Kitabı oku: «Europäisches Prozessrecht», sayfa 11
A. Funktion und Bedeutung der Nichtigkeitsklage
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Mit der Nichtigkeitsklage werden die Handlungen der EU-Institutionen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Unionsrecht überprüft. Das Ziel der Klage ist die Sicherung und Wiederherstellung eines unionsrechtmäßigen Zustandes. Da die Nichtigkeitsklage die rechtliche Existenz und die Rechtswirkungen der angegriffenen Handlungen beseitigen kann (vgl. Art. 264 I AEUV), gestaltet sie die Rechtslage; sie wird daher als Gestaltungsklage bezeichnet. Ihrer Funktion nach bewirkt die Klage eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle der unionalen Handlungen, denn der Prüfungsmaßstab im Rahmen der Begründetheit umfasst (mit der Ausnahme der Subsidiaritätsklage, vgl. Rn. 288) das gesamte Unionsrecht (allerdings nur insoweit, als vom Kläger als verletzt gerügt) und ist nicht von der klagenden Partei abhängig.[2]
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Mit zahlreichen Klageberechtigten ist die Nichtigkeitsklage auf eine breite Anwendung ausgelegt. Dies wird anhand des abgestuften Systems der Klageberechtigten nach Art. 263 AEUV, bestehend aus den sogenannten privilegiert klageberechtigten Klägern (Abs. 2), teil- oder minderprivilegiert klageberechtigten Klägern (Abs. 3) sowie nicht-privilegiert klageberechtigten Klägern (Abs. 4) und den nationalen Parlamenten bzw. dem Ausschuss der Regionen für die Subsidiaritätsklage, deutlich.
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Gleichzeitig besitzt die Nichtigkeitsklage abhängig von dem jeweiligen Kläger weitere Funktionen. Für die EU-Organe kommt die Klage einem Organstreit nahe, in dem Organkompetenzen und Mitwirkungsrechte geltend gemacht werden, um so das institutionelle Gleichgewicht der EU aus Art. 13 II EUV zu wahren. Die Mitgliedstaaten wiederum können die Klage insbesondere nutzen, um die Verbandszuständigkeit der EU und die Primärrechtskonformität der unionalen Handlungen sicherzustellen. Damit erreichen die Mitgliedstaaten, dass der Rechtsrahmen, dem sie explizit zugestimmt haben, auch eingehalten wird. Teilweise haben Nichtigkeitsklageverfahren auch einen (rechts)politischen Hintergrund, da und soweit damit gegen politisch unerwünschte Maßnahmen der EU vorgegangen wird. Solche politisch motivierten Klagen haben vor dem GHEU allerdings nur Aussicht auf Erfolg, wenn die EU-Organe tatsächlich gegen bindendes Unionsrecht verstoßen haben.
Beispiel:
Die Slowakei und Ungarn erhoben 2015 Nichtigkeitsklagen gegen die im Rat der EU mehrheitlich beschlossene Verteilung von 120.000 Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten nach einer verbindlichen Quote. Der slowakische Ministerpräsident führte dazu unter anderem aus, dass der Verteilungsschlüssel unsinnig und technisch nicht umsetzbar sei.[3] Obgleich den Klagen auch rechtlich eine gewisse Relevanz zugestanden wurde, lehnte der Gerichtshof die Klagen wie erwartet als unbegründet ab.[4] Ungarn kündigte dennoch an, die Verpflichtungen aus dem Beschluss des Rats nicht zu erfüllen, und riskiert so, seinerseits Beklagter in einem Vertragsverletzungsverfahren zu werden.
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Für natürliche und juristische Personen als Individualkläger steht hingegen der Individualrechtsschutz im Vordergrund. Mit der Nichtigkeitsklage können sie sich gegen Handlungen der EU-Institutionen wehren, die sie betreffen und gegen die mangels Zuständigkeit kein direkter Rechtsschutz vor mitgliedstaatlichen Gerichten gegeben ist. Diesbezüglich steht die Nichtigkeitsklage in engem Zusammenhang mit der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechts. Würde das Unionsrecht keine Rechtswirkungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unmittelbar für die Rechtsunterworfenen entfalten, wäre eine Nichtigkeitsklage für Individuen nicht in gleichem Maße vonnöten, da Rechtsschutz immer gegen den dann stets erforderlichen nationalen Umsetzungsakt erlangt werden könnte. Gleiches gilt für das Vorabentscheidungsverfahren.
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Die große Bedeutung der Nichtigkeitsklage im Rechtsschutzsystem der EU bildet sich auch statistisch ab: In den Jahren 2013 bis 2017 waren jeweils zwischen 30 und 50 Prozent der neu am EuG eingegangenen Rechtssachen Nichtigkeitsklagen.[5] Für den EuGH werden die dort erstinstanzlich anhängig gemachten Nichtigkeitsklagen nicht gesondert erhoben. Dort kommen Klagen (darunter auch Nichtigkeitsklagen) auf immerhin knapp zehn Prozent der zwischen 2013 und 2017 neu eingegangenen Rechtssachen.[6] Eine Sonderfunktion nimmt wiederum die Subsidiaritätsklage ein. Mit ihrem auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips begrenzten Prüfungsumfang (strittig, vgl. Rn. 288) stärkt sie dieses in Art. 5 III EUV verankerte Rechtsprinzip.
§ 5 Die Nichtigkeitsklage › B. Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage
B. Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage
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Fall 2:[7]
Auf Vorschlag der Europäischen Kommission wird die auf Art. 114 AEUV gestützte Energieeffizienz-Verordnung (EE-VO) durch das Europäische Parlament und den Rat am 8.9.2017 ordnungsgemäß erlassen. Sie wird am 22.9.2017 im Amtsblatt der EU verkündet und tritt zwei Monate nach ihrer Veröffentlichung am 22.11.2017 in Kraft. Die Verordnung führt Energieeffizienzstandards für energiebetriebene Produkte ein. Die unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten sollen dadurch harmonisiert und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessert werden. Die weit verbreitete traditionelle Glühbirne erfüllt die neuen Standards nicht und darf deswegen nach der EE-VO in der EU weder hergestellt noch vermarktet werden.
Die O-GmbH ist ein Unternehmen mit Sitz in München, das einen Großteil der Glühbirnen für den europäischen Markt produziert. Sie fürchtet nachvollziehbar um ihre Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnmöglichkeiten und erhebt daher am 20.11.2017 Klage beim GHEU, die sie gegen die Kommission, das Parlament und den Rat richtet. Die EE-VO richte sich zwar nicht direkt an die O-GmbH, das Unternehmen sei aber faktisch Adressat, weil es der in der EU marktführende Leuchtmittelhersteller sei. Außerdem verstoße das Glühbirnenverbot gegen die Warenverkehrsfreiheit. Die EU-Institutionen halten die Klage für verspätet, da ein Vertreter der O-GmbH – was zutrifft – bereits bei einem Lobbygespräch mit Mitarbeitern der Kommission am 15.9.2017 verbindliche Kenntnis von dem zukünftigen Erlass der Verordnung und ihrem Inhalt erhielt. Hilfsweise machen die Beklagten geltend, der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie sich gegen einen Rechtsakt richte, der zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch gar nicht in Kraft getreten sei.
Ist die Klage der O-GmbH zulässig?
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Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage ergeben sich aus Art. 263 AEUV. Sie werden – wie die Voraussetzungen anderer Klagen auch – durch die GHEU-Satzung und die VerfO-EuGH bzw. VerfO-EuG ergänzt und konkretisiert. Weitere Modifikationen der Zulässigkeitsvoraussetzungen, der Begründetheitsprüfung und der Urteilswirkungen finden sich in:
– | Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls (SubProt)[8] für die Subsidiaritätsklage |
– | Art. 261 AEUV in Verbindung mit einer EU-Verordnung für die Ermessensnachprüfung von Zwangsmaßnahmen |
– | Art. 264 II AEUV für die fortgeltende Wirkung nichtiger Handlungen |
– | Art. 263 V AEUV in Verbindung mit entsprechendem Sekundärrecht für die Klagemöglichkeiten gegen Handlungen sekundärrechtlich gegründeter EU-Institutionen |
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Insbesondere Art. 263 V AEUV ermöglicht es dem EU-Gesetzgeber, den Rechtsschutz Einzelner (d.h. nicht der privilegiert oder teilprivilegiert Klageberechtigten) gegen dezentrale Einrichtungen (d.h. nicht gegen die primärrechtlich vorgesehenen EU-Organe) sekundärrechtlich weiter auszugestalten. Dabei können Klagevoraussetzungen sowohl erleichtert als auch verschärft werden.
Beispiel:
Häufig wird ein der Klage vorgeschaltetes Beschwerdeverfahren zur Klagevoraussetzung erhoben. Dieses Beschwerdeverfahren ist entweder einrichtungsintern zu durchlaufen oder bei der Kommission anhängig zu machen. So sehen die Art. 91 ff. der REACH-Verordnung[9] vor, dass gegen bestimmte Entscheidungen der Europäischen Chemikalienagentur Widerspruch eingelegt werden kann. Die Entscheidungen der Widerspruchskammer können dann nach Maßgabe des ex-Art. 230 EGV (Art. 263 AEUV) vor dem GHEU angefochten werden, vgl. Art. 94 I REACH-VO.
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Im Ergebnis kann damit von Art. 263 AEUV sekundärrechtlich abgewichen werden, ohne dass solche Regelungen die normhierarchisch begründete Nichtigkeitsfolge träfe. Eine gleichwohl geltende Grenze sekundärrechtlich zulässiger Klagemodifikationen stellen das übrige Primärrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts dar. Durch die Gründungsverordnung einer EU-Stelle können zum Beispiel keine Klagebeschränkungen vorgenommen werden, die gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 GRC, s. Rn. 694) verstoßen.[10]
I. Zuständigkeit
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Die Nichtigkeitsklage ist EU-verbandsintern dem GHEU zugewiesen (Art. 19 III lit. a) EUV, Art. 263 I AEUV). Dabei sind die sektoralen Jurisdiktionsgrenzen (vgl. Rn. 85 ff.) zu beachten.
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Organintern teilen sich der EuGH und das EuG die Zuständigkeit für diese Klageart. Das EuG entscheidet nach Art. 256 I S.1 AEUV über Klagen nach Art. 263 AEUV im ersten Rechtszug. Davon ausgenommen sind Klagen, die Fachgerichten übertragen wurden, oder die gemäß der GHEU-Satzung dem Gerichtshof vorbehalten sind. Die Zuständigkeit richtet sich im Einzelnen nach dem Kläger, dem Beklagten und dem Klagegegenstand.
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An das GöD waren in den Jahren 2005 bis 2016 beamtenrechtliche Streitigkeiten nach Art. 270 AEUV übertragen worden, vgl. Art. 1 Anhang I der GHEU-Satzung. Art. 51 GHEU-Satzung nennt weitere Ausnahmen von der erstinstanzlichen Zuständigkeit des EuG. Für Klagen der Mitgliedstaaten gegen Handlungen des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (einschränkend: nur gemäß Art. 331 I AEUV) ist der EuGH zuständig, soweit keine Rückausnahme nach den Art. 51 I lit. a) 1. bis 3. Spiegelstrich GHEU-Satzung einschlägig ist. Für Klagen von Unionsorganen (Art. 13 I EUV – Ausnahme ist der GHEU selbst) gegen das Europäische Parlament, den Rat, die Kommission und die Europäische Zentralbank ist nach Art. 51 II GHEU-Satzung ebenfalls der EuGH zuständig.
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Im Umkehrschluss verbleiben dem EuG die Zuständigkeiten für die Klagen natürlicher und juristischer Personen sowie alle Klagen gegen EU-Organe mit Ausnahme der oben genannten sowie gegen Einrichtungen und sonstige Stellen der Union (dazu sogleich).[11] Außerdem führen auch die genannten Rückausnahmen zur Zuständigkeit des EuG.
Die komplizierte Zuständigkeitsverteilung ergibt sich wertungsmäßig aus der unterschiedlichen Bedeutung, die den EU-Organen, den Mitgliedstaaten und anderen Akteure in der EU beigemessen wird. Klagen der EU-Organe und Mitgliedstaaten gegen die wichtigsten EU-Organe soll grundsätzlich der EuGH entscheiden. Diesen Klagen kommt im Verfassungsgefüge der EU daher ein eher verfassungsrechtlicher Charakter zu. Der Vielzahl an anderen – eher verwaltungsrechtlichen – Streitigkeiten soll sich das EuG annehmen. Aufgrund der zahlreichen Ausnahmen ist eine Prüfung im Einzelfall jedoch unerlässlich.
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Teilweise wird dennoch angenommen, dass Klagen der EU-Organe und der Mitgliedstaaten gegen andere EU-Organe (Europäischer Rat, EZB) grundsätzlich dem EuGH vorbehalten seien und der entgegenstehende Wortlaut des Art. 51 GHEU-Satzung insofern ein redaktionelles Versehen sei.[12] Gleiches wird für die Klagen des Ausschusses der Regionen behauptet, der mangels Organeigenschaft unzutreffender Weise vor dem EuG klagen müsse, obwohl er in Art. 263 III AEUV den EU-Organen Rechnungshof und EZB gleichgestellt werde.[13] Diese – in der Sache nachvollziehbaren – Erwägungen schlagen sich allerdings nicht in der seit dem Vertrag von Lissabon (2009) bereits mehrfach geänderten GHEU-Satzung nieder. Sie scheinen daher nicht geeignet, die bestehende Zuständigkeitsverteilung zu modifizieren, sondern verbleiben im Rahmen rechtspolitischer Kritik. Darüber hinaus haben diese Konstellationen nur geringe Praxisrelevanz und können auch nach geltendem Prozessrecht durch den EuGH als Rechtsmittelinstanz (Art. 256 I UA 2 AEUV, vgl. Rn. 552) überprüft werden.
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Betreffen zwei an beiden Unionsgerichten zeitgleich anhängige Nichtigkeitsklagen den gleichen Gegenstand (parallele Zuständigkeiten), regelt Art. 54 III f. GHEU-Satzung, dass das Verfahren an einem der beiden Gerichte fortgeführt wird. Dies wird regelmäßig der EuGH sein. Wird die Nichtigkeitsklage irrtümlich am falschen Gericht eingereicht, verweist dieses den Rechtsstreit an das andere – dann zumindest sachlich zwingend zuständige – Gericht (Art. 54 I f. GHEU-Satzung).
II. Parteifähigkeit
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Wer im Nichtigkeitsklageverfahren als Kläger und Beklagter parteifähig ist, richtet sich nach Art. 263 I bis IV AEUV. Die im Folgenden näher erläuterten zahlreichen parteifähigen Kläger und Beklagten zeugen davon, dass die Nichtigkeitsklage auf einen breiten Anwendungsbereich ausgelegt ist und ihr in der gerichtlichen Überprüfung der Rechtsetzung und des Verwaltungsvollzugs durch die Unionsorgane eine zentrale Rolle zukommt.
1. Parteifähigkeit des Klägers
a) Privilegiert Klageberechtigte
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Nach Art. 263 II AEUV sind die Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission, der Rat der EU und das Europäische Parlament aktiv parteifähig (Art. 263 II AEUV). Die Mitgliedstaaten treten unabhängig von ihrer Staatsstruktur stets als Zentralstaaten auf; einzelne rechtsfähige Untergliederungen, Organe oder Gebietskörperschaften (in Deutschland beispielsweise die Bundesländer) sind nicht nach Absatz 2 parteifähig. Die innerstaatliche Umsetzungskompetenz für Maßnahmen der EU spielt unionsprozessrechtlich keine Rolle. Gleichwohl kann natürlich innerstaatlich geregelt werden, dass die Zentralregierung im Namen des Mitgliedstaates ihr Klagerecht für andere Untergliederungen und auf deren Verlangen hin ausübt. Im deutschen Recht findet sich eine solche Regelung in § 7 I EUZBLG[14]:
„Die Bundesregierung macht auf Verlangen des Bundesrates unbeschadet eigener Klagerechte der Länder von dem im Vertrag über die Europäische Union vorgesehenen Klagemöglichkeiten Gebrauch, soweit die Länder durch ein Handeln oder Unterlassen von Organen der Union in Bereichen ihrer Gesetzgebungsbefugnisse betroffen sind und der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat. Dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes, einschließlich außen-, verteidigungs- und integrationspolitisch zu bewertender Fragen, zu wahren.“
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Darüber hinaus können Organteile oder öffentlich-rechtliche Hoheitsträger unter Umständen auch als juristische Personen nach Art. 263 IV AEUV (dazu sogleich) klagen, müssen dann aber strengeren Anforderungen an die Klageberechtigung genügen. Auch Teile oder einzelne Mitglieder des Europäischen Parlaments oder Organteile (Fraktionen, Ausschüsse, etc.) dürfen nicht als privilegiert Klageberechtigte, können aber als nicht-privilegiert Klageberechtigte klagen. Nur als Gesamtorgan kann das Parlament nach Art. 263 II AEUV Klage erheben.
b) Teilprivilegiert Klageberechtigte
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Gemäß Art. 263 III AEUV können der Rechnungshof, die EZB und der Ausschuss der Regionen die Nichtigkeitsklage erheben, soweit sie auf die Wahrung ihrer Rechte abzielt. In zwei weiteren Fällen wird diskutiert, ob der Kreis der teilprivilegiert Klageberechtigten im Wege der analogen Anwendung erweitert werden sollte.
Zum einen werden Teile oder Mitglieder des Parlaments für teilprivilegiert klageberechtigt gehalten. Diese Überlegungen werden vor dem Hintergrund verständlich, dass der EuGH vor dem Vertrag von Maastricht bereits dem Parlament aktive Parteifähigkeit zugesprochen hatte,[15] obwohl dies der Wortlaut des ex-Art. 173 EWGV nicht vorsah. Daraus wird abgeleitet, dass auch eine analoge Erweiterung der Parteifähigkeit (der privilegierten Kläger) auf Untergliederungen des Parlaments in Frage kommt, der die historische Rechtsprechung des EuGH zumindest nicht entgegensteht. Zudem müssten parlamentarische Untergliederungen die Möglichkeit haben, die Rechte, mit denen sie nach der Geschäftsordnung des Parlaments[16] ausgestattet sind, im Wege eines „Intraorganstreits“ durchzusetzen.[17] Dagegen spricht, dass sich die aktive Parteifähigkeit dieser Gruppen auch aus Art. 263 IV AEUV ergeben kann, der insofern als Auffangtatbestand wirkt. Ist folglich schon die für einen Analogieschluss erforderliche Lücke fraglich, muss dies erst recht für deren Planwidrigkeit angenommen werden. Denn mit der Neufassung der Nichtigkeitsklage in Art. 263 AEUV gingen zahlreiche bewusste Änderungen der Vorgängerfassungen einher. Ob parlamentarische Untergliederungen gegen das Parlament oder andere Organteile klageberechtigt sind, war jedoch eine bekannte und durch den EuGH abschlägig beantwortete Frage.[18] Im Ergebnis ist dem Wortlaut des Art. 263 II AEUV damit Rechnung zu tragen und parlamentarische Untergliederungen sind nicht nach Absatz 2 zuzulassen.[19]
Zum anderen wird die aktive Parteifähigkeit des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) diskutiert. Der durch den Rat eingesetzte EWSA berät die Kommission, den Rat und das Parlament in den in den Verträgen vorgesehenen Fällen, auf Anfrage oder aus eigenem Dafürhalten (Art. 300 ff. AEUV). Auch hier muss nach dem Reformvertrag von Lissabon 2009 dem geänderten Wortlaut Rechnung getragen werden. Während der Ausschuss der Regionen (Art. 300, 305 ff. AEUV), eine dem EWSA strukturgleiche Einrichtung der EU, durch die Vertragsänderung parteifähig geworden ist, war dies beim EWSA gerade nicht der Fall. Eine Analogie scheidet auch hier aus.
c) Nicht-privilegiert Klageberechtigte
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Schließlich sind natürliche und juristische Personen aktiv parteifähig (Art. 263 IV AEUV). Zum einen kann damit jedermann, und zwar unabhängig von seiner Nationalität, seinem Aufenthaltsort oder seinem Wohnsitz Nichtigkeitsklage erheben. Zum anderen können juristische Personen klagen. Für dienstrechtliche Streitigkeiten natürlicher Personen, die zugleich unter das Beamtenstatut der EU fallen, gilt Art. 270 AEUV als lex specialis (vgl. Rn. 507 ff.). Der Begriff der juristischen Person ist unionsrechtlich autonom auszulegen. Er bezieht sich im Kern auf die Eigenschaft eines Zusammenschlusses, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können, mithin rechtsfähig zu sein. Davon sind zuvorderst die in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen anerkannten juristischen Personen umfasst. Darunter fallen[20]
– | Öffentlich-rechtliche Körperschaften (z.B. regionale und lokale Gebietskörperschaften wie die deutschen Bundesländer) |
– | Öffentlich-rechtliche Anstalten |
– | Stiftungen des öffentlichen Rechts |
– | Juristische Personen des Privatrechts |
– | Rechtsfähige Personengesellschaften |
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Aber auch die Unionsrechtsordnung oder das Völkerrecht können Zusammenschlüssen Rechtsfähigkeit verleihen und sie damit zu juristischen Personen machen, die Nichtigkeitsklage erheben können.[21] Schließlich erfasst diese Klägergruppe ganz allgemein Zusammenschlüsse, die Merkmale aufweisen, an die eine Rechtspersönlichkeit typischerweise anknüpft, z.B. zur eigenen Wahrnehmung übertragene Verfahrensrechte, Autonomie oder Verantwortlichkeit.[22]
Beispiel:
In diesem Sinne hat das EuG den Front Polisario, eine von den Vereinten Nationen anerkannten Bewegung, die die Unabhängigkeit der Westsahara anstrebt, aufgrund seiner Autonomie, im Rechtsverkehr als verantwortliche Einheit aufzutreten, und seiner Stellung im Westsahara-Konflikt für parteifähig angesehen, obwohl er keine Rechtspersönlichkeit nach einzelstaatlichem Recht besaß. Er konnte daher gegen ein Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko klagen.[23] Mangels Klagebefugnis hat der EuGH als Rechtsmittelgericht das EuG-Urteil zwar aufgehoben.[24] Doch lässt dies vermuten, dass er die Vorfrage nach der Parteifähigkeit des Front Polisario implizit bejaht hat.
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Des Weiteren fallen Vereinigungen, die kollektive Interessen ihrer als Einzelne parteifähigen Mitglieder wahrnehmen (z.B. Gewerkschaften), unter den Begriff der aktiv parteifähigen juristischen Person.[25]
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Die O-GmbH aus Fall 2 ist als juristische Person des Privatrechts zwar parteifähig, aber allenfalls nicht-privilegiert klageberechtigt (s.u. Rn. 264).
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