Kitabı oku: «DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis», sayfa 5
Kapitel 4
Hjaldingafjord, Brajan 2120 IZ
Pythatheriope hatte Mühe, stehen zu bleiben, denn ihre Knie waren weich – und das nicht nur, weil das kleine Boot fragil erschien und sie es vorgezogen hätte, festes Land unter den Füßen zu spüren.
Seltsam, sie konnte sich in Haie und Muränen verwandeln, und dennoch war ihr auf dem Meer und bei Seegang niemals so ganz wohl. Doch sie war eine Charybalis – zumindest für alle, die sie sehen konnten – und Charybalis kauerten sich nicht auf dem Boden eines Boots zusammen. Sie standen aufrecht, trotzten der See und dem Wind, fühlten sich auf dem Meer heimischer als an Land.
Es würde sich nicht gut machen, wenn sie sich auf Isodoras übergab.
Ihr Blick huschte zum Ufer. Von der Hauptstadt der Hjaldinger – sofern man diese Ansammlung von Langhäusern überhaupt so nennen konnte – waren lediglich schwarze, schwelende Ruinen zurückgeblieben. Tagelang war unablässig Rauch aufgestiegen, doch nun hing ein bleigrauer Himmel über der Bucht und keine Wolke, kein Qualm trübten den Anblick.
Das Herz Hjaldingards hatte aufgehört zu schlagen und zu bluten. Es hatte die Charybalis Tausende von Myrmidonen, mehrere Insektopter, die halbe Tigergarde und sicher auch einen großen Teil der Geduld des Thearchen gekostet, doch sie hatten ihr Ziel erreicht – beinahe zumindest.
Die Sonne neigte sich dem westlichen Horizont zu und stieß an die Türme des Morgens – dorthin, wohin die Aldangara die befreiten Überlebenden geführt hatten.
Die genauen Zahlen waren Pythatheriope nicht bekannt. Es war zu hoffen, dass Antimelia ausreichend viele in Sicherheit bringen konnte. Zumindest genug, dass den Hjaldingern ein Neuanfang möglich war.
Nach allem, was sie gesehen hatte, war sie von einem Umstand felsenfest überzeugt: Ein Volk, das sich mit solcher Inbrunst ans Leben klammerte, hatte es verdient zu überleben. Es durfte nicht ausgelöscht werden – ganz bestimmt nicht von den Charybalis.
Isodoras an Charybalis, ihr Adjutant, trug auch jetzt lediglich sein ledernes Stirnband mit dem aufgestickten dritten Auge. Eine formellere Vollmaske würde zumindest sein vergnügtes Grinsen verbergen, das seit Tagen nicht mehr aus seinem Gesicht wegzudenken war.
»Reißt Euch zusammen«, warnte sie ihn. »Ihr seid kein Myrmidone auf Landgang, auf dem Weg zu einem Bordell.«
Sein Lächeln schwand. »Natürlich nicht. Verzeiht mir, Hektage.«
Sie seufzte. »Ihr habt den richtigen Namen … wir beide haben den richtigen Namen, um es weit zu bringen, doch ohne beeindruckende Erfolge komme ich nicht an die Spitze. Der Strategu wird mich sicherlich beurteilen und Euer Verhalten fällt auch auf mich zurück.«
»Der Feldzug war ein großer Triumph und Ihr habt Euch als kluge Anführerin bewiesen. Der Strategu wird mit Euch zufrieden sein.«
Beinahe tat er ihr leid. Isodoras glaubte fest an die Vormachtstellung seines Hauses. Er hatte verinnerlicht, was ihm seine Erzieher schon von Kindesbeinen an eingetrichtert hatten. In Wahrheit würde er nicht einen Tag lang überleben, wenn die Welt so war, wie sie sein sollte: Eine, in der sich ein jeder seinen Platz erkämpfen und ihn dann auch behaupten musste. Wenn sich Isodoras nicht mehr auf den Namen seines Hauses berufen konnte, würde er sofort untergehen.
Pythatheriope sah zu der gewaltigen Quinquereme auf, in deren Schatten sie eintauchten. Geschütze ragten über die Reling hinaus. Die Galionsfigur aus stumpfem Silber hatte die Form einer Seeschlange mit weit aufgerissenem Maul. Ihr Schwanz lief in einen Rammsporn aus.
Die hohe Bordwand, hinter der sich fünf Decks mit Ruderbänken versteckten, erhob sich vor ihnen. Die Besatzung hatte eine Treppe an der Wand hinabgelassen, an deren Fuß sie anlegten.
Isodoras ließ Pythatheriope den Vortritt und folgte ihr die nassen Stufen hinauf.
Sie bemühte sich, auf dem Weg nach oben ihren Herzschlag unter Kontrolle zu bringen, auch wenn sich der Druck auf ihrer Brust mit jedem Schritt verstärkte. Dabei gab es nichts, was man ihr vorwerfen konnte: Ihre Galeeren hatten dem äußeren Ring der Belagerung Hjaldingafjords angehört und nur wenige Scharmützel bestritten, da die meisten Kriegsschiffe der Hjaldinger schon von anderen Schiffen aufgebracht worden waren. Der Seeblockade war Pythatheriopes Hektade glücklicherweise entgangen.
Ein Myrmidone empfing sie am Kopf der Treppe und eskortierte sie über das weite Deck der Quinquereme. Sie passierten auf ihrem Weg Geschütze und Tokeden und erreichten das Achterkastell. Ein solcher Aufbau war ungewöhnlich für eine imperiale Rudergaleere, doch nichts an diesem Schiff war gewöhnlich – insbesondere nicht sein Befehlshaber.
Soldaten hielten ihnen die Türen auf. Pythatheriope und Isodoras traten in ein weitläufiges Gemach. Die Fenster waren mit blaugrünem Glas versehen, das gemeinsam mit den Laternen für ein diffuses, unwirkliches Licht sorgte. Es erschien so, als wären sie ins Meer hinabgestiegen und ihr Treffen fände in einem Wrack auf dem Meeresboden statt.
An den Wänden reihten sich Bücherregale aneinander, nur unterbrochen von Büsten, die Ahnen der Charybalis darstellten. In einer Ecke stand die Statue eines Dekapus, aus schwarzem Stein geschnitten, seine Augen aus grünen Opalen geformt. Es gab auch einen wuchtigen Schreibtisch und ein massives Himmelbett.
Beherrscht wurde das Gemach jedoch von einem großen Planungstisch. Zwanzig Offiziere umstanden ihn.
»Ah, Hektage Pythatheriope, tretet näher!« Die Bassstimme erfüllte den Raum.
Die Offiziere machten ihr Platz. Wie sie selbst trugen alle Brustpanzer über Gewändern in Schwarz und Blau. Die meisten besaßen wie Aegobarenes und Isodoras die typischen, markanten Gesichter, die Pythatheriope inzwischen schon in ihren Albträumen verfolgten.
Es gehörten zwar viele Anführer des Feldzuges dem Haus Charybalis an – aber nicht alle, und das konnte nur eines bedeuten: Dies war keine Versammlung der hochrangigsten Offiziere. Dies war eine Zusammenkunft der wahren Drahtzieher hinter dem großen Vorhaben.
Pythatheriope überreichte Isodoras ihren Helm und trat näher.
Strategu Aegobarenes ul Charybalis musterte sie mit einem haiartigen Grinsen über den Tisch hinweg. Er trug auch heute seine silberne Maske mit den kantigen Zügen, die sein Gesicht nahezu vollständig verbarg und nur Mund und Kinn freiließ. »Wir haben bereits begonnen, seht es uns nach.«
»Aber natürlich, Strategu.«
Auf dem Tisch waren die Umrisse der Bucht von Hjaldingard und ihrer umliegenden Ländereien aufgezeichnet. Kleine Schiffsmodelle aus poliertem schwarzen Holz standen für die imperialen Galeeren.
Aegobarenes wies auf eine Handvoll Modelle, die Drachenschiffe darstellten und am östlichen Rand der Karte aufgereiht standen, sodass sie beinahe vom Tisch fielen. »Ihr habt bereits gehört, dass es einigen Barbaren gelungen ist, unsere Blockade zu durchbrechen?«
»Gehört ja. Glauben konnte ich es nicht.« Sie musterte die Schiffe. Der Strategu sprach sicher nicht nur von zwei oder drei verzweifelten Schiffsbesatzungen. Wie viele sind es wirklich? Wie viele Hjaldinger konnten sich retten? »Wissen wir, wohin sie fliehen? Nach Süden, nehme ich doch an?«
Aegobarenes richtete sich auf. Er überragte nun die Umstehenden. »Nach Osten, über das Thalassion. Zumindest behaupten die Gefangenen, die wir gemacht haben, dass sie diesen Plan verfolgen.«
»Nach Osten?« Pythatheriope schüttelte den Kopf. »Sie müssen unter der Folter gelogen haben.«
»Ich habe mich persönlich davon überzeugt. Ihre Aussagen sind glaubwürdig.«
»Arme Irre.« Sie zwang sich zu einem spöttischen Lächeln. »Sie ersparen uns viel Zeit, Mühe und wertvolle Ressourcen. Diese feigen Barbaren werden auf dem Thalassion verdursten und verhungern.«
Der Strategu rieb sich das kantige Kinn. »Es sind keine Verzweifelten, die heillos die Flucht angetreten sind, Hektage. Wir wissen, dass sie ihr Unternehmen von langer Hand vorbereitet haben. Sie brachen mit Vieh und Vorräten auf, ließen sogar die Schwachen, Kranken und Alten zurück. Einhundert Schiffe, so unsere beste Schätzung, traten die Reise nach Osten an. Die Barbaren folgen einer Frau, die ihnen weismachte, dass dort Rettung auf sie wartet, dass sie jenseits des Thalassions sicher sind.«
Pythatheriope bemühte sich um ein amüsiertes Schnauben. »Ihr solltet dieser Barbarin eine Statue in Balan Mayek widmen, Strategu! Sie arbeitet uns vortrefflich in die Hände. Charypta wird sie dort draußen mit offenen Armen empfangen.«
»Als wäre sie eine Agentin der Charybalis«, warf ein Offizier aus der Runde ein. Die Umstehenden lachten auf.
Pythatheriope stimmte rasch ein.
Der Strategu lachte nicht. »So sieht es aus«, brummte er stattdessen. »Und dennoch …« Er starrte die Holzschiffe am östlichen Kartenrand reglos an. Die Anwesenden warteten höflich ab, bis er weitersprach. »Ihr wart nicht dabei, als sie die Blockade durchbrachen, Hektage. Ihr habt nicht erlebt, was sich da draußen abspielte. Wir warfen ihnen Charyptas geballte Macht entgegen.« Er blickte auf. »Ihr habt sicher schon vom Schemen der tausend Ängste gehört? Dem Ungreifbaren, welches jedes Licht verschluckt?«
Sie nickte rasch und log. »Natürlich.«
»Unsere Beschwörer verbrachten die ganze Nacht mit dem Ritual, opferten einige der kräftigsten Gefangenen. Es war dem Verlust weiterer Galeeren und Myrmidonen vorzuziehen.«
»Doch die Zauberer versagten.«
»Im Gegenteil.« Aegobarenes ballte die Faust. »Sie versicherten mir, dass das Ritual gelungen war. Wärt Ihr dabei gewesen, Ihr hättet ebenfalls keinen Zweifel.«
»Und trotzdem entkamen die Barbaren? Wie das, Strategu?«
»Der Wind trieb ihre Schiffe voran, auch wenn unsere Segel leer blieben. Er vertrieb die Schemen, so als wäre das Ungreifbare Schnee, der in der Sonne schmilzt. Was diese Frau vermag …« Er winkte harsch ab. »Es spielt keine Rolle mehr. Sie kommen ohnehin nicht weit.« Er nahm eine der schwarzen Galeeren und bewegte sie näher an die Flotte der Hjaldinger. »Wir können sie immer noch aufspüren und zur Strecke bringen.«
Pythatheriope sah überrascht auf. »Mit welcher Methode, Strategu?« Sie bereute ihre Worte sofort wieder. Zu viele Fragen! Zu forsch!
Aegobarenes musterte sie über den Tisch hinweg. »Wir haben immer noch Mittel und Wege.«
Besser, sie bohrte nicht weiter nach. »Es freut mich, das zu hören.«
»Wir schaffen auch diese Barbaren in Ketten zurück in die Heimat, ins Imperium. Einschließlich der Frau, der sie folgen – insbesondere sie. Ich bin sehr gespannt darauf, sie besser kennenzulernen.« Aegobarenes winkte ab. »Aber genug davon. Euer Bericht, Hektage Pythatheriope?«
»Gerne.« Sie ließ sich von Isodoras eine Schriftrolle reichen und legte sie auf dem Tisch ab. »Ich hoffe nur, Strategu, Ihr übertragt mir bei der nächsten Schlacht mehr Pflichten, als lediglich dafür zu sorgen, dass keine Barbaren durch die Hintertür entkommen. Meine Bilanz ist dementsprechend eher ernüchternd.«
Und sie war überaus dankbar dafür.
»Anmut, gepaart mit Ehrgeiz.« Aegobarenes schmunzelte. »Ihr werdet es in der Thalassia noch weit bringen.«
Die Umstehenden lächelten zustimmend. Doch ihre Augen hinter den Masken sprachen eine andere Sprache. Sie alle fragten sich, ob Pythatheriope ihrer eigenen Karriere im Weg stand, wenn der Strategu sie derart eindringlich lobte.
»Ich danke Euch.« Sie neigte leicht den Kopf. Ihre Handflächen fühlten sich klamm an. Wie gerne sie den Anwesenden entgegenschreien würde, wer sie wirklich war. Wie befriedigend es doch sein könnte, Aegobarenes vorzuführen und den versammelten Charybalis zu demonstrieren, wie einfach es war, ihn zu hintergehen.
Der Strategu wandte sich an einen der Offiziere, einen Lokegu. »Ist die letzte Ladung bereit?«
Der Lokegu nickte. »Das ist sie. Es ist allerdings immer noch mehr als genug Platz im Laderaum. Wenn wir abwarten, bis die Geflohenen …«
»Schafft sie umgehend nach Trivina! Charypta wartet auf ihren Lohn. Sie hat unser Vorhaben unterstützt und wir sollten sie besser nicht enttäuschen.«
Pythatheriope war wieder einmal froh darüber, dass ihre Maske derart viel von ihrem Gesicht verbarg. Noch mehr Opfer bedeuteten einen weiteren Machtgewinn – sowohl für die Daimonin Charypta als auch die Charybalis.
Aegobarenes seufzte. »Diejenigen, die in die Türme des Morgens entkamen, müssen wir ohnehin den Raubkatzen des Thearchen überlassen, fürchte ich. Erwartet weitere Anweisungen, wenn die Sonne wieder aufgeht.« Er gab den Anwesenden einen Wink.
Die Offiziere wandten sich zum Gehen.
Pythatheriope zögerte. Ist es das? Wenn der Feldzug nun abgeblasen wird, braucht er mich nicht mehr. Mein Auftrag ist noch nicht erfüllt.
»Nicht Ihr, Hektage.«
Sie bedeutete Isodoras, sie zurückzulassen. Der Raum leerte sich langsam.
Aegobarenes goss Wein aus einer Karaffe in zwei Gläser ein. »Ihr habt Euch gut geschlagen. In der letzten Schlacht ebenso wie in den vergangenen Nonen.« Er umrundete den Tisch und reichte ihr eines der Weingläser. »Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um mit Euch anzustoßen.«
Sie hob das Glas. »Auf einen gelungenen Feldzug.« Ihr Blick wanderte zu den Hjaldingerschiffe auf dem Planungstisch.
»Noch nicht ganz.«
Die Gläser gaben ein feines Klingen von sich, als sie aneinanderstießen. Der Wein war schwer und süß. Pythatheriope sah auf und begegnete dem Blick Aegobarenes’. »Dann darf ich darauf hoffen, dass meine Hektade die Chance erhält, Jagd auf die geflohenen Barbaren in den Bergen zu machen?«
Aegobarenes schüttelte den Kopf. »Es gehört sich nicht für eine Charybalis, zu lange vom Meer getrennt zu sein. Überlassen wir es den Landtruppen, die letzten Widerständler einzusammeln.«
Sie nickte. »Ich habe Euch noch nicht dafür gedankt, dass Ihr mir gestattet habt, dem Zirkel beizuwohnen.«
Der Strategu lachte auf. »Werte Pythatheriope, was Ihr eben gesehen habt, war keine Zusammenkunft des Zirkels.«
»Verzeihung, ich dachte nur …«
»Die Brüder und Schwestern der unergründlichen See sind ein sehr viel elitärerer Bund – und ich habe nicht vergessen, dass ich Euch eine Einladung aussprach, ehe dann recht überraschend der Befehl aus Baan-Bashur kam, aufzubrechen. Es ist ein Platz frei im Zirkel und ich habe Euch immer noch dafür im Auge.«
»Eine Einladung, die mich ehrt.«
Er nippte an seinem Wein. »Nicht jeder denkt wie Dioquoras. Ich erkenne Potential, wenn ich es sehe. Egal, in welcher Gestalt es daherkommt.« Aegobarenes musterte sie aufmerksam. »Beschreibt mir, wie es war! Wie Ihr die Schlacht gegen die Barbaren erlebt habt. Wie Ihr die Macht des Hauses Charybalis auf diese aufsässigen Piraten herabbeschworen habt.«
Pythatheriope zögerte. Bilder traten vor ihr inneres Auge: Hjaldinger, die im Wasser trieben, sich verzweifelt darum bemühten, von ihrem Schiff fortzukommen. Ignoriert sie, hatte sie Isodoras befohlen, lasst sie zurück an Land schwimmen, wo wir sie später einsammeln können. Sorgen wir nur dafür, dass niemand entkommt.
Ihr Adjutant hatte sie lange angestarrt, dann hatte er genickt und die Befehle gegeben.
Ihr wurde bewusst, dass sie immer noch nicht geantwortet hatte. »Es war keine große Herausforderung. Dreckige Barbaren, schwach, verwundet und einer Charybalis unwürdig.« Sie zögerte. Sie musste es wagen. Sie musste mehr wissen. »Ihr glaubt doch nicht etwa, dass diese Frau, die ihre Flotte anführt, eine Bedrohung für uns darstellt? Was ist sie genau? Eine Magierin?«
Er zuckte mit den Schultern. »Nicht, wenn man den Gefangenen Glauben schenkt. Sie kam aus dem Nichts, führte die Barbaren in ihrem aussichtslosen Widerstandskampf an und überzeugte viele Hjaldinger schließlich, ihr zu folgen.«
»Einen kleinen Teil nur, Strategu. Sind Sie die Mühe wirklich wert?«
»Der Zirkel wird sich damit auseinandersetzen.«
»Dann sehe ich einer erneuten Einladung umso gespannter entgegen.« Sie wartete mit angehaltenem Atem ab.
Aegobarenes lächelte. »Es kann Eurer Karriere nur förderlich sein, wenn Ihr mit Eurem Ehrgeiz nicht zurückhaltend seid, Pythatheriope. Und natürlich, wenn Ihr Euch an mich haltet. Dieser Feldzug hat bewiesen, dass ich für Höheres bestimmt bin. Viele der Offiziere, die Ihr eben hier gesehen habt, wissen das und schmeicheln mir, wann immer sie nur können. Einige dieser Frauen – manche Männer auch – versuchen gar, mit anderen Mitteln meine Gunst zu erlangen, um einen Weg in den Zirkel zu finden.«
»Ihr seid ein mächtiger Mann. Und der Zirkel ist sicher sehr einflussreich.«
Aegobarenes ließ sein Glas sinken. »Reiht Euch nicht auch noch in ihre Ränge ein, Hektage. Gerade wollte ich Euch dafür loben, dass Ihr Euch mit Fleiß und Gnadenlosigkeit bemüht habt, voranzukommen. Selbst dann, als Ihr lediglich für die Unterhaltung der Myriade sorgen solltet.«
»Verzeiht mir.« Sie bereute die Worte sofort.
»Und wieder erniedrigt Ihr Euch«, seufzte er. »Ich nahm an, dass mehr in diesem verlockenden Leib steckt als nur ein weiterer Speichellecker.«
Sie rang mit sich. Alles drohte ihr zu entgleiten. Der Feldzug war nahezu abgeschlossen, die erste Einladung in den Zirkel nicht zustande gekommen. Wenn sie jemals eine Gelegenheit erhalten wollte, Beweise zu sammeln, die ihr Haus gegen die Charybalis im Senat verwenden konnte, dann musste sie mehr über die Brüder und Schwestern der unergründlichen See erfahren. Der Zirkel war der Schlüssel zu allem.
Ihr Blick flog durch den Raum, zu dem Schreibtisch unter den Fenstern. Zu Aegobarenes’ Himmelbett. Wir tun, was wir tun müssen – hoch erhobenen Hauptes. Zum Wohle des Imperiums.
Mit klopfendem Herzen stellte sie ihr Weinglas ab und trat darauf zu. »Wie oft nehmt Ihr diese Angebote an, mit denen diese Offiziere Eure Gunst zu erlangen versuchen?«
Der Strategu sah auf. »Bitte?«
Sie löste die Verschnürungen ihres Brustpanzers. »Wie oft?«
Aegobarenes’ Miene hinter der Maske zu lesen, war unmöglich. »Nicht oft. Aber Ihr solltet Euch Euer weiteres Vorgehen besser gut überlegen. Für gewöhnlich versetze ich Offizierinnen, die auf derart banale und durchschaubare Art und Weise versuchen voranzukommen, auf einen Posten am Schiffsfriedhof von Balan Mayek. Zumindest am nächsten Morgen.«
Sie löste ohne Eile ihr Haar und ließ es lang und offen herabfallen. Dann zog sie langsam ihre seidene Tunika von den bloßen Schultern, ließ sie achtlos zu Boden gleiten und blickte Aegobarenes hoch erhobenen Hauptes entgegen. »Mich werdet Ihr morgen nicht versetzen.«
Der Strategu starrte sie an. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Seine Augen wanderten an Pythatheriope herab.
Sie wartete mit klopfendem Herzen ab.
Er nahm einen weiteren, großen Schluck Wein und stellte das Glas ab.
***
Pythatheriope sah Aegobarenes lange an, horchte auf sein ruhiges, gleichmäßiges Atmen. Schließlich wagte sie es, unter der Bettdecke hervorzuschlüpfen und mit bloßen Füßen über die kühlen Dielen zu huschen. Durch die hohen Glasfenster fiel fahles Mondlicht herein. Das Schiff knarrte leise und neigte sich leicht mal zu der einen, dann wieder zu der anderen Seite.
Ihre Augen überflogen im düstergrünen Halbdunkel des Gemachs die Schriftstücke auf dem Schreibtisch. Rasch nahm sie eines auf, las ein paar Zeilen und legte es danach sorgsam wieder an dieselbe Stelle zurück.
Aegobarenes regte sich und rollte herum. Sie erstarrte, lauschte in die Dunkelheit und horchte auf sein Atmen, wagte es nicht einmal zu blinzeln. Seine Atemzüge gingen langsam und gleichmäßig.
Sie wandte sich erneut den Schriftrollen und Briefen zu: ein fast fertig geschriebenes Schreiben an die Matriarchin der Charybalis über die seltsamen Vorgänge während der Seeschlacht vor drei Tagen, Berichte über Verluste unter den Truppen der Thalassia, eine Aufstellung, wie viele Hjaldinger lebend in die Hände der Myriade gefallen waren und verschifft werden konnten.
Dann stieß sie auf den Rapport eines Tribuns, der auflistete, wie viele Einheiten ihm zur Verfügung standen, um die Fliehenden in die Türme des Morgens zu verfolgen. Es beinhaltete auch Vorschläge, wohin sich welche Truppen wenden sollten, basierend auf Aussagen, die gefangene Hjaldinger nach Verhör und Folter gemacht hatten.
Pythatheriope hielt das Schreiben ins Licht und überflog die wesentlichen Punkte ein weiteres Mal, prägte sich die Zahlen und Himmelsrichtungen ein. Sicher hatte Aegobarenes den Empfehlungen einfach zugestimmt, doch selbst wenn er Änderungen angeordnet hatte, waren diese Informationen über Truppenstärken und Marschrichtungen für Antimelia und die Aldangara eine enorme Hilfe.
Sie legte das Pergament sorgsam zurück an seinen Platz und schlüpfte langsam wieder unter die Bettdecke.
Schlaf fand sie in dieser Nacht nicht mehr. Pythatheriope lag nur da und starrte an die Decke, lauschte dem Knarren des Holzes und Aegobarenes’ Schnarchen.
Sie musste nun einen Weg finden, Antimelia mitzuteilen, was sie herausgefunden hatte.
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