Kitabı oku: «Die Musik der Sprache», sayfa 3

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1.3 Notation von Prosodie und Musik

Stilisierte Intonationskurven wie die oben von Bänzinger et al. angesprochenen, werden heute in Form von Diagrammen dargestellt. Bei diesen Autoren sind die beiden Diagrammachsen den Parametern Tonhöhe (y-Achse) und zeitlicher Verlauf (x-Achse) zugeordnet. Die einzelnen Punktwerte sind mit einer durchgängigen Linie derart verbunden, dass eine Kurve entsteht, die an eine melodische, in einer Partitur notierte melodische Linienführung erinnert (in der man sich ebenfalls die Notenköpfe durch eine Linie verbunden vorstellt), und in der die fünf Notenlinien vertikal den Tonhöhen entsprechen und horizontal den zeitlichen Verlauf wiedergeben. Dies ist nicht etwa ein ausschließlich auf moderne Gewohnheiten zurückgehender Eindruck eines Betrachters oder einer Betrachterin des 21. Jahrhunderts: Die Möglichkeiten der musikalischen Notation faszinierten die französischen Sprachtheoretiker bereits seit Langem. Besonders in den Bereichen Intonation und Melodie bildete die musikalische Partitur jahrhundertelang ein dankbares Medium für die Visualisierung von Höreindrücken, deren Vorteil zweifellos war, dass ein großer Teil der Bevölkerung (zumindest derjenige, der auch in der Lage war, Grammatiken und phonetische Texte zu lesen) sie beherrschte und zu entziffern verstand. Heutige Leser, Leserinnen, Forschern und Forscherinnen sind hier gegenüber den Zeitgenossen und Zeitgenossinnen der Autoren vergangener Jahrhunderte im Nachteil: Die jeweils gewählte Darstellung erschließt sich oft nur dann vollständig, wenn man die Notationsgewohnheiten der jeweiligen musikalischen Epoche und die dort vorherrschende Musikästhetik gut kennt.

Verwendung einer traditionellen Partitur

Zum Thema Intonation können zwei Notationsstränge unterschieden werden. Der Erste verwendet eine tatsächliche Partitur mit fünf Notenlinien, Noten mit Köpfen und Hälsen (oder notenähnlichen Figuren), sowie mit einem Notenschlüssel. Letzterer ermöglicht durch die Angabe realer Bezugstöne die Bestimmung der jeweiligen Tonhöhe und der Stimmlage der sprechenden Person.1 Rhythmische Details sind dabei, je nach Autor, mehr oder weniger relevant.

Ein bekanntes Beispiel für diesen Typ bilden – für das Französische – die Transkriptionen von Iván FónagyFónagy, Ivan und Klara MagdicsMagdics, Klara (1963). Tonhöhen und –dauer sind hier so in einem traditionellen Notensystem notiert, dass ein direkter melodischer Vergleich von Sprache und Vokalmusik möglich wird. Jeder Silbe entspricht eine genau festgelegte Note. Die gewählten Notenwerte (hauptsächlich Achtel und Sechzehntel) entsprechen nach dem heutigen Code einem schnellen Grundtempo. Dieses Tempo ist zu Beginn des Notenbeispiels durch eine Metronomangabe genau spezifiziert. Akzentzeichen ( > ) markieren die hervorgehobenen Silben (vgl. Bsp. 2).

Die Notationsmethode von Félix KahnKahn, Félix übernimmt Elemente, wie sie die Komponisten zeitgenössischer Musik vorsehen, um die gewünschten Details so genau wie möglich unter Beibehaltung der grundsätzlichen Elemente des traditionellen Notensystems zu notieren (vgl. Bsp. 3). KahnKahn, Félix verwendet ein System mit fünf Linien, verzichtet aber auf einen Notenschlüssel. Jeder Silbe des zunächst in normaler Orthographie sowie in einer zweiten Reihe in Lautschrift notierten Textes sind ein oder, bei Bedarf, mehrere notenkopfähnliche schwarz ausgefüllte Kreise zugeordnet. Die unterschiedliche Größe dieser Kreise gibt eine minimale Längung (großer Kreis) oder Kürzung (kleiner Kreis) im Verhältnis zur mittleren Dauer eines Klanges (mittlerer Kreis, wie eine gewöhnliche Viertelnote) an. Ein + (höher) oder ein – (tiefer) Zeichen vor der Note dient zur Angabe der Tonhöhe in Vierteltongenauigkeit.2 Die notierte Tonhöhe entspricht so genau wie möglich der reellen Frequenz des Vokals zum Zeitpunkt seiner höchsten Intensität.3

Auch wenn die musikalischen Beispiele, die Louis MeigretMeigret, Louis in seiner Grammatik von 1530 wählt (vgl. Bsp. 4), scheinbar eine analoge Lesart erlauben, so haben doch verschiedene neuere Studien gezeigt, dass sich die von ihm gewählte Notationsform nur auf der Basis der in der Renaissance üblichen Notation musikalischer Werke verstehen lässt.4 Nur zwei Tonhöhen alternieren in jedem Beispiel. Die jeweils höhere Note wird heute unterschiedlich entweder als melodischer Akzent interpretiert (eine Lesart, die dem Notenbeispiel eine direkte visuelle Abbildungskraft zuspricht), oder aber, globaler, als Akzent, der durch verschiedene Parameter (Tonhöhe, -dauer und Intensität) realisiert werden kann. Die den späteren Taktstrichen entsprechenden Längsbalken in den Notenbeispielen MeigretMeigret, Louiss zeigen bei dem Grammatiker noch keine metrischen Betonungsmuster an, sondern teilen den unterlegten Text in grammatikalische Einheiten (wie „Les Constantineopoliteins“, „en sa conservation“). Die verschiedenen gewählten Schlüssel bringen möglicherweise durch eine abweichende Grundtonhöhe einen emotionalen Hintergrund zum Ausdruck und haben damit eine semantische Funktion (Schweitzer, 2022).

Wenn die kleinen (schnellen) Notenwerte bei Ivan FónagyFónagy, Ivan und Klara MagdicsMagdics, Klara – und auch per Assoziation an die Viertelnote bei Félix KahnKahn, Félix – für heutige Leser und Leserinnen ein schnelles Tempo assoziieren, so ist dies bei dem (einzigen), von MeigretMeigret, Louis gewählten Wert, die der heutigen Halben Note ähnelnden Minima, nicht unbedingt der Fall. Die Renaissance verwendet als Basis die sogenannte notation blanche, das heißt weiße, nicht geschwärzte Notenköpfe (vgl. Bsp. 5). Von ca. 1485 bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ist die Semibrevis der rhythmische Bezugswert. Wenn sie im Aussehen auch an unsere heutige Ganze Note erinnert, so entspricht das mit ihr verbundene Tempogefühl eher dem einer Viertelnote. Die Minima (die im Aussehen an die heutige Halbe Note erinnert) ist damit bereits ein schneller Notenwert (und vergleichbar mit der Achtelnote in moderner Notation).5 Der Blick in die 42 den Amours von Pierre de RonsardRonsard, Pierre de in den Ausgaben von 1552 und 1553 angefügten Vertonungen verschiedener Komponisten6 zeigt, dass trotz der selbstverständlichen Verwendung verschiedener Notenwerte in allen Kompositionen die Minima oder Halbe Note als Basisnotenwert für das Gerüst gewählt ist. Semiminima (Viertel) entsprechen kurzen ornamentalen Melismen, und Semibrevis (Ganze Noten) Kadenzen und Zielnoten. MeigretMeigret, Louis verwendet hier denselben „Notationscode“ wie die Komponisten, die mit den Autoren der im Jahre 1570 gegründeten Académie de poésie et de musique zusammenarbeiteten (vgl. Bsp. 6).

Jede musikalische Stilepoche bietet damit den Sprachtheoretikern eigene, im Großen und Ganzen vergleichbare, aber im Detail doch differenzierbare Möglichkeiten, prosodische Parameter mit den Mitteln der üblicherweise verwendeten Partitur zu visualisieren.

Stilisierte Formen

Eine zweite Gruppe von Abbildungen nutzt ebenfalls das musikalische System, verzichtet aber auf Notenzeichen. Dieses Verfahren haben in Frankreich die ersten Phonetiker des 19. Jahrhunderts entdeckt und genutzt, um entweder extrem genaue Angaben machen zu können (RousselotRousselot, Jean-Pierre, 1897; RoudetRoudet, Léonce, 1899; vgl. Bsp. 7), oder aber, in einer freieren Auslegung (Linie anstelle von Notenköpfen), um den kontinuierlichen Verlauf der Sprachmelodie zu akzentuieren (MarichelleMarichelle, Hector, 1897, vgl. auch Bsp. 8).

Im ersten Fall ist das traditionelle Notensystem an die Bedürfnisse der Phonetiker angepasst. Bei RousselotRousselot, Jean-Pierre entspricht jede Linie des Systems (und damit auch jeder Zwischenraum) einem Halbton, und nicht etwa einer festgelegten Folge von Ganz- und Halbtönen. Diese Änderung ermöglicht sicherlich das Lesen des Schemas für musikalische Laien, sie hat aber auch in besonderer Weise Einfluss auf den entstehenden Verlauf der melodischen Linie, die nunmehr die realen akustischen Vorgänge direkt, ohne Umweg über die Musiktheorie (das heißt, zumindest die Kenntnis der diatonischen Tonleiter), abbildet.

Bei Léonce RoudetRoudet, Léonce wie auch bei RousselotRousselot, Jean-Pierre sind die experimental gewonnenen Tonhöhen pro Silbe oder Phonem mittels einer mehr oder weniger gerundeten Linie verbunden. Der optische Eindruck ist der einer kontinuierlichen Stimmgebung, wobei die Tonhöhenentwicklung gewissermaßen stufenweise von einer Note zur nächsten erfolgt. Hector MarichelleMarichelle, Hector dagegen verzichtet auf die Angabe einzelner Tonhöhen. Seine Transkription in Form von durchgängigen Kurven hat zum Ziel, auf die kontinuierlichen und glissandoartigen (gleitenden) Intonationsvariationen hinzuweisen, die laut MarichelleMarichelle, Hector typisch für die Sprechstimme sind, und damit ein Unterscheidungsmerkmal von Sprache und Gesang (Musik) bilden.1 Trotz dieses nunmehr klar herausgearbeiteten Unterschieds von Sprache und Gesang bleibt MarichelleMarichelle, Hector dem Notensystem treu: Es bildet weiterhin einen festen Bezugspunkt, und selbst der Notenschlüssel ist bei ihm vorhanden.2

Der das graphische System in Ganz- und Halbtöne einteilende Notenschlüssel verschwindet in dem bekannten, von Pierre DelattreDelattre, Pierre (1966) gewählten System, das trotz der Reduzierung von fünf auf vier Linien deutlich an die musikalische Partitur erinnert. Bei DelattreDelattre, Pierre dienen die in dieses System gezeichneten Kurven der Schematisierung der zehn hauptsächlichen, im Französischen gebräuchlichen Intonationsmuster (siehe Tabelle 2).


Niveau 2 - 4+ Entscheidungsfrage Question
Niveau 2 - 4 Integrierende Weiterweisung Continuation majeure
Niveau 2 - 4_ Implikatur Implication
Niveau 2 - 3 Nicht-integrierende Weiterweisung Continuation mineure
Niveau 4 - 4 Hohe Nichtverweisung Écho
Niveau 1 - 1 Tiefe Nichtverweisung Parenthèse
Niveau 2 - 1 Aussage Finalité
Niveau 4 - 1 Ergänzungsfrage Interrogation
Niveau 4 - 1 Befehl Commandement
Niveau 4 - 1 Ausruf Exclamation

Tabelle 2:

Die 10 Basis-Intonationen des Französischen nach Pierre DelattreDelattre, Pierre (1966). Deutsche Übersetzung nach Wunderli (1981)

Ergänzungsfrage, Befehl und Ausruf durchschreiten dieselben Niveaustufen (4–1), haben aber verschieden ausgeprägte Melodieverläufe (vgl. Bsp. 9a). Die vier Linien entsprechen bei DelattreDelattre, Pierre nicht mehr bestimmten Einzeltonhöhen, sondern Sprechniveaus. Sie bieten weiterhin einen Bezugspunkt und helfen beispielsweise, ähnliche Melodieformen, wie etwa die Aussage (abfallend von Niveau 2 auf Niveau 1) vom Ausruf (abfallend von Niveau 4 auf Niveau 1) zu unterscheiden (vgl. Bsp. 9b). Es handelt sich damit um eine „kombinierte Kontur-Niveau-Darstellung“ (Wunderli, 1981). Der visualisierte prosodische Parameter ist vor allem intonatorischer Natur.

Die melodische Bewegung der von DelattreDelattre, Pierre stilisierten Intonationsfloskeln ist auf den ersten Blick verständlich und interpretierbar. So entsprechen zum Beispiel in der Folge „Jean-Marie/va manger? malgré tout?“ sowohl die erste als auch die zweite Einheit („Jean-Marie/va manger?“) Aufwärtsbewegungen, während die dritte Einheit („malgré tout?“) auf einem hohen Niveau beharrt. Damit ist der melodische Verlauf annäherungsweise vorstellbar. Das genaue Studium zeigt anhand der Formen und angegebenen Sprechniveaus, dass es sich zunächst um eine continuation mineure oder nicht-integrierende Weiterweisung (2–3) handelt, die im Text durch den Slash ( / ) verdeutlicht ist. Das zweite und dritte Element sind durch eine continuation majeure oder integrierende Weiterweisung (2–4) verbunden und die Folge schließt mit einer hohen Nichtverweisung (écho, 4–4).3

Wenn die Diagramme und Schaubilder, wie sie die gängigen Programme wie Praat, Prosogramme, Winpitch oder ToBI zur Analyse von Grundfrequenz und Intonation generieren, auch deutlich an Abstraktion gewonnen haben, so bleibt doch die Assoziation einer Tonfolge, wie sie in einer musikalischen Partitur dargestellt wird, lebendig.4 Sie kommt übrigens automatisch zum Einsatz, wenn die generierten Skripte, wie von Jörg Mayer (2017) gefordert, mit dem Höreindruck verglichen werden („Stimmt der Höreindruck (steigender/fallender/gleichbleibender Stimmton) mit der ermittelten F0-Kontur überein?“ Mayer, 2017: 93).

2 Sprache und Musik: Ästhetische Wandel im Laufe der Jahrhunderte

Wenn wir heute die Musik verschiedener Jahrhunderte hören oder praktizieren, so entdecken wir, dass jede Epoche und jeder Stil eine eigene Ausdrucksweise haben, von denen jede unser neuronales Netz auf eine andere Art angeregt. Die Musik ist von den Komponisten nicht als eine kognitive Stimulation konzipiert worden, aber sie wird ganz natürlich zu einer solchen, da sie Gefühle mobilisiert, so Emmanuel BigandBigand, Emmanuel und Barbara TillmannTillmann, Barbara (2020).1

Wir kennen Musikgattungen, in denen Rhythmus und Akzentuation wichtige Bezugspunkte bilden, zum Beispiel durch die Hierarchie der Taktzeiten in Barock und Klassik, aber auch im modernen Rap. Andere Gattungen wie das romantische Lied sind weitaus mehr von Melodie und Phrasierung bestimmt oder spielen vorrangig mit stimmlichen Klangfarben oder der Nähe und den möglichen gleitenden Übergängen zwischen Sprech- und Gesangsstimme. Dies ist beispielsweise der Fall in den französischen Chansons des 20. und 21. Jahrhunderts oder im Sprechgesang. Doch selbst wenn in einer Kompositionsform bestimmte prosodische Parameter im Vordergrund stehen, bleiben die Übrigen immer präsent: Sie treten lediglich in den Hintergrund. Man kann somit von verschiedenen Modellen sprechen, nach denen die musikalischen Sprachparameter in Musik umgewandelt werden. Die Zusammenhänge dieser praktischen und bis heute zugänglichen prosodischen Spuren in musikalischen Werken zeigen sich auch in der Denkweise der Sprachforscher.

Die folgende chronologische und auf den musikalischen Epochen in Frankreich beruhende Darstellung der Entwicklung ästhetischen Denkens und Handelns in Bezug auf die Verbindungen von Sprache und Musik soll helfen, die Ausführungen der nächsten Kapitel besser zu verstehen. Dabei werden nur die musikalischen Gattungen berücksichtigt, in denen die Wort-Ton-Beziehung im Französischen eine deutliche Rolle spielt.

2.1 Der Begriff „Ästhetik“

Ästhetik wird hier in einem weiten, auf Alexander Gottlieb BaumgartenBaumgarten, Alexander Gottlieb (1714-1762) und seine Schrift Aesthetica (1750-1758) zurückgehenden Sinn verstanden:1 Die von BaumgartenBaumgarten, Alexander Gottlieb begründete Wissenschaft betrifft die sinnliche Erkenntnis, die Lehre vom Schönen und die Lehre von der Kunst. Schönheit kann gefühlt, erkannt, gedacht, verstanden und erklärt werden. Angeborene Fähigkeiten können durch Schulung der Sinne und des Gedächtnisses gefördert und stimuliert werden, so dass sich bestimmte Erwartungshaltungen (und somit die Grundlage eines bestimmten stilistischen Geschmacks) entwickeln können. Damit greift BaumgartenBaumgarten, Alexander Gottlieb zwei antike Traditionen auf.

Die Platoniker behandeln das „Schöne“ im Kontext der Metaphysik. Die Liebe zum Lebendig- und zum Sittlich-Schönen wird zum Antrieb der Suche einer Idee des Schönen und damit der Liebe zur Weisheit. Dabei spielen sowohl die Komposition des Kunstwerkes als auch seine Präsentation eine Rolle: Kunst dient einer sinnlichen Darstellung der Wahrheit. Klare Linien und Formen werden nicht nur als „immer an und für sich ihrer Natur nach schön“ betrachtet, sondern sie „führen gewisse ganz eigentümliche Lustgefühle mit sich“ (Platon,Platon [1869]: 51). Mathematik ist ein bedeutendes Kriterium zur Bestimmung des Schönen; Symmetrie, Rhythmus, Geometrie und Proportion werden zu bestimmbaren und erlernbaren Parametern: „Maß und Ebenmaß“ ist laut PlatonPlaton ([1869]: 64) „doch wohl überall das, woraus Schönheit und alles Edle entsteht“.

Die Aristoteliker entwickeln den Kunstbegriff in den Disziplinen Poetik und Rhetorik, den Wissenschaften, der Komposition (oder Produktion) und des Schaffens (epistéme poietiké). Kunst hat bei AristotelesAristoteles eine besondere Verbindung mit der Natur: Sie ist die konkrete Vorlage des Schönen. Zur Nachahmung bedienen sich die verschiedenen Künste, Dichtung und Musik, „bestimmter Mittel […] und zwar verwenden sie diese Mittel teils einzeln, teils zugleich“ (AristotelesAristoteles, [2012]: 1447a). Weiterhin führt AristotelesAristoteles ([2012]: 1447b) aus: „Es gibt nun Künste, die alle die oben genannten Mittel verwenden, ich meine den Rhythmus, die Melodie und den Vers“. Prosa, Poesie, Musik und Tanz sind die von dieser Aussage betroffenen Künste, wobei die Dichtung aufgrund ihrer Nähe zum Wort und zur Idee den höchsten Rang einnimmt.2 Rhetorik hat das Schöne zwar nicht zum eigentlichen Zweck (dieser liegt vielmehr in der Qualität eines argumentierten Vortrags auf der Grundlage seiner Überzeugungskraft), ihre Techniken können aber nach denselben Mustern bewertet werden wie die Kunstsprache.

Kirchenväter wie Augustinus fragen sich einige Jahrhunderte später nach dem Recht der Sinnesfreuden an schönen Dingen. Das Schöne der Klänge, der Farben oder der Formen darf keinen eigenen Wert beanspruchen, sondern alle Schönheit muss als auf Gott hinweisend gewertet werden (Konfessionen, X, 33 und 34). Sie kann mit den Qualitäten Gleichheit, Entsprechung, Symmetrie und Harmonie beschrieben werden (Augustinus, De musica, 387-391). Musica est scientia bene modulandi, dieser auf Augustinus zurückgeführte Slogan durchzieht das gesamte Mittelalter: Musik ist eine vom Verstand geführte Operation (vgl. Favier, 2017: 46).

Boethius,3 der als einer der Ersten in seinem musikalischen Lehrwerk De istitutione musica (ca. 500) die Aufteilung der sieben freien Künste in Trivium und Quadrivium definierte, übernimmt die Idee, Schönheit mit mathematischer Ordnung gleichzusetzen. Der gelehrte Musiker (musicus) steht in Opposition zum Dilettanten, der keine theoretischen Kenntnisse besitzt, sondern ausschließlich zu seinem Vergnügen auf seinem Musikinstrument spielt.

Die Musik, die mit Arithmetik, Geometrie und Astronomie das Quadrivium der mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen bildet, wird als „höhere Rechenkunst“ angesehen (Keil, 2014: 59), da sie sich mit Proportionen beschäftigt: „Musik war gewissermaßen klingende Bruchrechnung und insofern auf ähnliche Weise höhere Arithmetik, wie die Astronomie als höhere Geometrie angesehen wurde“ (Keil, 2014: 60).

Augustinus und Boethius sind die wichtigsten Theoretiker für die Übermittlung antiken Musikwissens während des gesamten Mittelalters bis ins 16. Jahrhundert: Beide wurden immer wieder gelesen, kopiert und kommentiert.