Kitabı oku: «Elfenzeit 7: Sinenomen», sayfa 4

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»Lapui!«, rief Rian und schlug die Hände zusammen. »So hieß er, ich erinnere mich! Er konnte unglaubliche Dinge mit seiner Zunge anstellen, Sachen balancieren und all so was! Ich habe mich zuerst ziemlich vor ihm gefürchtet, aber meine Vögel fühlten sich in seinen Blumen wohl. Er war ein sanfter Riese, also nicht so groß wie Vater, aber doch fast, und nicht so finster … und er wusste viele Geschichten aus …«

»… Puauta«, setzte David fort. »Das Blumenreich!«

Die beiden sahen sich staunend an.

»Himmel«, bemerkte der Prinz dann. »Wir sind wirklich weit fort! Der Getreue hat einen ziemlich schrägen Humor. Wieso schickt er uns ausgerechnet hierher?«

»Falls er es wusste«, bemerkte Rian, »und das steht nicht unbedingt fest, denn bei dem Durcheinander kann er sich auch vertan haben – jedenfalls, wenn es Absicht war, dann will er irgendwas von uns.«

»Oder er nahm an, dass der Weltuntergang nicht bis hierher reichte.«

»Dann erst recht.«

David grübelte. »Weißt du, wie die Menschenseite von Puauta heißt?«

»Keinen blassen Schimmer.«

»Also gehen wir runter und finden es heraus«, schlug David vor.

Der Abhang zu dem kleinen Dorf hinunter war steil und daher für das verletzte Geschwisterpaar nicht leicht zu überwinden.

Unten angekommen blieb Rian für einen Moment keuchend stehen und hielt sich erschöpft an David fest. Er spannte sich schweigend an, um ihr als Stütze zu dienen. Dankbar schöpfte sie Atem, bevor sie gemeinsam auf das Haus zu humpelten.

4.
Wahrheit oder Pflicht

Sie schliefen nicht. Nadja döste ein wenig und wiegte dabei Talamh, Robert lag auf seinem Feldbett, die Arme unter dem Kopf verschränkt und lauschte Annes Atemzügen. Einige Male, als er hörte, wie Nadja sich aufsetzte und ihren Sohn fütterte, war er kurz davor, ihr zu sagen, was mit ihm geschehen war, aber er fand immer einen Grund, es doch nicht zu tun.

Irgendwann wurde es lauter im Dorf. Die Feuer, die über Nacht niedergebrannt waren, wurden wieder entzündet, Elfen bereiteten das Frühstück vor oder trugen volle Wassereimer von einer unterirdischen Quelle zu den Trögen, in denen sich andere wuschen. Robert konnte sie durch das Fenster beobachten.

Er sah auf seine Armbanduhr. Es war elf Uhr, aber auf dem analogen Zifferblatt ließ sich nicht erkennen, ob abends oder morgens gemeint war. In den Höhlen verlor man jegliches Zeitgefühl.

Er schlug die Wolldecke zurück, setzte sich auf und fuhr sich zweimal mit der Hand durch die Haare. Dann strich er sie glatt.

Nadja grinste ihn an. »Katzenwäsche?«

Er grinste zurück. »Besser als mit den Elfen am Trog stehen.«

Neben ihm setzte sich Anne auf. Der Feuerschein, der durch das Fenster fiel, tauchte ihr Gesicht in ein weiches, klares Licht. Ihre Schönheit traf ihn so unvorbereitet, dass er einen Moment nur da saß und sie anstarrte. Sie schien seine Blicke nicht zu bemerken, vielleicht tat sie aber auch nur so. Mit einer fließenden Bewegung erhob sie sich. Das lange Haar fiel ihr über die Schultern.

Erst das Öffnen der Tür riss Robert aus seinen Gedanken. Ein Elf, den er bisher nicht gesehen hatte, stand im Türrahmen. Er hatte lange spitze Ohren und einen Schnabel anstelle eines Mundes.

»Catan wünscht euch zu sprechen«, sagte er klappernd. Dann drehte er sich um und verschwand. Die Tür ließ er offen.

Nadja nahm Talamh aus der Wiege. Sie hatte ihn in eine frische Decke gewickelt.

»Sobald ich die Möglichkeit zur Flucht sehe, werde ich sie ergreifen«, sagte sie. »Ich habe mir den Weg, den wir gekommen sind, eingeprägt.«

Robert nickte und stand auf. »Ich bin dabei.«

Zu seiner Überraschung nickte Anne ebenfalls.

Catan saß an der gleichen Feuerstelle wie am Vorabend. Neben ihm lagen ein Stapel Brennholz und einige kleine Zweige. Er schichtete die Zweige in der Glut auf und pustete hinein, bis erste Flammen am Holz leckten. Als Roberts Schatten über ihn fiel, stand er auf.

»Wir müssen uns unterhalten«, sagte er. Sein Blick fiel auf Talamh, der in Nadjas Armen lag und aus großen Augen die Umgebung betrachtete. »Kommt.«

Er führte sie von den Feuern weg zum Rand des Dorfs. Robert sah einen Tunnel zwischen aufeinander gestapelten Kisten und Holzabfällen. Zwei Elfen folgten ihnen in einigem Abstand und blieben erst stehen, als Catan sie mit einer Geste dazu aufforderte. Sie waren außer Hörweite, beobachteten jedoch alles. Der Laubelf war einer von ihnen, der andere hatte eine schuppige, graue Haut und ging gekrümmt.

Catan verschränkte die Arme vor der Brust. Er war komplett in dunkles Leder gekleidet. Es knarrte bei jeder Bewegung.

»Ich habe einiges über den Elfenkanal erfahren«, sagte er. »Bandorchu hat die Ereignisse auf Island überlebt.«

Anne verzog keine Miene.

»Sie erholt sich in ihrem neuen Schloss in Tara«, fuhr Catan fort. »Fanmór hat ebenfalls überlebt und sich in sein Reich zurückgezogen.«

»Was ist mit dem Getreuen?«, fragte Anne.

»Ich weiß nichts über ihn.«

»Und was ist mit meinen Eltern, und David und Rian?« Nadjas Stimme zitterte.

»Ich habe nicht nach ihnen gefragt. Sie haben keine Bedeutung für mich.« Catans Stimme klang plötzlich kalt und fremd. Jegliche Wärme war daraus verschwunden. »Andere Dinge sind wichtiger, so zum Beispiel, dass Bandorchu ein erhebliches Kopfgeld auf dich ausgesetzt hat.«

»Kopfgeld?« Nadja zuckte zusammen und wich zurück, bis sie gegen einen Kistenstapel stieß.

Catan lächelte. »Ihr Angebot ist wirklich verlockend. Wie du siehst, leben wir hier unten nicht gerade wie Könige. Mit dem Geld könnte ich meiner Sippe vieles ermöglichen.«

Er sah Anne an. »Es ist soviel, dass man es sogar teilen könnte, sollte sich die Gelegenheit ergeben. Ich bin in der Anderswelt nicht mehr willkommen. Wenn ich sie ausliefern wollte, bräuchte ich eine Fürsprecherin, die mir den Weg zu Bandorchu ebnet. Wir gehören zum gleichen Stamm, Anne. Daher halte ich es für angemessen, wenn du mich in dieser Angelegenheit unterstützen würdest.«

Robert traute seinen Augen nicht, als Anne langsam den Kopf neigte. Fassungslos ergriff er ihren Arm, so als könne er mit der Geste ihre Gedanken unterbrechen.

»Du denkst doch nicht etwa ernsthaft darüber nach?«

»Natürlich tu ich das«, entgegnete sie. »Wenn das, was er sagt, der Wahrheit entspricht, dann wäre das Angebot sehr vorteilhaft für ihn. Und es wäre meine Pflicht, ihn zu unterstützen.«

»Wir reden hier über Nadja!« Robert wollte sie schütteln, wollte das Eis aus ihren Gedanken schlagen und die Kälte aus ihrer Stimme. Ein Teil von ihm fragte sich, wie es möglich war, dass er eine Frau liebte, die zu so etwas fähig war.

»Ich bin mir bewusst, über wen wir reden.« Anne löste sich aus seinem Griff. »Aber dir scheint nicht bewusst zu sein, mit wem du redest. Ich bin eine Dämonin, Robert. Nicht Gefühle beherrschen uns oder Elfen, sondern die Gesetze unserer Welten.«

»Aber du fühlst etwas.« Am Rande nahm Robert wahr, dass Nadja sich Stück für Stück näher an den Tunnel heranschob. Catan war abgelenkt, auch die anderen beiden Elfen achteten nur auf die Auseinandersetzung vor ihren Augen. Robert wusste, was er zu tun hatte.

»Du fühlst etwas«, wiederholte er. »Du hast Dinge für mich getan, die riskant waren und dir keinen Vorteil verschafft haben.«

»Ich hatte meine Gründe.«

»Deine Gründe waren Gefühle, verdammt noch mal!« Robert versuchte nicht zu Nadja zu blicken, um sie nicht zu verraten. »Stell dir vor, Bandorchu hätte auf mich ein Kopfgeld ausgesetzt. Würdest du mich ausliefern? Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du das tun würdest. Dann glaube ich dir, dass du nichts fühlst und dass alles, was uns verbindet, nur in meiner Phantasie existiert.«

Anne richtete ihren Blick auf die Wand. In ihren Augen lag ein seltsamer Ausdruck, den er nicht deuten konnte.

Catan seufzte. »Ich würde das gern abkürzen.« Seine Stimme wurde lauter. »Brandubh, Naoghas, nehmt die Menschen gefangen. Tut dem Kind nichts!«

Er drehte den Kopf, doch der Platz, an dem Nadja eben noch gestanden hatte, war leer. Fluchend fuhr er herum, sah sie fast am Eingang des Tunnels stehen.

»Lauf!«, schrie Robert. Er warf sich Catan entgegen. Der Elf wich ihm aus und riss das Knie hoch. Robert glaubte den Schmerz schon zu spüren, doch seine Fäuste schossen vor, so schnell wie seine Gedanken, und hämmerten den Tritt nieder.

Catan stolperte und verzog das Gesicht.

»Brandubh!«, rief er.

Ein Ast schoss an Robert vorbei, wickelte sich um Nadjas Hüften und zog sie zurück in die Höhle. Sie reagierte, legte Talamh auf eine der Kisten und schlug wild auf das Holz ein. Brandubh stemmte sich gegen sie. Der Ast war aus seinem rechten Arm gewachsen. Nun hob er die linke Hand. Eine Liane entrollte sich wie eine Peitsche aus seiner Handfläche.

Robert stieß sich ab. Aus dem Stand überwand er die mehr als drei Meter und prallte mit voller Wucht gegen den Elfen. Der Schwung warf sie beide zu Boden. Nadja schrie auf, als sie gegen einen Kistenstapel geworfen wurde. Sperrholz krachte, Obst zerplatzte. Es roch plötzlich nach Orangen.

Die Peitsche in Brandubhs Hand zuckte auf Robert zu. Kein Mensch hätte den Schlag abfangen können, doch er griff in genau dem richtigen Sekundenbruchteil zu. Die Liane wickelte sich um seinem Arm. Mit einem Ruck riss er sie in der Mitte durch. Grüner Pflanzensaft spritzte über seine Brust. Brandubh begann zu schreien.

Robert rammte ihm den Ellenbogen in den Magen. Etwas knackte laut. Die Schreie verstummten.

Er kam auf die Beine und drehte sich um. Naoghas, der Elf mit der Reptilienhaut, ging auf Nadja zu, die verzweifelt versuchte, sich von dem Ast zu befreien. Catan stand etwas abseits, Anne ebenfalls. Sie wirkte unsicher, so als wüsste sie nicht, auf welcher Seite sie eingreifen sollte.

»Du weißt, was du zu tun hast«, sagte Catan in diesem Moment.

Robert kümmerte sich nicht um ihn. Er musste Nadja helfen. Ein weiteres Mal stieß er sich ab. Seine Muskeln gehorchten jedem seiner Befehle. Seine Fäuste bewegten sich so schnell wie die Gedanken, die sie antrieben. Er fühlte sich unverwundbar, stark und mächtig. Er fühlte sich frei.

Doch dann sah er Nadjas Blick. Sie starrte nicht den Elfen an, der zischelnd und lauernd wie eine Schlange auf sie zuging, sondern Robert. Er sah Entsetzen, Trauer, Wut und – er war sich nicht ganz sicher – etwa Mitleid?

»Ich wollte es dir sagen.« Mit einem Tritt zerbrach er den Ast, der Nadja festhielt. »Wirklich.«

Sie fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht und wich zurück, als Naoghas knurrte. Stacheln schoben sich aus seinen Wangenknochen, Schultern und Ellenbogen.

»Kümmere dich um Talamh«, sagte Robert, als er sich zwischen Nadja und den Elfen stellte. »Ich erledige das.«

Sie kletterte aus den Holzresten heraus, ohne etwas zu sagen. Naoghas sah kurz zu ihr herüber, dann konzentrierte er sich auf Robert. Der winkte ihn heran. »Na, mach schon.«

Der Schlag traf ihn unvermittelt. Etwas schlug mit solcher Macht in seinen Rücken, dass er glaubte, die Wirbelsäule würde zertrümmert. Robert wurde gegen Naoghas geschleudert, entging nur knapp dessen Stacheln.

Er rollte sich herum. Brandubh stand über ihm. Seine Fäuste waren so groß wie Bowlingkugeln und aus dunklem Holz. Sie hingen von Armen herab, die fast bis zum Boden reichten.

»Ich sterbe nicht so schnell«, sagte Brandubh.

»Gut für dich«, erwiderte Robert und trat ihm die Beine unter dem Körper weg. Der Elf konnte sich mit seinen überlangen Armen nicht halten und stürzte. Robert warf sich zur Seite. Einen Augenblick dachte er, Brandubh würde in Naoghas’ Stacheln fallen, aber der Reptilienelf kam bereits wieder auf die Beine. Er wich Roberts nächstem Schlag aus und schlug einen Haken, der ihn zwischen Nadja und Talamh brachte.

Sie griff nach einer der zerbrochenen Kisten und zog einen langen Sperrholzsplitter heraus. Drohend ging sie auf ihn zu. Der Elf blinzelte, als ob er nicht einer Gegenwehr gerechnet hätte.

Catan tauchte plötzlich neben Naoghas auf. Er schien vor Roberts Augen zu verschwimmen. Seine Kleidung löste sich auf, sein Kopf wurde größer, seine Schultern breiter. Seine Hände verwandelten sich in Pranken, sein Mund schob sich vor, wurde zum Maul.

Er ist ein Panther!, erkannte Robert.

Catan überragte ihn um mehr als einen Kopf. Er brüllte, stieß Nadja mit einer Pranke zur Seite und griff nach Talamh. Der Junge begann zu weinen. Catan packte ihn und jagte mit katzenhafter Schnelligkeit in den Gang hinein.

»Nein!«, schrie Nadja. Sie kam vom Boden hoch, den Splitter immer noch in der Hand. Naoghas versperrte ihr den Weg. Sie schlug nach ihm, aber er wich aus.

Brandubh nutzte Roberts Unaufmerksamkeit und kam ebenfalls hoch. Seine Arme verwandelten sich in ein Geflecht aus Dornen und Zweigen. Es hüllte ihn ein wie ein Kokon.

Er will den Eingang des Tunnels versperren, begriff Robert. Er warf sich gegen ihn, aber die Dornen rissen seine Haut auf und die Zweige federten den Aufprall ab. Brandubh stolperte noch nicht einmal.

Robert sah zu Nadja. Naoghas schien mit ihr zu spielen. Er trieb sie zurück, ließ sie kommen, wich ihren Stichen aus und setzte wieder nach. Sie war verzweifelt, kam aber nicht an ihm vorbei.

Als Anne hinter ihm auftauchte, blinzelte Robert nervös. Er befürchtete, sie wolle auf Naoghas’ Seite in den Kampf eingreifen, um ihre Verpflichtung doch noch zu erfüllen.

Was mache ich nur?, fragte er sich, als sie zu einer Bewegung ansetzte, und dann presste sie die Hände gegen den Kopf des Elfen und brach ihm mit einem Ruck das Genick.

»Wir rauben keine Kinder, und erst recht keine Neugeborenen«, sagte Anne laut. Dann sah sie Nadja an. »Folge Catan. Wir kümmern uns um den Rest.«

Nadja ließ den Splitter fallen und verschwand in der Dunkelheit des Tunnels.

Brandubh drehte sich, schien zu bemerken, dass er allein war. Robert näherte sich ihm von der einen Seite, Anne von der anderen.

»Oh«, sagte der Elf.

Nadja rannte durch den dunklen Tunnel. Die Schreie ihres Sohns hallten von den Wänden wider. Sie zerrissen ihr das Herz.

Der Boden war so uneben, dass Nadja immer wieder stolperte, aber sie wurde nicht langsamer. Die Sorge um Talamh trieb sie voran, löschte jeden anderen Gedanken in ihrem Kopf aus, sogar den an Roberts Verwandlung. Später, wenn ihr Sohn wieder bei ihr war, würde sie darüber nachdenken. Und Talamh würde zu ihr zurückkehren, daran klammerte sie sich. Eine Alternative gab es nicht,

Ein waberndes Licht erhellte den Tunnel vor ihr. Eine dunkle Gestalt bewegte sich darin, begann ein Portal zu erschaffen. Ihr Schatten zuckte über den Boden. Nadja rannte auf sie zu.

»Catan!«, schrie sie. »Warte!«

Der Elf drehte sich um. Seine gelben Katzenaugen leuchteten. Er hielt Talamh im Arm und strich mit einer Pranke langsam über seinen Kopf. Nadja verstand die Drohung. Abrupt blieb sie stehen. Catan war weniger als zwei Meter entfernt.

»Komm nicht näher«, sagte er.

»Bitte tu ihm nichts.« Der Klang ihrer Stimme schien Talamh zu beruhigen. Er hörte auf zu schreien.

Catan warf einen Blick auf das Portal, das neben ihm entstand. Es sah aus, als schwänge eine Tür langsam auf. Licht drang durch den größer werdenden Schlitz. Wenn Catan mit Talamh durch das Portal ging, war alles vorbei, das war Nadja klar.

»Ich komme mit dir«, stieß sie atemlos hervor. »Gib Talamh frei, dann ergebe ich mich Bandorchu. Ich werde nicht versuchen zu fliehen, du hast mein Wort.«

»Das Wort einer verzweifelten Mutter.« Catan zog die Lefzen hoch. Seine Reißzähne glitzerten feucht. »Du würdest es bei der ersten Gelegenheit brechen, um zu deinem Sohn zurückzukehren.«

»Das würde ich …«

Er unterbrach sie mit einer Geste. Sein Blick glitt an Nadja vorbei in den Tunnel hinein. Er schien etwas zu hören.

»Ich bin kein grausamer Mann«, sagte er dann. »Ich werde dich nicht bitten und betteln lassen. Talamh kommt mit mir, denn ich habe für ihn ein weitaus besseres Angebot als für dich bekommen. Das ist die Wahrheit.«

Er wandte sich dem Portal zu.

»Nein!« Nadja warf sich auf ihn, aber er war schnell, viel zu schnell. Ihre Fingerspitzen strichen noch über Fell, dann war er schon mit einem Sprung im Portal verschwunden.

»Nein …« Nadjas Beine knickten unter ihr ein. Sie sackte auf den Lehmboden, starrte wie betäubt auf das Portal in der Tunnelwand.

»Nadja!« Robert tauchte plötzlich neben ihr auf. Seine Jacke war zerrissen, blutige Striemen bedeckten seine Hände. Anne lief an ihm vorbei, ergriff zuerst seinen Arm, dann Nadjas, riss sie mit einem schmerzhaften Ruck vom Boden hoch. Der Schwung trieb Nadja auf das Portal zu – und hindurch.

5.
Wo Milch und Honig fließen

Jimmy Raunga Roimata langweilte sich.

Diese wöchentlichen Versammlungen nervten ihn. Nicht genug, dass er im Internat in New Plymouth schon immer die morgendlichen Zusammenkünfte abreißen musste – nein, sein Großvater erwartete sogar am Wochenende von ihm, dass er dabeisaß und mit der Gemeinde nicht nur den Gottesdienst, sondern auch die Angelegenheiten durchsprach, die für das Zusammenleben in Pukearuhe eine Rolle spielten und insoweit für den Ngati-Tama-Stamm von Bedeutung waren.

Der Sechzehnjährige wäre viel lieber surfen gegangen. Um diese Jahreszeit war das Wetter dafür ideal. Und heute schien auch noch die Sonne. Er konnte den Impuls, aufzuspringen, sich den Pick-up seines Onkels zu schnappen und damit an den Strand zu fahren – möglichst weit weg von Pukearuhe –, kaum unterdrücken.

Jimmy versuchte, sich etwas bequemer hinzusetzen und gab sich dabei kaum Mühe leise zu sein, doch seine Großtante, die Ehefrau des ariki, des Oberhaupts des Stammes und ihrer Würde sehr wohl bewusst, stieß ihn heftig von der Seite an.

Mit einem mauligen Stöhnen setzte Jimmy sich geräuschvoll auf. Glücklicherweise begann die Gemeinde jetzt mehr schief als schön das letzte Lied des von Brauchtum durchsetzten Gottesdienstes zu singen, die Nationalhymne. Jimmy fiel automatisch mit ein, denn er musste jeden Morgen nach dem Frühstück die Hymne anstimmen. Auch das verlangte Tamati Waka Nene von seinen Untertanen, denn er war nicht nur das Oberhaupt des Ngati-Tama-Stamms, sondern auch der tohunga, der Schamane.

Der Sechzehnjährige warf einen vorsichtigen Blick auf seine Tante Whetu, die als Frau des ariki so etwas wie die oberste Sittenwächterin war und vor ihm saß. Als er sah, dass sie ihre Augen andächtig auf ihren Gatten gerichtet hatte, der neben dem tohunga vorn stand und soeben anfing, die weltlicheren Dinge anzusprechen, die in der kleinen Gemeinde eine Rolle spielten, rutschte er wieder tiefer in die Bank. Diesmal bemühte er sich, weniger Lärm zu machen.

Jimmy hielt nichts von dem Budenzauber, wie er das nannte, den sein Großvater allsonntäglich zusammen mit seinem Bruder, dem ariki, im Versammlungshaus, dem whare hui, abhielt. Am liebsten wäre er wieder ins Internat zurückgegangen, auch wenn er sich dort langweilte. Seine Mitschüler waren bis auf ein paar coole Typen einfach nur blöd. Aber mit denen, mit Trevor, Kuri und Adam, hätte er wenigstens surfen gehen können. Eins wusste er genau – sobald er achtzehn war, würde er nach Wellington abhauen. Er, Trevor und Adam wollten am dortigen College Informatik studieren. Nur noch siebzehn Monate, die kriege ich auch noch rum, dachte er, während er sich auf einen strengen Blick von Tante Whetu hin widerwillig aufrecht hinsetzte. Der formelle Teil der sonntäglichen Versammlung war vorbei, jetzt wurde diskutiert. Onkel Tearoa sortierte seine Abrechnungen und rückte wie immer seine Brille zurecht, während er referierte, was wohl die neuen Zäune kosten würden und die Reparatur der Stromleitungen. Es wurde besprochen, wie groß die Feier zur Taufe von Cousine Huhanas Baby ausfallen würde und – zu guter Letzt – wen Tamati Waka Nene als seinen Nachfolger auswählen würde. Natürlich war es Großmutter Maata, die das Thema ansprach. Auch das war jeden Sonntag dasselbe.

Jimmy wusste, dass er die Nachfolge antreten müsste, und deshalb hörte er gar nicht hin. Jeden Sonntag hier zu stehen und über Zaunreparaturen zu reden, gehörte nicht zu seinen Zukunftsplänen. Sollte doch Bill Mokau, sein Cousin und der jüngere Bruder von Huhana, das übernehmen. Oder Jimmys ältere Schwester Mahine, der hätte das gefallen. Sie war Krankenschwester in Inglewood, vier Jahre älter als er und kannte all die Sagen und Legenden auswendig, die Großmutter Maata immer vor dem Einschlafen erzählt hatte.

Doch er war der älteste männliche Enkel und sein Großvater hatte sich bis jetzt nicht damit arrangieren können, seine Würde als tohunga einer Frau zu übergeben. Jimmy war allerdings fest entschlossen, auf diesen ganzen andersweltlichen Unsinn aus Sagen und Märchen zu verzichten. Er wusste, in Wellington oder Auckland wurden Computerexperten gesucht, und er kannte sich ein wenig mit Spieleentwicklung aus. Was gab es hier in Pukearuhe denn schon anderes zu tun, als abends World of Warcraft zu spielen oder eigene kleine Spiele zu schreiben? Und wenn es in Wellington nichts damit wurde, dann konnte er immer noch nach Sydney gehen.

Da war wenigstens was los, im Gegensatz zu seinem Heimatdorf, wo man abends die paar Bürgersteige, die es gab, hochklappte, weil angeblich Erdgeister umgingen.

Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, einmal vor der Gemeinde im Versammlungsraum zu stehen und die jährlichen Rituale im September zu vollziehen. Jimmy hielt das für rückständig. Keiner wollte doch heutzutage mehr wissen, ob in irgendeiner uralten Zeit, die keinerlei Rolle mehr spielte, eine Handvoll Maori auf einem wackligen Einbaum-Ausleger ausgerechnet bei Pukearuhe an Land gegangen war.

Und ihn interessierte auch nicht, dass unter seinen Vorfahren der berühmte Te Rangi Hiroa gewesen war und er – wie sein Großvater nicht müde wurde, zu betonen – gefälligst dessen Erbe würdig anzutreten habe. Angeödet drückte Jimmy sein Knie an die Rücklehne der Bank vor ihm, rutschte noch ein wenig tiefer und legte den Kopf in den Nacken, um die Schnitzereien am Dachfirst zu betrachten. Auch wenn er die Muster längst auswendig kannte. Wie viele Sonntage habe ich schon auf diese Art verschwendet?, fragte er sich und fand es auf einmal interessant, sie zu zählen. Es müsste so ziemlich jeder Sonntag gewesen sein, seit er auf der Welt war, also …

In diesem Moment geschah etwas Unvorhergesehenes, das Jimmy Roimata davor bewahrte, sich an jeden langweiligen Sonntag seines Lebens zu erinnern.

Es pochte laut an der Tür zum Gemeinde-Saal, mitten in die Abrechnung von Onkel Tearoa hinein.

*

Nadja rutschte auf Gras aus und taumelte. Grelles Sonnenlicht blendete sie. Ihr schossen Tränen in die Augen. Verschwommen sah sie den Panther, der mit langen Sprüngen zwischen den Hügeln verschwand. Eine Brise verwehte Talamhs Schreie.

Nadja wollte ihm folgen, aber Anne hielt sie immer noch fest.

»Er ist schneller als du«, sagte die Muse. »Du wirst ihn nicht einholen.«

»Er hat Talamh!« Nadja riss sich los. »Ich werde ihn finden, und du wirst mich nicht …«

Anne unterbrach sie. »Ich weiß, wohin Catan deinen Sohn bringen wird.« Sie streckte den Arm aus und zeigte auf einen Punkt hinter den Hügeln. »Dorthin.«

Nadja schirmte ihre Augen mit einer Hand ab und folgte der Geste. Sie standen in einem kleinen Tal zwischen einigen Hügeln. Gras bedeckte den sandigen Boden, irgendwo plätscherte ein Bach. Es war warm und trocken.

Der Punkt, auf den Anne zeigte, lag weit jenseits der Hügel. Es war ein Berg, der mächtig und grau in den Himmel aufragte. Nadja konnte seine Höhe nicht schätzen, aber der obere Teil war schneebedeckt und von Wolken umgeben. Der Gipfel fehlte, so als habe eine gewaltige Macht ihn weggesprengt und nur einen Krater hinterlassen.

Nadja kannte Bilder des Bergs, trotzdem zögerte sie, bevor sie seinen Namen aussprach. »Der … Olymp?«

Anne nickte. »So nennen ihn viele.«

Robert trat neben sie. Er richtete seinen Blick nicht auf den Berg, sondern auf eine Herde Dromedare, die in einiger Entfernung durch das Tal zog. Sie fraßen Gras und Blumen, die so gelb waren, dass sie zu leuchten schienen.

»Sind wir in der Anderswelt?«, fragte Robert, während er sich ins Gras hockte und mit der Hand über die Halme strich. »Alles ist so viel klarer als bei uns.«

Nadja wusste, dass sie nicht dort waren, sonst hätte sie über dem Boden geschwebt.

»Das ist nicht die Anderswelt.« Anne seufzte. »Jedenfalls nicht ganz.«

Sie sah sich um. »Wir befinden uns zwar in einer Sphäre der Anderswelt, aber was ihr hier seht, ist ein Traum, eine Vision, eine Welt innerhalb einer Welt.«

»Heißt das, sie ist nicht real?«, fragte Nadja.

»Wir sind darin, also ist sie real«, sagte Anne. Sie warf einen Blick in den makellos blauen Himmel. »In der Menschenwelt ist sie nur ein Traum. Ihr kennt sie vielleicht als das Reich des Priesterkönigs Johannes.«

Robert stand auf. »Die Legende aus dem Mittelalter? Natürlich kenne ich die. Sie stammt aus …«

»Können wir weiterreden, während wir gehen?«, unterbrach ihn Nadja. Seit sie wusste, was er war, brachte sie es nicht mehr über sich, Robert anzusehen.

»Natürlich.« Er wischte sich die Hände an der Hose ab. Die Wunden, die von Dornen und Zweigen gerissen worden waren, verheilten bereits.

»Sie stammt aus dem zwölften Jahrhundert«, fuhr er fort, als sie den Hügel hinaufgingen. Die Dromedare im Tal hoben kurz die Köpfe, als der Wind Roberts Stimme zu ihnen hinüber trug, grasten dann jedoch weiter. »Es begann mit Gerüchten über eine großes christliche Domäne im Osten. Dann tauchte ein Brief auf, in dem jemand, der sich Presbyter Johannes nannte, von diesem seinem Reich erzählte. Es sollte sich von Indien bis zum Sonnenuntergang erstrecken und über immense Reichtümer und wundersame Bewohner verfügen. Die Quelle der Unsterblichkeit vermutete man dort.«

Nadja wurde hellhörig. Die Geschichte des Priesterkönigs war ihr nicht fremd, aber sie hatte sich nie damit beschäftigt. Robert anscheinend schon.

»Mehrere Päpste rüsteten Expeditionen aus, um das Reich des Johannes zu finden«, erzählte Robert weiter. Er klang aufgeregt. »Keine hatte Erfolg. Man vermutete es in Indien, Afrika, China. Sogar Marco Polo suchte danach. Irgendwann erklärte man den Brief zur Fälschung und Priesterkönig Johannes zu einem Mythos.«

Er sah Anne an. »Aber er war kein Mythos, oder?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber er war auch nicht Priesterkönig Johannes. Diesen Namen nahm er erst an, nachdem er in der Menschenwelt so genannt wurde. Ich war damals seine Muse und half ihm bei der Erschaffung des Reichs.«

»Wer war er?«, fragte Robert.

»Ich weiß es nicht. Mir fehlt die Erinnerung an seine Identität.«

Immer dasselbe, dachte Nadja frustriert. Jede Antwort, die Anne ihnen gab, warf weitere Fragen auf, die sie nicht beantworten konnte oder wollte. Robert schien sich damit zufriedenzugeben, denn er nickte nur und ging weiter den Hügel hinauf.

Die Pranken des Panthers hatten tiefe Spuren im sandigen Boden hinterlassen. Sonnenstrahlen brachen sich in kleinen Steinen, die verstreut im Gras lagen. Nadja bückte sich und hob einen von ihnen auf. Es war ein Smaragd, so groß wie ein Daumennagel.

»Nett«, sagte Robert. »Wir hätten ein paar Taschen mitnehmen sollen.«

»Hier ist jeder reich«, erklärte Anne. »Niemand muss hungern, es gibt keine Armut. Das war eines der Dinge, die dem König bei der Erschaffung seines Reichs sehr wichtig war. Daran kann ich mich noch erinnern. Er wollte über ein Paradies herrschen, in dem niemandem etwas fehlte.«

Nadja ließ den Smaragd fallen. Sie hatten die Hügelkuppe fast erreicht. »Wenn niemandem etwas fehlt«, sagte sie, »was wollen sie dann mit meinem Sohn?«

»Nicht sie«, widersprach Anne, »er. Bei allem Reichtum: ein Kopfgeld, höher als das von Bandorchu, kann sich auch hier nur der König leisten.«

»Und ich weiß, was er will«, sagte Robert. Er stand bereits auf der Kuppe und blickte über das Land, das vor ihm lag. Nadja überwand die letzten Meter und trat neben ihn. Überrascht stieß sie den Atem aus.

Die Hügel fielen sanft hinab bis zu einer Ebene, die in der Sonne glitzerte. Nadja sah Bäume, die kahle Äste in den Himmel streckten und gelb verdorrtes Gras. Gewaltige Staubwolken wehten durch die Weite. In der Ferne stieg Rauch auf. Skelette lagen zwischen Diamanten und trockenem braunen Laub. Einige wirkten menschlich, andere animalisch, manche einfach nur fremd. Ein verrostetes Schwert steckte im Boden, daneben lag ein Helm.

Robert griff nach dem Schwert, aber es zerfiel in seiner Hand. Rost rieselte zwischen seinen Fingern hindurch.

»Die Zeit hat das Paradies erreicht.«

Sie erreichten die Ebene, als es dunkel wurde. Anne entdeckte einen kleinen Fluss mit kristallklarem Wasser. Sie trank zuerst daraus und bat Nadja, beim Trinken an etwas zu denken, das sie gern essen würde. Robert grinste, als Nadja den ersten Schluck Wasser ausspuckte, dann aber vorsichtig ein zweites Mal trank.

»Wasser, das nach Chili con carne schmeckt, ist etwas gewöhnungsbedürftig«, sagte sie und stand auf.

Er lachte. »Bist du satt geworden?«

»Ja, aber vielleicht hole ich mir gleich noch einen Nachschlag. Was willst du?«

»Danke, ich brauche nichts.« Er sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck änderte. Einen Moment lang hatte sie wohl vergessen, was er war.

»Nadja.«

Sie schüttelte den Kopf und setzte sich einige Meter entfernt auf einen Felsen. Robert seufzte leise. Er zuckte zusammen, als Anne ihre Hand auf seinen Rücken legte.

»Ihr werdet nie wieder Freunde sein«, sagte Anne. Bei einem Menschen hätte das grausam geklungen, bei ihr klang es wie eine Tatsache. »Sie wird in dir immer den Vampir sehen. Sie kann dir nicht mehr vertrauen, und ohne Vertrauen gibt es keine Freundschaft:«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir vertraue, dachte Robert, aber trotzdem liebe ich dich. Erkläre mir das.

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