Kitabı oku: «Elfenzeit 7: Sinenomen», sayfa 3

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3.
Die Anderen

Es gab kein Licht in den Gängen jenseits des Bunkers. Robert führte die Gruppe zusammen mit Anne an. Mit der Taschenlampe, die Nadja ihm gegeben hatte, leuchtete er den Boden und die Wände ab, warnte die Nachfolgenden vor Unebenheiten oder Unrat. Anne beachtete den Lichtstrahl kaum. Ihre magischen Sinne führten sie sicher durch das Labyrinth.

Nur vor Sackgassen bewahrten diese Sinne sie nicht, das stellte Robert frustriert fest, als die dritte Abzweigung in Folge in einer Wand aus Schutt und Mauerresten endete.

»Sackgasse«, sagte er. Leise Flüche und Seufzer antworteten ihm, dann drückten sich die Menschen an die Wände, um ihn, Anne und Nadja vorbei zu lassen. Sie waren zu den Anführern der Obdachlosen geworden, vielleicht, weil sie als einzige nicht die Nerven verloren hatten.

Wir haben Ragnarök überlebt, dachte Robert, wir schaffen auch Toby.

»Und jetzt?«, fragte Mike.

»Wenn du das nicht weißt«, sagte Krücke neben ihm schlecht gelaunt. Das Licht der Taschenlampe glitt kurz über sein Gesicht. Eine Ader pulsierte in seinem Hals. Robert hörte, wie das Blut durch seinen Körper rauschte und sein Herz schlug. Er roch Marihuana und Angst in Krückes Schweiß.

Mit jedem Tag verstand Robert seinen neuen Körper besser. Er fühlte sich, als habe er sein Leben in einem Fiat Panda verbracht und führe auf einmal Rolls Royce. Es gab so vieles zu entdecken, dass er gar nicht wusste, wo er anfangen sollte.

Doch, dachte er im gleichen Moment. Ich sollte damit anfangen, es Nadja zu erzählen.

Er hatte es versucht, als sie aufgewacht war, und seither hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben. Enttäuscht war er darüber nicht. So lange sie es nicht wusste, konnte er so tun, als sei alles beim Alten, als würde sein Herz noch schlagen und sein Blut noch fließen. So, als wäre sein Körper mehr als nur ein zeitloses Grabmal, mehr als ein Stein, der noch hoch aufragen würde, wenn alles Lebendige um ihn herum längst verfallen war.

Robert schüttelte die Vorstellung ab. Er genoss seinen neuen Körper, seine Stärke, seine Empfindungen, seine erwachenden Sinne. Nur die Stille darin störte ihn. Sie verging, wenn er Blut trank. Dann begann sein Herz zu schlagen, schwach wie das eines Sterbenden, aber stark genug, dass er es hören konnte, wenn er die Augen schloss.

»Rechts oder links?«, fragte Anne neben ihm. Robert zuckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass sie in den Hauptgang zurückgekehrt waren. Von ihm zweigten sternförmig fünf Gänge ab. Da Mike sich nur an die Kreuzung erinnern konnte, aber nicht daran, welchen Gang er genommen hatte, waren sie die Möglichkeiten im Uhrzeigersinn abgegangen. Die ersten drei hatten sich als unpassierbar erwiesen.

»Rechts«, sagte Robert, während er in den Tunnel leuchtete, aus dem sie gekommen waren. Außer den mehr als zwanzig Obdachlosen, denen die Flucht in die Gänge gelungen war, sah er niemanden. Anfangs hatten sie die Verfolger noch gehört, doch irgendwann mussten die eine falsche Abzweigung erwischt haben. Seitdem hatte er sie weder wahrgenommen noch gerochen.

Gerochen. Wieder etwas, an das er früher nie gedacht hätte.

Anne ging vor. Robert folgte ihr, Nadja schloss zu ihm auf. Sie hielt den in eine Decke gewickelten Talamh im Arm.

»Geht es ihm gut?«, fragte Robert.

Sie nickte. »Er schläft.«

Der Streit, der sie dazu gebracht hatte wegzulaufen, stand zwischen ihnen, das spürte Robert. Es war dumm von ihm gewesen, den Vermittler zwischen Anne und Nadja spielen zu wollen. Er liebte Anne und hätte alles für sie getan, aber ihr Vorschlag, den Jungen nach Tara zu bringen, war alles andere als feinfühlig gewesen. Manchmal vergaß er, dass sie kein Mensch war. Ha, ha. Er war ja auch keiner mehr.

Schweigend gingen sie weiter. Die Obdachlosen folgten ihnen, verwirrt und verängstigt. Emma und Krücke schienen den Angriff als einzige verarbeitet zu haben. Krücke achtete darauf, dass die Menschen zusammenblieben, während Emma immer wieder andere tröstete.

»Schon mal daran gedacht, einen Artikel über die Tunnel zu schreiben?«, fragte er Nadja nach einer Weile.

»Nein, aber es wäre eine tolle Geschichte.« Sie schien froh zu sein, dass er sie von ihren Gedanken ablenkte. »Eine Subkultur unter der Hauptstadt. Menschen, die sich vollständig aus der Gesellschaft zurückziehen, weil sie mit dem Leben darin überfordert sind. Das könnte ich glatt an Die Zeit verkaufen.«

Robert schüttelte den Kopf. »Nein, zu intellektuell. Nimm RTLTV. Drogen und Gewalt hast du schon gefunden, und Sex gibt es hier bestimmt auch.«

Sie stieß die Luft aus, ein halbes Lachen, das ihn freute.

Anne drehte sich um. »Robert? Würdest du zu mir kommen und den Gang ausleuchten?«

Der Tunnel war so schmal, dass nicht mehr als zwei Leute nebeneinander gehen konnten. Robert war schon oft aufgefallen, dass es Anne nicht gefiel, wenn er mit Nadja sprach. Er fragte sich, ob sie eifersüchtig war oder ob er ihr erneut eine Menschlichkeit unterstellte, die sie nicht besaß.

»Was ist los?«, fragte er, als er neben Anne trat.

»Unsere Stimmen klingen anders.«

Robert leuchtete in den Tunnel hinein. Der Lichtstrahl glitt über unebenen, kahlen Stein, dann in einen Raum, der so groß war, dass er sich darin verlor.

Anne blieb stehen. »Etwas …« Sie zögerte und schüttelte den Kopf. »Zu viel Lärm. Ich kann nichts hören.«

Sie meinte die Menschen hinter ihr, deren Kleidung raschelte, die husteten, atmeten, sich manchmal flüsternd unterhielten.

»Was seht ihr?«, fragte Nadja.

Im gleichen Moment wurde es gleißend hell. Robert riss den Arm hoch, um seine Augen zu schützen. Menschen schrien, Anne duckte sich, Nadja wich zurück. Ein Hund begann zu bellen.

»Buh«, sagte Toby.

Robert blinzelte in die Helligkeit. Ein Dutzend Taschenlampen erleuchteten den Tunnel. Die Gestalten dahinter konnte er nur schemenhaft ausmachen.

»Wir dachten, wir hätten uns verlaufen«, fuhr Toby fort. Er leuchtete sein Gesicht von unten an, als wolle er eine Geistergeschichte erzählen. »Wir wollten uns in dem Raum nur ausruhen, eine rauchen und so, aber dann hörten wir euch. Ihr seid wohl woanders abgebogen als wir.«

Er grinste. Im Strahl der Taschenlampe wirkten die Schatten in seinem Gesicht wie tiefe Wunden. »Aber alle Wege führen zu Toby.«

»Mann, Alter«, sagte Vics Stimme. »Hör auf zu labern.«

Robert sah Anne an. »Schaffen wir die?«, fragte er leise und hoffte dabei, dass Nadja ihn nicht hörte.

»Der Gang ist schmal. Sie können uns nicht umzingeln.« Sie erwiderte seinen Blick. »Ich denke schon.«

Er hörte Unsicherheit in ihrer Stimme. Ihre eigenen Fähigkeiten konnte sie einschätzen, seine jedoch nicht.

Wir werden sehen, dachte er.

Einige Obdachlose flohen zurück in den Tunnel, doch die meisten blieben stehen. Sie hatten die Angst satt, das spürte Robert.

»Komm doch her, Arschloch«, rief Krücke aus ihrer Mitte.

»Einer nach dem anderen«, sagte Toby. Er legte sich den Baseballschläger über die Schulter. Die Taschenlampe richtete er immer noch auf sein Gesicht. »Jeder kommt dran.«

Robert zuckte zusammen, als eine Hand plötzlich vor Tobys Gesicht auftauchte. Sie bedeckte seinen Mund und seine Nase, grub ihre Finger in seine Wangen – und zog.

Es knackte. Toby ließ die Taschenlampe fallen. Sie rollte über den Boden, riss Schuhe und Hosenbeine aus der Dunkelheit, dann Tobys verzerrtes, bleiches Gesicht.

Er war tot.

»Was –«, begann Robert, unterbrach sich jedoch, als die Schreie losgingen und die Lichter vor seinen Augen auf und ab zuckten. Unwillkürlich machte er einen Schritt darauf zu, doch Anne hielt ihn mit einer Hand zurück.

»Misch dich nicht ein«, sagte sie.

»Weißt du, was hier los ist?«

Sie schwieg.

Es war schnell vorbei. Die Schreie dauerten fünf, vielleicht zehn Sekunden, dann brach der letzte ab. Taschenlampen lagen zwischen Leichen am Boden. Einige waren ausgegangen, andere flackerten, leuchteten starr die Wände an.

Robert hörte Schuhe auf dem Stein. Eine Gestalt ging mit langen Schritten an den Leichen vorbei und in den Gang hinein. Das Licht umgab ihn wie eine Aura, riss seine Konturen schwarz und scharf aus der Dunkelheit.

Neben Toby blieb der Unbekannte stehen. Mit einem Stiefel drehte er die Leiche auf den Rücken.

»Er hasste jeden«, sagte er. »Solche Menschen verseuchen die Welt.«

»Er mochte Tiere.« Es war Emmas Stimme.

»Aber mochten sie ihn?« Der Unbekannte sah auf. Er hatte ein asketisches Gesicht mit hohen Wangenknochen und Augen, die so hellblau waren, dass sie beinahe weiß wirkten. Auf den ersten Blick erschien er Robert streng und kalt, doch dann lächelte er, und es war, als habe er sich in einen anderen Menschen verwandelt, als stünde plötzlich ein väterlicher Freund vor ihm.

»Ich bin Catan«, sagte der Unbekannte. »Willkommen in meinem Reich.«

Seine Stimme war tief und ein wenig rau. Aus dem Augenwinkel sah Robert, wie Anne sich neben ihm versteifte.

»Er ist ein Elf, nicht wahr?«, flüsterte er.

Sie nickte.

»Kennst du ihn?«

Anne reagierte nicht auf seine Frage.

»Meine Freunde«, fuhr Catan fort, »werden euch nach oben begleiten. Ihr müsst keine Angst haben. Niemandem, der in Frieden zu uns kommt, wird etwas geschehen.«

Zwei Gestalten lösten sich aus den Schatten und betraten den Gang. Die eine war dürr und so groß, dass sie sich bücken musste, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Ihr langes Haar hing über den gekrümmten Rücken. Es war weiß und reichte ihr fast bis zu den Knien. Die Gestalt – ob sie männlich oder weiblich war, konnte Robert nicht erkennen – sah aus wie eine knorrige Trauerweide.

Er drückte sich gegen die Wand, um sie vorbei zu lassen. Sie roch nach Erde und Regen. Ihre Bewegungen waren langsam und fließend, so als ginge sie in Zeitlupe. Robert konnte ihr Gesicht hinter den Haaren nicht erkennen.

Eine zweite, eindeutig männliche Gestalt folgte ihr. Ihre Haut war grün. Moos bedeckte ihren Kopf und die Geschlechtsteile. Kleidung trug sie keine.

Die Obdachlosen wichen zurück, als die beiden in den Lichtkegel von Krückes Taschenlampe gerieten.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte Nadja. »Sie werden uns helfen. Lasst sie durch.«

Emma war die Erste, die zur Seite trat. Die anderen folgten nach und nach ihrem Beispiel.

»Das sind doch Mutanten«, hörte Robert jemanden flüstern.

Nein, dachte er. Das sind Elfen.

Er wollte sich umdrehen, um den beiden zu folgen, aber Catans Stimme hielt ihn zurück. »Ihr nicht.« Seine Geste schloss Robert, Nadja und Anne ein. »Nennt mir eure Namen … bitte.«

Es klang nicht so, als würde er oft um etwas bitten.

Anne trat vor. »Ich heiße Anne, das sind Nadja und Robert.«

»Hat der Junge keinen Namen?«, hakte Catan nach.

Woher weiß er, dass es ein Junge ist?, fragte sich Robert. Die Decke hüllte den Säugling fast vollständig ein.

Nadja hob den Kopf und reckte das Kinn vor. »Das ist Talamh, mein Sohn.«

Catan musterte sie einen Moment lang, dann drehte er sich um. »Kommt«, sagte er. »Ihr seid meine Gäste.«

Er achtete nicht darauf, ob die Einladung angenommen wurde, sondern ging mit langen Schritten auf einen Gang in einer Wand des Raums zu.

Robert zögerte. Drei weitere Elfen, irreal wirkende Gestalten, bedeckt von Laub und Fell, standen in den Schatten. Sie bewegten sich nicht. Ihre Augen leuchteten gelb.

»Haben wir eine Wahl?«, fragte Nadja leise. Die Frage war an Robert gerichtet, aber bevor er antworten konnte, mischte sich Anne ein.

»Nein.«

Nadja sah sie an. »Kennst du ihn?«

Anne löste sich aus der Gruppe und folgte Catan ohne ein weiteres Wort. Blicke aus gelben Augen beobachteten sie, bis sie im Gang verschwand. Dann glitten sie zurück zu Nadja.

»Mir gefällt das nicht«, sagte sie.

»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Emma. Robert hatte sich so sehr auf Anne konzentriert, dass er sie nicht bemerkt hatte. Die meisten Obdachlosen hatten sich bereits den Elfen angeschlossen, nur Emma, Krücke und Mike waren zurückgeblieben.

»Nein«, sagte Nadja. »Es ist alles in Ordnung. Geht nach oben.«

»Was sollen wir da?« Krücke richtete seine Taschenlampe auf den Boden und begann Achten mit dem Lichtstrahl zu schreiben. »Oben gibt es nichts für uns.«

»Woher willst du das wissen?« Ärger stieg in Robert auf. Er war genauso gewesen nach dem Tod seiner Frau und Tochter. Er hatte sich verkrochen, ein vom Leben Geschlagener, der kein Interesse daran hatte, jemals wieder aufzustehen – bis er Anne getroffen hatte.

»Was hast du denn schon von der Welt gesehen?«, fragte er Krücke.

»Genug.« Der Junge wirkte trotzig. »Ist alles voller Arschlöcher.«

»Da oben gibt es über sieben Milliarden Menschen. Nicht jeder ist ein Arschloch.«

Die Elfen traten aus den Schatten heraus. Sie wurden ungeduldig.

Krücke wandte sich ab. »Mal sehen«, sagte er.

Klingt nicht gerade motiviert, dachte Robert, als er sich ebenfalls umdrehte.

»Macht’s gut«, hörte er Emma sagen.

»Ihr auch«, antwortete Nadja. Sie schloss zu Robert auf. Gemeinsam gingen sie durch den Raum und in den Gang hinein, den Catan gewählt hatte. Leichen starrten sie aus gebrochenen Augen an. Robert sah weg.

Die drei Elfen folgten ihnen. Einer schob sich an der Wand entlang, um vor sie zu gelangen. Laub raschelte bei jedem Schritt. Grüne Blätter bedeckten Rücken und Kopf, wurden erhellt von dem Licht einer Taschenlampe, das bis in den Tunnel hinein reichte.

Roberts Blick hing an der seltsamen Gestalt. Nichts Menschliches haftete ihr an. Sie war auf eine Weise fremd, die ihn verstörte. Jede raschelnde Bewegung, jeder säuselnde Atemzug, jeder Blick aus gelben Augen sagte das gleiche aus: Diese Welt ist nicht die meine.

Es war ein trauriger Gedanke, auch wenn Robert nicht genau sagen konnte, weshalb er so empfand.

Der Elf machte eine Handbewegung. Eine Kugel entstand vor ihm in der Luft. Weiches gelbes Licht erhellte den Tunnel.

»Das ist besser für die Augen von Menschen, oder?«, fragte der Elf. Seine Stimme war rau und trocken wie Sand.

»Ja«, sagte Robert, und dann nach einer Pause: »Danke.«

Die leuchtende Kugel passte sich ihrer Geschwindigkeit an, blieb immer ein paar Schritte vor ihnen. In ihrem Schein tauchten Anne und Catan auf. Sie standen an einer Biegung und sprachen miteinander. Als sie das Licht sahen, unterbrachen sie sich.

»Sie kennt ihn«, flüsterte Nadja. Sie drückte Talamh an ihre Brust. »Ich bin mir sicher.«

Ich auch, dachte Robert.

»Wir fragen sie später«, sagte er ebenso leise, obwohl er nicht glaubte, dass er eine Antwort erhalten würde. Nadjas Blick verriet, dass sie ebenfalls daran zweifelte.

»Dies ist ein alter Ort«, sagte Catan, als sie herangekommen waren. »Er ist wie ein dahinwelkender Zausel, missgestimmt und unfreundlich zu Fremden. Bleibt bitte in meiner Nähe.«

Robert betrachtete die Wände. Sie zeigten Spuren von Werkzeugen, so als hätten Menschen die Tunnel aus dem Stein gemeißelt.

Catan ging um die Biegung. Die Kugel folgte ihm. Robert machte einen Schritt nach vorn und blieb überrascht stehen. Sein Mund öffnete sich, wollte einen Atem ausstoßen, den es in den reglosen Lungen längst nicht mehr gab. Es war ein unangenehmes Gefühl.

»Wie alt?«, fragte Robert rau, während sein Blick über das glitt, was sich vor ihm ausbreitete.

»Das hat er mir noch nicht verraten.«

Sie standen am Eingang einer Höhle. Nein, korrigierte sich Robert, keine Höhle, eher eine Kathedrale.

Die Wände verloren sich im Nichts, ragten empor zu einer Decke, die irgendwo jenseits der Schwärze liegen musste. Fledermäuse flatterten in gewaltigen Schwärmen durch das Licht der Kugel. Ihre Flügelschläge klangen wie Buchseiten, durch die ein Sturm fegte.

Robert wurde es schwindlig, als er nach unten sah. Der Boden endete nur wenige Meter vor ihm in einer geländerlosen Brücke, die breit genug für zwei Busse war. Die Fledermäuse tauchten unter ihr hindurch und verschwanden. Ihr Flattern hallte von den Wänden wider. Es war nicht zu erkennen, wie tief der Abgrund war oder wo die Brücke endete.

»Wer hat das gebaut?«, fragte Nadja.

»Menschen, nehme ich an.« Catan betrat die Brücke. Wind fuhr durch sein kurzes, dunkles Haar. Robert fiel auf, dass er das Alter des Elfen nicht schätzen konnte. Mal wirkte er wie dreißig, dann wieder wie fünfzig.

Er folgte Catan auf die Brücke. Anne und Nadja schlossen auf. Die anderen Elfen blieben hinter ihnen und bildeten eine Reihe, so als wollten sie verhindern, dass jemand sich umdrehte und floh.

»Dein Sohn ist sehr still«, sagte Catan nach einer Weile. Das Ende der Brücke war noch nicht zu sehen.

»Er schläft.« Nadja hielt sich in der Mitte, ebenso wie Robert. Nur Anne ging am Rand entlang, stolz und mit wehendem Haar.

Hat sie denn vor nichts Angst?, fragte sich Robert.

»Gut«, sagte Catan. »Im Dorf wird er sich ausruhen können.«

Es klang merkwürdig, an diesem Ort von einem Dorf zu sprechen. Nadja warf Robert einen kurzen Blick zu. Er hob die Schultern.

Einige Minuten später erreichten sie das Ende der Brücke. Dahinter befand sich eine breite, aus dem Stein geschlagene Treppe, die tiefer in den Untergrund führte. Die Kugel flog vor ihnen her, erhellte die ausgetretenen Stufen. Sie waren unterschiedlich breit und hoch. Robert fasste Nadja am Ellenbogen. Er konnte sehen, dass sie Angst hatte, mit dem Säugling in den Armen zu stürzen.

»Du hast kalte Hände«, sagte sie nach einem Moment.

»Mir ist ja auch kalt«, log Robert. In Wirklichkeit war ihm seit Annes Biss nicht mehr kalt gewesen. Wärme und Kälte waren keine Empfindungen mehr für ihn, nur noch Wahrnehmungen.

Feuerschein flackerte am Ende der Treppe. Robert ließ die letzte Stufe hinter sich und wäre fast gestolpert, als sein Fuß in weiches Erdreich sank.

»Vorsicht«, sagte er.

Nadja nickte dankbar, während Anne mit einem Sprung die letzten drei Stufen überwand und weich neben Robert landete. Mit ihren Sinnen war sie weder auf das Licht der Kugel noch auf die Feuer angewiesen, die in der Höhle vor ihnen brannten.

»Angeberin.« Robert grinste. Anne hob nur die Augenbrauen. Seit dem Auftauchen der Elfen hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen.

Rund ein Dutzend Hütten bildeten das Dorf. Wände und Dächer bestanden größtenteils aus Holz, aus Brettern und alten Türen, aber auch aus Plastikplanen und rostigen Metallplatten.

Robert hörte Ziegen meckern. Auf einem der Hüttendächer saß ein Huhn. Am Rande des Dorfs sah er Reihen von mannshohen Pflanzen, über denen eine sanft leuchtende Kugel hing. Diese Leute hier waren Selbstversorger.

»Wir haben lange gebraucht, um diesen Ort zu finden«, sagte Catan, während er zu einem der kleineren Feuer ging. »Wir leben nicht gern auf Stein.«

Er setzte sich auf einen Baumstamm, der quer neben dem Feuer lag. Die anderen Elfen, die dort gesessen hatten, standen auf, verneigten sich kurz und gingen. Robert sah etwas mehr als zwanzig an den Feuern und zwischen den Hütten.

Catan zeigte auf die freien Stämme. »Setzt euch. Man wird uns gleich etwas zu essen bringen.«

Er wartete, bis sie Platz genommen hatten. »Ich weiß, wer ihr seid«, sagte er dann. »Anne hat mir alles erzählt.«

»Hat sie das?« Nadja klang misstrauisch. Robert konnte ihr das nicht verdenken.

Anne ignorierte ihren Tonfall. »Er kann herausfinden, was auf Island geschehen ist, wir nicht. Es war also nur vernünftig, ihm alles zu erzählen.«

Nadja schien etwas darauf erwidern zu wollen, schüttelte dann aber nur den Kopf. Catans Blick glitt von ihr zu Anne und wieder zurück, so als versuche er zu ergründen, wie die beiden zueinander standen.

Robert wandte sich an den Elfen. Ein Themenwechsel erschien ihm angebracht. »Was ist mit euch? Wieso lebt ihr hier unten?«

»Sieh dir meine Sippe doch an!« Catans Geste schloss das ganze Dorf ein. »Wo sonst sollten sie leben?«

»In der Anderswelt?«, fragte Robert zurück.

»Dort haben sie gelebt, aber man hat sie nicht geduldet … aus dem einen oder anderen Grund.« Catan unterbrach sich, als zwei Elfen von einem der Feuer auf ihn zugingen. Der eine war der mit Blättern bedeckte, dem Robert in Gedanken den Namen Laubelf gegeben hatte. Der andere war schwarz wie verkohltes Holz. Seine Hände wirkten wie Zweige. Sie trugen zwei Tabletts mit dampfenden Holznäpfen, in denen Löffel steckten, Bechern und Brot. Vor ihrem Anführer blieben sie stehen. Er warf einen Blick auf den Inhalt der Näpfe und nickte.

»Esst und trinkt«, sagte er zu seinen Gästen. »Euer Wohlergehen liegt mir am Herzen.«

Er sah Talamh bei diesen Worten an.

Die Elfen stellten die Tabletts schweigend auf einen Schemel. Catan nahm den Brotlaib und riss ihn in drei gleichgroße Stücke. Mit einer leichten Verbeugung verteilte er sie. Robert nahm eines der Stücke. Es war noch warm.

Er sah sich um. Die Elfen saßen an den Feuern, aßen und redeten. Die Neuankömmlinge beachteten sie kaum. Nur ab und zu sah einer kurz zu ihnen herüber.

Sie wussten, dass wir kommen, dachte er. Woher?

»Die meisten, die hier leben«, sagte Catan, während er die Näpfe und Becher verteilte, »wurden von ihren Sippen ausgestoßen. Sie hätten sich damit abfinden und ihr Dasein als Eremiten fristen können, was auch von ihnen erwartet wurde, aber …« Er lächelte. »Wenn sie gewusst hätten, wie man Erwartungen erfüllt, wären sie nicht ausgestoßen worden.«

Robert dachte an Emma, Krücke, Krone und die anderen, Außenseiter, die nirgendwo einen Platz gefunden hatten.

»Du nahmst dich ihrer an«, sagte er.

Catan sah ins Feuer. »In gewisser Weise«, entgegnete er ausweichend. »Es ist eine lange Geschichte, uninteressant für die, die nicht mit den Feinheiten elfischer Politik vertraut sind.«

»Ich bin damit vertraut«, sagte Anne, aber der Elf ging nicht darauf ein.

»Die Ausgestoßenen wurden zu meiner Sippe«, fuhr er fort. »Ich fand diesen Ort für sie, weil sie unter Elfen nicht leben dürfen und unter Menschen nicht leben können. Hier lässt man sie in Ruhe.«

Robert nahm einen Schluck aus dem Becher. Überrascht hob er die Augenbrauen. »Das ist Cola.«

Catan neigte den Kopf. »Ab und zu schicken wir jemanden, der wie ein Mensch aussieht, nach oben. Meine Sippe hat Gefallen an einigen Dingen dieser Welt gefunden. Süßes, prickelndes Wasser gehört dazu und diese Schokoladenplättchen mit der Pfefferminzfüllung.«

»Also selbst diejenigen, die unter Menschen leben könnten, ziehen es vor, hier unten zu bleiben?«, fragte Nadja. Sie rührte mit dem Löffel den Eintopf in ihrem Napf um. Sie hatte ihn in der kurzen Zeit fast aufgegessen. Robert beneidete sie ein wenig. Seit dem Biss konnte er zwar immer noch essen und trinken, aber er tat es nur, um nicht aufzufallen. Je weiter sein menschliches Dasein in der Vergangenheit verblasste, umso mehr verlor er das Interesse daran. Er erkannte, wie etwas schmeckte, ob es salzig war oder süß, bitter oder scharf, doch es war kein Verlangen mehr damit verbunden und immer weniger Genuss.

Und dass ich das ganze Zeug wieder auskotzen muss, damit es nicht in meinem Magen verrottet, steigert die Vorfreude nicht gerade, dachte er, während er in seinem Napf stocherte, ohne zu essen.

Catan überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Einige von uns«, sagte er zögernd, so als müsse er nach den richtigen Worten suchen, »sehen nur ungewöhnlich aus, aber andere sind es. Sie könnten ebenso wenig unter Menschen leben wie ein Krokodil unter Antilopen.«

Nadja stellte den leeren Napf beiseite. »Also sind sie gefährlich?«

Catan lächelte und schwieg.

»Was denn jetzt?«, fragte Anne, als niemand sonst etwas sagte.

Der Elf streckte sich. »Es ist schon spät. Ich habe eine Hütte für euch vorbereiten lassen. Morgen sehen wir weiter.«

»Was soll das heißen?« Robert bemerkte, dass die beiden Elfen, die ihnen das Essen gebracht hatten, wieder näher gekommen waren.

»Dass wir morgen darüber sprechen werden, wie es mit euch weitergeht.« Catan erhob sich. »Bis dahin seid ihr meine Gäste. Gute Nacht.«

Er wandte sich ab. Robert sprang auf, ebenso wie Nadja, doch die beiden Elfen stellten sich ihnen in den Weg. »Catan wünscht heute Nacht nicht mehr gestört zu werden«, sagte der Laubelf. »Ihr solltet seinen Wunsch respektieren.«

Robert hörte die Drohung in seinen Worten. Einige Elfen an den anderen Feuern hoben den Kopf und beobachteten die Auseinandersetzung abwartend.

»Natürlich achten wir seinen Wunsch«, sagte Nadja. Sie wiegte Talamh auf den Armen. »Bitte zeigt uns, wo wir übernachten dürfen.«

Sie handelte richtig, das wusste Robert. Es wäre dumm gewesen, die Elfen gegen sie aufzubringen. So lange sie sich frei bewegen konnten und nicht wie Gefangene, sondern wie Gäste behandelt wurden, hatten sie Handlungsspielraum.

Die beiden Elfen führten sie zu einer Hütte mitten im Dorf. Robert nahm an, dass ihre Bewohner sie geräumt hatten, denn auf einer kleinen Kommode, die an einer der nackten Holzwände stand, lagen eine Bürste und andere persönliche Gegenstände. Die drei Feldbetten waren frisch bezogen, sahen jedoch aus, als stammten sie aus dem Bunkerbereich. Eine Wiege stand unter dem einzigen Fenster. Daneben lag ein Sack mit Stoffwindeln.

Robert bedankte sich bei den Elfen und schloss die Tür hinter sich. Müde lehnte er sich dagegen. Anne schob zwei der Feldbetten zusammen und das dritte näher an die Wiege heran. Nadja, die Talamh vorsichtig hineinlegte, bemerkte das erst, als sie einen Schritt zurücktrat und mit der Kniekehle gegen den Metallrahmen ihres Betts stieß. Sie runzelte die Stirn und sah Anne an.

Oh nein, dachte Robert, als sie den Mund öffnete, aber die Frage, die sie stellte, war nicht die erwartete.

»Wer ist er?«

Anne setzte sich auf das mittlere Bett und begann ihre Schuhe auszuziehen. Nadja hockte sich ihr gegenüber auf die Kante.

»Ich weiß, dass du ihn kennst«, sagte sie. »Man konnte es in seinem Blick sehen und auch in deinem. Also, wer ist er?«

Sie erhielt keine Antwort, genau wie Robert erwartet hatte. Stattdessen schob Anne ruhig die Schuhe unter das Bett und legte sich hin.

»Anne.« Robert setzte sich neben sie. Die Matratze war durchgelegen und weich. »Warum sagst du uns nicht, wer er ist? Niemand will einen Wikipedia-Eintrag über Catans Leben hören, aber ein paar Hinweise, damit wir ihn besser einschätzen können, würden uns allen helfen.«

Er machte eine Pause. »Auch dir. Wenn nur du weißt, was passieren wird, kannst auch nur du richtig reagieren.«

Sie stützte sich auf die Ellenbogen und sah ihn an. Er glaubte, in ihre dunklen Augen zu stürzen, tiefer und tiefer, bis er sich darin verlor. Anne öffnete den Mund. Ihre Lippen glänzten. Er sah ihre Fangzähne und spürte noch einmal den Biss. Unwillkürlich tastete er mit der Hand nach seinem Hals, aber Anne zog sie herunter und nahm sie in ihre eigenen Hände.

»Er ist gefährlich«, sagte sie. »Sehr gefährlich. Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Je schneller wir diesen Ort verlassen, desto besser.«

Sie ließ seine Hand los, drehte sich zur Wand und schloss die Augen. Robert wusste, dass er nicht mehr von ihr erfahren würde.

Er sah Nadja an. »Und nun?«

Sie hob die Schultern. Talamh begann in seiner Wiege leise zu weinen.

*

Ihr Knie schmerzte, der Arm auch. Ihren pochenden Fußknöchel, der mit jedem Schritt mehr wehtat, ignorierte Rian verbissen.

Sie hatte nicht gedacht, dass die Wegstrecke von der ersten Sichtung bis zur Hütte so weit sein würde. Irgendwie hatte das Haus so ausgesehen, als läge es ganz in der Nähe. Doch immer wieder schien noch ein Hügel zwischen dem Giebel und ihnen aufzutauchen, bis Rian sich am liebsten ins Gras geworfen und auf den Getreuen gewartet hätte, damit er sie hier abholte. Sie sehnte sich nach einem großen Glas Wasser, einer Liege, einem Eisbeutel für das Knie.

»David, mach doch keine solche Hektik!«, rief sie ihrem Bruder nach. »Die Hütte läuft uns schon nicht weg.«

»Ist ja gut.« Er ging ein wenig langsamer.

»Ich weiß, du bist ungeduldig, aber das bringt uns keineswegs schneller nach Hause. Komm zu dir, David! Es ist nicht zu ändern, dass du von Nadja getrennt bist. Seien wir lieber froh, dass wir dem Untergang gerade noch entronnen sind. Wir werden schon wieder zusammenfinden. Ein wenig elfische Zuversicht wäre hier angebracht, nicht immer dieser menschliche Trübsinn.«

David zuckte zusammen und warf ihr einen undeutbaren Blick zu, schwieg jedoch. Er blieb auf einem Hügel stehen, und als Rian zu ihm aufschloss, lag die Hütte unter ihr in einer Senke.

Das Haus war mit roten Ziegeln gedeckt, die beinahe bis auf den Boden reichten. Die Giebel des Dachs, der First und der Pfosten davor waren mit kunstvoll verschlungenen geschnitzten Ornamenten aus Holz verziert, einer rötlichen Holzart, die beinahe ein wenig aussah wie Mahagoni. Um dieses prachtvolle Haus gruppierten sich einige kleinere Häuser, die ebenfalls ordentlich, aber nicht so liebevoll ausgestaltet waren. In Gattern hinter den Häusern standen Ziegen; ein Pick-up, der schon bessere Tage gesehen hatte, war vor einem der Häuser geparkt.

Aus dem Inneren des Zentralgebäudes erklang jetzt Gesang.

»Na«, murmelte Rian. »Es gibt Menschen. Und es sieht so aus, als haben sie auch ein Telefon.«

»Wie kommst du darauf?«,

Rian wies auf die Leitungen, die von einem der kleinen Häuser über die Hügel davon führten. »Es gibt Strom«, sagte sie. »Und Handys gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt, zumindest hat Robert mir das erzählt.«

»Wir müssen sehr weit von zu Hause sein«, bemerkte David. »Sieh dir die Schnitzereien an! Ich habe mal vor langer Zeit, als Kind, einen Zauberstab mit ähnlichen Verzierungen gesehen, den ein Bote unserem Vater als Geschenk brachte. Der Mann war sehr groß und überall tätowiert gewesen. Statt Haare wuchsen farbenprächtige Blumen auf seinem Kopf, auch die Füße waren damit bedeckt, und seine Leibesmitte, sodass er keine Kleidung brauchte.«

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