Kitabı oku: «Wenn Sie wollen. nennen Sie es Führung», sayfa 2
Wir kommen aus dem Wasser
Evolutionsbiologie als Grundlage
Unsere Kultur und unser menschliches Selbstverständnis lassen sich nicht nur durch die biologischen Ursachen verstehen, zu ihrem Verständnis sind wir auf die Gesamtheit verfügbaren Wissens naturwissenschaftlicher wie geisteswissenschaftlicher Art angewiesen. (Damasio 2007) Wir müssen uns allerdings entscheiden, ob wir die Geschichtlichkeit unseres Daseins anerkennen und damit die Evolutionsbiologie als Grundlage anderer Disziplinen verstehen wollen.
Ein gängiger Einwand gegenüber der Evolutionstheorie betrifft die nach wie vor nicht mögliche lückenlose Beschreibung aller Ursache-Wirkungs-Ketten. In der Systemtheorie wird ein ähnlicher Einwand formuliert, indem darauf hingewiesen wird, dass die angeblich interpretierte Ordnung nicht lückenlos aufzufinden sei und immer nur in Teildisziplinen mit ihren jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten beschrieben werden könne. Diese Haltung vertritt die Systemtheorie jedoch selbst, indem sich Aussagen immer nur im jeweiligen Rahmen auf ein bestimmtes Bezugssystem beziehen lassen. Der Gedanke lässt sich bereits beim Mathematiker René Thom finden. (Miermont 2005)
Übernahme evolutionsbiologischer Begriffe
Interessant ist hierbei auch die Übertragung evolutionsbiologischer Begriffe auf die Ökonomie. Begriffe wie »Knappheit«, »Präferenz«, »Opportunität«, »Kosten« oder auch »Nutzen« werden dabei bivalent verwendet. Allerdings gibt es durchaus widersprüchliche Auffassungen in den Konzepten, da manche Vertreter den ökonomischen Ansatz sogar als »noch umfassender als den evolutionstheoretischen« verstehen (Radnitzky 1987, 117; Radnitzky/Bernholz 1987; Hirschleifer 1986), während andere die Ökonomie im Sinne eines »Lernens von der Natur« als kulturell und evolutionär geschaffen verstehen (Malik 2009; Otto et al. 2006). Diese Auffassung findet in der Bionik, also der Übertragung biologischen Wissens auf die Technik, ihre praktische Anwendung. Ich folge hier dem letzteren Verständnis.
Begrifflichkeit und Methode
Etymologisch geht das Wort »System« auf das griechische Wort »Synistánai« (zusammenstellen) zurück. Hierbei ist gemeint, dass Systeme sich nicht rein naturwissenschaftlich-analytisch verstehen lassen, da die Eigenschaften der Teile nicht isoliert betrachtet werden können, sondern nur im Kontext des größeren Ganzen zu begreifen sind.
Die doppelte Bedeutung von »Systemtheorie«
Der aufmerksame Leser wird merken, dass der Begriff »Systemtheorie« hier in zweifacher Weise verwendet wird – und zwar formallogisch durchaus widersprüchlich. Zum einen bezieht er sich auf die ursprüngliche Bedeutung des »Zusammenstellens«, sodass Systemtheorie den roten Faden interdisziplinärer Forschung bildet, im Sinne eines Bauplans, der die Welt zusammenhält. Zum anderen hat die Systemtheorie aber auch eigene Inhalte und Aussagen, ist also gleichsam ein System im System, eine Disziplin unter anderen Disziplinen. Da das Ganze nicht zugleich ein Teil desselben sein kann, schließt sich die doppelte Verwendung des Begriffes im engeren formallogischen Sinne aus. Weil aber die Welt nicht nur formallogisch zu verstehen ist, werden wir diese Ambivalenz im Weiteren nicht auflösen. Ebenfalls wird hier auf eine strenge Unterscheidung zwischen den Begriffen »Führung«, »Management« und »Leadership« verzichtet; ich folge damit der Pragmatik Neubergers (2002). Nicht notwendig für diesen Kontext ist beispielsweise die Unterscheidung von »Führung« mit personaler und interaktionaler Akzentuierung gegenüber »Management« mit strukturellen und institutionellen Schwerpunkten.
Zur Methode
So einfach die Hypothesenbildung sein mag, so schwierig gestaltet sich die Hypothesenprüfung. Wir können dafür mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen (modifiziert nach Vollmer 2002) und uns beispielsweise fragen, was der systemische Führungsansatz leistet, was sich mit ihm erklärt und was er eben nicht imstande ist zu leisten. Welche Vorteile hat er gegenüber den herkömmlichen Theorien und wie steht er zu diesen? Ergeben sich Widersprüche, ist die Theorie komplizierter oder einfacher als andere und wie wirkt sich das auf die Problemlösefähigkeit aus? Da Personalführung und Management vor allem praktische Anwendungsgebiete sind, ist auch zu prüfen, welche Best Practices es in der Führung gibt und ob sie mit systemischem Management in Einklang stehen. Auch die Frage »Cui bono?« wird relevant sein, um Gewinner und Verlierer, Befürworter und Gegner des systemischen Paradigmas transparent werden zu lassen. Ich werde diese Frage am Ende des Buches wieder aufgreifen, um Bilanz zu ziehen.
Wie dieses Buch zu lesen ist
Das Buch setzt – dem Thema entsprechend – auf Ihren Willen und Ihre Fähigkeit der Selbstorganisation, liebe Leser. Sie können es von vorne bis hinten durchlesen oder beliebig einzelne Kapitel herausgreifen. Die Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels werden Ihnen dieses Vorgehen erleichtern. Sie können aber auch mit dem 30-Punkte-Plan systemischer Führung beginnen und nur bei Bedarf die wissenschaftlichen Begründungen nachschlagen. Es ist schließlich Ihr Buch.
2. Wie Leben funktioniert
»Let everything be allowed to do what it naturally does, so that its nature will be satisfied.«
ZHUANGZI
Emergenz
Kollektive Probleme – kollektive Lösungen
Die ökologischen Herausforderungen, wie sie beispielsweise auf dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 formuliert wurden, wie auch die Weltfinanzkrise, die 2008 ihren Ausgang nahm, sind kollektive Probleme und erfordern eine kollektive Lösung. Die Herausforderung besteht darin, über Einzellösungen hinaus kollektive, systemische Lösungen zu finden, wie es Einzelne nicht vermögen. Dieses Auftauchen synergetischer Kräfte nennt man auch Emergenz. In der Biologie bezeichnet man als emergente Eigenschaften solche, die im Ganzen entstehen, ohne dass sie in den Teilen jeweils für sich selbst schon vorhanden wären.
Beispiel Ameisenkolonie
Bienen oder Ameisen etwa würden nicht als Einzelwesen überleben, entwickeln aber zusammen eine kollektive Intelligenz, die denen der einzelnen Individuen weit überlegen ist. Die emergente Intelligenz selbstorganisatorischer Systeme lässt sich anhand einer Ameisenkolonie gut verdeutlichen. Aufgrund der Komplexität einer Ameisenkolonie ist es für die Königin unmöglich, jede Ameise zu überwachen oder zu steuern. Dort gibt es keine Führungsstrukturen, auch wenn wir Systeme lange Zeit aus diesem Blickwinkel analysiert – und missverstanden – haben. (Johnson 2001)
Die argentinische Ameisenart Linepithema humile zeigt, dass Kooperation innerhalb einer Spezies einen großen Überlebensvorteil bringt. Linepithema ist deshalb in der Lage, »fremde Ökosysteme extrem erfolgreich zu erobern, weil diese Art – wie bei Ameisen sonst üblich – ihr Territorium nicht gegen jede andere Ameisenkolonie verteidigt. Linepithema geht stattdessen bei der Eroberung neuer Territorien mit anderen Kolonien ihrer eigenen Art gemeinsam vor.« (Kruse 2009, 117)
Beispiele Bienenvolk und Zugvögel
Auch Bienenvölker kennen keine Führung, es gibt kein Individuum, das anführt und entscheidet. Die Bienen organisieren sich einfach selbst. (Laughlin 2009) Ein anderes Beispiel bieten Schwärme von Zugvögeln, die sich von der Basis her ausrichten, ohne »Leithammel« und ohne die Befolgung komplizierter Regeln: »Wer einen Vogelschwarm am Himmel beobachtet, gewinnt eine Vorstellung von spontaner Ordnung, um einen Begriff des Ökonomen Friedrich Hayek zu verwenden.« (Surowiecki 2007, 143f.)
Schon auf biochemischer Ebene sind komplexe Systeme nicht nur als bloßes Nebeneinander ansonsten nicht zusammenhängender Teile zu verstehen. Alle Teile stehen miteinander in Wechselwirkung, und diese Dynamik eines Systems ist als Wirkungsgefüge zu verstehen, als Programm, das die eigene Veränderungsfähigkeit in sich trägt. (Vester 2002)
Kooperative Intelligenz
Heutzutage gewinnt die Idee, zusätzlich zu den Anforderungen von kognitiver und emotionaler Intelligenz auch kooperative Intelligenz zu nutzen, immer stärkere Bedeutung. Den Begriff der »collaborative intelligence« hat William Isaacs (2002) eingeführt. Isaacs meint damit die Fähigkeit, die Energie von Beziehungsnetzwerken zu nutzen und zu verstärken. Doch unabhängig von der Idee der Kooperation geht dieser Gedanke tiefer. Er stützt sich nämlich auf die Idee, dass alle Lebewesen auf einer bestimmten Ebene miteinander verbunden sind. Unterstellt wird eine kollektive Intelligenz, zu der wir nicht nur alle beitragen, sondern auf die wir auch potenziell zugreifen können. (Joyce 2008)
Kooperation versus Wettbewerbsorientierung
Diese Auffassung konterkariert die im Wirtschaftsleben tief verwurzelte Überzeugung, Erfolg auf Wettbewerbsorientierung zu gründen. Dabei zeigt uns die Tierwelt viele mögliche Beispiele für Alternativen. Schwärme von Staren mit Tausenden Vögeln koordinieren Millionen von Flügelschlägen. Diese Synchronie verdankt sich jedoch nicht, wie man vielleicht vermuten mag, den spontanen Reaktionen der Vögel auf die jeweiligen Nachbarn. Die Reaktionszeit wäre hierfür, zieht man das Nervensystem der Vögel in Betracht, viel zu kurz. Dieses Phänomen zeigt sich auch bei Fisch- oder Insektenschwärmen und sogar in großen Tierherden.
Auch Termiten oder Ameisen wenden Verhaltensweisen an, die aus dem Kollektiv entstehen. Termiten bauen im Verhältnis zu ihrer eigenen Größe die größten Bauwerke der Erde und erschaffen in Gruppen architektonisch hochkomplexe Behausungen. Dabei stehen sie nicht unter der Führung von einzelnen »Architekten« oder »Ingenieuren«. Das Wissen entsteht vielmehr im Kollektiv und beim Tun. Dieses emergente Wissen ist demnach in der Gesamtheit der Population vorhanden, nicht aber bei einzelnen Individuen zu beobachten. (Joyce 2008) Auch Ameisen zeigen emergente Eigenschaften in der Gruppe, ohne die Präsenz von Spezialisten oder Anführern. Komplexe Aufgaben, etwa beim Errichten neuer Kolonien, werden von verschiedenen Individuen übernommen. Sie wechseln die Aufgabe gemäß den gerade anfallenden Erfordernissen.
Erfolg durch Kommunikation
Bereits Bakterien beweisen kollektive Intelligenz, wie Eshel Ben-Jacob und James Shapiro anhand der E.-coli-Bakterien gezeigt haben. Die Bakterien stehen in Kommunikation zueinander; und obwohl sie einzeln äußerst geringe Möglichkeiten haben, können sie im Kollektiv Leistungen vollbringen, die für Menschen nicht möglich wären. So haben sie sich etwa von ihrer Nahrungsquelle Laktose auf Aspirin umgestellt. (Joyce 2008)
Während wir Technologien wie Gentechnik oder Internet für fortschrittliche Leistungen unserer Zivilisation halten, gehen Bakterien in analog kreativer Weise schon seit Milliarden von Jahren vor. Nehmen wir nur die Geschwindigkeit, mit der sich die Widerstandsfähigkeit gegen neue Medikamente unter Bakterien ausbreitet. Sie beweist, dass ihre Kommunikation effizienter ist, als es eine Anpassung durch Mutationen wäre. So sind Bakterien in der Lage, sich an Umweltveränderungen innerhalb weniger Jahre anzupassen. Andere Organismen würden dazu Jahrtausende benötigen. (Capra 1996) Bei den Bakterien gibt es anstelle einer vertikalen genetischen Informationsübertragung horizontale Fluktuationen mit außerordentlich rascher Verbreitungsgeschwindigkeit. (Jantsch 1992)
Was können wir daraus lernen?
Durch diese Beispiele angeregt, können wir uns fragen, welche Fortschritte für uns möglich sind, wenn wir unsere kooperative Intelligenz entdecken und einsetzen. Schließlich scheint die Intelligenz beispielsweise von Ameisen oder Termiten als Individuen betrachtet sehr begrenzt zu sein, durch ihr Gruppenverhalten agieren sie aber sehr klug. Was könnten Menschen, die für sich genommen schon individuell klug sind, erst im Kollektiv erreichen? Stephen Joyce (2008) fragt mit Recht, welchen gewaltigen Evolutionsschritt die Entwicklung der kooperativen Intelligenz für die Menschheit bedeuten könnte. Emergenz bedeutet demnach, ebenso wie der mengentheoretische Grundsatz, wonach das Ganze mehr als die Summe seiner Teile darstellt, dass ein Team als Ganzes es schafft, Probleme zu lösen, die kein einzelnes Mitglied allein lösen könnte.
Selbstorganisation als Ordnungsprinzip in der Natur
Den Begriff »Systemtheorie« benutzte erstmalig der österreichische Biologe Ludwig von Bertalanffy (1969) an der Universität von Chicago im Jahre 1937, indem er von einer »General System Theory« spricht. Er formulierte auch den Gedanken der »Emergenz«, wobei er nicht nur die Vernetztheit, sondern auch die Eigengesetzlichkeit von Systemen annimmt. Für ihn stellt dieses neue Paradigma ein neues Menschenbild dar, das die immanente Aktivität anstelle der Reaktion auf Fremdeinflüsse betont. Bertalanffy ahnt bereits, was dieses neue Paradigma auch für andere Disziplinen als die Biologie bedeutet, etwa für die Erziehungswissenschaften oder die Psychotherapie.
Betonung von Ziel- und Zweckorientierung
Bei seiner Definition der General System Theory hebt Bertalanffy die Ziel- und Zwecksetzung von lebenden Systemen hervor. Ähnlich wie bei der aristotelischen Entelechie (griech. telos = Ziel und echein = haben) tragen Lebewesen das Ziel ihrer Entwicklung immer schon in sich. In den Worten der General System Theory heißt dies nun Zielorientierung, Zweckorientierung und Selbstorganisation.
Offene Systeme
Zugleich sind alle Lebensformen als »offene Systeme« zu verstehen: Damit wird ihre Abhängigkeit von ständigen Energieflüssen und Ressourcen betont. Bertalanffy prägt hierbei einen zweiten zentralen Begriff der Systemtheorie, den des »Fließgleichgewichts«, um das Miteinander von Struktur und Veränderung in allen Lebensformen zum Ausdruck zu bringen. Auch dies unterscheidet die General System Theory vom klassischen, naturwissenschaftlichen Verständnis ihrer Zeit. Das konventionelle physikalische Verständnis betonte die Geschlossenheit und die Isolation von Systemen. Für die General System Theory dagegen befinden sich lebende Systeme in einem kontinuierlichen Zu- und Abfluss, sie stehen in einem ständigen metabolischen Auf- bzw. Abbau mit ihrer Umwelt. Bertalanffy definiert damit sowohl das Kriterium metabolischer Offenheit lebender Systeme als auch ihre Aktivität gemäß der inneren Organisationsgesetzlichkeit des Nervensystems.
Veränderung wird nicht von einer äußeren Kraft bewirkt, vielmehr differenziert sich etwa ein sich entwickelnder Embryo über die internen Gesetze seiner Selbstorganisation. Bertalanffy hält dieses Prinzip interner Aktivität für wichtiger als externe Stimuli. Indem er diese Annahme auch auf die Funktionsweise niederer Tiere ausdehnt, formuliert er ein evolutionäres Prinzip. Das Prinzip der Selbstorganisation schließt dabei die Funktionsweisen von Mutation und Selektion keineswegs aus, sondern ergänzt sie. Das allerdings wurde lange Zeit nicht verstanden.
Mutation und Selektion
Charles Darwin
Charles Darwin hat das evolutionäre Grundprinzip in seinem Werk Die Entstehung der Arten im Jahre 1850 dargelegt. Über die Evolution spekuliert hatte schon sein Großvater Erasmus Darwin, ebenso wie etwa Jean-Baptiste de Lamarck. Entsprechende Gedanken finden sich sogar noch früher, etwa bei Empedokles, Buffon oder Saint-Hilaire, aber vor Charles Darwin hat niemand eine plausible Theorie eines Evolutionsmechanismus formuliert. Darwins Verdienst besteht also nicht darin, die Artengenese in die Welt gebracht, sondern als Erster die Ursachen der Evolution angegeben zu haben. (Vollmer 2002)
Darwin geht dabei von drei Hauptfaktoren aus: Vererbung, Mutation und Selektion. Durch Mutationen kommt es zu Varianten; die Individuen unterscheiden sich also. Die Selektion erfolgt durch eine Umwelt, die nicht alle Individuen überleben lässt und einigen bessere Chancen einräumt. Evolution entsteht damit dadurch, dass ein Replikator nur unvollkommene Kopien herstellt, was man auch als »Unausweichlichkeit« der Evolution bezeichnet hat (Blackmore 2005, 38), sofern diese Startbedingungen einmal gegeben sind.
Entwicklung und Stabilität
Darwins ursprüngliche Theorie der Selektion basierte auf dem Gedanken der gegenseitigen Konkurrenz und gegebenenfalls der Vernichtung. Diese Theorie ist heute wissenschaftlich nicht mehr zu halten. Im Gegensatz zur zufälligen Mutation geht man heute vielmehr von einer Selbstveränderung der Organismen durch »im biologischen System selbst angelegte Prinzipien« (Bauer 2008, 66) aus. Anstatt ihr genetisches Substrat wahlloser Veränderung im Sinne der darwinschen Mutation auszusetzen, schützen Organismen den für die Stabilität notwendigen Bestand. Der Freiburger Genforscher Joachim Bauer nennt zwei Grundprinzipien biologischer Systeme: zum einen das der »durch externe Stressoren angestoßenen Entwicklung und zum anderen das der aktiven Bewahrung von biologischer Stabilität« (2008, 67), was nicht nur auf den ersten Blick den systemischen Grundsätzen von struktureller Störung und operationaler Geschlossenheit zu entsprechen scheint.
Die Entstehung neuer Arten geht demnach auf Umbauprozesse innerhalb des Genoms selbst zurück, es organisiert die Veränderungen selbst aktiv, indem beispielsweise genetische Elemente neu kombiniert oder erweitert werden. Ein Beispiel hierfür sind etwa Bakterien, die die Architektur ihres Genoms verändern, um der Vernichtung durch Antibiotika zu entkommen: »Wären Bakterien gemäß der darwinistischen Doktrin in ihrer Abwehr gegen Antibiotika auf in ihrem Genom zufällig auftretende Mutationen angewiesen, hätten wir heute in den Krankenhäusern keine Probleme mit sogenannten nosokomialen Keimen, stattdessen wären Bakterien dort schon lange ausgerottet.« (Bauer 2008, 87)
Selbstorganisation der Gene
Diese Selbstorganisation der Gene unterliegt in einem zweiten Schritt zwar der Selektion, sie fungiert hier allerdings, wie auch der Chaosforscher Stuart Kauffman ausführt, nicht als Ordnungsprinzip erster Ordnung, sondern lediglich als »Veto« gegenüber Organismen, die sich als nicht überlebensfähig erweisen. Die Ablehnung zufälliger Mutationsprinzipien versteht Bauer nicht als Determinismus, er spricht vielmehr von »intrinsischen biologischen Regeln« (Bauer 2008, 118). Sowohl Mutation als auch Selektion behalten demnach durchaus einen Beitrag zur Artenentwicklung in der modernen Evolutionsbiologie, beide bekommen jedoch einen anderen, nämlich sekundären, Stellenwert.
Im Sinne der Systemtheorie ist Leben demnach schon vor Mutation und Selektion durch den operationalen Aufbau bestimmt, Ordnung im Sinne einer spezifischen Selbstorganisation schon vor jeder Mutation vorhanden: »Das genomische Programm, welches den Urbauplan bewahrte, blieb in seiner Grundordnung die gesamte seitherige Evolution hindurch stabil.« (Bauer 2008, 132)
Ordnung ist bereits da
Mit der Mutation als spezifischer und deshalb nicht zufälliger Varianz treten danach ebenso wie mit der Selektion zwei Prinzipien hinzu. Ordnung kommt aber nicht erst mit diesen in die Welt, sondern ist immer schon vorhanden. Die Natur lässt dabei mehr überlebensfähige Varianten entstehen, als durch Selektionsdruck erklärt werden könnte, ein Prinzip, das auch als »Exaption« (Brosius 2005; Cooper et al. 2007) bezeichnet wird. Die Vielzahl neuer Gene und Genkombinationen geht damit weit über das hinaus, was zum unmittelbaren Überleben notwendig wäre, weil sich dies zu einem späteren Zeitpunkt noch als nützlich erweisen kann. Um Überlebensfähigkeit zu gewährleisten, dürfen genetische bzw. epigenetische Veränderungen dennoch wahrscheinlich nicht sehr groß sein, wenn man daran denkt, wie langsam organische Evolution erfolgt. So wird der mögliche Spielraum sicher ausgenutzt, drastische Änderungen würden den Organismus aber wahrscheinlich die Reproduktionsfähigkeit kosten. (Diettrich 1989)
Geht man einmal von einer Stabilität des genomischen Programms während der bisherigen Evolution aus (Bauer 2008), so kann man sich in der Tat fragen, warum der Ursprung dieses Ordnungsprinzips auf die Zeit der Erdentstehung datiert wird. Es ließe sich berechtigterweise, wenn auch noch ohne jegliche naturwissenschaftlich empirische Fundierung fragen, ob dieses Ordnungsprinzip nicht schon zehn Milliarden Jahre vorher, bei der Entstehung des Universums, vorhanden gewesen sein könnte. Das Ordnungsprinzip in der Natur wie auch in den daraus entstehenden Organismen wäre das gleiche und die Gegenüberstellung von Mensch und Natur damit unsinnig. In diesen makrokosmischen Verhältnissen stellt sich die Frage von Anpassung im Sinne von Repräsentanz der Umwelt gar nicht mehr, denn sie wäre durch eine Analogie der Entstehungs- und Ordnungsprinzipien von Organismus und Welt schon immer gegeben.