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D. Entscheidung des EuGH
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Der EuGH entscheidet zulässige Klagen nach den Art. 258 f. AEUV durch Feststellungsurteile. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 13 II EUV) verbietet es dem EuGH, die mitgliedstaatliche Maßnahme, die den Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens bildete, für rechtswidrig zu erklären oder aufzuheben. Ebenso wenig kann der EuGH den betroffenen Staat formal zur Beseitigung seines unionsrechtswidrigen Verhaltens verurteilen. Dennoch lässt der Wortlaut des Urteils die unionsrechtlich gebotenen Maßnahmen oftmals eindeutig erkennen. Der verurteilte Mitgliedstaat ist implizit zur ex nunc-Beseitigung des unionsrechtswidrigen Verhaltens aufgefordert. Eine ex tunc-Beseitigung der tatsächlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Folgen der Vertragsverletzung entspricht nach überwiegender Auffassung weder dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 13 II EUV)[58] noch der in den Verträgen vorgesehenen Durchsetzung des Urteils (Art. 260 I AEUV).
§ 4 Das Vertragsverletzungsverfahren › E. Die Durchsetzung des Urteils
E. Die Durchsetzung des Urteils
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Der feststellende Charakter des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 f. AEUV erlaubt grundsätzlich keine Vollstreckungsmöglichkeit. Sollte ein Mitgliedstaat die in dem Urteil des EuGH für unionswidrig erklärten Maßnahmen nicht beseitigen, kann die Kommission den EuGH erneut wegen der Nichtbefolgung des Urteils nach Art. 260 II AEUV anrufen. Art. 260 II AEUV ermöglicht es dem Gerichtshof, auf Antrag der Kommission – nicht auf Antrag eines Mitgliedstaats – einen Pauschalbetrag (d.h. eine einmalig zu zahlende Summe) oder ein Zwangsgeld (d.h. eine fortlaufende Zahlung in Tagessätzen) gegen den betreffenden Mitgliedstaat zu verhängen. Diese Sanktionen können nach Ansicht der Rechtsprechung aufgrund ihrer unterschiedlichen Zwecke auch kumulativ angewendet werden. Die Höhe der sanktionierenden Geldbußen wird von der Kommission anhand festgelegter Kriterien berechnet, darunter die Dauer und Schwere des Verstoßes und die erforderliche Abschreckungswirkung.[59] Der Gerichtshof ist an die Berechnungsmethode und den konkreten Vorschlag der Kommission zwar nicht gebunden, sieht darin aber einen „nützlichen Bezugspunkt“ für eigenständige Erwägungen, anhand derer er die finanziellen Sanktionen erlässt.[60]
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Der Vertrag von Lissabon hat diese Sanktionsmöglichkeiten verschärft: Nach Art. 260 III AEUV besteht mittlerweile die Möglichkeit, Sanktionen bereits im ersten Verfahren nach Art 258 AEUV zu verhängen, wenn der von der Kommission vorgebrachte Vertragsverstoß die mangelnde mitgliedstaatliche Umsetzung einer Richtlinie betrifft. Art. 260 III AEUV ist jedoch etwas unglücklich formuliert, da allein auf die Mitteilung der Umsetzung und nicht auf die materielle Umsetzung der Richtlinie abgestellt wird. Es ist davon auszugehen, dass sich Art. 260 III AEUV auch und gerade auf Fälle bezieht, in denen der betroffene Mitgliedstaat keinerlei Maßnahmen zu Umsetzung getroffen hat. Sofern allerdings nur die Mitteilung unterblieben ist, die Richtlinie aber materiell vollständig umgesetzt wurde, sollte die Kommission dem EuGH keine Sanktionen gegen den betroffenen Mitgliedstaates vorschlagen.[61]
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Ein weiterer rechtswissenschaftlicher Streitpunkt betrifft die Frage, ob und inwieweit EU-Sanktionen gegenüber den Mitgliedstaaten vollstreckt werden können. Eine Ansicht argumentiert, Art. 280 AEUV in Verbindung mit Art. 299 I AEUV schließe eine solche Vollstreckungsmöglichkeit ausdrücklich aus.[62] Gegen diese Interpretation des EU-Primärrechts spricht, dass Art. 299 I AEUV darauf abzielt, bestimmten Einzelentscheidungen der Kommission und des Rats Vollstreckungscharakter zu verleihen, während Urteile des EuGH im Sinne des Art. 280 AEUV bereits ausdrücklich vollstreckbar sind. Aufgrund dieses offensichtlichen Widerspruchs ist anzunehmen, dass Art. 280 AEUV lediglich eingeschränkt auf Art. 299 AEUV verweist, d.h. nur auf dessen Absätze 2 bis 4. Dafür spricht auch, dass die Mitgliedstaaten das Sanktionsverfahren des Art. 260 AEUV mit dem Ziel, Vertragsbrüchen effektiv entgegenzuwirken, in das Unionsrecht integriert haben. Die Möglichkeit, der Vollstreckung dieser Sanktionen zu entgehen, widerspricht demnach dem Sinn und Zweck des Art. 260 AEUV.[63] Die besseren Gründe sprechen also dafür, EU-Sanktionen aus erfolgreichen Vertragsverletzungsverfahren grundsätzlich vollstrecken zu können.
§ 4 Das Vertragsverletzungsverfahren › F. Zusammenfassung
F. Zusammenfassung
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Das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 f. AEUV bietet sowohl der Kommission als „Hüterin der Verträge“ als auch den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, mitgliedstaatliche Maßnahmen, die ihres Erachtens gegen Unionsrecht verstoßen, einer Rechtmäßigkeitskontrolle durch den EuGH zuzuführen. Während die Kommission von dieser Klagemöglichkeit regelmäßig Gebrauch macht, sind die Anwendungsfälle der Staatenklage aus Gründen der politischen Opportunität äußerst selten.
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Sowohl die Aufsichtsklage der Kommission nach Art. 258 AEUV als auch die Staatenklage nach Art. 259 AEUV setzen zwingend ein Vorverfahren voraus. Das Vorverfahren der Aufsichtsklage gliedert sich in das Mahnschreiben der Kommission, zu dem sich der betroffene Mitgliedstaat in einer begründeten Gegendarstellung äußern kann, sowie die abschließende begründete Stellungnahme der Kommission. Die Staatenklage setzt den Antrag eines Mitgliedstaates voraus, der zu einem kontradiktorischen Verfahren führt. Im Anschluss kann die Kommission eine abschließende Stellungnahme abgeben. Diese ist, im Gegensatz zur Aufsichtsklage, jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung der Staatenklage. In beiden Fällen darf die Klage den im Vorverfahren festgelegten Streitgegenstand nicht erweitern.
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Das Vertragsverletzungsverfahren ist begründet, wenn der behauptete Sachverhalt zutrifft, der behauptete Verstoß rechtlich eindeutig dem Verhalten eines Mitgliedstaates zuzurechnen ist und dadurch tatsächlich Unionsrecht verletzt wurde.
208
Der EuGH entscheidet das Verfahren durch ein Feststellungsurteil. Daneben kann der EuGH auf Antrag der Kommission Sanktionen verhängen, wenn ein Mitgliedstaat das Urteil des EuGH nicht befolgt. Die Sanktionen können nach Art. 280 AEUV i.V.m. Art. 299 II bis IV AEUV vollstreckt werden.
Vertiefende Literatur:
v. Borries, Überlegungen zur Effektivität des Vertragsverletzungsverfahrens, in: Ipsen/Stüer (Hrsg.), Europa im Wandel, Festschrift für Hans-Werner Rengeling, 2008, S. 485; Gurreck/Otto, Das Vertragsverletzungsverfahren, JuS 2015, 1079 ff.; Ionescu, Innerstaatliche Wirkungen des Vertragsverletzungsverfahrens, 2016; Lageder, Die Bindungswirkung von Urteilen im Vertragsverletzungsverfahren, 2015; Plessing, Lösung von Konflikten zwischen EU – Recht und nationalem Recht im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens – Erfahrungen aus der deutschen Rechtspraxis, in: Schwarze (Hrsg.), Das Verhältnis von nationalem Recht und Europarecht im Wandel der Zeit, Band 1, 2012, S. 75; Wendenburg/Reichert, EU-Kommission verschärft Vertragsverletzungsverfahren erheblich – Auswirkungen auf die Bundesländer, NVwZ 2017, 1338 ff.; Wunderlich, Das Verhältnis von Union und Mitgliedstaaten am Beispiel des Vertragsverletzungsverfahrens, EuR 2012, Beiheft 1, 49 ff.
Übungsfälle: Musil/Burchard, Klausurenkurs im Europarecht, 4. Aufl. 2016, Fall 15; Bast, Fortgeschrittenenklausur – Öffentliches Recht: Europarecht – Bestimmtheit strafrechtlicher Sanktionen im Binnenmarkt, JuS 2011, 1095 ff.; Krätzschmar/Nastoll, Wenn einer eine Reise tut…, JURA 2014, 63 ff.
Anmerkungen
[1]
Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht. Staatsrecht III, 6. Aufl. 2017, Rn. 264.
[2]
Arndt/Fischer/Fetzer, Europarecht, 11. Aufl. 2014, Rn. 251 und Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 1.
[3]
EuGH, Rs. 141/78, Frankreich/Vereinigtes Königreich, Slg. 1982, 2923; EuGH, Rs. C-388/95, Belgien/Spanien, Slg. 2000, I-3123; EuGH, Rs. C-145/04, Spanien/Vereinigtes Königreich, Slg. 2006, I-7971; EuGH, Rs. C-364/10, Ungarn/Slowakei, ECLI:EU:C:2012:630; gegen die in Deutschland eingeführte Pkw-Maut unter Steuerentlastung deutscher Pkw-Halter ist die Rs. C-591/17, Österreich/Deutschland anhängig, vgl. ABl. C 402 vom 27.11.2017, S. 18.
[4]
EuGH, Rs. C-364/10, Ungarn/Slowakei, ECLI:EU:C:2012:630; aufbereitet in Krätzschmar/Nastoll, Wenn einer eine Reise tut …, JURA 2014, 63 ff.
[5]
EuGH, Rs. C-431/92, Wärmekraftwerk Großkrotzenburg, Slg. 1995, I-2189, Rn. 21, siehe auch EuGH, Rs. C-422/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-1097, Rn. 16.
[6]
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL 2017, Art. 258 AEUV Rn. 2.
[7]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 259 f.
[8]
Angelehnt an EuGH, Rs. C-54/08, Kommission/Deutschland, ECLI:EU:C:2011:339; zur Lösung s.u. Rn. 176, 186, 189 und 192.
[9]
EuGH, Rs. 8/88, Deutschland/Kommission, Slg. 1990, I-2355, Rn. 13; EuGH, Rs. 9/74 Casagrande/Landeshauptstadt München, Slg. 1974, 733, Rn. 5; EuGH, Rs. 103/88, Fratelli Constanzo/Stadt Mailand, Slg. 1989, 1839, Rn. 1 ff.
[10]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 7.
[11]
Anders jedoch im anhängigen Vertragsverletzungsverfahren der Rs. C-416/17, Kommission/Frankreich, ABl. C 293 vom 4.9.2017, S. 22 f.
[12]
EuGH, Rs. C-362/01, Kommission/Irland, Slg. 2002, I-11433, Rn. 18.
[13]
Schulze/Zuleeg/Classen, Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. 2015, § 4 Rn. 54; siehe auch Streinz, Europarecht, 10. Aufl. 2016, § 8 Rn. 635.
[14]
Gurreck/Otto, Das Vertragsverletzungsverfahren, JuS 2015, S. 1079 ff. (1079 f.); Rengeling/Middeke/Gellermann/Burgi, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 6 Rn. 11.
[15]
Grabitz/Hilf/Nettesheim/von Wallenberg/Schütte, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL 2017, Art. 108 AEUV Rn. 82 f.
[16]
Calliess/Ruffert/Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 258 AEUV Rn. 14.
[17]
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL 2017, Art. 258 AEUV Rn. 28 f., vgl. auch EuGH, Rs. C-135/94, Kommission/Italien, Slg. 2000, I-6611, Rn. 18 ff.
[18]
Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 64.
[19]
Oppermann/Hiermaier, Zur Einführung – Das Rechtsschutzsystem des EWG-Vertrags, JuS 1980, S. 782 ff. (786).
[20]
Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht. Staatsrecht III, 6. Aufl. 2017, Rn. 268.
[21]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 18, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, Rn. 2556 f.
[22]
Hierzu Korte/Gurreck, Die europarechtliche Zulässigkeit der sog. PKW-Maut, EuR 2014, S. 420 ff.
[23]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 15.
[24]
EuGH, Rs. C-191/95, Kommission/Deutschland, Slg. 1998, I-5449, Rn. 27 ff.
[25]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 23.
[26]
Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 29.9.2016, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-3130_de.htm (1.5.2018).
[27]
EuGH, Rs. C-591/17, Österreich/Deutschland, vgl. ABl. C 402 vom 27.11.2017, S. 18.
[28]
EuGH, Rs. 325/82, Butterfahrten, Slg. 1984, 777, 793; EuGH, Rs. 274/83, Kommission/Italien, Slg. 1995, Rn. 21 ff.
[29]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 19 ff.
[30]
Calliess/Ruffert/Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 258 AEUV Rn. 29.
[31]
EuGH, Rs. C-177/04 Kommission/Frankreich, Slg. 2006, I-2461, Rn. 37 ff.; ausführlich zu Erweiterung und Begrenzung des Streitgegenstandes Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL 2017, Art. 258 AEUV Rn. 41 ff.
[32]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 27 ff.
[33]
Rengeling/Middeke/Gellermann/Burgi, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 6 Rn. 27.
[34]
Häde, Grundfreiheiten und Werbeverbot, JuS 2006, S. 540 ff. (542); siehe auch Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 29 f.
[35]
Rengeling/Middeke/Gellermann/Burgi, Handbuch des Rechtschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 6 Rn. 26 f.
[36]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 326 ff.
[37]
Calliess/Ruffert/Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 259 AEUV Rn. 3 ff.
[38]
Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht. Staatsrecht III, 6. Aufl. 2017, Rn. 273.
[39]
EuGH, Rs. C-129/00, Kommission/Italien, Slg 2003, I-14637, Rn. 29 ff.; EuGH, Rs. C-287/03, Kommission/Belgien, Slg. 2005, I-3761, Rn. 27-30.
[40]
Freilich beinhalten manche internationalen Verträge auch eigenständige Rechtsbehelfe gegen Vertragsumgehungen (z.B. „Investor-Staat-Streitbeilegungmechanismen“), dazu s.u. Rn. 378.
[41]
EuGH, Rs. C-442/04, Spanien/Rat, Slg. 2008, I-3517, Rn. 22.
[42]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 308 ff.; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Gaitanides, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 277 AEUV Rn. 7.
[43]
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stoll/Rigod, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL 2017, Art. 277 AEUV Rn. 9; allerdings lag der entschiedenen Rechtssache in EuGH, Rs. C-442/04, Spanien/Rat, Slg. 2008, I-3517 selbst kein Vertragsverletzungsverfahren, sondern eine Nichtigkeitsklage zugrunde; eine abschließende Klärung durch den EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren steht damit noch aus.
[44]
EuGH, Rs. 324/82, Kommission/Belgien, Slg. 1984, 1861, Rn. 11.
[45]
EuGH, Rs. C-177/03, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-11671, Rn. 20 ff.
[46]
Arndt/Fischer/Fetzer, Europarecht, 11. Aufl. 2014, Rn. 259.
[47]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 295.
[48]
Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 36.
[49]
Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht. Staatsrecht III, 6. Aufl. 2017, Rn. 273.
[50]
Calliess/Ruffert/Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 259 AEUV Rn. 10 ff.
[51]
EuGH, Rs. C-287/03, Kommission/Belgien, Slg. 2005, I-3761, Rn. 27-30.
[52]
Calliess/Ruffert/Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 259 AEUV Rn. 33 f.
[53]
Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, 58. EL 2016, Art. 258 AEUV Rn. 59.
[54]
Vgl. EuGH, Rs. C-267/95, Kommission/Deutschland („Deutsche Länder“), Slg. 1996, I-6739, in dem der EuGH das Argument der innerstaatlichen Kompetenzverteilung innerhalb eines Bundesstaats als Rechtfertigungsgrund ausschloss (Rn. 6 ff.); EuGH, Rs. C-66/03, Kommission/Frankreich, Slg. 2003, I-14439, Rn. 10-13 und EuGH, Rs. C-298/95, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-6747, Rn. 13-19.
[55]
EuGH, Rs. 52/75, Kommission/Italien, Slg. 1976, 277, Rn. 11-13.
[56]
Vgl. beispielhaft EuGH, Rs. C-135/01, Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I-2837, Rn. 19-25.
[57]
EuGH, Rs. C-74/02, Kommission/Deutschland, Slg. I-9877, Rn. 11-20.
[58]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 309 ff.
[59]
Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, Aktualisierung der Daten zur Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die die Kommission dem Gerichtshof bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt, ABl. C 338 vom 27.9.2014, S. 18; dazu Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL 2017, Art. 258 AEUV Rn. 4 ff.
[60]
Calliess/Ruffert/Cremer, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 260 AEUV Rn. 17-19 m.w.N.
[61]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 316.
[62]
Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 318.
[63]
Arndt/Fischer/Fetzer, Europarecht, 11. Aufl. 2014, Rn. 265.
§ 5 Die Nichtigkeitsklage
Inhaltsverzeichnis
A. Funktion und Bedeutung der Nichtigkeitsklage
B. Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage
C. Begründetheit der Nichtigkeitsklage
D. Entscheidung und Urteilswirkungen
E. Zusammenfassung
209
Die Unionsrechtsordnung beansprucht nicht nur Geltung zwischen den Mitgliedstaaten, sondern wirkt in bestimmten Fällen auch vertikal unmittelbar zugunsten und zu Lasten der Unionsbürger. Diesem umfassenden Geltungsanspruch wird mit der Nichtigkeitsklage (Art. 263 f. AEUV) eine umfassende Rechtskontrollmöglichkeit zur Seite gestellt. Gleichzeitig bekräftigt die EU damit ihr Selbstverständnis von einer Rechtsgemeinschaft, in der alles abgeleitete Recht an höherrangigem Recht gemessen werden kann. Dies führt theoretisch zu einer widerspruchsfreien, in der Praxis zumindest zu einer gerichtlich durchsetzbaren Normenhierarchie des Unionsrechts. Die Nichtigkeitsklage ist zudem die einzige Verfahrensart, mit der sich Individuen aus eigenem Recht unmittelbar gegen rechtswidrige Unionshandlungen vor dem GHEU wehren können.
Ein nationalrechtliches Korrelat zu diesem unionsrechtlichen Rechtsbehelf gibt es in Deutschland nicht. Am Nächsten kommt der Individualnichtigkeitsklage die verwaltungsrechtliche Anfechtungsklage nach § 42 I 1. Alt. VwGO, in Bezug auf abstrakt-generelle Verfahrensgegenstände, aber auch die Normenkontrolle nach § 47 VwGO oder die Rechtssatzverfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG). Vergegenwärtigt man sich hingegen, dass auch EU-Organe und Mitgliedstaaten klageberechtigt sind, kommen noch die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2 GG), das Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG) und der Bund-Länder-Streit (Art. 93 I Nr. 3 und Nr. 4 GG) hinzu.
210
Schwierige Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen stellen sich hinsichtlich des Verhältnisses der Nichtigkeitsklage zu den übrigen Klagearten. Ein vertieftes Verständnis der Nichtigkeitsklage ist daher unerlässlich.
Beispiel:
Nach der Rechtsprechung des EuGH werden im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) trotz Art. 277 AEUV keine Gültigkeitsfragen zu Rechtsakten beantwortet, die von dem Kläger des nationalen Ausgangsrechtsstreits mit einer offensichtlich zulässigen Nichtigkeitsklage hätten angefochten werden können.[1] Um in solchen Situationen die Annahmefähigkeit der Vorlagefrage beurteilen zu können, muss man wiederum mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage vertraut sein.
Auch in der juristischen Ausbildung ist die Nichtigkeitsklage bedeutend. Neben dem Vertragsverletzungsverfahren (vgl. Rn. 153 ff.) und dem Vorabentscheidungsverfahren (vgl. § 4 und § 8) gehört ein vertieftes Grundlagenwissen über die Nichtigkeitsklage zum examensrelevanten Pflichtstoff des Jurastudiums.
§ 5 Die Nichtigkeitsklage › A. Funktion und Bedeutung der Nichtigkeitsklage