Kitabı oku: «Verfassungsprozessrecht», sayfa 16
c) Ausnahmen
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Gem. § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG kann das BVerfG ausnahmsweise über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde (Vorabentscheidung). Diese Vorschrift wendet das BVerfG analog auch auf den über das Gebot der Rechtswegerschöpfung hinausgehenden Grundsatz der Subsidiarität an (BVerfGE 84, 90, 116). Das BVerfG betont allerdings, dass eine Vorabentscheidung grundsätzlich auch nicht in Betracht kommt, „wenn die Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs eine für den Fall maßgebliche Klärung einfachrechtlicher Vorfragen oder die Feststellung auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung erheblicher Tatsachen erwarten lässt“ (BVerfGE 145, 365, 372).
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Eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG kommt nur dann in Betracht, wenn der Rechtsweg vom Beschwerdeführer theoretisch noch beschritten werden könnte (BVerfGE 11, 244). Die Vorschrift ist kein Rettungsanker für diejenigen, die Fristen überschritten oder erforderliche Sachrügen versäumt haben (s. dazu BVerfGE 13, 284, 289).
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Hinweis:
Für den Beschwerdeführer heißt das, dass er auch dann, wenn er ganz sicher ist, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG vorliegen, auf die ordnungsgemäße Durchführung eines fachgerichtlichen Verfahrens nicht verzichten darf. Nicht er, sondern das BVerfG entscheidet darüber, ob die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung vorliegen. Kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist, können die maßgeblichen Rechtsmittelfristen bereits abgelaufen sein. Um kein Risiko einzugehen, muss der Beschwerdeführer also auch hier „zweigleisig“ fahren. Er muss beim BVerfG Verfassungsbeschwerde einlegen und darlegen, warum in seinem Fall eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG geboten ist. Ein förmlicher Antrag ist nicht erforderlich. Zugleich hat er das fachgerichtliche Verfahren zu betreiben (vgl Rn 293).
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Von allgemeiner Bedeutung ist eine Verfassungsbeschwerde, wenn die zu erwartende Entscheidung über den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle schafft (BVerfGE 19, 268, 273). Das BVerfG hat dies etwa angenommen im Falle der bereits erwähnten Verfassungsbeschwerde gegen die Rechtschreibreform (BVerfGE 98, 218, 243 f). Regelmäßig grundsätzliche Bedeutung hat die Frage, ob die einer Entscheidung zugrunde liegende Gesetzesnorm verfassungswidrig ist (BVerfGE 91, 93, 106).
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Ein „schwerer und unabwendbarer Nachteil“ droht dem Beschwerdeführer beispielsweise dann, wenn die Forderung, das gesamte fachgerichtliche Verfahren zu durchlaufen, eine erhebliche zeitliche Belastung bedeutet, die im Hinblick auf das Lebensalter des Beschwerdeführers und die Bedeutung seiner verfassungsrechtlichen Rügen unzumutbar erscheint (BVerfGK 3, 277, 283). Voraussetzung ist also ein besonders intensiver Grundrechtseingriff (vgl BVerfGE 8, 222, 226), der zur irreparablen Grundrechtsverletzung führen kann, wenn das BVerfG nicht vor Erschöpfung des Rechtswegs über die Verfassungsbeschwerde entscheidet. Unabwendbar ist der Nachteil nur dann, wenn eine Entscheidung im Rechtsweg nicht ebenfalls Abhilfe schaffen kann. Das wird das BVerfG nur ganz ausnahmsweise anerkennen.
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Nicht zumutbar ist dem Beschwerdeführer die vorherige Anrufung der Fachgerichte, „wenn im Hinblick auf eine gefestigte jüngere und einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung auch im konkreten Einzelfall kein von dieser Rechtsprechung abweichendes Erkenntnis zu erwarten ist“ (BVerfGE 9, 3, 7 f; 78, 155, 160) oder die zur Verfügung stehenden (weiteren) Rechtsschutzmöglichkeiten dem Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers nicht dienen (BVerfGE 132, 99, 117). „Offensichtlich aussichtslose fachgerichtliche Rechtsbehelfe müssen auch unter Berücksichtigung der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht erhoben werden.“ (BVerfGE 126, 1, 18; ähnl. – mit Einschränkungen – BVerfGE 134, 22, 286 mwN).[200] Nicht zumutbar ist dem Beschwerdeführer die vorherige Anrufung der Fachgerichte auch dann, wenn ihm eine beantragte Prozesskostenhilfe abschließend wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung verweigert worden ist (BVerfGE 22, 349, 355).
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Auch dann, wenn die Bestreitung des Rechtswegs vom Beschwerdeführer wegen besonderer Umstände in seiner konkreten Lebenssituation nicht verlangt werden kann, soll der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ihrer Zulässigkeit nicht entgegenstehen (BVerfGE 110, 177, 189). Die Sinn- und Aussichtslosigkeit der vorherigen Anrufung der Fachgerichte kann auch darin bestehen, dass der Misserfolg eines gerichtlichen Verfahrens von vornherein feststeht, weil die Norm keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum einräumt, der grundrechtsschonend ausgefüllt werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Fall allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das BVerfG beantworten kann, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären (BVerfGE 123, 148, 172 f).
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Keinesfalls zumutbar ist es dem Beschwerdeführer schließlich, gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zu verstoßen und dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend zu machen (BVerfG, 1 BvR 2795/09 vom 18.12.2018, Abs.-Nr 45 mwN; BVerfGE 145, 20, 54; bezogen auf einen bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeitentatbestand BVerfGE 142, 268, 280 mwN).
§ 3 Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a, 4b GG) › II. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen › 7. Frist
7. Frist
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Bei Einlegung und Begründung[201] der Verfassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer die in § 93 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BVerfGG geregelten Fristen einhalten. Das BVerfG legt diese Regelungen „aus Gründen der Rechtssicherheit“ eng aus (BVerfGE 11, 255, 260; 18, 1, 9; 23, 153, 164; 24, 252, 257; 30, 112, 126) und versagt sich eine Handhabung, die im Ergebnis die Fristenregelungen ausschaltet (BVerfGE 11, 255, 262; 21, 94, 97; 23, 229, 238). Es handle sich um Ausschlussfristen, die den zu einer prozessualen Handlung Berechtigten veranlassen sollten, „diese Handlung nicht beliebig lang hinauszuschieben, sondern innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen, nach deren Ablauf er mit der Handlung ausgeschlossen ist“ (BVerfGE 127, 87, 110). Verfassungsrechtlich sind die Fristvorgaben des § 93 BVerfGG unbedenklich (vgl aber Rn 329)[202]. Ob die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG oder die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG einzuhalten ist, hängt ab vom Angriffsgegenstand.
a) Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG
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Rechtsnormen und sonstige Hoheitsakte, gegen die ein Rechtsweg nicht offen steht, kann der Beschwerdeführer binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlass des Hoheitsakts mit der Verfassungsbeschwerde angreifen (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Mit „Gesetzen“ sind nicht nur formelle Gesetze, sondern auch alle Rechtsnormen unterhalb des Ranges, aber mit der Wirkung eines formellen Gesetzes gemeint (BVerfGE 13, 248, 253).
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Die Jahresfrist gilt nur für Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gesetze (BVerfG, 1 BvR 2795/09 vom 18.12.2018, Abs.-Nr 47) und nur für solche Rechtsnormen, für die ein Rechtsweg nicht offen steht. Das ist eine seltene Ausnahme (vgl Rn 302 ff). Insbesondere beginnt sie nicht nach Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens zu laufen. Hier gilt die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG, die mit dem Tag der Zustellung der letzten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu laufen beginnt[203].
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Die Jahresfrist beginnt grundsätzlich mit dem Inkrafttreten der Norm. Ausnahmsweise aber, dann nämlich, wenn eine Regelung noch der Konkretisierung durch Rechtsverordnung bedarf, um Rechtswirkungen zu entfalten, ist erst das Inkrafttreten der Rechtsverordnung der maßgebende Zeitpunkt für die Berechnung der Frist (BVerfGE 110, 370, 382).
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Wie die Jahresfrist zu berechnen ist, ist im BVerfGG nicht geregelt. Das BVerfG wendet insoweit in ständiger Rechtsprechung die §§ 187 ff BGB an (lehrreich BVerfGE 102, 254, 295)[204]. Weil Gesetze in der Regel zu Beginn eines bestimmten Tages in Kraft treten, der dann gem. § 187 Abs. 2 S. 1 BGB bei der Berechnung der Frist mitgerechnet wird, endet die Jahresfrist mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tag vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht (§ 188 Abs. 2 BGB). Tritt ein Gesetz am 1. Dezember um 0:00 Uhr in Kraft, endet die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht am 1. Dezember, sondern bereits am 30. November des Folgejahres um 24:00 Uhr, es sei denn, dies ist ein Sonntag, ein gesetzlicher Feiertag oder ein Sonnabend, dh ein Samstag – dann nämlich endet die Frist gem. § 193 BGB mit Ablauf des nächstfolgenden Werktages[205].
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Die Jahresfrist ist eine echte Ausschlussfrist. Anders als bei der Monatsfrist gibt es hier keine Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BVerfGE 4, 309, 313 f). Dies wird nur teilweise kompensiert durch die Möglichkeit, auch nach Ablauf der Jahresfrist (so jetzt deutlich BVerfG, 1 BvR 2795/09 vom 18.12.2018, Abs.-Nr 47) gegen Vollzugsakte vorzugehen und in diesem Rahmen – mittelbar bzw inzident – die Grundrechtswidrigkeit der Norm geltend zu machen (BVerfGE 9, 338, 342; 70, 297, 306). Die Fälle, in denen dem Beschwerdeführer gegen Rechtsnormen kein Rechtsweg offensteht, sind ja gerade die, in denen er effektiven Rechtsschutz nur durch den „Frontalangriff“ auf die Rechtsnorm selbst erreichen kann.
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Zu Recht geht das BVerfG daher davon aus, dass es einer „rechtsschutzfreundlichen Auslegung“ der gesetzlichen Fristen bedarf, „wenn ein Beschwerdeführer in Rücksicht auf die genannten Subsidiaritätsanforderungen gegenüber den unmittelbaren Wirkungen eines Gesetzes zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz gegenüber den von ihm gerügten Grundrechtsverletzungen sucht, dieses Begehren dann aber von den Fachgerichten letztlich als unstatthaft oder aus anderen Gründen als unzulässig beurteilt wird. Einer Verfassungsbeschwerde derselben Person, die diese anschließend unmittelbar gegen das Gesetz erhebt, kann dann die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht entgegengehalten werden. Sofern die Person den fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen das Gesetz innerhalb eines Jahres nach dessen Inkrafttreten anhängig gemacht hat, gilt vielmehr – bezogen auf die abschließende fachgerichtliche Entscheidung – die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG für die Einlegung der Rechtssatzverfassungsbeschwerde entsprechend. Dem kann nur in Fällen der Offensichtlichkeit entgegengehalten werden, dass der Beschwerdeführer hätte erkennen müssen, dass das fachgerichtliche Verfahren keine Aussicht auf Erfolg hatte (BVerfG, 1 BvR 2795/09 vom 18.12.2018, Abs.-Nr 48).
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Tritt ein Gesetz rückwirkend in Kraft, stellt das BVerfG nicht auf das Inkrafttreten, sondern auf die Verkündung desselben ab (BVerfGE 1, 415, 416 f; stRspr; BVerfGE 64, 367, 376). Zur Begründung – die angesichts des klar entgegenstehenden Wortlauts geleistet werden muss – weist das Gericht auf den Sinn der Vorschrift hin: Mit § 93 Abs. 3 BVerfGG solle im Sinne der Rechtssicherheit eine bestimmte Zeitspanne festgesetzt werden, innerhalb derer der Beschwerdeführer sorgfältig prüfen könne und sich überlegen solle, ob er sich in seinen Grundrechten unmittelbar verletzt fühle und das BVerfG anrufen wolle. Dies sei ihm aber erst ab dem Zeitpunkt möglich, in welchem er vom Inhalt des Gesetzes Kenntnis erlangen könne. Und dies sei frühestens am Tag der Verkündung der Fall (BVerfGE 1, 415, 416). Gegen diese Argumentation ist nichts zu erinnern. Zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass der Gesetzgeber ansonsten die Möglichkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde durch Rückdatierung des Inkrafttretens um mehr als ein Jahr ganz ausschließen könnte (BVerfGE 1, 415, 417).
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Greift der Beschwerdeführer eine Gesetzesänderung an, kommt es darauf an, ob sich das „materielle Gewicht“ der Vorschrift durch die Neufassung ändert oder nicht (BVerfGE 79, 1, 14). Ändert sich die Rechtslage durch die Gesetzesänderung oder -neufassung nicht, beginnt die Jahresfrist nicht erneut zu laufen. Dass der Gesetzgeber „eine unverändert gebliebene Bestimmung gelegentlich der Änderung anderer Vorschriften desselben Gesetzes erneut in seinen Willen aufgenommen hat“, genügt nicht (BVerfGE 122, 63, 74; 129, 208, 234), noch weniger eine unveränderte Neubekanntmachung, Neufassung oder die Berichtigung von Fehlern im Gesetzestext (BVerfGE 80, 137, 149; BVerfG-K NJW 1994, 1525 f mwN). Bekommt eine unverändert gebliebene Vorschrift jedoch durch Änderungen anderer Vorschriften einen neuen Gehalt, liegt darin eine geänderte Beschwer, die die Beschwerdefrist gegen die Vorschrift erneut in Lauf setzt (BVerfGE 141, 220, 263).
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Greift der Beschwerdeführer ein Unterlassen des Gesetzgebers an, ist zu unterscheiden, ob es sich um ein so genanntes absolutes (auch: echtes) oder um ein relatives (unechtes) Unterlassen handelt: Rügt der Beschwerdeführer völlige gesetzgeberische Untätigkeit, liegt ein Fall absoluten Unterlassens vor. Hier steht dem Beschwerdeführer zwar kein Rechtsweg im Sinne der § 90 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 BVerfGG offen. Aber: § 93 Abs. 3 BVerfGG stellt auf das „Inkrafttreten“ eines Gesetzes ab, schreibt dem Beschwerdeführer also für den Fall, dass der Gesetzgeber gänzlich untätig bleibt, die Einhaltung einer Frist nicht vor (BVerfGE 6, 257, 266). Deshalb ist die Verfassungsbeschwerde unbefristet zulässig, so lange das Unterlassen andauert (BVerfGE 77, 170, 214; zuvor zB BVerfGE 6, 257, 266)[206]. Greift der Beschwerdeführer hingegen eine bestimmte gesetzliche Regelung mit der Behauptung an, der Gesetzgeber habe damit grundrechtliche Ansprüche gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt, ist die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG einzuhalten (BVerfGE 56, 54, 71).
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Sonstige Hoheitsakte, für die ein Rechtsweg nicht offensteht, sind wegen der umfassenden Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG einerseits, dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch andererseits kaum denkbar. § 93 Abs. 3 BVerfGG stellt jedenfalls sicher, dass auch dann, wenn der Gesetzgeber diese Garantien nicht pflichtgemäß umsetzt, die Rechtssicherheit nicht gefährdet wird und Verfassungsbeschwerden nicht unbefristet zulässig sind.
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Hinweis:
Keine „sonstigen Hoheitsakte“ iSd § 93 Abs. 3 BVerfGG sind gerichtliche Entscheidungen, die mit Rechtsmitteln nicht mehr angreifbar sind. Auch gegen sie steht ein Rechtsweg zwar nicht (mehr) offen, aber: Die Frist, binnen derer sie im Wege der Verfassungsbeschwerde anzugreifen sind, ergibt sich aus § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG. Nicht ganz so eindeutig ist dies, wenn der Beschwerdeführer am gerichtlichen Verfahren nicht als Partei oder in ähnlicher Stellung teilgenommen hat. Auch von ihm verlangt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung, dass er die strengere Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG einhalten müsse, die freilich erst mit Kenntnis der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung zu laufen beginne (BVerfGE 75, 201, 214; zuvor BVerfGE 21, 132, 136 f; 28, 88, 93 f; 60, 7, 13). Den Beginn einer Ausschlussfrist aber daran festzumachen, dass der Beschwerdeführer in irgendeiner Weise von der Entscheidung Kenntnis erhalten und sich ein gewisses Bild von den für ihn maßgeblichen Tatsachen machen konnte[207], ist der Rechtssicherheit abträglich. Näher liegt die Anwendung des § 93 Abs. 3 BVerfGG: Gerichtliche Entscheidungen, an denen der Beschwerdeführer nicht als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist, sind für diesen „sonstige Hoheitsakte, gegen die ein Rechtsweg nicht offen steht“[208].
b) Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG
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Für Verfassungsbeschwerden gegen Akte öffentlicher Gewalt, gegen die dem Beschwerdeführer ein Rechtsweg offen steht, gilt die – sehr kurz, wenn nicht zu kurz bemessene[209] – Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG. Der Regelfall ist die Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche, den Rechtsweg abschließende, rechtskräftige Entscheidung der Fachgerichtsbarkeit. Sofern der Grundsatz der Subsidiarität das Einlegen eines weiteren fachgerichtlichen Rechtsbehelfs, etwa Anhörungs- oder Verzögerungsrüge, verlangt, ist allein diese Entscheidung für den Beginn der Monatsfrist maßgeblich[210].
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Wann die Monatsfrist zu laufen beginnt, hängt ab von der Ausgestaltung der jeweiligen Verfahrensordnung[211]. Die „maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften“, auf die § 93 Abs. 1 S. 2 BVerfGG dynamisch verweist, sind die für das Fachgericht geltenden (BVerfGE 9, 109, 114 ff). Schreibt die Verfahrensordnung im konkreten Fall die Zustellung oder formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung von Amts wegen vor, ist der Tag der Zustellung oder formlosen Mitteilung maßgeblich (§ 93 Abs. 1 S. 3 1. Fall BVerfGG).
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Gibt es keine entsprechende Vorschrift, setzt die Zustellung oder formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung die Monatsfrist nicht in Lauf. Ob eine Entscheidung „in vollständiger Form abgefasst“ ist, wird ebenfalls durch die einschlägigen Verfahrensordnungen bestimmt. So kann ein Zivilurteil zB, wenn die Voraussetzungen des § 313a Abs. 1 S. 1 u. 2 ZPO vorliegen, nur aus dem Tenor bestehen und in dieser Form „vollständig“ sein. Ist die in vollständiger Form abgefasste Entscheidung nicht zuzustellen oder mitzuteilen, kommt es auf den Tag der Verkündung der Entscheidung oder – wenn eine Verkündung nach den Vorschriften der Verfahrensordnung nicht vorgeschrieben ist – auf die sonstige Bekanntgabe der Entscheidung an den Beschwerdeführer an (§ 93 Abs. 1 S. 3 BVerfGG). Den Lauf der Monatsfrist kann der Beschwerdeführer aber in diesen Fällen dadurch unterbrechen, dass er schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefassten Entscheidung beantragt (§ 93 Abs. 1 S. 3 BVerfGG). Dann ist der Lauf der Monatsfrist so lange unterbrochen, bis die Entscheidung dem Beschwerdeführer in vollständiger Form vom Gericht erteilt oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten zugestellt wird. Die Unterbrechung tritt nur auf besonderen Antrag hin ein (BVerfGE 9, 109, 118) und wirkt nur für den Beschwerdeführer, der den entsprechenden Antrag gestellt hat (BVerfGE 24, 236, 243).
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Abweichend davon geht das BVerfG davon aus, dass die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG spätestens fünf Monate nach der Verkündung einer Entscheidung zu laufen beginnt, wenn das Urteil nicht bis zu diesem Zeitpunkt in vollständiger Form unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben wird. Ein solches Urteil sei als nicht mit Gründen versehen anzusehen. Wenn es nach einem derartig langen Zeitraum abgesetzt werde, erfülle es die Beurkundungsfunktion nicht mehr. Nach Ablauf der 5-Monats-Frist stehe fest, dass eine rechtsstaatliche Urteilsbegründung nicht mehr möglich sei. Auf eine solche Begründung könne weder die Begründung eines Rechtsbehelfs gestützt werden, noch könne eine solche Begründung Grundlage für die Beurteilung durch die Rechtsmittelinstanz sein (BVerfG-K NJW 2001, 2161 ff).
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Auch für die Berechnung der Monatsfrist gelten die Vorschriften der §§ 187 ff BGB (s. dazu bereits Rn 321 mwN). Die Monatsfrist beginnt in allen Fällen mit einem in den Lauf eines Tages fallenden Ereignisses, so dass dieser Tag gem. § 187 Abs. 1 BGB bei der Fristberechnung nicht mitzurechnen ist. Die Monatsfrist endet gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis fällt. Bei Zustellung am 4. Januar endet die Monatsfrist also am 4. Februar. Ist dieser Tag ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, tritt an seine Stelle gem. § 193 BGB der nächste Werktag. Bei Zustellung am 31. Januar endet die Frist am 28., in sog. Schaltjahren am 29. Februar, es sei denn, die genannten Tage fallen auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag. Das folgt aus § 188 Abs. 3 BGB.
334
Wird ein Rechtsmittel als unzulässig verworfen, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zu unterscheiden: Offensichtlich unzulässige oder unstatthafte und deshalb aussichtslose Rechtsmittel setzen die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG nicht (erneut) in Lauf (BVerfGE 122, 190, 199 mwN). Ansonsten könnte sich der Beschwerdeführer die Monatsfrist immer wieder selbst eröffnen[212]. Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsmittel dann, wenn der Beschwerdeführer „nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsmittels über die Unzulässigkeit nicht im ungewissen sein konnte“ (BVerfGE 122, 190, 201 f mwN). Gleiches gilt für zweifelhaft zulässige Rechtsbehelfe (1.), die weder zum Rechtsweg gehören (2.) noch aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zu erheben sind (3.). Auch sie setzen die Monatsfrist nicht erneut in Lauf (BVerfGE 122, 190, 199).
335
In dem vom BVerfG entschiedenen Fall ging es um eine vom Beschwerdeführer erhobene Gegenvorstellung. Das BVerfG betont zunächst (1.), dass aus der Plenarentscheidung BVerfGE 107, 395 nicht hervorgehe, dass Gegenvorstellungen aus verfassungsrechtlichen Gründen unstatthaft seien (BVerfG aaO, 200). Vielmehr gebe es durchaus zulässige Abhilfemöglichkeiten wie bspw die Landesverfassungsbeschwerde, die nicht gegenüber der Verfassungsbeschwerde subsidiär seien. Dass die vom Beschwerdeführer erhobene Gegenvorstellung nach der Rechtsprechung der Fachgerichte als offensichtlich unzulässig anzusehen sei, sei ebenfalls nicht erkennbar (BVerfG aaO, 201 f). Die Gegenvorstellung zähle aber, da sie nicht gesetzlich geregelt sei, nicht zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG (2.). Mit ihr wende sich der Beschwerdeführer vielmehr „außerhalb der einschlägigen Verfahrensordnung und außerhalb förmlicher Verfahrensrechte an das Gericht mit dem Ziel der Überprüfung seiner Entscheidung“. Die Gerichte dürften sich bei ihrer Entscheidung über solche Anträge nicht von den maßgeblichen gesetzlichen Regelungen lösen, da der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen auch wesentliche rechtsstaatliche Funktionen zukämen (BVerfG aaO, 202 f). Durch den Subsidiaritätsgrundsatz sei der Beschwerdeführer auch (3.) nicht gezwungen gewesen, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde diese gesetzlich nicht geregelte Abhilfemöglichkeit zu nutzen, da das BVerfG insoweit seine Rechtsprechung geändert habe (BVerfG aaO, 204 unter Hinweis auf BVerfGE 107, 395, 417). Da er die Fristversäumnis aber nicht verschuldet habe, weil bisher in der Senatsrechtsprechung nicht geklärt gewesen sei, welche Folgen sich aus dieser geänderten Rechtsprechung für die Monatsfrist bei Einlegung einer Gegenvorstellung ergäben, sei ihm von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BVerfG aaO, 304). In vergleichbaren Fällen könne, da diese Frage nunmehr geklärt sei, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn die wegen erhobener Gegenvorstellungen zunächst versäumten Verfassungsbeschwerden nachgeholt und bis spätestens Montag, den 2. März 2009 eingelegt würden (BVerfG aaO, 205).
336
Hat der Beschwerdeführer die Monatsfrist versäumt, kommt unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 BVerfGG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht[213]. Voraussetzung ist, dass der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (s. dazu bspw BVerfGE 117, 71, 86 f – finanzielle Bedürftigkeit und Notwendigkeit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts[214]). Ein Verschulden seines Bevollmächtigten muss sich der Beschwerdeführer gem. § 93 Abs. 2 S. 6 BVerfGG zurechnen lassen. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 93 Abs. 2 S. 2 BVerfGG), spätestens aber ein Jahr nach Ende der versäumten Frist zu stellen (§ 93 Abs. 2 S. 5 BVerfGG). Von Amts wegen kann Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn die versäumte Rechtshandlung (also: die Erhebung der Verfassungsbeschwerde, die Begründung derselben, die Einreichung der erforderlichen Beweismittel [insbes.: Kopien der angegriffenen Urteile]) innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird (§ 93 Abs. 2 S. 4 BVerfGG).
337
Das BVerfG handhabt diese Norm mit der gebotenen Zurückhaltung und verlangt va von Rechtsanwälten gesteigerte Aufmerksamkeit (vgl etwa BVerfG-K NJW 2002, 1411 f). Sie müssen dafür sorgen, dass Verfassungsbeschwerdeschriftsätze so rechtzeitig und ordnungsgemäß abgesendet werden, dass sie bei normalem Lauf der Dinge das BVerfG fristgemäß erreichen können. Bei Faxversendung fordert das BVerfG neuerdings, dass der Beschwerdeführer bzw. sein Prozessbevollmächtigter einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag von 20 Minuten einkalkuliert und innerhalb der einzukalkulierenden Zeitspanne wiederholt die Übermittlung versucht (BVerfGE 135, 126, 139–141 und LS 2).
§ 3 Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a, 4b GG) › II. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen › 8. Rechtsschutzbedürfnis