Kitabı oku: «Klausurenkurs im Arbeitsrecht II», sayfa 10
b) Verwirkung des Widerspruchsrechts
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In Betracht kommt jedoch, dass A sein Widerspruchsrecht verwirkt hat. Da jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden kann, schließt der Umstand, dass der Gesetzgeber 2002 in § 613a VI 1 BGB eine Ausübungsfrist etabliert hat, die Verwirkung nicht aus.[12] Voraussetzung für eine solche ist, dass der Berechtigte sein Recht erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums ausübt (sog. Zeitmoment), obwohl er beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, dass er sein Recht nicht mehr ausüben werde (sog. Umstandsmoment).[13]
aa) Umstands- und Zeitmoment
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Die Schaffung eines solchen Vertrauenstatbestands könnte bereits in der Abschieds-Mail des A zu sehen sein. Dagegen spricht jedoch nicht nur der soziale Kontext, sondern auch, dass die E-Mail an seine Kollegen und nicht an seinen Arbeitgeber gerichtet war.[14] Außerdem verfasste A sie zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch nicht zwingend wissen musste, dass überhaupt ein Betriebsübergang vorlag.
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In Betracht kommt weiter, dass A dadurch einen Vertrauenstatbestand schuf, dass er nach dem 7.4.2008 über 18 Monate hinweg widerspruchslos für die T-GmbH arbeitete. A war allerdings gegenüber der T-GmbH zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet; die Möglichkeit eines Widerspruchs begründete für ihn kein Leistungsverweigerungsrecht. Reine Pflichterfüllung hat jedoch weder einen eigenständigen Erklärungswert noch wirkt sie vertrauenerweckend oder bestärkend.[15] Würde allein die widerspruchslose Weiterarbeit das Umstandsmoment erfüllen, unterliefe das außerdem das Ziel, falsch unterrichteten Arbeitnehmern das Widerspruchsrecht zu erhalten.[16]
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Schließlich könnte der Abschluss der Änderungsvereinbarung im Januar 2009 einen hinreichenden Vertrauenstatbestand geschaffen haben. Durch Abschluss dieser – für ihn auch teilweise nachteiligen – Vereinbarung hat A über den Inhalt seines Arbeitsverhältnisses disponiert[17] und zu erkennen gegeben, dass er die T-GmbH als Arbeitgeber akzeptiert. Ob diese Vereinbarung wirksam war oder nicht,[18] spielt für die Frage der Vertrauensbildung keine Rolle. Damit durfte die T-GmbH (zur Wirkung für die B-AG s.u.) spätestens mit Abschluss der Änderungsvereinbarung davon ausgehen, A werde dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht mehr widersprechen, so dass ein taugliches Umstandsmoment gegeben ist.
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Weiterhin muss auch das Zeitmoment der Verwirkung erfüllt sein.[19] Zwar darf das bei fehlerhafter Unterrichtung an sich unbefristete Widerspruchsrecht nicht auf dem Umweg über eine „pauschale“ Verwirkung konterkariert werden.[20] Angesichts der Tatsache, dass A nicht nur 18 Monate nach Unterrichtung für die T-GmbH arbeitete,[21] sondern auch noch nach Abschluss der Änderungsvereinbarung zehn Monate bis zur Erklärung seines Widerspruchs abwartete, ist ein taugliches Zeitmoment jedoch gegeben, so dass die Voraussetzungen der Verwirkung vorliegen.
bb) Wirkung auch gegenüber der B-AG
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Fraglich ist allerdings, ob sich auch die B-AG auf Verwirkung berufen kann, hat sie doch erst im Oktober 2009 von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis erlangt. Dafür spricht, dass die Unterrichtungspflicht nach § 613a V BGB den bisherigen und den neuen Arbeitgeber als Gesamtschuldner trifft. Wenn das Gesetz in der Frage der Informationspflicht alten und neuen Inhaber als Einheit sieht, legt dies nahe, Betriebsveräußerer und Betriebserwerber auch hinsichtlich des Informationsstands einheitlich aufzufassen.[22] Außerdem kann der Widerspruch nach § 613a VI 2 BGB sowohl gegenüber dem bisherigen als auch gegenüber dem neuen Inhaber erfolgen; das Widerspruchsrecht kann aber nicht gegenüber dem neuen Arbeitgeber verwirkt sein, weil dieser die eingetretenen Umstände subjektiv kennt, gegenüber dem bisherigen wegen dessen Unkenntnis jedoch nicht.[23] Für das Schuldverhältnis von Betriebsveräußerer und Betriebserwerber als Gesamtschuldner ist in § 613a BGB, insbesondere in dessen Abs. 6, damit „ein anderes“ normiert (§ 425 I BGB), so dass sich auf die Verwirkung auch die B-AG als Veräußerer berufen konnte, der Widerspruch des A somit unwirksam gewesen und er folglich im Kündigungszeitpunkt Arbeitnehmer der T-GmbH gewesen ist.
II. Kündigungserklärung
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Eine der Form des § 623 BGB genügende Kündigungserklärung liegt auf Seiten der T-GmbH – abgegeben durch ihren Personalleiter (vgl. § 164 I 1 BGB) – vor. Diese ist durch Zugang an A auch gem. § 130 I 1 BGB wirksam geworden.
III. Auslegung der Kündigungserklärung: Eintritt der Kündigungswirkung
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Zu fragen ist weiter, zu welchem Zeitpunkt die Kündigung der T-GmbH Wirkung entfaltet. Zwar hat G als gesetzlicher Vertreter der T-GmbH die Kündigung zum 30.11.2009 erklärt. In Betracht kommt jedoch, dass der Kündigungserklärung im Wege der Auslegung oder Umdeutung ein anderer Kündigungstermin zu entnehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn der 30.11.2009 kein zulässiger Kündigungstermin ist und der erkennbare Wille des G nicht dahin geht, dass der Bestand der Kündigung davon abhängen soll, dass sie das Arbeitsverhältnis gerade zum 30.11.2009 beendet.
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Wiederholung und Vertiefung:
Wie bereits dargelegt, ist im Rahmen einer Kündigungsschutzklage immer auch der in der Kündigung genannte Beendigungstermin zu prüfen. Das gilt nach h.M. unabhängig davon, ob die Kündigungsschutzklage fristgemäß erhoben wurde.
1) | Das BAG sieht die Frage nach dem Kündigungstermin als Auslegungsfrage an: Die zum falschen Termin erklärte Kündigung sei regelmäßig als Kündigung zum nächst zulässigen Termin auszulegen,[24] z.B. wenn sich der Zugang verzögert, weil die Zustellung auf dem Postweg länger dauert als geplant. Da es demnach nur um den Inhalt der Kündigungserklärung, nicht aber um die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts „Kündigung“ geht, findet § 4 S. 1 KSchG keine Anwendung. |
2) | Die Gegenauffassung in der Literatur löst die Frage über § 140 BGB und deutet die Kündigung zum falschen Termin in eine Kündigung zum nächst zulässigen Termin um. Auch wenn hiernach die Unwirksamkeit der Kündigung notwendiger Zwischenschritt der Umdeutung ist, sprechen Wortlaut und Zweck von § 4 S. 1 KSchG trotzdem gegen eine Anwendung der Vorschrift (s. ausführlich Klausur 4, Rn. 299 ff.). Nach beiden Auffassungen ist in diesem Fall eine allgemeine Feststellungsklage gerichtet auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bis zum nächst zulässigen Kündigungstermin begründet; eine Kündigungsschutzklage wäre dagegen nur teilweise begründet, da die Kündigung zwar nicht zum erklärten Termin, wohl aber zum nächst zulässigen Termin das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat. |
3) | Nach beiden Auffassungen ist dagegen anders zu entscheiden, wenn der Arbeitgeber zu verstehen gibt, dass er nur zu einem bestimmten Termin kündigen und andernfalls von der Kündigung Abstand nehmen möchte.[25] In diesem – schwer vorstellbaren – Fall ist die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 622 BGB (endgültig) unwirksam, da weder Auslegung noch Umdeutung in Betracht kommen. Geht es in dieser Konstellation folglich (ausnahmsweise) doch um die Wirksamkeit der Kündigung als Rechtsgeschäft, greift nach Auffassung des BAG § 4 S. 1 KSchG ein.[26] |
Für den Klausuraufbau folgt daher, dass die Frage nach dem Kündigungstermin im Rahmen der Auslegung der Kündigungserklärung stets vor § 4 S. 1 KSchG zu prüfen ist. Wurde die Kündigung zum falschen Termin erklärt, ist weiter zu prüfen, ob sich die Kündigungserklärung dahin gehend auslegen (oder umdeuten) lässt, dass eine Kündigung zum nächst zulässigen Termin gewollt war:
1) | Ist dies der Fall, kann als Ergebnis festgestellt werden: „Vorausgesetzt die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam, entfaltet sie somit zum [nächst zulässigen Termin] Wirkung.“ Wurde die Klagefrist versäumt, beendet die Kündigung das Arbeitsverhältnis folglich zum nächst zulässigen Termin; ebenso verhält es sich, wenn die Klagefrist gewahrt wurde und kein anderer Unwirksamkeitsgrund vorliegt. |
2) | Lässt sich die Kündigung ausnahmsweise nicht auslegen oder umdeuten, kann als Ergebnis festgestellt werden: „Vorausgesetzt die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam, entfaltet sie zum [erklärten Termin] Wirkung.“ |
3) | Wurde die Klagefrist versäumt, beendet die Kündigung in diesem Fall das Arbeitsverhältnis folglich zum erklärten Termin; wurde sie gewahrt, ist die Kündigung (jedenfalls) wegen Verstoßes gegen § 622 BGB unwirksam, was nach Prüfung der §§ 4 S. 1, 7 Hs. 1 KSchG kurz festzustellen ist. |
Da es sich um eine reine Aufbaufrage handelt, wird die Problematik im Gutachten regelmäßig nicht erläutert. Auf die Streitfrage, ob nach Verstreichenlassen der Klagefrist die Einhaltung der Kündigungsfrist noch geprüft werden darf, kommt es im Ergebnis nur an, wenn die Klagefrist auch tatsächlich versäumt wurde. In diesem Fall bietet es sich an, erst das Verstreichen der Klagefrist festzustellen und dann den oben geschilderten Streit darzustellen (s. ausführlich Klausur 4, Rn. 297 ff.).
1. Dauer der Frist
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Mangels anderweitiger Regelung richtet sich die Kündigungsfrist nach § 622 BGB. Da die T-GmbH gem. § 613a I 1 BGB in die Rechte der B-AG eintritt, muss sie sich im Rahmen der Berechnung der gesetzlichen Kündigungsfrist auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit des A bei der B-AG entgegenhalten lassen.[27]
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Demnach hat das Arbeitsverhältnis des A im Oktober 2009 fünf Jahre bestanden, so dass die Kündigungsfrist nach § 622 II 1 Nr. 2 BGB zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats beträgt. Da A das 25. Lebensjahr allerdings erst im Jahr 2006 vollendete, sind nach § 622 II 2 BGB die Beschäftigungsjahre bis 2007 nicht mitzurechnen, was zur einer maximalen Beschäftigungsdauer von drei Jahren und 10 Monaten und somit gem. § 622 II 1 Nr. 1 BGB zu einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Ende des Kalendermonats führt. Allerdings könnte § 622 II 2 BGB wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unanwendbar sein.
a) Erforderlichkeit eines Verstoßes gegen Primärrecht
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Fraglich ist zunächst, ob ein Verstoß gegen Art. 3 I lit. c i.V.m. Art. 1 RL 2000/78/EG die Unanwendbarkeit von § 622 II 2 BGB begründen könnte. Eine Richtlinie hat zwar grundsätzlich Teil am Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht.[28] Doch zeigt bereits der Wortlaut von Art. 288 III AEUV (ex-Art. 249 III EG) und der Umkehrschluss zu Art. 288 II AEUV (ex-Art. 249 II EG), dass eine Richtlinie selbst keine lex im Sinne der Regel lex superior derogat legi inferiori, sondern vielmehr ein bloßer Gesetzgebungsauftrag an die Mitgliedstaaten ist. Ausnahmsweise kann eine Richtlinie zwar unmittelbar und damit auch derogatorisch (verdrängend) Anwendung finden, wenn sie nicht ordnungsgemäß oder fristgerecht umgesetzt wurde.[29] Zum einen ist Voraussetzung hierfür aber, dass sie eine hinreichend bestimmte und unbedingte Regelung enthält;[30] das ist bei den Antidiskriminierungsrichtlinien lediglich in Hinblick auf das Vorliegen einer Diskriminierung und die sich hieraus ergebende Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung als Mindestsanktion der Fall.[31] Zum anderen – und das ist entscheidend – wirkt die Richtlinie unmittelbar nur gegenüber dem Mitgliedstaat selbst (sog. Vertikalwirkung); wenn auf beiden Seiten Privatrechtssubjekte beteiligt sind, scheidet eine unmittelbare Geltung (sog. Horizontalwirkung) der Richtlinie nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH hingegen aus.[32] Ein bloßer Richtlinienverstoß kann damit die Unanwendbarkeit von § 622 II 2 BGB im Verhältnis zwischen A und der T-GmbH nicht begründen; es muss vielmehr ein Verstoß gegen europäisches Primärrecht vorliegen.
b) Verstoß gegen europäisches Primärrecht
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§ 622 II 2 BGB könnte gegen das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen und damit unanwendbar sein.
aa) Verbot der Altersdiskriminierung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts
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Wiederholung und Vertiefung:
Seit den Andeutungen des EuGH in der Rechtssache Mangold[33] wurde diskutiert, ob es ein primärrechtliches Verbot der Altersdiskriminierung gibt. Art. 19 AEUV (ex-Art. 13 EG) hebt zwar u.a. auf Diskriminierungen aus Gründen des Alters ab, ist jedoch ausweislich seines Wortlauts lediglich Kompetenzvorschrift für Vorkehrungen des Rates auf diesem Gebiet. In der Rechtssache Mangold leitete der EuGH das Verbot der Altersdiskriminierung als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie aus „verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten“[34] ab. Das hatte schon insofern wenig Überzeugungskraft, als einzig und allein die Verfassung Finnlands von 1919 in ihrem § 6 I ein ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung kennt. Bedenkt man weiter, dass der EuGH den allgemeinen Gleichheitssatz einst aus den speziellen Diskriminierungsverboten des Gemeinschaftsrechts entwickelte,[35] droht eine solche „Rückableitung“ des besonderen Verbots der Altersdiskriminierung zum Zirkelschluss zu werden.
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Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 findet sich in Art. 6 I EU i.V.m. Art. 21 I der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) ein ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung im Rang des Primärrechts, wie der EuGH jüngst in der Rechtssache Kücükdeveci[36] eindeutig klargestellt hat.
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Wiederholung und Vertiefung:
Streng genommen ist damit nicht gesagt, dass das Verbot der Altersdiskriminierung auch schon vor dem 1. Dezember 2009 Teil des Primärrechts war. Der EuGH geht sowohl in der Rs. Mangold als auch der Rs. Kücükdeveci stillschweigend davon aus. Das BVerfG hat die Anwendung des Verbots der Altersdiskriminierung vor dem 1.12.2009 aus Sicht des nationalen Verfassungsrechts jüngst in der Entscheidung Honeywell nicht beanstandet, da jedenfalls keine das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verletzende Kompetenzüberschreitung vorliege.[37] Auf Ebene der europäischen Verträge lässt sich eine Vorwirkung der Grundrechtecharta dogmatisch über Art. 6 II EUV i.d.F. von Nizza (2001) begründen.[38]
bb) Eröffnung des Anwendungsbereichs des Verbots der Altersdiskriminierung
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Hinweis zur Bewertung:
Auch an dieser Stelle werden von den Bearbeitern keine genaueren Kenntnisse dazu erwartet, wann eine Richtlinie den Anwendungsbereich des Verbots der Altersdiskriminierung zu eröffnen vermag. Wird die Frage problematisiert, ist das als sehr positiv zu werten. Eine Bearbeitung, die darüber hinaus mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist sowie der Zweckrichtung der RL 2000/78/EG argumentiert, ist als deutlich überdurchschnittlich einzuordnen.
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Weiterhin muss § 622 II 2 BGB in den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes fallen. Nach Art. 51 I 1 GrCh gilt die Charta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union; hiervon ist auch für das Verbot der Altersdiskriminierung auszugehen.[39] Zwar wurde § 622 II 2 BGB bereits 1926 und damit nicht zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG erlassen. Indes ist dies nur vor Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie Voraussetzung, um den Anwendungsbereich des Unionsrechts zu eröffnen, da sich ein Mitgliedsstaat zu diesem Zeitpunkt nur dann und ausnahmsweise vertragswidrig verhält, wenn er entgegen einer – zwar noch nicht umzusetzenden, aber bereits in Kraft getretenen – Richtlinie ihr widersprechendes Recht neu schafft,[40] nicht hingegen, wenn er zu diesem Zeitpunkt bestehendes Recht in zulässiger Weise (zunächst) unverändert lässt.
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Nach Ablauf der Umsetzungsfrist fallen hingegen sämtliche von der Richtlinie erfassten Bereiche in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, jedenfalls soweit die Richtlinie gerade der Verwirklichung eines bestimmten Grundrechts dient.[41] Ob das ab diesem Zeitpunkt richtlinienwidrige Recht schon vor Inkrafttreten der Richtlinie bestand oder erst später neu geschaffen wurde, kann dann keine Rolle mehr spielen. Da § 622 II 2 BGB die Dauer von Kündigungsfristen und damit Entlassungsbedingungen i.S.d. Art. 3 I lit. c RL 2000/78/EG regelt und die RL 2000/78/EG darüber hinaus gerade die Verwirklichung des Verbots der Altersdiskriminierung in den Mitgliedstaaten bezweckt, fällt § 622 II 2 BGB seit dem 2.12.2006 in den Anwendungsbereich des Unionsrechts sowie des Verbots der Altersdiskriminierung.
cc) Diskriminierung aufgrund des Alters
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Indem Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahrs nach § 622 II 2 BGB nicht berücksichtigt werden, sind jüngere Arbeitnehmer schlechter gestellt als ihre älteren Kollegen. Die Schlechterstellung ist nicht auf die Gruppe der sehr jungen Arbeitnehmer beschränkt, sondern erstreckt sich auf das gesamte Altersspektrum bis zum 45. Lebensjahr,[42] so dass eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters vorliegt.
dd) Rechtfertigung
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Diese Ungleichbehandlung könnte allerdings gerechtfertigt sein. Insoweit kann auf den in Art. 6 I 1 RL 2000/78/EG vorgegebenen Maßstab zurückgegriffen werden, da dieser eine Konkretisierung des primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung darstellt.[43] Danach muss die Ungleichbehandlung einem legitimen Ziel dienen und verhältnismäßig sein, wobei auch die angewandten Mittel dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen müssen.[44]
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Ziel von § 622 II 2 BGB soll es sein, Arbeitgeber bei jüngeren Arbeitnehmern von den Belastungen längerer Kündigungsfristen frei zu halten, da letztere typischerweise in weniger starkem Maß familiäre Verpflichtungen und sonstige soziale Bindungen und damit eine höhere Flexibilität aufweisen; gleichzeitig soll damit ein Anreiz zur Einstellung jüngerer Arbeitnehmer gegeben werden.[45] Diese Ziele gehören zur Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik[46] und sind damit an sich legitim.
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Die gewählte Differenzierung muss weiterhin verhältnismäßig sein, der gewählte Grad der Differenzierung also in Verhältnis zu Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede stehen. Zu fragen ist also, ob die tatsächlich bestehenden, altersbedingten Flexibilitätsunterschiede eine generelle Nichtberücksichtigung der Beschäftigung vor Vollendung des 25. Lebensjahres zu rechtfertigen vermögen. Problematisch ist insofern, dass das Einstiegsalter bspw. für akademische Berufe häufig über dem 25. Lebensjahr liegt, die Regelung des § 622 II 2 BGB dort also typischerweise keinerlei Auswirkungen zeitigt. Ob zwischen Arbeitnehmern, die nach kurzer Berufsausbildung früh eine Arbeitstätigkeit aufnehmen, und solchen, die nach langer Ausbildung erst später in den Beruf eintreten, Flexibilitätsunterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine derartige Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen, darf aber bezweifelt werden.[47]
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Das kann allerdings dahinstehen, da auch die eingesetzten Mittel verhältnismäßig, insbesondere zur Erreichung der mit der Differenzierung verfolgten Ziele geeignet sein müssen. § 622 II 2 BGB gelangt jedoch unabhängig davon zur Anwendung, wie alt (und damit flexibel) ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung ist. So bewirkt die Regelung z.B. auch noch bei einem 35jährigen, der mit 20 Jahren eingestellt wurde, eine Verkürzung seiner gesetzlichen Kündigungsfrist um zwei Monate, obwohl sich seine Flexibilität mittlerweile deutlich anders darstellt als zum Zeitpunkt seiner Einstellung. Vergleicht man ihn zudem mit einem gleich alten Kollegen, der erst mit 25 Jahren eingestellt wurde und daher die gleiche gesetzliche Kündigungsfrist aufweist, wäre es aufgrund der längeren Betriebszugehörigkeit und damit geringeren Flexibilität vielmehr geboten, ersterem eine längere Kündigungsfrist zuzuweisen. Diese Überlegungen zeigen, dass die derzeitige Regelung nicht geeignet ist, die altersbedingte Flexibilität hinreichend zu berücksichtigen[48] und damit ein unverhältnismäßiges Mittel darstellt, so dass die in § 622 II 2 BGB enthaltene Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist.