gnädig“, sagte Hasard. Dann beugte er sich über ihn.
Der Tote trug keinerlei Kopfbedeckung, aber aus den zerfetzten Resten seiner Kleidung ließ sich schließen, daß er ein Seesoldat gewesen sein mußte. Die Explosion des Schiffes, auf dem er gedient hatte, hatte ihn halb zerrissen, erstaunlicherweise aber sein Gesicht und seinen Oberkörper verschont. Er mußte in die Luft katapultiert worden sein und hatte beim Sturz ins Wasser die Pistole, das Pulverhorn und die Kugeltasche verloren.
Eine Waffe hatte er aber doch noch: den Degen, der in der Scheide des Wehrgehänges steckte. Hasard zog den Mann so dicht wie möglich zu sich heran. Das Floß begann bedenklich zu schaukeln, aber er legte sich auf die Seite und verlagerte sein Gewicht so, daß ein Ausgleich vorhanden war. Mit geschickten Fingern öffnete er den Gürtel des Toten und nahm ihm das Wehrgehänge ab.
Der Degen war nicht verziert, aber aus bestem Toledostahl gearbeitet und scharf geschliffen, wie er sofort feststellte. Er schob ihn in die Scheide seines eigenen Wehrgehänges und verstaute den Gurt des Spaniers unter dem Segeltuch. Für alle Fälle, dachte er, man kann nie wissen.
Der Tote trieb weiter ab. Hasard blickte ihm nach und dachte: Vielen Dank, Kamerad. Du hast einem verdammten Engländer geholfen, aber du kannst dich nicht mehr darüber ärgern. Du hast keine Sorgen mehr und brauchst nicht ums nackte Überleben zu kämpfen.
Irgendwie mußte er sich Mut zusprechen, jedes Mittel war ihm recht. Sein alter Galgenhumor kehrte zumindest teilweise zurück, und er sagte sich, daß er notfalls bis zur Schlangen-Insel paddeln würde, wenn es erforderlich war.
Ein Bootsriemen schob sich in sein Blickfeld. Er griff nach der Planke, begann zu paddeln und fluchte, weil seine Brust wieder höllisch zu schmerzen begann. Jede Bewegung verursachte ihm Qualen, aber er biß die Zähne fest zusammen und stieß in Gedanken einige von Carberrys übelsten Verwünschungen aus – auf Englisch und auf Spanisch.
Das half – so schien es jedenfalls. Hasard ging bei dem Bootsriemen längsseits, legte die Planke weg, holte sich den Riemen und betrachtete ihn. In Ordnung, dachte er, er ist nicht gesplittert oder angeknackst, er läßt sich verwenden.
Die Krönung seiner Suche aber war das kleine Fäßchen, das plötzlich nicht weit von ihm entfernt auftrieb und rollende Bewegungen in den Wellen vollführte. Es schimmerte ein wenig im silbrigen Mondlicht und bot – alles in allem – einen äußerst verlockenden Anblick.
Wasser, dachte der Seewolf. Oder? Seinem Umfang nach war das Faß eigentlich zu klein, die Wasserbehälter an Bord von Segelschiffen waren im allgemeinen höher und bauchiger. Es bestand aber noch die Möglichkeit, daß es zu der Ausrüstung eines Beibootes gehörte, zu einer der Jollen, die das Gefecht nicht heil überstanden hatten.
Hasard paddelte zu dem Fäßchen und holte es mit dem Riemen zu sich heran. Plötzlich fiel ihm ein, daß es auch leer sein konnte, also war die Mühe umsonst. Irrtum: Als er versuchte, es auf das Floß zu ziehen, rutschte es ihm aus den Händen und landete wieder im Wasser.
Er selbst kippte um ein Haar außenbords und mußte mit den Armen rudern, um sich zu halten. Das Faß trieb ab und kugelte sich in den Fluten. Irgendwie hatte er den Eindruck, es grinse ihn höhnisch an.
Sehr witzig, dachte er, die Tücke des Objekts, nicht wahr? Noch einmal arbeitete er sich darauf zu. Er hievte es „an Deck“, und die Schmerzen schienen seine Brust sprengen und zerreißen zu wollen, aber auch dieses Mal unterdrückte er ein Stöhnen. Er stellte das Fäßchen vor sich hin, schloß die Augen und atmete tief durch.
Die Schmerzen ebbten wieder etwas ab. Er befaßte sich mit seinem Fund, suchte nach dem Korken, der das Spundloch verschloß. Ein leichter Geruch stieg ihm in die Nase – nein, es war eher ein Duft. Branntwein, dachte er und mußte unwillkürlich grinsen, zwar kein Brandy oder Whisky, aber immerhin ein ordentlicher Tropfen.
Auch die Spanier verstanden natürlich, Schnaps zu brennen. Er hatte gelegentlich die eine oder andere Sorte probiert und mußte eingestehen, daß das Zeug schmeckte und nicht nur „zum Einreiben“ taugte, wie Mac Pellew sagte.
Mac Pellew, der Kutscher, Carberry, Blacky, Smoky … Dan, Shane, Ferris und Ben – immer wieder mußte er an seine Kameraden denken. Er versetzte sich in ihre Lage und hatte das Gefühl, als heimlicher Beobachter unter ihnen zu sein. Sie waren überzeugt, ihn verloren zu haben. Gern hätte er ihnen irgendwie mitgeteilt, daß es nicht der Fall war, aber dazu bestand keine Möglichkeit.
Überhaupt, wie sollte er in der Nacht ein Signal geben, damit man ihn auffischte? Er hatte kein Pulver, keinen Feuerstein und Feuerstahl, kein Öl und keine Lampe – nichts. Er konnte höchstens rufen, aber es war die große Frage, ob man ihn hörte.
Weitermachen, dachte er, keine Zeit an unnütze Überlegungen verschwenden. Seine Lebensgeister waren zurückgekehrt. Nur an der erforderlichen Bewegungsfreiheit mangelte es wegen der Schmerzen, die ihn lähmten und behinderten.
Er tastete seine Brust ab, senkte den Blick und versuchte, im Dunkeln etwas von der Wunde zu erkennen. Sehr viel Blut hatte er nicht verloren, wenn sein zerrissenes Hemd auch damit getränkt zu sein schien. Die Schrammen auf seiner Brust stufte er als eher unbedeutend ein. Es waren eben, wie er richtig angenommen hatte, die Rippen, die ihm zusetzten. Sie brauchten nur leicht angebrochen zu sein und bereiteten doch höllische Schmerzen.
„Jede Fraktur“, hatte der Kutscher einmal gesagt, „tut ganz verflucht weh, und je dünner der Knochen ist, desto heikler ist die Sache.“
Vielleicht hätte der Kutscher ihm eine Art Brustbandage angelegt. Ganz gewiß hätte er ihm Ruhe verordnet. Beides ließ sich in seiner derzeitigen Situation nicht verwirklichen. Er hatte kein Verbandszeug, keine sauberen Tücher und kein heißes Wasser zum Reinigen der Blessur. Und eine Koje, in der er sich ausstrecken konnte, gab’s auch nicht. Hinlegen konnte er sich sowieso nicht, denn er mußte ja paddeln und Treibgut einsammeln.
Nicht sehr viel Zeit verstrich, und er sichtete wieder einen Bootsriemen. Zwei sind besser als einer, dachte er, und holte auch diesen an Bord.
Er begann jetzt, die Leinen kreuz und quer über das Floß zu spannen, damit ihm seine „Fundsachen“ nicht wieder verlorengingen. Er klemmte sie darunter, richtete alles so funktionell und sicher wie möglich ein und ruhte sich dann wieder ein wenig aus.
Er sann nach und vergegenwärtigte sich die letzte Position der „Isabella“. Bevor das Gefecht begonnen hatte und er über Bord gegangen war, hatte er noch einmal kurz einen Blick auf die Seekarte geworfen. Die „Isabella“ hatte etwa an die fünfundzwanzig Meilen nördlich der Bahia de Nipe gestanden, an der Nordostküste von Kuba also.
Er wandte seinen Blick in die südliche Richtung. Weit entfernt kann sie also nicht sein, die Küste, dachte er. Sie zu erreichen, wäre nicht das größte Problem, aber was ist mit den Dons?
Die Überlebenden der beiden Galeonen pullten zur Küste, und zwar auf den Punkt zu, den sie am schnellsten erreichen konnten. Selbst wenn sie sich ins Landesinnere zurückzogen, mußte er, Hasard, immer noch damit rechnen, daß Posten aufgestellt waren. Auch konnten Schaulustige eingetroffen sein, die die Explosionen gehört und aus der Entfernung verfolgt hatten.
Bei dem Pech, das er zur Zeit hatte, konnte es ihm gut passieren, daß er gestellt und festgenommen wurde. Dann hatte es keinen Zweck, sich als Spanier auszugeben. Sie konnten ihn leicht entlarven, er war zu bekannt. Die Folge war, daß sie ihn vor ein Gericht stellten und entweder am nächsten Baum aufhängten oder standrechtlich erschossen.
Nein, dachte er, das Risiko darfst du auf keinen Fall eingehen. Aber welche anderen Möglichkeiten boten sich noch an? Er rief sich die Karte ins Gedächtnis zurück. Welche Insel lag in seiner Nähe? Gab es kein Eiland, auf dem er landen konnte?
Santo Domingo, dachte er. Das war eine Insel an der südlichen Spitze der Columbus-Bank. Dort konnte er verholen und an Land gehen, sich mit frischem Proviant versorgen, und – besser ausgerüstet als jetzt – die mühselige Fahrt fortsetzen. Er brauchte wenigstens ein bißchen Trinkwasser und Früchte oder Kokosnüsse, um den schlimmsten Hunger und Durst zu stillen, die sich früher oder später einstellen würden.
Erst danach konnte er daran denken, sich von Insel zu Insel in Richtung Osten zu den Caicos-Inseln vorzuarbeiten. Lange würde es dauern, er würde Tage benötigen, vielleicht zwei Wochen, weil er nicht unausgesetzt paddeln, wriggen oder pullen konnte. Er mußte mit seinen Energien haushalten und durfte sich nicht verausgaben. Wenn er vor Erschöpfung zusammenbrach, war er endgültig verloren.
Er dachte wieder nach und gelangte zu dem Schluß, daß es besser war, zunächst diese Nacht abzuwarten. Auf dem Kurs, auf dem er sich mit seinem Notfloß befand, mußten noch die Freunde folgen, denen Ribault und er mit der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ vorausgesegelt waren: der Schwarze Segler, die „Tortuga“, die „Caribian Queen“ und die „Pommern“.