Kitabı oku: «DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis», sayfa 4
Die Hersirin der Gunna runzelte die Stirn, dann trat Entsetzen in ihr Gesicht. »Gautaz Dagurssun, wenn du damit sagen willst …«
»Du hast die weise Solweig gehört«, brummte der Hersir der Aasa, »zweifelst du ihre klugen Worte etwa an? Auch die Alten meiner Sippe werden zurückbleiben und ich werde ihr Opfer ehren.«
Katla sah zu Odda. Sie rang mit sich.
»Verzeiht mir.« Jurga erhob sich. »Das sollte nicht in dieser Runde besprochen werden. Darüber hinaus«, sie warf Vardur einen Blick zu, »sind wir im Haus der Havar lediglich zu Gast. Überlassen wir ihnen wieder ihre Halle und klären alles Weitere im Freien, innerhalb unserer Sippen.«
Der Raum leerte sich. Katla trat zu Odda, die ihr mit versteinertem Gesicht entgegensah. Gautaz beobachte dies mit einem selbstzufriedenen Grinsen, ehe er sich abwandte und hinaustrat. Hrok folgte ihm wie ein Hund dem Herrn.
Nur die Mitglieder der Havar-Sippe blieben zurück: Horm Ohnehand und dessen Gefährtin Arnthrud. Vardurs Onkel Otur und die Heilerin Esa. Die kluge Yoldra, die erfahrenen Krieger Fridgerd und Eindridi. Erla, die das Ruder der Thurehs übernehmen sollte. Auch Wulfaz’ Schwester Mardal, die selbst erblindet als eine der wenigen Saithaleudi noch von Nutzen für die Sippe sein würde, blieb zurück. Sie war inzwischen alt genug, um im Hjalding zu sprechen.
Natürlich vermisste er auch Gesichter und das schmerzlich: Ingjald und Wulfaz, deren Verlust er niemals überwinden würde, ebenso wenig wie den seiner Großmutter Salbjerg. Er würde viel dafür geben, wäre sie noch am Leben und könnte die Havar selbst nach Osten führen. Er vermisste Hjaldvaig, die immer an ihn geglaubt hatte, sowie Urdrun und Arinbjern. Weniger vermisste er Snevar und Swartaz, auch wenn er dieser Tage keinem seiner Sippe den Tod wünschte. Es gab schon so wenige von ihnen und noch weniger würden im neuen Land ankommen – wenn überhaupt.
Solwa trat neben den Sitz des Hersirs und winkte ihn näher. Ein Gedanke zuckte durch Vardurs Kopf: Das ist die letzte Gelegenheit. Wenn ich mich jetzt umdrehe und sie alle verlasse, sind sie vor mir sicher – vor meinem Fluch. Ich führe dann niemanden mehr ins Verderben.
Sein Blick fiel auf Horm, der ihm aufmunternd zunickte. Natürlich hatte er recht.
Ich bin ein Abkömmling Havars, der sich hoch erhobenen Hauptes dem löwenhäuptigen Uskur stellte. Was würde er sagen, wenn er mich jetzt zögern sieht? Was würde Salbjerg sagen?
Vardur räusperte sich. »Ihr alle wisst, was ich sagen will, also fasse ich mich kurz. Wir haben immer noch keinen neuen Hersir gewählt. Swartaz steht nicht mehr länger zur Wahl. Wenn ich könnte, ich würde meine Großmutter zurückholen, denn es gab seit Havars Zeiten keine bessere Hersirin.«
Die Umstehenden starrten ins Feuer.
»Salbjerg fürchtete den Tag, an dem die Schiffe der Imperja vor der Küste von Eikey erscheinen und Havarskog in Asche und Blut versinkt. Asche können sie gerne haben, und reichlich davon, denn wir hinterlassen ihnen kein einziges Haus, keinen Hof, kein Vieh oder Getreide. Unser Blut erhalten sie jedoch nicht, das tragen wir mit uns über das Eiwara. Dort bauen wir neue Häuser und Hallen, züchten neues Vieh, legen neue Felder an. Fern vom Imperjaz, frei und sicher vor allen, die uns schaden wollen.«
Die Anwesenden nickten zaghaft.
Er fühlte sich nun wesentlich mutiger, oder zumindest kümmerte es ihn nicht mehr, wie seine Sippe reagierte. »Wir können nicht ohne Hersir aufbrechen. Ihr alle wisst, warum ich immer gezögert habe, das Amt einzufordern. Wenn ihr nicht bereit seid, mir zu folgen, dann soll es mir recht sein. Wählt Yoldra Saunsduhter, sie wird eine gute Hersirin für die Sippe sein. Entscheidet euch meinetwegen für meinen Onkel Otur und ich werde nicht murren.«
Einige der Umstehenden schmunzelten. Für einen Augenblick huschte ein Anflug von Hoffnung über Oturs Gesicht, dessen Hand auch jetzt ein Horn mit Met hielt. Dann senkte er den Blick wieder.
Vardurs Herz hämmerte in seiner Brust. Thagalgrimm trieb ihn an, der Zorn darüber, dass sie morgen ihre Heimat verloren und dass die Imperja gewonnen hatten. Dass sie ihn bereits so viele Freunde und Angehörige gekostet hatten. Die Worte seiner Großmutter trieben ihn an, die gestorben war, ohne zu wissen, ob ihre Sippe weiterleben würde oder nicht.
»Aber wenn ihr jemanden wollt, in dem Salbjerg mehr gesehen hat, als er selbst es tat, dann seht mich an. Wenn ihr jemanden wollt, der um die Schwere dieser Verantwortung weiß, dann gebt mir eure Axt. Jemanden, der immer nur das Beste für diese Sippe wollte, nicht für sich selbst. Jemanden, der kein Hersir werden will, weil ihm danach ist, anderen Befehle zu geben, sondern jemanden, der es als Bürde ansieht. Wählt jemanden, der weiß, dass unsere einzige Rettung jenseits des Immermeeres wartet, und dies bereits wusste, als ihr noch gezaudert habt. Und nun schwatzen wir nicht mehr länger, sondern fällen eine Entscheidung. Die Thurehs muss beladen werden und ich muss noch mit den Hersiren klären, wo genau im Verband die Kinder Havars segeln.« Er stockte, sein Gesicht gerötet. Seine Wangen fühlten sich heiß an.
Die Umstehenden starrten ihn reglos an. Horm grinste. Arnthrud nickte ihm aufmunternd zu. Otur prostete ihm stumm mit dem Methorn zu. Yoldra senkte still lächelnd den Kopf.
Solwa unterdrückte ein Schmunzeln und bemühte sich um einen Ausdruck, der dem Ernst des Anlasses angemessen war. »Unsere geehrte Hersirin Salbjerg, so war es immer ihr Wunsch, wollte Vardur Arnarssun als ihren Nachfolger und deshalb will ich ihn in ihrem Namen als Hersir vorschlagen. Macht noch jemand einen Vorschlag?«
***
Er starrte den Sand und Kies zu seinen Füßen an. Wasser rollte den Strand hinauf, brachte Schaum mit sich und umspülte seine Schuhe.
»Vardur?«
Er sah auf. Horm musterte ihn fragend.
Glaiwa kündigte sich gerade erst am östlichen Horizont an. Das rote Band ließ sich mehr erahnen, als wirklich erkennen.
Vardur räusperte sich. »Ich bin so weit.« Rasch bückte er sich, nahm einen großen, nassen Kiesel vom Ufer auf und ballte die Faust darum. Dann hob er erst einen, dann den zweiten Fuß von dem Land seiner Vorfahren und trat auf den Steg, an dessen Ende die Thurehs auf ihn wartete. Die Mitglieder der Fahrtgemeinschaft waren bereits auf ihren Plätzen. Erla stand am Ruder. Es war befremdlich, dass ihn dort nicht Hjaldvaig oder Thursdur erwarteten.
Vierzig Gesichter musterten ihn gespannt, als Vardur ans Heck trat. Horm lächelte ihm aufmunternd zu. Jeder freie Platz war mit Proviantpaketen, Wasserfässern und Waffen belegt, mit Ersatzsegeln, Netzen und Harpunen.
»Wohin also?«, erkundigte sich Erla.
»Nach Osten. Setzt die Segel.«
Rund einhundert Ottas, schwer beladen mit Menschen, Vorräten und Vieh, hissten ihre Segel. Ebenso viele Drachenköpfe wandten sich dem offenen Meer zu, wo Glaiwa, die Gleißende, in der Ferne den Horizont in Brand steckte – und wo als kleine schwarze Punkte die Schiffe der Imperja bereits zu erahnen waren.
Vardur blickte zurück.
Rauchsäulen stiegen von Havarskog in den allmählich heller werdenden Himmel, als der neue Tag die Nacht ablöste.
Entlang des Strands aufgereiht standen oder saßen diejenigen, die sie nicht auf ihrer Reise begleiteten – die Alten, die Kranken. Am Morgen hatten sie Dolche und Messer verteilt, dann die letzten Höfe und Häuser in Brand gesteckt.
Manche der Zurückgebliebenen hockten auf dem flachen Ufer, andere sahen ihnen aufrecht und erhobenen Hauptes nach. Solweig, die alte Hersirin der Isleif, hob grüßend die Hand. Odda, Katlas Mutter, stand neben ihr auf dem Anleger und starrte reglos geradeaus.
Vardur drehte sich wieder um, wandte den Blick von seiner Heimat ab und sah nicht mehr zurück.
Kapitel 3
Odalwik, Brajan 2120 IZ
Gautaz erlaubte sich ein zufriedenes Grinsen. »Ihr hattet nicht genug Zeit, was? Hat er euch zu lange beschäftigt?«
Stainar, der neben ihm stand und das Ruder der Wegafreki hielt, warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Es sind nicht so viele, wie befürchtet.« Gautaz wies auf den Horizont. »Ullbjern wird sie ganz schön geärgert haben. Er hatte schon immer ein Talent dafür. Uns hilft es heute.«
Die Flotte hielt nun zügig auf die Schiffe der Imperja zu, die als schwarze Umrisse vor der aufgehenden Sonne erschienen. Noch war es ruhig über der Odalwik, doch das würde sich bald ändern.
Jurgas Otta führte sie an. Das hatte sich nicht vermeiden lassen, auch wenn die übrigen Hersire diese unkluge Entscheidung sicher bereuen würden.
Gautaz’ Wegafreki segelte auf der einen Seite, die Thurehs der Havar, die doch tatsächlich den vorlauten Bengel Vardur zum Hersir gewählt hatten, auf der anderen. Die meisten der mit Kriegern besetzten Ottas fuhren der Flotte voraus, dann kamen die bauchigen Frachtschiffe. Auf einem davon segelte Katla mit ihren beiden gemeinsamen Kindern. Sie alle drei konnten sich dort, in seinem Rücken, sicher fühlen.
Weitere Kriegsschiffe schützten die Flanken ihres Schiffsverbands. Einhundert Schiffe brachen in die neue Heimat auf, die Jurga ihnen versprochen hatte. Nun waren die Drachenköpfe unverhüllt, auch die Bugzier der Wegafreki hielt den Blick stur nach Osten gerichtet.
»Sieht so aus, als hätte der Geist ihr einen guten Ratschlag gegeben, als er auf raschen Aufbruch drängte«, murmelte Stainar. Der Steuermann mit dem buschigen Schnurrbart nickte zum Horizont hinüber. »Vielleicht kommt es nicht mal zum Kampf, wenn wir durch sind, ehe sie die Lücken schließen.«
Gautaz warf ihm einen missbilligenden Blick zu, doch er war zu gut gelaunt, um Stainar zurechtzuweisen. »Soll mir recht sein.« Er packte seine Axt fester und zuckte mit den Schultern. Odda am Steg von Havarskog zurückzulassen, verlieh ihm ein Hochgefühl, das ihn auch noch über das gesamte Eiwara tragen würde. Wie ein lästiges Insekt war sie stets um ihn herumgeflogen, summend und brummend, und hatte sich nie verscheuchen lassen. Diese Unternehmung erwies sich schon jetzt als Erfolg.
Ihr Schiffsverband hielt, einem Keil gleich, auf die Südspitze der Halbinsel Hjaldingard zu, wo das Ufer rasch zu schroffen Klippen anstieg, die günstige Nistplätze für Gletschermöwen boten. Ganze Möwenschwärme kreisten darüber, so als wollten sie die Ottas verabschieden.
Die Steuerleute der Hjaldinger kannten diese Gewässer bestens, jede plötzliche Untiefe, jeden trügerischen Felsen. Sie wussten, wie nahe sie dem Land kommen durften. Und ihre Ottas hatten einen sehr viel geringeren Tiefgang als die Schiffe ihre Gegner.
Die Galeeren, die geduldig auf sie warteten, zogen sich entlang des ganzen Horizonts, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Es gab jedoch eine angenehm große, geradezu verlockende Lücke in ihrem Zentrum.
»Stümper!«, stieß Gautaz verächtlich hervor. »Wer soll denn darauf reinfallen?«
Vergnügt wanderte er nach vorne, vorbei an den Frauen und Männern seiner Mannschaft, die sich bereits auf die Schlacht vorbereiteten. Er klopfte Hrok zufrieden auf die Schulter. »Gleich ist es so weit. Schauen wir mal, ob wir nicht ein paar von ihnen auf die Felsen locken.«
Der junge Krieger nickte überrascht. »Das wäre ein willkommener Anblick, Hersir!«
Etwas zu eifrig, wie immer. Doch Hrok hatte seine Lektion gelernt und verstand, wo sein Platz im Rudel war. Da übersah Gautaz gerne die eine oder andere kriecherische Unterwürfigkeit. Er trat an den Vordersteven, die Hände um den langen Stiel seiner Axt gelegt. Der Tighrirschädel, den Ullbjern ihm geschenkt hatte, hing fest verschnürt unter dem Drachenkopf, die leeren Augenhöhlen in dem bleichen, ehrfurchtgebietenden Stück Knochen nach vorne gerichtet.
Die Imperja sollten wissen, wer auf dieser Otta fuhr, mit wem sie es zu tun bekamen, wenn sich die Wegafreki näherte – keine verängstigten Bauern, nicht irgendein dahergelaufener junger Hersir, sondern ein Krieger, der sich von nichts schrecken ließ.
Sie hielten zügig auf die Blockade zu. Nun bemerkten auch die Imperja, dass die Hjaldinger kein Interesse daran zeigten, ihre freundlicherweise offen gehaltene Mitte anzusteuern, und stattdessen auf die nördlicher liegenden Galeeren zuhielten, die vor der Südspitze Hjaldingards lagen. Die ersten Schiffe setzten sich in Bewegung, manche angetrieben von Schaufelrädern, andere von zwei, drei oder gar fünf Riemenreihen, die sich im Gleichtakt hoben und senkten.
»Hrangas Kiefer!« Gautaz lachte kehlig auf und reckte seine Axt empor. »Merkt ihr endlich, dass wir nicht so leicht zu übertölpeln sind? Treibt bloß eure Sklaven an, oder ihr verpasst den Spaß!«
Godrun, die einzige Runenmagierin, die den Aasa geblieben war, trat an die Bordwand. Sie starrte hinaus aufs Meer. Mit ihrer schlanken, hochgewachsenen Gestalt wirkte sie unter den breitschultrigen Frauen und Männern der Fahrtgemeinschaft bereits fehl am Platz. Statt einer richtigen Waffe trug sie zudem lediglich einen langen Eibenstab.
Gautaz runzelte die Stirn. »Was siehst du, Runakwena?«
Sie warf ihm einen stummen Blick zu. Er hielt Godruns starrem dritten Auge auf ihrem Stirnband stand. »Nebel.«
Er beugte sich über die Bordwand. Die See war hell hier, aber immer noch tiefblau genug, dass sie sich nicht sorgen mussten, das Wasser unter dem Kiel zu verlieren. Gleich über der Oberfläche kräuselten sich graugrüne Nebelfäden, die mit jeder zurückgelegten Schiffslänge dichter wurden und sich nur widerwillig vor dem Bug der Wegafreki teilten.
»Und?« Er winkte ab. »Morgennebel. Ist nicht ungewöhnlich.«
Sie fasste ihren Stab fester. »Das ist kein normaler Nebel.« Sie wies hinaus auf die See. »Er kommt von Osten, zieht dem Wind entgegen, der uns aufs Meer trägt.«
Er blickte auf. Die Runakwena hatte recht, und das war nicht alles: Kein Vogel kreiste mehr am Himmel, die Gletschermöwen waren geflohen. Eine bedrückende Stille hielt die Odalwik fest im Griff. »Verflucht«, knurrte Gautaz. Alarmiert wandte er sich zur Blajazehwa, dem schlanken, runengeschmückten Drachenschiff, das die Isleif-Sippe törichterweise an die Hagni abgetreten hatte, anstatt ihre Frachtschiffe mit zwei Kriegsschiffen zu schützen. Eine Gestalt mit blondem Haar stand am Bug und sah unbeirrt Richtung Horizont. Die dünnen Nebelfäden, die sich geduckt über das Meer hinweg angeschlichen hatten, umgaben nun den gesamten Schiffsverband.
»Sieht sie es denn nicht?«, knurrte Gautaz. »Verflucht seid ihr, hättet ihr doch mich gewählt.«
So als ob er ihn gehört hätte, gab der Nebel sein Versteckspiel auf. Anstatt knapp über dem Wasser dahinzukriechen, erhob er sich nun triumphierend und wallte empor. Die feindlichen Galeeren und die Küste ließen sich im Dunst immer schwerer ausmachen. Ein Vorhang zog sich vor ihnen zusammen, der kränklichgraue Nebel verdichtete sich rasch.
»Hrok, das Horn!«, befahl Gautaz. »Wir müssen Signal geben …«
Ein langgezogenes Hornsignal schallte von der Blajazehwa herüber.
»›Vorwärts‹?«, übersetzte der Hersir grimmig. »Was erlaubt sie sich?« Er wandte sich an die Männer und Frauen hinter ihm. »Bereitet euch vor! Ich will nicht erleben, dass auch nur ein Watdraugar oder irgendeine Ausgeburt Hrangas einen Fuß auf diese Planken setzt! Sie dürfen den Schiffen unserer Sippe oder denen der Gunna nicht zu nahe kommen!« Missmutig starrte er die verschlungene, mit Blut gezeichnete Aescruna an – die Waffenrune, mit der Godrun seine Axt versehen hatte. Doch er war nicht töricht – Geistern und anderem Gezücht Hrangas konnte er mit bloßer Kraft und simplem Stahl nichts anhaben.
Es wurde rasch düsterer auf der Wegafreki. Die kränklichen, grüngrauen Schwaden verwehrten den Blick auf den Horizont und ließen selbst die Ottas, die sie begleiteten, nur noch als vage Schemen erscheinen. Der Nebel erstickte Glaiwas Schein, die Sonne ließ sich nur noch erahnen.
»Zur Tiefe!«, grollte Gautaz. »So fahren wir auf Grund oder direkt in eines ihrer Schiffe.«
Erneut wehte ein langgezogenes Hornsignal heran.
»Verflucht seist du, Jurga Tjalfsduhter!«, spie er hervor. »Wir müssen langsamer segeln und …«
Noch ein langgezogenes Signal unterbrach ihn, so als gelte es allein ihm.
»Was tun, Hersir?«, rief Stainar vom Ruder her, nur noch ein vager dunkler Umriss im Nebel. »Weiterfahren oder nicht?«
Gautaz runzelte die Stirn. Der Nebel war nun so dicht, dass die Wasseroberfläche nicht mehr zu erkennen war. Er kräuselte sich, wand sich an der Bordwand empor, griff mit Tentakeln aus Dunst nach dem Segel und dem Drachenhaupt, das ihnen vorauseilte. Die Schwaden trugen einen Übelkeit erregenden Gestank nach verrottendem Tang und fauligem Wasser mit sich, der in Mund und Nase drang sowie die Augen zum Tränen brachte. Klamme Feuchtigkeit kroch Gautaz unter die Kleidung wie ein nasskalter Lappen.
»Die Tochter der Schlange«, stieß Godrun hervor und hob alarmiert ihren Zauberstab. »Die, die aus dem Nebel kommt!« Pures Entsetzen lag in ihrer Stimme.
Der Wind wich aus dem Segel, die Wegafreki verlor rasch an Fahrt.
»Reiß dich zusammen, Zauberin!« Gautaz trat an den Mast zurück, die Axt fest mit beiden Händen gepackt. »Hrok! Gib unseren Schiffen das Signal zum Beidrehen. Wir müssen …«
»Hersir!« Godrun hob ihren Stab und wies hinaus aufs Wasser.
Schemenhafte Umrisse formten sich aus den Nebeln heraus und näherten sich rasch. Sie liefen über die Oberfläche auf sie zu.
»Geister! Verteidigt das Schiff!« Gautaz hob die Axt. »Aaaasaaaa!«, schrie er dem Feind entgegen, doch der Nebel verschluckte jeden Laut und sein Ruf trug nicht weit. Seine Fahrtgemeinschaft hob Äxte und Rundschilde.
Die Schemen fielen stumm über die Wegafreki her. Rundum hieben die Krieger verängstigt nach den Angreifern oder rissen hastig die Schilde empor.
Einer der Schatten, eine wirbelnde Masse aus Dunkelheit und Nebelschwaden, setzte lautlos auf den Planken auf und wandte sich Gautaz zu. Ein Helm und Schild, gezeichnet mit Runen, eine hochgewachsene Gestalt, ein eingefallenes Gesicht mit leeren Augenhöhlen …
»Eilif?«, presste er hervor und wich unwillkürlich zurück. Eine kalte Faust griff nach seinem Herzen. »Eilif, bist du es?«
Der Geist hob stumm die Axt. Ein großer dunkler Fleck prangte auf seiner Brust – dort, wo ihn der tödliche Speer getroffen hatte, kurz nachdem er ihn gerettet hatte.
Gautaz sprang hastig vor dem Hieb seines schattenhaften Bruders zurück und stieß mit dem Rücken an den Mast. Rundum wehrten sich die Angehörigen seiner Fahrtgemeinschaft keuchend gegen stumm kämpfende schemenhafte Umrisse. Weiter als bis zur Bordwand reichte die Sicht nun nicht mehr. Die Angreifer schwangen Äxte und einige trugen Schilde.
»Unsere Toten«, stieß Stainar entsetzt hervor und wich einem Angriff aus. »Die Toten, die wir in der letzten Schlacht verloren, sind zurück!«
Eilif wies anklagend mit der Axt auf seinen Bruder. Seine Augen waren zwei dunkle Höhlen aus Finsternis, hinter denen Verdammnis und Unendlichkeit warteten.
Gautaz hob die Axt. »Es war nicht meine Schuld!«, schleuderte er dem Geist entgegen. »Ich habe nicht verstanden, was du sagen wolltest!«
Jemand ging über Bord und landete klatschend im Wasser. Ein gellender Schrei durchbrach den Nebel und verstummte abrupt.
Eilif holte erneut aus. Gautaz wich aus und schlug dann selbst mit aller Kraft zu. Seine Axt fuhr durch seinen Bruder. Die Schwaden verwehten für einen Moment und formten sich rasch neu. »Du kannst mir nicht dafür zürnen!«
Einer seiner Leute sank unter den Hieben eines formlosen Schemens auf die Planken des Schiffes. Er blutete nicht, röchelte jedoch krampfhaft, spuckte brackiges, schwarzes Wasser aus. Egal, wie sehr er auch nach Luft rang, es quoll lediglich diese Brühe hervor.
»Ich habe keine Angst vor dir!«, schrie Gautaz seinem Bruder entgegen. »Nenn ihn mir! Nenn mir deinen letzten Wunsch! Sag ihn mir und ich erfülle ihn! Dann findest du Frieden!«
Eilif wandte sich ihm wieder zu, sein eingefallenes Gesicht eine Fratze des Hasses und der Enttäuschung. Er öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, schlug nach Gautaz, der hastig einen Schritt zurückwich, dann noch einen.
Eine feste Hand packte ihn und riss ihn von der Bordwand zurück – Hrok.
Verärgert schlug er dessen Hand beiseite. »An die Ruder! Wir müssen hier raus!« Alarmiert sah er sich um. »Wo ist er hin?« In seinen letzten Momenten hatte Eilif ihm zugerufen, was er von ihm wollte. »Ich hab es nicht verstanden, hörst du? Sag es mir jetzt!«
Um sie herum focht die Fahrtgemeinschaft gegen die unförmigen Schemen. Godrun wehrte sich mit Stockhieben. Eilif löste sich erneut aus den Nebelschwaden und kam auf Gautaz zu.
Der Hersir der Aasa trat ihm entgegen, die Axt abwehrbereit erhoben. Dann zögerte er. Was tue ich hier denn nur? Der Fluch, der Eilif in seinen gierigen Klauen hielt und ihm den Einzug in Hraiwagard verwehrte, ließ sich natürlich nicht mit Klingen bezwingen. Er breitete die Arme aus. »Sprich mit mir!«
Sein Bruder verharrte, starrte ihn an.
Gautaz nickte langsam und mit grimmiger Befriedigung. »Sag es mir!«, forderte er ruhig. »Was wolltest du mir sagen? Nun ist der richtige Moment, um Frieden zu finden.«
Eilif blinzelte, zögerte. Er öffnete den Mund.
Das Segel über ihren Köpfen blähte sich wieder. Ein frischer Wind kam auf und vertrieb den brechreizerregenden Gestank nach Tang und Tod, die klamme Feuchtigkeit und die erdrückende Stille. Der Nebel geriet in Wallung.
Der schemenhafte Eilif starrte Gautaz einen Moment lang stumm an, dann verwehte seine geisterhafte Gestalt. Sonnenlicht fiel auf das Deck.
»Warte!« Er machte einen Schritt auf ihn zu, doch es war zu spät. »Sag es mir! Nenn mir deinen letzten Wunsch!«
Rundum senkten die Frauen und Männer seiner Fahrtgemeinschaft schwer atmend ihre Waffen. Die Wegafreki nahm wieder Fahrt auf. Stainar griff hastig wieder nach dem Ruder.
Ein langgezogenes Hornsignal wehte durch den langsam zurückweichenden Nebel heran.
»Auf eure Plätze!«, fauchte Gautaz. »Es ist nicht vorbei!« Er starrte die Stelle an, wo er das Gesicht seines Bruders zuletzt gesehen hatte. Hätten wir doch nur noch einen Moment mehr gehabt!
Er sah sie vor sich – die finsteren Augen, die Dunkelheit dahinter, die an die tiefsten, lichtlosesten Abgründe des Ozeans erinnerte. Erwartet mich ebenfalls dieser Abgrund, wenn ich hier draußen, auf dem Eiwara sterbe, fern der Heimat, weit entfernt von den Gräbern meiner Ahnen?
Der Wind nahm rasch an Stärke und Empörung zu. Entschlossen packte er die Wegafreki und schob sie vor sich her. Heulend und fauchend wie ein hungriger Vargaz jagte er über das Wasser hinweg, trieb den kränklich-graugrünen Nebel vor sich her, zurück nach Osten, von wo er gekommen war. Er peitschte die Odalwik auf und zerrte an Gautaz’ Haar.
Rundum schälten sich die Umrisse der übrigen Drachenschiffe aus den Schwaden hervor.
Die Blajazehwa saß immer noch an der Spitze. Jurga stand am Bug und brüllte den furchtsam weichenden Nebelschwaden Worte hinterher, die ihr der aufkommende Wind von den Lippen riss. Es erschien so, als jagte sie nun den Nebel, nicht umgekehrt.
Der Sturmwind peitschte die See rundum auf. Wellen schlugen gegen die Wegafreki und wiederholt schwappte kaltes Wasser über die Bordwand. Der Wind heulte in Gautaz’ Ohren.
Die Umrisse der Galeeren schälten sich aus den Schwaden hervor, mehrmastige Schiffe mit mächtigen Rammspornen, die Kraken oder Seeschlangen nachempfunden waren. Angetrieben wurden sie von hunderten von Rudern. Sogar drei klobigere Ungetüme mit kolossalen Schaufelrädern waren darunter, neben denen selbst die größten Galeeren winzig erschienen.
»Hier kommen sie!«, schrie Gautaz. »Schilde!« Er trat an den Vordersteven und sah den Schiffen grimmig entgegen.
Die Imperja hatten bestimmt nicht damit gerechnet, dass ihre Gegner sie überhaupt erreichten – ganz sicher nicht geschlossen und kampfbereit. Hunderte von Riemen bewegten sich hastig auf und ab, um die Galeeren in eine bessere Angriffsposition zu bringen.
»Aaaasaaa!«, brüllte Gautaz. Sie sollten wissen, mit wem sie es zu tun hatten. »Aaaasaaa!« Die letzten Nebelschwaden verwehten. »Dort!«, rief er Stainar zu und wies mit der Axt voraus. »Zwischen diesen beiden hindurch! Sie sind so träge wie Gletscher im Firnmond, das gibt uns reichlich Zeit!«
Doch die Sklaven, die die Galeeren antrieben, waren zu gut eingespielt: Langsam, aber immer noch zügig genug drehten sich die schwerfälligen Schiffe und wandten den heraneilenden Drachenschiffen die Seiten zu. Auf den Decks rannten Soldaten umher und bereiteten hastig die Geschütze vor. Die ersten Speere und Brandgeschosse flogen heran und verfehlten sie nur knapp.
Der Sturmwind, der sie vorantrieb, die Odalwik aufpeitschte und in Gautaz’ Ohren heulte und grollte, wurde noch wütender, so als ob er es den Imperja übelnahm, dass sie die Hjaldinger attackierten. Langsam neigten sich die Galeeren, die ihnen – und damit dem Wind – die Breitseiten zugewandt hatten, unter seinem Ansturm. Die nächste Salve ging weit über den Mast der Wegafreki hinweg.
Der Sturm drückte und schob gegen die mächtige Galeere, die sie nun passierten, einen Koloss mit fünf Riemenreihen, die ziellos in der Luft ruderten. Überrascht klammerten sich die Soldaten an die Reling, manch einer rutschte hilflos das Deck hinab und ging über Bord.
Gautaz lachte den Imperja seine Verachtung entgegen, auch wenn ihm der Wind die Laute von den Lippen riss. Stainar lehnte sich mit ganzer Kraft gegen das Ruder. Sie flogen an den Galeeren vorbei.
Der Hersir wandte sich um. Er zählte vier brennende Segel – Ottas, die weniger Glück gehabt hatten. Sie blieben hinter ihnen zurück, eine versank bereits. Doch die Schiffe, die der Wegafreki folgten, darunter die Otta, die Katla und seine Kinder trug, waren noch da.
»Siehst du das, Eilif?« Er reckte dem Himmel seine Axt entgegen. »Siehst du das? Ich schütze diejenigen, die mir anvertraut wurden, so wie ich es dir versprach. Sie können sich auf mich verlassen.«
Ihr Schiffsverband ließ die Galeeren hinter sich zurück, ebenso wie die letzten Ausläufer des widernatürlichen Nebelfelds. Vor ihnen erstreckte sich die offene See, das Immermeer. Glaiwas Strahlen brachen sich auf den Wellen, dahinter wartete der Horizont auf sie.
Das Heulen des Windes ebbte ebenso rasch wieder ab, wie der Sturm aufgezogen war. Es reichte aber aus, um sie anzutreiben, die Schiffe der Hjaldinger jagten zügig über das Meer.
Grinsend sah Gautaz zurück, zu den Galeeren der Imperja. »Um Verfolger müssen wir uns keine Sorgen machen.« Manche waren gegeneinandergestoßen und blockierten sich gegenseitig. Einige hatten die Segel gehisst, konnten den Wind aber nicht einfangen. An Bord einer Schraubengaleere loderten Feuerbrände.
Die Fahrtgemeinschaft der Wegafreki warf sich amüsierte Blicke zu.
»Glaubt nicht, dass es schon geschafft ist.« Gautaz sah wieder nach vorne, zum Horizont. »Es ist ein langer Weg. Sicher erwarten uns auf der Reise weitere Prüfungen. Die Götter wollen, dass wir uns würdig erweisen. Gut, dass ihr unter mir segelt.«
Nein, Triumph oder Befriedigung wollte sich bei ihm nicht einstellen. Nicht einmal ein Anflug von Zufriedenheit.
Er sah immer noch Eilifs Gesicht vor sich. Seine Lippen, die stumme Worte formulierten.
Er würde nie erfahren, was sein Bruder ihm sagen wollte. Umso wichtiger war es, dass er das Versprechen, das er ihm in diesem Moment gegeben hatte, ehrte. »Du bist nicht umsonst gestorben, Eilif«, raunte er. »Die Aasa werden überleben. Ich werde überleben – für uns beide.«