Kitabı oku: «Jesus findet Muslime», sayfa 4

Yazı tipi:

Jetzt war ihre Schwägerin nach Hause gekommen und hatte sie entdeckt. Ohne Luft zu holen, schrie und tobte sie, bis ihr ihr die Schimpfworte ausgingen und sie schwieg.

Ruhig sah Sue die Frau ihres Bruders an. Sie konnte sie so gut verstehen.

„Sieh, liebe Schwester, ich war einmal genauso überzeugt vom Koran und seiner Lehre wie du. Nie hätte ich mir etwas anderes vorstellen können, als Allah, den Allmächtigen, anzubeten. Ich habe mich treu an die fünf Säulen unseres Glaubens gehalten, das weißt du. Mein größtes Vorbild war Marijam. Doch all das hat mir nicht geholfen. Meine Ehe ist zerbrochen, meine Kinder sind weit weggegangen. Mein Mann demütigte mich so oft im Namen Gottes. Ich kam mir so wertlos vor.

Vielleicht hast du das damals nicht so gesehen, denn nach außen achtete ich stets darauf, perfekt zu wirken. Aber innerlich war ich so müde, so leer. Seit wir beide Jesus in unser Leben aufgenommen haben“, sie sah Matt an und fasste nach seiner Hand, „erleben wir, wie Jesus uns geheilt und rein gemacht hat. Sogar meine Migräne hat er völlig weggenommen.“

Immer aufmerksamer hörte Sues Schwägerin ihr zu, kein einziges Mal unterbrach sie Sues Bericht. Nun war es endlich möglich, dass sie ihr das Evangelium erklären konnten. Lange sprachen sie miteinander. Sie bedrängten sie nicht, sondern erzählten ganz einfach, was ihnen mit Jesus passiert war. Bevor sie sich verabschiedeten, bat ihre Schwägerin sie: „Könnt ihr mit mir beten? Ich möchte Jesus auch annehmen.“

„Matt, sieh her, was ich gefunden habe! Ich habe eine großartige Idee!“

„Pinkfarbene Luftballons? Was willst du denn damit?“

Matt war zuerst skeptisch, als er die vielen knallbunten Ballons auf dem Küchentisch sah. Doch nachdem sie ihm ihr Vorhaben erklärt hatte, war er dabei und unterstütze seine Frau tatkräftig.

Sue und Matt schrieben ihre Lieblingsbibelverse auf einen kleinen Zettel. Es waren Verse wie Johannes 3,16:

„Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben.“ (HfA)

Sie falteten die kleinen Papierstreifen mit der guten Nachricht zusammen und schoben sie in die Luftballons. In großen Buchstaben schrieben sie außen auf die Ballons „Gute Nachricht“. Als sie fertig waren, brachten sie alles ins Auto und fuhren kreuz und quer durch ihre Nachbarschaft. Dann ließen sie die pinkfarbenen Kugeln fliegen. Bestimmt würden Kinder sie einsammeln und zu ihren Eltern bringen.

Sue und Matt wurden nicht müde, die gute Nachricht zu verbreiten. Immer wieder hatten sie neue kreative Ideen. Stets hatten sie CDs oder selbst geschriebene Briefe dabei mit Hinweisen auf die christlichen Fernsehsendungen, die sie selbst sehr gerne ansahen. Sie warfen die Briefe in der Nachbarschaft ein oder ließen sie „aus Versehen“ beim Arzt oder auf dem Amt liegen.

Über Facebook und andere Internetplattformen versuchten sie, in Kontakt mit anderen Christen zu treten. Auf diese Weise lernten sie viel über den christlichen Glauben. Im Laufe der Zeit halfen sie auf diesem Wege, andere Interessierte zu Jesus zu bringen und dabei selbst im Glauben zu wachsen. Wann immer es ihnen möglich war, sprachen sie Menschen auch persönlich an. Sie gründeten im Geheimen eine Hauskirche. Mit über 150 Personen durften sie ein Übergabegebet sprechen.

Eines Tages machten sie eine Entdeckung, die ihr Leben und ihren inzwischen stark gewachsenen seelsorgerlichen Dienst und ihre Hauskirche stark gefährdete. Ein angeblicher Pastor, dem sie vertraut hatten, entpuppte sich als Spion der Geheimpolizei. Er hatte bei einer heimlichen Taufe ein Video gedreht und an seine Vorgesetzten weitergegeben. Sue und Matt wurden vor die Wahl gestellt, entweder Jesus abzusagen und ihre missionarischen Tätigkeiten einzustellen oder vor Gericht zu landen.

Nach viel Gebet entschloss sich das Paar, seine Heimat zu verlassen. Heute versuchen sie, aus dem Land, in dem sie jetzt leben, die zurückgebliebenen Christen in ihrer Heimat zu unterstützen, für sie zu beten und sie zu begleiten.

Gleichzeitig arbeiten sie unter Geflüchteten, von denen so viele suchend und hungernd nach Jesus sind. Sie durften auch eine neue Gemeinde gründen und junge Christen in einem See taufen – gemeinsam mit anderen, die schon lange mit Jesus unterwegs sind und die sich bis dahin nie hätten träumen lassen, einmal Menschen in einem See zu taufen.

5 Wilde Rose – Nesrine

Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch,

und eure Söhne und Töchter sollen weissagen,

eure Alten sollen Träume haben,

und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.

Joel 3,1 (EÜS)

„Wir bekommen Besuch. Nesrine, leg ein Kopftuch an!“

Der säuerliche Blick ihrer Schwiegermutter ließ Nesrine sofort kehrtmachen. Heftig schloss sie die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen. Ihr wollten die Tränen kommen, doch das durfte sie nicht zulassen, sonst würde jeder sehen, dass sie geheult hatte. Schon wieder eine strenge Ermahnung der Schwiegermutter. Es war entsetzlich. In diesem Haus gab es für alles Vorschriften. Die Familie ihres Mannes verlangte sogar von ihr, beten zu gehen und sich an zahlreiche religiöse Vorschriften zu halten.

Seit sie Pertev geheiratet hatte, war nichts mehr wie zuvor. Doch sie liebte ihn! Hätte sie sich bei ihren Eltern beklagt und ihnen erzählt, wie streng Pertevs Familie lebte, hätten sie ihr geraten, sich zu trennen. Aber sie wollte sich nicht scheiden lassen.

„Pertev, habt ihr den Koran in unserer Sprache im Haus? Ich verstehe so vieles, was deine Mutter von mir will, nicht. Sie will, dass ich beten gehe, doch ich mache mir nichts daraus. Wenn ich besser verstehen würde, woran wir eigentlich glauben, fiele es mir vielleicht leichter, die religiösen Regeln zu befolgen. Glaube mir, ich möchte Gott wirklich gefallen und auch mit deiner Mutter zurechtkommen.“

Zärtlich strich Pertev Nesrine über das Haar. „Du bist eine gute Frau. Ich liebe dich. Ich werde dir in Vaters Bibliothek einen Koran heraussuchen.“

„Pertev, es eilt, denn schon bald müssen wir auch unsere eigenen Kinder erziehen. Und der Glaube gehört doch dazu, nicht wahr?“

„Nesrine, soll das etwa heißen, wir werden Eltern?“

Nesrine lächelte und nickte.

Nesrine ging langsam an den üppig bepflanzten Rosenbeeten entlang. Hohe Zypressen warfen ihren Schatten auf den Weg. Dann überquerte sie einen schmalen Wasserkanal, das Licht tanzte darauf. Ein warmer Duft nach Orangenblüten, Mandarinen und süßen Zitronen wehte zu ihr herüber. Nesrine schloss die Augen und sog den schweren Geruch ein. Als sie gleich darauf aufsah, rieselten weiße Blütenblätter im Sonnenschein zur Erde.

Wie schön hatte Gott das alles gemacht! Dass er es gewesen war, stand für Nesrine außer Zweifel. Bagh-e Eram war für sie einer der schönsten Plätze, die sie kannte. So stellte sie sich das Paradies vor!

Sie beobachtete lachende Kinder am Wasser und setzte sich auf eine Bank. Ach, könnte sie noch einmal Kind sein! Ihre Hand lag auf ihrem Bauch, und sie spürte, wie sich ihr Kind bewegte. „Ich werde Antworten finden, für dich, mein Schatz.“

Sie wandte sich dem Koran zu, den sie seit einigen Tagen zu lesen versuchte. Er war schwierig zu verstehen, doch so schnell wollte die 17-Jährige nicht aufgeben.

„Wie geht es dir, Nesrine? Wann kommt dein Kind zur Welt?“

Sooft es ging, telefonierte Nesrine mit ihrem Bruder in Kanada. Petrevs Eltern waren nicht besonders begeistert davon. Deshalb tat sie es heimlich, wenn sonst niemand zu Hause war.

„Ich versuche den Koran zu lesen. Meine Schwiegereltern richten sich peinlich genau nach der Scharia. Sie sind nett zu mir, aber das Gesetz und die Regeln haben immer oberste Priorität. Nicht die Güte, so wie bei uns zu Hause.“

„Das ist bestimmt nicht einfach für dich, Schwester.“

„Aber ich liebe Petrev, er ist anders. Ich habe ihm versprochen, zu versuchen seine Eltern zu verstehen. Deshalb habe ich angefangen, den Koran zu lesen.“

„Das ist eine gute Idee.“

„Ich bin mir nicht so sicher. Gestern war ich im Park, dort blühen gerade wunderbar die Orangen und Mandarinen. Ich habe Gott darin gespürt. Aber als ich dann auf einer Bank den Koran las, merkte ich: Hier spricht nicht der Gott, den ich in diesem Garten spüre.“

„Ich kenne ein anderes Buch, das du lesen solltest. Versuche mal, eine Bibel zu bekommen. Vielleicht wird dir das den Weg zu Gott zeigen.“

Durch die schweren Vorhänge ihres Hauses beobachtete Nesrine einen Händler, der langsam seinen Karren die Straße hinabschob. „Mutter, ich gehe rüber und kaufe Salat zum Mittagessen.“

Sprachs und verschwand zur Tür hinaus, bevor ihre Schwiegermutter Einwände vorbringen konnte. Nesrine durfte nirgends alleine hingehen, das gehörte sich nicht. Der Gemüsehändler gegenüber war eine Ausnahme.

Der alte Mann mit dem Karren war eben dabei, in eine Seitenstraße einzubiegen. Schnell lief Nesrine ihm nach. „Haben Sie Bücher?“

„Madame, was für ein Buch suchen Sie denn?“

„Nun, ein heiliges Buch, das mir die Wahrheit über Gott erzählt.“

„Normalerweise habe ich den Koran immer dabei, doch heute …“

Nesrine wusste genau, das war nur eine Ausrede. Sie sah dem Mann ruhig in die Augen und nahm allen Mut zusammen. „Ich spreche nicht vom Koran. Haben Sie vielleicht eine Bibel?“

„Madame, das ist gefährlich. Aber …“ Er machte eine Pause und schaute prüfend die Straße hinab. „Wenn ich wiederkomme, werde ich Ihnen das Gewünschte mitbringen.“

„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Matthäus 28,8 (NGÜ)

Nesrine schreckte hoch, Petrev stand in der Tür. „Was liest du da?“ Kurz stockte ihr der Atem, doch dann nahm sie allen Mut zusammen. Petrev musste es selbst lesen. Sie konnte einfach nicht genug davon bekommen. Zugegeben, manches verstand sie nicht, doch sie glaubte beim Lesen einen Geist der Wahrheit und des Friedens zu spüren. Dieselbe Gegenwart, die sie auch draußen im Bagh-e Eram wahrnahm. Gleich zu Anfang, als sie die Bibel gerade gekauft hatte, entdeckte sie darin, dass Gott mit dem Menschen im Gartenparadies spazieren gegangen war. War es ein Ort wie Bagh-e Eram gewesen?

Petrev und Nesrine begannen zusammen in dem Buch zu lesen. Anfangs wusste er nicht, dass es eine Bibel war. Doch je länger sie darin lasen, je mehr wurden sie davon angezogen. Konnte es sein, dass Gott mit den Menschen sprach? Dass er eine Beziehung zu ihnen wollte und nicht fern und unerreichbar war?

Oft telefonierten sie mit Nesrines Bruder in Kanada. Er gab ihnen Bibelverse, die ihre Fragen beantworteten. Bibelverse wie:

Jesus Christus,

der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm stand, nutzte seine Macht nicht zu seinem eigenen Vorteil aus.

Im Gegenteil: Er verzichtete auf alle seine Vorrechte

und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener.

Er wurde einer von uns – ein Mensch wie andere Menschen.

Aber er erniedrigte sich „noch mehr“:

Im Gehorsam gegenüber Gott nahm er sogar den Tod auf sich;

er starb am Kreuz „wie ein Verbrecher“.

Deshalb hat Gott ihn auch so unvergleichlich hoch erhöht

und hat ihm „als Ehrentitel“ den Namen gegeben,

der bedeutender ist als jeder andere Name.

Und weil Jesus diesen Namen trägt,

werden sich einmal alle vor ihm auf die Knie werfen,

alle, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind.

Alle werden anerkennen, dass Jesus Christus der Herr ist,

und werden damit Gott, dem Vater, die Ehre geben.

Philipper 2,6-11 (NGÜ)

Nach zwei Jahren waren sich Petrev und Nesrine sicher: Jesus Christus war mehr als ein Prophet gewesen, Gott hatte ihn geschickt, um den Menschen den Weg zu Gott zu zeigen. Man brauchte keine Vermittler, keine Heiligen, zu denen besonders Nesrines Schwiegermutter oft betete.

Das Gespräch mit Jesus half Nesrine, wenn sie sich über die Mutter ärgern wollte. Er machte sie ruhiger, und Jesus zeigte ihr, wie sie die Mutter lieben konnte, statt sie zu verachten. Das Leben unter einem Dach mit ihren Schwiegereltern war zwar immer noch nicht leicht, doch sie hatten jetzt weniger Streit.

Das Ampelmännchen war rot. Gedankenversunken sah Nesrine zum Himmel auf und wartete. Sie hatte ihnen verziehen, doch es schmerzte immer noch. Eines Tages hatte Petrevs Bruder mit seiner Frau sie unverhofft besucht. Sie hatten nicht damit gerechnet, und so hatte die Bibel noch offen auf ihrem Tisch gelegen.

Sie waren fest überzeugt, Nesrine, deren Glaubensleben ihnen schon immer ein Dorn im Auge gewesen war, hätte Petrev vom wahren Glauben weggeführt. Sie waren wütend gegangen und hatten ihr ein Ultimatum gestellt: „Wenn du dich nicht von meinem Bruder trennst und ihn und die Jungen frei gibst, wird das Konsequenzen für dich haben.“

Doch Nesrine und Petrev folgten inzwischen gemeinsam Jesus nach und glaubten an ihn, von ganzem Herzen. Es kam für sie nicht infrage, sich voneinander zu trennen. Petrevs Familie terrorisierte Nesrine tagaus, tagein, und ihnen wurde klar, wenn sie nicht gingen, würde man sie gewaltsam trennen. Dafür sorgen, dass Nesrine ins Gefängnis kam. Petrevs Bruder stand in engem Kontakt mit der Geheimpolizei.

Und nun waren sie hier in Deutschland.

Nesrine fühlte sich einsam und fremd, das Lernen der Sprache heute Morgen in der Sprachschule war wieder frustrierend gewesen. Aber mit Gottes Hilfe würde sie nicht aufgeben. Vor lauter Beten und Denken hatte sie die Grünphase der Ampel verpasst. „Danke, Jesus, dass ich hier bin. Dass ich dich in Freiheit anbeten darf, dass ich ungestört mit dir reden kann. Dass ich hier so viel über dich dazugelernt habe, was wir alleine nicht herausgefunden hätten. Danke für die Zeichen, die du mir jeden Tag gibst, sodass ich weiß, du bist bei mir.“ Nesrine konnte gar nicht mehr aufhören, Jesus laut für all das Gute zu danken, das er an ihr getan hatte. Dass man in Deutschland laut aussprechen konnte, was man dachte, genoss Nesrine auf ihren Gebetsspaziergängen.

„Gott, könntest du mir nicht auch heute ein Zeichen geben, dass ich weiß, du bist da? Danke dafür.“

So sprach Nesrine mit Gott an der Ampel, als das Ampelmännchen rot war.

Nesrine sieht hoch, zum Himmel. Und dort ist er, Jesus. In einem weißen Gewand, er hält einen Stab in seinen Händen. Und er lächelt auf Nesrine herab. Wunderschön. Tröstlich. Als wolle er sagen: „Ich freue mich an dir, Nesrine.“

Dann nimmt das Ampelmännchen seine Arme hoch, und es wird grün. Automatisch setzt Nesrine ihre Beine in Gang.

„Warum bin ich rübergegangen? Warum bin ich nicht stehen geblieben und habe mich hingekniet vor ihm, meinem Herrn? Ich weiß es nicht. Doch ich werde nie wieder vergessen, wie wunderschön er war!“

Die Worte sprudeln ungebremst aus Nesrine hervor, als sie zu Hause Petrev von ihrem Erlebnis berichtet. „Ich war so überrascht und perplex, ich habe ja nicht damit gerechnet, Jesus dort zu sehen!“ Nesrine schüttelte immer wieder den Kopf, könnte sie den Moment doch noch einmal zurückholen! „Weißt du Petrev, ich habe einem Gott mein Herz geschenkt, den ich nie gesehen hatte, aber nun durfte ich ihn sehen! Ich bin so dankbar dafür!“

Dann wandte sich Jesus wieder zu den Jüngern,

sie beiseite und sagte:

„Glücklich zu preisen sind die, die das sehen, was ihr seht!

Denn ich sage euch:

Viele Propheten und Könige hätten gern gesehen,

was ihr seht, und haben es nicht gesehen;

sie hätten gern gehört, was ihr hört,

und haben es nicht gehört.

Lukas 10,23-24 (NGÜ)

6 Der Ruf

Die ein reines Herz haben

werden Gott sehen.

Matthäus 5,8 (HfA)

Der bärtige Geistliche riss Shahram auf seine Füße und schleifte ihn hinter sich her. „Zieh deine Schuhe aus, und knie dich auf diese Bank!“

Verwirrt gehorchte der Junge, er reichte dem Mann kaum an den Gürtel. Kalte Angst griff nach ihm. Was hatte er getan, warum war dieser Mann so wütend? „Gott, bitte hilf mir.“ Irgendjemand musste doch kommen und hier einschreiten, musste doch Stopp sagen, musste doch sagen, dass er unschuldig war!

Shahram kniete auf der Bank und wartete. Sein Herz pochte überlaut, sonst war alles still. Dann näherte sich ein Paar Kastanienaugen seinem Blick, umrahmt von einem struppigen schwarzen Bart. „Nie wieder fasst du mit deinen schmutzigen Fingern das heilige Wort Gottes an!“

Dann begann er, Shahrams Schuld zu sühnen – oder ließ er einfach nur seine Wut an ihm aus? Schlag um Schlag gingen die Hiebe auf seine Fußsohlen nieder. „Ich werde dich lehren …“, vierzig Mal holte er aus und züchtigte ihn, „… den Allmächtigen zu respektieren.“

Er keuchte beängstigend, und trotzdem machte er weiter. Unbarmherzig. Shahrams Kinderfüße platzten auf, bluteten. Er konnte seine Tränen nicht zurückhalten, doch einen Laut sollte der Mann nicht von ihm hören.

„Ich werde dich lehren, der Allmächtige ist groß und erhaben.“

Seine Worte hingen noch im Raum, als er längst aus der Tür verschwunden war.

„So fängt es an. Warte es ab. Jetzt hast du ihr wahres Gesicht gesehen.“ Sein Papa lachte hart, als Shahram spät am Nachmittag endlich zu Hause aufkreuzte, humpelnd, viel später als sonst. Sanft schloss seine Mama ihn in ihre Arme.

Erst zwei Wochen später ging er wieder zur Schule, erst dann konnte er wieder laufen. Von da an gab er peinlich Acht, ja jede Regel und jedes Gesetz einzuhalten, das der Bärtige ihm einbläute.

Manchmal versuchte ich mit Gott zu reden. Besonders, wenn es Schläge setzte, bat ich ihn, mir doch zu helfen. Doch er reagierte nicht. Einmal sagte ich zu meinem Freund, als wir von der Schule zusammen nach Hause liefen: „Wenn ich mit dir rede, antwortest du mir. Sag mir, warum antwortet Gott mir nicht, wenn ich mit ihm zu sprechen versuche? Was ist das für ein Gott? Selbst an den Tagen, an denen wir dem Bärtigen gehorcht und getan haben, was der Allmächtige will, spüre ich nicht, dass da ein Gott ist.“

Wenn ich einsam war, redete ich trotzdem oft mit ihm, suchte ihn. Aber es war ein Flüstern in den Wind. Davon geweht, weg.

Suchend drehte Shahram den schwarzen Knopf am Radio, es quietschte, piepte und rauschte penetrant. Manchmal gelang es ihnen ganz unvermutet, eine Sprecherstimme einzufangen, dann hörten sie sie so klar, als käme sie von nebenan. Gebannt lauschten Shahram und sein Vater den Nachrichtensprechern bis tief in die Nacht. Der Alte und der Junge hatten eine gemeinsame Leidenschaft entdeckt: Beide waren sie wissensdurstig, saugten alles in sich auf und diskutierten stundenlang darüber. Oft versuchten sie, ausländische Sender hereinzubekommen, sie wollten mehr wissen, als die Medien ihnen hierzulande verrieten.

Shahram war 14 Jahre jung, als in der Schule, auf der Straße und Zuhause von nichts anderem gesprochen wurde. Überall brodelte es, Arbeiter streikten, sie erhielten zu wenig Lohn. Während viele hungerten, hatten wenige alles, besonders der König und seine Sippe. Misstrauen war gewachsen. Ein Vielerlei an Völkern und Kulturen wollte gerecht regiert werden, er vermochte es nicht. „Ungerecht!“, schrie es von allen Seiten. In seinem Heimatland drohte die bisherige Ordnung der Gesellschaft auseinanderzubrechen. Hatte sie ausgedient?

Shahram und sein Vater fingen an, sich für die Kommunisten zu begeistern. Ihre Lösungen schienen einleuchtend: Die reichen Herrschaften sollten abtreten, und das Volk sollte regieren, dann würde jeder gerecht und gleich behandelt werden. Damals verstand Shahram nicht, dass Gleichheit das Gegenteil von Gerechtigkeit war.

Andere hofften, wenn die Menschen den Gesetzen Gottes gehorchen würden, müsste doch alles in Ordnung kommen. Shahram schauderte, wenn er an diese Gesetze dachte. Er sehnte sich nach Barmherzigkeit und Güte – in den Gesetzen hatte er sie nicht sehen können.

„Genau deshalb habe ich dich in ihre Schule geschickt, ich wollte, dass du es erkennst. Jetzt bist du alt genug, um selbst deinen Gott zu wählen. Folge deinem Herzen.“ So sprach sein Vater zu seinem Jungen.

Damals stießen wir eines Tages auf Radio Monte Carlo. Dort hörte ich Worte, die mich nicht mehr losließen:

„Selig, die arm sind vor Gott;

denn ihnen gehört das Himmelreich.

Selig die Trauernden;

denn sie werden getröstet werden.

Selig, die keine Gewalt anwenden;

denn sie werden das Land erben.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit;

denn sie werden satt werden.

Selig die Barmherzigen;

denn sie werden Erbarmen finden.

Selig, die ein reines Herz haben;

denn sie werden Gott schauen.

Selig, die Frieden stiften;

denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“

Matthäus 8,3-9 (EÜS)

Ich hungerte und dürstete nach Gerechtigkeit, diese Worte sprachen so klar, was die Menschen um mich herum ersehnten. Mehr als alles wünschte ich mir, Gott zu schauen. Doch ich sah ihn nirgends. Statt Frieden kam Krieg. Und meine Freunde kamen in Uniformen, einer nach dem anderen, um sich von mir zu verabschieden. Oft blickte ich ihnen lange nach, wenn sie die Straße hinabgingen. Würden wir uns je wiedersehen? Ich wusste, Vater hatte recht. Ich musste ebenfalls gehen. Er sagte: „Du musst fliehen, das Leben suchen, nicht den Tod.“

Seit Stunden waren Shahram und sein Führer unterwegs, Shahrams Zunge klebte trocken am Gaumen. Kahle Berge, soweit das Auge reichte. Irgendwo dort vorne musste sein Weg sein, noch war er unsichtbar, verborgen. Weit lag das letzte Dorf hinter ihnen, die letzte Pause, Schlaf, Essen und Wasser. Er bat den Mann, der ihn durch diese Einöde führte, um Wasser, doch der reagierte nicht auf seinen Wunsch.

Vor Shahram tauchten die Augen des Bärtigen auf. Vom langen Marsch taten die Füße weh, er fühlte Schmerzen, taumelte und fing sich wieder. Weiter, immer weitergehen! Wieder spürte er die Schläge von einst. Vergangenes und Gegenwärtiges vermischten sich, es war surreal. Wurde er jetzt verrückt? „Du wirst den Allmächtigen fürchten!“ Dann hörte er das raue Lachen seines Vaters. Es war eine seltsame Art von Liebe gewesen. Um ihn zu beschützen, hatte er seinen fünfjährigen Sohn in die Höhle des Löwen geschickt!

Nun hatte er ihn erneut auf den Weg gezwungen, ihn gedrängt zu fliehen.

Sein Einberufungsbefehl war die Marschansage für diesen Weg zur Flucht nach Europa gewesen. „Du kannst nicht hierbleiben, hier wird es weder Glück noch Zukunft für dich geben. Studiere im Westen, sonst bist du tot.“

Auf dem tagelangen Marsch über die Berge in die Türkei bezweifelte er, je lebendig sein Ziel zu erreichen. Von der Türkei aus ging es weiter, von einem Land in das nächste. Vater hatte alles gut organisiert. Doch wie das Leben weit von der Heimat entfernt sein würde, darauf war Shahram in keiner Weise vorbereitet. Deutschland! Er hatte keine Arbeit, kein Geld und verstand nicht ein Wort von der Sprache. Das Erlernen der Sprache war Kampf, der Alltag, ohne seine Familie, ein Leben im Vakuum.

Manchmal las er in der Bibel, die Landsleute ihm in Deutschland geschenkt hatten. Ein sehr gutes Buch, wie er fand. Er entdeckte die geheimnisvollen Worte wieder:

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit;

denn sie werden satt werden.

Selig, die ein reines Herz haben;

denn sie werden Gott schauen.

Selig, die Frieden stiften;

denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.

Ein Sohn Gottes genannt werden. Der Bärtige hatte sich auch Sohn Gottes genannt. Aber er hatte Gewalt angewendet. Hier las er: Gewalt und Gott, das passte nicht.

Er war ihnen entkommen, und ihrem Krieg ebenso. Doch hier im kalten fremden Deutschland erkannte er: Er brauchte Frieden für seine Seele. Er hungerte danach. In Deutschland durfte man das Wort Gottes berühren. Er spürte, wie es langsam hell wurde in seiner Seele. Zum ersten Mal begegnete er der Liebe. Leise keimte Vertrauen zu diesem Gott auf. Nur logisch, dass er sich da taufen ließ.

Was für ein Abend. Sie schrien, jubelten und weinten. Shahram und seine Freunde hatten kein Spiel dieser Europameisterschaft im Juni 1988 verpasst. Sie platzten beinahe, als es im Endspiel eins zu eins zwischen Deutschland und den Niederlanden stand. Natürlich drückten sie den Deutschen die Daumen, doch dann gewann Holland mit 2 : 1 – es war ein beispielloser Taumel der Emotionen. Und sie waren mittendrin, Shahram und seine Freunde.

Bis spät hatten wir gefeiert. Es machte uns nichts, dass Deutschland nur Vize-Europameister geworden war, es war ein unglaubliches Spiel gewesen, und nun war ich hundemüde. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, nur langsam kam ich zur Ruhe. Eben glitt ich hinüber in den Schlaf. Da, ist das eine Rauchwolke? Darin Jesus. Er sieht mich an, mit einem wunderbaren Lächeln. Tief und gut. Jesus – er sieht mir bis auf den Grund meiner Seele.

„Die ein reines Herz haben, werden Gott schauen.“

„Geh weg. Geh. Bitte.“

Abwehrend strecke ich meine Hände aus. Jesus – er, der Heilige. Warum lädt er mich ein? Ich vermag ihm nicht zu folgen. Es würde mich etwas kosten, und dafür bin ich nicht bereit.

„Geh.“

Der Rauch, das Bild, Jesus, seine tiefe Liebe, sie entgleitet mir. Die Leere, die darauf folgt, schmeckt schal.

Warum nur habe ich ihn weggeschickt?

Unbewusst wusste er, er hat eine Tür zugestoßen, die er sich jahrelang verzweifelt offen gewünscht hatte. Und doch konnte und wollte er in dieser Nacht nicht zurück.

Verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut?

Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr leitet?

Römer 2,4 (EÜS)

Was ist Gottes Güte?

Jedenfalls alles,

was wir nicht sehen, nicht greifen, nicht begreifen,

ja fast nicht glauben können;

etwas, was wir jedenfalls nicht besitzen.

Güte

ist etwas ganz Unwahrscheinliches,

Jenseitiges,

über und hinter allem Geschehen Stehendes

und doch so nah und ernst uns Anregendes.

Dietrich Bonhoeffer

Kanada. Zehn Jahre später.

Die heftigen Böen veranlassten ihn, Zuflucht in einem Coffeeshop zu suchen. Shahram atmete auf, die Tür fiel hinter ihm zu und schloss den Wind aus. Doch der Sturm, der in seinem Inneren tobte, den konnte er nicht so einfach aussperren. Er wünschte sich, ihn einfach nur ein paar Minuten zu vergessen, einfach nur auszuruhen und einen Café Latte mit Sirup zu genießen. Vergeblich kramte er in seinem Portemonnaie, er hatte nicht einen Dollar mehr. Er war vollkommen pleite. All sein Geld, seine Wertpapiere, sein Haus und seine Familie, alles war verloren. Wo sollte er jetzt hin? Resigniert steckte er seine Hände in die Hosentaschen. Er hatte alles verpfuscht. Bootsbauer, Fußballtrainer, Fahrlehrer, Vater und Hausbesitzer – er hatte so vieles erreicht und alles wieder zerstört. Sein amerikanischer Traum war geplatzt. Nun hatte sich auch noch Nico, seine Frau, von ihm abgewandt und war mit ihren Töchtern gegangen. Sie war seine große Liebe, doch sein Egoismus hatte alles zerstört.

Was war das? Seine Hand zog einen Fünfdollarschein aus der Tasche seiner alten Hose. Er hatte sie vor zehn Jahren zum letzten Mal getragen, damals, als er von Deutschland nach Kanada gekommen war.

Mit diesem Geld besorgte er sich nun doch noch seinen Café Latte und setzte sich ans Fenster. Während er trank, sah er dem windgepeitschten Meer zu, das sich bis zum Horizont ausbreitete. Schiffe, große und kleine, schaukelten an ihren Leinen die Wellen auf und nieder. So oft war er dort unten an der Mole gewesen, bei den Segelbooten, die jetzt von der aufschäumenden Gischt überspült wurde.

Es war an der Zeit, sich um sein Lebensboot zu kümmern. Schon seit geraumer Zeit war es auf Talfahrt, wurde unbarmherzig hin und her gerissen. Das Steuer schien ihm schon lange abhandengekommen zu sein.

Dreizehn Jahre war es her, als er Jesus sein Leben gegeben hatte. Doch das Ruder hatte er behalten wollen. Seit damals, als er ihn weggeschickt hatte. Er ertappte sich in letzter Zeit, wie er sich wünschte, Jesus würde noch einmal zu ihm zurückkehren, ihm noch einmal sein Lächeln schenken. Er würde nicht mehr sagen: „Geh weg!“

Er würde sich vor ihm niederwerfen und ihn bitten, ihm zu vergeben.

Dass er in dieser alten Hose aus Deutschland Geld vom Tag seiner Einreise gefunden hatte, wertete er als Reden Gottes. Entschlossen erhob er sich. Er würde zurück nach Europa gehen. Seine Zeit hier war vorbei.

Angespannt starrte Shahram auf die Automatiktür. Jedes Mal, wenn sie sich teilte, ging sein Puls schneller. Nervös drehte er den Strauß roter Rosen hin und her. Wenn sie nicht bald kam, würden die Blüten zerfleddert sein, und er könnte sie wegwerfen. Es war mehr als ein halbes Jahr her, dass er sie zuletzt gesehen hatte, doch sie war schon Monate vorher aus seinem Leben gegangen. Nun wollte sie wiederkommen, zu ihm, nach Europa.

Nico.

Manchmal war es ihm vorgekommen, als stünden sie beide am Ufer eines großen Meeres, die nackten Zehen in den Sand gekrallt, die Hände ausgestreckt, dem anderen entgegen. Sie waren kurz davor gewesen, umgerissen und davongespült zu werden.

Es war seine Schuld gewesen, denn er hatte die letzten zehn Jahre in Kanada nichts als Sand aufgetürmt. Es hatte ein beeindruckendes Schloss ergeben, mit vielen Zimmern, Türmchen, Alkoven. Die Fähnlein hatten lustig von den Zinnen geweht. Doch als Sturm und Regen kamen, war nichts mehr davon übrig geblieben. Einige Zeit war es ihm gelungen, sich selbst zu täuschen, Drogen, Alkohol und Zigaretten hatten ihm ein wenig dabei geholfen. Doch als der letzte Penny ausgegeben war, war er gezwungen gewesen, sich dem Nichts zu stellen, das nun noch übrig geblieben war.

Damals im Coffeeshop, als er die fünf Dollar gefunden hatte, hatte er gewusst, Gott redete zu ihm. Er rief ihn, sprach zu ihm von einer neuen Chance. Eigentlich verrückt, schließlich hatte er ihm allerhöchstens einen Platz auf der Reservebank seines Lebens eingeräumt. Dass Nico sich nun entschieden hatte, auch nach Deutschland zu kommen, wollte er ebenfalls als Teil dieser Chance werten. „Bitte Gott, lass es gut werden.“

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