Kitabı oku: «Geschichtsmatura», sayfa 4

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2.3.4 Zum „Kompetenz-Strukturmodell“ der Gruppe FUER Geschichtsbewusstsein

Maßgebend für die österreichische Unterrichtsreform im Fach GSPB wurde das Kompetenz-Strukturmodell der Gruppe FUER Geschichtsbewusstsein. Im Jahr 2000 konstituierte sich ein internationales Projektteam an den Universitäten Eichstätt und Hamburg, bestehend aus Fachdidaktiker*innen und Lehrer*innen der Länder Deutschland, Schweiz, Österreich, Ungarn, Rumänien und Südtirol.172 Dem eigenen Selbstverständnis folgend, planten sie die Entwicklung eines Kompetenzmodells, das in prononcierter Weise der Förderung eines reflektierten und (selbst-)reflexiven Umgangs mit Geschichte verpflichtet war. Das Akronym „FUER“ ist programmatisch und nennt die Intention: Förderung Und Entwicklung Reflektierten Geschichtsbewusstseins.173 Um eine innere Schulreform zu initiieren und in Gang zu halten, betrieben die Wissenschaftler*innen Grundlagen-, Implementations- und empirische Forschung. Der erste Schritt der Theoriearbeit war die Entwicklung eines Kompetenz-Strukturmodells, das den richtungsweisenden Titel „Kompetenzen historischen Denkens“ tragen sollte, denn dem Modell wurde Geschichtstheorie die Rüsens zugrunde gelegt.174 Waltraud Schreiber begründet das mit der Absicht, „[…] die Prinzipien und Operationen des historischen Denkens der Geschichtswissenschaft als elaborierte Form des lebensweltlichen Umgangs mit Geschichte, welcher letztlich in der Orientierungsfunktion begründet ist“,175 didaktisch wenden zu wollen. Ausgangspunkt der Theoriebildung zur historischen Orientierung waren Rüsens Überlegungen zum genuinen Zweck historischen Lernens, die er 1983 in die Form eines Regelkreismodells („disziplinäre Matrix“) gegossen hatte. Die Darstellung des Zusammenhangs fachwissenschaftlicher und lebensweltlicher Prozesse, deren zentraler Vorgang Erkenntnissuche ist, mündet in den Akt der „Sinnbildung“, i. e. einem kreislaufartigen Prozesses der Wahrnehmung von Kontingenzen und Zeitdifferenz und der Deutung des Wahrgenommenen mittels narrativer Verknüpfung der Wahrnehmungs-Elemente, sodass daraus Erfahrungen – Erkenntnisse – erwachsen.176 Wahrnehmung wird in diesem Vorgang zur „[…] Initialzündung der Sinnbildungsprozedur des Geschichtsbewußtseins […]“ und damit zum Anstoß historischen Lernens. Diesen Vorgang sowie daraus resultierenden Fragen an die Geschichte charakterisiert Rüsen als „[…] pränarrative Elemente der historischen Erfahrung […].“177 Sind Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse gewonnen, materialisiert sich die Auseinandersetzung mit Vergangenheit in Sinnbildungen. Das geschieht in Form „historischer Narrationen“. Historischer Sinn integriert Wahrnehmung, Deutung und Orientierung auf eine Weise, die es dem Individuum ermöglicht, Erfahrungen im Umgang mit Geschichte zu machen und sie für sich und seine Handlungen zu nutzen. Damit verbunden ist das Axiom, dass historischer Sinn Teil des individuellen wie auch des kollektiven Bewusstseins ist. Wolfgang Hasberg und Andreas Körber greifen Rüsens Theorie auf und wandeln dessen Regelkreismodell in ein ausdifferenzierteres Spiralmodell um. Die grundlegenden Operationen historischen Denkens (Re- und De-Konstruktion) werden mit den Bedürfnissen (historisch) Denkender in eine Wechselwirkung gebracht.178 Da seit den Debatten der 1970er Jahre innerhalb der Fachdidaktik (sowie zwischen ihr und Teilen der Fachwissenschaft) ein weitgehender Konsens darüber herrscht, dass der Wunsch des Menschen nach Orientierung der „Urgrund der Geschichtswissenschaft“ ist, war FUER davon überzeugt, dass es im Geschichtsunterricht künftig darum gehen muss, Einsichten zu fördern. Daher war die Entwicklung eines reflektierten und (selbst-)reflexiven Geschichtsbewusstsein in den Blick zu nehmen. Ziel von Schulunterricht durfte nicht mehr die Formung und Tradierung weitgehend stabiler Geschichtsbilder sein, sondern die Förderung eines historischen Bewusstseins, das dynamisch auf Erkenntniszuwächse reagiert, ergo eine kritische Haltung. Auf diese Weise sollte zwischen den Ansprüchen der Wissenschaft im Umgang mit Geschichte und lebensweltlichen Orientierungsbedürfnissen der Individuen eine Brücke zu schlagen sein.179

Nachdem grundlegende Fragen geklärt worden waren, wurden die Möglichkeiten eines modellhaften Kompetenzaufbaus samt Festlegung der Niveaustufen ausgelotet. Das Modell sollte die „Planung schulischer Lernprozesse“180 ermöglichen, also in den Unterricht eingreifen können. Die Gruppe FUER entschied sich für die Erarbeitung eines Strukturmodells, weil dieser Modelltyp die Gelegenheit bot, den Geschichtsunterricht vom Grund auf neu zu denken. Das Modell sollte auf alle Formen historischen Denkens anwendbar zu sein, die wissenschaftlich relevanten Begriffe klären, die Vorstellung einer Struktur der Domäne samt ihrer Niveaustufen bieten und Vorarbeiten für eine potenzielle Standardisierung leisten.181 Es wurde bewusst nicht schulfokussiert gedacht, um die theoretische Klärung der Mechanismen zur Förderung historischen Denkens im Kontext lebenslangen Lernens vorzunehmen. Man stütze sich auf das Lebenswerk des Bodo von Borries, der schon in den 1970er Jahren erkannt hatte, dass bei der Erstellung von Aufgabenformaten eine Trennung von Inhalts- und Verhaltensaspekt schwer möglich sei, außer man standardisiere das gesamte Unterrichtsgeschehen von der Planung über den Verlauf bis zu den Materialien. Hierbei bestünde die Gefahr der Interpretation von Geschichte auf der Basis vorgegebener Horizonte.182 FUER entschloss sich dazu, ein Strukturmodell zu entwickeln, das aus vier allgemeinen Kompetenzbereichen (Frage-, Methoden-, Sach- und Orientierungskompetenz) besteht, aus denen Kompetenzen sowie Teilkompetenzen deduziert werden. Man definierte Graduierungsparameter zur Abgrenzung der Niveaus und beschrieb die Niveaustufen.183 Ausständig geblieben sind die Konstruktion eines Modells zur Förderung der Kompetenzprogression samt Entwicklung von Lern- und Testaufgaben für Schüler*innen, die Standardsetzung und die empirische Erforschung sowohl der Kompetenzförderung als auch der realen Verteilung der Kompetenzen in der Bevölkerung.

Mit diesen Prämissen entfernte sich die Gruppe absichtlich von der Anregung Kliemes, eine „induktiv-explorative Entwicklung von Kompetenzmodellen“ anstreben,184 denn FUER ortete die Gefahr, dass eine prononcierte Aufgabenzentrierung die Hinwendung zu lebenspraktischen Herausforderungen der Menschen ins Hintertreffen geraten lassen würde, sodass die Förderung historischen Denkens nur partiell leistbar wird. FUER habe, laut Körber, einen höheren Anspruch an den Geschichtsunterricht formuliert. Er verweist darauf, dass die Menschen tagtäglich ihr Orientierungsbedürfnis in und an der Geschichte befriedigten. Nahezu jede*r verfüge daher über ein „triviales Geschichtsbewusstsein“. Der Unterricht müsse deshalb Wege öffnen, um Anschluss an professionelles Denken zu ermöglichen. Ein allgemeines Kompetenz-Strukturmodell historischen Denkens sollte jede Form mentaler Vorgänge anhand der Kompetenzbereiche und Einzelkompetenzen sowie deren Unterscheidbarkeit nach Niveaustufen beschreiben können.185 Um die Konzepte des Strukturmodells auf Unterricht hin zu adaptieren, sollten in einem zweiten Schritt der Theoriearbeit Progressionsmodelle entwickelt werden. Unterstützt wurde dieser Zugang zur Modellbildung u. a. von Test-Methodikern. So warnt Jürgen Rost eindringlich vor eindimensionalen Kompetenzstufen-Modellen, propagiert die Untersuchung möglichst vieler kognitiver Teilkompetenzen186 und sieht in dem von Klieme vorgeschlagenen Weg der Kompetenzimplementierung in die Schule wenig Potential, um Fähigkeiten und Fertigkeiten aufzubauen.187 Den Prozess, der mit der Erarbeitung des Kompetenz-Struktur-Modelles eingeleitet wurde, verstanden die Wissenschaftler*innen als einen umfassenden Vorgang. Es war ihnen bewusst, dass eine Begleitforschung notwendig war und dass eine Diskussion darüber erfolgen würde sowie die permanente Weiterentwicklung des Modells samt Adaptierungen auf Unterricht hin erfolgen müsse. Es war ein Anspruch von FUER, dass das Modell ausdifferenziert entwickelt wird, um den Ansprüchen des Bildungsmonitorings ebenso gerecht zu werden, wie der pädagogischen Diagnostik und der Evaluation.188 Aufgabe des Geschichtsunterrichts ist es, die Fähigkeiten und Fertigkeiten schrittweise aufzubauen und an ihnen dauerhaft weiterzuarbeiten, sodass „[…] sich langsam ein Vorrat an historischen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Bereitschaften sedimentiert, in den natürlich auch Irrtümer und Missverständnisse, Fehlhaltungen und Fehlschlüsse eingebaut sein können.“189 Wesentlich ist das Verständnis, dass einzelne Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch Kernkompetenzen niemals für sich stehen.190

2.3.5 Kritik am Kompetenz-Strukturmodell: Prototyp oder intellektuelles Surrogat?

Grundsätzlich attestiert die Fachwelt dem FUER-Modell einen hohen Grad an Ausgereiftheit und einen weiten Horizont. Barricelli, Gautschi und Körber heben hervor, dass FUER das historische Lernen als lebenslangen Prozess begreift, dass es klar unterscheidbare Kompetenzbereiche sowie „[…] das methodisierte Konstruieren und geschichtsbewusste Orientieren“191 gibt, dass ein Graduierungskonzept vorliegt und dass auf der Ebene der Teilkompetenzen die Anschlussfähigkeit an Kompetenzen anderer Modelle gegeben ist.192 Kritik wird an der an der ausgeprägten rational-intellektuellen Ausrichtung des Modells geübt.193 Auch Schönemann et all. würdigen den systematischen Zugang sowie die Forderung nach zeitgemäßer Gestaltung des Geschichtsunterrichts, kritisieren aber den Mangel an empirischer Validität.194 Während Gautschi im FUER-Modell das elaborierteste sieht und Parallelen einzelner Teilkompetenzen zu „Hinschauen und Nachfragen“ erkennt,195 ist Sauer das Modell zu komplex, was vor allem in der Begrifflichkeit deutlich werde. Zwar attestiert auch er dem FUER-Modell, „[…] das am differenziertesten theoretisch entfaltet(e)“196 zu sein, meint aber zugleich, dass es als Basis für die Schule untauglich sei, weil es keine Orientierung auf Lehrer*innen gebe und weil Unterrichtsmaterialien fehlten.197 Aus der Sicht von Heil hat die Gruppe FUER „[…] Maßstäbe in der Beschreibung von Kompetenzen gesetzt, hinter die kein Kompetenzmodell zurückgehen kann“.198 Hervorzuheben seien die Konfiguration der Kompetenzen, die Reduktion auf wenige Kernkompetenzen, die Erarbeitung von Niveaustufen und die Schaffung des Bewusstseins, Kompetenzen seien immer auf allgemeinen Niveaus zu beschreiben. Hierin habe das Modell „Pionierarbeit geleistet und darf als der klassische Prototyp eines Kompetenzmodells bezeichnet werden.“199 Der Rückgriff auf Konstruktivismus sei „[…] in der Natur der menschlichen Erkenntnis verankert“200 und die Beschreibung der Orientierungskompetenz formuliere das zentrale Anliegen im Umgang mit Geschichte.201 Aber auch Heil meint, es bedürfe für die Anwendbarkeit im Unterricht einer inhaltlichen Präzisierung und des Ausbaus zu einem Entwicklungsmodell.202 So sei etwa im Bereich der Fragekompetenz das Fachspezifische unklar, denn Fragen sei nichts „genuin Historisches“.203 Kritik übt Heil auch an der Verengung des Konstruktionsgedankens auf „Sinn“ und moniert, dass die Existenz von „Wirklichkeiten“ ignoriert würde. Es müsse um die „Aufdeckung der Voraussetzung von Sinnbildung gehen“, i. e. um die Entwicklung der Fähigkeit, das eigene Wirklichkeitsmodell (sowie die Wirklichkeitsmodelle anderer) zu erkennen. Stattdessen setze FUER in unzulässiger Weise Narrativität mit Sinnbildung gleich. Daher kommt Heil zu dem Schluss, FUER könne nicht den Anspruch darauf erheben, ein Strukturmodell entwickelt zu haben, denn es handle sich bei dem Vorschlag um ein „Kompetenzkonfigurationsmodell“.204 Thünemann et al. kritisieren die Fokussierung des Modells auf Kognition und die Ausblendung deklarativen Wissens.205 Eine fundamentale Kritik am FUER-Modell übt Markus Daumüller, der den wissenschaftstheoretischen Ansatz in Frage stellt.206 Er wirft FUER vor, zu postulieren, historisches Denken bei Schüler*innen anregen und „Manifestationen von Geschichtsbewusstsein“207 evozieren zu wollen, zugleich aber persönlichkeitsbildende Parameter (soziologische, politische, philosophische, lebensgeschichtliche u. a.), die zentrale Komponenten jedes Denkvorgangs sind, zu ignorieren. Es gehe dem Modell weniger um die Achtsamkeit auf den Akt des Verstehens als um die mentale Durchdringung eines Kompetenzsystems. „In solchen Modellen historischen Denkens wird […] implizit ein lebenstüchtiger, aufgeklärter Mensch mit dem historisch gebildeten Menschen gleichgesetzt.“208 Als Ursache dieses Theoriedefizits identifiziert Daumüller die pädagogische Legitimierung des Kompetenzmodells durch die Übernahme bildungspolitischer Konzepte (Klieme, Weinert). Ein vager Bildungsbegriff, die Rationalisierung der Kompetenzbeschreibung und die Reduktion der Umsetzung auf das Erlernen von Arbeitsvorgängen würden den selbst formulierten Anspruch, „[…] das historische Verstehen eines Individuums verstehen zu können“209 konterkarieren. Es bestehe die Gefahr, das prozedurale Einüben vorwissenschaftlicher Verfahren mit mentalen Prozessen zu verwechseln und Normierungsvorgänge einzuleiten. Anstelle der Förderung der Individualität des Denkens sei „[…] ein Konzept der Planbarkeit von Bewusstseinsvorgängen […]“ entwickelt worden, wobei das „[…] Planen […] unwillkürlich zum Zweck des Denkens“210 werde. Die Orientierung auf Lebensbewältigung in einem Kant’schen Sinn (der Anspruch, „mündige Bürger“ aus dem Schulsystem zu entlassen) konvergiere nicht mit einem geisteswissenschaftlichen Verständnis vom Akt des Verstehens und sei daher dem Bestreben, historisches Lernen zu professionalisieren, abträglich.211

2.3.6 Narrative Fähigkeiten, eine fachliche Kompetenz?

Die narrative Geschichtstheorie gehört samt der genetischen Epistemologie, zu den wissenschaftstheoretischen Säulen des FUER-Modells. Trotzdem spielt Fähigkeit, Geschichte sinnbildend zu erzählen, in der formalen Konzeption des Modells eine untergeordnete Rolle. Sie wird nicht als eigene Kompetenz ausgewiesen, sondern integrativ gedacht, was Hilke Günther-Arndt für veränderungswürdig hält.212 Sie kritisiert, dass FUER zwar die Prozesse der Sinnbildung umfassend würdigt und die Überprüfbarkeit der mentalen Vorgänge in Form von Erzählungen als einzige geschichtsdidaktische Richtung reputabel thematisiert, in der Modellierung aber den Zusammenhang des Vergangenen mit dessen Deutung und Verstehen im Akt des Erzählens zu ignorieren scheint.213 Dieses Versäumnis wiege schwer, weil der Weg zur Akzeptanz dieses Konnexes mühevoll gewesen ist. Tatsächlich war das Verhältnis der Geschichtswissenschaft zur Sprache über 200 Jahre durch die Überzeugung der meisten Geschichtswissenschaftler determiniert gewesen, die Funktion der Fachsprache der Historiker sei ausschließlich einer analytischen Darstellungsform mit bewusst hohem Abstraktionsgrad verpflichtet. In Ausbildung und Forschung wurde daher bloß zwischen der Sprache der Quellen („res gestae“) und der sprachlichen Gestaltung der Historiographie („narratio rerum gestarum“) differenziert. Sprache als erkenntnisgenerierendes System entzog sich den Überlegungen einer Geschichtstheorie, deren Aktionsradius der Quellenpositivismus gewesen war. Als einer der ersten postulierte 1965 Arthur C. Danto: „History tells stories“.214 Einen deutlicheren Impuls Richtung „Linguistic Turn“ setzte in den 1980er Jahren Reinhart Koselleck, der Sprache als Denk-Medium erkannte, durch das Sinnprodukte entstünden.215 Von entscheidender Bedeutung für eine Haltungsänderung innerhalb der Domäne war das Postulat Hayden Whites, demzufolge es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen literarischen und historischen Erzählungen gebe. Auch Letztere seien „[…] sprachliche Fiktionen, deren Inhalt ebenso erfunden wie vorgefunden (Hervorhebung White) ist und deren Formen mit ihren Gegenstücken in der Literatur mehr gemeinsam haben als mit denen in den Wissenschaften.“216 Koselleck, White und Rüsen217 sehen in der historischen Erzählung jenen Ort, an dem die sinnbildende Verknüpfung von Informationen aus Quellen stattfindet, sodass im Akt ihrer Konstruktion der „Historia“ Erkenntnis erwächst. Dieser generierte Sinn wird von Barricelli als „[…] Vorschlag, in welche Richtung der Historiker oder die Historikerin seine oder ihre Erzählung verstanden wissen möchte,“218 charakterisiert. Wenn White die Historiographie als eine spezielle Form fiktionalen Schreibens bezeichnet, meint er die Nutzung eines festgesetzten „Emplotment“ (Textkonstruktion, Struktur, Kohärenz). Hierin unterscheidet sich Wissenschaftssprache nicht grundsätzlich von der Sprache der Poesie. Anhänger einer analytischen Darstellung in der Geschichtswissenschaft empfanden die Thesen Whites dennoch als Provokation und vermuteten, bei historischen Erzählungen würde es sich um fiktionale Texte im Sinne von Dichtung handeln. Rüsens Diktum vom historischen Erzählen als Materialisierung von Geschichtsbewusstsein („Die Einheit des Geschichtsbewusstseins lässt sich als innere Kohärenz der mentalen Operation des historischen Erzählens thematisieren.“219) gab einen entscheidenden Impuls zur Wende in der Debatte. Mit der Formulierung einer linguistischen Typologie (traditionales, exemplarisches, kritisches und genetisches Erzählen) unternahm Rüsen einen ersten Versuch, Merkmale sinnbildender historischer Narrationen zu beschreiben. Als Kriterien für erkenntnisgenerierendes Erzählen nennt er die Faktenbasis, den Aspekt der Historizität und die identitätssichernde Funktion der Narration.220 Jeder historischen Darstellung werde ein „narratives Konstrukt“ (Literaturwissenschaft: „Plot“), das dem Sinnbildungsprozess erwachsen sei, zugrunde gelegt. Die Wissenschaftlichkeit der Erzählung begründet sich in der Triftigkeit der Aussagen und der Theorien und damit in ihrer plausiblen Begründbarkeit.221 Die heftig geführte Debatte darüber mündete schließlich in eine „[…] ‚Hinwendung der Geschichtswissenschaft‘ zur ‚Sprache der Geschichte‘„,222 deren zentrale Qualität der weitgehende Konsens darüber die Anerkennung des Erzählens als „Grundfigur allen historischen Wissens und Denkens“223 ist. Mit dieser Haltungsänderung der Scientific Community geht die Akzeptanz des Erfordernisses der Anwendung narratologischer Analysen und sprachlicher Reflexion historiographischer Produkte einher.224 Beides ist inzwischen Usus geworden.

Die Hinwendung der Geschichtswissenschaft zur Sprache hatte Auswirkungen auf die Geschichtsdidaktik. Die Schnittstelle aller grundsätzlichen Überlegungen bildet der Konsens darüber, dass Sprache, Denken und Erkenntnis zusammengehören, sodass es ohne sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten keinen kompetenten Umgang mit Geschichte geben kann. Dem Ansatz Baumgartners folgend, den Terminus „historisches Erzählen“ als einen „Strukturbegriff“225 zu verstehen, der nicht nur die Synthese der Operationen der Jeismann-Trias beschreibt (Verfahrensebene), sondern auch die Tiefe des Bewusstseins erfasst (mentale Ebene), bewertet Pandel die Narrativierung des Historischen normativ. Erkenntnis erwachse nicht primär aus dem Akt der Quellenauswertung, sondern aus dem Prozess der Geschichtsschreibung und der könne auf drei Arten verlaufen: beschreibend, erzählend oder diskursiv. Wesentlich sei stets die Beobachtung der Prinzipien der Retroperspektivität, Temporalität, Selektivität, Partialität und Konstruktivität.226 Auch Wolfgang Hasberg sieht in der historischen Erzählung ein „[…] Strukturprinzip historischen Denkens und Lernens“.227 FUER versteht demgegenüber die Fähigkeit, historische Erzählungen zu konstruieren, nicht als fachliche Kompetenz, sondern als Bestandteil allgemeiner Kommunikationsfähigkeiten. Alexander Schöner verweist auf Paul Watzlawik, der soziales Verhalten ohne Kommunikationskompetenz für unmöglich hält und auf Noam Chomsky, der Kommunikationskompetenz als „[…] allgemeine Sprachfähigkeit von Individuen (definiert), die in der Lage sind, im Einklang mit wechselnden situativen und normativen Bedingungen psychischer, sozialer und linguistischer Natur miteinander zu kommunizieren, wobei Sprechen als symbolvermitteltes Handeln […] verstanden wird.“228 Trotzdem stellt die Gruppe Überlegungen an, wie Sprachkompetenz definiert und graduiert werden kann und sie entwickelt Kriterien, die Sprachkompetenz beschreiben. Es bedarf zweier Fähigkeiten, um historische Kommunikation zu pflegen, nämlich des Vermögens, Ergebnisse von Denkoperationen „[…] in Sprache zu fassen“229 (Artikulationsfähigkeit), und des Vermögens einen „Common Ground“ zwischen den Kommunikationspartnern herzustellen. Darunter wird „[…] ein fachspezifisches Ensemble sprachbezogener Kommunikation, diskursive Akzeptabilitätsstandards adressen- und medienbezogener Sprachregister- und Textfortsetzungsregeln“230 verstanden.231 Die Fähigkeit bestehe darin, „[…] die Ergebnisse historischen Denkens zu externalisieren, also ‚in Sprache zu fassen‘ und damit kommunizierbar zu machen.“232 Ziel von Unterricht sei ein „[…] Schärfen der ‚Sprache der Geschichte‘ […]“ im „[…] Sprechen über Geschichte […]“.233 Das betrifft alle Kompetenzbereiche des Modells.234 Für Re-Konstruktionen bedarf es zudem der Fähigkeit zur Adressatenorientierung, zur Gattungs- und Textsortensicherheit sowie zur Medienorientierung. Bei Verfahren der De-Konstruktion benötigt man das Vermögen, die Oberflächen- und Tiefenstruktur von Quellen, Darstellungen und Produkte der Geschichtskultur analytisch zu bearbeiten. Ein Schwerpunkt der „Kommunikationskompetenz“ findet sich im Bereich der „Sachkompetenz“. So fußt etwa die Begriffskompetenz auf linguistischen Konzepten (domänenspezifische Begriffslogik; Wandelbarkeit der Termini) und die Strukturierungskompetenz auf der Fähigkeit, Erzählungen sachlogisch zu gliedern. Umgesetzt werden die Fähigkeiten primär in Anwendung der Operationen der Methodenkompetenz, besonders bei Akten der Re-Konstruktion. Pandel propagiert deshalb den bewussten Aufbau von Gattungskompetenz und die Nutzung ursprünglicher Erzählformen (Nach-erzählen, Um-erzählen, rezensierendes Erzählen) als Möglichkeiten des Einübens in Sinnbildung.235 Saskia Handro macht darauf aufmerksam, dass Sprache verbinden soll, aber auch trennen kann. „Historisches Verstehen ist auf Sprache angewiesen und changiert als Denk- und Rezeptionsakt zwischen der Sprache der Vergangenheit und der Sprache der Gegenwart.“236 Das bedeutet, dass es sich bei Sprache um ein Medium handelt, das Limitationen erfährt (Sprachvermögen), das strukturiert und an Konventionen gebunden ist (kultureller Aspekt). Es gibt Gegensatzpaare, deren man sich als Lehrender bewusst sein muss (Sprache der Quellen versus Gegenwartssprache; Fachsprache in Darstellungen versus Alltagssprache). Da das Verstehen an die Sprachfähigkeit gebunden ist, kann mangelndes Sprachwissen zum Schlüsselproblem beim Kompetenzaufbau werden. Im historischen Lernen verbindet die Sprache historische Wirklichkeiten mit historischem Verstehen, die Erkenntnis mit Interpretation und formt als Resultat des Prozesses eine Erzählung. Dieser Vorgang kann nur dann stattfinden, wenn es gelingt, die Schüler*innen aus der Alltagssprache, die ihnen vertraut ist (kultureller Aspekt) schrittweise auf die Ebene der Bildungssprache zu heben und schließlich zur Fachsprache hinzuführen.237 Schöner und Mebus sprechen in diesem Zusammenhang von einem Experten-Novizen-Problem, das durch Unterricht schrittweise aufgelöst zu werden hat.238 Es muss im Unterricht darum gehen, „Sinnbildungsprodukte mit spezifischen sprachlichen Mitteln auf kollektive Anschlussfähigkeit […]“239 zu erzeugen. Das bedeutet die Fähigkeit, adressatenorientiert darzustellen, die historischen Aussagen gemäß dem Aspekt der Sinnbildung auszuwählen und anzuordnen und angemessene Darstellungsformen zu nutzen.240 Filtert man aus den theoretischen Überlegungen von Schöner, Mebus, Pandel, Handro und Hartung das Substrat zum Umgang mit Sprache heraus, könnten Artikulationsfähigkeit, Hinführung zur Fachsprachlichkeit, Diskursfähigkeit und das Vermögen, Erzählhaltungen bewusst einzunehmen als Kriterien für historische Sprachkompetenz herangezogen werden. Sie erscheinen dazu geeignet, jenen fachspezifisch gewendeten Kommunikationsvorgang zu beschreiben, den FUER unter der Erweiterung eines „Common Ground“ der Kommunikation versteht.

Die dargestellten Überlegungen zur Sprachfähigkeit basieren auf Untersuchungen schriftlicher Narrationen. Mündliche Äußerungen, die die tragende Form der Kommunikation sowohl im Unterricht als auch in der österreichischen Reifeprüfung darstellen, unterliegen anderen Konzeptionen und Bedingungen. Grundsätzlich wird Mündlichkeit einem allgemeinen Verständnis nach als Kontrast zur schriftlichen Kommunikation wahrgenommen. Das Begriffskonzept ist aber unscharf, denn es beschreibt die Summe sprechsprachlicher Produkte, die, extensional verstanden, eine große Vielfalt von Sprechhandlungen erfasst. Diese hängen sowohl vom sozialen wie auch vom situativen Kontext ab. Trotzdem lassen sich prototypische Formen festmachen, die über spezifische Regelsysteme verfügen, die durch die Kontexte, in denen sie entstehen, determiniert sind. Somit erwachsen aus der kommunikativen Praxis typenbildende Konventionen und individuelle Anwendungen. Deren Eigenschaften entwickeln sich entlang der Produktions- und Rezeptionsbedingungen, sind aber nicht akkurat normiert, wie das bei Textsorten der Fall ist, weil sie den Erfordernissen interaktiver Bewältigung (spontaner) Kommunikationssituationen zu entsprechen haben. Mündlichkeit gilt demnach als weniger komplex und als eingängiger als schriftliches Erzählen, sie weist einen geringeren Abstraktionsgrad auf. Als Bauelemente der gesprochenen Sprache gelten Lautlichkeit, syntaktisch-grammatische und lexikalische Komponenten, die je nach Anwendungskontext in spezifischen Ausprägungen in Erscheinung treten können. Das manifestiert sich in einem variablen Tempusgebrauch (im Österreichischen ist es z. B. auf der Stufe des Vergangenen meist das Perfekt), einen alternativen Modusgebrauch (Konjunktive treten im bildungssprachlichen Register selten auf, in Soziolekten hingegen häufig), in einer freieren Wortstellung und in einem weniger ausgeprägt regelgebundenen Satzbau („Schlampigkeit von Sprechsprache“).241 Es ist nicht erforscht, welche Parameter die Verbalität von Reifeprüfungsgesprächen determinieren und wie deren Typen beschrieben werden können. Zu vermuten ist, dass hier sowohl die individuellen Sprachkontexte der Kandidat*innen als auch die der jeweiligen Schul- und Unterrichtskulturen prägend wirken.242

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