Kitabı oku: «Unerhörte Nachrichten», sayfa 3

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Das schwindende Licht veränderte das Lachsrosa des Wohnblocks. Es war, als würde die Farbe, an die sich Prähausner nicht und nicht gewöhnen konnte, sauer werden, als wäre die Fassade plötzlich nicht mehr frischsauber saniert, sondern von geradezu stechend hässlichem Verfall gezeichnet. Er sog die Luft durch die Nase ein, roch aber nur die mürbe Feuchte des Laubs, das auf den Rasenstreifen gefallen war. Mit langen Schritten setzte er darüber hinweg und sah Franzis Fahrrad neben dem Eingang stehen. Schon seit Monaten klapperte sie damit durch die Gegend, und aus dem Hinterreifen entwich ständig Luft. Das Rad musste dringend in die Werkstatt, oder war es vielleicht gescheiter, gleich ein neues zu kaufen? Franzi, die im letzten Jahr wieder stark gewachsen war, saß krumm über ihrem Jugendrad, sie brauchte endlich einen Rahmen für Erwachsene.

Vor der Eingangstüre blieb er stehen und stieß, ehe er den Schlüssel aus der Hosentasche zog, mit einem Seufzer die Luft aus. Der Gebirgsjäger hielt nun die Stellung am Grenzübergang Freileichtheim, und das Interview mit den Syrern überarbeitete Annabel. Die Fremde hatte sich ruhig verhalten; sie war den ganzen Tag über auf Franzis Bett gelegen. So hatte es wenigstens Frau Hirscher erzählt.

Als Prähausner in die Wohnung trat, hörte er seine Tochter lachen. Sie und die junge Frau saßen auf der Couch im Wohnzimmer, einen Haufen Kleidung zwischen sich. Herthas sonst so sorgfältig gebügelte Sachen sind wild zu diesem Haufen zusammengeworfen, Hosenbeine winden sich auf die Polster; Blusen, noch auf Kleiderbügel gezogen, ecken hinauf zur Decke; dazwischen runzeln Nylonstrumpfhosen, bilden Socken und Strümpfe Klumpen in gedeckten Farben. Selbst vor teuren Kostümen hat Franzi nicht Halt gemacht, hat sie samt des Zellophanmantels, in dem sie von der Reinigung gekommen sind, in den Müllsack gestopft, der nun vor der Couch am Boden liegt, hat die Röcke, Hosenanzüge hier in der Wohnung wieder aus dem knisternden Kunststoff gerissen, und nun bläht sich das Zellophan neben dem Sack auf dem Parkett. Ich kann nicht aufhören, darauf zu starren, auf dieses hauchdünne Eis, das meine Augen überzieht, meinen Blick derart eintrübt, dass die Fremde zu einem Schemen wird. Der Windstoß, der durch die riesige Halle geht, als wir die Türe aufquietschen, das Rascheln und Knistern. Überall das Zellophan auf dem Boden, es weht in Massen auf, dutzende, hunderte von durchsichtigen Gespenstern fliehen in den hinteren, dunklen Teil des Gebäudes. Später in der Nacht, hören wir es. Dann hören wir sie, irgendwo zwischen den Reihen mit den aufgehängten Kleidern.

Prähausner blinzelte angestrengt. Sein Blick begann sich zu klären, er sah das weinrote Jackett der jungen Frau, ihre weiße Bluse und den beigen Rock, der ihr knapp bis zu den Knien ging, dazu trug sie stelzig-teuer aussehende Pumps. Nur die kräftig behaarten Waden passten nicht zu ihrem Aufzug.

„Hi Pap.“ Franzi hielt es nicht für nötig, sich von der Couch zu erheben. Das Silber der Ringe rundete sich scheußlich kühl um ihre rot entzündeten Nasenflügel. Kein Begrüßungsküsschen mehr, keine kuschelige Umarmung vor dem Einschlafen. Die strenge Auflage, das Jugendzimmer nur noch nach höflichem Klopfen zu betreten, und die Forderung nach einem Badezimmerschlüssel. Was ihn am meisten schmerzte, war das sehr kurze, schwarz gefärbte Haar. Endgültig vorbei die Zeiten, in denen ihr blonder Zopf seine Wochenenden erleuchtet hatte.

„Na, was sagst du? Passt ihr genau, oder nicht?“ Glücklicherweise hatte Franzi immer noch diesen hellen Kindersopran. Prähausner winkte der Fremden zur Begrüßung zu. Die Antwort war ein Lächeln, das etwas leicht Geziertes hatte. Einen Moment lang legte sie ihre Rechte auf die Herzgegend.

„Sie ist nett. Wir verstehen uns gut, obwohl sie nichts redet. Sie schmatzt bloß“, rief Franzi, die nun energisch im Kleiderhaufen zu wühlen begann.

„Ja, ich weiß. Sie schmatzt beim Essen.“

„Nein, nicht bloß beim Essen. Zuerst hab ich gemeint, dass sie heimlich Zuckerl lutscht. Aber das tut sie nicht. Sie schmatzt halt manchmal, zum Beispiel, wenn sie aufgeregt ist.“

Die Fremde künstelte sich noch immer ein Lächeln ins Gesicht, ein Lächeln, das der Personalchef von Herthas Aufzugsfirma sicherlich hinreißend gefunden hätte, das Prähausner aber, zusammen mit ihrem fettigen Lippenstiftrot, eher unangenehm war. Immerhin sorgte die Schminke dafür, dass ihm der Amorbogen mehr oder minder verborgen blieb.

„Habt ihr schon was gegessen?“ Er ging an der Couch vorbei und öffnete die Türe zur Küche.

„Ja. Frau Hirscher hat kalte Schnitzerl gebracht. Und Kartoffelsalat. Es ist noch genügend da.“

Prähausner lief das Wasser im Mund zusammen. Annabel hatte ihm um die Mittagszeit ein Weckerl geholt. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob es mit Käse oder Wurst belegt gewesen war.

Mit gefülltem Teller setzte er sich an den Esstisch im Wohnzimmer. Schon mit den ersten Bissen entfuhr ihm ein Seufzer des Behagens. Am liebsten hätte er sich zurückgelehnt und seine schwer gewordenen Füße auf die Tischkante gelegt. „Franzilein, bringst du mir bitte ein Bier aus dem Kühlschrank?“, bat er seine Tochter.

„Nein! Franzilein bringt dir kein Bier! Das weißt du ganz genau!“, rotzte sie aufgebracht in seine Richtung.

Prähausner entschuldigte sich sofort. Auch die Zeit der lautlichen Liebkosungen war schon längst vergangen. Verwunderlicherweise stand kaum eine halbe Minute später eine Bierflasche vor ihm, inklusive Kronkorken allerdings. Den Öffner musste er sich selber aus der Küche holen.

„Schmeckt gut, gell? Viel besser als das Fertigzeugs, das ich sonst immer essen muss.“ Franzi saß jetzt wieder auf der Couch, ihr Gesicht war leicht gerötet. Immer, wenn sie im Kleiderberg etwas gefunden hatte, schwenkte sie es fahnenhaft in Richtung Esstisch. „Ich hab eine Idee!“ Eine Bluse in der Hand, schnellte sie in die Senkrechte. „Wir machen eine Modenschau. Wir gehen in mein Zimmer, und dann kommt Mara mit immer neuen Kleidern ins Wohnzimmer. Am Schluss sagst du dann, was dir am besten gefallen hat.“

„Mara?“ Prähausner hörte auf zu kauen. „Wieso Mara? Hat sie dir gesagt, wie sie heißt?“

„Nein. Sie redet ja nichts. Da hab ich eben einen Namen für sie gesucht. Mara passt ziemlich gut, oder? Musik!“ Franzi lief zu dem Regal, das die altertümlich große Stereoanlage samt der Plattensammlung trug, und legte eine CD ein. Der Chor der Journalisten Westösterreichs hub zu singen an. Er selbst, Ingo Prähausner, war es gewesen, der vor über zehn Jahren die Liedertexte verfasst hatte. Es gab eben Menschen, die für das Schreiben geboren worden waren und nicht für das Kochen. Irgendwann würde seine Tochter das bestimmt verstehen.

„Los komm, Mara!“ Franzi nahm die Fremde an der Hand und zog sie aus dem Zimmer. Gleich kam sie wieder zurück, beugte sich über die Couch und raffte sich die Kleider vor die Brust. „Puh, ist das viel! Mam kann froh sein, dass sie die Sachen los ist.“

Noch während Prähausner das erste Schnitzerl zu Ende brachte, wurde vor der Wohnzimmertüre gekichert. Franzi murmelte etwas, aber die Fremde kam nicht herein. Schließlich öffnete sich die Türe, und seine Tochter zog die junge Frau am Esstisch vorbei, in Jogginghose und Kapuzen-Pulli. Ein leichter Luftzug saugte das Zellophan um einige Zentimeter vom Parkett, dann senkte es sich zurück auf den Boden.

Unterstützt von einem halben Blasorchester, sang der Journalistenchor Das Lied von der Meinungsfreiheit. Im stark rhythmisierten Refrain hieß es: „Dann ist es bald so weit / dann sind wir frei, ganz frei, ganz meinungsfrei.“ Noch vor ein, zwei Jahren hatte Franzi das tagelang vor sich hingesummt.

„So, bitteschön. Casual fits.“ Prähausners Tochter verneigte sich, und die Fremde tat es ihr nach einigem Zögern gleich. Ihr Haar duftet dunkel zu Boden, glänzt Schwärze in meine Augen. Wenn ich nach Hause komme, knipse ich das Licht an, ich öffne den Kühlschrank, in dem weißlich beleuchtet mein Bier steht; ich setze mich auf die Couch und strecke die Füße von mir und nicke bei brennendem Deckenlicht ein. Immer noch hängt die Pappmachéhalbkugel, die Franzi als kleines Kind gebastelt hat, als Lampe über dem Esstisch und taucht das Wohnzimmer in grünliches Wasserfarbenlicht. Immer noch sind an den nackten Wänden die Umrisse der Bilder zu sehen, die Hertha mitgenommen hat, immer noch lehnt sich im Schlafzimmer das Billigregal mit meiner Kleidung an die Wand, leuchten meine beiden weißen Hemden, auf Bügel gezogen, neben meinem Bett. Ich könnte die Nägel, an denen sie hängen, herausziehen, könnte mir einen Kasten kaufen und mein Gewand in seiner kubischen Schwärze verschwinden lassen. Ich könnte Ordnung in der Wohnung machen, ich könnte das Licht ausschalten, wenn ich zu Bett gehe, könnte still im Dunkeln liegen. Gäbe es die gemeinsamen Wochenenden mit Franzi nicht, würde ich wohl im Büro übernachten, würde ein Feldbett zwischen Annabels Urwaldpflanzen zwängen. Franzis wegen lasse ich den leeren Kühlschrank brummen, die Stereoanlage verstauben, den Wasserkocher verkalken. Ihretwegen setze ich mich jeden Abend auf die viel zu weiche Couch. Ein Bier in der Hand, versinke ich in einem Abgrund von Nachgiebigkeit, aus dem ich mich manchmal erst am nächsten Morgen wieder herausarbeiten kann.

Nein, hier in der Wohnung ist es nicht dunkel, hier ist alles voll heller Verzweiflung, selbst in der Nacht.

Es dauerte nicht lange, bis Mara begriffen hatte, was Franzi von ihr wollte. Nach dem zweiten gemeinsamen Auftritt in Jeans und Rollkragenpullover kam sie bereits alleine ins Wohnzimmer, diesmal in einem Hosenanzug mit Knöpfen, die den Durchmesser einer Espresso-Tasse hatten. Prähausner erinnerte sich noch gut daran, dass Hertha ihn getragen hatte, als sie das erste Mal zu dieser unseligen Aufzugsfirma gegangen war. Keine Öffentlichkeits- und Organisationsarbeit für die Neuesten Grätzelnachrichten mehr, sondern Marketing für einen Weltkonzern. Seither ist es vorbei mit dem mühsamen Stufensteigen; es geht jedes Jahr ein paar Etagen nach oben, bequem per Aufzug natürlich. Hat sich Hertha jemals auch nur zum Spaß vor mir verneigt?

Mara kippt nicht ihren Oberkörper nach vorne, sie lässt nicht Kopf und Hände kurz nach unten hängen, wie Franzi das getan hat, sondern beugt sich, ein Bein leicht vor das andere gestellt, in einem weichen Bogen in meine Richtung, die Arme einladend offen, offen noch, als sie sich wieder aufrichtet, als ihr Haar zurück auf ihren Rücken flattert. Krähen sind aufgeflogen, als wir damals in der Krajina gehalten haben, alarmiert von etwas Dunklem, das ein paar dutzend Meter von der Straße entfernt gelegen ist. Marina und Max sind rechts rangefahren, sie haben den ganzen Konvoi zum Anhalten gezwungen und sind ausgestiegen, sind zusammen auf das Stoppelfeld hinausgezaudert. Auch ich bin aus dem Transporter gesprungen, ich bin den beiden hinterhergelaufen und erleichtert gewesen, als ich den schwarzen Pelz des Schafs erkannt habe. Allein in der verlassenen Landschaft, war es wohl erfroren oder verhungert, aber als wir über dem Kadaver gestanden sind, haben wir die rot durchklaffte Bauchdecke gesehen und das kleine Beil, das tief darin gesteckt ist. Es ist eigentlich nur noch der Stiel sichtbar gewesen zwischen den herausdrängenden Innereien. Unwillkürlich haben wir uns suchend umgeschaut, dann sind wir wortlos zu den Lastwägen zurückgelaufen.

„Ein Schaf, nur ein Schaf“, haben wir den anderen zugerufen, die in den laufenden Fahrzeugen gesessen sind, eine Thermoskanne oder ein Wurstbrot in der Hand, und wir sind schnell wieder in unser warmes Führerhaus gestiegen.

Prähausner merkte, dass er aufgehört hatte zu kauen. Ein Bissen Kartoffelsalat säuerte auf seiner Zunge, bevor er ihn mit einem Schluck Bier in den Rachen spülte. Wo war die Fremde hingekommen? War sie aus dem Raum gestöckelt, ohne dass er es bemerkt hatte?

Mara trat erneut ins Zimmer, diesmal im Sari. „Und du schreibst und schreibst mit krummem Rücken / Lässt dich von dem Leid der Welt bedrücken“, sang nun legato der Chor. Es war der Sari, den Günther aus Indien mitgebracht hatte, eine safranfarbene Stoffbahn, in der selbst Franzi unmöglich aussah, von Hertha ganz zu schweigen. Und doch hatte sich Prähausners Ex immer wieder hineingewunden, hatte die luftige Beschaffenheit des Stoffs und Günthers Geschmack gelobt. Günther, der anfangs nur Herthas Sehnsucht nach dem Fernen und Anderen befriedigt hatte. Und nun stand Mara safranfarben vor Prähausner. Der Sari legte sich um ihre Hüften, ihre Schultern, um ihren Kopf, als hätte sie nie etwas anderes getragen; ihr Haar, das unter dem Stoff hervorsträhnte, erleuchtete das Wohnzimmer mit seiner Schwärze. Indien, Indien war erleichternd weit fort, Indien war eine gute Erklärung für ihr dunkles Haar, ihren dunklen Teint und die Angewohnheit, sich zur Begrüßung die rechte Hand auf das Herz zu legen.

„Du stellst Artikel auf Artikel her / auch wenn es Zeit für die Familie wär“, lamentierte der Chor. Mara hielt sich diesmal ein wenig länger im Wohnzimmer auf. Kein Zweifel, sie fühlte sich wohl im Sari, sie zog sich halb den feinen Stoff vors Gesicht, vor ihre groß geschminkten Augen und den strotzend roten Mund. Sich im Safran sonnend, stellte sie merkbar kokett die Hüfte aus und richtete ihren Blick, nachdem sie sich ein weiteres Mal elegant verneigt hatte, erwartungsvoll auf Prähausner. Kurz zauderte er noch, dann begann er zu klatschen. Franzi kam ins Zimmer.

„Der Sari steht ihr gut, gell?“ Sie lachte vergnügt. Flink schaltete sie die Stereoanlage aus. „Sie ist so schön! Die dunklen Augen. Und die Haare erst! Hast du ihre Haare schon angegriffen? Nicht?“ Franzi schob die Fremde auf Prähausner zu und zog eine dicke Strähne unter dem Safrantuch hervor. „Da. Fühl mal.“ Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Haar in die Hand zu nehmen. Es war fest und stark und fellig dicht. Das Schwarz zerblaute vor seinen Augen.

„Vielen Dank für die schöne Vorführung.“ Prähausners Blick schwamm noch ganz in Maras Schönheit, als er sie mit einer Handbewegung aufforderte, sich zu setzen. Nach einem Schluck Bier räusperte er sich umständlich, dann bat er seine Tochter, Gebärdensprache zu googeln. „Gehörlose kommunizieren nämlich mittels Gebärden. Die sind von Land zu Land verschieden. Ich habe erst vor ein paar Monaten ein Interview mit dem Leiter des Gehörlosenverbands gemacht.“

„Ja, den Artikel hab ich gelesen“, unterbrach ihn Franzi, die sich ebenfalls gesetzt hatte und ihren Zeigefinger sofort über ihr Smartphone fliegen ließ. „Mit der Gebärdensprache kann man gut Gefühle ausdrücken. Total faszinierend.“

„Was? Du hast den Artikel gelesen? Wirklich?“

„Ach Paps, du weißt doch, dass ich mich für medizinische Sachen interessiere!“

„Allerdings.“ Prähausner lächelte. Im Alter von etwa drei Jahren, nach einem Besuch bei der Hausärztin, der der grippekranken Franzi Linderung verschafft hatte, war das Interesse des Kindes für den menschlichen Körper erwacht. Die Sprechstunde, in der die kleine Ärztin, Frau Dr. Franzi, umständlich Prähausners Geschlecht untersucht und festgestellt hatte, dass es da einen Unterschied zur Mama gebe, war ihm noch gut in Erinnerung. „Freut mich, dass du ab und zu die Nachrichten liest. Und? Was sagt Google? Hast du was gefunden?“

„Ja, da gibt es eine Menge. Zum Beispiel anschauen. Das geht so:“ Sie formte mit Zeige- und Mittelfinger ein Victory-Zeichen und führte es in einer Art Wellenlinie auf Höhe ihres Kinns von rechts nach links. Dabei blickte sie Mara unverwandt an.

Die Fremde formt die Gebärde augenblicklich nach, auf eine ungleich elegantere Weise als meine Tochter. Dabei gluckst sie glücklich in Franzis Richtung, ein staunenswert naives, fast schon kindliches Lachen im Gesicht. Plötzlich ist keine Spur von Gefallsucht, von Koketterie mehr in ihrem Verhalten. Wie würde jemand, der gehörlos ist, ihren Catwalk-Auftritt beurteilen? Keine voll aufgedrehte Stereoanlage, ein lautes Lippenstiftrot im Gesicht. Keine explizite vorherige Ankündigung, die Aufmerksamkeit erzeugt, kein „Casual“ und kein „Business-Look“, sondern eine überdeutlich verführerisch ausgestellte Hüfte. Wie schwierig muss es sein, sich bei anderen Gehör zu verschaffen, wenn man selbst nicht sprechen kann? Kein Wunder, dass Mara kräftig mit dem visuellen Lautstärkeregler spielt. Nur so kann sie sicher sein, dass ich alles mitkriege.

„Ich dich anschauen!“ Franzi zeigte auf sich selbst und dann auf die junge Frau, bevor sie wieder die Wellenlinie zeichnete.

Mara nickte. Sie zeigte auf ihre Augen, bevor sie ihre Victory-Finger leicht durch die Luft gleiten ließ.

„Sie kann reden! Man hört es bloß nicht!“ Franzi deutete auf sich selbst, legte sich die rechte Hand auf ihre Herzgegend und zeigte dann auf Mara. „Ich mag dich!“, sagte sie überdeutlich langsam.

Die Fremde gurrte, bevor sie Franzis Hände ergriff und sie kurz an ihr Herz zog. „Schau, wie einfach das ist, Pap!“, rief Franzi. „Komm, sag ihr, dass du sie magst.“

„Nein, das geht nicht“, weigerte sich der Redakteur. Schnell stand er auf. „Sie ist eine Frau und ich bin ein Mann. Das könnte sie falsch verstehen.“ Er lobte seine Tochter für ihr pädagogisches Geschick, dann wünschte er den beiden Freundinnen noch viel Spaß und ging aus dem Raum.

Prähausner starrte ins Dunkle. Er fand keinen Schlaf, und das, obwohl Franzi sich auf der Wohnzimmercouch ausgestreckt hatte, bereit, bei der geringsten Unruhe, die aus ihrer Kammer kam, aufzuspringen und Mara zu beruhigen.

Hertha hatte ihm nicht einmal eine Standpauke gehalten, als er ihr am Telefon von Franzis unabänderlichem Beschluss, die Nacht in seiner Wohnung zu verbringen, erzählt hatte. Im Gegenteil, sie war nach anfänglicher Verblüffung sogar sehr zugänglich geworden und hatte fast so etwas wie Respekt erkennen lassen.

Prähausner konnte nicht einschlafen, weil wieder Mara vor seinen Augen stand, weil das Sarigelb in meinen überreizten Gehirnwindungen gleißt, weil der schwarze Duft ihres Haares macht, dass ich unwillkürlich die Luft einsauge, aber da ist nur der Muff der Tuchent. Wann habe ich mein Bett das letzte Mal frisch überzogen? Vor fünf oder sechs Wochen, weit vor Beginn der ganzen Flüchtlingsgeschichte, muss es gewesen sein.

Hier im Schlafzimmer ist es ruhig, nur von den fernen Gleisen des Verschubbahnhofs höre ich ein leises Klonken und ein Quietschen; dort werden, wie jede Nacht, Güterzüge zusammengestellt, und, wie ich unter der Hand erfahren habe, auch immer mehr Sonderzüge aus alten Personenwaggons, in denen die Vertriebenen in die Steiermark oder nach Kärnten gebracht werden, nach Vorarlberg oder nach Tirol, immer dorthin, wo gerade eine Mehrzweckhalle oder ein altes Hotel für sie freigemacht worden ist. Man rangiert sie hin und her, Verschubmasse der Verzweiflung darüber, dass die Tiefgarage am Bahnhof längst voll ist, dass in den beiden Schulturnhallen, die erst gestern adaptiert worden sind, alle Feldbetten belegt sind.

Leute, öffnet eure Wohnungen für die Vertriebenen, nehmt für zwei oder drei Nächte, für drei oder vier Wochen junge Männer aus dem Irak auf oder aus Afghanistan, eine Familie aus Syrien oder aus Nigeria. Nehmt euch ein Beispiel an mir, Ingo Prähausner, der ich einer jungen Frau alle erdenkliche Hilfe angedeihen lasse, obwohl ich sie nicht einmal fragen kann, weshalb sie sie benötigt. Ich werde nie erfahren, woher Mara stammt, werde nicht einmal ihren wahren Namen wissen, aber dennoch habe ich ihr meine Türe und mein Herz geöffnet. Leute, seht, wie sehr sie meine Hütte mit ihrem Safran beglänzt, wie aufregend exotisch mein Leben geworden ist, seit ich ihr Obdach gewährt habe. Selbstlosigkeit führt in die Sonne; Angst, Misstrauen und Ablehnung leiten zurück ins Dunkel, das habe ich mit meiner toleranten Art bewiesen! Ich schreibe nicht nur über die Notwendigkeit, sich solidarisch füreinander einzusetzen, ich lebe auch danach – ohne den geringsten Hintergedanken, ohne ein Gran von der egoistischen Gier, die ich so oft in meinen Kommentaren angeprangert habe. Leute, nehmt euch ein Beispiel an meiner beeindruckenden Mildtätigkeit und inseriert in der App der Grätzelnachrichten, statt auf fragwürdigen Internetseiten. Moralische Fragen werden in der Werbung immer wichtiger, besonders in Zeiten der Krise.