Kitabı oku: «Todesfalle Campus», sayfa 2

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Ein Abend voller Hiobsbotschaften.

So oder so ähnlich würde Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger im Nachhinein über diesen schwarzen Dienstag urteilen. Tatsächlich aber ahnte er in dem Moment, da die Nachrichten eine nach der anderen in sein Leben strömten, nicht, welche die schlimmste für ihn werden sollte und welche in letzter Konsequenz sein Leben am intensivsten auf den Kopf stellen und ihn zum Umdenken zwingen würde.

Alles begann, kaum dass er seinen Porsche Boxster in der großen Scheune des elterlichen Bauernhofes neben dem Traktor seines Bruders geparkt, das Verdeck geschlossen und den Motor abgestellt hatte, mit dem Läuten seines Handys. Als er die Nummer erkannte, griff er nach seinem Sakko auf dem Beifahrersitz und stieg aus.

„Hallo Schatz, ist was mit den Kindern?“, fragte er und malte sich in Gedanken das schlimmste Szenario aus. Unfalltod, Entführung, lebensbedrohliche Krankheit oder ein Hausbrand. Kaum rief ihn Gabi außer der Reihe an, begann sich schon das Horrorkarussell in seinem Kopf zu drehen.

„Musst du schon wieder so maßlos übertreiben?“, herrschte sie ihn in scharfem Ton an. Der sonst so energische Schneidlinger spürte, wie er innerlich zusammensackte.

„Also?“, fragte er geduldig zurück, ohne auf ihren Ton einzugehen.

„Die Kinder streiken. Sie wollen nicht mehr jedes Wochenende auf dem Bauernhof rumsitzen und hoffen, dass ihr Vater Zeit für sie hat.“

„Und du?“, fragte er seine Frau vorsichtig.

Die Wünsche der Kinder waren ihr noch nie so wichtig gewesen wie ihre eigenen Ziele. Und von jedem Wochenende konnte man ja sowieso nicht sprechen. Während er sich nach seinem beruflichen Umzug nach Passau wieder auf dem elterlichen Hof im Rottal eingelebt hatte, war der Rest der Familie in München geblieben und kam vielleicht alle zwei, eher alle drei, manchmal auch nur alle vier Wochen zu Besuch. Gabi besaß in München mehrere Geschäfte, in denen sie allerlei Kleinkram verkaufte, was unter dem Strich monatlich eine hübsche Summe zusammenbrachte. Kurz gesagt, sie verdiente das Geld, während er, um nicht vor Langeweile zu sterben, gewissermaßen hobbymäßig bei der Kripo seinen Dienst tat. So gesehen führten sie eine überaus moderne Ehe.

„Ich möchte auch nicht mehr auf den Bauernhof kommen“, sagte sie so leise, dass er im ersten Moment nicht glauben konnte, was er gehört hatte.

„Wie?“

„Ich denke, wir sollten uns eine Weile überhaupt nicht sehen. Abstand hat ja noch keiner Ehe geschadet“, erklärte sie wie auswendig gelernt und versuchte sich tatsächlich in einem aufmunternden Lachen.

„Sind die Kinder da?“, hatte er noch gefragt und als sie ihm sagte, dass sie im Schwimmbad seien, hatte er sich auch schon mit einem knappen „Tschüss“ verabschiedet. Er hatte nicht vor zu betteln, letztlich sollte es ja auch nur eine Trennung auf Zeit sein, nicht mehr und nicht weniger.

Als er die Scheune verlassen hatte und den Hof überquerte, war er froh darüber, in diesem Moment nicht seinem Bruder Franz in die Arme zu laufen. Der war das genaue Gegenteil von ihm. Am besten ließ sich das an ihren Lieblingsgefährten ablesen. Schneidlinger liebte den Boxster, sein Bruder seinen Traktor, wobei sie sich dabei preislich in nichts nachstanden.

Auch im Haus war alles still, nur der Fernsehapparat lief, doch den konnte er ignorieren. Die Tür zum Wohnzimmer war geschlossen. Trotzdem atmete er erleichtert auf, als er die Küche betrat, die seine Mutter nach dem Mittagessen wie immer tipptopp aufgeräumt hatte. Er musste Ruhe bewahren, es half überhaupt nichts, wenn er jetzt verrücktspielte. Mechanisch öffnete er den Kühlschrank, schnappte sich ein Bier und ließ den Verschluss laut aufploppen. Ein herrliches Geräusch, geschaffen, um die Welt hinter sich zu lassen.

Während er den herben Gerstensaft genüsslich durch seine Kehle rinnen ließ, beschloss er, Paulina anzurufen. Natürlich würde er sich nicht bei ihr ausweinen, das kam auch gar nicht infrage, aber ein Gespräch mit ihr brachte ihn zumindest auf andere Gedanken. Außerdem mochte er ihre Stimme am Telefon. Sie war sinnlich und verrucht und gleichzeitig unerreichbar. Sie war genau die Art Freundin, die einen Mann verrückt machte und ihn doch immer wieder auf den Boden der Tatsachen stellte.

„Na, wie war dein Tag?“, fragte er eloquent und nahm für sie sogar am Handy Haltung an.

„So schlimm?“, fragte Paulina belustigt zurück, und Schneidlinger musste lachen, weil er ihr einfach nichts vormachen konnte.

„Nein, im Büro war es ganz in Ordnung, ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.“

Dass im Büro alles in Ordnung war, entsprach nicht unbedingt der Wahrheit. Seit Passau neben Freilassing zum bevorzugten Einreisetor für die Flüchtlinge aller weltweiten Kriege geworden war, ging es rund in der Nibelungenstraße, auch wenn für Asylbewerber eigentlich die Bundespolizei zuständig war. Schon lange herrschte bei den öffentlichen Ordnungshütern ein wachsender Personalmangel, und seit zusätzlich die Probleme von außen auf diese Achillesferse drückten, standen sie kurz vor dem Kollaps. Da das niemand zugeben wollte, wurden inzwischen Anweisungen von höchster Stelle erteilt, dass man doch bitte bei nicht so dringenden Fällen einfach wegschauen sollte. Verkehrskontrollen beispielsweise also besser erst gar nicht durchführen, dann machten sie hinterher auch keine Arbeit.

Inzwischen rächte es sich eben, dass bei der Polizei in den letzten Jahren immer mehr gespart und die Achtung vor den Ordnungshütern nicht gestärkt, sondern durch zweifelhafte Gerichtsurteile sogar noch untergraben worden war.

„Was bist du doch für ein schamloser Lügner“, lachte Paulina, und Schneidlinger drückte sich ein wenig näher an sein Handy, denn genau diese Art der Unterhaltung war es, die er so sehr schätzte. „Aber gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ich war heute in der Uni, so wie häufig in den letzten Monaten und es war sehr interessant …“

„Davon hast du aber gar nichts mehr erzählt. Ich dachte, wir wollten darüber noch einmal reden.“ Gern hätte er einen Schluck aus seiner Bierflasche genommen, aber das hätte Paulina gehört und dann hätte sie ihn auch dafür aufgezogen. Sie hatte ihn schon beim letzten Mal einen „Kleinbürger“ genannt. Natürlich nur spaßeshalber, aber immerhin. Also lehnte er sich an die Küchenzeile und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab.

„Josef, du tust ja gerade so, als würde ich in den Puff gehen. Ich studiere wieder, nicht mehr und nicht weniger …“

Er holte tief Luft, um zu einer Gegenargumentation anzusetzen und ihr zu erläutern, was er in ihrem Falle unter mehr oder weniger verstand, als seine Mutter zur Küchentür hereinkam, ihm einen strafenden Blick zuwarf und wortlos das Telefon hinhielt. Dabei war er sich nicht sicher, ob sie ihn belauscht hatte und das Gespräch, das er gerade mit seinem Handy führte, nicht guthieß, oder ob es sie nicht einfach ärgerte, dass sie von ihrer Lieblingssendung lassen und ein Gespräch annehmen musste, das nicht für sie bestimmt war. Schneidlinger vermutete letzteres, denn seine Mutter war eine herzensgute Frau, die lediglich ihre festen Prinzipien hatte. Und dazu gehörten einfach ihre Lieblingssendungen, die sie nicht verpassen wollte. Besser man kam ihr dabei nicht in die Quere.

Da es unmöglich war, sein Gespräch mit Paulina in Ruhe fortzusetzen, verlegte er sich aufs Beschwichtigen. „Nein, nein, natürlich nicht. Aber ganz so entspannt wie du sehe ich es auch nicht“, erklärte er umständlich und hoffte, im Vergleich zu seiner Mutter würde Paulina sofort verstehen, was er damit sagen wollte.

„Bist du nicht allein?“, fragte die prompt zurück.

Seine Mutter machte eine ungeduldige Kopfbewegung in Richtung des Telefons in ihrer Hand. Schneidlinger nickte zurück und erbat sich mit einer besänftigenden Handbewegung noch einen kleinen Aufschub. Paulina wartete auf eine Antwort. Sie hatten Anfang des Jahres schon einmal darüber gesprochen. Ganz kurz nur, und da hatte sie argumentiert, dass Weiterbildung in ihrem Job unumgänglich sei. Im Prinzip fand er das ja auch gut, nur eben nicht so, wie sie das organisierte … oder zumindest wie er befürchtete, dass sie es organisierte.

„Es tut mir leid, aber ich bekomme gerade einen dringenden Anruf“, sagte er mit enttäuschter Stimme. „Ich melde mich bei dir, machs gut!“

„Herr Obermüller“, erklärte seine Mutter und reichte ihm endgültig das Telefon. Sie war die einzige, die den Kollegen mit Herr ansprach, für alle anderen war er einfach nur Obermüller. Ein ausgezeichneter Ermittler, wie Schneidlinger inzwischen gelernt hatte, gemütlich, aber sehr zuverlässig und ausgleichend im Arbeitsklima. Obermüller hätte nie angerufen, wenn es nicht dringend gewesen wäre.

„Tut mir leid Chef, aber ich konnte Sie am Handy nicht erreichen. Auf dem Unigelände wurde eine weibliche Leiche gefunden. Und es gibt keinen Zweifel, die Frau wurde ermordet!“


Im Strom der Blechlawine, die sich um diese Zeit quer durch Passau arbeitete, wurde Franziska über die Schanzlbrücke, durch das Nadelöhr Nikolastraße und schließlich die Innstraße entlanggespült, bis sie sich, mit deutlich ruhigerem Pulsschlag, vor der Zentralbibliothek nach einer Parkmöglichkeit umsah. Walter hatte die Dringlichkeit des Anrufes endlich erfasst, sie von den Handschellen befreit und dann doch erst einmal seine Arme um sie geschlungen und ihr einen langen Kuss gegeben. Wie so oft hatte er Verständnis für das, was sein musste, während sie ihren Beruf in diesem Moment genauso dafür hasste, dass er immer zur falschen Zeit so wichtig wurde, wie sie ihn im nächsten Moment für seine ganze Vielfalt liebte.

Bevor sie sich jedoch auf den Weg machen konnte, musste sie sich zuerst der schwarzen Dessous entledigen und sich tatortgeeignet ankleiden.

So stieg sie jetzt mit Sneakers, Jeans, T-Shirt und einem Leinenblazer bekleidet aus ihrem Auto, das sie schließlich neben den Fahrzeugen der KTU abgestellt hatte und wappnete sich innerlich für das, was sie gleich in Augenschein nehmen sollte. „Mach dich auf einiges gefasst!“, hatte Hannes noch hinzugefügt, nachdem er ihr den rückseitigen Ausgang der Zentralbibliothek genannt hatte. So ließ Franziska auch den Haupteingang des Gebäudes unbeachtet liegen und umrundete den hellgestrichenen Bau, bis sie auf Obermüller stieß, der gemeinsam mit einigen Kollegen am Flatterband wartete. Der sonst so robuste Ermittler war grau im Gesicht und wirkte mitgenommen.

„Hallo Obermüller, gibt es schon Erkenntnisse?“ Noch versuchte sie ihrem Tonfall etwas Heiteres zu verpassen. Der Wunsch, egal wie schlimm es kommen konnte, nicht zu viel an sich heranzulassen, lag nahe.

„Ich würde sagen, sie hat sich mit dem falschen Kerl eingelassen.“

„Ich wollte von dir wissen, was du weißt und nicht was du vermutest“, wies ihn Franziska sanft zurecht.

„Georg Brummer, einer der Bibliothekare, hat die Leiche gefunden. Sie liegt in“, Obermüller blickte auf einen Zettel, den er in der Hand hielt, „einem Dublettenmagazin. Das grenzt direkt an das eigentliche Büchermagazin der Uni an, ist aber ein abgeschlossener Raum mit einer Tür nach draußen in Richtung Inn.“

Die Oberkommissarin nickte. „Weißt du sonst noch was, Obermüller?“

„Ja, also: Der Raum hat ursprünglich das Archiv der Universität beherbergt. Das zog dann nach Fertigstellung des Verwaltungsgebäudes dorthin um. Nachdem das Archiv frei war, wurde es kurzzeitig als Sozialraum für die Mitarbeiter des Magazindienstes genutzt, bis auch dafür entsprechende Räumlichkeiten eingerichtet wurden. Aktuell lagern dort Buch- und Zeitschriftenbestände, die in nächster Zeit ausgemistet werden sollen, weil es sich um Zweit- und Drittexemplare handelt.“

„Aha, und wer hat dich derart umfangreich informiert?“, hakte Franziska interessiert nach.

„Georg Brummer, er ist einer der Bibliothekare, die das alles sichten, eventuelle Schätze vor dem Untergang retten und alles andere der Vernichtung zuführen müssen.“ Der dicke Ermittler lächelte schief. „Ich hatte den Eindruck, als täte es ihm um diese alten staubigen Bücher mehr leid, als um die junge Frau.“

„Du meinst …“

Abwehrend hob Obermüller die Hände. „Nein, nicht dass ich ihm die Tat anhängen will, aber mir scheint, Bücher sind seine große Leidenschaft. Er ist übrigens Volkskundler … ja und normalerweise wird der Raum nur selten genutzt …“ Hilflos zuckte er mit den Schultern.

„Okay! Wo muss ich hin?“

„Immer dem Rundweg folgen, dann findest du es.“

„Ist der Chef auch schon da?“

„Ja, er hat die Uni-Präsidentin aus dem Bett geklingelt“, berichtete Obermüller sachlich. „Und dein Lieblings-Notarzt schaut sich das Opfer gerade an. Vielleicht kann er dir ja schon mehr sagen.“

Franziska nickte. „Der gute Dr. Buchner!“ Sie musste lächeln. Obwohl sie sich nur an Tatorten trafen, war zwischen dem gütigen Mediziner, der seine ruhige Art auch bei heftigen Fällen niemals ablegte, und ihr so etwas wie eine Freundschaft entstanden. Auch wenn er sich nie zu vorschnellen Aussagen verleiten ließ, konnte sie ihm meist etwas entlocken. Aber noch wichtiger war, dass sie ihm vertraute, weil er wusste, wie wichtig seine erste Einschätzung war.

Als sie das grüne Gittertor erreicht hatte, warf sie einen letzten Blick in den abendlichen und fast wolkenlosen Himmel, holte tief Luft und ging hinein. Die Tür zum Dublettenmagazin stand weit offen und gab den Blick auf einen Raum mit grauen, schäbigen Metallregalen und einem eben solchen PVC-Bodenbelag frei. In den Regalen lagerten die von Obermüller beschriebenen Bücher und Zeitschriften. In einer Ecke standen ein paar kaputte Stühle, platzsparend aufgestapelt. Aufgeschlitzte Kissen lagen auf einem Tisch. Die Oberkommissarin entdeckte Schachteln mit undefinierbarem Inhalt, kaputte Plakataufsteller, verbogene Buchstützen und über all dem strahlten Neonröhren, von denen die Spinnweben herunter hingen.

Franziska blickte zu Dr. Buchner in seinem roten Anorak. Der Notarzt untersuchte eine junge Frau, deren schlanker Körper mit einigen schwarzen Stofffetzen eher umwickelt als bekleidet war. „Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten“, erklärte er gerade, woraufhin die Kommissarin näher trat und sich über den Hals und das arg zugerichtete Gesicht des Opfers beugte, das von unzähligen Wunden entstellt war. Franziska hatte schon einiges gesehen, dennoch sog sie scharf die Luft ein, als sie auf die junge Frau hinunter blickte. Die blutunterlaufene Haut und die zugeschwollenen Augen zeugten ebenso wie die Wunden, Striemen und Blutergüsse, mit denen ihr gesamter Körper überzogen war, von einem schlimmen Martyrium.

Die Tote lag auf der linken Seite, der Kopf ein wenig überstreckt in einer Blutlache, die langen blutgetränkten Haare nach oben gezogen, als ob sie daran festgehalten worden wäre. Ihre Arme lagen vor ihrem Körper, die Handgelenke wiesen dunkle Vertrocknungsspuren auf, was darauf hindeutete, dass sie vor ihrem Tod über einen langen Zeitraum gefesselt gewesen sein mussten. Die Beine lagen ausgestreckt auf dem staubigen Boden. An den Fußgelenken befanden sich die gleichen vertrockneten Fesselspuren wie an den Handgelenken.

Annemarie Michel, die Leiterin der Kriminaltechnik, stand neben Buchner und reichte Franziska ein Paar Latexhandschuhe für den Fall, dass sie die Tote inspizieren wollte.

„Hat sie versucht sich zu wehren?“, fragte die Oberkommissarin ihre ältere Kollegin, denn sie war sich sicher, dass Annemarie bereits alles in Augenschein genommen hatte.

Die Chefin der KTU beugte sich hinunter und ergriff die rechte Hand der Toten. „Entweder kam sie nicht mehr dazu, bevor sie gefesselt wurde“, Annemarie blickte Franziska nachdenklich an, „oder sie wollte sich gar nicht wehren. Fingernägel und Zähne sind jedenfalls intakt.“

„Du denkst an einvernehmlichen Sex? Prostitution oder ein ausuferndes Liebesspiel?“

Annemarie zuckte mit den Schultern. „Seit scheinbar alle Welt Gefallen an Sado-Maso-Spielchen entdeckt hat … wer weiß?“

„Ja gut“, räumte Franziska ein und dachte kurz an ihre eigene Vorstellung von Liebesspielen. „Aber solche Spiele haben doch ihre Grenzen, da gibt es feste Regeln und an die hat man sich zu halten. Und bestimmt gehört dazu nicht, sich ohne Gegenwehr die Kehle durchschneiden zu lassen.“

„Natürlich nicht!“ Annemarie erhob sich und gab damit den Blick auf den Boden rund um die Beine der Toten frei. „Aber siehst du die Staubschicht? Sie hat noch nicht einmal gezappelt, als er das Messer ansetzte.“

„Dann war sie vielleicht schon tot, als er ihr die Kehle durchschnitt?“

„Nein!“ Energisch mischte sich Buchner in die Spekulationen ein und lenkte damit den Blick wieder auf den Kopf der Toten. „Um so viel Blut aus dem Körper zu befördern, muss das Herz schon noch tüchtig pumpen. Und dass es den Körper noch ordentlich leergepumpt hat, zeigt sich wiederum an den nur sehr spärlich vorhandenen Leichenflecken.“

Franziska nickte. „Ja klar. Mein Fehler.“

Buchner schenkte ihr ein Lächeln. „Ich will mich nicht festlegen, das …“

„… können die Kollegen in München besser beurteilen!“ Auch Franziska lächelte über diese Routineaussagen.

„Sie könnte zu diesem Zeitpunkt einfach aufgegeben haben. Ich meine, so wie sie zugerichtet ist, war das keine Sache von fünf Minuten.“

„Wurde sie vergewaltigt?“

„Genau kann ich das nicht sagen. Fakt ist, dass sie im Genitalbereich schwer verletzt wurde. Ob nur äußerlich oder auch innerlich …“ Der Mediziner zuckte mit den Schultern.

„Aber dann muss sie doch wenigstens am Anfang geschrien haben. Und das muss doch jemand gehört haben. Draußen führt ein Weg direkt an der Tür vorbei. Da könnten Spaziergänger entlanggegangen sein …“ Franziska warf einen ratlosen Blick zu Hannes, der gerade neben ihr aufgetaucht war. Doch außer einem begrüßenden Nicken trug der nichts zum Gespräch bei.

„Können Sie etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“, fragte Franziska vorsichtig, denn sie wusste, wie ungern sich der Notarzt solchen Spekulationen hingab.

„Na ja, ich denke jetzt mal laut nach. Die Leichenstarre ist voll ausgeprägt. Das ist in der Regel und vor allem bei den gerade herrschenden Temperaturen nach etwa acht bis zehn Stunden der Fall. Die Lösung sollte nach etwa vierundzwanzig Stunden beginnen. Das ist so, weil sich das Muskeleiweiß dann selbst verdaut, was anschließend in die Fäulnis übergeht. So weit ist es aber scheinbar noch nicht.“ Buchner blickte kurz die Kommissare an, sprach dann über die Tote gebeugt in seinem Vortragston weiter. „Die Leichenabkühlung erfolgt in drei Phasen. In den ersten zwei bis drei Stunden bleibt die Temperatur erhalten, die zum Todeszeitpunkt herrschte, danach geht sie pro Stunde etwa ein Grad runter, bis die Umgebungstemperatur erreicht ist.“

Der Mediziner blickte erst auf seine Uhr und dann auf die Thermometer, die er gerade ablas. „Jetzt haben wir 20 Uhr 50, sagen wir 21 Uhr. Die Umgebungstemperatur in diesem Raum beträgt 18 Grad. Die Mastdarmtemperatur unserer Leiche zeigt 19 Grad an. Sie ist also noch in der Auskühlungsphase. Wenn wir davon ausgehen, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes 37 Grad Körpertemperatur hatte, ergibt sich eine Differenz von 18 Grad beziehungsweise 18 Stunden, plus zwei bis drei Stunden. Macht 20 bis 21 Stunden oder eine geschätzte Todeszeit von 22 bis 23 Uhr am gestrigen Abend.“

Franziska nickte zufrieden. Sie wusste, dass sich Dr. Buchner auf diesen Zeitpunkt nicht festnageln lassen würde. Sie wusste aber auch, dass sie jetzt einen soliden Anhaltspunkt hatten.

„Gut, dann müssten wir jetzt nur noch wissen, wie lange sie hier zuvor festgehalten wurde.“

„Dazu kann vielleicht der Bibliothekar Georg Brummer etwas sagen“, mischte sich Hannes nun doch ein. „Ich habe ihn befragt, aber er musste zurück in den Lesesaal.“

„Was hat er ausgesagt?“

„Nur dass er sie aus Zufall gefunden hat. Er habe gestern Abend schon einige dieser“, Obermüller zuckte mit den Schultern, „Schätze geholt und wollte sich heute weitere holen, um sie sich in seiner Spätschicht vorzunehmen. Dabei hat er sie gefunden.“

„Wann gestern Abend?“

„Er meinte so um fünf. Da habe er seinen Spätdienst angetreten und da war der Raum leer.“

„Spätdienst! Ich wusste gar nicht, dass Bibliothekare so was machen“, überlegte Franziska.

„Na ja, das hab ich ihn auch gefragt, aber er sagte, er wäre lieber hier und sichte Bücher, als zuhause zu sein.“ Obermüller grinste kurz, aber aussagekräftig und streckte Franziska einen Zettel entgegen. „Hier ist seine Handynummer.“

„Und hier sind ihre Sachen“, mischte sich die kleine Mona, eine weitere Kollegin der KTU, in das Gespräch ein und drückte Hannes eine Plastiktasche in die inzwischen behandschuhten Hände. Mona war zwar nur einsfünfzig groß, dafür aber sehr gewieft und bekannt für ihre tollen Fotos. Wie immer hatte sie zunächst den ganzen Tatort minutiös abfotografiert, bevor irgendjemand sich daran zu schaffen machen durfte.

„Das hab ich da hinten gefunden.“ Mona zeigte zu einem der Stühle, die an der Wand aufgestapelt waren. „Solche durchsichtigen Taschen sind unter anderem in der Bibliothek vorgeschrieben“, bemerkte sie.

Annemarie nahm den Beutel aus Hannes’ Händen und schaute hinein. „Tempos, Geldbörse und Schlüsselbund.“ Vorsichtig hob sie ein Bündel Kleidung heraus. „Und ein komplettes Outfit: BH, Slip, Flipflops, ein Kleid“, zählte sie auf und schlussfolgerte sofort: „Demnach hat sie sich erst hier umgezogen!“

Hannes blickte sich um und dann die tote Frau an. „Also war sie verabredet und wollte den Mann beeindrucken“, spekulierte er.

„Ich weiß nicht. Das passt doch nicht! So was macht man in einem Hotel, aber doch nicht in einer Abstellkammer.“ Alle Augen richteten sich auf Franziska, doch die blickte ganz ruhig und nachdenklich auf die Tote. „So was zieht man am besten vor dem Spiegel an …“, Annemarie nickte zustimmend, „… und nicht in einer dunklen Ecke eines schmuddeligen Raumes. Noch dazu, wo hier ja scheinbar doch hin und wieder jemand vorbei kam.“

„Vielleicht hatte sie es zufällig dabei und ihr Partner überredete sie, es anzuziehen“, überlegte Hannes.

„Du meinst, sie haben es in der Stadt gekauft und fanden das so erregend, dass sie spontan beschlossen haben, hier Sex zu haben?“ Franziskas Gesichtsausdruck zeigte, dass sie dieser These sehr skeptisch gegenüberstand. „Habt ihr denn eine Einkaufstüte und einen Kassenzettel gefunden?“

Mona schüttelte den Kopf. „Nichts dergleichen!“

„Immerhin spricht die ganze Verkleidung für eine Beziehungstat. Für einvernehmlichen Sex, der dann zu heftig wurde“, resümierte Franziska ruhig. „Wie und warum sie hier gelandet sind, wird sich zeigen müssen …“

„Sie könnten sowohl durch die Bibliothek, als auch vom Innweg hereingekommen sein“, wusste Mona und griff nach der Geldbörse und dem Schlüsselbund, die sie vorsorglich in eine Asservatentüte gesteckt hatte. „Hier ist übrigens ihr Studentenausweis. Sie heißt Vanessa Auerbach.“

„Und sonst?“, fragte Franziska und blickte auf die Tasche.

„Hundertfünfzig Euro und eine EC-Karte. Zwei Kassenzettel, etwas Kleingeld. Eine Campus Card“, berichtete Mona und überprüfte die weiteren Fächer.

„Was ist mit dem Handy?“

„Kaputt!“ Mona holte aus ihrer Sammelbox eine weitere Tüte der Marke Asservatenkammer und hielt sie für alle gut sichtbar in die Höhe. „Dieses superschicke Smartphone wurde von irgendjemandem ziemlich schlecht behandelt.“

„Funktioniert es noch?“, hakte Franziska nach und wollte schon nach dem Handy greifen, aber Mona schüttelte energisch den Kopf. „Da muss ein Techniker ran.“

Resigniert nickte Franziska. „Was hast du sonst noch gefunden? Vielleicht die Tatwaffe, ein scharfes Messer oder so?“

„Bisher Fehlanzeige. Aber die Kollegen suchen bereits das Gelände ab.“

„Was allerdings schwierig werden wird.“

Franziska wirbelte herum. Hinter ihr stand der leitende Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger. „Ich habe mich gerade mit der Präsidentin der Universität unterhalten. Sie sagte mir, dass gestern auf dem Campus eine ziemlich große und durchaus laute Party stattgefunden hat, mit Livemusik, Picknick und wohl entsprechend viel Alkohol.“

„Immerhin erklärt das, warum niemand etwas bemerkt hat“, schlussfolgerte Hannes aus der Tatsache, dass zur Tatzeit rundum lautstark Musik gespielt worden war. „Man konnte ihre Schreie gar nicht hören. Vielleicht hat der Täter genau das ausgenutzt.“

Franziska nickte zögernd. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber egal ob Prostitution, Liebesspiel oder was auch immer hier aus dem Ruder lief. Wir müssen herausbekommen, mit wem sie sich getroffen oder verabredet hat. Wer Zugang zu diesem Raum hatte und wer vielleicht doch etwas beobachten konnte.“ Sie griff nach dem Schlüsselbund in Hannes’ Händen.

„Wie kommen Sie auf Prostitution?“, hakte Schneidlinger ein wenig scharf nach, weshalb Franziska sofort in die Verteidigungsposition ging: „Ein Spiel? Geld? Drogen? Irgendetwas muss sie ja dazu gebracht haben, sich hier derart entkleidet auf ihren Mörder einzulassen.“

Schneidlinger blickte nachdenklich auf das zerstörte Gesicht der Toten. „Ja natürlich. Irgendetwas muss diese Frau dazu gebracht haben, an diesem besonderen Ort ein Stelldichein mit dem Tod zu haben.“


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