Kitabı oku: «Das Blut des Sichellands», sayfa 2

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Doch Cureda wurde schlagartig wieder ernst.

"Um ehrlich zu sein, doch."

"Wie bitte?"

"Natürlich nicht nur. Ich meine,... also, was ich sagen will, Wandan, ...ich bin vielleicht nicht immer da. Vielleicht... kann ich nicht so auf sie achten, wie ich es möchte und... also... ich wäre um einiges beruhigter, wenn ich wüsste, dass du ein Auge auf sie hast."

Etwas erstaunt zog Wandan die Brauen hoch.

"Ein Auge auf sie haben? Auf die Tochter von Saton Ac-Sarr? Auf deine Tochter? Ich werde natürlich alles dafür tun, um Unheil von ihr fernzuhalten, aber ich kenne Saton. Er wird ein wundervoller Vater sein, so wie du eine wundervolle Mutter sein wirst."

"Das meine ich nicht. Und... das ist auch nicht alles. Es gibt noch etwas, worum ich dich bitten möchte und es wird dir vielleicht etwas merkwürdig vorkommen. Aber es ist mir sehr wichtig und... ich möchte, dass du mich nicht nach den Gründen fragst."

Sie holte einen Samtbeutel hervor, den sie irgendwo am Körper getragen hatte und reichte ihn Wandan.

Verwirrt nahm er ihn an sich, öffnete ihn aber nicht.

"Was ist das?"

"Etwas, das mir gehört. Ein Schmuckstück. Ein Erbe aus meiner Familie. Es ist sicher nicht viel wert, aber ...ich möchte, dass du es für sie aufbewahrst."

"Für... sie?"

"Für mein Kind."

"Aber... warum...?"

"Nimm es. Und zeige es niemandem sonst. Erzähle keinem davon. Aber vielleicht kommt der Tag, an dem du es brauchst, und dann wirst du es auch wissen. Trage es bei dir, wenn du sie begleitest und wann immer ihr eine Gefahr drohen könnte."

Jetzt doch recht beunruhigt machte Wandan Anstalten, die Kordel zu lösen, mit der der Beutel verschlossen war, doch Cureda winkte ab.

"Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht, bevor sie auf der Welt ist. Und egal was kommt, du darfst es ihr nicht geben. Erst, wenn du es brauchst. Erst, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Sie wird wissen, was es ist. Eines Tages wird sie es wissen."

"Du sprichst in Rätseln, Cureda. Warum behältst du es nicht? Oder Saton? Ich glaube wirklich nicht, dass ich der Richtige..."

"Du bist der einzige Mensch außer Saton, den ich darum bitten kann. Und ich kann dir nicht erklären, warum es so wichtig ist, dass ein anderer... Bitte versprich es mir einfach, Wandan. Es darf niemals verlorengehen. Niemals. Sorge dafür."

"...Na... na gut."

"Vielleicht wirst du nie erfahren, worum ich dich hiermit gebeten habe und dann kannst du dankbar dafür sein. Aber vielleicht kennst du irgendwann die Antworten auf all deine Fragen. Und dann wirst du mich verstehen. Vertrau mir."

"Das tue ich. Ich werde es verwahren und behüten wie du es verlangt hast und niemand wird es jemals wissen. Aber wenn deine Tochter mich danach fragt..."

"Sie wird dich nicht danach fragen. Noch ist sie nicht geboren, aber ich glaube, so gut kenne ich sie jetzt schon."

In den nächsten Tagen verbrachten Cureda und Saton viel Zeit im Garten. Obwohl der Winter in Yto Te Vel noch nicht ganz verklungen war und Cureda sich zwei Wollumhänge umlegen musste, um nicht zu frieren, zog es sie immer wieder nach draußen und Saton wich ihr nur selten von der Seite.

Er redete mehr als üblich. Der sonst recht schweigsame Shaj konnte seine Nervosität vor niemandem mehr verbergen. Immer wieder legte er seine Hand auf Curedas gewölbten Leib, um das Leben zu spüren, das darin heranwuchs. Und er malte sich dabei aus, welch ein Mensch seine Tochter wohl werden würde.

"Sicher wird sie genauso schön wie du." sagte er immer wieder und weidete sich dabei an Curedas Anblick. Das lange, glänzend-schwarze Haar, die tiefschwarzen Augen, das schmale Gesicht mit den feinen Zügen und ihre alabasterfarbene Haut waren für ihn der Inbegriff von Vollkommenheit. "Und sie wird deine Klugheit erben und deinen Sanftmut..."

"Besonders sanftmütig scheint sie mir im Augenblick nicht gerade." stöhnte Cureda und hielt sich den Bauch. "Ich glaube, sie kommt nie zur Ruhe. Letzte Nacht hat sie geradezu getobt und in der Nacht davor auch."

Saton strahlte. "Ein gesundes, temperamentvolles Mädchen! Und eine echte Batí!"

"Ja, das ist sie." Ein Schatten legte sich über Curedas Gesicht. "Und manchmal, da ist sie still. So still, dass ich Angst habe, sie könnte... Aber dann macht sie sich nur umso deutlicher bemerkbar. Wie ein Feuersturm."

"Und doch willst du mir noch nicht sagen, welchen Namen du ihr geben möchtest..."

Cureda seufzte.

"Es ist auch deine Tochter. Und du bist der Shaj der Nacht. Eigentlich solltest du entscheiden..."

"Das habe ich doch schon längst. Du trägst sie in dir. Du spürst sie. Niemand kennt sie besser als du. Und deshalb wirst du mir und allen Sichelländern sagen, wie wir sie nennen sollen. Das ist meine Entscheidung. Ich wünschte nur, du würdest mich nicht so lange zappeln lassen."

"Bald, Saton. Sehr bald."

Eine leise krächzende Stimme mischte sich in die Unterhaltung.

"Sehr bald? Drängt es die jüngste Ac-Sarr nun doch in die große Welt?"

Saton lachte immer noch.

"Mondor! Wie schön, dass du noch einmal zu uns gefunden hast! Ich fürchtete schon, du wärst bereits im Tempel!"

"Wie du siehst, habe ich meine Pläne etwas geändert. Der junge Yachemon vertritt mich recht ordentlich und ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn ich der Stille der Priester noch einige Tage fernbleibe. Um ehrlich zu sein, kann ich mir in diesen Tagen keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre als hier in Yto Te Vel. Auch wenn der Tempel nicht weit entfernt ist, so möchte ich mir nicht vorstellen, erst dann von der Geburt zu erfahren, wenn alle anderen, die hier leben, es schon vor mir wissen."

Mühsam stützte sich Cureda aus ihrem Sessel aus Korbgeflecht auf, rutschte in eine etwas bequemere Haltung und ließ sich dann wieder zurücksinken.

"Eine Geburt kann lange dauern, Mondor. Von den ersten Wehen an können noch viele Stunden vergehen, bis es wirklich ernst wird. Genug Zeit also. Aber ich bin froh, wenn du hier in meiner Nähe bleibst. Wir haben uns so lange nicht gesehen..."

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Und wenn du dich wieder besser fühlst, musst du auch unbedingt den Tempel besuchen. Alle Priester fragen mich ständig nach dir. Sie haben mir nie verziehen, dass ich dich gehen ließ."

Saton schnaubte.

"Das klingt, als hättest du deine Erlaubnis geben müssen."

"Natürlich nicht. Aber ich habe selten eine so fähige Priesterin in meinen Reihen gehabt. Sie hätte das Zeug zu meiner Nachfolge gehabt. Und dann kommst du und entführst sie nach Semon-Sey. Eine Schande ist das..."

Doch Mondor zwinkerte bei seinen Worten. Sein Leben lang würde er sich mit Freude an den Tag erinnern, an dem Saton den Batí-Tempel zu einer rituellen Reinigung aufgesucht hatte und dort so zum ersten Mal seine jetzige Gemahlin getroffen hatte. Sechs Jahre war dies nun her und niemals zuvor hatte er Saton und auch Cureda so glücklich gesehen wie in dieser Zeit. Und jetzt endlich würde diese Verbindung durch ein gemeinsames Kind gekrönt werden.

Eine Ac-Sarr.

Ein weiterer Zweig der legendären Linie.

Satons Tochter würde Geschichte schreiben. Womöglich wider Willen. Aber sie würde es tun.

Ob es eine gute, eine glanzvolle oder eine kurze Geschichte war, konnte niemand mit Gewissheit vorher sagen. Doch Mondor hatte keine Zweifel. Saton und Cureda. Ein gewaltiger Krieger, der beste seines Landes und zugleich weise, beherrscht und von edlem Charakter. Eine Priesterin mit einer Gabe zum Göttlichen, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte, sanftmütig, freundlich, klug und von starkem Willen. Es war keine Frage, ob sie ein besonderes Kind gebären würde. Die Frage war lediglich, in welcher Form sich diese Besonderheit äußerte. Kriegerin oder Priesterin? Eine wahre Tochter des Shaj der Nacht oder eine der seltenen Batí, die sich dem Tempeldienst verschrieben?

Die Vorzeichen waren eindeutig. Ein Feuer loderte in Curedas Leib und es war nicht dasselbe, das in ihren Augen leuchtete. Dennoch... der Wille Ash-Zaharrs war unergründlich.

Wohlig in seine eigenen Gedanken vertieft, räkelte sich Mondor im Sessel und sah einem Diener zu, der heiße Getränke brachte.

"Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?" fragte er dann wie beiläufig.

Saton nickte.

"Nachgedacht... ja, das habe ich. Aber noch immer bin ich nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen. Es wäre ein großes Wagnis."

"Es könnte auch ein großer Erfolg sein."

"Aber sich auch ins Gegenteil verkehren."

"Die Gefahr ist gering. Verschwindend gering."

"Der Weg ist weit."

"Was sind schon Entfernungen?"

Ungeduldig pochte Saton mit seinen Fingerknöcheln auf die Sessellehne.

"Warum jetzt, Mondor? Warum hat es nicht Zeit? Ein paar Wochen, ein paar Monate, kommt es darauf wirklich an? Hier sitzt meine Frau, sie erwartet unser erstes gemeinsames Kind. Und wir alle, die hier sitzen, wissen, dass es unser einziges sein wird. Nur wir und Wandan kennen die Wahrheit. Ihr seid die Drei. Du, Cureda und Wandan. Ich habe immer Respekt gehabt vor deinen Pflichten und Cureda versteht dich wohl noch besser als ich. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Ein Mann, der in Kürze den wohl glücklichsten Moment seines Lebens zu erwarten hat. Ist es zuviel verlangt, dass ich mich nur darauf konzentrieren möchte?"

"Keineswegs, mein Freund. Ich bitte dich nur, mein Ansinnen nicht ganz zu vergessen. Wenn deine Tochter erst einmal geboren ist, wirst du stolz nach Semon-Sey zurückkehren, du wirst sie deinem Volke zeigen und ihr all deine Aufmerksamkeit widmen. Und das sollst du auch. Aber für mich bist du dann nicht mehr greifbar und es gibt Dinge, die ich lieber mit dir persönlich kläre als über einen Boten, egal wie zuverlässig er auch sein mag."

"Niemand zwingt dich, hierzubleiben. Du könntest nach Semon-Sey kommen. Allein deine Sturheit bindet dich an Yto Te Vel, aber das heißt noch lange nicht..."

"Hört auf zu streiten." warf Cureda leise ein. Sie war noch blasser als sonst und augenblicklich vergaß Saton die Diskussion mit Mondor.

"Verzeih. Das war rücksichtslos von uns. Fühlst du dich nicht wohl? Komm, ich bringe dich hinein, dann kannst du dich hinlegen."

Diesmal widersprach sie nicht. Als er ihr ihren Arm anbot, stützte sie sich darauf und es schien, dass sie ohne diese Hilfe kaum hätte gehen können.

Es dauerte lange, bis Saton in den Garten zurückkehrte, wo Mondor immer noch geduldig wartete und an seinem Tee nippte. Er ließ sich nichts anmerken und überließ es seinem Freund und Shaj, das Gespräch wieder aufzunehmen.

"Sie verweigert die Schmerzmittel." erklärte Saton plötzlich und es klang schon fast entschuldigend. "Die Heiler bieten ihr Tees und Pulver, aber sie will nichts davon nehmen. Sie meint, es würde eher schaden als nützen."

"Damit könnte sie recht haben." nickte Mondor. "Mit der Heilkunst der Cycala ist es nicht weit her. Und wer eine so schwere Schwangerschaft durchsteht, sollte nicht riskieren, die Probleme noch zu vergrößern."

"Ich fühle mich schuldig. Manchmal glaube ich, dass ich sie zu sehr gedrängt habe. Dass ich mir dieses Kind zu sehr gewünscht habe."

"Ich dachte, ihr wolltet es beide?"

Saton zuckte die Achseln. "Ja, so ist es ja auch. Zumindest sagt sie das. Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass sie sich längst nicht so freut wie ich. Sie würde das nie sagen. Und es liegt auch nicht an ihren Beschwerden. Es war von Anfang an so. So, als hätte sie irgendwelche Befürchtungen oder Ängste, die ich nicht kenne."

"Ängste? Vor dem, was in ihr wächst?"

"Sie liebt unsere Tochter. Ebenso wie ich. Das ist nicht das Problem."

"Dann sprichst du nicht von dem, was in ihr ist, sondern eher, was in eurem Kind ist, nehme ich an?"

"Das klingt, als wäre es etwas Schlechtes. Nein, Mondor, das ist es nicht. Das Blut der Sarr ist nicht böse oder gar eine Last. Es ist etwas Besonderes. In ihm ruht eine Spur des Großen, reiner als in dem aller Batí. Aber muss man davor Angst haben? Ich trage es mein Leben lang in mir. Und ja, es bescherte mir Momente, die ich keinem anderen aufbürden möchte, am wenigsten meinem eigenen Kind. Aber ich kann es nicht verhindern. Und ich habe eine Pflicht. Die Pflicht, dieses Erbe weiterzugeben. Und Cureda wird eine unsagbare Ehre zuteil. Das weiß sie. Ich habe ihr versprochen, dass sie vor meinem Blut keine Angst haben muss. Und ich hätte es ihr nicht versprochen, wenn ich mir nicht sicher wäre."

"Vielleicht hat sie auch Angst vor dem, was dein Kind erwartet. Du sagtest selbst, dass manche Momente..."

"Sie wird stark sein. Unsere Tochter wird so stark wie ihre Mutter und vielleicht um einiges stärker als ich selbst. Sie wird diese Last tragen können. Ertragen können. Und dieses Erbe ist nicht nur eine Bürde, es ist auch ..."

"Ein Segen?"

"So weit würde ich nicht gehen. Aber sieh, Mondor. Ich bin der oberste Gebieter der Nacht. Der Herr der Krieger. Vielleicht wird sie einmal den gleichen Weg einschlagen. Und vielleicht wird sie auch den Thron erhalten. Ehrlich gesagt, dieses Schicksal ist wohl weit grausamer als das Bluterbe selbst. Aber wenn es sie ereilt, dann wird ihr Blut ihr helfen, es anzunehmen. Da bin ich sicher."

Am dritten Tag des Monats des Rin erwachte Cureda lange vor Sonnenaufgang. Ihr war es, als wäre sie eben erst eingeschlafen, doch wie schon in all den Nächten zuvor war es nicht ihre Entscheidung, wann die Ruhe ein Ende hatte.

Ihr Laken war schweißdurchtränkt und obwohl draußen ein eisiger Wind pfiff, glaubte sie, vor Hitze zu zergehen. Auslöser war ein glühendes Pochen in ihrem Bauch.

Das Baby bewegte sich nicht, aber es fühlte sich beinahe so an, als ob allein sein Herzschlag die Schmerzen auslöste. Cureda kannte dieses Gefühl bereits seit einiger Zeit, doch nie war es so unerträglich gewesen wie jetzt.

Sie legte eine Hand auf die Stelle, als ob sie sie damit beruhigen oder kühlen konnte, doch sie wusste, dass es keine Linderung verschaffen würde.

"Wie lange noch?" fragte sie leise. "Wie lange müssen wir noch warten? Wie lange wirst du dich noch gegen diese Gefangenschaft wehren? Wie lange lässt er das noch zu?"

Sie klammerte sich an einen Bettpfosten und stand auf. In den letzten Tagen hatte sie ihr Schlafzimmer so gut wie nicht verlassen und die meiste Zeit liegend auf ihrer Schlafstatt verbracht. Und allein gestern hatte sie zweimal geglaubt, das Kind wolle plötzlich nach draußen drängen, ohne Wehen, ohne weitere Verzögerung. Doch noch ehe sie nach Saton oder auch nur einem Diener hätte rufen können, war der Moment vorüber.

Saton.

Sie musste mit ihm reden. Nichts war wichtiger, aber immer, wenn sie glaubte, der rechte Zeitpunkt sei gekommen, hatte er sie wieder angelacht und seine Freude über das nahende Ereignis kundgetan. Sie brachte es nicht über sich, ihm diese Gefühl zu nehmen und ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren, die mit der Geburt einherging.

Mit schweren Schritten tastete sie sich zum Fenster. Es hatte wieder geschneit. Nicht viel, nur eine dünne, weiße Pulverdecke lag auf den Bäumen und der immer noch gefrorenen Erde. Es hatte nichts zu bedeuten. Noch zwei Tage zuvor war es so warm gewesen, dass alle geglaubt hatten, der Frühling hätte gesiegt. Das Wetter wechselte beinahe täglich und man war leicht versucht, in Hoffnung oder Trübsinn zu verfallen, um schon wenige Stunden später eines Besseren belehrt zu werden.

Etwas regte sich in ihr.

Der brennende Herzschlag schwand etwas, dafür begann das Mädchen jetzt, vehement zu strampeln. Cureda sank stöhnend auf einen Hocker, der am Fenster stand.

"Warte noch..." flüsterte sie ihrem Bauch mit bebender Stimme zu. "Ich muss es ihm erst sagen..."

Beinahe eine ganze Woche verstrich und mit jedem Tag wurden die Stunden, die Cureda außerhalb ihres Bettes verbrachte, weniger. Auf ihren Wunsch hin kam nur ein einziger Diener zu ihr, der das Essen und Getränke brachte, das Bettzeug wechselte und das Zimmer reinigte. In diesen Augenblicken biss sie die Zähne zusammen und tat, als wäre sie nur müde, denn sie wollte nicht, dass der Untergebene Saton berichtete, wie sehr sie sich quälte.

Der Shaj selbst besuchte sie, so oft er konnte. Am liebsten wäre er unentwegt bei ihr geblieben, doch sie bat ihn um Ruhe. Nicht, weil sie ihn nicht gern bei sich hatte. Es tat ihr weh, ihn fortzuschicken, aber noch unerträglicher war ihr der Gedanke, dass er zusah, wie sie mit schmerzverzerrtem Gesicht da lag und vor Anstrengung keuchte und sich auf den Laken wand.

Der einzige Heiler, der noch Zutritt zu ihrem Gemach hatte, musste nach seinem täglichen, stets recht kurzem Besuch immer ratlos von dannen ziehen und er konnte dem Shaj, der erwartungsvoll auf dem Flur wartete immer nur dasselbe berichten:

"Es ist bald soweit. Ich kann nichts für sie tun."

Immer, wenn dies geschah, fragte sich Cureda, wie oft sie noch diese gedämpften Worte durch die Tür hindurch vernehmen musste. Sie kämpfte nicht nur gegen das Unwohlsein, die Schmerzen und die Erschöpfung, sondern auch gegen ihren Stolz, denn all die Vernunft, mit der sie beschenkt worden war, schrie danach, das Gespräch mit ihrem Gemahl zu suchen, das sie nun nicht mehr länger hinauszögern konnte.

Gerade schlüpfte wieder der Diener durch die Tür. Er brachte Wasser und eine Schale mit getrockneten Blüten, die einen angenehmen Duft verströmten.

"Welcher Tag ist heute?" fragte sie matt.

"Der neunte Tag des Rin, hohe Herrin."

Sie nickte schwach und mühte sich, nicht auf den Druck in ihrem Unterleib zu achten, der seit diesem Morgen immer stärker wurde. Jetzt ging gerade die Sonne unter und sie fühlte sich nicht mehr in der Lage, sich auch nur aufzusetzen.

"Ich möchte Saton sehen..." sagte sie leise.

"Sehr wohl, Herrin. Habt ihr noch weitere Wünsche?"

"Nein... nur Saton. Ich will ihn sprechen."

Der Diener verneigte sich kurz und verschwand.

Erstaunlich schnell ertönte das von ihr ersehnte und doch zugleich gefürchtete Klopfen. Es gab kein Zurück mehr. Sie musste es tun. Jetzt.

Unter Satons Augen lagen dunkle Schatten. Einen Moment lang stellte sie sich vor, dass sie gewiss noch mehr von der Anstrengung gezeichnet sein musste, doch es war ihr gleich. Die Zeiten, in denen sie die Sorgen von ihrem Mann hatte fernhalten können, waren nun endgültig vorüber.

"Wie fühlst du dich?" fragte der Shaj, setzte sich auf die Bettkante und ergriff ihre Hand.

"Ich muss dir einige Dinge sagen." erwiderte sie, ohne auf die Frage zu antworten. "Dinge erklären."

Saton runzelte die Stirn.

"Ich möchte nicht, dass du dich anstrengst. Alles, was du mir zu sagen hast, hat doch Zeit. Wenn erst einmal unsere Tochter.."

"Hör mir zu." unterbrach sie ihn bestimmt. "Wir haben keine Zeit. Ich habe keine. Ich muss es dir sagen. Bevor sie geboren wird."

Ein Schauer kroch über Satons Haut. Er hatte Cureda noch nie so ernst, noch nie so unerbittlich gesehen. Was immer sie auch auf dem Herzen hatte, es belastete sie mehr, als er hatte ahnen können.

"Geht es... um den Grund, weshalb du in den letzten Monaten manchmal so traurig warst?"

Sie nickte.

"Saton... es gibt... vieles, was du nicht weißt. Ich hätte es dir nicht verschweigen dürfen, aber ich ... ich konnte es dir auch nicht sagen. Das war mein Fehler. Ich war so egoistisch. An dem Tag, als wir uns zum ersten Mal begegneten, wusste ich, dass du der einzige Mann in meinem Leben sein wirst. Und schon damals wollte ich dir alles erklären. Aber dann bist du mir zuvor gekommen und... und ich hatte nicht mehr den Mut dazu."

"Dir zuvorgekommen?"

"Du wirst mir vielleicht niemals verzeihen, wenn du die Wahrheit erfährst. Du wirst mir nicht verzeihen, dass ich dich so lange... belogen habe. Denn die Wahrheit zu verschweigen, kommt einer Lüge gleich..."

"Verzeihen? Cureda... es gibt nichts auf dieser Welt, was ich dir nicht verzeihen würde..." Er strich ihr lächelnd über das Haar. "Was auch immer du mir sagen willst, du brauchst keine Angst zu haben. Es wird nichts ändern, verstehst du?"

"Es wird alles ändern. Wenn du... wenn du mir helfen willst, dann erlaube mir, zu dir zu sprechen, bis ich alles gesagt habe. Stell keine Fragen. Unterbrich mich nicht. Und ... und berühre mich nicht."

"Ich soll dich nicht...?"

"Ich könnte es nicht ertragen, wenn deine Hand vor mir zurückweicht, aus Entsetzen oder Wut. Nimm sie von mir, solange ich dich noch darum bitten kann. Damit machst du es mir leichter. Und verzeih, wenn ich dich nicht ansehe, während ich rede."

Widerstrebend ließ Saton seine Hand auf ihre Schulter sinken, strich ihr kurz darüber und zog sie dann zurück.

"Nun... gut. Wenn du mich darum bittest... und wenn es dir hilft. Ich verspreche dir, ich werde dir zuhören, was auch immer du mir zu sagen hast und ich werde mein Wort erst wieder erheben, wenn du es mir gestattest. Und wenn du möchtest, werde auch ich dich nicht ansehen."

Sie nickte.

Dann richtete sie ihren Blick auf die schmucklose Wand gegenüber ihres Bettes und begann.

"Ich bin Cureda Ac-Zyr. Ich kannte meine Eltern nicht, denn sie starben als ich klein war und ich wurde großgezogen von einer alten Frau im Dorf Bara-Im. Sie erzählte mir die Geschichte meiner Herkunft, aber auch wenn sie es nicht getan hätte, hätte ich davon erfahren. Als ich alt genug war, einer Säule beizutreten, entschied ich mich für den Weg des Himmels und besuchte die Tempelschulen in Zarcas und Semon-Sey. Aber bald schon sagte man mir, ich müsse nach Yto Te Vel gehen, denn dort würden die reinen Batí gelehrt und ich war eine von ihnen. Also verließ ich Bara-Im und meine Ziehmutter. Sie weinte, weil sie mich verlor, aber sie war auch froh, dass ich meine Bestimmung gefunden hatte.

In Yto Te Vel war ich glücklich. Es war meine Heimat, vielleicht mehr als es Bara-Im jemals gewesen war und ich liebte den Tempel und die Priester und den Dienst an Ash-Zaharr. Eines Tages kam Mondor zu mir und sagte, der Shaj der Nacht wäre auf dem Weg zu uns, denn er müsse sich einer Reinigung unterziehen, die nur im Batí-Tempel vollzogen werden kann. Natürlich war ich nervös. Ich hatte nie zuvor einen Shaj gesehen. Und dann... dann kamst du. Und ich wusste nicht, wie mir geschah. Nie zuvor hat mich ein Mensch so gefesselt, allein durch seinen Blick und seine Anwesenheit. Und als ich erfuhr, dass du dasselbe von mir dachtest, da... schwebte ich geradezu vor Glück. Du fragtest mich, ob ich mit dir mitkommen wolle, nach Semon-Sey. In deine Stadt. In deine Burg Vas-Zarac. Ob ich an deiner Seite bleiben wolle, mein Leben lang. Und ich konnte mir kein schöneres Leben vorstellen als eines, das ich mit dir teilen durfte.

Und ich ging mit dir. Eines Tages besuchte ich meine Ziehmutter und sie freute sich für mich und auch darüber, dass sie mich nun wieder öfter sehen konnte, denn Bara-Im war nicht weit von Semon-Sey und alle... alle waren glücklich. Und ich dachte, dass es nun an der Zeit sei, dir mein Geheimnis zu offenbaren und ich war mir sicher, dass es eigentlich unwichtig sei und dass es keinen Einfluss auf unser Leben haben könne. Aber dann... dann hast du mir ein Geheimnis verraten. Das Geheimnis deines Blutes. Du hast mich zu einer der Drei gemacht, nachdem Assa-Pal gestorben war. Das Blut der Sarr. Das Blut Ash-Zaharrs. Du, mein Gemahl, der Shaj der Nacht. Einer der Blutsträger. Der Erbe der Nacht. Von diesem Moment an... konnte ich dir nicht mehr die Wahrheit sagen. Du hast mir die Geschichte der Erben erzählt. Dass sie immer nur ein Kind zeugen, dass das Blut fortgeführt werden muss. Und mir war klar, dass du gar nicht anders konntest. Auch du wolltest dieses Kind. Nicht nur wegen deiner Linie, nicht nur wegen des Bluterbes. Du hast es dir so sehr gewünscht.

Also bin ich nach Yto Te Vel gegangen. Das war vor einem Jahr. Du hast dich immer gefragt, was ich dort getan habe. Und wahrscheinlich hast du mir meine Ausreden nie so recht glauben wollen. Mondor zu besuchen, die Priester wiederzusehen, meine Riten zu vollziehen. Nein, Saton. Das waren nicht die Gründe. Ich bin dorthin gegangen, weil ich eine Antwort brauchte. Ich habe eine Frage gestellt und eine Antwort erhalten. Ich wollte wissen, ob ich dir den Nachkommen schenken kann, nachdem du dich so sehnst. Und ...nach dem auch ich mich gesehnt habe."

Sie atmete mehrmals tief durch und wieder verstärkte sich der schmerzhafte Druck in ihrem Leib.

"Und ich traf eine Entscheidung. Es war ein Fehler, denn ich hätte es niemals allein tun dürfen. Ich hätte mit dir sprechen müssen. Ich habe es getan, weil ich dir... uns diesen Wunsch erfüllen wollte, ganz gleich, wie hoch der Preis sein mochte. Doch ich habe die Gefahren, die Konsequenzen, ausgeblendet. Ich habe das Schicksal herausgefordert und ich habe es in eine Richtung gelenkt, die vielleicht nie hätte sein dürfen. Aber ich bereue es nicht. Bis heute nicht.

Ich bin Cureda Ac-Zyr. Doch ich bin etwas, was du nicht wissen konntest. Ich bin die Erbin des Himmels. Ich bin die Trägerin des heiligen Blutes. Der letzten Linie neben der deinen. Das ist es, was ich nie gewagt habe, dir zu sagen."

Sie hörte wie Saton entsetzt um Atem rang, doch noch immer hielt sie ihren Blick fest ins Leere gerichtet.

"Ich bin wie du und doch völlig anders. Und das Kind, das ich unter meinem Herzen trage, wird sein wie wir und doch viel mehr. Es wird die beiden Linien vereinen, die nie vereint werden durften. Es wird das Erbe der Nacht und das Erbe des Himmels in sich tragen. Es wird dem Großen näher sein als je ein Mensch zuvor und es wird mehr wert sein als unser ganzes Volk."

Sie wartete einen Moment, als wolle sie Saton die Gelegenheit geben zu sprechen. Doch noch ehe er ansetzen konnte, rang sie sich dazu durch, ihm auch die letzte, die entscheidende Wahrheit zu enthüllen.

"Es gab nur einen, der mir antworten konnte. Nur einen, dessen Wort ich als Gesetz anerkennen konnte. Ich ging nach Yto Te Vel und rief den Einen an, dessen Antwort entscheidend war. Und ich fragte ihn, was geschehen würde."

Sie schluckte.

"Er sagte, was ich wusste. Dass dieses Erbe nicht vereint sein dürfe. Dass es mächtig und besonders sein würde. Und dass er dafür strafen müsse, denn ein solcher Frevel könne nicht ungesühnt bleiben. 'Wenn du die Schuld auf dich nimmst für das Leben, das du entstehen lassen willst, dann musst du sie begleichen.' Und ich ... war bereit dazu. Und deshalb... deshalb konnte ich nicht warten, Saton. Ash-Zaharr wird den Preis verlangen. Ich habe ein Leben geschaffen, das nicht sein sollte... und ... er... wird dafür eines nehmen. Wenn unsere Tochter geboren wird.... dann ist das mein Tod."

Winterrosen blühen nur im Nordwald. Sie sind selten - so selten, dass sogar die Menschen, die dort wohnen, innehalten und ihre Schönheit bewundern, wenn sie sie entdecken. In manchen Dörfern weiter südlich sagt man, sie würden nur an einem einzigen Tag des Jahres ihre Farben zeigen und dann verdorren, doch die Batí von Yto Te Vel wussten es besser. In den Wochen, in denen der Winter wich und der Frühling kam, konnte man sie finden - nachtblau und silbern, wie das Banner des Sichellandes und umgeben von einem Licht, das dem des Mondes ähnelte. Doch wenn der letzte Tag des Winters gekommen war, dann starben sie.

Saton stand vor einer der letzten Winterrosen dieses Jahres. Er hätte sie fast übersehen als er ziellos durch den Wald gegangen war. Sie war nicht groß, die Blüte hätte er in seiner Hand umschließen können. Aber er tat es nicht.

Es war der elfte Tag des Rin.

Einige silberdurchwirkte Blütenblätter waren schon zu Boden gefallen. Ein oder zwei Tage noch. Dann siegte der Frühling. Dann starb die Rose.

Dann starb Cureda.

Die letzten beiden Tage hatte er wie im Traum durchlebt.

Er war ein Batí und zum ersten Mal seit langer Zeit wusste er wieder, was dies bedeutete. Hunderte, tausende, zehntausende Cycala hätten an seiner Stelle den Schmerz und den Zorn aus sich herausgeschrien. Sie hätten geweint und den Gott verflucht, der ihnen ein solches Leid brachte. Ihr Wehklagen hätte die Straßen erfüllt und ihre Wut hätte sich gegen alles und jeden gerichtet, am meisten wohl gegen sich selbst.

Doch er war ein Batí.

Nicht fähig, seiner Trauer und seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Beides brannte in ihm, versengte seine Seele und loderte unerträglich wie die Flammen eines Feindes, doch er konnte nicht dagegen kämpfen. Er konnte sie nur verdrängen. Kurz. Für einige wertvolle Momente, in denen er frei war. Dann kehrten sie zurück.

Der Shaj versuchte nicht, sich die Worte der Sterbenden ins Gedächtnis zu rufen. Wie sie ihn angefleht hatte, dem Kind nicht die Schuld zu geben. Wie sie ihn beschworen hatte, Ash-Zaharr nicht zu verfluchen. Wie sie ihm nahegelegt hatte, sie zu verstoßen in den letzten Stunden ihres Lebens, aber doch die Tochter willkommen zu heißen, die an ihrer Statt in das seinige treten würde.

'Du musstest mich nicht um solche Dinge bitten.' dachte er und war erstaunt, wie leicht ihm der Gedanke fiel. Es stimmte. Er würde dem Kind niemals die Schuld geben. Er würde es annehmen, es beschützen mit seinem Leben und es war ihm nicht nur genauso viel, sondern weit aus mehr wert als sein eigenes. Und er würde auch nicht den Gott verfluchen, denn nicht er war schuld an dem Leid, denn es waren die Menschen, die gegen seine Gesetze verstoßen hatten.

Verstoßen.

'Nein, Cureda.' dachte er weiter. 'Wie könnte ich das tun? Von allen Sichelländern hast du am meisten Mut bewiesen. Wer bin ich, dass ich dir jemals einen Vorwurf machen könnte?'

Und auch das war die Wahrheit. Und zugleich das einzige, was er für seine Gemahlin tun konnte. Ihr schwören, dass er ihr nicht verzeihen musste. Weil es nichts zu verzeihen gab. Er hätte an ihrer Stelle vermutlich genauso gehandelt. Wenn er den Mut dazu gehabt hätte. Nicht den Mut zu sterben, aber den zu schweigen. Den Mut, eine solche Last zu tragen und zu verbergen und zu alledem noch etwas so Unglaubliches auf sich zu nehmen.

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