Kitabı oku: «Der Mächtige Strom», sayfa 12
Nach Kriegsende kehrte er von Chongqing nach Tianjin zurück, wo er mit ansehen musste, wie der Bürgerkrieg sein geliebtes Heimatland in ein erneutes Chaos stürzte. Trotz seines zunehmenden Alters und seiner angeschlagenen Gesundheit plädierte er weiterhin unermüdlich für eine friedliche Zusammenarbeit der beiden Konfliktparteien. Frieden und Zusammenhalt waren für ihn unverzichtbar, um China schnellstmöglich wieder aufzubauen. Trotz späterer Unstimmigkeiten mit der kommunistischen Regierung und seiner daraus resultierenden Enttäuschung war es ein großer Trost für ihn, seinen Lebensabend mit der Gewissheit zu verbringen, dass sowohl die Nankai-Universität als auch die Nankai-Mittelschule an ihre Ursprungsorte in Tianjin zurückgekehrt und wiederaufgebaut worden waren. Er starb im Alter von 75 Jahren.
Doch in den Herzen seiner Schüler lebten das Andenken von Direktor Zhang und sein Vermächtnis weiter. Während der gesamten acht Jahre, die wir während des Krieges in Shapingba lebten, wohnte er, genauso wie wir Schüler, in der Schule. Jeden Morgen machte er, mit seinem Gehstock in der Hand, einen Rundgang über das Schulgelände, um Anlagen und Gebäude zu inspizieren. Unterwegs begrüßte er die Schüler, klopfte dem einen auf die Schulter oder strich einem anderen durch das Haar und erkundigte sich nach ihrem Befinden: „Hast du denn auch genug zu essen, mein Kind?“, oder „Fehlt es dir an Kleidung?“ Die Eltern dieser Jugendlichen hatten ihm ihre Kinder anvertraut, und er kümmerte sich stets auf das Beste um seine Schutzbefohlenen. Was er in jener Zeit nicht wissen konnte, war, dass seine Mühen nicht umsonst gewesen sein sollten, denn seine Worte hatten Wurzeln geschlagen und seine Ideale trugen wir in unseren Herzen. Zigtausende Schüler würden sich für immer daran erinnern, ganz gleich, wohin auf dieser Erde es sie verschlug, und bis heute geben wir die Flamme, die er in uns entzündet hat, an nachfolgende Generationen weiter.
2 - Erinnerungen an unsere fürsorglichen Lehrer
Ich bin ausgesprochen dankbar für den anspruchsvollen Unterricht, den ich an der Nankai erhielt, denn diese sechs Jahre dienten mir als solide Grundlage für meine späteren Studien. Abgesehen von ihrem hohen akademischen Niveau, für das die Schule von Anfang an berühmt war, fand ich dort die Orientierungshilfe, die meine Zukunft entscheidend beeinflussen sollte. Ich denke, das hatte auch mit dem Umstand zu tun, dass die Schule nach ihrem Umzug in die Provinz Sichuan etliche hochqualifizierte Lehrer aus Peking und Tianjin für sich gewinnen konnte. Einem Aufruf von Direktor Zhang folgend, bezogen sie schon bald Quartier in der Jinnan-Siedlung, einer Wohnanlage für die Lehrerschaft auf dem Schulgelände. In den acht Jahren bis zu dem Sieg über Japan und dem Ende des Krieges hatten nur wenige von ihnen die Nankai-Mittelschule wieder verlassen.
„Jinnan“ war die erste Wohnsiedlung für Lehrpersonal, die ich kennenlernen durfte. In den kleinen Reihenhäusern aus Beton wohnten ziemlich viele Lehrer, deren Bekanntheit bis weit über die Grenzen Chinas reichte. An einige von ihnen erinnert man sich bis heute noch sehr gerne. Zum Beispiel gab es da den unvergleichlichen Chinesischlehrer, Meng Zhisun, der von uns Schülern hinter vorgehaltener Hand Der leidenschaftliche Menzius genannt wurde, weil er neben all seinem Fachwissen auch stundenlang in der sprachlichen Schönheit der traditionellen Dichtung schwelgen konnte. Es sind Erinnerungen, die ich über Jahrzehnte in Ehren gehalten habe und an denen ich mich bis heute noch erfreuen kann. So auch die von Zhang Yali, der „eiskalten Schönheit“, die nicht nur unsere Mathematiklehrerin, sondern auch ein echter Hingucker war. Trotz ihrer Schönheit war sie bei allen Schülern richtig gefürchtet, denn ein strenger Blick von ihr ließ unsere Herzen medusengleich zu Stein werden. Ja, und dann gab es da auch noch die beiden Yu-Schwestern. Das waren die Töchter des Verwaltungsdirektors der Schule. Nach ihrem Studium in den USA waren sie an die Nankai zurückgekehrt und arbeiteten seitdem als Lehrerinnen. „Tochter Nr. 1“ unterrichtete Englisch und hieß bei uns Yu, die Ältere. Also bekam „Tochter Nr. 2“, die Lehrerin für Naturwissenschaften den Beinamen Yu, die Jüngere.
Die Nankai-Schulen waren seit Anbeginn für ihre Weltoffenheit bekannt und betonten stets ihren internationalen Standard. Daher gehörte es quasi zur Tradition der Schule, stets höchste Ansprüche an die Schüler der Englisch-Klassen zu stellen. Auch in Fächern wie Physik, Chemie und Mathematik lag das Niveau weit über dem landesüblichen Durchschnitt, und für jene Schüler, die ein Universitätsstudium in diesen Fachbereichen anstrebten, gab es gesonderte Klassen. Die Nankai war vermutlich die erste Allgemeinbildende humanistische Schule Chinas, die sogar Infinitesimalrechnung in ihren Lehrplan aufgenommen hatte. Ich vermag dieses Wort nicht einmal auszusprechen, ohne dabei zu stottern, obwohl meine schulischen Leistungen überdurchschnittlich gut waren. Eben mit Ausnahme von Mathematik – Ich habe einfach nie begreifen können, warum in der Geometrie manchmal gebrochene Linien und manchmal durchgezogene Linien verwendet wurden. Die Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Linie, und daher gab es nur durchgezogene Linien!
Der alte Zheng war Chemielehrer und ein bodenständiger, wahrhaft komischer Kauz. Wir gaben ihm den Spitznamen Zheng, der Gutmütige und vergaßen mit der Zeit seinen richtigen Namen, Zheng Xinting. Xinting bedeutet so viel wie „Neuer Pavillon“, und das passte überhaupt nicht zu ihm. Wir Mädchen hatten keinen Unterricht bei ihm, hörten jedoch ständig, wie die Jungen ihn auf dem Schulhof nachahmten. Besonders lustig fanden wir es, wenn sie das Rezitieren von chemischen Formeln im Singsang des Shangdong-Dialekts parodierten. Es wurde auch erzählt, dass er sich nach Unterrichtsende im Wohnheim gern mal ein paar Gläschen Wein genehmigte, und wenn er dann so richtig in Stimmung kam, bereitete es ihm großes Vergnügen, Episoden aus der „Geschichte der Drei Streitenden Königreiche“ vorzutragen. Darüber hinaus hatte der Gutmütige stets einen großen Vorrat an heroischen Affirmationen, um die echten Männer zu ermutigen und anzuspornen. Ja, darum beneideten wir Mädchen die Jungen unserer Schule immer wieder aufs Neue.
Die Erdkundelehrerin Wu Zhenzhi unterrichtete auch chinesische Geschichte in der Unterstufe. Als es um die Insel Taiwan ging, sagte sie uns, wir sollten uns den Begriff „Ji-Dan-Gao“, sprich Eiertorte, als Eselsbrücke für die drei wichtigsten Hafenstädte der Insel einprägen. Zusammengesetzt aus den ersten Silben der Städte Jilong, Danshui und Gaoxiong entstand so ein Eierkuchen. Nach dieser Unterrichtsstunde wurde sie in Schülerkreisen nur noch „Ji-Dan-Gao genannt. Später, in der Oberstufe, unterrichtete sie uns in Humangeographie und brachte oft dicke Bildbände in englischer Sprache mit, um uns die unterschiedlichsten Karten und Zeichnungen aus allen Erdteilen zu zeigen. Auf diese Weise wollte sie uns die Augen öffnen für die Wunder dieser Welt und unseren Horizont erweitern. In Sommer desselben Jahres ereignete sich ein schlimmes Schiffsunglück auf dem Jialing-Fluss, einem Nebenfluss des Jangtse, und unter den Ertrunkenen befand sich auch Wus Verlobter. Wie immer machten solche Nachrichten schnell die Runde, und weil wir sie eigentlich sehr gern mochten, fertigten wir gemeinsam ein Kondolenzschreiben an, welches wir dann still und heimlich unter ihrer Zimmertür durchschoben: „Liebe Frau Lehrerin – wir weinen mit Ihnen …“ Aus Gründen der Pietät wagte seit jenem Tag niemand mehr, ihren Spitzname zu erwähnen.
Anfang 1948 traf ich sie zufällig im Treppenhaus der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Taida, also der Nationaluniversität von Taiwan. Sie befand sich gerade auf dem Weg zu einer Unterredung mit dem Dekan der Fakultät, Professor Shen Gangbo. Was für ein glücklicher Zufall! Bis zu ihrer Pensionierung als Dekanin der Fakultät für Geisteswissenschaft an der Chenggong-Universität im Süden von Taiwan blieben wir in regelmäßigem Kontakt. So erfuhr ich auch von ihrer schweren Krankheit und besuchte sie im Krankenhaus. Als ich begriff, dass es unsere letzte Begegnung sein würde, dankte ich ihr für all die Fürsorge und die spannenden wie lehrreichen Unterrichtsstunden während unserer gemeinsamen Zeit an der Nankai-Schule, bevor ich ein allerletztes Mal von ihr Abschied nahm.
Herr Kang, unser Mathematiklehrer, war der Sohn von einem der Gründer der Schule, weshalb er den Beinamen Kang der Filius erhalten hatte. Er galt als höchst kompetent auf seinem Fachgebiet und war vor allem bei den weiblichen Schülern sehr bekannt. Das lag jedoch eher daran, dass er groß, schlank, ziemlich attraktiv und zudem auch noch unverheiratet war. Die meisten meiner Mitschülerinnen schwärmten für ihn, aber ich nicht. Ich verstand überhaupt nicht, was sie an ihm fanden, denn er trug immer einen makellos weißen Anzug, was zu Zeiten des Krieges irgendwie unangenehm auffällig erschien. Alle anderen trugen schlichte Baumwollkleidung, wattierte Jacken und geflochtene Hanfsandalen. Irgendwie war er nicht von dieser Welt. Sein besonderes Augenmerk galt dem Schulmädchen, das neben mir saß und in der ganzen Schule wegen seiner Schönheit bekannt war. Jedes Mal, wenn wir während des Unterrichts oder bei Klassenarbeiten über unseren Aufgaben brüteten, ging er bedeutungsvoll im Raum auf und ab, bis er zum Tisch von Miss Fräuleinwunder kam. Dann blieb er jedes Mal ungefragt stehen, neigte sich ganz tief zu ihr hinunter und erläuterte ihr einige Details. Hinter seinem Rücken wurde dann immer heftig getuschelt und wir schnitten vieldeutige Grimassen.
Eine der wenigen Schülerinnen, die ihn nicht anschmachteten, empfand sein Verhalten nicht nur als ungebührlich, sondern geradezu unerträglich. Damals schrieben wir noch mit Pinsel und selbstgeriebener Tusche. Bei nächster Gelegenheit rieb sie besonders viel Tusche in ihre Reibesteinschale, bis diese fast überlief, und schob das Gefäß dann so weit über den Rand des Tisches, dass es beinahe zu kippen drohte. Als der Filius im Verlauf des Unterrichts wieder seine Runde drehte, kam es, wie es kommen sollte – der Saum seines Jacketts streifte die Schale, woraufhin diese kippte, und die ganze Tusche ergoss sich in einem Schwall über Jacke und Hose des armen Mannes. Stille! Für einen ewig scheinenden Augenblick war es totenstill. Dann brach das Donnerwetter auf die Übeltäterin herein: „Aiya, verflixt noch mal!“, fluchte Lehrer Kang in seinem Tianjin-Dialekt, mehr in Panik als vor Wut. „Du ungeschickte Schlumperliese, du! Was machste bloß?! Was, Ai, so’n Dreck!“ Vor lauter Anstrengung, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, saßen alle in der Klasse mit verkniffenen Mündern und hochroten Köpfen da. Ja, auch die Mädchen hatten es manchmal faustdick hinter den Ohren und dachten sich so manchen Streich aus. Aber diesen Schabernack fand ich dann doch zu gemein!
Von allen Lehrern war es der Chinesischlehrer Meng Zhisun, der den größten Einfluss auf mich und meine Zukunft haben sollte. Der leidenschaftliche Menzius hatte die Lehrpläne für sechs Schuljahre höchstpersönlich zusammengestellt und daraufhin die vollständige Lehrbuchsammlung der Nankai für den Chinesischunterricht organisiert. Zudem hatte er sämtliche für den Unterricht erforderlichen Werke und Texte ausgewählt, mit Zitaten sowie Anmerkungen versehen und dann als zwölfbändige Schulbuchreihe drucken und herausgeben lassen. Seine Lehrbücher genossen schon bald landesweit hohe Anerkennung und wurden auch an anderen Schulen für den Unterricht verwendet. Die Textanforderungen hatte er von leicht bis schwer geordnet, wobei er darauf geachtet hatte, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen klassischer und moderner chinesischer Literatur bestand.
In der Unterstufe behandelten wir unter anderem herausragende Werke von den Autoren der „Bewegung des 4. Mai“, die während der neuen anti-imperialistischen Kulturbewegung der 1920er-Jahre entstanden waren und uns das Tor zur neueren umgangssprachlichen Literatur Chinas öffneten. In der Oberstufe war der Lehrstoff solcherart gegliedert, dass wir quasi eine Reise durch die chinesische Literaturgeschichte unternahmen. Vom „Buch der Lieder“ bis hin zu den modernen Schriften der republikanischen Ära lernten wir die literarischen Entwicklungen einzelner Epochen kennen und vor allem auch verstehen, indem wir die erlesensten Werke durchstudierten. Als ich die zweite Klasse der Oberstufe besuchte, bot uns Der Leidenschaftliche die kreativen Wahlfächer „Lyrik“ und „Ci-Dichtung“ an, welche in Form von Arbeitsgemeinschaften neben dem regulären Unterricht stattfanden. Heutzutage gehören solche Arbeitsgemeinschaften zum schulischen Alltag, aber während meiner Jugend gab es solche Angebote an kaum einer Schule in China. So zeigte sich auch in dieser Hinsicht, wie fortschrittlich und niveau-orientiert die Nankai war.
In den folgenden zwei Jahren wurde ich zunehmend erwachsener, vielleicht sogar ernsthafter – ich begann mich gezielter auf meine Studien zu konzentrieren. Mit viel Fleiß und Gewissenhaftigkeit lernte ich für die obligatorischen Fächer, um mich später einmal für den Höheren Schulabschluss zu qualifizieren, doch meine Freizeit widmete ich zunehmend dem Studium von Dichtung und Lyrik. Während sich die ganze Welt im Krieg befand, genoss ich es, in einer Welt aus ästhetischen Bildern und Begriffen zu schwelgen. Mit der Zeit hatte ich schließlich fast alle wichtigen Standardwerke dieser beiden Literaturbereiche auswendig gelernt. Lehrer Meng entwickelte mir gegenüber ein zunehmend väterliches Wohlwollen. Irgendwann bemerkte er meine Leidenschaft für Gedichte und bot mir an, seine Privatsammlung zu nutzen. Er stellte eigens für mich eine Liste der Werke zusammen, von denen er dachte, dass sie in etwa meinem Niveau entsprachen, und lieh mir bereitwillig seine kostbaren Bücher aus. Manchmal sagte er nach dem Unterricht zu mir: „Heute gibt es bei uns zu Hause Zhajiang-Nudeln mit selbstgemachter Sojabohnenpaste, geschmortem Hackfleisch und frischen Gurken. Komm doch und iss mit uns.“ Dieses Gericht aus Nordchina war so unglaublich lecker, und bis heute läuft mir das Wasser im Munde zusammen, wenn ich nur daran denke.
Die Lehrer der Nankai waren, gemessen an den Anforderungen jener Zeit ebenso wie späterer Perioden, hochqualifizierte Gelehrte, deren Hauptanliegen darin bestand, uns Schüler sowohl mit umfangreichem Wissen zu füttern als auch unser kreatives Denken zu fördern. In ihrer unerschütterlichen Überzeugung, dass Bildung eine ausgewogene Entwicklung von Intellekt und Persönlichkeit erfordere, folgten sie den Idealen unseres Direktors, Zhang Boling, dessen Vision von zeitgemäßer Schulbildung landesweit zunehmend größere Anerkennung fand. Allein schon wegen der Stärke ihrer Überzeugung, ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit galten sie uns, ebenso wie die Lehrer der nordöstlichen Zhongshan-Schule, als Vorbilder. Sie verdienten sich deshalb die lebenslange Dankbarkeit und Hochachtung ihrer Schüler.
Im Jahre 2004 wurde ein Erinnerungsbuch zum 50. Alumni-Jubiläum unserer Abschluss-Klasse von 1943 herausgegeben. In den Beiträgen und Geschichten gab es zwei Lehrer, die am häufigsten erwähnt wurden: „Der leidenschaftliche Menzius“, Herr Meng Zhisun, und Herr Zheng Xinting, „Der Gutmütige“. Einer der Ehemaligen stellte in seinem Artikel sogar die Behauptung auf, dass rund 40 Prozent der Schulabsolventen seinetwegen Chemie oder eines der anderen von Zheng unterrichteten Fächer an der Universität als Hauptstudienfach gewählt hätten. In einem anderen Artikel wurde berichtet: Einer der Lieblingsschüler des Leidenschaftlichen Menzius, Xie Bangmin aus der Abschluss-Klasse von 1941, hätte während der Abschlussprüfung in Physik keine einzige Frage beantworten können. Nachdem er lange Zeit auf den leeren Prüfungsbogen gestarrt hatte, schrieb er in seiner Verzweiflung stattdessen einfach ein Gedicht darauf, doch ihm war nur allzu bewusst, dass er so gut wie durchgefallen war.
Nachdem der Physik-Lehrer Wei Rongjue, der landesweit als Kapazität galt und in späteren Jahren ein Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften war, die Prüfung beurteilen musste, schrieb er folgenden Kommentar darunter: „Obwohl der Prüfungsbogen mit fachlicher Leere eingereicht wurde, so verdient die Ci-Dichtung dennoch eine Auszeichnung. Jeder Mensch ist auf irgendeine Weise begabt, und das Prüfungsergebnis ist diesbezüglich als befriedigend zu bewerten!32 Der Glückspilz und Beinahe-Versager in der Physikprüfung, der Schüler Xie Bangmin, studierte später Rechtswissenschaften an der Vereinigten Südwest-Universität, und erhielt einige Jahre nach seinem Abschluss eine Professur an der Beijing-Universität. Geschichten wie diese zirkulierten in vielfältiger Weise auf dem Campus der Nankai und darüber hinaus. Deshalb ist es auch nicht besonders verwunderlich, dass wir Schüler uns mit einer gewissen Wehmut, aber vor allem mit großer Zuneigung an unsere Lehrer von damals erinnern.
Neben all den akademischen Ehren war die Nankai jedoch für ein eher seltenes Unterrichtsfach in ganz China berühmt: die Turnstunde! Mit regelmäßigen Körperübungen sollte die schlappe Jugend physisch wie moralisch gestärkt werden. Jeden Tag um 15:30 Uhr mussten sämtliche Klassenzimmer verlassen und abgeschlossen werden, woraufhin sich die gesamte Schülerschaft auf dem Gelände zu einer Sportart oder einem Ballspiel einzufinden hatte. Die Teilnahme an der körperlichen Ertüchtigung und den Wettkämpfen war verpflichtend, außer an Tagen mit starkem Regen.
Anfangs dachte ich, dass Softball als einfache Variante von Baseball nicht so ein grobes Spiel und daher besser für mich geeignet wäre, denn ich war noch immer dünn wie eine Sojasprosse und auch nicht besonders kräftig. Wie hätte ich auch nur ahnen können, dass das „Running“ eine sehr hohe Laufgeschwindigkeit erfordern würde. Mitgefangen – mitgehangen! So musste ich zuallererst einmal lernen, meine Beine ordentlich zu koordinieren, was meine Mitschüler in den ersten Wochen höchst amüsant fanden und mir einiges an Spott eintrug. Meine Klassenkameradin Cheng Keyong war nicht sonderlich groß gewachsen, aber unheimlich schnell unterwegs auf ihren kurzen Beinen, weshalb sie den Spitznamen Jeep Flitzer bekam. Nach einigem Zögern erklärte sie sich dazu bereit, mir zu helfen. Mit der Zeit verbesserte sich meine Laufleistung zunehmend, und nach einem halben Jahr harten Trainings wurde ich tatsächlich von der Reservebank geholt und an der ersten „Base“ eingesetzt. Zu meiner eigenen Überraschung stellte ich fest, dass ich sogar richtig schnell laufen konnte. In der dritten Jahrgangsstufe, kurz vor den Weihnachtsferien, erhielt ich dann quasi den Ritterschlag, als ich in das Leichtathletik-Team der Mädchen berufen wurde. Zu Wettbewerben trat ich in den Disziplinen Kurzstreckenlauf, Hochsprung und Weitsprung an und konnte mit meinen Leistungen durchaus überzeugen. Einer unserer Lehrer ließ sich sogar dazu hinreißen, meine Flugtechnik beim Hoch- und Weitsprung als „federleicht durch die Luft ins Ziel schwebend“ zu beschreiben.
Meine Eltern konnten es kaum fassen, dass ich zu solch sportlichen Leistungen fähig sein sollte. Eines Tages fasste sich meine Mutter ein Herz und kam zu einem meiner Schulwettkämpfe. Während sie mir beim 100-Meter-Sprint zusah, regte sie sich, vor lauter Sorge um mich, derart auf, dass sie zum Zielbereich eilte, um mich nach meinem ihrer Meinung zufolge unvermeidlichen Zusammenbruch nach Hause zu tragen. Mehr als 60 Jahre sind inzwischen vergangen, und ich kann noch immer den Wind in meinen kurzen Haaren spüren, während ich beim Weitsprung durch die Luft segelte, ja sogar das Brausen in den Ohren hallt noch leise nach. Es war das erste Mal, dass diese spindeldürre Fünfzehnjährige spürte, wie großartig das Leben sein kann, wenn man eine Hürde gemeistert hat und so etwas wie Selbstvertrauen in die eigene Person empfindet!
Das klingt alles nach eitel Sonnenschein, aber um ganz ehrlich zu sein, muss ich auch eingestehen, dass es so etwas wie einen „sportlichen Albtraum“ gab: Den Stepptanz! Mit den ausländischen Konzessionen kamen im 19. Jahrhundert auch die technischen Errungenschaften der westlichen Welt nach China, und mit dem Wunder des Films kam unweigerlich der modisch hochaktuelle Stepptanz. Unsere Tanzlehrerin, Frau Gao, war eine hochgewachsene Dame von ausgezeichneter Figur und stets strammer Körperhaltung. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren war sie meine Sport- und Tanzlehrerin. Stepptanz zählte zu den Pflichtfächern, und während die anderen Mädchen relativ gut mithalten konnten, hinkten meine linkischen Beine und Füße immerzu dem Takt hinterher. Während der Übungen hatte Frau Gao immer eine Art Dirigentenstab in der Hand und beklopfte damit andauernd meine Fußknöchel: „Du bist doch ansonsten eine exzellente Schülerin, wieso hast du nur so ungeschickte Füße?“ Viele Jahre später erfuhren wir, dass sie ebenfalls nach Taiwan gezogen war, und alle meine ehemaligen Mitschülerinnen gingen sie besuchen. Alle außer mir, denn sie hatte mich einfach zu oft beklopft. Es war nicht so, dass ich es nicht wirklich versucht hätte, aber ich besaß einfach kein Talent fürs Tanzen, und schon gar nicht für den Stepptanz. Trotzdem setzte es immerzu Hiebe von ihr, und sie meinte allen Ernstes, dass ich töricht sei. Ich wusste mir einfach nicht zu helfen, und dennoch gab ich ihr nie die Schuld – dazu schämte ich mich viel zu sehr.
3 - Ein Schlafsaal mit 18 Betten
Während all der Jahre an der Nankai konnten wir kaum den einen Augenblick im schulischen Alltag erwarten, da die Glocke am Samstag um 15:30 Uhr das Unterrichtsende verkündete und wir ins Wochenende entlassen wurden. Endlich durften wir nach Hause fahren. Selbst Jahrzehnte später noch stieg in mir jedes Mal ein Gefühl der Vorfreude auf, wenn es samstags auf diese Uhrzeit zuging, und ich erwartete unbewusst noch immer, dass um halb vier etwas Schönes geschehen würde.
Unsere Schule befand sich in einem ruhigen Vorort von Chongqing; da in der Stadt der Kriegszustand herrschte, erging eine Anordnung, dass niemand unter der Woche den Campus verlassen durfte. Es wäre viel zu gefährlich für uns gewesen, täglich den Schulweg zurückzulegen, auch wenn man, wie ich, gerade einmal einen Kilometer entfernt wohnte. Ausnahmen gab es nicht. Öffentliche Verkehrsmittel gab es so gut wie gar nicht, denn eine der Devisen während des Krieges lautete: Ein Tropfen Benzin ist so viel wert wie ein Tropfen Blut! Es musste an allen Ecken und Enden gespart werden, und vor allem an Treibstoff, ansonsten wäre der Krieg für uns verloren gewesen. Daher kannten wir auch weit und breit niemanden, der ein eigenes Auto besessen hätte.
Da nun alle Schüler in den Wohnheimen untergebracht werden mussten, hatte man die Zahl der Betten in den Schlafsälen auf jeweils 18 aufgestockt. Die hölzernen Schlafpritschen standen in drei ordentlichen Reihen zu je sechs Betten. Dazwischen hatte man schmale Gänge gelassen, die gerade einmal Platz für eine Person boten. Von der Pritsche bis zum Fußboden war ausreichend Raum, um einen kleinen Holzkoffer mit Wäsche darunterzuschieben. Frühmorgens und am frühen Abend gab es das Silentium, also Lernzeiten, die wie der normale Unterricht von einer Lehrkraft beaufsichtigt wurden. Von Samstag 15:30 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr hatten wir frei und durften nach Hause zu unseren Familien. In diesem Dormitorium wohnte ich volle sechs Jahre, und es fühlte sich an, als wüchse man in einer riesigen Familie auf. Wie in jeder Großfamilie gab es zahlreiche Konflikte, die von unterschiedlichen Auffassungen von Ordnung über diszipliniertes Verhalten innerhalb einer Wohngemeinschaft bis zur Überschneidung von privaten Interessen reichten. An die meisten dieser Streitigkeiten kann ich mich gar nicht mehr erinnern, doch es gibt auch etliche besonders lustige, die mir verhaftet geblieben sind. Und das sind vor allem jene, die während der unterrichtsfreien Zeiten entweder ganz früh morgens nach dem Aufstehen oder abends, nachdem das Licht gelöscht worden war, passiert sind.
Einer der Hauptbestandteile, die zur Grundausstattung einer Schule gehörten, war die große Wanduhr. Unsere war während der Flucht leider auf der Strecke geblieben und für eine neue war kein Geld vorhanden. Und so etwas wie einen elektrischen Wecker hätten wir uns nicht einmal in unseren wildesten Träumen vorzustellen vermocht. So wurden wir jeden Morgen um sechs Uhr mit einem grauenhaften Hornsignal geweckt. Der gesamte Tagesablauf wie Beginn und Ende der einzelnen Unterrichtsstunden wurde ebenfalls durch das alte Signalhorn angezeigt. Mich schaudert es heute noch, wenn ich an diese schrillen, insistierenden Trompetenstöße zurückdenke. Besonders im Winter, wenn uns der markerschütternde Lärm noch vor dem Morgengrauen von den Holzpritschen in die elende Kälte jagte, empfanden wir es als besonders grausam, die wärmenden Decken gänzlich den Schwärmen der Bettwanzen überlassen zu müssen. Nachdem wir uns aufgerappelt und angezogen hatten, eilten wir zum Sportplatz, wo sich jede Klasse in Reih und Glied aufstellen musste. Meistens war der Morgennebel noch so dicht, dass wir die Schüler der anderen Klassen kaum erkennen konnten. Bevor es dann mit dem Frühsport losging, baute sich meistens noch Frau Wang Wentian, die Leiterin des Mädcheninternats, vor uns Schülerinnen auf und beglückte uns mit einer Moralpredigt, die stets mit der unvergesslichen Einleitung begann: „Euch Fräuleins dampft’s ja schon ordentlich über den Köppen, aber genau da, wo Hirn sein sollte, da is nix wie Stroh!“ Damals ließen wir jedes Mal vor Angst erstarrt ihren Sermon über uns ergehen. Aber viele Jahre später schüttelten wir uns aus vor Lachen und freuten uns von Herzen, wenn wir wieder einmal daran dachten oder darüber sprachen.
In jenen Tagen waren es nicht nur wir Mädchen, die sich vor ihr fürchteten, auch die Jungen hatten einen Heidenrespekt vor ihr, und die meisten von ihnen hatten bis zum Schulabschluss, also sechs Jahre lang, nicht einen einzigen Schritt durch das Tor zum Mädchenbereich gewagt. Mir persönlich erscheint es damals wie heute ein unlösbares Rätsel, wie eine derart fischblütige und unnahbare Dame es geschafft hat, als Frau ein Studium im hoch entwickelten Deutschland zu erhalten und erfolgreich hinter sich zu bringen. Weit mehr noch, offen gesagt, wie die Hochgebildete, jedoch ziemlich furchterregend Wirkende, die wir hinter ihrem Rücken mit dem Spitznamen Die Sphinx geadelt hatten, es auch noch im Alter von weit über 40 Jahren zuwege gebracht hatte, den renommierten Gelehrten Li Shuhua als Ehemann an sich zu binden.
Viele, viele Jahre später, als auch ich mich bereits in den Vierzigern befand, ergab es sich aus einem Zufall, dass ich sie in New York besuchte. Nachdem ich geklingelt hatte, erschien sie persönlich, um die Tür zu öffnen. Noch bevor ich imstande war, sie zu begrüßen und zu fragen, ob sie mich denn noch kennen würde, da liefen ihr schon die Tränen die Wangen hinunter, sie rief voller Freude: „Du liebe Zeit! Na freilich kenn ich dich noch! Dich und all die anderen Fräuleins. Was ward ihr bloß für ’n Haufen frecher Lausemädels?!“ Ich traute meinen Ohren kaum. In jenen Jahren war es doch so gewesen: Sobald ihre Stimme den morgendlichen Nebel zerriss, vergaßen wir auf der Stelle alle unsere süßen Träume, die wir zuvor in unseren kuschlig warmen Betten geträumt hatten! Ihre Stimme donnerte in unseren Köpfen wie Schüsse aus einer Stahlkanone, und den restlichen Tag klang uns das Echo ihres ausgeprägten Tianjin-Dialekts in den Ohren: „Hoffnungslos! Einfach hoffnungslos! Ihr seid einfach nur wilde Gören!“ Wie konnte es da angehen, dass sie mich heute mit solch warmherzigen Worten begrüßte? Waren wir ihr also tatsächlich nur als ein Haufen schelmischer Lausemädchen in Erinnerung geblieben?
Mag sein, dass wir Mädchen wie ein Sack voller Flöhe waren, den es zu hüten galt, denn sobald der letzte schlaffe Trompetenstoß, der die Nachtruhe verkündete, in der Dunkelheit verklungen war, wurde es im Wohnheim erst richtig lebhaft und lustig. Kaum hatte die Aufsicht das Licht abgeschaltet und sich zurückgezogen, begannen wir auch richtig aufzuleben. Der Schlaf mochte sich bei uns keinesfalls selbstverständlich mit einsetzender Dunkelheit einstellen. Vor allem in den Nächten, da kein Mond schien, fühlten wir uns sicher, denn auch die feindlichen Bomber würden sich nicht zeigen. Statt auf den Fliegeralarm zu horchen, bestand das Abendprogramm darin, nach Lust und Laune zu plaudern und sich gegenseitig das Herz auszuschütten. Natürlich waren wir Mädchen damals im Alter von 17 oder 18 Jahren erfüllt von Sehnsucht nach einer großen romantischen Liebe. So entdeckten wir in den Texten, die während des Unterrichts behandelt wurden, oder in Büchern, die wir während der Freistunden lasen, immer wieder „versteckte Hinweise“. Ja, ich meine wirklich v-e-r-s-t-e-c-k-t, denn wir mussten schon lernen, zwischen den Zeilen zu lesen, um sie zu entdecken, da es in jenen Tagen als unschicklich galt, derartige Gefühle öffentlich zu äußern. All diese Gedichte und Lieder waren angefüllt mit fiebergleichen Frühlingsgefühlen oder herbstlicher Melancholie gebrochener Herzen. Niemand vermochte uns davon abzuhalten, in solcherlei Empfindungen zu schwelgen, doch darüber zu sprechen war strengstens untersagt, vor allem wenn man für einen ganz bestimmten Herzbuben schwärmte. Wenn ich mich richtig erinnere, dann musste ein Mädchen, das den Mut besaß, die eigene Verliebtheit zuzugeben und sich vielleicht sogar noch wagte, öffentlich zu poussieren, umgehend die Schule verlassen. So blieben uns nur die Abendstunden, um unsere Herzen zu öffnen, denn unter uns Mädchen galt stets die inoffizielle Devise: Was in der Dunkelheit des Schlafsaals besprochen wird, das bleibt auch im Schlafsaal!
Ein anderer Spielgefährte, der auch stets im Schlafsaal bei uns blieb, bereitete uns jedoch viel größeren Kummer: Bettwanzen! Diese kleinen Plagegeister waren äußerst aktiv im Wohnheim der Nankai. Niemand entkam ihnen, und so wurde es üblich, dass wir unser Gepäck, wenn wir an Wochenenden zu Hause ankamen, erst mal draußen in der Sonne stehen lassen mussten. Kleidung und Bettwäsche wurden getrennt unter der Sonne ausgebreitet. Nach einer Weile pflückte man die verbliebenen Wanzen heraus und dann musste alles ordentlich durchgewaschen werden. Nicht einmal unsere Bücher waren sicher vor ihnen. Sie versteckten sich zwischen den Seiten oder hockten im Umschlag, und so mussten wir auch die Bücher reinigen. Der chinesische US-Amerikaner Morris Zhang (*1931), ein angesehener Geschäftsmann und „Vater der Halbleiterindustrie“, berichtete in seiner Biografie ebenfalls von einer wahrhaften Plage der Bettwanzen und von seinem erbitterten Protest gegenüber der Schulleitung, als er selbst noch ein Schüler an der Nankai gewesen war.