Kitabı oku: «Rätsel im Ballsaal. Historischer Roman», sayfa 3
Kapitel 5
Am nächsten Vormittag besuchte sie mit Melinda und deren Zofe zusammen Hatchards am Piccadilly, um nach interessanten Büchern Ausschau zu halten. Melinda hatte zuerst verkündet, ein Spaziergang tue ihr in ihrem delikaten Zustand nur gut – die frische Luft, nicht wahr?
Das ließ Portia grinsen. „Frisch? Mir scheint eher, es weht etwas Garstiges vom Fluss hierher. Aber die Bewegung ist gewiss gesund…“
Melinda fand einen neuen Roman mit einer vernünftigen Heldin, Portia eine kurzgefasste Geschichte Englands und eine Abhandlung über den richtigen Umgang mit Waisenkindern, obendrein ein Buch, das sich zum Lesenlernen eignete. Sie blätterte kurz darin – ja, das würde den kleinen Mädchen gefallen!
Zufrieden wandte sie sich um, um ihre Fundstücke zu bezahlen, und wäre fast mit einem sehr großen Gentleman zusammengestoßen.
„Oh! Es tut mir leid – Lord Walsey? Ich wünsche einen guten Morgen!“
Walsey erwiderte diesen Wunsch freundlich, begrüßte auch Lady Hertwood formvollendet und erkundigte sich nach ihren Lektüregepflogenheiten. Es stellte sich heraus, dass seine Vorlieben eher bei Reisebeschreibungen und landwirtschaftlichen Verbesserungen, aber auch bei der Armenfürsorge lagen. Er und Portia waren schon im Begriff, ein längeres Gespräch über ihre Leseerfahrungen zu beginnen, aber Melinda mahnte zum Aufbruch; das lange Stehen strengte sie doch schon an.
„Natürlich, Melinda! Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Mylord – und gewiss können wir uns ein anderes Mal über Bücher unterhalten…“
„Zum Beispiel heute Abend bei Mrs. Ramsworth“, schlug Melinda lächelnd vor.
Walsey verbeugte sich. „Das sollte mich freuen.“
„Er scheint ganz sympathisch zu sein“, bemerkte Melinda auf dem Rückweg betont beiläufig.
„Auf jeden Fall tanze ich lieber mit ihm als mit Kelling oder Jessen. Aber es gibt auch noch andere nette Männer. Ich werde ja sehen, wieviele Männer mit mir tanzen wollen!“
„Walsey zum Beispiel…“
„Zum Beispiel“, antwortete Portia friedlich. „Ich hoffe nur, dass Kelling sich den Fuß verstaucht und Jessen sich den Magen verdorben hat. Die beiden sollen sich bitte schön lange auskurieren.“
„Wünschen wir ihnen also gute, aber langsame Besserung!“, bemerkte Melinda fromm. „Ach, mir geht es so gut!“
„Weil du den idealen Mann schon gefunden hast?“, erkundigte sich Portia.
„Richtig. Den richtigen Mann für mich, der mir alle meine Ängste genommen hat, dazu einen netten Onkel, der sich um Mama und Jane kümmert – nächstes Jahr könnte Jane schon debütieren! -, einen entzückenden Sohn und hoffentlich bald eine kleine Schwester für ihn, ich habe Spaß an der Saison und zwei liebe Freundinnen – Cecilia und dich: Was sollte ich mir mehr wünschen?“
„Vergiss nicht Lady Tenfield und ihre unschätzbaren Ratschläge“, entgegnete Portia mit einem Kloß im Hals. Sie war Melindas Freundin? Wie nett von ihr… spontan umarmte sie Melinda kurz. „Ich denke, das alles hast du doch auch mehr als verdient! Du bist eine so liebe Freundin!“
Melinda lachte etwas zittrig. „Komm, wir gehen rasch zu uns, bevor wir uns auf offener Straße weinend in den Armen liegen und zum Gespräch des Tages werden.“
Portia sah sich hastig um und kicherte. „Zwei Nannys… aber die tratschen gewiss.“
„Und damit rennen die Gerüchte von Haushalt zu Haushalt.“
Zu Hause trafen sie auf Sebastian, der offensichtlich seine Zeit im Arbeitszimmer verbracht hatte und nun ein Brieflein in der Hand hielt. „Ben hat mir geschrieben, ihr wüsstet gerne mehr über die Gerüchte um Walsey?“
„Und, weißt du etwas?“ Melinda reckte sich und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Er strich ihr zärtlich über den schon sichtbar gerundeten Bauch. „Und wie geht es unserer Kleinen?“
„Ich glaube, jetzt hast du sie geweckt!“, kicherte Melinda.
Portia versuchte, die Augen diskret abzuwenden, aber das war nicht einfach – zu faszinierend war die Szene. Ob sie wohl eines Tages auch eine solche Ehe führen konnte – so liebevoll, so zärtlich, so – so gar nicht steif und förmlich?
Das konnte sie sich mit niemandem vorstellen, mit Walsey nicht, mit Kelling oder Jessen schon überhaupt nicht.
„Ich habe noch keine weiteren Informationen, denn es ist zwar bekannt, dass Lady Walsey mit einem Liebhaber durchbrennen wollte – sofern das eine Tatsache und nicht nur ein verselbstständigtes Gerücht ist, aber niemand hat jemals den Namen dieses Liebhabers erfahren. Walsey spricht nicht über die Ereignisse, die Tochter war damals wohl noch zu klein, um sich an etwas zu erinnern.“
„Wer war Lady Walsey eigentlich?“, fragte Portia. „Ich meine, wer war sie vor ihrer Heirat?“
„Gute Frage“, murmelte Sebastian und notierte dies. „Ich bilde mir ein, die Tochter eines verarmten Baronets. Vielleicht hat sie ja erwartet, jetzt ein Luxusleben zu führen und die Königin der Londoner Gesellschaft zu werden.“
„Also so kam mir Walsey nicht vor, aber ich habe ihn ja nur das eine Mal vorgestern gesehen“, überlegte Melinda. „Was meinst du, Portia?“
„Viel besser kenne ich ihn doch auch nicht“, verteidigte diese sich sofort, „aber auf endlos viele Bälle scheint er mir auch nicht erpicht zu sein.“
„Er braucht wohl eine neue Ehefrau“, stellte Sebastian fest, was sie ohnehin alle wussten. „Vielleicht geht er deshalb auf Bälle, wirkt aber zugleich etwas lustlos?“
Melinda und Portia betrachteten ihn mit milder Verachtung und er lachte prompt. „Das habt ihr beide euch natürlich schon lange überlegt!“
„Erst seit vorgestern“, korrigierte Portia freundlich, „davor wusste ich doch nicht einmal, dass er existierte. Und bevor er auftauchte, hat mir gegenüber auch niemand hässliche Andeutungen gemacht.“
„Glaubst du diese hässlichen Andeutungen denn?“, wollte Melinda wissen.
„Nein, eigentlich nicht. Er kommt mir recht überlegt und vernünftig vor, aber wirklich einschätzen kann ich ihn noch lange nicht. Nur, wenn er wirklich ein Mörder wäre, wäre er dann nicht längst gehängt – oder nach Australien deportiert worden?“
Grässliche Vorstellung, dachte sie, noch während sie das aussprach.
„Ich glaube es auch nicht“, stellte Sebastian in einem recht endgültig klingenden Tonfall fest. „Etwas düster ist Walsey freilich, aber eher, als habe man ihn stets missverstanden. Ansonsten ein ungewöhnlich vernünftiger und vielseitig gebildeter und interessierter Mann. Nachdem, was er ab und zu erwähnt hat, ist er auch seiner kleinen Tochter sehr zugetan. Ob es außer Vater und Tochter noch weitere Beauforts gibt, weiß ich freilich nicht. Wenn er so weiter macht, erlischt der Titel möglicherweise…“
Um den Titel machte Portia sich nun wirklich keine Sorgen, aber Walsey tat ihr ein wenig leid: Ein ernsthafter Mann musste sich mit den Oberflächlichkeiten in den Ballsälen abgeben, um die Zukunft seiner Familie zu sichern!
Aber ging es ihr selbst denn so viel anders? Sie musste mit Leuten wie Kelling tanzen und sich das Getuschel dummer Gänse anhören, nur um endlich jemanden zu finden, der ihr eine Zukunft bot und damit sowohl die allmählich alternden Arnebys als auch ihren Vater entlastete.
Nun, man würde ja sehen, was der heutige Abend brachte, bei Mrs. Ramsworth – diese Bälle waren immer besonders schön. Hoffentlich hatte sie unangenehmes Volk wie Kelling und Jessen gar nicht erst eingeladen!
Ein netter, einigermaßen kluger und angenehmer Mann, gerne vom Land, da war sie gar nicht so wählerisch, wäre doch schon ideal?
Nun, ideal vielleicht nicht, so ganz ohne Liebe, aber doch schon akzeptabel. Ein vernünftiges Auskommen, ein Dach über dem Kopf, eine nette Kinderschar…
Kapitel 6
„Euer Lordschaft?“
Cecil stand vor dem Spiegel und fingerte an seinem Halstuch herum. Naja, es ging schon - aber dieser Abend würde gewiss so wenig Erfolg bringen wie der letzte.
„Ja, Grin?“
„Der Wagen steht bereit, lässt Mr. Parton ausrichten.“
„Danke, Grin“, seufzte Cecil und warf seinem Spiegelblick einen letzten Blick zu. „Dann werde ich meine Pflicht tun…“
„Aber Euer Lordschaft mögen Mrs. Ramsworth doch?“
„Jeder mag Amelia Ramsworth. Du hast ja recht, Grin, ich bin einfach nur griesgrämig.“ Damit begab er sich nach unten, in die Halle, wo der Butler schon Hut, Cape und Stock bereithielt.
Mrs. Ramsworths Ballsaal war dieses Mal hellblau und sandfarben dekoriert, als befände man sich in Brighton – nur der umstrittene Pavillon des Prince of Wales fehlte, wofür zumindest Portia recht dankbar war. Wie allerdings die blassrosa Treibhausrosen in diesem Zusammenhang zu deuten sein konnten, war ihr nicht recht erfindlich.
Ach, vielleicht gab ihr diese Frage etwas Beschäftigung, falls ihre Tanzkarte sich nur unzureichend füllen sollte…
Was sich zunächst zügig füllte, war der Ballsaal, aber es wurde kein derartiges Gedränge wie auf dem letzten Ball, den Portia besucht hatte. Darauf pflegte Mrs. Ramsworth ja auch zu achten – und das machte ihre Einladungen so exklusiv und damit auch so begehrt. Portia wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnte, zu diesem Kreis von Auserwählten zu gehören. Warum die Lady (auch wenn sie keinen Titel trug) immer wieder junge Damen mit ihrem Wohlwollen auszeichnete, wusste offenbar niemand: Man war geschmeichelt und fragte lieber nicht so genau nach…
Cecilia und Benedict winkten ihr zu, Lady Tenfield schenkte ihr ein schildkrötenhaftes Grinsen, von Kelling und Jessen war nichts zu sehen, dafür setzte sich die junge Lady Pelham zu ihr. „Bin ich froh, dass ich schon verheiratet bin – dieser Heiratsmarkt ist doch wirklich entsetzlich!“
„Wem sagen Sie das, Virginia! Vor allem, wenn man mit so unangenehmen Männern tanzen muss.“
„Ich werde mich in diesem Fall auf delikate Umstände herausreden. Niemand will mit einer Frau tanzen, der mittendrin übel werden könnte.“
„Das könnte ja die Stiefel ruinieren… leider kann ich diese Ausrede nicht verwenden.“
„Versuchen Sie es – das wäre ein hübscher Skandal!“
Portia kicherte. „Dazu bin ich doch zu feige – oh! Delikate Umstände? Da gratuliere ich auch ganz herzlich!“
Virginia Pelham lächelte verträumt. „Danke schön, wir freuen uns auch schon sehr. Ein kleines Mädchen haben wir schon, jetzt wäre ein Söhnchen nett. Sie wissen ja, der Erbe…“
„Gewiss. Diese Frage treibt wohl die meisten jungen Männer in den Ballsaal, nicht wahr?“
„Gefolgt von besorgten Eltern.“
Sie lachten beide und in diesem Moment fanden sich gleich drei junge Herren vor Portia ein, die sie noch nie gesehen – oder gleich wieder vergessen? – hatte. Eifrig trugen sie sich in ihre Tanzkarte ein, jeder gleich für zwei Tänze, was schon ein klein wenig dreist war, wie sie fand. Aber die Jungen wirkten alle harmlos, sie waren nüchtern und strahlten sie recht erfreulich an – und je weniger Plätze für Kelling und Jessen blieben, desto besser…
Bis das Orchester zu spielen begann, hatte sie alle Tänze bis auf einen, den vorletzten Walzer, vergeben. Von ihren beiden Feinden war noch nichts zu sehen, offenbar hatte die kluge Mrs. Ramsworth die beiden Rüpel tatsächlich nicht eingeladen.
Sie begab sich also auf die Tanzfläche und arbeitete sich einigermaßen beschwingt durch Ländler, Allemandes, Kontertänze und Walzer, plauderte über das Wetter, die neuesten Gerüchte über den Gesundheitszustand des Königs, die Extravaganzen des Prince of Wales, über die Frage Leben in London oder Leben auf dem Land (und wenn auf dem Land, wo dann am besten?) und allerlei anderes und nutzte die Pausen zwischen den Tanzabfolgen, um sich mit Lady Tenfield, Melinda und Cecilia auszutauschen.
Ein bisschen stand sie immer noch unter Spannung, weil dieser eine Walzer noch offen war und Kelling oder Jessen sich doch auch uneingeladen auf den Ball schmuggeln konnten - Mrs. Ramsworth hatte schließlich wohl kaum Porträtskizzen der beiden anfertigen lassen und sie an die Lakaien an der Eingangstür verteilt!
Später am Abend aber betrat Walsey den Ballsaal und sah sich ruhig um. Ohne ein Lächeln.
Ohne erkennbares Interesse an einer der Damen.
Ohne sich mit einem der Gentlemen – soweit sie noch nicht im Kartenzimmer verschwunden waren, sich bei den Erfrischungen herumdrückten oder schlicht gerade tanzten – zu unterhalten.
Bestenfalls nickte er bekannten Gesichtern flüchtig zu, während er die Tanzfläche bedächtig umrundete und sich schließlich vor Portia verbeugte. „Miss Willingham, Sie haben nicht zufällig noch einen Tanz frei?“
Sie lächelte erleichtert. „Doch, Mylord, genau einen.“ Sie reichte ihm die Karte; er las und sah auf: „Da habe ich ja Glück – ausgerechnet einen Walzer zu ergattern!“ Rasch trug er sich ein, lächelte noch einmal und entfernte sich.
Portia sah ihm nach: Hatte dieses Lächeln eigentlich seine Augen erreicht? Oder hatten sie immer noch diesen so traurigen Ausdruck gehabt?
Er war wohl wirklich ein Opfer der Klatschsucht der oberen paar Tausend – wenn es überhaupt so viele waren! Viel mehr als die Anzahl, die in einen durchschnittlich großen Ballsaal passte, konnten das überhaupt nicht sein.
Wer nicht eingeladen wurde, war auch nicht wichtig; wer auf dem Land lebte, war auch nicht so wichtig und konnte den Klatsch damit kaum befeuern.
Warum konnten so wenige (und obendrein zum Teil außerordentlich eingebildete und auch dumme) Menschen so viel Einfluss haben?
In der englischen Gesellschaft lag wirklich einiges im Argen… aber das würde sie allein auch nicht ändern können. Da musste man wohl ein Mann sein – oder Verbündete um sich sammeln. Aber wenn jeder, der (oder die, man sollte die Damen auch nicht stets unterschätzen!) guten Willens war, so viel tat, wie er konnte? So musste doch einiges zusammenkommen?
Nun, darüber konnte man mit den meisten Tänzern wohl kaum leicht und elegant plaudern. Dann doch lieber Wetter, Theater, Mode, die Fülle des Ballsaals…
Was tat wohl Walsey gerade? Er war recht spät gekommen, so dass wohl nur die weniger begehrten Damen noch freie Plätzchen auf ihren Tanzkarten vorzuweisen hatten. Ach, das war wohl recht arrogant von ihr – sie war auch nicht gerade die Unvergleichliche der Saison! Er tat ihr leid, denn sie glaubte nicht, dass ihn diese Bälle glücklich machten. Was machte ihn wohl glücklich?
„Miss Willingham?“
Sie schrak zusammen, drehte sich hastig nach Vorschrift und lächelte entschuldigend. „Ich fürchte, ich war nicht sehr aufmerksam. Was heute mit mir los ist, weiß ich auch nicht.“
Das führte zu längeren Ausführungen über die Schädlichkeit bestimmter Wetterphänomene für die Gesundheit, vor allem die zarte Gesundheit junger Damen. Portia merkte sich sorgfältig die wichtigsten Passagen – gute Ausreden konnte man schließlich immer gebrauchen. Sie musste vielleicht noch den schmerzlichen Griff an die Schläfe noch etwas üben, vor dem Spiegel am besten.
Und ein Riechfläschchen in ihr Retikül packen… Aber vernünftige Männer mochten wahrscheinlich solche Zimperliesen gar nicht. Sir – wie hieß er gleich wieder? – war mittlerweile bei den schädlichen Ausdünstungen (er sprach von Miasmen) der Stadt London angekommen, die der Gesundheit ja nun auch nicht zuträglich sein konnten. Er selbst, zum Beispiel, habe es sich zur Regel gemacht, sich nie in der Nähe der Themse aufzuhalten, weil dort die schädlichen Ausdünstungen geradezu waberten; sobald er eine gleichgesonnene Ehefrau gefunden habe, werde er sich mit ihr auf sein Landgut in Yorkshire zurückziehen. Portia lobte diese Idee, speziell im Hinblick auf seine empfindliche Gesundheit, gestand aber gleichzeitig ihre Begeisterung für die Kulturangebote Londons. Ihr unbekannter Tänzer hob gerade an, Kultur im Vergleich zur Gesundheit als unwesentlich abzutun, als das Orchester verstummte und ihm nichts blieb, als Portia zu ihrem Platz zurückzuführen.1
Erleichtert ließ sich auf den Stuhl sinken, und äußerte ein wenig damenhaftes „Puh!“ Cecilia setzte sich neben sie und neckte sie: „So furchtbar?“
„Ach, gar nicht so sehr. Nur recht langweilig. Hast du gewusst, dass in London gefährliche Dämpfe aus dem Boden aufsteigen, durch die man krank wird?“
„Lieber Himmel, wo soll das denn sein?“
„Überall!“, verkündete Portia mit der nötigen Dramatik. „Besonders schlimm an der Themse.“
„Nun ja, müffeln tut sie ja wirklich recht unerfreulich…“
Portia grinste breit. „Wie könnte etwas erfreulich müffeln?“
„Du bist manchmal schon eine rechte Haarspalterin.“
Der nächste Tänzer kam, um sie zum Ländler zu führen. Sehr angenehm, musste sie zugeben, er war noch so jung, dass er auf seine Schritte achten musste und zugleich nur das Nötigste sagen konnte. Die blonde junge Dame nebenan machte einen durchaus netten Eindruck, also lächelte Portia ihr freundlich zu und konzentrierte sich ansonsten darauf, ihren jugendlichen Partner diskret zu steuern.
„War ich sehr tollpatschig?“, fragte er, als die Musik schließlich verklang. Portia lächelte ermutigend. „Aber nein! Vor allem haben Sie sich im Laufe des Tanzes sehr verbessert. Sie waren wohl noch nicht auf vielen Bällen?“
„Das hier ist mein zweiter Ball – und beim ersten habe ich mich noch gar nicht so recht getraut, eine Dame aufzufordern. Ich finde, ich bin noch viel zu jung für so etwas – und wirklich Spaß habe ich auf einem Ball auch noch nicht.“
„Warum gehen Sie dann denn auf Bälle? Lassen Sie sich doch noch ein wenig Zeit, Mr. – jetzt habe ich Ihren Namen vergessen, wie peinlich!“
Er lächelte verzeihend. „Enderby. Lord Enderby. Der Grund für mein Erscheinen hier sitzt dort, neben der Säule mit den rosa Rosen.“
Portia spähte vorsichtig in die angegebene Richtung und erblickte eine energisch wirkende Dame in dunkelblauem, silbern besticktem Samt und daneben eine deutlich jüngere Ausgabe ihrer selbst, die furchtsam dreinsah und das klassische Weiß der frischgebackenen Debütantin trug. „Meine Schwester Rebecca“, informierte Enderby Portia in düsterem Ton. „Sie will auch nicht hier sein. Wir sollen beide so schnell wie möglich heiraten. Ich muss die Erbfolge sichern – ich bitte Sie, mit neunzehn? Und Becky soll heiraten, damit Mama diese Sorge los ist.“
„Ihre Schwester sieht nicht so aus, als gäbe sie Anlass zu Sorgen.“
„Nein, sie ist auch sehr brav und folgsam. Das ist alles bloß Mama!“
„Und Ihre Schwester hat noch gar nicht getanzt?“
„N-nein. Vielleicht ist es, weil sie ein Gesicht zieht, als wollten alle sie fressen. Sie ist erst siebzehn!“
Die Mutter schien es ja sehr eilig zu haben, die Kinder ins Erwachsenenleben zu drängen, dachte Portia. Vielleicht konnte Ben der Kleinen ein wenig die Befangenheit nehmen?
Sie verabschiedete sich freundlich von Lord Enderby und eilte zu Cecilia und Benedict. Als das Orchester zu präludieren begann schritt Benedict auf die zusammengesunkene Miss Enderby (Miss war doch wohl richtig? Vielleicht war sie auch eine Ehrenwerte Miss oder gar Lady Rebecca?) zu und bat sie um diesen Tanz.
Portia wurde gerade selbst aufgefordert und konnte nur noch aus dem Augenwinkel verfolgen, wie Miss Enderby dem angesehenen Viscount Lynet aufs Parkett folgte und – so ein Zufall aber auch! – genau neben ihr Aufstellung nahm. Sie lächelte dem sichtlich nervösen Mädchen beruhigend zu und versuchte dann, alle Schritte so exakt auszuführen, dass Miss Enderby sich etwas abschauen konnte, falls ihr das helfen sollte.
Ben zwinkerte ihr unauffällig zu, offenbar hatte er ihre Absicht durchschaut.
Ihr eigener Tänzer, ein Sir Thomas Ponsonby, plauderte über die üblichen Themen und lobte besonders die geschmackvolle Dekoration des Ballsaals. Da konnte Portia ihm nur zustimmen, aber sie hatte keine Lust, ihm ihre Gedanken über die Meeresstrand-Anmutungen darzulegen. Später würde sie überlegen, warum sie das nicht tun wollte, jetzt beschränkte sie sich weiterhin auf oberflächliches Geplauder, das nur durch die Figuren unterbrochen wurde, und ein diskretes Lob an Miss Enderby, die zwar schüchtern war, aber sehr gut, sogar graziös tanzte.
Als die Musik verklang, hob Ben Rebeccas Hand elegant an seine Lippen und verbeugte sich dann: „Es war mir ein Vergnügen, Miss Enderby. Viel Erfolg weiterhin im Ballsaal!“
Er geleitete sie zu ihrem Platz zurück, wo sofort zwei andere junge Herren heraneilten und um ihre Tanzkarte baten.
Portia betrachtete sich das zufrieden und wandte sich dann an Sir Thomas. „Ein reizendes Mädchen, nicht wahr?“
„Sie duftet nach Geißblatt und Zitrone“, antwortete dieser versonnen und fuhr zusammen. „Verzeihung, Miss Willingham – Sie haben natürlich ganz recht!“
Damit ließ er sie stehen und eilte ebenfalls zu Miss Enderby. Amüsiert sah sie ihm nach. Nun, Miss Enderby schien damit versorgt zu sein!
Als der Walzer mit dem Earl of Walsey näherkam, wunderte sie sich ein wenig, weil sie dich tatsächlich auf diesen Tanz mehr freute als auf die anderen. Was war denn an dem letzten Tanz mit ihm so besonders gewesen? Sie hatten sich nett unterhalten, aber das war ihr schon öfter möglich gewesen. Sie hatte mit Sebastian und Melinda darüber spekuliert, warum er so bedrückt wirkte und sich so lange von der Gesellschaft ferngehalten hatte… möglicherweise tat er ihr einfach leid?
Sie musste unbedingt vermeiden, mitleidsvoll oder auch nur mitfühlend dreinzusehen, wenn er nachher kam und sie zum Tanz holte! Niemand wollte doch bedauert werden – oder doch?
Nun, hoffentlich wollte er das nicht; Menschen, die versuchten, Mitleid zu schinden, waren ihr nicht sonderlich sympathisch.
Zunächst aber tanzte sie mit Lord Worthington, einem freundlichen, aber ausgesprochen einsilbigen jungen Mann, der alle Figuren mit mathematischer Präzision ausführte und damit offensichtlich hinreichend beschäftigt war. Also bemühte sie sich, ebenso exakt zu agieren und sich ansonsten auf ein höfliches Lächeln zu beschränken. Als die Musik verklang, trug ihr das ein Lob für ihre sorgfältigen Tanzfiguren ein, das sie mit der gebotenen Dankbarkeit entgegennahm.
Walsey wartete bereits am Rand der Tanzfläche. „Ich glaube, das ist unser Walzer?“
Unwillkürlich strahlte sie ihn an. „Ganz recht, Mylord.“
Er führte sie aufs Parkett und nahm sie fest, aber korrekt in die Arme. „Mögen Sie eigentlich Kinder, Miss Willingham? Ich frage, weil Sie doch viel mit den Lynets und den Hertwoods unternehmen – und die haben doch auch kleine Kinder?“
„Oh ja! Die Hertwoods haben den kleinen Edward und obendrein ihren Neffen Paul. Er ist jetzt aber schon fast sechs Jahre alt und ein kluges Kerlchen, mit dem ich sehr gerne spiele. Ja, und Lord und Lady Lynet haben den kleinen James. Aber er ist in einem Alter, in dem man noch nicht viel mehr machen kann als ihn herumzutragen, wenn er schreit. Dann beruhigt er sich schnell wieder. Lady Hertwood ist ja wieder in der Hoffnung und sie wünschen sich ein kleines Mädchen, ein Schwesterchen für Eddie – und für Paul. Ich glaube, er hat längst vergessen, dass er ursprünglich einmal andere Eltern hatte. Vielleicht ist das besser so, nicht wahr?“
„Es dürfte ihm zumindest mehr Ruhe bescheren. Er muss nie darüber nachdenken, ob die Hertwoods ihre richtigen Kinder höher schätzen, meinen Sie nicht auch?“
Portia nickte. „Wenigstens so lange, bis er einen Lehrer bekommt oder später auf die Schule geschickt wird – immerhin hat er von seinem leiblichen Vater ja einen Titel geerbt und wird nachfragen, sobald er damit angeredet wird.“
„Walford, nicht wahr?“
„Richtig. Sie machen sich gewiss Gedanken um Ihre kleine Tochter, Mylord?“
„Ja“, seufzte er. „Ich glaube, sie braucht allmählich auch eine Mutter. Aber ob sie das auch wollen wird, weiß ich eben nicht.“
„Sie könnte eifersüchtig sein, wenn sie ihren Vater plötzlich teilen muss. Das könnte schwierig werden“, stimmte Portia nachdenklich zu und spürte, wie er sie etwas fester in die nächste Drehung zog.
„Ich kann es natürlich nicht richtig nachvollziehen“, sagte sie dann, etwas atemlos wegen des Herumwirbelns, „denn ich bin zwar auch ohne Mutter aufgewachsen, aber mein Vater hat nie mehr Anstalten gemacht, zu heiraten. Jetzt überlege ich gerade, wie ich reagiert hätte, wenn er mir eine neue Mutter beschert hätte.“
„Nämlich?“ Er sah in ihr eifriges Gesicht und lächelte über ihr echtes Interesse. Und wie hübsch sie war mit diesen roten Locken und den freundlichen braunen Augen. Ach ja, und mit einigen kleinen Sommersprossen, die er recht anziehend fand.
„Vermutlich hätte ich den Gedanken zunächst eher befremdlich gefunden, ich hätte ja gar nicht gewusst, was eine Mutter ist und wozu man sie braucht, wenn man schon eine Nanny hat. Aber wenn Papa es mir gut erklärt und mir die betreffende Dame vorgestellt hätte…“
„Dann hätten Sie sich gefreut?“
„Ich denke schon, wenn sie nett gewesen wäre. Eine Vergleichsmöglichkeit hatte ich ja schließlich nicht!“
„Ich vermute, Marian hat diese Möglichkeit auch nicht. Danke, Miss Willingham, das beruhigt mich schon etwas. Wie finden Sie den Ballsaal?“
Der abrupte Themenwechsel irritierte sie etwas, aber sie blieb höflich und freundlich: „Bei Hellblau und Sandfarben musste ich an die Küste denken, vielleicht an den Strand in Brighton. Recht erfrischend, finden Sie nicht, Mylord?“
„Sie könnten recht haben, Miss Willingham. Aber seien wir dankbar, dass niemand hier auch noch den Pavillon des Prince of Wales aufgebaut hat.“
„Das ginge dann wohl zu Lasten der Tanzfläche, was den Ballsaal nutzlos machen könnte“, antwortete Portia. Er lächelte kurz, offenbar ehrlich erheitert, denn um die dunklen Augen bildeten sich kleine Fältchen. Portia freute sich über seine gute Laune.
„Und Sie tanzen gerne, nicht wahr?“
„Ja, sehr gerne. Aber ich habe noch nie so viel getanzt wie heute und auf dem Ball vorgestern. Ein wenig eigenartig kommt es mir schon vor, wie sich plötzlich alle Gentlemen auf mich stürzen. In den letzten beiden Saisons war das nicht der Fall. Man könnte fast meinen, ich hätte mich als reiche Erbin entpuppt!“
„Und das haben Sie nicht?“ Er zog sie in eine schwungvolle Drehung.
„Absolut nicht! Mein Vater ist ein Baron in sehr bescheidenen Umständen, der wohl recht froh ist, dass ich bei den Arnebys lebe und ab und zu auch von Lady Hertwood oder Lady Lynet auf Bälle mitgenommen werde.“
„Die Arnebys leben in der South Audley Street, nicht wahr?“
„Ganz richtig, nur ist Sir William mittlerweile nicht mehr ganz gesund, deshalb ist Lady Arneby sicher erleichtert, wenn sie mich nicht immerzu auf solche Veranstaltungen begleiten muss.“
„Vielleicht haben Sie noch reiche Verwandte, von denen Sie gar nichts ahnen?“, schlug er vor und Portia sah ihn tadelnd an, bevor sie verschwörerisch raunte: „Lord Walsey, lesen Sie etwa diese Gruselromane? Ich dachte, die Herren der Schöpfung seien über so etwas erhaben?“
Jetzt lachte er aus voller Kehle und manche Tanzpaare sahen sich irritiert nach ihm um.
„Ich dachte, so etwas lesen nur junge Damen, um von romantischen Verwicklungen mit verfemten Schlossherren zu träumen?“
„Und die Schlossherren haben schon von der geheimen Erbschaft gehört und umwerben die junge Dame genau deshalb, damit ihnen ihr Gespensterschloss nicht vor Altersschwäche zusammenbricht?“
„Man könnte die Sensation des Jahres schreiben“, murmelte er versonnen – und jetzt war es an Portia, laut zu lachen. „Dabei würde ich Ihnen gerne helfen!“
„Vielleicht nehme ich Sie beim Wort, Miss Willingham…“
Bei der letzten Drehung überlegte Portia noch, ob sie ihn bitten sollte, Miss Enderby einmal aufzufordern, aber dann sah sie, wie deren Mutter sie durch einer Lorgnette anstarrte und dabei tadelnd den Kopf schüttelte. Bitte, dann eben nicht, obwohl das arme Mädchen ja wohl nichts für seine engstirnige Mutter konnte!
Andererseits eilten schon wieder zwei junge Herren auf die junge Rebecca zu, also konnte sie sich wohl nicht unbedingt beklagen. Das Mädchen seiner unangenehmen Mutter zu entziehen, wäre aber eine nette Aufgabe für weitere Bälle!
Sobald Walsey sie zurückgebracht hatte, erzählte sie Cecilia von ihrem menschenfreundlichen Plan – und Cecilia kicherte animiert. „Kennst du Dorothy Claremont? Sie hat das in ihrer Saison auch gemacht. Glückliche Paare – aber auch die Chumsbys.“
„Dieser dicke Wichtigtuer mit seiner unangenehmen Frau? Die passen doch sehr gut zusammen, oder?“
„Ja, das hat sich Dorothy damals wohl auch gedacht. Die beiden Brautleute waren aber nicht ganz so begeistert…“
Portia hätte gerne weiter mit Cecilia geplaudert – und hinter ihnen saß ja auch die bezähmbare Lady Tenfield, die den Nagel immer auf den Kopf traf, aber da kam ja schon wieder einer!
Sie linste rasch auf ihre Tanzkarte: ein Mr. Kemble. Wirklich „nur“ ein Mr. – oder jemand mit vornehmster Verwandtschaft, selbst aber nur der dritte Enkel eines Herzogs? Ob sie das mit geschickten Fragen herausfinden konnte? Hatte sie wohl Geschick für solche Dinge?
Mr. Kemble verbeugte sich vor ihr und lächelte freundlich, also erhob sie sich, knickste leicht und legte die Hand auf seine Armbeuge.
Ein Ländler schon wieder… Sie stellten sich am Ende der langen Reihe auf, erwiesen einander und den Nachbaren ihre Reverenzen und begannen.
Wenn die Figuren es gestatteten, plauderte Kemble einigermaßen interessant, auch wenn die Frage, ob es Miss Willingham denn in London gefalle, noch nicht gerade von großer Originalität zeugte. Portia erwiderte artig, sie lebe immer in London, bei Verwandten hier in Mayfair, womit sie sich als durchaus standesgemäß ausgewiesen hatte. Einfaches Bürgertum ohne Verbindungen wohnte schließlich weiter östlich, nicht wahr? Oder im Norden der Stadt… so genau wusste sie das auch nicht.