Kitabı oku: «Der Tango des Todes», sayfa 4
Fredi atmete tief durch. Genau, dachte er, er würde sich seine gute Laune nicht schon wieder verderben lassen. Entschlossen nahm er unter dem bewundernden Blick von Borowka in jede Hand ein Schnapsglas und schüttete sich die beiden schnell hintereinander runter. Nachdem er rückwärts auf den Rasen gekippt war, blickte er beseelt in den klaren Abendhimmel.
Es ging doch nichts über die richtigen Betäubungsmittel.
7

Der Wohnwagen wurde nur schwach durch eine von der Decke baumelnde kleine Lampe beleuchtet. Der mit Papieren und Ordnern überladene Schreibtisch, hinter dem Francesco Baldini saß, schien eine minimale Schräglage zu haben, was wahrscheinlich dem unebenen Boden der Hastenrathschen Weide geschuldet war. Neben Baldini hatte einer der Arbeiter, Jakub, Stellung bezogen. Der Pole hielt eine halbautomatische Beretta in der Hand und betrachtete mit finsterem Blick die beiden Besucher, die vor wenigen Minuten das schmucklose Büro des Wanderzirkusses betreten hatten. Die zwei Männer waren unmittelbar neben der Eingangstür stehen geblieben und schauten sich nun gelangweilt im Raum um. Sie sahen sich unglaublich ähnlich, fast wie Zwillinge. Marcello und Matteo, die berüchtigten Bertolini-Brüder, waren aus Sittard, einer grenznahen holländischen Kleinstadt, gekommen. Dort gastierten sie gerade mit dem Zirkus Montebello. Die beiden waren herausragende Trapezartisten, aber auch geschult im Kunstreiten und Messerwerfen, wie es bei kleinen Zirkussen oft üblich war. Diese Fertigkeiten und natürlich ihre Revolver, die lässig aus dem Hosenbund herausschauten, machten sie zu gefährlichen
Gegnern. Dessen war sich Baldini bewusst, als er langsam den Blick hob, mit dem er sich zuvor noch in seine Unterlagen vertieft hatte. „Was kann ich für euch tun?“, fragte er höflich, aber wachsam.
Matteo grinste schief. „Du weißt genau, weswegen wir hier sind. Du hast etwas, das uns gehört, und wir würden es jetzt gerne mitnehmen.“
Baldini erhob sich und öffnete eine Schublade. Sofort zogen die Bertolinis ihre Waffen und richteten sie auf ihn. Doch der holte nur eine Zigarre hervor, die er sich in aller Ruhe von Jakub anzünden ließ. Die Bertolinis entspannten sich ein wenig und ließen die Revolver sinken. Ihr durchdringender Blick jedoch wurde nur umso entschlossener.
Baldini paffte zweimal kurz an der Zigarre und sagte bedächtig: „Ich weiß nicht, wovon ihr redet.“
Matteo machte einen Schritt auf ihn zu und funkelte ihn aus dunklen, sizilianischen Augen an. „Mach keinen Fehler, du lächerlicher Clown. Sonst werde ich hier mit deinem Gehirn die Wände tapezieren. Wir werden jetzt gleich Fatima mitnehmen und alle sind zufrieden.“
Baldini versuchte, die Ruhe zu bewahren, doch er bemerkte, wie seine Stirn feucht wurde. „Hör zu, die Sache ist nicht so einfach. Fatima ist meine einzige Nichte und …“
„Oh doch“, Matteos Stimme donnerte durch den kleinen Wohnwagen, „die Sache ist ganz einfach. Fatima wird ab sofort für uns tanzen. Sonst …“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Fatima trat ein. „Was ist denn hier los Onkel Frances…“ Ihre Stimme erstarb, als sie in die Mündung von Marcellos Revolver sah.
Mit einem schnellen Handgriff packte dieser die Tänzerin und hielt ihr die Waffe an den Kopf. Sie wand sich unter seinem festen Griff, konnte sich aber nicht befreien. Baldinis Herz krampfte sich zusammen und, ohne nachzudenken, sprang er mit einem gewaltigen Satz über den Tisch, um sich auf Matteo zu werfen. Der war zu überrascht, um seine Waffe hochzureißen und schlug hart mit dem Rücken auf dem Boden auf. Marcello zielte mit ausgestrecktem Arm auf den heranstürmenden Jakub, doch noch ehe er abdrücken konnte, hatte Fatima ihren Kopf befreit und ihm mit aller Kraft in die Hand gebissen. Marcello schrie schmerzerfüllt auf und ließ die Pistole fallen. Fatima riss sich los und versteckte sich mit einer eleganten Bodenrolle unter dem Schreibtisch. Von dort aus beobachtete sie voller Entsetzen, wie Matteos Faust ihren Onkel Francesco knapp über dem Auge traf. Bevor er jedoch ein zweites Mal zuschlagen konnte, wurde er von Jakub hochgerissen, der ihm mehrere Schläge in den Magen verpasste. Dank seiner Körperbeherrschung konnte Matteo sich jedoch schnell befreien und den Polen von sich schubsen.
Als in derselben Sekunde in den umliegenden Wohnwagen die Lichter angingen und Stimmengewirr einsetzte, entschlossen sich die beiden Brüder zum schnellen Rückzug. An der Tür angekommen, schrie Matteo voller Hass: „Pezzo di merda! Wir kommen wieder. Verlass dich drauf. Das wirst du bitter bereuen, Stronzo!“ Dann verschwanden sie in der Nacht.
Jakub half seinem leicht benommenen Chef noch auf die Beine, bevor er nach draußen lief, um sich zu vergewissern, dass die Bertolinis auch wirklich verschwunden waren. Fatima kroch zitternd aus ihrem Versteck und schloss ihren Onkel in die Arme. Jetzt, nachdem sich der erste Schock gelegt hatte, musste sie hemmungslos weinen. Baldini ignorierte den pochenden Schmerz hinter seinem linken Auge und besann sich wieder auf seine Hauptaufgabe als Familienoberhaupt. Sanft streichelte er Fatima mit seiner großen Hand über den Kopf: „Ganz ruhig, meine Kleine. Es ist alles wieder gut.“
Die zierliche Tänzerin schluchzte so laut, dass man ihre Worte kaum verstehen konnte. „Bitte, Onkel Francesco, lass nicht zu, dass das schon wieder passiert.“
„Natürlich nicht. Ich pass auf dich auf. Das verspreche ich dir“, flüsterte er und hielt sie fest umschlungen. Doch seine Augen verrieten weit weniger Zuversicht als seine Worte.
8

Bettina Hebbel fühlte sich wie gefangen in einem Bild von Hieronymus Bosch. Einsam und allein stand sie inmitten eines explodierenden Infernos ländlicher Feierrituale. Auf dem Weg zum Ausgang durch die Garage, der die Erlösung bedeutet hätte, hatte sie ihren Lebensgefährten Peter Kleinheinz verloren. Der Hauptkommissar hatte sich trotz seiner teuren Polizeiausbildung nicht der Umklammerung von Richard Borowka entziehen können und war plötzlich wie in einem schwarzen Loch verschwunden. Um Bettina herum tobte der Wahnsinn. Die Garage platzte aus allen Nähten und sie war allem Anschein nach die einzige nüchterne Person. Jedenfalls so nüchtern, wie man sein konnte nach fünf Aperol Spritz, für deren Ablehnung ihr am Ende die Argumente ausgegangen waren. Kurzzeitig hatte sie sogar darüber nachgedacht, eine Schwangerschaft vorzutäuschen, bevor ihr bewusst wurde, zu welcher Gerüchte-Kettenreaktion das in diesem kleinen Dorf geführt hätte. Zwar kannte sie auch aus ihrer Heimat, dem hohen Norden, exzessive Feiern, aber diese so harmlos als Willkommensparty deklarierte Ausschweifung sprengte alle Grenzen ihres bisherigen Erfahrungshorizonts.
Die hin und her schunkelnde Menge um sie herum spuckte plötzlich einen ebenso orientierungslos wirkenden Menschen aus. Mit einem Mal stand ihr Chef vor ihr, Grundschulddirektor Peter Haselheim, der bereits zehn Jahre vor ihr den Weg nach Saffelen gefunden hatte. Haselheim trug ein Poloshirt und einen umgebundenen Pullover mit V-Ausschnitt und Paisley-Muster und passte in dieser Aufmachung ungefähr so gut auf diese Veranstaltung wie der Papst in einen Strip-Club. Die grenzenlose Verwirrung auf seinem Gesicht machte ihn gleich zu Bettinas Verbündetem. „Hallo Herr Haselheim. Amüsieren Sie sich?“, brüllte sie ihm belustigt ins Ohr.
Erst jetzt nahm er sie wahr und nickte ihr mit einem gequälten Lächeln zu. Auch er musste gegen den Lärm anschreien: „Guten Abend, Frau Hebbel. Kommen Sie. Ich kenne den Ausweg aus diesem Tartaros.“ Er schob sie behutsam vor sich her, bis sie den Vorgarten erreicht hatten. Nachdem sie über mehrere schlafende Körper gestiegen waren, war es wieder möglich, in halbwegs normaler Lautstärke miteinander zu kommunizieren. Allerdings klang in ihren Ohren alles etwas dumpf, so malträtiert waren sie von der musikalischen Lärmbelästigung, die unermüdlich auf sie eingeprügelt hatte. Haselheim zog sich gegen die Kühle der Nacht den Pulli über und sagte: „Ganz schön mutig von Ihnen, Frau Hebbel, sich hier ins Geschehen zu stürzen.“
Bettina stöhnte laut auf und wedelte mit der Hand, als wolle sie Fliegen verjagen. „Na ja, freiwillig habe ich das nicht gemacht. Mein Freund hat mich gebeten, mitzukommen. Er hat hier ein paar ‚Bekannte‘. Meinen Freund kennen Sie vielleicht sogar? Peter Kleinheinz.“
„Ich bitte Sie. Wer kennt ihn nicht? Herr Kleinheinz ist hier bekannt wie ein bunter Hund. Er und Hastenraths Will sind ja so was Ähnliches wie Sherlock Holmes und Dr. Watson.“
Bettina verzog das Gesicht. „Hören Sie mir auf mit Hastenraths Will. Mit dem werde ich irgendwie nicht warm.“ Haselheim winkte ab. „Ach, machen Sie sich da mal keine Sorgen. Mir ging’s am Anfang auch so. Aber mittlerweile kommen wir einigermaßen miteinander klar. Wir duzen uns sogar. Das hat gerade mal neun Jahre gedauert.“ Sein Lachen klang ein wenig bitter.
Bettina verzog das Gesicht. „Wo ist denn Ihre Frau? Etwa auch da drin verloren gegangen?“ Sie zeigte auf das Haus, das unter den gewaltigen Erschütterungen leicht zu schwanken schien. Dieser Eindruck konnte aber auch mit der Überdosis Aperol Spritz zusammenhängen, die so langsam ihre Wirkung entfaltete.
Haselheim schüttelte den Kopf. „Nein. Meine Frau hat natürlich schon langjährige Saffelen-Erfahrung. Die hat sich nach Bekanntwerden dieses Termins gleich ein passendes Alibi verschafft. Offiziell ist sie zu Besuch bei ihrer Mutter.“
„Und inoffiziell?“
„Zu Hause. Bei heruntergelassenen Rollläden. Sagen Sie. Wo ist denn der Herr Kleinheinz. Etwa noch …?“ Er blickte beklommen hinüber zum Haus. Auch er hatte das Gefühl, das Gebäude würde sich leicht bewegen. Dabei hatte er ausschließlich Mineralwasser getrunken. Bettina nickte wortlos.
Peter Kleinheinz verzog angewidert das Gesicht. So etwas Ekelhaftes hatte er in seinem Leben noch nie getrunken.
„Einer geht noch, einer geht noch rein“, animierte Borowka mit längst heiser gesungener Stimme die Umstehenden. Die bestanden zumeist aus Fußballkollegen und stiegen natürlich prompt mit großer Begeisterung in die schiefen Töne mit ein. Kleinheinz musste die Augen zusammenkneifen. Die scharfen Dämpfe des Selbstgebrannten schienen seine Netzhaut zu perforieren, als Borowka ihm das nächste Schnapsglas unter die Nase hielt.
„Komm, Herr Kleinheinz. Auf ein Bein kann man nicht stehen. Guck hier, ich trink auch noch einen“, tönte Borowka und schüttete sich tatsächlich noch einen weiteren ‚Saffelener Höllentropfen‘ in den Hals.
Kleinheinz atmete schwer, gab sich nach zaghafter Gegenwehr aber dem Gruppendruck geschlagen und verkostete noch einen zweiten Selbstaufgesetzten. Nachdem das Brennen nachgelassen hatte, breitete sich ein warmes Gefühl in seinem Magen aus. Und wenn ihm nicht plötzlich so übel geworden wäre, hätte er es sogar als angenehm empfinden können.
Fredi Jaspers und Juppi Schrammen standen am anderen Ende der Küche und beobachteten mit großer Schadenfreude das Spektakel um den taumelnden Kommissar. Sie hatten die Tür geöffnet, die zur Terrasse führte, und rauchten. Die frische Luft, die hereinströmte, tat ihnen gut, denn auch sie hatten beide bereits ordentlich getankt. Als gebürtige Saffelener waren sie aber natürlich einiges mehr gewöhnt als Neubürger Kleinheinz, der gerade von Spargel und Tonne sicherheitshalber auf einen Stuhl verfrachtet wurde.
„Netter Kerl, der Kommissar. Ich hab mich eben kurz mit dem unterhalten“, kommentierte Juppi das Geschehen.
„Na ja, geht so“, sagte Fredi, „der ist mir mal was doof gekommen, als mein Vatter gerade gestorben war. Ach, komm, scheiß drauf. Aber was die Fete angeht – Kompliment. Megageil.“
Juppi nickte zufrieden. „Absolut, das muss ich auch sagen. Ich war ja schon auf jedem Kontinent, aber nirgendwo wird so gut gefeiert wie in Saffelen. Das hat mein Bruder super hingekriegt. Ich wusste ja nix davon, wie groß der das aufzieht. Seit ich hier bin, hatte ich bloß Termine: Notar, Verwaltung, Ämter. Richtig scheiße. Ach hör mal, ich habe gestern im Vorbeifahren gesehen, dass auf der Wiese von Hastenraths Will ein Zirkus aufgebaut wird. Weißt du zufällig, wie der heißt?“
Fredi sah ihn verständnislos an. „Nee, natürlich nicht. Ich bin doch kein Mädchen. Sag bloß, du willst da hingehen?“
„Nein, natürlich nicht. Da habe ich überhaupt keine Zeit für.“ Fredi musste aufstoßen. „Tschuldigung. Boah, ich glaube, ich bin voll wie ein russischer Elternabend. Ich werde sicherheitshalber mal meine Riesenpython auswringen gehen.“
„Treppe hoch“, sagte Juppi und schnippte seine aufgerauchte Zigarette auf die Terrasse.
Fredi tat es ihm nach und verließ die Küche. Im Flur traf er auf ein wild knutschendes älteres Pärchen, das alles um sich herum vergessen zu haben schien. Das Familienbild der Schrammens hing bereits schief an der Wand, weil der Mann wohl mit dem Hinterkopf dagegengestoßen war. Fredi erkannte Marianne Eidams, eine Freundin seiner Mutter. Bei dem Mann war sich Fredi sicher, dass es sich um niemand Geringeren handelte als um Karl-Heinz Klosterbach, den Trainer seiner Fußballmannschaft. Komisch, dachte Fredi, während er die Treppe hinaufstieg. Die beiden waren zwar verheiratet, aber nicht miteinander. Oben angekommen, erkannte er die Toilette gleich an dem Salzteigschild mit der Aufschrift ‚Badezimmer‘. Mit Schwung drückte er die Klinke herunter und knallte mit dem Kopf gegen den Rahmen. Abgeschlossen.
Es dauerte gefühlte fünf Minuten, bis die Badezimmertür sich endlich öffnete. Fredi wollte schnell hineinlaufen, als er gegen einen warmen, schönen Körper prallte. Martina Wimmers war nicht weniger überrascht, als sie plötzlich, eingekeilt im Türrahmen, Fredi Jaspers gegenüberstand. Keiner bewegte sich. Sie sahen einander mit einer Mischung aus Unbehagen und Anziehung in die Augen. Fredi erkannte, dass Martina ganz offensichtlich ihr Make-up neu gerichtet hatte. Ihr Gesicht wirkte auf ihn makellos. Sogar noch makelloser als früher, als es noch ein wenig pausbäckiger gewesen war. Und auch ihr Körper, der sich – bewusst oder unbewusst – eng an ihn drückte, fühlte sich geschmeidig und fest an. Es durchzuckte ihn, als er spürte, dass sich in seinem Lendenbereich etwas regte. Schnell versuchte er, sich aus der misslichen Lage herauszuwinden, doch Martina machte keine Anstalten, ihn dabei zu unterstützen. Stattdessen ergriff sie seine Hand und zog ihn hinter sich her über den Flur. Fredi folgte ihr wie in Trance. Martina öffnete eine Zimmertür am Ende des Ganges und ging wortlos mit ihm hinein. Als sie den schummrig dunklen Raum betreten hatten, schloss Martina hinter sich die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Fredi sah sich um. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Zwielicht und er erkannte die Umrisse eines Doppelbettes. Oh Gott, dachte er, das ist das Schlafzimmer. Er wollte fliehen, doch irgendeine unsichtbare Kraft hielt ihn zurück. Sein alkoholumnebeltes Gehirn arbeitete nur noch auf Sparflamme und längst hatten die Gefühle das Kommando übernommen. Der Wunsch, mit Martina allein zu sein, war übermächtig, aber immer wieder schoben sich Bilder einer lachenden Sabrina vor sein inneres Auge. Er wusste nicht, was er tun sollte. Das war aber auch nicht nötig, denn Martina umarmte ihn und gab ihm einen feuchten Kuss. Ihr Unterkörper rieb sich an seinem. Als ihre Zunge den Weg in seinen Mund gefunden hatte, wurde Fredis Kopf von einer gigantischen Sinnesexplosion erschüttert. All die Leidenschaft, die er sich schon sein halbes Leben lang ersehnt und gewünscht hatte, erfüllte sich in diesem Augenblick. Sie küssten sich und Martina warf ihn rücklings aufs Bett. Fredi sank in die weiche Matratze ein und Martinas wohlgeformte Brüste quetschten sich auf sein Gesicht, als sie auf ihm landete. Nachdem sie ihn weiter geküsst und an seinem Ohrläppchen geknabbert hatte, legte sie ihm den Zeigefinger auf die Lippen und rutschte an ihm herunter, bis ihr Kopf direkt über dem Reißverschluss seiner Hose war. Zärtlich strich sie mit ihrer Hand über die stark ausgebeulte Stelle. Fredi musste laut aufstöhnen. Es ließ sich jetzt beim besten Willen nicht mehr verleugnen, dass sein Organismus ihm längst den hormonellen Marschbefehl erteilt hatte. Fredi starrte keuchend an die Decke, während die Synapsen in seinem Hirn nach und nach den Dienst quittierten. Das Zimmer begann sich zu drehen und seine Erregung kannte keine Grenzen mehr. Er sah an sich herab und blickte in Martinas Gesicht, die ihn von unten mit ihren vollen, feuerroten Lippen anlächelte. Im nächsten Moment öffnete sie langsam seine Gürtelschnalle.
9

Richard Borowka war seit einer Stunde auf Asbach-Cola umgestiegen, um ein wenig auszunüchtern. Um ihn herum leerte sich langsam die Garage. Zusammen mit Juppi stand er an einem der Stehtische und philosophierte über das Leben.
„Weißt du, wenn ich auf Saffelen drauf zugefahren komme und sich die Skyline ins Bild schiebt. Dann kriege ich Gänsehaut. Da brauch ich kein Grand Canyon für.“
Juppi nippte gelangweilt an seinem Wodka Redbull. „Ja, ja, das hast du jetzt schon dreimal gesagt.“
„Weil man das nicht oft genug sagen kann“, lallte Borowka übertrieben laut. Mitten im Satz jedoch hielt er inne und legte die Stirn in Falten. „Moment, jetzt überleg ich gerade. Wenn ich beim Anblick von Saffelen eine Gänsehaut kriege, was bekommen denn dann Gänse, wenn die das sehen?“
Juppi verdrehte die Augen und sah sich im Raum nach einem weniger betrunkenen Gesprächspartner um. Doch es gab keinen.
Plötzlich kam Borowkas Frau Rita an den Stehtisch. Sie hatte sich ziemlich in Schale geworfen für diesen Abend. Und obwohl auch bei ihr der Alkohol Spuren hinterlassen hatte, bewahrte sie Haltung: Sie stand sicher auf ihren extrahohen Highheels und ihre wasserstoffblonde lange Mähne war mit vielen kleinen Haarklammern zu einem großen Dutt zusammengesteckt. Das farbenprächtige Make-up war zwar völlig übertrieben, aber handwerklich in Ordnung. Rita legte ihren Kopf auf Borowkas Schulter und säuselte mit schwerer Zunge:
„Richard, lass uns nach Hause gehen. Ich bin total müde.“ Richard schüttelte sie sanft ab und zeigte auf Juppi. „Ach, Rita. Ich bin mich gerade so gepflegt am unterhalten mit der junge Mann hier. Geh doch mit Martina nach Hause. Ich komm dann gleich nach.“
„Martina kann ich nicht finden. Die ist bestimmt schon gegangen. Jetzt komm endlich. Ich will nachts nicht alleine hier rumrennen.“
Borowka verspürte überhaupt keine Lust, schon zu gehen, und so suchte er hektisch nach einer Lösung. Die tauchte dann auch in Gestalt von Hastenraths Will auf, der, angeschlagen wie ein Boxer nach der zwölften Runde, im kräftigen Arm seiner Frau hing und ganz offensichtlich gerade zum Heimweg gezwungen wurde. „Will!“, rief Borowka erfreut. Der Kopf des Ortsvorstehers schnellte hoch, doch sein Blick wanderte nur glasig und ziellos durch den Raum und verfehlte Borowka um mehrere Meter.
„Der hat es hinter sich. Ich bring dem nach Hause“, rief Marlene und wandte sich dann im Gehen an ihren Mann: „Aber glaub ja nicht, dass ich morgen früh die Kühe melke. Wer feiern kann, der kann auch arbeiten.“
Borowka ergriff Ritas Arm und zog sie mit sich zu dem Landwirtsehepaar. Da die Hastenraths seine direkten Nachbarn waren, lag die Lösung quasi auf der Hand. „Hier, Marlene. Bist du so lieb und nimmst die Rita auch mit nach Hause?!“
„Natürlich. Kein Problem“, antwortete Marlene und freute sich über die unerwartete Unterstützung beim Transport ihres Mannes, der wie ein nasser Sack in ihrem Arm hing.
Rita machte einen Schmollmund. Doch bevor sie etwas sagen konnte, drückte Borowka ihr einen dicken Kuss auf die Lippen. In sieben Ehejahren hatte er gelernt, wie in solchen Krisensituationen zu verfahren war. Und auch diesmal funktionierte seine Strategie der Deeskalation.
Rita lächelte und sagte butterweich: „Na gut. Aber komm bitte nicht zu spät.“ Zufrieden kehrte Borowka zurück an den Stehtisch, an dem Juppi sich gerade mit seiner Gürteltasche beschäftigte, die geöffnet vor ihm lag. Sie war deutlich größer als ein Brustbeutel und hatte sogar gepolsterte Flossen am Bauchgurt. Unzählige Fächer blätterten sich auf, als er den Reißverschluss aufzog. Borowka nahm sein halbvolles Glas Asbach-Cola und leerte es in einem Zug. Dann setzte er lautstark an: „Weißt du, Juppi. Wenn ich auf Saffelen drauf zugefahren komme und sich die Skyline ins Bild schiebt. Dann kriege ich …“
„Lass mich raten: Gänsehaut“, sagte Juppi, ohne vom Tisch aufzusehen.
„Ja, genau“, erwiderte Borowka überrascht und stierte auf den Tisch. Dabei fiel ihm auf, dass die Gürteltasche prall gefüllt war mit Münzen, Zettelchen, Fotos und Geldscheinen … und zwar mit sehr vielen Geldscheinen. Nach kurzem Überschlagen kam Borowka auf mehrere Tausend Euro, hinzu kamen verschiedene ausländische Banknoten. „Hier“, Juppi zog ein geknicktes Foto aus einem der vielen Fächer. Er faltete es vorsichtig auseinander und legte es vor Borowka auf den Tisch. „Das ist der Grand Canyon im Morgengrauen. Das Foto habe ich selbst gemacht. Und jetzt sag mir noch mal, dass das genauso aussieht wie Saffelen.“
Borowka studierte das Bild eingehend. Er erkannte bizarre Felsformationen aus rötlichem Gestein, die aus einer unendlich tiefen Schlucht herausragten. Durch die Schlucht schlängelte sich ein kraftvoller Fluss, der, anders als der Saffelbach, offensichtlich nicht von der Wasserbaubehörde begradigt worden war. Durch einige wenige Wolken am Himmel fiel ein wunderbar weiches Morgenlicht, das den Canyon noch gigantischer erscheinen ließ, als seine imposanten Ausmaße es ohnehin schon vermochten. Borowka war beeindruckt, sagte aber nichts.
„Und? Sieht das aus wie die Skyline von Saffelen?“ insistierte Juppi hartnäckig.
Borowka zuckte mit den Schultern: „Jaa … anders eben.“ Juppi musste lachen. Er faltete das Foto wieder sorgsam zusammen und schob es zurück in seine Gürteltasche, deren Oberseite eine große Bärentatze und der Schriftzug „Jack Wolfskin“ zierten.
Borowka konnte nicht umhin, anzumerken: „Du schleppst ja ganz schön viel Bargeld mit dir rum. Ist dir das nicht zu gefährlich?“
Juppi schüttelte den Kopf. „Ach was. Wer da ran will, kriegt es erst mal mit mir zu tun. Na ja, vielleicht hast du auch recht. Ich hab da wohl einen kleinen Spleen. Aber seit ich durch die Welt reise, habe ich es mir angewöhnt, immer mein ganzes Hab und Gut mit mir rumzuschleppen. Ich habe keine Kreditkarte, keine EC-Karte und ein Konto nur für Notfälle. Ich trau den Banken einfach nicht.“
„Das ist wohl wahr. Die scheiß Banken“, sagte Borowka und musste wieder daran denken, wie dieser schnöselige Bankkaufmann, der gerade mal halb so alt war wie er, ihm vergangene Woche mit diesem typischen, süffisanten BlödmannLächeln mitgeteilt hatte, dass er seine vom Geldautomaten eingezogene EC-Karte erst wiederbekäme, wenn er seinen überzogenen Dispo ausgeglichen hätte.
„Willst du mal sehen, wie mein Portemonnaie aussieht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zückte Borowka es und leerte es auf dem Tisch aus. Aus der abgegriffenen braunen Lederbörse kullerten ein Zwei-Euro-Stück, ein Einkaufswagenchip, zwei Videothekenausweise, ein Batman-Anstecker und zwei Eintrittskarten für den Zirkus.
Juppi starrte belustigt auf das bunte Sammelsurium. Doch als er die Zirkuskarten sah, veränderte sich seine Gesichtsfarbe. Er nahm sie in die Hand und las laut vor: „Zirkus Baldini. Sondereinladungskarte. Ermäßigung für Loge und Sperrsitze.“
„Ach, das ist nix wert. Die Karten kann man sich umsonst bei Eidams im Laden mitnehmen. Aber ich glaub, später an der Kasse muss man die dann wohl bezahlen. Alles Verarschung.“
„Zirkus Baldini“, wiederholte Juppi gedankenverloren.
„Ja, kann sein“, sagte Borowka, „Wieso? Willst du da hin? Dann besorge ich dir auch solche Ermäßigungskarten. Ich hatte mir überlegt, Rita dahin einzuladen. Dann gehen wir einfach alle zusammen. Wie in alte Zeiten.“
Juppi sagte nichts, sondern ließ Borowka einfach stehen und verschwand im Haus. Nach ein paar Sekunden kehrte er zurück.
Während er sich die Jeansjacke überstreifte, die er sich geholt hatte, sagte er: „Weißt du was, Borowka? Hier ist eh gleich Schicht. Ich begleite dich noch nach Hause. Ich würde gerne noch ein bisschen frische Luft schnappen. Und Saffelen bei Nacht – da kommt der Grand Canyon nun wirklich nicht mit.“ Borowka wusste gar nicht, was er sagen sollte, denn eigentlich wollte er noch gar nicht nach Hause. Andererseits hatte Juppi natürlich recht. Auf der Party würde jeden Moment Feierabend sein und am Ende konnte es passieren, dass alle Übriggebliebenen noch mit aufräumen mussten. Außerdem würde Rita sich freuen, wenn er so früh zurück wäre. Und so entschloss er sich, Juppi, der die Garage bereits verlassen hatte, zu folgen. Als Wegzehrung steckte er sich noch eine Flasche ‚Saffelener Höllentropfen‘ ein, die einsam und verlassen auf der Theke stand.
Als er Juppi eingeholt hatte, ereilte die beiden ein Ruf, der vom Haus kam. „Wo geht es denn jetzt noch hin, Bruderherz?“ Theo Schrammen stand mit ineinander verschränkten Armen in der Eingangstür und wirkte sehr ernst.
„Ich bring nur den Borowka nach Hause. Keine Sorge, ich bin gleich zurück zum Aufräumen“, antwortete Juppi in der ihm eigenen leichten Art, ohne seinen Gang zu verlangsamen.
„Das will ich auch hoffen, Mister Sunshine. Da habe ich nämlich langsam keine Lust mehr drauf, dass du dir einen Lenz machst und ich die Arbeit habe. Blöder Penner.“ Wütend knallte er die Haustür hinter sich zu.
Borowka war völlig perplex. Derlei Unbeherrschtheiten war er von Theo Schrammen gar nicht gewohnt. „Was war das denn gerade?“, fragte er ungläubig.
„Ach der“, wiegelte Juppi ab, „der ist heute nicht gut drauf. Wegen Notar und so Sachen. Ach, vergiss Theo. Wir stürzen uns jetzt in die Nacht von Saffelen.“ Juppis Lachen hallte noch lange nach.
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