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E. Mehrpersonenverhältnisse

283

Bei einem Sachverhalt mit mehr als zwei Beteiligten kann sich die Frage stellen, wer genau Leistender und Leistungsempfänger (im Sinne der Umsatzsteuer) sind. Hier gilt: Leistender ist grundsätzlich derjenige, der im eigenen Namen Lieferungen oder sonstige Leistungen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Wer dies ist, ist regelmäßig den zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zu entnehmen. Selbstständige oder unselbstständige Hilfspersonen (etwa Arbeitnehmer, Frachtführer oder Spediteure), die von den Parteien eines Kaufvertrages in dessen Vollzug eingeschaltet werden, werden dadurch nicht Lieferer oder Erwerber im umsatzsteuerrechtlichen Sinne.

284

Beispiel:

Ein Einzelhändler lässt sich beim Abschluss und Vollzug von Kaufverträgen durch sein Personal vertreten (§§ 164 ff BGB).

Lösung: Partei der geschlossenen Verträge ist (als Verkäufer) der Einzelhändler, nicht die jeweils an der Kasse arbeitende Person. Leistungen im Sinne der Umsatzsteuer sind nur zwischen dem Einzelhändler und dessen Kunden zu bejahen.

285

Wegen der Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen ist derjenige, der als Verkäufer Partei eines Kaufvertrages ist, selbst dann Leistender i. S. d. Umsatzsteuerrechts, wenn er aufgrund einer Vereinbarung mit einem Dritten im Innenverhältnis für dessen Rechnung handelt.[54]

286

Beispiel:

Eine Dame, die über zwei eBay-Konten 140 Pelzmäntel verkauft hatte, verteidigte sich gegen ihre Heranziehung zur USt, indem sie behauptete, „im Auftrag“ ihres Ehegatten tätig geworden zu sein.

Lösung: Der BFH hielt diese Behauptung für unerheblich, da es für die Frage, wer umsatzsteuerrechtlich Leistender sei, ausschließlich darauf ankomme, wer im Außenverhältnis als Vertragspartner auftrete. Die klagende Ehegattin sei gegenüber den Käufern nicht als Vertreterin ihres Gatten aufgetreten, sondern in eigenem Namen. Sie – nicht der Gatte – sei daher Leistende.[55] Umstritten war im entschiedenen Fall übrigens auch die Unternehmereigenschaft der Ehegattin; s. dazu Rn 113 f.

287

Von einem Reihengeschäft ist die Rede, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer zum letzten Abnehmer gelangt. In diesen Fällen kann vor allem die Frage des Lieferortes Schwierigkeiten bereiten. Die darauf bezogenen Regelungen (§ 3 Abs. 6 S. 5 sowie Abs. 7 S. 2 UStG) werden unten behandelt (Rn 314 ff). An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass jedem zivilrechtlichen Umsatzgeschäft eine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne entspricht. Der Umstand, dass es tatsächlich nur eine Warenbewegung gibt, spricht also nicht gegen die Annahme von zwei Lieferungen.

288

Beispiel:

Ein Einzelhändler verkauft nicht vorrätige Ware an eine Kundin. Der Einzelhändler bestellt die Ware beim Großhändler. Dieser liefert die Ware auf die Bitte des Einzelhändlers direkt an die Kundin aus. Hier gibt es zwar nur einen Transport der Ware (im Umsatzsteuerrecht wird von der „Warenbewegung“ gesprochen). Dennoch liegen zwei steuerbare Lieferungen vor. Die Zahl der Lieferungen entspricht damit der Zahl der zivilrechtlichen Umsatzgeschäfte (Kaufverträge).

Anmerkungen

[1]

UStAE Abschn. 3.1 Abs. 1 S. 2.

[2]

UStAE Abschn. 3.1 Abs. 1 S. 3.

[3]

UStAE Abschn. 3.1 Abs. 1 S. 5; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 3 Rn 6.

[4]

UStAE Abschn. 3.5 Abs. 8 S. 1, 3.

[5]

Dazu Vatter, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn 54 ff.

[6]

UStAE Abschn. 3.5 Abs. 8 S. 2.

[7]

BFH, Urt. v. 18.2.2016 – V R 53/14, BeckRS 2016, 94504 = Möller, SteuK 2016, 236.

[8]

EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-78/12, BeckRS 2013, 81527, Rn 33; UStAE Abschn. 3.1 Abs. 2 S. 4; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 3 Rn 22 ff.

[9]

UStAE Abschn. 3.1 Abs. 3 S. 4.

[10]

BFH, Urt. v. 6.12.2007 – V R 24/05, BeckRS 2007, 24003206.

[11]

So überzeugend Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 3 Rn 120.

[12]

So differenzierend Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 3 Rn 39, 120.

[13]

BFH, Urt. v. 24.2.2005 – V R 1/03, BeckRS 2005, 25007863.

[14]

UStAE Abschn. 3.1 Abs. 3 S. 1.

[15]

Veräußert der Sicherungsnehmer im eigenen Namen, kommt es zu einem Doppelumsatz. Veräußert der Sicherungsgeber in eigenem Namen oder veräußert der Sicherungsnehmer im Namen des Sicherungsgebers, ist sogar ein Dreifachumsatz zu bejahen, BFH, Urt. v. 6.10.2005 – V R 20/04, BeckRS 2005, 24002377; BFH, Urt. v. 30.3.2006 – V R 9/03, BeckRS 2006, 24002530; UStAE Abschn. 1.2 Abs. 1, 1a.

[16]

S. die Nachweise in BFH, Urt. v. 6.4.2016 – V R 12/15, BeckRS 2015, 94622 = MwStR 2016, 757 ff. m. Anm. Möller. Eine Kreditgewährung wurde im entschiedenen Fall verneint, weil der Leasinggeber seinerseits vom Leasingnehmer einen Kredit erhalten hatte, um das Leasinggut zu finanzieren.

[17]

Häuser, in: Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2013, § 383 Rn 65 ff.

[18]

BFH, Urt. v. 25.11.1986 – V R 102/78, BeckRS 1986, 22007890; UStAE Abschn. 3.1 Abs. 3 S. 7.

[19]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 7 S. 2, 3 und Abschn. 3.1 Abs. 3 S. 8.

[20]

UStAE, a.a.O. (Fn 14).

[21]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 3 S. 1.

[22]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 4 S. 1.

[23]

BFH, Urt. v. 21.5.2014 – V R 34/13; BeckRS 2014, 95812. Ebenso Robisch, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl. 2016, § 1a Rn 47.

[24]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 9 S. 2.

[25]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 10 Nr 1 Bsp. 1.

[26]

EuGH, Urt. v. 6.3.2014 – C-606/12, C-607/12, MwStR 2014, 237 ff m. Anm. Grube. S. dazu Huschens, SteuK 2014, 247 ff, der davon ausgeht, dass die Auffassung der Finanzverwaltung nicht im Einklang mit dem Richtlinienrecht stehe.

[27]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 4.

[28]

UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 10 Nr 1.

[29]

UStAE Abschn. 3.8 Abs. 1 S. 3.

[30]

EuGH, Urt. v. 29.3.2007 – C-111/05, IStR 2007, 401 ff m. Anm. Korf, Rn 36 ff; UStAE Abschn. 3.8 Abs. 6 S. 4, 5.

[31]

UStAE Abschn. 3.8 Abs. 6 S. 6, 7.

[32]

EuGH, a.a.O. (Fn 30); BFH, Urt. v. 9.6.2005 – V R 50/02, DStR 2005, 1567 ff; UStAE Abschn. 3.8 Abs. 1 S. 4, Abs. 6 S. 3; Leonard, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl. 2016, § 3 Rn 183.

[33]

UStAE Abschn. 3.8 Abs. 1 S. 4, Abs. 6 S. 6.

[34]

Leonard, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl. 2016, § 3 Rn 181.

[35]

BFH, a.a.O. (Fn 32).

[36]

UStAE Abschn. 3.5 Abs. 2 Nr 1.

[37]

UStAE Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr 8.

[38]

UStAE Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr 8.

[39]

UStAE Abschn. 3.5 Abs. 5 S. 2.

[40]

BFH, Urt. v. 1.10.1970 – V R 49/70, BeckRS 1970, 22000716; UStAE Abschn. 3.5 Abs. 5 S. 3; Leonard, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl. 2016, § 3 Rn 77.

[41]

Durchführungsverordnung (EU) Nr 282/2011 v. 15.3.2011, ABl. Nr L 77 S. 1.

[42]

S. zum Ganzen UStAE Abschn. 3.6 m. w. N.

[43]

BFH, Urt. v. 8.6.2011 – XI R 37/08, BeckRS 2011, 96298; BFH, Urt. v. 30.6.2011 – V R 35/08, BeckRS 2011, 96086; UStAE Abschn. 3.6 Abs. 2, Abs. 6 Bsp. 1.

[44]

UStAE Abschn. 3.6 Abs. 3, Abs. 6 Bsp. 2.

[45]

UStAE Abschn. 3.6 Abs. 4 S. 11, Abs. 6 Bsp. 2 S. 6.

[46]

UStAE Abschn. 3.6 Abs. 6 S. 1, Abs. 6 Bsp. 3, 4, 9 und 10.

[47]

BFH, Urt. v. 30.6.2011 – V R 3/07, BeckRS 2011, 96086.

[48]

BFH, Urt. v. 3.12.2015 – V R 36/13, DStR 2016, 236 (237 f) = Möller, GWR 2016, 131.

[49]

BFH, Urt. v. 11.10.2007 – V R 57/06, DStR 2008, 292 ff. Bei Veräußerung eines zur Vermietung bestimmten Ferienhauses kommt es für den Übergang des Vermietungsunternehmens – und damit das Vorliegen einer GiG – aber nicht auf den (eher zufälligen) Umstand an, ob das Haus gerade im Zeitpunkt der Veräußerung vermietet ist, s. BFH, Urt. v. 5.6.2014 – V R 10/13, DStR 2014, 1823 f.

[50]

BFH, Urt. v. 12.8.2015 – XI R 16/14, BeckRS 2015, 96114 m. w. N.

[51]

BFH, Urt. v. 25.11.2015 – V R 66/14, DStR 2016, 311 ff. BFH, Urt. v. 12.8.2015 – XI R 16/14; BeckRS 2015, 96114.

[52]

Robisch, in: Bunjes, UStG, 15. Aufl. 2016, § 1 Rn 140 f.

[53]

So zutreffend Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 168. Lief. 07.2016, § 2 Rn 753 ff m. w. N., auch zur Gegenauffassung.

[54]

BFH, Urt. v. 12.8.2015 – XI R 43/13, BeckRS 2015, 95594 = Möller, SteuK 2015, 473; s. auch UStAE Abschn. 2.1 Abs. 3 (Unternehmer ist danach auch der „Strohmann“, der im eigenen Namen für Rechnung eines anderen handelt.

[55]

BFH, a.a.O. (Fn 54).

§ 6 Leistungsort im Inland

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Inland, Ausland, Gemeinschaftsgebiet, Drittland

C. Ort der Lieferung

D. Ort der sonstigen Leistung

E. Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 3d UStG)

F. Einfuhr

§ 6 Leistungsort im Inland › A. Einleitung

A. Einleitung

289

Nach dem Grundtatbestand des § 1 Abs. 1 Nr 1 UStG unterliegen Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Im folgenden Kapitel wird der danach nötige Inlandsbezug („im Inland“) behandelt. Dabei ist zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen zu unterscheiden:


Bei einer Lieferung ist die Frage, ob der Lieferort im Inland liegt, nach § 3 Abs. 5a bis 8 UStG, §§ 3c, 3e, 3f, 3g UStG zu beantworten (s. dazu Rn 295 ff).
Bei einer sonstigen Leistung bestimmt sich der Leistungsort dagegen nach §§ 3a, 3b, 3e, 3f, 25 Abs. 1 S. 4 UStG (s. dazu Rn 339 ff).

290

Wird ein Umsatz nach den genannten Vorschriften im Inland ausgeführt, kommt es für die Besteuerung nicht darauf an, ob der Unternehmer deutscher Staatsangehöriger ist, ob er seinen Wohnsitz oder Sitz im Inland hat, ob er im Inland eine Betriebsstätte unterhält, die Rechnung erteilt oder die Zahlung empfängt. § 1 Abs. 2 S. 3 UStG stellt dies ausdrücklich klar.

§ 6 Leistungsort im Inland › B. Inland, Ausland, Gemeinschaftsgebiet, Drittland

B. Inland, Ausland, Gemeinschaftsgebiet, Drittland

291

Das UStG verwendet in zahlreichen Einzelvorschriften die Begriffe „Inland“, „Ausland“, „Gemeinschaftsgebiet“, „übriges Gemeinschaftsgebiet“ und „Drittlandsgebiet“. Die Begriffe werden in § 1 Abs. 2, 2a UStG definiert. Sie sind u. a. für die in diesem Kapitel behandelten Ortsregelungen von großer Bedeutung.

292

§ 1 Abs. 2 S. 1 UStG definiert den Begriff „Inland“ für Zwecke des UStG. Inland ist danach das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Ausgenommen (und damit „umsatzsteuerrechtliches Ausland“, s. u.) sind


die Gemeinde Büsingen (eine deutsche Exklave, die von schweizerischem Staatsgebiet umgeben ist);
die Insel Helgoland;
die Freihäfen (seit dem 1. Januar 2013 gibt es Freihäfen nur noch in Bremerhaven und Cuxhaven, nicht mehr in Hamburg);
die Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie;
deutsche Schiffe und deutsche Luftfahrzeuge in Gebieten, die zu keinem Zollgebiet gehören.

293

„Ausland“ i. S. d. UStG ist nach § 1 Abs. 2 S. 2 UStG das Gebiet, das nicht Inland ist (s. o.). Helgoland, Deutschlands einzige Hochseeinsel, liegt danach umsatzsteuerrechtlich im Ausland; dasselbe gilt u. a. für die Freihäfen und die Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie. Für die Freihäfen und die genannten Gewässer und Watten fingiert aber § 1 Abs. 3 UStG in bestimmten Fällen im Inland erbrachte Leistungen.

294

§ 1 Abs. 2a UStG definiert, welche Territorien „Gemeinschaftsgebiet“ i. S. d. UStG sind (Sätze 1, 2), und was „Drittlandsgebiet“ bedeutet (Satz 3).


Das Gemeinschaftsgebiet umfasst das Inland (Rn 291) und die Gebiete der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Inland dieser Mitgliedstaaten gelten („übriges Gemeinschaftsgebiet“). Darauf, ob im jeweiligen Mitgliedstaat der Euro das gesetzliche Zahlungsmittel ist, kommt es nicht an. Auch Schweden und (noch) das Vereinigte Königreich gehören daher (neben weiteren Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben) zum Gemeinschaftsgebiet. Das Fürstentum Monaco gilt als Gebiet der Französischen Republik. Die Insel Man gilt als Gebiet des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland.
Drittlandsgebiet ist das Gebiet, das nicht Gemeinschaftsgebiet ist, also z. B. die Schweiz, Norwegen und alle außereuropäischen Länder. Auch die Insel Helgoland und Büsingen, die nicht Teil des „Inlands“ (s. o.) und damit auch nicht des Gemeinschaftsgebietes sind, liegen im Drittlandsgebiet.

§ 6 Leistungsort im Inland › C. Ort der Lieferung

C. Ort der Lieferung

295

Nur eine Lieferung im Inland ist nach § 1 Abs. 1 Nr 1 UStG steuerbar. Regelungen zum Ort der Lieferung finden sich in § 3 Abs. 5a bis 8 UStG sowie in §§ 3c, 3e, 3f und 3g UStG. Dabei enthalten die §§ 3c, 3e, 3f und 3g UStG Regelungen für spezielle Lieferfälle (Versandhandel, Lieferungen in bestimmten Beförderungsmitteln, Lieferungen von Gas, Elektrizität, Wärme oder Kälte, unentgeltliche Wertabgaben). Soweit diese Spezialvorschriften nicht einschlägig sind, ist Raum für die Anwendung von § 3 Abs. 5a bis 8 UStG. Was diese Regelungen betrifft, ist die Unterscheidung zwischen bewegten und ruhenden Lieferungen wesentlich. Es gelten folgende Grundsätze (zu Details s. u.):


Bewegte Lieferung: Wird der Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet, gilt die Lieferung als dort ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung beginnt (§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG).
Ruhende Lieferung: Wird der Gegenstand der Lieferung nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (§ 3 Abs. 7 S. 1 UStG).

§ 6 Leistungsort im Inland › C. Ort der Lieferung › I. Ruhende Lieferung: Belegenheitsort

I. Ruhende Lieferung: Belegenheitsort

296

§ 3 Abs. 7 S. 1 UStG regelt den Lieferort bei ruhenden Lieferungen. Wird der Gegenstand der Lieferung nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung danach dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (Belegenheitsort).

297

Eine ruhende Lieferung ist vor allem bei Grundstücken nebst den darauf befindlichen Gebäuden zu bejahen. Bei der Lieferung beweglicher Sachen liegt dagegen häufig eine bewegte Lieferung vor. Eine ruhende Lieferung kommt aber etwa in Betracht in den speziellen Fällen der Übereignung gemäß §§ 929 S. 2, 930, 931 BGB oder durch Übergabe von Traditionspapieren (Ladescheine, Lagerscheine, Konnossemente, §§ 444, 475c, 647 HGB).[1]

298

Beispiel:

Ein Leasinggeber verkauft den Leasinggegenstand (z. B. ein Auto) an den Leasingnehmer und übereignet „kurzer Hand“ (also durch bloße Einigung, § 929 S. 1, 2 BGB). Ort der (ruhenden) Lieferung ist nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG der Ort, an dem sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. Dasselbe gilt, wenn der Leasinggeber nicht an den Leasingnehmer veräußert, sondern an einen Dritten, der den bestehenden Leasingvertrag als neuer Leasinggeber fortführen soll, und wenn die Übereignung durch Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen den Leasingnehmer vollzogen wird (§§ 929 S. 1, 931 BGB).

299

Bedeutung hat die Regelung zur „ruhenden Lieferung“ zudem, wenn eine bewegliche Sache Gegenstand eines Reihengeschäfts ist, da stets nur eine der Lieferungen beim Reihengeschäft eine bewegte Lieferung ist. Die andere Lieferung ist eine ruhende Lieferung (s. im Einzelnen Rn 314 ff).

§ 6 Leistungsort im Inland › C. Ort der Lieferung › II. Bewegte Lieferung: Ursprungslandprinzip (§ 3 Abs. 6 UStG)

II. Bewegte Lieferung: Ursprungslandprinzip (§ 3 Abs. 6 UStG)

300

§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG regelt den Lieferort bei bewegten Lieferungen. Danach gilt, wenn der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet wird, die Lieferung als dort ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Damit gilt das Ursprungslandprinzip, und zwar ausdrücklich auch dann, wenn der Erwerber den Gegenstand der Lieferung beim Lieferer abholt (Abholfall).

301

Die Begriffe „Befördern“ und „Versenden“ sind definiert in § 3 Abs. 6 S. 2, 3 UStG:


„Befördern“ bedeutet, dass der Lieferer oder der Erwerber den Transport in eigener Person oder durch eigenes Personal bewirkt.
„Versenden“ bedeutet dagegen, dass ein selbstständiger Beauftragter (z. B. ein Frachtführer oder Spediteur) den Transport übernimmt.

302

Beispiel:

Die Federstrich AG mit Sitz in Hamburg stellt hochwertige Schreibgeräte her. Sie verkauft Füllfederhalter an die Écrivain S.à r.l., die in Paris einen Schreibwaren-Großhandel betreibt. Wenn der Transport der Füllfederhalter in Hamburg beginnt, ist Hamburg nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG der Ort der Lieferung. Dies gilt in Fällen der Beförderung durch den Lieferer oder (Abholfall) durch den Erwerber, aber auch bei Versendung (z. B.: die Federstrich AG verschickt die Ware per DHL-Paket nach Frankreich). Die danach steuerbare Lieferung der Federstrich AG ist unter den Voraussetzungen des § 4 Nr 1 lit. a) i. V. m. § 6 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung von der deutschen Umsatzsteuer befreit (s. hierzu noch Rn 469 ff). Dafür unterliegt die Écrivain S.à r.l. in Frankreich einer Erwerbsbesteuerung entsprechend der deutschen Regelung in § 1 Abs. 1 Nr 5 i. V. m. § 1a UStG (s. dazu Rn 917 ff); im Hinblick auf die danach geschuldete französische Mehrwertsteuer (Taxe sur la Valeur Ajoutée, TVA) ist sie in Frankreich zum Vorsteuerabzug berechtigt (entsprechend der deutschen Regelung in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr 3 UStG).

303

§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG (Ursprungslandprinzip) ist nur anwendbar, wenn bei Transportbeginn der Erwerber feststeht.[2]

304

Beispiel (Abwandlung des Beispiels Rn 302):

Die Federstrich AG verschickt ihre Ware nach Frankreich, ohne dass eine Bestellung durch einen französischen Kunden vorliegt. Die Ware wird zunächst in einem Auslieferungslager in Annecy gelagert. Wenige Wochen später bestellt die Écrivain S.à r.l. die Füllfederhalter und die Federstrich AG liefert diese durch eigene Leute von Annecy nach Paris.

Lösung: Der Transportbeginn in Hamburg ist nicht der Beginn einer warenbewegten Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 6 S. 1 UStG, denn zu diesem Zeitpunkt ist jegliche Lieferung noch zu verneinen – es fehlt an einem feststehenden Abnehmer. Die Federstrich AG bewirkt in Deutschland ein steuerbares, aber steuerbefreites innergemeinschaftliches Verbringen (§ 3 Abs. 1a sowie § 4 Nr 1 lit. a) i. V. m. § 6a Abs. 2 UStG). Zudem hat sie in Frankreich einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern, daraus aber auch in Frankreich den Vorsteuerabzug (analog den deutschen Regelungen in § 1 Abs. 1 Nr 5 i. V. m. § 1a Abs. 2 UStG sowie § 15 Abs. 1 S. 1 Nr 3 UStG). Für die anschließende Lieferung an die Écrivain S.à r.l. ist der Lieferort nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG Annecy, die Lieferung ist in Deutschland also nicht steuerbar.

305

§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG (Ursprungslandprinzip) ist weiter nur anwendbar, wenn der Gegenstand der Lieferung bei Transportbeginn fertig ist. Wenn dagegen der Gegenstand an seinem Bestimmungsort noch „einer Behandlung unterzogen wird, die seine Marktgängigkeit ändert“ (s. die Formulierung im UStAE[3]), wird nicht der Liefergegenstand, sondern ein anderer Gegenstand befördert. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein deutscher Hersteller z. B. eine große Maschine oder ein Kraftwerk ins Ausland verkauft, Gegenstand des Transportes aber nur Einzelteile sind, die im Bestimmungsland erstmals vom Lieferer zusammengesetzt werden. Die Behandlung dieses Falles entspricht jener bei noch nicht feststehendem Abnehmer (innergemeinschaftliches Verbringen, s. Rn 303 f). Dagegen bestimmt sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG, wenn entweder dem Erwerber von vornherein nur ein Bausatz verkauft wird, den er selbst zusammensetzen muss (bei großen Anlagen kaum vorstellbar), oder wenn eine betriebsfertig hergestellte Maschine lediglich zu Transportzwecken in einzelne Teile zerlegt und dann von einem Monteur des Lieferers am Bestimmungsort wieder zusammengesetzt wird.[4]

306

Von einer „Umkartierung“ ist die Rede, wenn sich Ware bereits auf dem Transportweg zu einem Abnehmer befindet, die Lieferung dann aber abgebrochen wird, z. B., weil der Abnehmer zahlungsunfähig geworden ist. Wird die Transportperson in dieser Situation angewiesen, die Ware zu einem anderen Erwerber zu transportieren, ist Ort der Lieferung an diesen Erwerber nicht der ursprüngliche Abgangsort, sondern der Ort, an dem sich die Ware bei der Umkartierung befindet. Die USt für die erste (abgebrochene) Lieferung ist nach § 17 UStG zu berichtigen.[5]

§ 6 Leistungsort im Inland › C. Ort der Lieferung › III. Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet (§ 3 Abs. 8 UStG)

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