Kitabı oku: «LEBENSAUTOBAHN», sayfa 5
Die Zeit, die jetzt folgte, wünsche ich niemandem auf dieser Welt. Außer seiner Frau und, was sich Jahre später herausstellen wird, seinen Kindern. Es war eine seelische Tortur vom feinsten, eine Art Folter. Tagein, tagaus gute Miene zum hässlichen Spiel. Innere Stärke zeigen. Seit der Zeit verging kein Freitag, an dem ich mich nicht zu meiner damals besten Freundin, Helga, abseilte. Heute ist mir im Rückblick erstmalig bewusst, wie es ist, wenn einer permanent nach einer Antwort sucht, aber keine bekommt. Das ist einer unheimlichen, inneren Leere gleichzusetzen. Nichts hilft, weil nur derjenige die Auflösung der Frage kennt, der weinend weggefahren ist. Thomas! Es war ein seelischer Rundlauf, wie der Hund, der vergeblich versucht, seinen Schwanz zu erwischen. Alles drehte sich im Kreis. Ich drehte mich im Kreis. Meine Fragen- Antwortspiele drehten sich im Kreis. Die Leere und der Schmerz blieben aber in mir gefangen. Egal, was ich versuchte. Weinen, schreien, schweigen, reden. Ich nahm für mich folgenden Vorsatz in Anspruch: „Ich werde und erlaube es mir nicht, ihn zu vergessen. Er allein kannte diese gottverdammte Antwort nach dem Warum! Thomas war mein Herz und meine Seele. Ich war sein Herz und seine Seele. Es ist grausam. Ein Trost hatte die jetzige Situation: Er war Angestellter in unserer Firma. Er fuhr jeden Morgen auf den Parkplatz und wir arbeiteten gemeinsam. Die Gefühlswallungen aus Trauer, Wut, Enttäuschung, Schmerz und Leere beherrschten aber weiterhin meine Seele und das kam praktisch jeden Tag anders zum Ausdruck. Mal hatte ich depressive Stimmung, am nächsten Tag war ich übermotiviert. Die antrainierte „Scheiß-Egal-Einstellung“ funktionierte leider nicht täglich. Leichte Fortschritte waren mit jeder neuen Woche zu erkennen. Thomas war acht Stunden am Tag in meiner Nähe, das heilte die erste tiefe Trauer. Manchmal.
Mein Geburtstag stand bevor und den hatten wir mitsamt Helga vor, in Paris, der Stadt der Liebe zu verbringen. Gebucht hatten wir im Juni, weit vor seinem ach so liebevollen Inselurlaub mit Gattin und dem großen, verlogenen Abschied. Was war das jetzt für eine Geburtstagsreise? Paris, Stadt der Liebe. Wie passend! Abhilfe schaffte die meine Freundin, Seelsorgerin und Therapeutin Helga. Sie war in der „Depressionszeit“ die mentale, seelische Unterstützung. Ohne Sie war es mir nicht möglich, unbeschadet aus der Lage heraus zu kommen. Helga stornierte kurzerhand seinen Part, denn Thomas hatte, wie wir, den Obolus für diesen Wochenendtrip schon geleistet. Das war zum jetzigen Zeitpunkt für uns möglich. Helga bekam seinen kompletten Anteil zurückerstattet. „Taschengeld gesichert“, sagte sie an einem Mädels-Abend und legte mir die Summe auf den Tisch. „Das ist nicht fair ihm gegenüber! Sorry, bitte nicht!“ Erwiderte ich. „Das ist sein Geld. Das gehört mir nicht. Das ist nicht meine Art. Egal, was zwischen uns war, oder ist.“ „Schau dich bitte einmal an. Und ob ich das kann“, gab Helga zur Antwort. Ich traute meinen Ohren nicht. Was hatte sie denn für Gedanken? Ich redete mit Engelszungen auf sie ein und versuchte, sie zu überzeugen. Vergebens. Helga steckte das Geld ein und gab ihm einen Namen: „Schmerzens-Taschengeld Paris!“ „Er ist es selbst schuld, der junge Mann“, sagte sie, „wenn er das mit einer Lebenslüge verstößt, was er bedingungslos liebt. Das ist Masochismus. Ich entziehe meiner Seele die Nahrung, die sie am Leben hält! Das ist Irrsinn, nur der Kinder wegen! Ihretwegen ist das nicht, dafür hatte er uns zu viel Intimes erzählt!“ Helga hatte genug Ahnung, worüber sie redete, da sie mit ihren Sprösslingen ebenfalls vor geraumer Zeit ihren Mann verlassen hatte, der sie betrog. Ihre Kinder sind anständig erzogen und sie bringt diese Kinderschar alleine durch. Von ihr habe ich die Weisheit, dass es psychologisch für Kinder besser ist, wenn Eltern sich einvernehmlich trennen, solange sie klein sind. Hut ab vor solchen Frauen! Mir fehlten die Argumente. Ups, ich hatte ein schreckliches Gewissen. Wieso? Meine Seele war malträtiert. Unter Umständen werde ich nie mehr einem männlichen Exemplar vertrauen, gar einen Mann von Herzen lieben. Lieben heißt Vertrauen schenken! Ob mir das eines Tages möglich sein wird, zweifelte ich derzeit an. Mir war nicht geheuer bei dem Entschluss, den Helga mit dem Taschengeld getroffen hatte. Andererseits sprach er im Betrieb nicht über seine Paris-Kostennote. Er verlangte sie nicht von mir zurück. Das Geld hatte er garantiert nicht vergessen. Ist er zu feige, mich zu fragen? Helga unterbreitete aber einen plausiblen, leicht versöhnlichen Kompromissvorschlag, um mein nicht so rosiges Gewissen zu beruhigen: „Fragt er dich nicht bis zum Abfahrtstag, dann ist das Taschengeld“. Ich hatte kein angenehmes Gefühl bei der Sache, gab aber letzten Endes nach und willigte ein. Geschlagene acht Stunden am Tag war es mir nicht so elend, wie ich befürchtete. In der Zeit von montags bis freitags war es zufriedenstellend mit mir und meinem Seelenkostüm, falls man hierfür Noten zu vergeben hätte. Solange Thomas im Hause, seine Stimme am Telefon war und ich ihn mir von der Küche aus, dank seines Parfüms, erschnüffelte, war meine kleine Welt in bester Ordnung. Nur die Abende zogen mich in ein tiefes Liebesloch. In den Stunden war ich mit der aufgewühlten Gefühlswelt einsam auf der Couch. Den bevorstehenden Geburtstag an einem der kommenden Montage, habe ich nicht groß gefeiert. Der Grund fehlte, Thomas. Hatte nur Kuchen und Konfekt für alle in der Firma spendiert. Am Nachmittag des Festtages, man höre und staune, kam Thomas und gratulierte. Die Büroglastüre öffnete sich, mit dem für Glastüren typisch knarrendem Geräusch. Er kam mit seinem berühmten Lächeln auf mich zu. „Heute ist ja ein Geburtstagskind im Hause. Gratuliere dir von Herzen“, sagte er und reichte mir die Hand. „Danke dir. Wäre echt nicht nötig gewesen“, erwiderte ich. Meine Stimmung ihm gegenüber blieb nicht verborgen. Der Kuchen steht in der Küche. Kaffee weißt du ja, wo du findest. Werde dann mal wieder was arbeiten.“ Im Anschluss an meine knappe Ansprache drehte ich mich um und arbeitete weiter. Thomas verließ wortlos das Büro. Dieser Tag war mit oder ohne seine Gratulation schon traurig genug. Am Freitagabend in der Woche hatte ich meine Mädels eingeladen. Geburtstage ohne sie, waren verlorene Jahrestage. Mädels Abend, mit Sekt, Süßem und Salat. Ein absolutes Must have. Es wurde gebührend gefeiert. Ich ertränkte die Trauer, den Verlust der Liebe, in Alkohol. Diese Nacht wurde äußerst lang. Mehr getrunken, anstatt Nahrung für eine solide Grundlage aufzunehmen. Angeheitert heulte ich mich in den Schlaf. Der Kopf rächte sich am nächsten Tag. Dementsprechendes Aussehen entdeckte ich beim Blick in den Spiegel. Shit Happens. Gott sei Dank, dass es ein Samstag war. Kaffee trinkend schleppte ich mich auf das Sofa und war glücklich, dass alle ausgeflogen waren. Ruhe im ganzen Haus. Mit Gedanken bei Thomas wurde mir urplötzlich bewusst, dass der kommende Freitag der Geburtstagstrip nach Paris sein würde. Das war sein eigentliches Geschenk vor dem freien Fall, seiner großen Lebenslüge. Mit der Liebe seines Lebens in Paris. Aus. Vorbei. Traurig, aber wahr. Einige Jahre später habe ich dann von Thomas selbst erfahren, dass er im gleichen Jahr, schon im Frühjahr, mit seiner „Holden“ einen Trip in die Stadt der Liebe unternommen hatte. Klasse nicht? Im selben Jahr mit unterschiedlichen Frauen nach Paris. Welchen Sinn ergab das denn? Testete er aus, welches Gefühl in Paris bei welcher Frau stärker sein würde? Wie irre abgefahren war der Gedanke? Gott sei Dank, dass ich das erst später erfahren habe. Grundsätzlich lehnte ich Orte ab, die er mit seiner Holden schon im Urlaub besucht hatte. Wenigstens vorerst. Ab dem darauffolgenden Montag zählte ich die Stunden, die dahin krochen. Thomas hatte ab heute noch exakt vier Arbeitstage Zeit, seine Kostennote zurückzufordern. Ich stand in der Küche auf der oberen Etage, eine Tasse Kaffee ziehend. Thomas kam auf mich zu. „Bald geht´s los, nicht,“ sagte er. „Was meinst du?“ „Na, die Reise nach Paris. Wen nimmst du denn mit?“ Fragte er weiter, während er hastig in seinem Kaffee rührend, neben mir stand. Thomas roch so verführerisch. Ich schloss für einen kleinen Moment meine Augen und war wieder, angeregt durch den betörenden Geruch von Parfüm auf seiner Haut, mit ihm im Liebesspiel des Sommers. Der Kloß im Hals bei den Erinnerungen im Kopf wurde größer. Ich öffnete die Augen wieder und antwortete nach tiefem Luftholen: „Wen nimmst du mit? Was ist das denn für eine Frage? Gar keinen. Wir fahren zu zweit, alleine. Du hättest garantiert schon Ersatz für mich, stimmt´s?“ Dann nahm ich die Kaffeetasse, drehte mich um und ließ ihn prompt stehen. Was bildet dieser Blödmann sich eigentlich ein? Für die Liebe des Lebens gibt es keinen Ersatz. Gerechnet habe ich damit, dass er im Anschluss in mein Büro kommt und um Stornierung seiner Reise bittet. Aber nichts dergleichen passierte. Überlegte er es sich doch oder war er generell zu feige, zu fragen? Ich tippe auf Letzteres. Bei dem holden Weib zu Hause und seinem lieben Bärengemüt war das die einzig logische Erklärung. Madame hatte ihn für mein Dafürhalten voll im Griff. Er traute sich absolut nicht wieder zu fragen und das war angenehm. Die letzten vier Tage bis zur Reise vergingen im gleichen Trott. Aufstehen, Büroalltag, die Liebe ignorieren, Feierabend zu Hause und der malträtierten Seele eine Leiter in die Grube stellen. Thomas fragte nicht mehr. Hurra, Freitag. Endlich weg. Die Reisetasche war von mir zu Wochenbeginn schon gepackt worden. Der Zug fuhr vom Hauptbahnhof um 09:00 Uhr ab. Drei Stunden Zugfahrt und der Eiffelturm würde mich anlächeln. Am Morgen hatte ich kurz überlegt, was man denn so in Paris, der Stadt der Mode, trägt. Die Gedanken, beim Anblick des vollen Kleiderschranks, waren bei Thomas. Wie von Geisterhand griff meine Hand nach den Sachen, die er an mir immer so liebte: Die engen Bluejeans, das bordeaux farbene Seidenshirt und die transparente, mit Rosen bestickte, ärmellose Weste. Genau das Outfit unseres Candle-Light-Dinners. Bis auf die engen Jeans. „Na,“ sagte ich, „dann nehme ich den lieben Thomas eben auf meine eigene Art und Weise mit nach Paris.“ Das hilft ein bisschen. Wie automatisch sog ich den Duft der Sachen auf, in die ich später hineinschlüpfte. „Thomas“, sagte ich laut, „du kommst ja doch mit.“ Das Beste aber war, das Helga, die Seelenklempnerin, mit auf diesen Trip fuhr und dank ihr, hatte ich Ablenkung pur. Sie hatte mich im Zug dermaßen beschäftigt, dass ich bis Paris am Gard du Nord, kaum den Mann vermisste, der an der Reise schuld war. In Schale geworfen und mit nagelneuen Schuhen an den Füßen, was ich am Abend des ersten Tages bereute, stiegen wir aus dem Thalys und standen mitten in Paris. Ich war hin und weg. Die Stadt der Liebe, und das mit einer Frau! Wie romantisch. Nur nicht meckern. Ich war hier und das zählte. Die Reise war ihr Geld wert. Die Taschen auf unsere Schultern geworfen, trabten wir, mit Stadtplan bewaffnet, in Richtung der gebuchten Unterkunft. Die lag in einer engen Gasse, unweit des Gard du Nord. So viele kleine Hotels und schmale Seitenstraßen hatte ich bis dato in keiner anderen Stadt gesehen und ich war so glücklich, Helga nebst ihren Französischkenntnissen an meiner Seite zu wissen. Nicht, dass ich der französischen Sprache nicht mächtig war, aber so fließend eben nicht mehr, denn die Anwendung war bei mir eine ganze Weile her. Dank ihr fanden wir das Hotel ziemlich zügig. Nur kurz erfrischen und auf zur Erkundung der schönsten Stadt der Welt. Zu Fuß sei dies in aller Eindringlichkeit gesagt. Ich bekräftige: In nagelneuen Schuhen! Ich sage nur: Wer es braucht! Meine Wenigkeit nie wieder. Pfeift auf das Aussehen ihr lieben Frauen. Auf einem solchen Trip ist die Hauptsache, dass Schuhe bequem sind. Die Rache meiner Füße folgte am späten Abend, nach Rückkehr ins Hotel. Unser Fußmarsch, ab der Mittagszeit, führte über viele romantische Seitenstraßen, vorbei am Place de la Concorde, wo ein Riesenrad den Nebenplatz zierte. Wir kauften uns ein Ticket und verschafften uns mit der Riesenradfahrt einen ersten Rundumeindruck bei strahlendem Sonnenschein, bevor uns die Wanderung zur Champs Elysee weiterführte. Ein älteres, französisches Ehepaar saß uns in der Gondel genau gegenüber und erklärte aus freien Stücken, was alles in der Umgebung zu bestaunen war. Offenkundig sah man uns an, dass wir Touristen waren. Aus der Höhe erblickten wir sogar die Kioske, die überall gesäumt am Straßenrand der tollsten Prachtstraße, der Champs Élysée, in Paris standen. Kleine Buden mit leckerem Stangenbrot, französischem Käse und gekühlten, erfrischenden Getränken. Wieder am Boden verabschiedeten wir uns von dem ausgesprochen netten Ehepaar und bedankten uns für das ausführliche Gespräch inklusive dem kostenlosen Reiseführerbeitrag. Wir wurden leicht hungrig, nach dem ersten längeren Fußmarsch, setzten uns eine Weile essend und trinkend auf einer Parkbank am Fuße der Prachtallee, und schauten dabei hinauf zum nächsten Ziel: dem Triumphbogen. Käse und Brot schmeckten köstlich. Das kühle Getränk wirkte Wunder. Gestärkt und mit neuem Schwung trabten wir die berühmteste aller Straßen von Paris hinauf. Oh Mann war die lang. Die Vielzahl der Geschäfte, die sich aneinanderreihten, die Menschenmenge Einheimischer und der Touristen, sowie unzählige Restaurants übersteigen so manche Vorstellungskraft. Welch ein reges Treiben herrschte in der Stadt. Was für faszinierende Eindrücke uns Kleinstädter in Erinnerung bleiben werden. Wir sogen alles in uns auf und inhalierten absolut jede Kleinigkeit. Wir vergaßen, vor lauter Freude und Aufregung, zu fotografieren, uns diese Faszination in Bildern festzuhalten. Das ist uns leider zu später aufgefallen. Ein riesiger, über zwei Etagen sich erstreckender Douglas Parfümerie Shop, auf halber Strecke zum Triumphbogen gelegen, hatte geöffnet. Passanten strömten hinein. Bei jedem Öffnen der Eingangstüre schwebte eine Parfümwolke hinaus auf die Champs Élysée, direkt in unsere Nasen. Wir blieben stehen und versuchten, aus der Wolke zu erschnüffeln, welches Parfüm sich mit anderen gepaart hatte. Gucci mit Boss, oder Dior mit Armani? Es war ein leicht herber Duft, mit einer pudrig blumigen Note. Verführerisch. Wir schlenderten weiter, aber der am Ende der Straße monströs wirkende L`Arc de Triumph kam und kam nicht näher. Ich und meine Füße hielten tapfer durch. Aber die neuen Schuhe hatten partout kein Erbarmen. Sie brachten sich ab und an immer wieder in Erinnerung. Meine gequälten Füße! Aber wer schön sein will, muss eben leiden! Endlich, wir waren angekommen und standen neben dem berühmten Triumph-Bogen, auf dem Place Etoile. Im Hinterkopf hatte ich eine Bemerkung meiner Schwester präsent, die mir einmal beiläufig erzählte, dass es in dem Monument einen Aufzug gibt. Diese erfreuliche Nachricht gab ich sofort an Helga weiter. Sie fragte den Kontrolleur beim Einlass, denn ohne Ticket keine Aussicht. Der gab ihr aber zu verstehen: „Leider gibt es hier nur Treppen“. Vielen Dank, liebe Schwester! In meiner Erinnerung waren es satte 296 Stück, ohne sie exakt gezählt zu haben. 296 Stufentritte hinauf und das nach dem ersten Marathonfußmarsch in neuen Schuhen. Dann mal los. Beim Aufstieg der schmalen Stufen hinauf bis zur Plattform meldeten sich die Füße öfter und der erste Gedanke bei jedem Tritt war: „Wieso trage ich nicht meine bequemen Turnschuhe? Ach ja. Frauen sehen glänzend aus in der Stadt der Mode. Du bist aber keine Dame aus Paris. Du wirst garantiert nicht entdeckt. Alternde Models braucht hier niemand. Wen würdest du gerne beeindrucken? Thomas ist nicht hier. Na ja, die Eitelkeit lässt eben grüßen. Die Füße bestrafen sofort.“ Durchtrainiert war der Aufstieg erstaunlich schnell geschafft, bis auf die letzten Tritte. Endlich oben. Kurze Verschnaufpause. Zuerst einmal hinsetzen und dann an den Rand zum Ausblick vom Plateau. Die Aussicht bei strahlendem Sonnenschein war gigantisch und der Place Etoile hat nicht umsonst seinen Namen. Alle mehrspurigen Straßen rund um den Triumphbogen laufen sternförmig zueinander oder je nach Betrachtung, voneinander weg. Irre anzuschauen, faszinierend. Es herrschte in meinen Augen ein Verkehrschaos, da eine Verkehrsregelung, so wie wir sie in Deutschland kennen, nicht sichtbar war. Die Champs Élysée lag uns mit ihren Menschenmassen förmlich in ihrer gesamten Länge zu Füßen. Rechts von ihr entdeckten wir das obere Drittel des Eiffelturms. Er stand fast in greifbarer Nähe. Soweit entfernt war das gar nicht, so mein Eindruck. Den Weg schaffen wir locker. Unser spontaner Entschluss war daher: Den Eifelturm sehen wir uns heute an. Es war nicht spät, der Tag halbwegs jung und der Eisengigant direkt um die Ecke. Leider täuschten uns die Sinne und wir wurden eines Besseren belehrt. Mit raschen Schritten stiegen wir die 296 Stufen wieder hinunter auf die Straße und zogen los, gen Eiffelturm. Luftlinie ist aber nicht gleich Bodenlinie. Die Erkenntnis holte uns auf dem Weg dorthin. Ähnlich eines Gummibandes zog sich der ganze Weg bis zum Weltkulturerbe aus dem Jahr 1889, was meinen Füßen erneut nicht entgegenkam. Neue Schuhe, wie erwähnt! Das von Gustave Eiffel unter der Rubrik Utopie aus damals hundert Projekten ausgewählte, in ca. 2 ¼ Jahren erbaute, 312 m hohe Prachtexemplar stand erhebend vor uns auf einem langgezogenen, parkähnlichen Rasenstück. Insgesamt wurden 10.100 Tonnen Eisen und 2,5 Millionen Nieten verbaut. Er war für eine Standzeit von 20 Jahren geplant. Bis heute sind es 130 Jahre Lebenszeit. Faszinierend, wie lange eine solche Menge an Eisen und Nieten schon Wind und Wetter trotzte. Jetzt strahlte er uns in seiner kompletten Schönheit an, und schlagartig war sie da, die Sehnsucht nach Thomas, der Liebe meines Lebens. Die Erinnerungen ergriffen das Gemüt, die Seele und das Herz. Der Kloß im Hals wuchs und ich weinte kurz, völlig in Gedanken versunken an ihn. Nach einer Weile hörte ich, dass jemand mit mir sprach. Es war Helga, die mich aus meiner Lethargie holte. Ich wischte mir die Tränen fort und war wieder bei ihr im Hier und Jetzt. „Los, lass uns wie die Liebenden den Blick von der obersten Plattform über Paris genießen“, sagte Helga und zog mich gen Eingang. Dort angekommen, wurde aus der kleinen Schlange der Ferne eine riesige Menschenmenge, die sich hier drängelte, nur um den heißbegehrten Ausblick auf Paris zu erhaschen. Der Aufzug fuhr zwar 2 m pro Sekunde, andererseits war uns die lange Wartezeit hier zu kostbar. „Eines schönen Tages werde ich diesen Blick über Paris mit einem mich liebenden Mann erleben! Den hebe ich mir auf und wer weiß, wer der Glückliche sein wird.“ Sagte ich zu Helga. Das Herz sprach in diesem Moment von Thomas! Bevor ich in meine tiefsten Wünsche eintauchte, stupste sie mich an und sagte: „Lass uns los. Der Hunger ruft Nahrungsaufnahme.“ Sie grinste dabei und wir schlenderten weg vom Eingang, über die nach frisch gemähtem Gras duftende Rasenfläche hinaus auf die Straße. Wir begaben uns stattdessen auf den Heimweg ins Hotel. Helga redete fast ununterbrochen. Das lenkte mich enorm ab. Der Rückmarsch an dem Abend zur Unterkunft war nicht wesentlich kürzer, trotz einer Fahrt mit der U-Bahn. Meine Füße schmerzten nicht mehr, im Gegenteil, ich merkte sie kaum. Das war garantiert das Zeichen unmittelbar vor dem Absterben. Wenn mir das jemand erzählt hätte, ich hätte es für bare Münze genommen. In Sichtweite entdeckten wir unser kleines Hotel. Ein Speiselokal, das gemütlich aussah, preislich in das Budget passte, lag ein paar Meter vor dem Absteigequartier. Es lachte uns an und so kehrten wir ein – der HUNGER! Spaghetti in Paris schmecken doppelt so gut, wenn man ausgehungert ist. Der Wein fehlte ebenfalls nicht zum typisch italienischen Essen. Der war im Gegensatz zur Speisenwahl, ein fruchtiger französischer Rotwein. Mittlerweile merkte ich die Füße gar nicht mehr. Ich schob es auf den Alkohol. Sattgegessen und getrunken rollten wir die letzten Schritte in die winzige Eingangshalle des Hotels, fragten nach dem Zimmerschlüssel und hielten kurz inne, schauten uns an und hatten beide das Gleiche entdeckt. Was sahen unsere lieblichen Augen? Champagner Flaschen. Veuve Clicquot, ein Must-have, oder? „Das gönnen wir uns heute vom „Schmerzensgeld-Taschengeld. Unsere Belohnung die erste. So ein blöder Kerl,“ sagte Helga. Bewusst wahrgenommen hatte ich diese Sätze, in Anbetracht der sich wieder in Erinnerung bringenden, schmerzenden, absterbenden Füße, nicht. Helga orderte eine erste Flasche und mit ihr zusammen fuhren wir mit dem Lift auf die 3. Etage. Hinein ins Zimmer und den einzigen Wunsch, den ich hatte, war: Schuhe aus! Nie wieder mit neuer Fußbekleidung, hörte ich meine Füße schreien. Champagner war Nebensache. Helga öffnete die Flasche. Holte zwei Gläser aus dem Schrank über dem Bett und füllte das Getränk perlend hinein. Der erste Schluck des gekühlten Schampus fühlte sich an wie Schmetterlinge im Bauch. Gott war das lecker! „Uns geht es bestens“, hörte ich Helga reden. Wir setzten uns auf das Doppelbett, weil außer einem winzigen Tischchen, kein Platz in dem Zimmer war. Das dazugehörige Bad war ebenfalls so klein, dass es mit einer Person der Überfüllung nahe war. So endete unser erster Tag in Paris quietschvergnügt mit Champagne und ohne, dass es für mich ein Alptraumtag war! Mein Dank an Helga und dem Universum. Beschwipst schliefen wir spät ein. Am kommenden, zweiten Tag hatten wir uns den Jardin de Tuileries, den Notre Dame und die Sacre Coeur Kirche vorgenommen. Im Tuleriengarten gab es einen kleinen Laden, der Lichterfahrten am Abend auf der Seine anbot. Paris bei Nacht – ein genialer Gedanke! Wir waren so begeistert, dass Helga umgehend loszog und sofort zwei Karten orderte. Das Schiff legte um 20:00 Uhr vom Steg an der Seine ab. Das war zwar spät, aber Nachtfahrten bei Tageslicht ergeben logischerweise keinen Sinn. Es schien den ganzen Tag die Sonne. Der Himmel war stahlblau, ohne eine einzige Wolke. Das Wetter war recht sommerlich, genaugenommen Spätsommerwetter. „Wenn Engel reisen“, sagte ich nur. Schweißperlen treibend kamen wir am Notre Dame an. Dem Zuhause vom Glöckner, Quasimodo. Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen es in diese Kirche hineintreibt. Die Schlangen waren, wie schon beim Eiffelturm, enorm riesig. Lange anstehen bei dem superben Wetter, war uns zu mühselig und kostbare Zeitverschwendung. Am morgigen Tag hieß es ja Abschied nehmen von Paris. Ergo blieben uns nur zwei ganze Tage, um genügend Eindrücke bis zur Abreise aufzunehmen. Folglich zogen wir weiter zur für mich schönsten aller Kirchen, die ich bis dato besichtigte, geschweige denn, in natura gesehen hatte. Sacré Coeur. Ein Traum aus Chateau-Landon-Steinen. Ein frostresistenter Travertin aus dem gleichnamigen Ort im heutigen Département Seine-et-Marne, der durch die Witterung Calcit abgibt. Hierdurch nimmt er mit der Zeit ein kreideartiges Weiß an. Das Bauwerk thront auf einem Hügel, hoch oberhalb der Stadt, im Kulturviertel Montmartré. Sacré Coeur heißt bei uns übersetzt: Herz Jesu. Der Ausblick über Paris von den davorliegenden Stufen der Kirche ist umwerfend malerisch. Riesige Weiten. Alles, was das Auge bis zum Horizont erfasst, heißt: Paris. Gott hatte verstanden, warum er diese Kirche hier bauen ließ. Ich stand heute auf der höchsten Stufe und genoss den Anblick der Stadt, war sprachlos und hatte für einen Moment wieder ein Glücksgefühl in mir. Empfand die Nähe von Thomas. Ich genoss diese Leichtigkeit, das pulsierende Herz der Pariser Lebensart am beliebten Treffpunkt von Jung und Alt. Ein amerikanischer, rosafarbener Cadillac schwenkte auf den Vorplatz der Kirche ein und stellte sich direkt vor den Eingang auf das untere Plateau. Es war ein Cabrio. Darin saßen der Chauffeur und ein junges Brautpaar. Ein Anblick bei strahlend blauem Himmel, wie aus einem Hollywoodfilm. Eine Trauung an unserem Tag, in der für mich schönsten Kirche der Welt, göttlich. Tief in mir beneidete ich das Paar. Die Gedanken beim Anblick der Verliebten schweiften ab zu Thomas. Er sagte vor nicht allzu langer Zeit: „For Eternty:“ Hochzeit, Kinder und ein Leben mit ihm. Das war seit dem Versprechen unser Traum. Leider blieb es ein Traum. Musik riss mich aus den Gedanken. Auf der Treppe hatte sich eine Männergruppe versammelt, die auf ihren hölzernen Panflöten eine romantische Melodie spielten. Wie herzergreifend. Die stimmungsvolle Vertonung entführte mich in den vergangenen Liebessommer mit Thomas. Eine unendliche Traurigkeit legte sich auf meine Stimmung. Gleichzeitig überkam mich eine zurückhaltende Freude. Ein eigenartiges Gefühlsgemisch. Er war erneut in meinem Kopf, im Herzen und der Seele. Es schmerzte unaufhaltsam. Der ganze Traum, unser Zukunftstraum, lief wieder wie ein Film ab, nur mit dem jungen Brautpaar. Wir, das Paar des Jahrhunderts, mit Kindern, einem Haus von Thomas gebaut, einem Hund. Leben pur. Genau den Lebenstraum gab es vor kurzer Zeit. Dann brachte er mit einer Lebenslüge dieses Glück wie eine Seifenblase zum Platzen. Schmerz, Trauer, Wut und eine große Leere hatte er in mir hinterlassen. Was für eine Ironie! Den bezaubernden Anblick, ohne ihn selbst zu erleben, fiel mir schwer. Helga klopfte auf meine Schulter, riss mich wie immer aus den düsteren Gedanken, holte eine trauernde Frau zurück in das pulsierende Paris. Sie hatte immerzu ein sensibles Gespür dafür, wann sie mich aus der Lethargie herausholte. Das Brautpaar zog in die Kirche ein. Wir folgten. Die Besichtigung der Innenräume war nur eingeschränkt möglich, da dort Umbauarbeiten im Gange waren. Daher war die Besichtigungsrunde relativ schnell zu Ende. Im Anschluss schlenderten wir durch eines der schönsten Viertel in Paris zum Künstlerviertel, dem Place du Tretre. Cafés luden zum Verweilen ein, was wir dann umsetzten. Unsere Füße erholten sich langsam vom gestrigen Marathonmarsch. Café au Lait mit Eau Minerale Perrier, dazu Stangenbrot und den typischen, französischen Weichkäse. Ein Leben wie Gott in Frankreich war das. Lecker. Die Sonne sorgte mit der nötigen Wärme für unser Wohlgefühl. Es herrschte ein reges Treiben um uns herum. Gestärkt zogen wir weiter. Den restlichen Nachmittag verbrachten wir in Ruhe im Tuilerienpark. Genug Zeit für Sonne und einen kleinen Snack. Pünktlich stiegen wir an Bord des Sightseeingschiffes auf der Seine. Die gewünschte Dunkelheit stellte sich langsam ein und losging`s. Wir erhielten kleine Kopfhörer und stöpselten diese dann beim Ablegen in die hierfür vorgesehenen Stecker an den Sitzplätzen. Die eigene Landessprache wurde von den Fahrgästen gewählt, da nicht jedermann an Bord Französisch verstand. Paris bei Nacht – Stadt der tausend Lichter. Die La Fracasse legte ab. Unsere Fahrt führte vorbei am Cartier Latin, dem Studentenviertel. Eine Menge junger Menschen und unzählige verliebte Pärchen säumten den Uferrand und winkten den vorbeifahrenden Ausflugsschiffen zu. Untermalt wurden die Erzählungen des Herrn aus dem Kopfhörer mit romantischer, klassischer Musik. Ich meinte mich an Chopin zu erinnern. Diese Klaviermusik weckten erneut die Erinnerungen und Gedanken an Thomas. Sie fragten nicht, sie nahmen mich geradewegs in Besitz. Ich hörte gar nicht mehr, was die nette, männliche Stimme im Kopfhörer alles so über die Pariser Stadt und ihre Geschichte erzählte. Ich war in Gedanken weit weg, bei ihm, Thomas. Ich sah sein betörendes, bäriges Lächeln vor meinem geistigen Auge, welches mich immer so inspirierte. Sah seinen typischen Gang, wenn er durch die Firma schlenderte. Hatte seinen Geruch in der Nase, das Gemisch aus seiner weichen Haut und seinem Parfüm. Seinen erotisierenden Duft, wenn wir ineinander verschlungen uns der Liebe hingegeben haben. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich im Hochgefühl zur Musik auf Thomas und den Bildern, die meine Sinne glaubten, im Kopf zu produzieren. Es war so intensiv. Ich hörte von weitem den Klang seiner Stimme. Mir rannen Tränen übers Gesicht. Um uns herum überall Pärchen, die sich verliebt in den Armen lagen. Und ich saß wieder alleine und fuhr auf der Seine durch die Stadt der Liebe. Ich erinnere mich nicht, wie lange ich so dagesessen bin. Ein leichter Ruck unterbrach die Gedankenflut. Es war das Ruckeln des Schiffes am Anleger. Wir waren wieder zurück. Der Bootsmann zurrte die Taue fest. Das Licht wurde angeknipst. Die Passagiere erhoben sich von ihren Plätzen. Mir die Tränen trocknend stand ich auf und reihte mich in die Warteschlange ein. Schweigend schritten alle hinaus. Festland unter den Füßen. Die Trauer hielt meinen Geist gefangen. Die versuchten Aufheiterungen von Helga, indem Sie z. B. über ihn schimpfte, halfen mir ein wenig, den seelischen Schmerz zu verdrängen. Sie beschimpfte ihn solange, bis wir in unserem gestrigen Restaurant unweit des Hotels angekommen waren. Der Magen knurrte und das Essen war Erlösung und Seelennahrung zugleich. An der Rezeption lächelte uns erneut nicht nur der nette Portier an, sondern das Pariser Lieblingsgetränk und schwupp, da waren wieder zwei Flaschen auf unserem Zimmer: Champagner Veuve Clicquot brut. „Das Schmerzensgeld-Taschengeld!“ Lecker! Ob die beiden Flaschen heute Abend reichen werden? Getrunken und gequasselt wurde bis spät in die Nacht. Wir waren so müde zu vorgerückter Stunde, dass wir beim Reden eingeschlafen sind. Der nächste Morgen kam schnell, die Nacht war kurz und es hieß wieder packen und mit Reisetasche auf der Schulter den letzten Tag bis zur Abfahrt durch Paris traben. Ehrlich gesagt, habe ich vergessen, wie wir den Tag herumgebracht haben. Recht unspektakulär, glaube ich. Ein Weg führte uns zum Kaufhaus La Fayette. Es war riesengroß mit einer Sintflut von überflüssigen Produkten bestückt. Ach ja, essen und trinken stand ebenso auf dem Stundenplan. Ein magenfüllender Zeitvertreib, der Laune bereitete. Lokale und Restaurants gibt es in dieser Stadt genug. Vornehmlich in den Kleinen ließ es sich prächtig ausruhen. Wir erreichten Gard du Nord. Rechtzeitig vor Abfahrtszeit, suchten wir den korrekten Bahnsteig und setzten uns an die Gleise. Der Thalys rollte ein, einsteigen, fertig, los. 3 Stunden später und der Alltag, das altes Dasein hatte mich wieder. Aber nach welcher Art von Leben dürstete meine Seele? Job, ja klar, der bleibt. Die Kinder, auf jeden Fall. Den Ehemann glaube ich nicht – oder doch? Welche Alternative hatte Frau denn? Schwarze Wolken zogen auf und legten sich finster und düster auf die Gedanken. Wider mein Naturell, ließ ich es zu. Wer nimmt eine alleinerziehende Frau mit zwei schulpflichtigen Sprösslingen? Welcher Mann ist bärenstark genug und wird diese Kinder akzeptieren, so, wie sie sind. Womöglich sogar eines Tages ein wenig lieben, selbst wenn es nicht seine Leiblichen sind? Gott was flogen mir Fragen durch den Kopf. Eine Stimme hörte ich neben mir sagen: „Nicht so doll grübeln. Macht traurig. Hier, unser Zeitvertreib bis Heimatort. Trocken und lecker, dein Wein“, weckte mich Helga erneut aus trübsinnigen Gedanken. „Danke“, sagte ich kurz und lächelte. Die Rückfahrt war etwas schneller vorüber. Man kannte die Strecke ja schon. Hauptbahnhof Heimat. Pünktlich 19:15 Uhr. Aussteigen, das Auto mit dem Fahrer suchen und ab nach Hause. Der Chauffeur war mein damaliger Ehemann. Bei der Verabschiedung von Helga und ich bedankte mich bei ihr für die abwechslungsreichen, unterhaltsamen Tage, die ausgezeichnete Ablenkung und die klärenden Gespräche. Mit dem Kompliment „beste Seelsorgerin ever“ entließ ich sie in den Abend. Wir fuhren nach Hause. In der ersten, bedrückendsten Zeit sowie den darauffolgenden Jahren war Helga mit zwei weiteren Mädels, Petra und Anette, der seelische Beistand. Ohne Sie alle hätte ich diese Zeit nicht so erbaulich überstanden. Meinen Dank hier an dieser Stelle an Euch, Mädels. Die Begrüßung zu Hause war wie immer, äußerst nüchtern und schweigsam. Und weil die Kinder schon in der Koje lagen, bin ich ebenfalls recht bald in meiner gelandet. Ein letztes Glas Rotwein, trocken, so wie WIR, Thomas und ich, ihn geliebt haben, ein paar nette, belanglose Worte zum Ehemann auf seine Nachfrage, wie denn der Trip war, und das Bett hatte mich wieder. Beim Erwachen am kommenden Morgen war der erste der Gedanken: Thomas. Wen wunderte das. Meine Laune stieg mit jeder Minute. Heute würde ich ihn wiedersehen. Die Anfahrt zur Firma war kurz, dem Wohnort geschuldet. Pünktlich zum Start saß ich im Büro. 07:30 Uhr zeigte mir die Handyuhr, mein Thomas nicht in Sicht. Das liegt am Autobahnstau, begründete ich sein Zu-spät-Kommen. Kurze Zeit nach dem Arbeitsbeginn öffnete eine Kollegin die Türe meines Büros und trat ein. „Hallo“, sagte ich spontan zu ihr, „du bist garantiert voller Neugier, wie es in Paris war“. Ich holte Luft, um mit den Reiseerzählungen loszulegen. Da unterbrach sie den Versuch des Erzählens. Sie fing unverzüglich an zu reden: „Hallo zurück. Herr Kramer ist am vergangenen Freitag freigestellt worden. Er wird die Firma verlassen. Am Mittwoch holt er nur seine Privatsachen ab und das war dann das Kapitel Kramer.“ Recht fassungslos und erstarrt hielt ich die Luft an. Ich registrierte dasselbe Gefühl in mir, wie damals, nach dem Lesen seiner SMS aus dem Urlaub. Der Atem stockte und ich drohte zu ersticken. Denken unmöglich. Die Kollegin merkte, Gott sei es gedankt, nichts von dem Schock. Meine Antwort kam, trotz meines Zustandes, gefestigt: „Hallo, zum Zweiten. Es war eine Wucht in Paris. Besten Dank der Nachfrage. Für die Info zum alten Kollegen ebenfalls mein Dankeschön. Jetzt würde ich mich gerne ein wenig sortieren, mir einen Überblick verschaffen und, wir werden später über Paris sprechen, sofern es die Zeit erlaubt“. Die Kollegin verließ das Büro. Ich setzte mich auf den Stuhl, weil meine Beine es vorzogen, den Körper nicht länger zu tragen. Ihre Worte zogen mir den Boden unter den Füßen weg. Zum wiederholten Male verspürte ich den Sinkflug im freien Fall. Ich versuchte, mir tagsüber in keiner Art und Weise etwas anmerken zu lassen. Ich fragte niemanden aus dem Kollegenkreis nach dem Grund für seine Freistellung, um keinen Verdacht zu wecken. An ihrem Blick und an ihrer Stimme, wie sie mir die Nachricht mitteilte, befürchtete ich, dass sie etwas gemerkt hatten, oder besser, schon im Bilde waren. Dann schoss mir in den Kopf, dass ich vor Paris zufällig gedankenversunken an mein Handy gegangen war, weil es klingelte und derjenige am anderen Ende sofort auflegte. Erst vermutete ich damals, dass Thomas es war. Heute, nach der ausgezeichneten Nachricht zur Freistellung von Herrn Kramer war mir klar, dass das die Kollegin mit den Telefonlisten war. Sie hatten den Durchblick. So schnell wird man enttarnt. Aber gleich wegen mir direkt jemanden zu kündigen, das überstieg mein Verständnis. Wir liebten uns doch nur, und diese Liebe ist privat. Das berührte das Dienstverhältnis rein gar nicht. Was sprach also dagegen? Nichts. Glückliche Menschen sind an sich produktiver. Und die nächste Frage war: „Warum wartete man den Urlaub ab, um meinen Kerl, ja korrekt gehört, meinen Kerl, mir nichts, dir nichts zu entlassen?“ Mir wurde speiübel. Der einzige Gedanke, der jetzt permanent im Kopf war, lautete: „Ab heute wirst du Thomas definitiv nie mehr wiedersehen! Nie wieder! Nie wieder!“ Ich wiederholte diesen Satz sehr oft. Keine klaren Gedanken waren in meinem Schädel, der brummte. Jeder kennt das Gefühl, wenn man einen lieben Menschen durch Tod verliert. Ihn beerdigt und weiß, dass es kein Zurück mehr gibt. Ihn loslässt. Es ist eine Trauer, die irre schmerzt, aber in der Gewissheit, dass derjenige sein Leiden überstanden hat, werden mit der Zeit Schmerz und Kummer erträglicher. Ja sie kehrt sich zeitweise sogar ins Positive, wenn man sich in den Leidenden, den Sterbenden, hineinversetzt. Wie befreiend ist es abzutreten, endlich von Schmerzen befreit zu sein, die Seele frei zu lassen. Ruhe zu finden. Das Gegenteil war soeben mit mir passiert. „Nie wieder Thomas“, hauchte ich leise. Ich, die Alleingelassene, Liebende, Leidende, Sterbende blieb zurück. Für die Kollegin, die das Büro nach ihrer Mitteilung verlassen hatte, war Thomas nur ein Kollege. Sie hörte den Satz nicht, den ich hauchte. Die Bürotür fiel ins Schloss und ich ins Dunkel, in die Tiefe! Mein Inneres war völlig leer. Ihre Worte lagen wie Blei auf der Seele. Ich atmete schwer, grübelte und sprach nicht mehr. Ich sterbe nicht mehr. Ich war schon Tod. Alles ertrage ich, dass er seine Frau nicht verlässt. Dass der Grund nicht seine Gattin, sondern die Kinder sind. Dass er eines Tages der enge Vertraute wird, den er mir zum Abschied vorgegaukelt hatte. „Lass uns gute Freunde bleiben,“ sagte er damals beim letzten goodbye. „Und wenn du mich brauchst, komme ich sofort.“ Ob er seine Worte je selbst für bare Münze nahm, wagte ich, mit Recht, jetzt anzuzweifeln! Freunde sein nach dieser tiefen Liebe, dem Abschied mit der großen Lebenslüge? Nein, nicht bei mir und für meine Person ein absolutes No-Go. Arbeiten war nicht möglich. Ebenso nicht am darauffolgenden Dienstag. Eine Tatsache ertrug ich seitdem gar nicht mehr: Thomas nie wieder sehen und riechen! Das zerriss mir das Herz! Das war mein Sterben! Ja, ich sterbe.
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