Kitabı oku: «Theorie U - Von der Zukunft her führen», sayfa 7
Der blinde Fleck
Um die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in Angriff zu nehmen, brauchen wir eine soziale Technik, die es uns als Individuen, Gruppen, Organisationen und auch als Gesellschaft ermöglicht, von unserem höchsten Zukunftspotenzial her zu handeln. Bei der Zusammenarbeit mit Führenden und Gruppen in allen Bereichen der Gesellschaft ist meinen Kollegen und mir im Laufe der letzten 20 Jahre klar geworden, dass es einen blinden Fleck gibt. Doch wenn wir uns dieses blinden Flecks bewusst werden, erlaubt uns dieses Bewusstsein, ein solches Potenzial zu erschließen. Der blinde Fleck ist der Quellort unserer Aufmerksamkeit und unserer Intention. Es ist der Ort, von dem aus wir handeln, wenn wir handeln. Dass dieser Fleck blind ist, liegt daran, dass er eine unsichtbare Dimension unseres gewohnheitsmäßigen sozialen Feldes, unserer alltäglichen Erfahrung in sozialen Interaktionen ist. Diese unsichtbare Dimension des sozialen Feldes bezieht sich auf die Quellen oder Ursprünge, aus denen heraus ein bestimmtes soziales Feld hervorgeht und manifest wird.
Man kann dieses Phänomen damit vergleichen, welchen Zugang man als Betrachter zu der Arbeit eines Künstlers oder einer Künstlerin wählt. Es gibt zumindest drei mögliche Perspektiven:
•Wir können uns auf das Ding konzentrieren, das aus einem kreativen Prozess hervorgeht – sagen wir, ein Bild,
•wir können uns auf den Prozess des Malens konzentrieren, oder
•wir können die Künstlerin beobachten, während sie vor einer leeren Leinwand steht.
Mit anderen Worten: Wir können ihr Werk ansehen, nachdem es geschaffen worden ist (das Ding), während sie es schafft (den Prozess) oder bevor der schöpferische Prozess einsetzt (die leere Leinwand oder die Dimension der Quelle).
Setzen wir dies in Analogie zu sozialen Prozessen und Führung, so können wir auch die Arbeit von Führungskräften aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten (Abb. E.1):
•Erstens könnten wir dabei zusehen, was der Führende (meistens ist es immer noch ein »Er«) tut. Unzählige Bücher wurden aus dieser Perspektive geschrieben.
•Zweitens könnten wir beobachten, wie geführt wird, welchen Prozess Führende in Gang setzen. Das ist der Blickwinkel, den wir seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Management- und Führungsforschung eingenommen haben. Wir haben alle Aspekte und funktionalen Bereiche im Zusammenhang mit Managern und Führungskräften aus der Sicht des Prozessparadigmas analysiert. Viele hilfreiche Erkenntnisse sind aus diesem Strom der Forschungsarbeit hervorgegangen.
•Niemals jedoch haben wir systematisch die Arbeit der Führenden von der dritten Möglichkeit her angesehen, der leeren Leinwand. Die Frage, die ungestellt blieb, lautet: Welches sind die inneren Quellen, von denen aus Führende wirksam werden, wenn sie wahrnehmen, kommunizieren und handeln?
Abb. E.1: Drei Perspektiven für die Arbeit von Führungskräften
Dieser blinde Fleck fiel mir zum ersten Mal auf, als ich mit dem früheren Geschäftsführer der Hanover Insurance Group, Bill O’Brien, sprach. Er erzählte mir, seine größte Erkenntnis nach vielen Jahren von Veränderungsmanagement und organisationsweitem unternehmerischem Wandel sei, dass »der Erfolg einer Intervention von der inneren Verfassung des Intervenierenden abhängt«.
Diese Beobachtung schlug bei mir ein wie der Blitz. Bill half mir zu verstehen, dass das, was zählt, nicht nur das ist, was Führende tun und wie sie es tun, sondern auch ihre »innere Verfassung«, der innere Ort, von dem aus sie wahrnehmen, der Quellort, von dem alle Handlungen ihren Ausgangspunkt nehmen.
Der blinde Fleck, um den es hier geht, weist auf einen fundamentalen Aspekt in Management und Sozialwissenschaften hin. Er berührt ebenfalls unsere tägliche soziale Erfahrung. Während unserer täglichen Arbeit oder unserer täglichen sozialen Interaktionen sind wir uns normalerweise sehr dessen bewusst, was wir tun und was andere tun; wir verstehen auch einigermaßen, wie wir die Dinge tun, verstehen die Vorgehensweisen, mittels deren wir und andere handeln. Wenn wir jedoch fragen würden: »Was ist eigentlich der Quellpunkt, von dem aus wir tätig werden?«, so wären die meisten von uns wahrscheinlich nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Wir können die Quelle, von der aus wir aufmerksam sind und wirksam werden, nicht sehen; wir sind uns des Ortes, der den Ausgangspunkt unserer Aufmerksamkeit und Intention bildet, nicht bewusst.
Nachdem ich die letzten zwei Jahrzehnte meiner professionellen Tätigkeit im Bereich des organisationalen Lernens verbracht habe, ist meine wichtigste Erkenntnis, dass es zwei unterschiedliche Quellen des Lernens gibt:
•Lernen aus den Erfahrungen der Vergangenheit und
•Lernen aus der im Entstehen begriffenen Zukunft.
Der erste Lerntyp, Lernen aus der Vergangenheit, ist gut bekannt und breit erforscht. Er ist die Basis aller heute bedeutsamen Lernmethodologien, besten Praktiken und Ansätze für Organisationslernen.17 Im Gegensatz hierzu steckt der zweite Lernansatz, nämlich wie aus dem Entstehen der Zukunft heraus gelernt werden kann, noch in den Kinderschuhen.
Ein paar Leute, denen ich die Idee einer zweiten Quelle des Lernens zunächst vorstellte, fanden, der Gedanke führe in die falsche Richtung. Der einzige Weg, zu lernen, argumentierten sie, sei der aus der Vergangenheit: »Otto, aus der Zukunft zu lernen ist nicht möglich. Verschwende deine Zeit nicht!« Aber als ich begann, mit Führungsteams aus unterschiedlichsten Sektoren und verschiedenen Industrien zu arbeiten, wurde mir klar, dass Leitungskräfte den aktuellen Herausforderungen der krisenhafte Zusammenbrüche (Disruption; vgl. Bild 3 und Beobachtung 2 im Vorwort zur Neuauflage) gar nicht genügen können, wenn sie sich nur auf der Basis vergangener Erfahrungen bewegen.
Als ich dann nach und nach feststellte, dass diejenigen Führungskräfte und Erneuerer, die mich am meisten beeindruckten, von einem anderen Kernprozess aus zu arbeiten schienen, von einem Prozess aus, der uns in entstehende Zukunftsmöglichkeiten hineinzieht, fragte ich mich: Wie können wir eine zukünftige Möglichkeit, die entstehen will, besser wahrnehmen und uns mit ihr verbinden?18
Ich nannte diese Wirkungsweise aus der entstehenden Zukunft heraus, während diese entsteht, Presencing.19 Presencing, also die Gegenwärtigung oder das Anwesendwerden, ist die Verbindung von zwei englischen Begriffen: »presence« (Anwesenheit) und »sensing« (spüren). Presencing heißt, sein eigenes höchstes Zukunftspotenzial zu erspüren, sich hineinziehen zu lassen und dann von diesem Ort aus zu handeln – d. h. Anwesendwerden im Sinne unserer höchsten zukünftigen Möglichkeit.20
Das vorliegende Buch beschreibt den Prozess und das Resultat einer 20-jährigen Forschungsarbeit, die nur durch die Unterstützung von und die Zusammenarbeit mit einer einzigartigen Konstellation von Kolleginnen und Kollegen sowie Freunden und Freundinnen möglich wurde.21 Die der Forschungsreise zugrunde liegende Frage lautet: »Wie können wir aus der im Entstehen begriffenen Zukunft heraus handeln, wie aktivieren wir die tieferen, mehr schöpferischen Schichten des sozialen Feldes?«
Eintreten in das Feld
Ein Feld ist, wie jeder Landwirt weiß, ein komplexes, lebendes System – ebenso wie die Erde insgesamt ein lebendiger Organismus ist.
Ich bin auf einem Bauernhof in der Nähe von Hamburg aufgewachsen. Eines der ersten Dinge, die mir mein Vater, ein Pionier der biodynamischen Landwirtschaft in Europa, beibrachte, war, dass die lebendige Qualität des Bodens die wichtigste Sache in der biologischen Landwirtschaft überhaupt ist. Jedes Feld, so erklärte er mir, hat zwei Seiten: die sichtbare, also das, was wir oberhalb der Erde sehen, und die unsichtbare oder das, was unter der Oberfläche ist. Die Qualität der Ernte – das sichtbare Resultat – ist eine Funktion der Qualität des Ackerbodens, also derjenigen Elemente des Feldes, die für das Auge weitgehend verborgen bleiben.
Meine Überlegungen im Hinblick auf soziale Felder setzen genau an diesem Punkt an: dass (soziale) Felder die Grundvoraussetzung für produktive soziale Beziehungen sind. Und so, wie jeder gute Landwirt unablässig seine Aufmerksamkeit dem Erhalt und der Verbesserung der Bodenqualität widmet, so sollte jede gute Führungskraft einer Organisation ihre Aufmerksamkeit auf den Erhalt und die Verbesserung der Qualität des sozialen Feldes lenken – gewissermaßen auf den Mutterboden des betreffenden sozialen Systems, in dem jeder verantwortlich Führende und Changemaker tagein, tagaus arbeitet.
Jeden Sonntag nahmen meine Eltern mich, meine Brüder und meine Schwester mit auf einen Feldgang über alle Äcker und Felder unseres Hofes. Hin und wieder blieb mein Vater stehen, um aus einer Ackerfurche einen Klumpen Erde aufzuheben, sodass wir ihn untersuchen und die unterschiedlichen Typen und Strukturen sehen lernen konnten. Die Qualität der Erde, erklärte er, hängt von einer ganzen Masse lebender Mikroorganismen ab – Millionen lebender Organismen, die jeden Kubikzentimeter Erde bevölkern und beleben und deren Arbeit existenziell dafür ist, dass die Erde atmen und sich als lebendes System entwickeln kann.
Dieses Buch lädt Sie zu einem Feldgang durch die soziale Landschaft unserer sich rasant verändernden globalen Gesellschaft ein. Und genau wie meine Familie es damals während des Feldgangs tat, werden wir auch jetzt hin und wieder anhalten und einen Klumpen voller Daten und Erfahrungen aufheben, damit wir ihn untersuchen und das tiefere Terrain sozialer Felder besser verstehen können. So bemerkte Jonathan Day von McKinsey einmal bezüglich seiner vielfältigen Erfahrungen mit globalen Unternehmen und ihren Transformationsprozessen: »Das Wichtigste in all diesen Prozessen ist etwas, das für das Auge gänzlich unsichtbar bleibt.«22
Wie jedoch können wir uns einem bewussteren und klareren Sehen dieses tieferen Terrains annähern?
Der archimedische Punkt
Wo liegt der strategische Hebelpunkt, der es ermöglicht, die Struktur eines sozialen Feldes umzuschmelzen, umzustülpen? Wo liegt der archimedische Punkt – die Bedingung der Möglichkeit –, durch den sich das globale soziale Feld verändern ließe?
Für meinen Vater war das sonnenklar. Wo setzt man seinen »Hebel« an? An der Erde. Man konzentriert sich darauf, kontinuierlich die Qualität der Humusschicht zu verbessern. Jeden Tag. Der fruchtbare Humus ist eine dünne Schicht lebender Substanzen, die sich durch die ineinander verschlungene Verwebung zweier Welten entwickelt: des sichtbaren Reichs an der Erdoberfläche und des unsichtbaren Terrains darunter. Die Begriffe Kultur und Kultivierung haben ihren Ursprung in der Ausübung genau dieser Tätigkeit. Landwirte kultivieren den Humus, indem sie die Verbindung zwischen den beiden Welten vertiefen.
Wo liegt der Hebelpunkt im Falle des sozialen Feldes? An genau der gleichen Stelle: an der Schnittstelle und der Verbindung zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Schicht des sozialen Feldes. Der fruchtbare »Humus« der Organisation entsteht dann, wenn diese beiden Welten sich begegnen, verbinden und miteinander verflechten.
Was entspricht dann, im Falle der sozialen Felder, der sichtbaren Welt? Das ist, was wir tun, sagen, spüren und sehen. Das soziale Handeln, wie es von einer Kamera eingefangen und dokumentiert werden kann. Und was ist die unsichtbare Schicht des sozialen Werdens? Es ist die innere Verfassung, von der aus die Teilnehmenden einer Situation handeln. Es ist die entspringende Quelle all dessen, was wir tun, sagen, spüren und sehen. Nach Bill O’Brien ist dies der entscheidende Punkt, auf den es für jede Initiative, jede Führungskraft am meisten ankommt. Vorausgesetzt, man will eine Zukunft gestalten, die sich von der Vergangenheit unterscheidet. Das ist der blinde Fleck oder innere Ort, an dem unsere Aufmerksamkeit und unsere Intention generiert werden und in die Welt kommen.
In Teil I dieses Buches, »Begegnung mit dem blinden Fleck«, werde ich argumentieren, dass wir über die Ebenen, Systeme und Sektoren hinweg letztlich alle mit dem gleichen Problem konfrontiert werden: Die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, erfordern es, uns des inneren Standortes, von dem aus wir agieren, bewusst zu werden und ihn zu verändern. Konsequenterweise müssen wir lernen, gegenüber beiden Dimensionen gleichzeitig aufmerksam zu werden:
•gegenüber dem, was wir sagen, sehen, spüren und tun (unserer sichtbaren Dimension), und
•gegenüber dem inneren Ort, von dem aus wir wirken (unserem unsichtbaren Terrain, von dem her unsere Aufmerksamkeit und unsere Intention in die Welt kommen).
Ich nenne den vermittelnden Bereich, der diese beiden Dimensionen miteinander verbindet, die Feldstruktur der Aufmerksamkeit. Sie ist das funktionale Äquivalent des Humus in der Landwirtschaft, indem sie beide Dimensionen des Feldes verknüpft.
Die gemeinsame Gegenwärtigung unserer Feldstruktur der Aufmerksamkeit – das heißt, das gemeinsame Gewahrwerden des inneren Ortes, von dem aus wir agieren – könnte der zentrale Hebelpunkt sein, durch den das soziale Feld in unserem Jahrhundert verwandelt werden kann, da es den einzigen Punkt unseres gemeinsamen Bewusstseins darstellt, über den wir vollständige Kontrolle haben. Denn die gemeinsam hervorgebrachte Struktur der Aufmerksamkeit ist ganz klar von uns fabriziert, d. h., wir können die Urheberschaft auf keinen anderen abschieben. Sobald wir diesen Punkt zu sehen in der Lage sind, können wir ihn als Hebel für praktische Veränderung nutzen. Er ermöglicht uns, anders zu handeln. In dem Ausmaß, in dem es uns gelingt, unsere Aufmerksamkeitsstruktur und ihre Quelle zu sehen, können wir das System verändern. Doch dafür müssen wir den inneren Ort, von dem aus wir handeln, verändern.
Das Umschmelzen und Umstülpen der Struktur unserer Aufmerksamkeit
Das Wesen von Führung besteht darin, sich dieses blinden Flecks bewusst zu werden und dann den inneren Ort, von dem aus wir handeln, auf individueller ebenso wie auf kollektiver Ebene zu verändern.
Der Boden auf den Feldern meines Vaters reichte von flach bis tief. Entsprechend gibt es auch in unseren sozialen Feldern fundamental unterschiedliche Aufmerksamkeitsschichten (Feldstrukturen), die sich ebenfalls von flach bis tief erstrecken. Die Feldstruktur der Aufmerksamkeit bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Beobachter und Beobachtetem. Sie betrifft die Qualität, mit der wir uns zur Welt in Beziehung setzen. Diese Qualität variiert abhängig von dem Ort oder der Position, von der aus unsere Aufmerksamkeit in die Welt kommt, relativ zu der organisationalen Grenze des Beobachters.
Durch meine Forschung, die zum vorliegenden Buch geführt hat, habe ich vier unterschiedliche Orte oder Positionen gefunden, die jeweils eine andere Qualität oder Feldstruktur der Aufmerksamkeit hervorbringen:
•Ich-in-mir: was ich wahrnehme, ausgehend von meinen üblichen Seh- und Denkgewohnheiten
•Ich-in-es: was ich wahrnehme, wenn meine Sinne und mein Denken weit geöffnet sind und ich neu hinsehe
•Ich-in-dir: auf was ich mich von innen heraus einstimme und was ich wahrnehme, wenn mein Denken und mein Herz weit geöffnet sind
•Ich-in-wir und Ich-in-Gegenwärtigung: was ich erkenne, wenn ich vom Grund dessen, was entstehen will, her sehe, wenn ich meine Aufmerksamkeit mit offenem Fühlen, Denken und Willen zuwende
Die vier Feldstrukturen unterscheiden sich im Hinblick auf den Ort, von dem aus die Aufmerksamkeit (und die Intention) in die Welt kommt: Gewohnheiten, offenes Denken, offenes Fühlen bzw. offener Wille. Jedes Handeln einer Person, einer Leitungskraft, einer Gruppe, einer Organisation oder einer Gemeinschaft kann auf diese vier Weisen hervorgebracht werden.
Um diese Unterscheidung zu verdeutlichen, schauen wir uns das Beispiel »Zuhören« an. In den Jahren meiner Arbeit mit Gruppen und Organisationen habe ich vier Grundtypen des Zuhörens identifiziert:
1) »Ist schon klar, weiß ich schon.«
Der erste Typ des Zuhörens ist das Runterladen: zuhören, indem man die eigenen Denkgewohnheiten wieder bestätigt. Wenn Sie in einer Situation sind, wo alles, was passiert, bestätigt, was Sie eh schon wussten, dann hören Sie im Downloading-Modus zu.
2) »Oh, jetzt sieh dir mal das an!«
Der zweite Typ des Zuhörens ist der des faktenbezogenen oder objektfokussierten Zuhörens: Man hört zu, indem man seine Aufmerksamkeit auf Fakten und auf neue oder unerwartete Daten lenkt. Bei dieser Art des Zuhörens achten Sie auf das, was sich von dem unterscheidet, das Sie bereits wissen. Ihr Zuhören wandert weg davon, der eigenen inneren Stimme des Urteilens zuzuhören, hin zu einem Hören der Fakten, die direkt vor Ihnen stehen. Sie beginnen, wach zu werden gegenüber der sich Ihnen offenbarenden Realität, die sich von Ihrer Vorstellungswelt (Downloading) unterscheidet. Objektfokussiertes oder faktenbezogenes Zuhören ist der Grundmodus guter Wissenschaft. Sie stellen Fragen und beobachten sorgfältig, welche Antworten Ihnen z. B. die Natur gibt.
3) »Oh ja, ich weiß, wie du dich fühlst.«
Die dritte, nochmals tiefere Schicht des Zuhörens ist das empathische Zuhören. Wenn wir uns auf einen wirklichen Dialog einlassen, können wir, sofern wir darauf achten, eine grundlegende Veränderung des Ortes wahrnehmen, von dem aus unser Zuhören stattfindet. Solange wir mit den ersten beiden Typen des Zuhörens arbeiten, kommt das Zuhören von innerhalb der Grenzen unserer eigenen mentalen oder kognitiven Organisation. (Das Zuhören findet dann also von unserem Kopfsystem her statt.) Wenn wir jedoch empathisch zuhören, verschiebt sich unsere Wahrnehmung. Wir verlassen den Modus des Starrens auf eine dinghafte Welt und wechseln in die Innenwelt eines Lebewesens, eines lebenden Systems und dessen Selbst hinein. Um dies zu können, müssen wir ein bestimmtes Instrument aktivieren und stimmen: das Zuhören mit dem Herzen, das heißt die empathische Fähigkeit, sich direkt in einen anderen Menschen oder eine Gruppensituation hineinzuversetzen. Wenn das gelingt, empfinden wir eine tiefe innere Umschichtung, fast so, als ob ein Schalter umgelegt würde; wir vergessen unsere eigenen Vorhaben und beginnen wahrzunehmen, wie sich die Welt aus der Sicht eines anderen entfaltet. In diesem Modus fühlen wir meistens, was die andere Person sagen will, bevor sie es in Worte gefasst hat. Und dann können wir möglicherweise erkennen, ob eine Person das richtige oder das verkehrte Wort für etwas, das sie ausdrücken möchte, gewählt hat. Dieses Urteil ist jedoch nur möglich, wenn wir einen direkten Eindruck haben von dem, was jemand sagen möchte, bevor wir analysieren, was er tatsächlich sagt. Empathisches Zuhören ist eine Fähigkeit, die wie jede andere Fähigkeit im Bereich menschlicher Beziehungen kultivierbar ist und entwickelt werden kann. Es ist eine Kompetenz, die von uns die Aktivierung einer anderen Intelligenz abverlangt – der Intelligenz des Herzens.
4) »Ich kann das, was ich erlebe, nicht in Worte fassen. Mein ganzes Sein hat sich verlangsamt. Ich fühle mich ruhiger, gegenwärtiger und mehr wie ich selbst. Ich bin mit etwas Größerem als mit mir selbst verbunden.«
Das ist die vierte Ebene des Zuhörens. Sie verlagert den Ort des Zuhörens über das derzeitige Feld hinaus und verbindet sich mit einem noch tieferen Bereich der Emergenz. Ich bezeichne diese Ebene des Zuhörens als schöpferisches Zuhören oder Zuhören aus dem entstehenden Zukunftsfeld her. Diese Ebene des Zuhörens erfordert von uns, dass wir einen Zugang finden zu unserem offenen Herzen und zu unserem offenem Willen – also unserer Fähigkeit, uns mit der höchsten Zukunftsmöglichkeit, die entstehen will, zu verbinden. Auf dieser Ebene konzentriert sich unsere Arbeit darauf, das (alte) Selbst loszulassen, um Platz für eine Lichtung zu machen, durch die sich eine andere Zukunftsmöglichkeit vergegenwärtigen kann. Wir suchen nicht mehr nach etwas, das sich außerhalb von uns befindet. Wir sind nicht mehr nur empathisch gegenüber jemandem, der uns jetzt gegenübersitzt. Wir befinden uns in einem veränderten Zustand, bei dem Begriffe wie Verbundenheit oder Gnade in den Sinn kommen, auch wenn sich die Textur dieser Erfahrung nicht wirklich in Worte fassen lässt.
Sie werden bemerkt haben, dass sich diese vierte Ebene des Zuhörens im Hinblick auf ihre Textur und ihre Ergebnisse von den anderen Ebenen unterscheidet. Wenn Ihnen bewusst wird, dass Sie am Ende eines Gesprächs nicht mehr die gleiche Person sind, die das Gespräch begann, dann wissen Sie, dass Sie aus dem vierten Feld heraus zugehört haben. Sie sind durch eine subtile, aber tief greifende Feldveränderung gegangen. Sie haben sich mit der tieferen Quelle ihres entstehenden authentischen Selbst verbunden.