Kitabı oku: «Klausurenkurs im Sozialrecht», sayfa 5

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2. Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

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Um die Empfänger von Leistungen der sozialen Hilfen vor Stigmatisierung und Ausgrenzung zu schützen, sind nach st. Rspr. über die Sicherung des bloßen Überlebens hinaus solche Mittel zu gewähren, die dem Einzelnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen (soziokulturelles Existenzminimum).[4] Der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB II trägt diesem Anliegen Rechnung. Er statuiert ausdrücklich, dass die Regelleistungen „in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben“ sicherstellen.

3. Bedarfsermittlung und Bemessungsgrundlage der Regelleistung

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Ob die Bedarfsermittlung tatsächlich möglich ist, mag im Einzelfall fraglich sein. Indes vermittelt das Sozialstaatsprinzip dem Einzelnen keinen konkreten Anspruch auf – namentlich ihrer Höhe nach – bestimmte Leistungen. Der Gesetzgeber hat einen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Systeme sozialer Sicherung.[5] In grundrechtlich geschützte Positionen greift er nur ein, wenn er diesen in unverhältnismäßiger Weise überschreitet. Die Regelleistungen nach SGB II sind danach als angemessen einzustufen, wenn die Grundlage ihrer Bemessung und der daraus ermittelte Betrag klar und nachvollziehbar sind.

a) Einkommens- und Verbrauchsstichprobe

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Gemäß §§ 20 Abs. 1a SGB II, 28 Abs. 3 Satz 4 SGB XII wird die Regelleistung auf der Grundlage der tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben der Haushalte in den unteren 15% der Einkommensgruppen bemessen. Diese werden mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erfasst. Die Orientierung der Regelsätze am Konsumverhalten der Beschäftigten unterer Einkommensgruppen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn dies vermittelt eine realitätsnahe Datengrundlage zur Bestimmung des dem Konsumbedarf entsprechenden Existenzminimums. Auch der Rückgriff auf das unterste Einkommenssegment als Referenzgruppe ist zulässig, liegen deren Einkünfte doch über der Sozialhilfeschwelle, ohne diese so weit zu überschreiten, dass das Konsumverhalten nicht mehr vergleichbar wäre.[6]

b) Lohnabstandsgebot

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Indes liegt die Regelleistung nach § 20 SGB II unter den in der EVS ermittelten Ausgaben der unteren Einkommensgruppen. Sie werden nur zu einem Prozentsatz berücksichtigt, der nach Auffassung des Gesetzgebers den „regelleistungsrelevanten Verbrauch“ widerspiegelt. Solche Abschläge sind zulässig, soweit sie sachlich gerechtfertigt sind.[7]

Eine Rechtfertigung könnte sich aus dem Lohnabstandsgebot ergeben. Danach darf das Grundsicherungsniveau nicht höher sein als die auf dem Arbeitsmarkt vorhandene, am geringsten bezahlte Vollzeiterwerbstätigkeit Ertrag abwirft. Der nach dem MiLoG zu gewährende Mindestlohn bietet insofern eine Orientierung. Ob das Lohnabstandsprinzip im SGB II gilt, ist jedoch umstritten.[8] Teilweise wird es mit der Begründung für überholt erachtet, dass Niedriglöhne ganz allgemein und grundsätzlich durch Sozialleistungen aufzustocken seien. Nach anderer Auffassung sei dessen Einhaltung unerlässlich, da andernfalls für Arbeitsuchende kein hinreichender Anreiz zur Aufnahme einer entgeltlichen Tätigkeit bestünde.

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Das Lohnabstandsgebot ist im europäischen Sozialmodell angelegt. Denn in einer Arbeitsgesellschaft hat der Sozialstaat die Hilfe für Arbeitsuchende und eine existenzsichernde Arbeit zu gewährleisten, darf aber nicht den permanenten Lohnzuschuss für niedrig Entlohnte vorsehen. Andernfalls wirkte das Sozialleistungsrecht als Subventionsrecht für niedrige Löhne. Dies wäre im Binnenmarkt unstatthaft. Jede als Sozialleistung getarnte Subvention von Niedriglöhnen stellt auch eine europarechtswidrige Beihilfe i.S.v. Art. 107 AEUV dar, so dass eine solche Politik schon aus diesem Grund jedenfalls in der EU nicht betrieben werden dürfte.

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Es ist daher gerechtfertigt, wenn ein Grundsicherungsempfänger weniger konsumieren kann als die untersten 15% der Einkommensbezieher. Dass der Arbeitsmarkt immer mehr von geringfügigen Beschäftigungen und starken Einkommenseinbußen in der Bevölkerung geprägt wird, ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung.[9] Die durchschnittlich geleisteten Zahlungen an Grundsicherungsempfänger belaufen sich einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung sowie der Beiträge zur Sozialversicherung bei Alleinstehenden auf 663,00 €, bei Paaren ohne Kinder auf 828,00 €, bei Alleinerziehenden auf 873,00 € und bei Paaren mit Kindern auf 1.284,00 €.[10] Das durchschnittliche Nettoeinkommen pro Kopf beläuft sich in Deutschland demgegenüber auf 2.887,00 €.[11] Das Lohnabstandsprinzip ist im Ergebnis gewahrt. Insgesamt liegen die Leistungen für erwachsene Hilfebedürftige auf dem Niveau der Armutsschwelle, die nach der Skala der OECD[12] bei 60% des Medianeinkommens[13] liegt.

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Zwar hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Berechnung der Regelbedarfe. Er darf diese jedoch nicht freihändig bestimmen, sondern muss sie in einem transparenten Verfahren anhand valider Daten nachvollziehbar herleiten. Vor diesem Hintergrund begegnet die Höhe des vom Gesetzgeber vorgesehenen Abschlags von den Einkünften des unteren Einkommenssegments Bedenken, denn sie ist nicht schlüssig belegt. Es ist nicht plausibel, weshalb gerade die unteren 15 % der Einpersonenhaushalte als Referenzgruppe herangezogen werden.[14] Ferner werden Ausgaben für bestimmte Güter, beispielsweise Alkohol oder Tabak, als „nicht regelsatzrelevant“ bei der Ermittlung der Regelbedarfe nicht berücksichtigt, wiewohl sie in den unteren Einkommensgruppen effektiv getätigt werden. Das Rechenmodell vermengt also empirische und normative Annahmen (so genanntes „Warenkorbmodell“) auf methodisch fragwürdige Weise. Die Regelbedarfe mögen zwar nicht weiterhin auf einer „Schätzung ins Blaue“[15] beruhen, werden aber nicht auf Tatsachen – etwa ein im Vergleich zu den unteren 15 % abweichendes Konsumverhalten – gestützt. Die Regelbedarfe sind daher nicht nachvollziehbar aus der EVS abgeleitet und damit nicht in verfassungsmäßiger Weise bestimmt.[16]

c) Grundsicherungsleistungen für Kinder

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Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 8 RBEG erhalten Kinder mit dem Sozialgeld bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres 283,00 €, bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 309,00 € und im 15. Lebensjahr 373,00 €. Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern werden nach § 21 Abs. 6a SGB II als Mehrbedarf anerkannt.[17] Nach § 28 SGB II werden zusätzlich Bedarfe für Bildung und Teilhabe gewährt, um insofern die besonderen Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu decken. Erbracht werden nach § 28 Abs. 2 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge und Klassenfahrten. Ferner werden pro Schuljahr insgesamt 150,00 € für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf (§ 28 Abs. 3 SGB II), zu zahlen zum 1. August und zum 1. Februar des laufenden Schuljahrs, die Mehraufwendungen für das Mittagessen in der Schule (§ 28 Abs. 6 Satz SGB II) sowie monatlich 15,00 € für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, etwa in Sportvereinen oder Musikschulen (§ 28 Abs. 7 SGB II) geleistet.[18] Die Leistungserbringung erfolgt gemäß § 29 SGB II durch Sach- und Dienstleistungen, etwa personalisierte Gutscheine, durch direkte Überweisung vom Grundsicherungsträger an die Anbieter von Teilhabeleistungen oder Geldleistungen.

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Der Gesetzgeber hat zwar die Höhe des Sozialgeldes für Kinder nunmehr gesondert entsprechend ihrer tatsächlichen Bedarfe bestimmt und sieht diese nicht länger als „kleine Erwachsene“[19] an. Die empirische und methodische Rechtfertigung des Gesetzgebers bleibt jedoch intransparent und beschränkt sich vor allem auf Behauptungen.[20] Auch der Modus der Leistungserbringung ist bedenklich. Der Gehalt der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG fordert unter anderem die freie Verwendung der Leistungen der sozialen Hilfen durch den Empfänger.[21] Die Ausgabe von Gutscheinen lässt diese freie Verwendung nur in eingeschränktem Maße zu. Sachleistungen müssen zudem so bemessen sein, dass auch sie den tatsächlichen Bedarf decken.[22] Ein monatlicher Betrag von lediglich 15,00 € zur Förderung der kulturellen und sportlichen Bildung von Kindern und Jugendlichen scheint angesichts dessen unzureichend. Schließlich wirken Direktüberweisungen vom Grundsicherungsträger an die Anbieter stigmatisierend, ist für den Betreiber einer Musikschule oder eines Sportvereins damit doch unmittelbar ersichtlich, welche Kinder nicht über hinreichende Mittel zum Lebensunterhalt verfügen. Sie werden als Empfänger des so genannten Bildungs- und Teilhabepakets damit unmittelbar erkennbar. Nach alldem ist auch die Ermittlung der Grundsicherungsleistungen für Kinder und Jugendliche nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.[23]

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Überdies werfen die Regelungen zum Bildungs- und Teilhabepaket kompetenzrechtliche Bedenken auf. Nach §§ 30, 34 SGB XIIi.V.m. § 3 SGB XII werden die Bedarfe für Bildung und Teilhabe von den örtlichen Trägern der Sozialhilfe erbracht. Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG verbietet jedoch die Aufgabenübertragung an Gemeinden und Gemeindeverbände durch Bundesgesetz. Angesichts des in Art. 28 Abs. 2 GG verbürgten Selbstverwaltungsrechts der Kommunen ist dieses sogenannte Durchgriffsverbot weit auszulegen.[24]

Der Begriff „Aufgaben“ umschreibt jeden „sachlichen Bereich staatlichen Tätigwerdens“;[25] eine „Zuweisung von Aufgaben“ liegt vor, wenn durch Bundesrecht die sachliche Zuständigkeit von Kommunen für eine bestimmte Aufgabe begründet wird.[26] Bundesrechtliche Regelungen, die bereits vor der Föderalismusreform in Kraft getreten sind, gelten jedoch nach Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG fort. Das SGB II als solches ist bereits 2005, also vor der Föderalismusreform in Kraft getreten, mit der das Durchgriffsverbot in Art. 84 Abs. 1 GG aufgenommen worden ist. Teilweise wird vertreten, dass wegen der Übergangsregelung in Art. 125a GG lediglich die formale Zuweisung neuer Zuständigkeiten vom Bund an die Kommunen unzulässig ist. Eine inhaltliche Bestimmung oder Neuausrichtung bestehender kommunaler Aufgaben sei zulässig.[27] Nach der Gegenansicht sind sowohl die qualitativ-inhaltliche Änderung wie auch die quantitative Erweiterung bestehender Aufgaben zulässig.[28] Einer vermittelnden Ansicht zufolge schließt das Durchgriffsverbot lediglich die qualitative, nicht aber die quantitative Änderung bestehender Aufgaben aus.[29] All diesen Auffassungen ist gemein, dass der Bund den Kommunen keine Aufgaben zuweisen darf, die ihnen vor der Föderalismusreform nicht oblegen haben. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Änderungsbefugnis des Bundes nach Art. 125a GG eng auszulegen. Der Bund ist nicht zur „grundlegenden Neukonzeption“ oder einer „funktional-äquivalent[en]“ Erweiterung[30] bestehender Aufgaben befugt, sondern lediglich zu deren Änderung „unter Beibehaltung der wesentlichen Elemente“.[31] Eine grundlegende Umgestaltung bestehender Aufgaben liegt vor, wenn die „Maßstäbe, Tatbestandsvoraussetzungen oder Standards so verändert werden, dass damit mehr als unerhebliche Auswirkungen auf die Organisations-, Personal- und Finanzhoheit der Kommunen verbunden sind“.

Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket – mit Ausnahme der Bedarfe für Klassenfahrten sowie die pauschale Zusatzleistung in Höhe von 100 Euro nach Art. 28a Satz 1 SGB XII – sind neue Leistungstatbestände geschaffen und der Kreis der Leistungsberechtigten stark ausgeweitet worden. Dies zieht umfangreiche Koordinations- und Überwachungspflichten der Träger wie auch erhebliche Kosten nach sich.[32] Mit der Übertragung der Zuständigkeit für das Bundes- und Teilhabepaket auf die örtlichen Träger hat der Bund daher Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG verletzt. Die Regelungen sind folglich auch insofern verfassungswidrig.

4. Zulässigkeit der Pauschalierung von Sonderbedarfen

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Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der Regelleistungen stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit bei der Leistungsgewährung die Typisierung, d.h. das Absehen von individuellen Eigenheiten gehen kann. Nach § 21 SGB II dürfen außerhalb der Regelsätze zusätzliche Bedarfe nur in den ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen vom Grundsicherungsträger geleistet werden. Diese beziehen sich auf den zusätzlichen Bedarf von Schwangeren (Abs. 2), Alleinerziehenden (Abs. 3), behinderten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Abs. 4) oder Personen, die aus medizinischen Gründen einer besonderen Ernährung bedürfen (Abs. 5). Nach § 24 Abs. 3 SGB II werden ferner die Erstausstattung für die Wohnung, die Erstausstattung und Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt sowie die Kosten für die Anschaffung oder Reparatur von orthopädischen Schuhen, die Reparatur von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie für die Miete von therapeutischen Geräten außerhalb der Regelleistung erbracht. Diese Pauschalierung könnte ebenfalls der Garantie einer menschenwürdigen Existenz aus Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG zuwiderlaufen. Dieser Anspruch wird durch den Individualisierungsgrundsatz (§§ 3 Abs. 1 SGB II, 9 Abs. 1 SGB XII) verwirklicht.

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Der typische, zur Sicherung der Existenz notwendige Bedarf kann im Rahmen der sozialen Hilfen zulässigerweise durch pauschalierte Festbeträge gedeckt werden.[33] Aus diesen Regelleistungen haben die Leistungsberechtigten Ersparnisse zu bilden, mit denen sie einmalige, unregelmäßig entstehende Mehrbedarfe – beispielsweise die Ersatzbeschaffung defekter Haushaltsgeräte – finanzieren können.[34] Ist die Finanzierung solcher unvorhergesehener Bedarfe nicht möglich, kann der Grundsicherungsträger gemäß § 24 Abs. 1 SGB II ein Darlehen gewähren, um den Leistungsbeziehern die Anschaffung zu ermöglichen.

Das SGB II berücksichtigt indes nicht atypische Bedarfslagen, die nicht nur unregelmäßig, sondern laufend auftreten. Diese werden von den Regelleistungen nicht erfasst, da sie über den durchschnittlichen, in der EVS ermittelten Bedarf hinausgehen. Über die Darlehensgewährung nach § 24 Abs. 1 SGB II können sie ebenfalls nicht gedeckt werden, bezieht sich diese doch nur auf einmalige, zumindest aber unregelmäßig notwendige Mehraufwendungen. Sind diese dauernden Sonderbedarfe so erheblich, dass sie mit den Leistungen der Grundsicherung nicht finanziert werden können, vermag diese im Einzelfall keine existenzsichernde Funktion zu entfalten. Die Abgrenzung ist angesichts der Allgemeinheit und Abstraktheit des Maßstabs einerseits und der Komplexität der Sachverhaltsgestaltungen andererseits sehr schwer. Das BSG hat die Anerkennung laufender Sonderbedarfe im Hinblick auf die Abgeltungsfähigkeit der Kosten des Umgangsrechts mit dem getrenntlebenden Kind,[35] der Kosten für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen schulrechtlicher Bestimmungen[36] und der Berücksichtigung des krankheitsbedingten Mehrbedarfs gefordert.[37] Nicht zu beanstanden sei dagegen, dass Grundsicherungsempfänger Zuzahlungen von 3,45 € monatlich bei Inanspruchnahme von Krankheitsleistungen aufwenden müssen.[38]

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Das BVerfG hat dem Gesetzgeber daher eine Neuregelung insofern aufgegeben, als er Leistungen für ganz atypische und die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) beeinträchtigende Härtefälle berücksichtigen und den Beziehern der Grundsicherung einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen müsse.[39] Die Standardisierung von Leistungen der Grundsicherung ohne Rücksichtnahme auf jeden individuellen Schicksalsschlag ist daher mit der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren. Als Reaktion auf die BVerfG-Entscheidung wurden die Abs. 6 und 7 neu in den § 21 SGB II eingefügt.

II. Verfassungsmäßigkeit der Pflicht zur Wahrnehmung von Arbeitsgelegenheiten

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Gemäß § 16d SGB II sollen Arbeitsgelegenheiten (wegen der üblichen Aufwandsentschädigung oftmals als „1-€-Jobs“ bezeichnet) für erwerbsfähige Leistungsberechtigte geschaffen werden, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Beschäftigung finden. Verweigert ein Grundsicherungsempfänger die Wahrnehmung einer solchen Arbeitsgelegenheit, wird die Regelleistung nach §§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 31a Abs. 1 SGB II um 30% abgesenkt, sofern kein wichtiger Grund hierfür gegeben ist.

Der Übergang von der einseitig gewährenden zu der durch Gegenleistung in Gestalt von Arbeit, Arbeitsbereitschaft oder Übernahme zumutbarer Qualifikationsanforderungen bedingten Sozialleistung könnte als ungesetzlicher Arbeitszwang nach Art. 12 Abs. 2 GG anzusehen sein. Auch im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 EMRK wird Zwangsarbeit als Menschenrechtsverletzung geächtet.

1. Begriff des Arbeitszwangs

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Unter Arbeitszwang ist die hoheitliche Androhung von Strafen oder anderen Nachteilen zu verstehen, um eine Person zu einer bestimmten Tätigkeit zu veranlassen.[40] Das Verbot der Zwangsarbeit zielt auf Betätigungen, in denen der Arbeitende nicht als Mensch und Rechtssubjekt anerkannt, sondern als Sklave ohne eigene Rechte oder Sträfling in Konzentrations-, Arbeits- und Straflagern der Entwürdigung ausgesetzt wird.

2. Zulässige Einschränkung von Art. 12 Abs. 2 GG

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Das Recht auf Verschonung von Arbeitszwang gilt indes nicht unbeschränkt. Nach Art. 12 Abs. 2 GG ist die Heranziehung zu Tätigkeiten „im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“ zulässig.

Als öffentliche Dienstleistung gelten alle Tätigkeiten, die zum Nutzen eines Gemeinwesens erbracht werden und die keine bloße Geld- oder Sachleistung darstellen.[41] Dies gilt namentlich für den Militär- und Zivildienst und Arbeiten in Strafanstalten (Art. 12 Abs. 3 GG).[42] Ebenso wird die Auferlegung von Arbeit im öffentlichen Interesse als Deichhelfer, Volkszähler[43] sowie als Sanktion für strafbares Verhalten im Rahmen der erzieherischen Hilfen[44] als statthaft angesehen. Unter „Zwangsarbeit“ fällt danach nur die „Inanspruchnahme der Arbeitskraft eines Menschen für grundsätzlich unbegrenzte Tätigkeiten …, wenn die gesamte Arbeitskraft des Betroffenen vom Staat über eine erhebliche Zeit hinaus beansprucht wird“.[45] Keine Zwangsarbeit seien dagegen die öffentlichen Hand- und Spanndienste, die allgemein ähnlich bei Nothilfe und Feuerwehr oder Arbeitspflichten bei Strafe bestünden.[46]

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In der Rechtsprechung zur Gewährung von Sozialhilfe an Arbeitsfähige gegen Arbeitsgelegenheit betonte das BVerwG,[47] dass die öffentliche Hilfe als Hilfe zur Selbsthilfe ausgestaltet sei. Wenn also Arbeitsvermittlung, Schutz durch Arbeit oder ein Arbeitsplatz die Basis der Einkommenserzielung schaffe, so liege in solcher Befähigung ein Beitrag jedes Einzelnen zur Teilhabe am Erwerbsleben. Somit ist schon der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 2 GG nicht eröffnet.

Auch die Rechtsprechung des EGMR[48] spiegelt diese Auffassung wider. In dem Streitfall hatte sich der arbeitslose und Unterstützung beziehende Beschwerdeführer gegenüber der Verwaltung darauf festgelegt, nur als unabhängiger Wissenschaftler und Sozialkritiker tätig werden zu wollen. Nachdem die Arbeitsverwaltung deshalb wegen fehlender Mitwirkung die Leistung versagte, wurde die gegen die niederländische Arbeitsverwaltung erhobene Menschenrechtsbeschwerde gegen Leistungskürzungen vom EGMR nicht als Beeinträchtigung des Verbots der Zwangsarbeit angesehen. Denn auch arbeitsfähige Arbeitslose schuldeten Arbeit zur Abwendung der eigenen Notlage.

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Wird wegen unterlassener Mitwirkung die Hilfe gekürzt, so äußert sich darin zwar die anspruchsbegrenzende Seite von Fördern und Fordern. Die Kürzung geschieht aber aus der Erwägung, dass die Fürsorge auch verhindern muss, dass sich der Einzelne auf Dauer in der Sozialhilfe einrichtet.[49] Jede Hilfe bei Bedürftigkeit muss bei Arbeitsfähigen primär deren Reintegration in die Arbeitsgesellschaft bezwecken. Die Knüpfung von Sozialleistungen an die Bereitschaft zur Arbeitsintegration verletzt also nicht das Verbot der Zwangsarbeit, sondern bekräftigt das Prinzip, dass alle Hilfe in erster Hilfe zur Selbsthilfe ist. Der mit der Sanktionierung verfolgte Zweck der Aktivierung ist danach legitim. Art. 12 Abs. 2 GG ist nicht verletzt.

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