Kitabı oku: «Grundrechte», sayfa 10
3. Teil Freiheitsrechte
Inhaltsverzeichnis
A. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
B. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
C. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)
D. Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG)
E. Grundrechte aus Art. 4 GG
F. Kommunikationsgrundrechte (Art. 5 Abs. 1 GG)
G. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG)
H. Schutz von Ehe und Familie sowie Elternrecht (Art. 6 GG)
I. Schulwesen (Art. 7 GG)
J. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG)
K. Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG)
L. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)
M. Freizügigkeit (Art. 11 GG)
N. Berufsfreiheit, Arbeitszwang, Zwangsarbeit (Art. 12 GG)
O. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
P. Garantie von Eigentum und Erbrecht (Art. 14 GG), Sozialisierung (Art. 15 GG)
Q. Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG)
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Die weitaus meisten Grundrechte sind Freiheitsrechte. Mit den prüfungsrelevantesten Freiheitsrechten werden wir uns nun im Folgenden näher befassen.
3. Teil Freiheitsrechte › A. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
A. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
3. Teil Freiheitsrechte › A. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) › I. Bedeutung und Grundrechtscharakter
I. Bedeutung und Grundrechtscharakter
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Die Menschenwürde ist in Art. 1 Abs. 1 GG garantiert. Schon ihre herausgehobene systematische Stellung am Anfang des Grundgesetzes und zugleich an der Spitze des Grundrechtskataloges in Abschnitt I des Grundgesetzes unterstreicht die Stellung der Menschenwürde als „oberster Wert“ des Grundgesetzes.[1] Die Menschenwürde steht damit im Mittelpunkt des grundgesetzlichen Wertesystems.[2] Dies hat zur Folge, dass Art. 1 Abs. 1 GG die Bedeutung der anderen Bestimmungen im Grundgesetz beeinflusst. Viele Grundrechte sind Ausfluss der Menschenwürde und daher stets im Lichte dieses tragenden Verfassungswertes auszulegen.[3] Dies gilt v.a. für das durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (s.u. Rn. 191 f.). Die besondere Bedeutung der Menschenwürde im grundgesetzlichen Gefüge zeigt sich auch darin, dass sie unter die sog. „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG fällt. Die Menschenwürde kann danach nicht durch eine Verfassungsänderung eingeschränkt werden.
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Überlegen Sie, bevor Sie im Text weiterlesen, zunächst selbst, ob Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt ein Grundrecht sein kann! Was könnte dafür und was dagegen sprechen?
Ob es sich bei der Menschenwürde überhaupt um ein Grundrecht handelt, ist nicht unumstritten.[4] Dagegen wird z.B. vorgebracht, diese Bestimmung habe bereits nach ihrem Wortlaut lediglich programmatischen Charakter. Als systematisches Argument wird zudem Art. 1 Abs. 3 GG angeführt und unter Berufung auf dessen Wortlaut darauf hingewiesen, die öffentliche Gewalt sei an die „nachfolgenden“ Grundrechte gebunden; Art. 1 Abs. 1 GG sei demnach nicht erfasst. Dagegen wendet die h.M., angeführt vom Bundesverfassungsgericht, jedoch vor allem ein, sowohl die Überschrift des Abschnitt I mit dem Titel „Die Grundrechte“ als auch Art. 142 GG, der besagt, dass ungeachtet der Vorschrift des Art. 31 GG Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft bleiben, als sie in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis 18 GG Grundrechte gewährleisten, belege die Grundrechtsqualität auch der Menschenwürde.
JURIQ-Klausurtipp
Ob Art. 1 Abs. 1 GG ein Grundrecht enthält, ist praktisch an sich allein nur für die Frage relevant, ob jemand die Verletzung dieser Bestimmung mittels Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG geltend machen kann. Grundsätzlich wird Ihnen auch diese Frage keine Schwierigkeiten bereiten, weil Sie regelmäßig eine Fallkonstellation zu prüfen haben werden, in der nicht allein die Verletzung der Menschenwürde, sondern gleichzeitig die Verletzung auch anderer Grundrechte in Betracht kommt. Sind die Verletzungen dieser anderen Grundrechte zulässigerweise gerügt worden, muss das Bundesverfassungsgericht auch eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG prüfen. – Sollte demgegenüber ausnahmsweise tatsächlich allein eine Verletzung der Menschenwürde in Rede stehen, stellen Sie den Meinungsstreit zu Beginn Ihrer Prüfung fallbezogen dar und schließen sich – nicht nur klausurtaktisch empfehlenswert – der h.M. an.
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Qualifiziert man mit der h.M. Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht, prüfen Sie eine Verletzung der Menschenwürde wie die Verletzung jedes anderen Abwehrrechts:
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
I.Eröffnung des Schutzbereichs
1.Sachlicher Schutzbereich
a)Menschenwürde
Begriff der MenschenwürdeRn. 176
b)Relevante Fallkonstellationen
2.Persönlicher Schutzbereich
II.Eingriff in den Schutzbereich
3. Teil Freiheitsrechte › A. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) › II. Schutzbereich
II. Schutzbereich
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Zunächst prüfen Sie, ob der sachliche Schutzbereich und der persönliche Schutzbereich der Menschenwürde eröffnet sind.
1. Sachlicher Schutzbereich
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Die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs prüfen Sie in zwei Schritten:
a) Begriff der Menschenwürde
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Im ersten Schritt gilt es, den Begriff der Menschenwürde zu klären. Was unter dem Begriff der „Menschenwürde“ konkret zu verstehen ist, ist nicht leicht zu bestimmen. Dementsprechend schwierig ist es, den sachlichen Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG allgemein zu definieren. Es gibt verschiedene Ansätze, den sachlichen Schutzbereich zu beschreiben:[5] Positiv wird er beschrieben als der „allgemeine Eigenwert, der dem Menschen kraft seiner Persönlichkeit zukommt“.[6] Meist wird er – im Anschluss an Dürig – negativ beschrieben. Danach darf der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht und nicht einer Behandlung ausgesetzt werden, die seine Subjektsqualität prinzipiell in Frage stellt (sog. Objektformel).[7] Gelegentlich werden diese beiden Beschreibungen auch kombiniert. Der Schutzbereich der Menschenwürde wird dann beschrieben als der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.[8] Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutzbereich der Menschenwürde in einer jüngeren Entscheidung wie folgt beschrieben: Jeder Mensch besitze als Person eine Würde ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status.[9] Es verzichtet damit ebenfalls auf eine abstrakte Definition der Menschenwürde und bestimmt sie vielmehr anhand der Objektformel im konkreten Einzelfall.[10]
JURIQ-Klausurtipp
In der Fallbearbeitung sollten Sie einen Ansatz wählen, der die sog. Objektformel (mit-)enthält. So verfährt auch das Bundesverfassungsgericht . Obwohl Sie den Schutzbereich hierbei bereits vom Eingriff her bestimmen, ist ein solcher Ansatz gerade für die Fallbearbeitung praktikabel.
b) Relevante Fallkonstellationen
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Im zweiten Schritt gehen Sie der Frage nach, ob die so bestimmte Menschenwürde in Ihrer Fallbearbeitung relevant ist. Die Menschenwürde kann in vielen Konstellationen relevant werden. Hierzu gehören z.B. folgende aktuelle Fälle:[11]
• | Verletzung der körperlichen Identität oder Integrität |
Beispiele
Sog. Gefahrenabwendungsfolter: Um das Versteck einer entführten Geisel, die die Polizei noch am Leben glaubt, zu erfahren, soll der mutmaßliche Entführer unter Gewaltandrohung dazu veranlasst werden, das Versteck der Geisel preiszugeben.[12] – Sog. „wrongful birth“ bzw. „wrongful life“ bzw. „Kind als Schaden“: Die Zivilgerichte bejahen eine Schadensersatzhaftung von Ärzten, die eine fehlgeschlagene Sterilisation oder eine fehlerhafte genetische Beratung vor der Zeugung eines Kindes zu verantworten haben, gegenüber den betroffenen Eltern für entstehende Unterhaltspflichten. Zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts ist umstritten, ob die Haftung des Arztes gegen die Menschwürde verstößt.[13] – Heimliche Vaterschaftstests.[14]
• | Verletzung der geistig-seelischen Integrität |
Beispiel
Strafrestaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe.[15]
• | fehlende Grundsicherung individuellen oder sozialen Lebens |
Beispiele
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums;[16] menschenwürdige Ausgestaltung des Strafvollzugs.[17]
• | Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts, das nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts allein über Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird.[18] Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts wird „der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat“, durch das postmortale Persönlichkeitsrecht gegen Äußerungen, die darauf gerichtet sind, die betroffene Person herabzusetzen bzw. verächtlich zu machen, geschützt.[19] |
• | Beeinträchtigung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung |
Beispiele
Online-Durchsuchung[20]; Anordnung einer Betreuung.[21]
• | sonstige Fallkonstellationen |
Beispiele
Schockwerbung;[22] finaler Rettungsabschuss gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG, sofern es um unbeteiligte Personen (Besatzung oder Passagiere) geht;[23] Verständigungen im Strafverfahren.[24]
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Beachten Sie, dass der sachliche Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG nur dann eröffnet ist, wenn die Menschenwürde in erheblicher Weise durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt berührt wird. Die Menschenwürde ist dementsprechend nicht tangiert, wenn es z.B. um die Zahlung einer Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenverfahren,[25] die Leichenöffnung im Ermittlungsverfahren[26] oder den Friedhofszwang für Urnen[27] geht.
2. Persönlicher Schutzbereich
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Nach seinem Wortlaut handelt es sich bei der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG um ein Jedermann-Grundrecht. Grundrechtsberechtigt ist daher jede natürliche Person. Unerheblich ist, ob sich der Träger seiner Würde bewusst ist oder sie selbst zu wahren weiß.[28] Geschützt sind auch der Nasciturus (werdendes Leben) und über das postmortale Persönlichkeitsrecht auch Verstorbene.
3. Teil Freiheitsrechte › A. Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) › III. Eingriff in den Schutzbereich
III. Eingriff in den Schutzbereich
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Ist der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG eröffnet, prüfen Sie das Vorliegen eines Eingriffs in den Schutzbereich.
JURIQ-Klausurtipp
Hierzu werden Sie nicht viel sagen können und müssen, weil Sie dies bei der Anwendung eines Ansatzes, der die Objektformel (mit-)enthält, im Grunde bereits in dem Prüfungspunkt zuvor geprüft und bejaht haben.
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Gegenüber den sonstigen Abwehrrechten weist die Menschenwürde aber eine Besonderheit auf, die mit ihrer herausragenden Stellung als oberster Wert des Grundgesetzes zusammenhängt (vgl. oben Rn. 171). Diese Besonderheit besteht darin, dass die Menschenwürde nicht durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt beeinträchtigt werden darf. Die Menschenwürde gilt absolut. Daher sind Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG stets unzulässig.[29]
JURIQ-Klausurtipp
Für die Fallbearbeitung bedeutet dies, dass Sie an dieser Stelle mit Ihrer Grundrechtsprüfung bereits am Ende angelangt sind. Bejahen Sie die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 1 Abs. 1 GG, liegt zwangsläufig ein Eingriff in den Schutzbereich vor. Dieser ist stets unzulässig.
Denken Sie gleichwohl auch bei Art. 1 Abs. 1 GG stets daran, terminologisch zwischen einem Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürde und deren Verletzung zu unterscheiden (s.o. Rn. 118)!
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Die Absolutheit der Menschenwürde hat zwei Konsequenzen: Zum einen steht sie – jedenfalls nach Ansicht der Rechtsprechung[30] – nicht zur Disposition des Grundrechtsberechtigten.[31]
Beispiel
Beim sog. Zwergenweitwurf (oben Rn. 44) ist es daher unerheblich, dass der kleinwüchsige Artist damit einverstanden ist, wie ein Wurfgerät behandelt zu werden.
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Zum anderen besteht sie ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs.[32] Art. 1 Abs. 1 GG unterliegt nach seinem Wortlaut („unantastbar“) keinen Schranken. Dies gilt nicht nur für geschriebene Schranken, sondern auch für kollidierendes Verfassungsrecht.[33]
Anmerkungen
[1]
Vgl. BVerfGE 5, 85.
[2]
Vgl. BVerfGE 35, 202 – Lebach.
[3]
Vgl. BVerfGE 6, 32 – Elfes.
[4]
Vgl. die Übersicht zum Meinungsstand z.B. bei Sachs-Höfling Art. 1 Rn. 5 ff.
[5]
Vgl. zum Ganzen Manssen Staatsrecht II Rn. 232 f.
[6]
Vgl. BVerfGE abw. M. 30, 173.
[7]
Vgl. BVerfGE 50, 166.
[8]
Vgl. BVerfGE 109, 133 – lebenslange Sicherheitsverwahrung.
[9]
Vgl. BVerfGE 115, 118 – Luftsicherheitsgesetz.
[10]
Vgl. BVerfGE 30, 1 – Abhörurteil.
[11]
Vgl. hierzu und zu weiteren Beispielen Grundrechte Rn. 417 und Rn. 426 f.; ausführlich Hufen Staatsrecht II § 10 Rn. 47 ff.
[12]
Vgl. BVerfGK 4, 283.
[13]
Verneinend der 1. Senat: BVerfGE 96, 375; bejahend der 2. Senat: BVerfGE 96, 409.
[14]
Vgl. BVerfGE 117, 202.
[15]
Vgl. BVerfGE 117, 71.
[16]
Vgl. BVerfGE 125, 175; 132, 134; 142, 353; NJW 2014, 3425.
[17]
Vgl. BVerfG (K) NJW-RR 2011, 1043; BVerfGK 20, 125; NJW 2016, 389.
[18]
Vgl. BVerfGK 9, 83 – Marlene Dietrich.
[19]
Vgl. BVerfG (K) NJW 2001, 2957 – Wilhelm Kaisen.
[20]
Vgl. BVerfGE 120, 274.
[21]
Vgl. BVerfG (K) NJW 2016, 2559.
[22]
Vgl. BVerfGE 107, 275 – Benetton II.
[23]
Vgl. BVerfGE 115, 118 – Luftsicherheitsgesetz.
[24]
Vgl. BVerfGE 133, 168.
[25]
Vgl. BVerfGE 9, 167.
[26]
Vgl. BVerfG (K) NJW 1994, 783.
[27]
Vgl. BVerfGE 50, 256.
[28]
Vgl. BVerfGE 39, 1 – Abtreibungsurteil.
[29]
Vgl. Sodan/Ziekow-Sodan Grundkurs Öffentliches Recht § 26 Rn. 11.
[30]
Vgl. dazu Hufen Staatsrecht II § 10 Rn. 36 m.w.N.
[31]
Vgl. BVerwGE 64, 274 – Peep-Show; 115 189 – Laserdrome (str.).
[32]
Vgl. Manssen Staatsrecht II Rn. 225.
[33]
Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 430.
3. Teil Freiheitsrechte › B. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
B. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
3. Teil Freiheitsrechte › B. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) › I. Überblick
I. Überblick
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Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG garantiert nach ganz h.M. die allgemeine Handlungsfreiheit. Aufgrund dieses weiten Verständnisses des sachlichen Schutzbereichs ist das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG im Grunde in allen Lebensbereichen thematisch einschlägig. Hierdurch ergeben sich materiell-rechtliche Abgrenzungsprobleme gegenüber den anderen Freiheitsrechten. Das weite Verständnis hat im Zusammenwirken mit den großzügigen Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG auch prozessuale Auswirkungen, die sich in der Praxis deutlich bemerkbar machen (s.u. Rn. 190). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die allgemeine Handlungsfreiheit in der verfassungsrechtlichen Praxis eine große Bedeutung hat. Daher sollten Sie diesem Grundrecht entsprechende Aufmerksamkeit widmen.
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Art. 2 Abs. 1 GG prüfen Sie wie folgt:
Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
I.Eröffnung des Schutzbereichs
1.Sachlicher Schutzbereich
a)Allgemeine Handlungsfreiheit
aa)Umfassendes Begriffsverständnis
WettbewerbsfreiheitRn. 189
Recht am eingerichteten und ausgeübten GewerbebetriebRn. 189
ZwangsmitgliedschaftenRn. 189
Beschränkungen der BewegungsfreiheitRn. 189
bb)Folgen des umfassenden Begriffsverständnisses
b)Allgemeines Persönlichkeitsrecht
aa)Selbstbestimmungsrecht
bb)Selbstbewahrungsrecht
cc)Selbstdarstellungsrecht
dd)Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
2.Persönlicher Schutzbereich
a)Allgemeine Handlungsfreiheit
b)Allgemeines Persönlichkeitsrecht
Juristische Personen i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GGRn. 202
II.Eingriff in den Schutzbereich
1.Allgemeine Handlungsfreiheit
Eingriffe i.S.d. neuen EingriffsbegriffsRn. 205
2.Allgemeines Persönlichkeitsrecht
3.Grundrechtsverzicht
III.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
1.Beschränkbarkeit (Schranken)
a)Verfassungsmäßige Ordnung
b)Rechte anderer
c)Sittengesetz
Begriff des SittengesetzesRn. 216
2.Verhältnismäßigkeit
(beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht: Sphärentheorie)
3. Teil Freiheitsrechte › B. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) › II. Eröffnung des Schutzbereichs
II. Eröffnung des Schutzbereichs
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Kommt eine Verletzung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit in Betracht, beginnen Sie Ihre Prüfung mit der Frage, ob der sachliche Schutzbereich und der persönliche Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet sind.
1. Sachlicher Schutzbereich
a) Allgemeine Handlungsfreiheit
aa) Umfassendes Begriffsverständnis
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Der Gewährleistungsinhalt der allgemeinen Handlungsfreiheit ist seit langem geklärt. Nach ganz h.M. garantiert Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne.[1] Unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG kann danach jeder „tun und lassen, was er will“.[2] Geschützt wird jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt,[3] wobei nicht nur aktives Handeln, sondern auch Nichthandeln erfasst ist.[4] In den sachlichen Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG fallen daher rechtlich bedeutende Handlungsmöglichkeiten wie z.B. die Privatautonomie im Rechtsverkehr,[5] die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit,[6] aber auch an sich alltägliche Betätigungen wie z.B. das Taubenfüttern im Park[7] oder Motorradfahren.[8]
Hinweis
Vor allem früher wurde der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG demgegenüber teilweise enger gefasst. Geschützt wurde nach dieser Ansicht nur ein auf den Kernbereich der Persönlichkeit bezogener Lebensbereich (sog. Persönlichkeitskerntheorie).[9]
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Das weite Verständnis des sachlichen Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG stützt die h.M. u.a. auf die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, denn schon eine Entwurfsfassung des Art. 2 Abs. 1 GG sah vor, dass „jedermann (. . .) die Freiheit (hat), zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“.[10] Diese Formulierung wurde später fallengelassen, weil sie zu wenig würdevoll erschien,[11] und durch die inhaltsgleiche aktuelle Formulierung ersetzt.
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Bei drei Betätigungsbereichen ist umstritten, ob sie in den sachlichen Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG fallen:
Dies betrifft zunächst die Wettbewerbsfreiheit und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Als spezielles Freiheitsgrundrecht kommt insoweit das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG oder aus Art. 14 Abs. 1 GG in Betracht (dazu unten Rn. 570, 625).
In Streit steht ferner die Freiheit vor Zwangsmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften, wobei die h.M. mit dem Bundesverfassungsgericht hier Art. 2 Abs. 1 GG anwendet (dazu unten Rn. 489).[12]
Umstritten ist schließlich, ob Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit zu einem bestimmten Ort hin (z.B. Platzverweis, Wohnungsverweisung) in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG oder aus Art. 2 Abs. 1 GG fallen (dazu unten Rn. 258 f.).