Kitabı oku: «Die Musik der Sprache», sayfa 4
2.2 Die Renaissance: Rückkehr zur Antike
Die „vers mesurés à l’antique“
In die gegen 1420 beginnende, musikalische Epoche der Renaissance fallen nicht nur die Veröffentlichung der ersten Grammatiken für die französische Sprache, sondern auch die Dichtungen der Autoren der Pléiade und die von Jean-Antoine BaïfBaïf, Jean-Antoine de (1532–1589) ins Leben gerufene Académie de poésie et de musique. BaïfBaïf, Jean-Antoine de initiierte, vor allem in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Claude Le JeuneLe Jeune, Claude (1525/1530–1600), einen fruchtbaren Austausch von Poeten und Musikern. Die Beziehung von Poesie und Musik erhält eine neue Bedeutung durch die Antikenbegeisterung, die diese Epoche so maßgeblich charakterisiert, dass sogar ihr Name, Renaissance, auf diese Leidenschaft zurückzuführen ist.
Der Norden Frankreichs und das heutige Belgien entwickeln sich in der Renaissance zum wichtigsten europäischen Musikzentrum. Die musikalischen Hauptgattungen, Messe1, Motette2 und Chanson3, sind vokal. Das neuerwachte Bewusstsein der französischen Dichter für ihre eigene Sprache, das sich beispielsweise in der Abfassung der ersten Grammatiken zeigt, führt zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema der Verbindung von Poesie und Musik. Dabei sind besonders die vers mesurés à l’antique (siehe unten) von Bedeutung. Der Terminus mesuré verweist auf Ordnung und Regelmäßigkeit. Das Maß für den französischen Vers wird die Anzahl der Silben pro Zeile, im Gegensatz zur griechischen Metrik, in der die Quantität, das heißt die Länge der Silben, die Struktur des Versmaßes bestimmt. Darüber hinaus bildet der Reim ein klangtragendes und farbiges Element und gibt dem französischen Vers, so Joachim Du BellayDu Bellay, Joachim (1549), auf natürliche Weise einen musikalischen Charakter.4
Der Reim bildet in der Struktur der Poesie einen Fixpunkt. „Die ‚poetische Zeit‘ des französischen Verses ist bemessen, mesuré, bis zum Auftreten des Reimes“, so Myriam Suzanne RionRion, Myriam Suzanne (2001: 82). Die Autorin zitiert dazu einen Passus aus dem Abrégé (1565) von Pierre de RonsardRonsard, Pierre de, in dem der Autor fordert, „lange und kurze Verse in verschiedenen Variationen (wie er vorschlägt: lang – kurz, lang – kurz – kurz) miteinander zu kombinieren und diesem Phänomen besonderen lyrischen Charakter zuspricht“5 (2001: 83). RionRion, Myriam Suzanne unterstreicht den musikalischen Denkansatz RonsardRonsard, Pierre des folgendermaßen: „Er hebt auf eine Qualität des Rhythmischen, der rhythmischen Variation ab, wie sie schon in seiner Forderung nach dem regelmäßigen Abwechseln männlicher und weiblicher Verschlüsse [i. e. Reime] durchscheint. Das prägt seine Vorstellung von musikalischer Qualität“ (idem).
Musiktheorie und musikalische Praxis
Die Varietas (Vielfalt oder Abwechslung) ist auch ein der Musik der Renaissance zugrundeliegendes ästhetisches Prinzip. Zahlensymbolik und melodische, voneinander unabhängige Einzelstimmen, die zu weitgespannten Sätzen verschmelzen, sind typisch für die mehrstimmigen Vokalkompositionen, wie wir sie von Johannes Ockeghem (1430–1495) oder Josquin Desprez (1440–1521) kennen (vgl. Bsp. 10).
Im Gegensatz zu unserem heutigen Notensystem haben die Noten in der Renaissance keine absoluten Werte: Das sogenannte Mensurzeichen (vgl. Bsp. 11), das an der Stelle des heutigen Taktzeichens1 steht, bestimmt das Verhältnis der Notenwerte untereinander. In der Komposition können die verschiedenen Abschnitte und sogar unterschiedliche Stimmen in einem einzigen Abschnitt mit unterschiedlichen Mensuren notiert sein. Einziges verbindendes Element ist in diesem Fall der Tactus, ein gemeinsamer Grundschlag. Trotz Mehrstimmigkeit ist der Höreindruck linear. Strukturbildendes Element ist neben der Klausel2 vor allem die gemeinsame Atmung der Sänger.
Eine wichtige Gattung bildet im 15. und 16. Jahrhundert die Chanson, ein mehrstimmiges, weltliches, in französischer Sprache gesungenes „Lied“.3 Besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeichnen sich viele Chansons durch eine syllabische Textverteilung und einen durchgehend homorhythmischen Satz aus: Alle Stimmen singen zur gleichen Zeit denselben Text. Dies Verfahren ist nicht nur der Textverständlichkeit, sondern auch der neuen Verbindung von Text und Musik zuträglich. Der Theoretiker Pontus de TyardTyard, Pontus de (1555) unterstreicht ebenso wie Pierre de RonsardRonsard, Pierre de das (neu-) platonische Ideal einer engen und klar geregelten Verbindung von Wort und Musik. Die Präzision der Verse RonsardRonsard, Pierre des, die, wie oben geschildert, metrische Regeln und Varietas miteinander in Einklang bringen, erleichtert die Vertonung des Textes mit einer Musik, die durch die Regelmäßigkeit des Phrasenbaus und durch die Schlichtheit der Satzstruktur die als wichtig erachteten prosodischen Elemente perfekt widerspiegelt.4
Quantität und Akzent
Die gute, richtige und natürliche Ordnung der Dinge ist ein wichtiges Thema für die Autoren der Renaissance. Die Rhetorik von Louis de LesclacheLesclache, Louis de (1648) beispielsweise ist laut Michel Le Guern (Lesclache, 2012 [1648]) von einer wahren Ordnungsbesessenheit durchzogen. Diese zeigt sich im dem folgenden, dem 9. Kapitel des 2. Teils entnommenen Zitat: „Alle Dinge haben ihre Ordnung. Alle Handlungen werden in der richtigen Reihenfolge ausgeführt. Es ist offensichtlich, dass die Ordnung uns das perfekte Wissen aller Dinge gibt.“1
Die Quantität, das heißt die Länge der Silben, ist einer dieser von der Natur gegebenen, die Welt ordnenden und Zugang zur wahren Erkenntnis der Dinge ermöglichenden Faktoren. Sie stellt ein die Disziplinen verbindendes Element dar. Neben Poeten und Musikern beschäftigen sich auch die Grammatiker mit diesem Thema. Wenn der französische Vers auf der Anzahl der Silben beruht, so heißt dies nicht, dass die französische Sprache in den Augen der Theoretiker nicht über unterschiedliche Quantitäten verfüge.2 Oft wird Silbenlänge mit Akzentuierung gleichgesetzt – eine Intuition, die zwar nicht grundsätzlich falsch, aber doch bei Weitem nicht vollständig ist (vgl. Kapitel 6). Der Akzent, den Myriam Suzanne RionRion, Myriam Suzanne in der Poesie RonsardRonsard, Pierre des durch die Häufigkeit der Reime identifiziert hat (siehe oben), entsteht in der Vokalmusik der Renaissance durch die den gleichmäßigen Melodiefluss unterbrechenden langen Noten oder durch die Verwendung bestimmter, das Phrasenende ankündigender Formeln (der Klauseln).
In der Renaissance hat die Verbindung von Sprache und Musik eine theoretisch-philosophische Grundlage. Sie ist von der Antikenrezeption der Autoren bestimmt und manifestiert sich vorwiegend in den Parametern Rhythmus (Quantität) und Klangqualität. Poesie, Musik und Philosophie vereinen sich in dem gemeinsamen Ziel der Erkenntnis, das heißt insbesondere der Kenntnis des Universums und der Erhebung der Seele zu einem Zustand vollkommener Ruhe (His & Vignes, 2010: 255).
2.3 Der französische Barock: Eine musikalische Deklamation
Musik und Deklamation
Die für die Renaissance so typische Linearität der Komposition steht im Zentrum der großen Umwälzungen, die das Barockzeitalter mit sich bringt. Die moderne Takthierarchie mit konsequenter Betonung der ersten Zählzeit jedes Taktes (und entsprechenden Nebenbetonungen) entwickelt sich, und in der Vokalmusik ist eine Tendenz zu monodischen Kompositionen, das heißt zum Sologesang, spürbar. Im Unterschied zu Italien verläuft diese Entwicklung in Frankreich nicht über die Gattung der Oper.1 Dieses neue Kompositionsgenre konnte hier nur schwer Fuß fassen. Der Übergang zu einer neuen Ästhetik vollzieht sich in kleinen Formen wie die der (von der Theorie der musique mesurée à l’antique beeinflussten) Chanson und des Air de Cour. Neben den mehrstimmigen, homorhythmischen Kompositionsformen (vgl. Bsp. 13) entsteht eine neue Gattung, die ebenfalls in Strophenform verfasst, aber für eine Solostimme mit Lautenbegleitung komponiert ist. Diese Form ermöglicht eine sorgfältige Textbehandlung und einen expressiven Gesang, kurz gesagt, eine wahrhafte Deklamation des Textes. Die Beherrschung der Deklamationskunst wird denn auch unabdingbar für jeden barocken Komponisten und Sänger.2
Rhythmisch gesehen entspricht die lange Silbe einer langen Note. Die betonte Silbe des Taktes befindet sich zudem normalerweise auf dem ersten, betonten Taktschlag. Takthierarchie und ein neues, harmonisches Denken geben der Musik nunmehr eine zusätzliche, vertikale Ausrichtung. Darüber hinaus spiegeln melodische Konturen und Phrasierung des Gesangs diejenigen der Rede wider (vgl. Schweitzer, 2018: 332–334). Die Musik ist der Poesie untergeordnet, und gemäß diesem Ideal muss das Klangmaterial der gesprochenen Sprache genau in präzise musikalische Rhythmen, Intervalle, Figuren und Klangfarben umgewandelt werden. Die Musik kann somit als natürliche Nachahmung der gesprochenen Sprache verstanden werden. Durch diesen Kunstgriff erhält die Musik eine semantische Funktion. Sie kann nicht nur Geräusche der Natur (zum Beispiel Vogelgesang) oder natürliche Phänomene (wie das Hinaufsteigen einer Treppe durch eine aufsteigende Tonfolge) imitieren, sondern Musik wird zu einer eigenen Sprache, wenn sie direkt nach den Prinzipien der gesprochenen Sprache moduliert wird.
Mehr noch als im deutschen Sprachraum, in dem die musikalische Rhetorik einen wichtigen Platz einnimmt,3 wird vom französischen Komponisten verlangt, mit den Regeln der musikalischen Kunst dieselben Gedanken und Gefühle wie ein Redner auszudrücken.
Sprachtheoretische Grundlagen
Das dazu nötige Handwerkszeug findet sich in den Grammatiken, die Silbenlänge (Quantität) und Akzent des Französischen erklären,1 sowie in den Texten zur Rhetorik, die Fragen der rhythmischen Gestaltung, Atmung und Stimmgebung behandeln.2 Die Autoren unterscheiden dabei noch nicht zwischen Vokal- und Silbenlänge. Gemäß der Prämisse, dass ein Konsonant allein nicht klingen – und damit keine Zeit beanspruchen – kann, resultiert die Silbenlänge automatisch aus der Vokallänge (vgl. Fournier, 2007). Ein wichtiger Moment ist die Definition des Akzents als einem zu zwei sprachlichen Disziplinen gehörenden Phänomen: Antoine ArnauldArnauld, Antoine und Claude LancelotLancelot, Claude unterscheiden in der Grammaire générale et raisonnée (1660: 17) einen dem Bereich der Grammatik angehörenden Akzent (ein fester Wortakzent, „naturel, & de grammaire“) von dem rhetorischen Akzent (ein flexibler, dem Ausdruck dienender Akzent, „de Rhetorique“, vgl. Kapitel 6). Das unterschiedliche Zusammenspiel dieser beiden Akzente charakterisiert die verschiedenen Sprachen.
Zwei Jahre später formulieren Antoine ArnauldArnauld, Antoine und Pierre Nicole in der Logique ou L’art de penser von 1662 die Rolle der Stimme, der Gestik und der Mimik für das Verständnis und den Ausdruck eines Satzes.3 Damit nähern sich die beiden Disziplinen, Grammatik und Rhetorik, einander an.
Das Rezitativ: Symbiose von textueller und musikalischer Deklamation
Das Rezitativ bildet die neue Gattung, in der die perfekte Übereinstimmung von Deklamation und Sprache am deutlichsten zu Tage tritt (vgl. Kintzler, 2006: 299). Es nimmt einen bevorzugten Platz in der Tragédie lyrique ein. Im Vergleich zur italienischen Oper ist die Tragédie lyrique deutlich mehr dem Theater und seiner lyrischen Deklamation verhaftet. Sie schöpft ihre Ausdruckskraft aus dieser literarischen Komponente.
Das Erfolgsduo für diesen Kompositionstyp ist allgemein bekannt: Seit ihrem ersten gemeinsamen Werk Cadmus & Hermione (1673) sind Jean-Baptiste LullyLully, Jean-Baptiste (1632–1687) und Philippe Quinault (1635–1688) für die perfekte Harmonie von Text und Musik berühmt (Bsp. 14). Nach den Aussagen von Jean-Laurent Le Cerf de la ViévilleLe Cerf de La Viéville, Jean-Louis ging LullyLully, Jean-Baptiste wie folgt vor, wenn Quinault ihm eine neue Szene vorlegte:
LullyLully, Jean-Baptiste las sie, bis er sie fast auswendig kannte. Er setzte sich ans Cembalo und sang und sang den Text, wobei er sich am Cembalo begleitete. Wenn er fertig war, hatte er sich die gesamte Komposition bis zur kleinsten Note hin fest eingeprägt. Lalouette1 oder Colasse2 kamen und er diktierte ihnen die Musik. Am nächsten Tag erinnerte er sich kaum noch an das, was er komponiert hatte. All seine Vokalkompositionen entstanden auf diese Art. (Le Cerf de la ViévilleLe Cerf de La Viéville, Jean-Louis, 1705)3
Die Schauspielerin, die die Grundlage für die praktischen Beobachtungen LullyLully, Jean-Baptistes lieferte, ist die bereits erwähnte Marie Desmares (1642–1698), bekannt unter dem Namen La Champmeslé (Bsp. 15). Le Cerf de la ViévilleLe Cerf de La Viéville, Jean-Louis (1705) berichtet, dass LullyLully, Jean-Baptiste ihre Intonation und Akzentuierung genauestens verinnerlichte und ihre déclamation chantante, ihre singende Deklamation, wie beschrieben in Melodien verwandelte. Musikalische Praxis und theatralische Deklamation nähern sich einander an mit dem gemeinsamen Ziel einer actio oder prononcio,4 die die Zuhörenden bewegt, indem sie Verstand und Herz gleichermaßen anspricht. Die Rhetorik als Kunst der öffentlichen Rede wird bedeutsam als Lehre eines affektvollen Vortrags, der immer die Regeln des Schönen und der guten Eloquenz (éloquence) berücksichtigt (vgl. Schweitzer, 2020b).
2.4 Das klassische Zeitalter und die Lumières
Gemeinsamer Ursprung von Gesang und Sprache
Der „klassische Stil“ fällt in Frankreich mit dem Zeitalter der Aufklärung, den Lumières zusammen. Die Zusammenhänge von Musik und Sprache erhalten im Rahmen der Sprachphilosophie eine neue Dimension.
Jean-Jacques RousseauRousseau, Jean-Jacques ist heute der bekannteste Vertreter der Theorie, nach der Gesang und Sprache einen gemeinsamen Ursprung in natürliche Empfindungen und spontane Gefühle ausdrückenden Lauten haben. Gesang stellt für RousseauRousseau, Jean-Jacques den Anfang aller menschlichen Äußerung dar: Die Ursprache war gesanglich durch ihre Melodiösität und ihre Akzentuierung.1 Wie RousseauRousseau, Jean-Jacques ausführlich in seinem Essai sur l’origine des langues (1755) darlegt, haben für ihn Akzente eine klangliche wie auch eine semantische Funktion.
Noch weiter abstrahiert kann Sprache als das perfekte Mittel zur Vermittlung von Gedanken und Theorien, die Melodie dagegen für das (Mit)Teilen von Gefühlen betrachtet werden.2 Sprache (wie auch eine sprachliche Äußerung in einer bestimmten Sprache) ist damit für RousseauRousseau, Jean-Jacques umso ausdrucksvoller, je höher der Anteil ihrer musikalischen Elemente ist (vgl. Kapitel 5). Eine harmonische, und damit vertikal ausgerichtete Musik spricht den Verstand an, während in der Melodie des einstimmigen Gesangs vorwiegend Emotionen zum Ausdruck kommen.3 Wie RousseauRousseau, Jean-Jacques, so bedauert auch Eugène-Eléonore BéthisyBéthisy, Eugène Eléonor de de Mézières die Verarmung der modernen Sprachen:
Ich frage mich, ob die Menschen nicht zuerst einfach nur Laute gebildet haben, bevor ihr Gehirn begonnen hat, Worte zu formen, und welche unglücklichen Umstände dazu geführt haben, dass ihnen diese weitaus spätere Erfindung nun natürlicher vorkommt als der Ruf der Natur. (BéthisyBéthisy, Eugène Eléonor de, 1760)4
Im Vergleich mit den natürlichen, zu Beginn der Zeiten gesprochenen und gesungenen Äußerungen der Urväter werden die heutige Sprache und Musik von RousseauRousseau, Jean-Jacques und von BéthisyBéthisy, Eugène Eléonor de als eine Verarmung angesehen: Sie haben Teile ihrer ursprünglichen Ausdruckskraft verloren. Um diese wiederzugewinnen, erscheint Autoren wie RousseauRousseau, Jean-Jacques eine Rückkehr zur ursprünglichen Schlichtheit der Sprachen und des Gesangs unabdingbar.
Kunst ist Nachahmung der Natur
Ein melodiöser und angenehmer Gesang ist für RousseauRousseau, Jean-Jacques (1768) nichts anderes als eine Nachahmung der Akzentuation einer ausdrucksvollen oder von Gefühlen bewegten Stimme: „Man schreit und man klagt ohne zu singen, aber man singt niemals, ohne Schreie oder Klagen zu imitieren.“1
Die Forderung, die Natur nachzuahmen, bleibt vorherrschend in der Musik wie in den anderen Künsten, ein Paradigmenwechsel ist jedoch spürbar. Charles BatteuxBatteux, Charles stellt in Les Beaux-Arts (1746) eine Theorie der Poesie vor, in der die Nachahmung der Natur das verbindende Element aller Künste darstellt. Die Nachahmung betrifft aber nicht einen realen Moment, sondern das Wesen der Dinge, das den Sinnen normalerweise auf direktem Wege unzugänglich bleibt.2
Das Ideal BatteuxBatteux, Charles ist klassisch, da die Suche nach dem Wesen der Dinge das Übersteigen des Gewöhnlichen und das Streben nach Vollkommenheit mit sich führt. Musik ist nicht mehr an die Sprache einer linguistischen Gemeinschaft gebunden, wie dies im Barock der Fall war und wie es das Beispiel der Kompositionsweise LullyLully, Jean-Baptistes zeigt, sondern wird immer mehr zu einer universellen Sprache der Gefühle. In diesem Sinne erwähnt Christoph Willibald Gluck (1714–1787) im Jahre 1773 ausdrücklich eine den Menschen aller Nationen verständliche Musik.3
Sprache und Universalität
Auch in den Grammatiken ist das Thema der universellen Verständlichkeit ein Thema. Diese kann durch Einsatz der prosodischen Mittel erreicht werden: Es geht hier nicht um lexikalische Fragen, sondern um das Verständnis des von der Prosodie zum Inhalt und Ausdruck der Worte und Satzkonstruktionen beigetragenen Sinns.1 In den verschiedenen Texten kristallisiert sich das Thema um die Frage des Akzents als besonders wichtig heraus. Die Autoren trennen nunmehr deutlich zwei Akzenttypen: Der erste, accent prosodique oder auch accent tonique genannt, ist melodisch, das heißt mittels Tonhöhenveränderung realisiert. Er interveniert auf Silbenniveau und entspricht dem accent de grammaire von ArnauldArnauld, Antoine & LancelotLancelot, Claude (siehe oben). Der zweite, accent oratoire genannt, beeinflusst die Intonation, den Rhythmus und die Intensität ganzer Satzteile und wird von den Gefühlen der sprechenden Person bestimmt.2 Die Prosodie gilt als art de regler [le] chant de la voix, die Kunst, den Gesang in der Stimme zu modulieren (D’AlembertD’Alembert, Jean Le Rond & Diderot, 1751).
Das Ideal, die Natur oder vielmehr ihr Wesen zu imitieren, beeinflusst ebenfalls die Denkweise der Grammatiker und Rhetoriker. Dies zeigt sich in dem von ihren Arbeiten anvisierten Sprachniveau. Im Gegensatz zum 17. und zum frühen 18. Jahrhundert beginnt man nun, sich für die spontane Ausdrucksweise des Volkes, das heißt, seine natürliche Redegabe zu interessieren (auch wenn die technischen Mittel noch keine in heutigem Sinne befriedigende Forschung erlauben). „Weniger zivilisierten Völkern“ wird eine natürliche Beredsamkeit zugestanden, die auch ohne Beachtung der zahlreichen Regeln der Rhetorik ausdrucksstark ist (vgl. Siouffi & Steuckardt, 2021).
Pierre-Paul DorfeuilleDorfeuille, Pierre-Paul Gobet, dit (1799/1800: 9) rät dem zukünftigen Akteur „d’observer la scène du monde“. Diese Weltbühne stellt für den Lernbegierigen die beste Schule der Passionen und des menschlichen Herzens dar. Ihr Studium kann ihm helfen, zu lernen, wie er dem Publikum gefallen und, vor allem, dessen Herz zum Klingen bringen kann.
2.5 Die Romantik: Traumwelten und wissenschaftliche Genauigkeit
Trennung von Kunst und Wissenschaft
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt sich eine neue Kunstästhetik. Die Schreckensherrschaft Robespierres und die Napoleonischen Kriege veranlassen die Romantiker, die die gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der Aufklärung anlasten, zu einer heftigen Kritik an der vernunftbetonten Welt ihrer Vorfahren. Naturbegeisterung und Faszination für das Irrationale und Fremde, aber auch Vergangene, kennzeichnen die Künstler. Die das Herz ansprechenden Künste und die die Vernunft proklamierenden Wissenschaften gehen fortan getrennte Wege.
Eine der Folgen dieser Trennung ist zunächst eine ästhetische Aufwertung der Künste, die für viele Romantiker beinahe ein Religionsersatz, ein Zufluchtsort vor der ernüchternden Gegenwart, wird. Der Künstler wird zum ausführenden Organ seines Genies: Ihm obliegt es, das Schöne im Kunstwerk spürbar zu machen. Die Musik wird im Rahmen der Schönen Künste in einem Atemzug mit Poesie, bildender Kunst und Architektur behandelt:
Schön im Kunstwerk ist nur, was der Künstler darin hineinlegt. Es ist das eigentliche Ergebnis seiner Anstrengung und die Bestätigung seines Erfolgs. Wann immer ein von einem beliebigen – körperlichen, seelischen oder geistigen – Eindruck zutiefst getroffener Künstler diesen Eindruck mithilfe eines beliebigen Verfahrens – Gedicht, Musik, Statue, Gemälde, Gebäude – so zum Ausdruck bringt, dass er in die Seele des Betrachters oder des Hörers dringt, ist das Kunstwerk schön, und zwar nach Maßgabe der Intelligenz, die es voraussetzt, der Tiefe des Eindrucks, den es ausdrückt, und der Ausdruckskraft, die ihm vermittelt wird. Das Zusammentreffen dieser Bedingungen bildet den vollständigen Ausdruck des Schönen. (VéronVéron, Eugène, 1878 [2010])
Die Begabung oder das „Genie“ für die musikalische Komposition definiert der Komponist Anton ReichaReicha, Antoine (1814:1) mit vier Eigenschaften:
1 Eine große Kunstleidenschaft (das heißt, die Leidenschaft für die Musik),
2 Das Bedürfnis zu schaffen, und das Geschaffene zu präsentieren,
3 Die Begabung, Ideen zu konzipieren und auszuführen, und
4 Eine ausgeprägte Sensibilität und Urteilskraft für die (musikalische) Kunst.
Diese Eigenschaften sind naturgegeben und können nicht durch das Studium von Lehrwerken der Poetik, Rhetorik oder Komposition ersetzt werden, die allerdings unentbehrlich sind, um das vorhandene Talent zu entwickeln.