Kitabı oku: «Die Erzählerin von Arden», sayfa 3

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Geheime Pfade

Punkt acht stand Lillian mit klopfendem Herzen am Dienstboteneingang. Der Diener erschien wie vereinbart und wies sie an, ihm zu folgen. Im Gegensatz zu Clark, machte der ältere rundliche Rufus einen vertrauenerweckenden Eindruck.

Er verband ihr die Augen. „Das ist leider notwendig, da du den genauen Weg nicht wissen sollst. Es ist ein geheimer Zugang zu den privaten Gemächern meines Herrn. Diese Maßnahme dient nur zu deinem Schutz.“

Sie liefen durch verschiedene Gänge und kamen bald zu einer Treppe. Diese stiegen sie nach oben und blieben dann stehen. Nachdem Lillian ein Klopfzeichen gehört hatte, vernahm sie Schritte, die sich entfernten und war allein. Sie hörte das Geräusch, einer sich öffnenden Tür und hielt vor Aufregung den Atem an. Eine Hand griff nach ihrem Arm, und zog sie nach vorn.

„Du kannst die Augenbinde jetzt abnehmen“, hörte sie Ravens angenehme Stimme.

Lillian tat was ihr geheißen und bekam einen Schreck: Sie stand mitten in seinem Schlafgemach!

Der Raum wurde von einem riesigen Bett dominiert. Die Wände waren kunstvoll mit Holz vertäfelt, was ihm eine schlichte Eleganz verlieh. Es gab zwei hohe Flügeltüren. Lillian vermutete hinter der einen den Privatsalon und hinter der anderen das Ankleidezimmer des Prinzen. Der geheime Zugang, durch den sie hineingelangt war, musste in der Vertäfelung versteckt sein. Das Mobiliar schien, abgesehen vom Bett, eher praktisch gewählt. Ein Tischchen mit zwei gedrechselten Stühlen und ein edel gepolsterter Zweisitzer waren die einzigen größeren Gegenstände. Raven stand ein paar Meter von ihr entfernt gegen die Wand gelehnt und sie stellte trotz ihrer Angst fest, dass er einer der schönsten Männer war, die sie je gesehen hatte. Doch das hieß noch lange nicht, dass sie mit ihm ...

Er seinerseits musterte sie völlig gelassen aus seinen schönen pechschwarzen Augen. Sie schienen von einem traurigen Schatten überzogen zu sein.

Schließlich löste er sich aus seiner Starre. „Dein Name ist Lillian, nicht wahr?“

Als er auf sie zukam, wich sie automatisch zwei Schritte zurück und spürte plötzlich die Wand im Rücken. Ein spöttischer Zug legte sich um seinen Mund und gab ihm einen leicht arroganten Ausdruck.

„Ich sagte dir doch, es würde dir nichts geschehen. Bei aller Bescheidenheit. Ich habe es nicht nötig, über kleine Küchenmägde herzufallen … im Gegensatz zu anderen.“

Also wusste er davon. Immer noch misstrauisch behielt sie ihn im Auge.

„Versteh mich nicht falsch! Du bist ein hübsches Ding, aber ich bin wählerisch. Sagen wir es mal so: Ein Huhn ist durchaus schmackhaft, aber wenn man seinen Tisch mit Fasanen und Rebhühnern decken kann, wird man doch nicht losgehen, um sich ein kleines Hühnchen zu rupfen.“ Er wandte ihr den Rücken zu, um sich einen Branntwein einzuschenken.

Das war dann doch zu viel für Lillian. Sie ein Hühnchen!? Empörend! „An diesem Hühnchen würdet Ihr Euch gehörig den Magen verderben“, rutschte ihr zornig heraus.

Er hatte sie verstanden und musste lächeln, ließ sie aber nichts davon merken. Gut so! Sie war wütend. Also nicht mehr ängstlich. Er hatte sein Ziel erreicht.

„Was wollt Ihr wirklich von mir?“, fragte sie. „Ich wüsste nicht, wozu Euch ein Hühnchen von Nutzen sein könnte, wenn nicht als Mahlzeit!“

Ihr wurde klar, dass sie mit dem zukünftigen König des Landes so nicht reden durfte und sie presste die Lippen aufeinander.

Raven seinerseits genoss die Szene. Das Mädchen hatte so etwas Ehrliches und Unverdorbenes an sich. Attribute, welche man unter den Höflingen suchen musste. Sie war auf ihre ganz eigene Weise bezaubernd, mit den unschuldigen Augen eines Kindes, das schon vom Leid des Lebens kosten musste. „Ich will, dass du mich regelmäßig hier aufsuchst. Sagen wir dreimal die Woche – bei Sonnenuntergang.“

Lillian öffnete den Mund und wollte etwas erwidern. Mit einer Geste gebot er ihr zu schweigen.

„Lass mich ausreden!“, sagte er etwas barscher als beabsichtigt. „Bitte!“, fügte er schließlich freundlicher hinzu. „Ich wünsche, dass du mir in dieser Zeit die Freude machst, deiner Erzählkunst lauschen zu dürfen.“

Mit wirklich allem hätte Lillian gerechnet, aber dass ein erwachsener Mann - solch ein Mann! - den Wunsch nach „Gutenachtgeschichten“ verspürte – nein, damit nicht!

„Bei allem Respekt, Hoheit, aber ich war der Meinung, dass Ihr andere Ablenkungen vorziehen würdet.“

Offensichtlich war sie zu weit gegangen. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an und die schwarzen Augen wurden zu funkelnder Lava. „Das - geht dich rein gar nichts an!“, wies er sie zurecht. „Entweder du entschließt dich, meine Bedingungen anzunehmen oder ich sage Clark, dass ich mich wohl doch getäuscht und ein anderes Mädchen mit der Reinigung des Leuchters beauftragt hätte. Er wäre sicher froh, dich als Diebin überführen zu dürfen.“

Lillian war ganz elend zumute. „Aber Ihr wisst doch, dass ich nichts stehlen wollte!“

Er zuckte mit den Schultern und grinste provozierend. „Es liegt in deiner Hand.“ Er machte ein paar Schritte auf sie zu. „Du sollst es auch nicht umsonst tun. Wenn du deine Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllst, würde ich mich mit einer angemessenen Summe erkenntlich zeigen. Sagen wir monatlich? Ich erwarte natürlich absolutes Stillschweigen!“ Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er vor ihr. „Und? - Nimmst du an?“

Es entstand eine Pause.

„Entscheide dich! Jetzt!“

Lillian überlegte angestrengt. „Aber was sage ich den anderen, wenn sie fragen wo ich mich abends herumtreibe? Sie werden es bemerken.“

Er zuckte mit den Schultern. „Egal! Lass dir irgendwas einfallen. Schließlich bist du hier die Geschichtenerzählerin! Hauptsache du sagst niemandem die Wahrheit. Aber ich halte dich für klug genug, das zu lassen. Denn solltest du es jemandem erzählen, schadest du nur dir selbst. Niemand würde dir glauben, dass du nur in mein Schlafzimmer kommst, um mir unschuldige Geschichten zu erzählen. Du weißt, was das für deinen Ruf bedeuten würde.“

Bei Gott! Daran hatte sie noch gar nicht gedacht! „Warum tut Ihr mir das an. Selbst wenn ich es geheim halte, was ist, wenn mich jemand hier sieht. Jeder würde mich für eine …, eine ...“ Sie bekam das Wort nicht über die Lippen.

„Genau das! Aber keine Sorge, keiner wird dich sehen. Dafür sorge ich schon. Also?“

Was blieb ihr großartig für eine Wahl. Entweder sie wurde sicher als Diebin gebrandmarkt oder sie ging das Risiko ein, bei Entdeckung für die Geliebte des Prinzen gehalten zu werden.

„Und wie lange muss ich Euch zur Verfügung stehen? Einen Monat oder zwei?“

Er hob die dunklen Brauen. „Das hängt vom Erfolg unseres Experimentes ab. Sagen wir, maximal ein Jahr?“

Lillian riss die Augen auf. Er musste völlig verrückt sein! Aber was blieb ihr übrig? Sie sollte ja nur Geschichten erzählen, was auch immer ihn dazu bewog. Und ein Nebenverdienst war sicher auch nicht zu verachten.

Lillian atmete tief durch. „Gut! Ein Jahr und keinen Tag länger! Ab heute. Und Ihr schwört mir, nichts zu tun, was meiner Ehre schaden könnte.“

Er zögerte, ganz so, als müsse er darüber erst nachdenken. Dann holte er tief Luft und reichte ihr seine Rechte, um den Packt zu besiegeln. Seine Hand fühlte sich kräftig und warm an. Lillian hielt sie länger fest, als nötig gewesen wäre. Als ihr das klar wurde, zuckte sie auffallend schnell zurück. Er bemerkte die Röte auf ihrem Gesicht und unterdrückte ein Lächeln.

„Darf ich mich für heute zurückziehen?“, fragte sie und versuchte ihre Unsicherheit abzuschütteln.

„Ja, du darfst.“ Er nahm das Tuch in die Hand, das ihr vorhin als Augenbinde gedient hatte.

„Du erlaubst?“ Es war mehr ein Befehl als eine Bitte. Er trat hinter sie und verband ihr wieder die Augen. Sie konnte seine Körperwärme spüren, so dicht stand er hinter ihr. Entgegen ihrer Vernunft, empfand sie es als äußerst angenehm.

„Woher wisst Ihr eigentlich, dass ich das kann. Das mit den Geschichten meine ich.“

Er lachte leise. „Ich habe dich gehört. Du bist einzigartig! Und ich glaube, das weißt du auch.“

Daraufhin wurde sie sanft durch die Tür geschoben und auf der anderen Seite in Empfang genommen. Am Dienstboteneingang angekommen, legte sie das Tuch ab und gab es Rufus zurück. Er nickte ihr kurz zu und verschwand.

Als sie in ihrem Zimmer eintraf, saß Helen aufrecht in ihrem Bett.

„Oh mein Gott, Lillian! Ich bin fast gestorben vor Angst! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?“, flüsterte sie.

Lillian lächelte ihr beruhigend zu. „Sei unbesorgt. Mir ist nichts geschehen. Morgen erzähle ich dir alles. Aber zu niemandem ein Wort! Versprich es mir!“

Helen sah sie beleidigt an. „Das brauchst du mir nicht extra zu sagen. So etwas ist für mich selbstverständlich.“

Lillian kniff ihr in den Arm. „Nun sei nicht albern! Es ist eben unheimlich wichtig für mich, dass keiner etwas davon erfährt.“ Sie gab Helen einen Kuss auf die Wange und wünschte ihr eine gute Nacht. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Erst kurz vor Sonnenaufgang schlummerte sie leicht ein.

Zur Mittagspause trafen sich die Mädchen wieder auf ihrer Wiese. Umgeben von duftenden Sommerblumen, die in der leichten Brise schaukelten, erzählte Lillian ihr Abenteuer vom Vortag. Als sie fertig war, schwiegen beide eine Weile und hingen ihren Gedanken nach.

„Was will er damit bezwecken? Wozu nützt ihm die Sache denn?“, fragte Helen.

„Ich weiß es auch nicht. Aber ich werde es herausfinden. Das schwöre ich dir!“

Am Sonntag nach dem Gottesdienst besuchte Lillian, gemeinsam mit Helen, John und Brian, die gute Emma in ihrem gemütlichen Häuschen. Es war einer der wenigen Sonntage, an dem keiner von ihnen im Schloss gebraucht wurde. Emma hatte sie alle zum Mittagessen eingeladen und war glücklich über den vollbesetzten Tisch. Die Kinder waren schon erwachsen und aus dem Haus und ihr Mann war vor vielen Jahren an einer Lungenentzündung gestorben. Auch Brian freute sich, nicht allein hin zu müssen und dann der ganzen Aufmerksamkeit seiner Schwester ausgeliefert zu sein. So konnte er sein Essen genießen, während die anderen sich mit Emma unterhielten. Und die fanden immer genug zu besprechen. Am Abend machten sie sich satt und gut gelaunt auf den Heimweg.

'Morgen!', dachte Lillian später. Ach, es würde schon gut gehen. Sie durfte sich nur nicht zu deutlich machen, wer ihr zuhörte und wo sie sich befand. Dann war es auch nichts Besonderes mehr. Doch das Mädchen versuchte vergeblich, sich zu beruhigen.

Am folgenden Tag, pünktlich bei Sonnenuntergang, war sie zur Stelle und stand kurz darauf im Schlafzimmer des Thronfolgers. 'Denk nicht darüber nach!', sagte sie sich wieder. Er saß auf dem Bett, den Oberkörper gegen das Kopfteil gelehnt. In der Hand hielt er ein Glas Wein.

„Schön, dass du hier bist. Setz dich!“, sagte er und wies ihr mit der Hand freie Platzwahl zu.

Sie nahm sich zwei große Kissen vom Fußende des Bettes und machte es sich auf dem Boden, gleich neben der Geheimtür, bequem.

Er legte den Kopf schief. „Immer bereit zur Flucht, nicht wahr?“

„Wenn Ihr es so sehen wollt!“, antwortete sie spitz.

Er lächelte, wurde dann aber ernst. „Hör zu! Ich will nicht, dass du mich für verrückt hältst. Darum möchte ich dir zunächst etwas erklären.“ Er strich sich nervös das schwarze Haar aus der Stirn. „Oh! Verzeih mir meine Manieren. Möchtest du vielleicht etwas trinken?“ Er wies auf den Weinkrug, der auf dem Fensterbrett stand.

„Wasser vielleicht?“, antwortete sie.

Er zog die Brauen hoch. „Sehr anständig. Da, auf dem Tischchen. Bedien dich, wenn du magst.“

Das tat sie. Dann schaute sie ihn erwartungsvoll an.

„Es ist so: Ich leide seit Jahren an schweren Schlafstörungen. Entweder, ich kann gar nicht erst einschlafen oder ich werde von meinen Albträumen geweckt. Das raubt einem mit der Zeit alle Lebensgeister.“ Er trank einen Schluck aus seinem Glas. „Als ich neulich zufällig einen deiner Vorträge hörte, fühlte ich mich so losgelöst von dem, was mich belastet, dass ich tatsächlich in einen kurzen, traumlosen Schlaf fiel. Und das, ganz ohne vorher das Richtige zu trinken. Du verstehst sicher, was ich meine.“ Zur Veranschaulichung hob er sein Glas. „Nun … ich will versuchen, deine Gabe als eine Art Heilmittel zu nutzen … Das muss reichen!“, brach er ab.

Lillian bekam das Gefühl, dass Raven ihr schon mehr gesagt hatte, als er ursprünglich wollte. „Soll ich beginnen, Hoheit?“, fragte sie knapp, um ein peinliches Schweigen zu verhindern. Er lehnte sich zurück und nickte ihr zu.

Lillian wählte eine sehr fantastische und anspruchsvolle Geschichte aus, um ihn damit möglichst erfolgreich von seinen Problemen abzulenken. Und es war offensichtlich, dass er welche hatte. Sie wollte ihm helfen loszulassen, was immer er loslassen musste.

Es funktionierte. Raven tauchte ganz in ihre Erzählweise ein. Sie sah immer wieder kurz zu ihm hinüber. Zuerst blickte er nur ins Leere. Dann schloss er die Augen und sie konnte an seiner Mimik deutlich erkennen, dass er ganz bei der Sache war. An den abenteuerlichsten Stellen spannten sich seine Gesichtsmuskeln an und wenn Lillian etwas Erheiterndes einflocht, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. So bekam er den Ausdruck eines zufriedenen Jungen, was ihn auf Lillian noch anziehender wirken ließ.

Dann war das Abenteuer vorbei. Sie wartete schweigend, bis er wieder richtig bei sich war. Raven sah sie an und für einen Moment war so etwas wie Verlegenheit in seinem sonst eher selbstsicheren Gesicht zu erkennen. „Du bist eine Zauberin, kleine Lillian. Deine Stimme wird zu Bildern, Gerüchen, Gefühlen ... Man kann deine Geschichten beinahe körperlich wahrnehmen. Du beherrscht sie - die Magie der Worte.“

Sie konnte deutlich sehen, dass ein Teil von ihm noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt war.

Lillian erhob sich und er erkannte ihren Wunsch, jetzt zu gehen. Zu gern hätte er das ignoriert, aber es war wichtig, dass sie sich bei ihm wohl fühlte. Sie musste ihm vertrauen! Und er vertraute ihr! Er kannte sie kaum, spürte aber bei ihr die Art von Sicherheit, die seine kranke Seele so lange vermisst hatte. „Dann sehen wir uns in zwei Tagen.“

Wieder stand er hinter ihr und verband ihr die Augen. Lillian bekam eine Gänsehaut, als sie seinen warmen Atem in ihrem Nacken spürte.

„Gute Nacht, Zauberin“, sagte er leise.

„Gute Nacht, Hoheit“, antwortete Lillian mit belegter Stimme. Sie trat durch die Tür und ihren unsichtbaren Rückweg an.

Raven erwachte zwar wie üblich aus einem Albtraum, aber er stellte zu seiner Zufriedenheit fest, dass die Morgendämmerung bereits eingesetzt hatte. Er erhob sich, spritzte sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht und öffnete das Fenster. Ein Windhauch spielte mit seinem Haar, als wolle er es noch mehr durcheinanderbringen. Der Prinz atmete die frische kalte Morgenluft ein. Er konnte keine Wunder erwarten. Es war ja eh nur ein Versuch. Immerhin hatte er seine Dämonen bis zum Morgengrauen in Schach gehalten. Das war mehr, als er erwarten konnte. Und er fühlte sich relativ ausgeschlafen.

Nach der Morgentoilette beschloss er, das Frühstück gemeinsam mit seinem Vater einzunehmen.

Dieser, ein passionierter Frühaufsteher, blickte geschockt auf, als er seinen Sohn um diese Stunde eintreten sah. „Ist etwas passiert?“, fragte er besorgt.

Raven grinste ihm amüsiert entgegen. „Ja, ich habe Hunger!“

Ungläubig kaute der König einen Bissen herunter.

Raven setzte sich, nahm wie selbstverständlich von den zahlreichen Speisen und verzehrte alles mit ungewohntem Appetit.

König Aron beschloss, die gute Stimmung seines Sohnes zu genießen, ohne Fragen zu stellen. Raven bedankte sich dafür, indem er sich auf ein belangloses Gespräch mit seinem Vater einließ. So wurde dieses Frühstück zur angenehmsten Erfahrung, die sie seit langem miteinander teilten.

Am Abend war Raven wieder allein. Er empfand die Einsamkeit seines Schlafzimmers heute noch erdrückender als sonst. Er öffnete das Fenster, in der Hoffnung Lillians Stimme zu hören. Aber vom Gesindehaus her war nur allgemeines Gerede zu vernehmen. So entschied er sich noch einmal für die altbewährte Variante. Sein treuer Freund, der Branntwein, musste ihm heute wieder Gesellschaft leisten.

Zu dieser Zeit saß Lillian allein mit Helen in ihrem Zimmer. Sie hatten tagsüber keine Gelegenheit gefunden, ungestört miteinander zu sprechen und Helen platzte vor Neugier.

Als Lillian ihren Bericht beendet hatte, sah die Freundin nachdenklich aus. „Er scheint wirklich Probleme zu haben. Ich dachte immer, er ist nur einfach ein verwöhnter Esel ... Aber ob das alles wirklich hilft? Er muss sich seinen Ängsten stellen, was immer es auch ist. So wird er sie nur verdrängen.“

Lillian nickte. „Das hab ich mir auch schon überlegt. Aber es ist viel zu früh, um ihm das zu sagen. Vielleicht wird es dafür auch immer zu früh sein. Ich glaube nämlich nicht, dass er mir je zugesteht, mich so in sein Leben einzumischen. Er ist immerhin der zukünftige König!“

Helen pfiff durch die Zähne. „Ob er sich dafür je eignen wird? König Aron hinterlässt sehr große Fußstapfen. Also ich weiß nicht ...“

Lillian gähnte. „Das werden wir heute sicher nicht mehr herausfinden. Lass uns zu Bett gehen. Ich bin müde.“

Als sie sich hingelegt hatten, setzte sich Helen noch einmal auf. „Mir ist gerade eingefallen, was wir den anderen sagen, wenn sie fragen sollten wo du bist. Wir sagen einfach, dass du dir als Kindermädchen etwas dazuverdienst. Es gibt genug wohlhabende Kaufleute unten in der Stadt, die gelegentlich jemanden brauchen, wenn ihr Mädchen einen freien Tag hat. Das ist auch nicht so leicht nachzuprüfen.“

Plötzlich brach sie in lautes Kichern aus. „Und weißt du was? Es ist nicht mal ganz gelogen, denn irgendwie machst du ja nichts anderes.“

Lillian warf ihr Kissen nach Helen, musste aber selber lachen. Die Idee war gar nicht so übel, stellte sie fest, als sie sich wieder beruhigt hatten. „Gut, so kann es klappen. Aber sag nichts, bevor dich nicht wirklich jemand anspricht. So können wir Zeit gewinnen.“ Sie sagten sich Gute Nacht und schliefen schnell ein.

In den nächsten beiden Wochen verliefen die Treffen zwischen dem Prinzen und der Magd ähnlich wie beim ersten Mal. Raven genoss die Abende mit Lillian und ihren Geschichten. Und wenn er ehrlich zu sich war, hatte es ihm besonders Lillian angetan. Die Tage zwischen ihren Besuchen stand er mal besser und mal schlechter durch. Er versuchte, den Genuss von Alkohol zu meiden. Das hatte zur Folge, dass sich seine feierfreudigen 'Freunde' vernachlässigt fühlten. Und nicht nur diese!

Ester

Ester, die Tochter des Schreibers, lebte schon seit ihrer Geburt mit ihren Eltern in einer behaglichen Wohnung im Nordflügel. Die Bewohner des Schlosses, ausgenommen das Dienstpersonal, durften sich in den offiziellen Räumen frei bewegen. Da war zum Beispiel die riesige Bibliothek mit ihren Schätzen oder der große Salon. Nur die Privatgemächer des Königs und seines Sohnes waren ohne Einladung tabu. Der Prinz hatte sie schon oft zu sich eingeladen und ihr unvergessliche Stunden bereitet. Oder sie ihm ... Doch in letzter Zeit hatte er sich rar gemacht. Man konnte fast annehmen, er würde ihre Gegenwart meiden. Sollte er etwa einer anderen den Vorzug gegeben haben?

Eifersucht kochte in heißen Wellen in ihr hoch. Ester musste daran denken, was sie alles angestellt hatte, um ihn in ihren Bann zu ziehen. Schon als kleines Mädchen beschloss sie, den Prinzen eines Tages zu heiraten. Sie hatte den ganzen Tag geweint, als man ihr klarmachte, dass sie als seine Gemahlin nie in Frage kommen würde. Danach schlug ihre Schwärmerei schnell in eine Art Besessenheit um. Ester war sich schon zeitig ihrer Wirkung auf das andere Geschlecht bewusst geworden. Die lange rote lockige Mähne, katzenartige grüne Augen, weiße samtweiche Haut und ein Körper, der jeden Mann in den Wahnsinn treiben konnte, waren ihr von der Natur als Geschenk mitgegeben worden. Als sie achtzehn war, bemerkte auch ihr Vater dieses Kapital. Und genau das wollte er herausschlagen: Kapital! Sein oberstes Anliegen war es, die Tochter reich zu verheiraten. Die Gefühle des Mädchens waren dabei nebensächlich. Er hatte auch bald den für ihn geeigneten Kandidaten ins Auge gefasst. Lord Aberdeen, ein entfernter Freund der Königsfamilie. Allerdings war der Erwählte schon fast siebzig und litt bereits an dem einen oder anderem Gebrechen. Das war auch kein Wunder, denn seine Freundschaft zur Familie ging schon auf König Arons Vater zurück. Ester musste sich zusammenreißen, nicht die Fassung zu verlieren, als sie ihrem Kavalier vorgestellt wurde.

Von einigen sehr offenherzigen Damen bei Hofe hatte sie schon viel über das gehört, was sich zwischen Mann und Frau im Bett abspielte. Zunächst fand sie diese Erzählungen abstoßend, wurde dann aber doch schnell neugierig. Oft stellte sie sich vor, wie ein gutaussehender, stattlicher Mann all diese Dinge mit ihr tat. Als ihr der Vater eröffnete, dass er den passenden Mann gefunden hatte, hoffte Ester, passend in jeder Hinsicht! … Beim Anblick des Auserwählten wurde ihr jedoch speiübel, sobald sie an ihre ehelichen Pflichten dachte.

Doch ihr Vater wies alle Einwände von sich. „Liebe ist unwichtig für eine gute Ehe. Frag deine Mutter! Wir führen eine gute Ehe, auch ohne diesen Unsinn.“

Seine Frau stimmte ihm zwar zu, doch ihre Augen sagten etwas anderes.

„Wenn du Glück hast, wirst du beizeiten Witwe und mit einem solchen Erbe in der Tasche, kannst du dir aussuchen, wen du willst!“

Damit war das Thema erledigt. Die Hochzeit sollte in einem halben Jahr stattfinden und Ester konnte nur noch hoffen, dass der alte Lord die Verlobungszeit nicht überleben würde.

Völlig verstört weinte sie sich bei der um ein paar Jahre älteren Serafina aus. Serafinas Vater war der Oberbefehlshaber des königlichen Heeres und mit den Offizieren sehr gut bekannt. Darunter waren auch einige der Freunde des Prinzen. Ester bewunderte Serafina über alles. Sie tat wonach ihr der Sinn stand - heimlich natürlich - aber trotzdem! Von ihr erfuhr sie immer den neuesten Hofklatsch und schätzte deren unverblümte Meinung. Nun gab ihr die wesentlich erfahrenere Freundin einen Rat. „Hör zu, Liebes! Du willst deine Jungfräulichkeit doch nicht an diesen alten Kerl verschwenden. Ich habe sowieso meine Fragen, ob er noch seinen Mann stehen kann, aber egal. Wer hindert dich daran, deine erste Liebesnacht mit einem erfahrenen jungen Mann zu verbringen? Schließlich sollte diese doch etwas ganz Besonderes sein.“

Ester schnappte zunächst nach Luft, fand den Gedanken aber dann doch sehr verlockend. „Aber … mein Gatte würde doch bemerken, dass ich nicht mehr unversehrt bin.“

Serafina lachte amüsiert auf. „Unsinn, du Dummerchen! Da gibt es einen uralten Trick. Du musst dir in der Hochzeitsnacht nur eine Hühnerblase mit Blut in deine kleine Höhle schieben und schon ist die Welt für den Guten in Ordnung. Er bringt dann mit seiner Lanze die Blase zum Platzen und schon sind die nötigen Unschuldsbeweise auf dem Laken. Ganz einfach, aber es funktioniert doch immer wieder. Männer wollen belogen werden. Sie stoßen sich vor der Ehe die Hörner ab und fordern von uns Keuschheit. Denk darüber nach! Ich hätte da auch schon den passenden Mann für dich. Ein wahrer Künstler im Bett und aufgrund seiner Stellung sehr verschwiegen, wenn er eine echte Dame beglückt hat. Er weiß was ihm blühen würde, wenn er schwatzt. Du kennst Clark, den gutaussehenden Kammerdiener des Königs? Ein wahrer Gott der Verführung. Er könnte dir alles beibringen, was du wissen musst, um die Männer von dir abhängig zu machen. Und ich verspreche dir: Auch du würdest dabei auf deine Kosten kommen.“

Ester hatte den attraktiven Mann vor Augen. Ja, bei ihm könnte sie sich eine Schulung in Liebesdingen vorstellen. Da kam ihr die Idee, wie sie Raven endlich auf sich aufmerksam machen konnte. Bisher schien er sie kaum zu bemerken. Sie nahm sich vor, das zu ändern, indem sie alles über die Kunst der Verführung erlernen würde. Ester wollte ihm so den Kopf verdrehen, dass er am Ende um ihre Gunst betteln würde.

Die gute Serafina machte sich schnell ans Werk und bald stand der Termin für Esters erste Liebesnacht fest.

Unter dem Vorwand, sie würde den Abend mit Serafina in deren Gemächern verbringen, verließ Ester die elterliche Wohnung. Die Freundin hatte für dieses Vorhaben eigens ihr Schlafzimmer zur Verfügung gestellt, inklusive einer verführerisch durchscheinenden Nachtrobe.

Der Raum war sehr aufwändig möbliert. Wände, Teppiche und Sitzmöbel leuchteten in einem edlen Rot aus Samt und Seide. Ein mit Tüll verhangenes Himmelbett thronte auf einem niedrigen Podest. Überall standen Kerzen und erzeugten eine sinnliche Atmosphäre. Auf einem Tischchen mit zwei zierlichen Stühlen daran, standen eine Karaffe besten Weines und zwei Gläser. Ester nahm dankbar ein Glas, füllte es bis zum Rand und leerte es ebenso schnell wieder. Gerade als sie es erneut füllen wollte, trat der Erwartete ein. Er verneigte sich in aller Form vor ihr und sah sie dann aufmerksam und wohlwollend an.

„Verehrtes Fräulein, es ist mir eine große Ehre, Euch zu Diensten sein zu dürfen.“

Sie stand mit weit aufgerissenen Augen da und wusste nicht, was sie sagen sollte.

Er bemerkte ihre Situation, trat auf sie zu und küsste ihre Hand.

Ester wurde schwindlig. Für einen Moment überlegte sie, einfach davonzulaufen.

Er schien das zu spüren. „Mein edles Fräulein, wenn ihr gestattet? In Anbetracht der Umstände halte ich es für das Beste, wenn Ihr mir die Führung während dieses Abends überlasst.“

Erleichtert stimmte sie diesem Vorschlag zu. Zunächst führte Clark sie an das Tischchen und schob ihr einen Stuhl zurecht. Dann füllte er die Gläser und nahm ihr gegenüber Platz. Er sah sehr gut aus und schien sich dessen auch bewusst zu sein. Es hatte so eine selbstverliebte Art, wie er sich sein blondes Haar aus dem Gesicht strich. „Darf ich bemerken, wie außerordentlich verführerisch Ihr heute ausseht?“ Er sah sie anerkennend an.

Sie schluckte verlegen. „Danke!“

Als sie nach ein paar Minuten allgemeinen Geplauders und ein paar weiteren Gläsern eine gewisse Lockerheit erlangt hatten, fragte er unverblümt: „Wollen wir uns nun dem angenehmsten Teil des Abends widmen?“

Sie nickte und er zog sie an der Hand von ihrem Stuhl hoch. Dann trat er an sie heran und küsste sie. Erst ganz langsam, aber dann drängender. Sie ließ sich innerlich fallen und wollte das Kommende nur noch genießen. Plötzlich nahm er sie auf die Arme und trug sie zum Bett.

Er musste seine Erregung zügeln, sonst würde es seinem Ruf unter den Damen schaden. Es hatten schon viele Frauen bei ihm gelegen, aber eine derart sinnliche, die obendrein noch Jungfrau war, bekam manch König nicht in sein Bett. Ja, er würde seine Sache zu ihrer Zufriedenheit erledigen und wenn es dann daran ging, ihr die nötigen Liebestricks beizubringen, würde er seine Gegenleistung schon bekommen. Daran durfte er jetzt allerdings nicht denken, sonst wäre es mit seiner Ausdauer rasch vorbei. Also konzentrierte er sich ganz auf seine heutige Aufgabe. Er schob ihr das Nachtgewand Stück für Stück nach oben und küsste jede freie Stelle, die sich ihm bot. Es war wichtig, sie besonders zu erregen, damit der Akt der Entjungferung ihr nicht die Lust zerstörte. Als er an ihrem Schoß angekommen war, ließ er sie sein ganzes Können spüren. Als er annahm, dass sie erregt genug war wanderte seine Zunge nach oben, bis er an ihren Brüsten neue Wunder vollbrachte. Dann war es so weit.

„Seid ihr bereit?“, fragte Clark, obwohl er die Antwort schon zu kennen glaubte.

„Ja!“, schrie sie beinahe. Dann verschaffte er sich Zugang zu ihrer Jungfräulichkeit und im nächsten Moment existierte diese nicht mehr. Sie stöhnte kurz vor Schmerz auf, doch als er sich langsam in ihr bewegte, gewann sie ihre Lust bald zurück. Dabei kam auch er noch zu seinem vollen Vergnügen. Er bemerkte schnell, dass es die kleine Katze etwas wilder mochte und für das Liebesspiel wie geschaffen schien.

Ester genoss diese Stunden in vollen Zügen und wusste bald, dass die körperliche Liebe zu ihren natürlichen Begabungen und Bedürfnissen gehörte. Sie traf sich so oft wie möglich mit Clark und er lehrte sie Sachen, die sie sich früher nicht einmal vorzustellen gewagt hätte. Bald übernahm sie die Führung und er kam jedes Mal voll auf seine Kosten.

Manchmal lagen sie beide danach noch zusammen und redeten über alles Mögliche. So wurden sie bald zu Verbündeten in vielerlei Hinsicht. Beide hegten keinerlei sentimentale Gefühle füreinander, aber Clark war süchtig nach ihrem Körper und sie machte sich neben seinem Talent noch etwas anderes zu Nutze: Sein Wissen um die Ereignisse in den königlichen Privatgemächern. Eines Tages erzählte ihm Ester von ihren Plänen in Bezug auf den Prinzen. Er wollte ihr Zugang zu einer von Ravens gemischten Gesellschaften verschaffen, indem er sie einem der regelmäßigen Gäste als Begleitung empfahl.

Alles lief wie erwartet und er fand schnell einen bereitwilligen Herrn für die sinnliche Schönheit.

Dann kam ihr großer Abend. Sie gab sich besondere Mühe bei den Vorbereitungen. Ein smaragdgrünes, tief ausgeschnittenes Kleid, mit einem straff sitzenden Mieder unterstrich die Farbe ihrer Augen und hob die weiblichen Rundungen ihres Körpers besonders hervor.

Als Ester an der Seite eines schnittigen jungen Offiziers, namens Patrik de Goor, den Salon des Prinzen betrat, spürte sie alle Blicke auf sich. Das gab ihr den nötigen Mut, um den Plan, welchen sie sich für heute ausgedacht hatte, in die Tat umzusetzen. Sie mischte sich unter die bunte Gesellschaft, die größtenteils mit Spielen, Flirten und Trinken beschäftigt war. Mit den Augen suchte sie den Raum ab - und sah ihn. Raven saß in einer Ecke. Er beobachtete das Treiben um sich herum mit einem lustlosen Gesichtsausdruck. Er hatte den typischen Blick eines angetrunkenen Mannes. Doch selbst das schien seiner anziehenden Wirkung keinen Abbruch zu tun. Ester weidete sich an seinem Anblick. Das dunkle lange Haar, die tiefschwarzen Augen, das markante Kinn und nicht zuletzt sein Körper, kräftig und sehnig, wie der eines Panthers. Als die ersten Gäste gingen und sie sich unbeobachtet fühlte, schlüpfte Ester durch die Schlafzimmertür. Es wäre doch ein Wunder, wenn der Prinz ihrer Überraschung widerstehen könnte …