Kitabı oku: «Grundrechte», sayfa 9

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cc) insbesondere: Wahrung des Wesensgehalts

149

Eine letzte verfassungsrechtliche Grenze für Eingriffe der Legislative in den Schutzbereich eines Grundrechts bildet die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG.[77]

Beispiel

Der Landesgesetzgeber ergänzt sein Polizeigesetz um eine Bestimmung, nach der der Schusswaffengebrauch zulässig ist, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr darstellt. Wird hierdurch der Wesensgehalt i.S.d. Art. 19 Abs. 2 GG des Grundrechts auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angetastet?

150


Umstritten ist, wie der Wesensgehalt von Grundrechten zu ermitteln ist. Fest steht, dass der Wesensgehalt für jedes einzelne Grundrecht gesondert bestimmt werden muss.[78] Zur generellen Ermittlung des Wesensgehalts von Grundrechten werden zwei Theorien vertreten: die Theorie vom absoluten Wesensgehalt und die Theorie vom relativen Wesensgehalt.[79]

151

Die Theorie vom absoluten Wesensgehalt betrachtet den Wesensgehalt eines Grundrechts als eine feste, vom Einzelfall und von der konkreten Frage unabhängige Größe. Der Wesensgehalt eines Grundrechts ist demnach ein Grundrechtskern, der unabhängig von der konkreten Fallgestaltung unantastbar ist. Nach dieser Theorie ist es ausgeschlossen, den Wesensgehalt einzelfallbezogen zu ermitteln. In unserem Beispiel oben (Rn. 149) entzieht der Schusswaffengebrauch demjenigen, der vom Schuss getroffen wird, das Recht auf Leben. Die allgemeine Gewährleistung des Rechts auf Leben wird hierdurch jedoch nicht angetastet. Nach der Theorie vom absoluten Wesensgehalt ist das Grundrecht auf Leben somit nicht verletzt.

152

Die von der h.M. vertretene Theorie vom relativen Wesensgehalt ermittelt den Wesensgehalt von Grundrechten, indem sie auf das jeweilige Grundrecht abstellt und den Wesensgehalt für jeden einzelnen Fall gesondert bestimmt. Durch eine Gewichtung und eine Abwägung der im Einzelfall beteiligten öffentlichen und privaten Rechtsgüter und Interessen ermittelt diese Theorie, ob der Wesensgehalt eines Grundrechts angetastet ist. Eine Antastung soll nicht gegeben sein, wenn dem Grundrecht das geringere Gewicht für die konkret zu entscheidende Frage beizumessen ist;[80] umgekehrt ist der Wesensgehalt angetastet, wenn er beeinträchtigt ist, obwohl ihm das größere Gewicht für die konkret zu entscheidende Frage zukommt.

Hinweis

Sie sehen: Mit dieser Vorgehensweise rückt die h.M. in die Nähe der Verhältnismäßigkeitsprüfung.

153

Nach der Theorie vom relativen Wesensgehalt wird in unserem Beispiel oben (Rn. 149) demjenigen, der vom Schuss getroffen wird, durch den Schusswaffengebrauch das Recht auf Leben entzogen. Ob hierdurch der Wesensgehalt des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angetastet worden ist, entscheidet die Theorie vom relativen Wesensgehalt danach, ob der Schusswaffengebrauch im konkreten Einzelfall verhältnismäßig war.

JURIQ-Klausurtipp

Folgen Sie der herrschenden Theorie vom relativen Wesensgehalt, bedeutet dies für Sie in der Fallbearbeitung, dass Sie nach der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Frage der Verletzung des Wesensgehalts allenfalls – bei entsprechenden Anhaltspunkten im Sachverhalt – noch kurz auf den Wesensgehalt eingehen können bzw. müssen. Keinesfalls sollten Sie die ohnehin selten praktisch relevant werdende Problematik des Wesensgehalts aber überbewerten.

c) Grundrechtsverwirkung

154

Grundrechte können schließlich auch verwirkt werden. Die Grundrechtsverwirkung ist in Art. 18 GG abschließend geregelt. Sie ist Ausdruck des Prinzips der „streitbaren Demokratie“, die auf Selbstverteidigung angelegt ist.[81] Art. 18 GG enthält damit kein Grundrecht, sondern eine Grundrechtsbeschränkung.[82] Verwirkt werden können nur die in Art. 18 S. 1 GG genannten Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden gemäß Art. 18 S. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Das einschlägige Verfahren, das ggf. mit der Feststellung der Verwirkung von Grundrechten durch das Bundesverfassungsgericht endet, ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG, § 13 Nr. 1 i.V.m. §§ 36 ff. BVerfGG näher geregelt.

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In der Praxis ist es sehr schwer, den Nachweis einer Grundrechtsverwirkung zu führen. Dieser Umstand und das sehr umständliche Verfahren gemäß §§ 36 ff. BVerfGG sind ursächlich dafür, dass Art. 18 GG praktisch ohne Bedeutung geblieben ist.[83] Eine Verwirkung von Grundrechten ist – soweit ersichtlich – bis heute nicht ausgesprochen worden. Vor diesem Hintergrund dürfte die Relevanz des Art. 18 GG für die Fallbearbeitung entsprechend gering sein.

2. Vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrechte

156

Im Gegensatz zu den unter Gesetzesvorbehalt stehenden Freiheitsrechten werden einige Freiheitsrechte nach ihrem Wortlaut vorbehaltlos gewährleistet (z.B. Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die vorbehaltlos verbürgten Freiheitsrechte schrankenlos garantiert sind. Eine generelle Beschränkungsmöglichkeit von Grundrechten gebietet bereits der Grundsatz der Einheit der Verfassung.[84] Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre unterliegen die vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechte verfassungsimmanenten Schranken in Gestalt anderer verfassungsrechtlich verbürgter Rechtspositionen.[85] Das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht kann somit durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. Dies gilt jedoch nicht für die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG. Sie ist das einzige Grundrecht, das auch nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG („unantastbar“).

157

Als kollidierendes Verfassungsrecht kommen insbesondere Grundrechte Dritter und sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang in Betracht. Zu letzteren gehören z.B. Verfassungsgrundsätze (etwa die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Art. 20 Abs. 1 GG) oder Staatszielbestimmungen (etwa der Tierschutz in Art. 20a GG) und nach nicht unbestrittener Ansicht des Bundesverfassungsgerichts[86] auch reine Kompetenznormen (z.B. Art. 70 ff. GG). Ein weiteres, wichtiges und prüfungsrelevantes Beispiel für kollidierendes Verfassungsrecht ist Art. 7 Abs. 1 GG. Diese Bestimmung garantiert die Schulhoheit des Staates. Sie berechtigt die öffentliche Gewalt u.a., die Ausbildungs- und Unterrichtsziele sowie die Ausbildungs- und Unterrichtsinhalte festzulegen.

Beispiel

Ein Landesgesetzgeber ergänzt sein Schulgesetz um eine Bestimmung, nach der Schülerinnen und Schüler aus religiösen Gründen nur anlässlich religiöser Feiertage vom Unterricht befreit werden dürfen. Diese Befreiung darf nicht für mehr als zwei Kalendertage pro Schuljahr erteilt werden. Mit dieser neuen Regelung soll insbesondere die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund gefördert werden. – Das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Schülerinnen und Schüler auf Glaubensfreiheit kann nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. Als solches kommt die in Art. 7 Abs. 1 GG gewährleistete staatliche Schulhoheit des Staates in Betracht.

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Zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen ist im Wege der praktischen Konkordanz ein gerechter Ausgleich herzustellen mit dem Ziel, die widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter zur jeweils optimalen Wirksamkeit zu bringen. In unserem Beispiel oben (Rn. 157) könnte die in Art. 7 Abs. 1 GG gewährleistete staatliche Schulhoheit die Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler einschränken. Der Staat ist kraft seiner Schulhoheit u.a. berechtigt, die Ausbildungs- und Unterrichtsziele und die Ausbildungs- und Unterrichtsinhalte festzulegen sowie das Unterrichtswesen zu organisieren. Hierunter fällt auch die Befugnis, zur Sicherstellung eines geregelten Schulablaufs und zur besseren Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund Regelungen zu treffen, wann Unterrichtsbefreiungen aus religiösen Gründen erteilt werden dürfen. Dieser Befugnis des Staates steht das Grundrecht der Schülerinnen und Schüler auf Glaubensfreiheit gegenüber. Dieses garantiert den Schülerinnen und Schülern, einen Glauben zu haben, ihn zu bekennen und nach ihm zu leben. Daher kann ihre Grundrechtsausübung die Befreiung von bestimmten verpflichtenden Schulveranstaltungen erforderlich machen. Diese verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter sind im Wege der praktischen Konkordanz in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Der grundrechtlichen Gewährleistung der Glaubensfreiheit als einem sehr persönlichen, der Menschenwürde nahestehenden Grundrecht wird nicht Genüge getan, wenn Schülerinnen und Schüler aus religiösen Gründen allein anlässlich religiöser Feiertage vom Unterricht befreit werden können. Die Schulhoheit muss gegenüber der für die Entfaltung der Persönlichkeit wichtigen Glaubensfreiheit zurücktreten. Das Grundrecht der Schülerinnen und Schüler auf Glaubensfreiheit wird somit durch die staatliche Schulhoheit unangemessen eingeschränkt und demnach verletzt.

3. Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

159

Steht nicht der Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts durch einen parlamentarischen Rechtsetzungsakt, sondern durch einen Rechtsanwendungsakt, d.h. durch eine Maßnahme der Exekutive oder der Judikative (z.B. Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsakt oder gerichtliche Entscheidung), in Rede, verläuft die Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung anders. Im Vordergrund der Prüfung steht hier die Frage, ob die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative, d.h. der Rechtsanwendungsakt, verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Wegen des rechtsstaatlichen Vorbehalts des Gesetzes muss die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative ihrerseits auf einem verfassungsmäßigen Parlamentsgesetz beruhen und selbst verfassungsgemäß sein. Es empfiehlt sich, diese Prüfung in drei Schritten vorzunehmen:

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Beachten Sie, dass gerade hier Prüfungsschemata lediglich eine Orientierungshilfe bieten und keinesfalls starr angewendet werden dürfen, denn gerade bei der Überprüfung von Rechtsanwendungsakten kommt es maßgeblich auch darauf an, wer welchen Rechtsanwendungsakt überprüft. Im Verfassungsrecht steht die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Maßnahmen zur Prüfung an. Prüft z.B. das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG eine gerichtliche Entscheidung, gilt zudem ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab, weil das Bundesverfassungsgericht gerichtliche Entscheidungen lediglich auf die Verletzung sog. spezifischen Verfassungsrechts überprüft (s.u. Rn. 766). Im Verwaltungsrecht geht es dagegen um die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Exekutive. Für die Lösung dieser Fälle gibt es Prüfungsschemata, die den Besonderheiten dieser Prüfung Rechnung tragen, indem sie zu Ihrer Gedächtnisunterstützung zusätzliche Prüfungspunkte enthalten.[87] Achten Sie auf diese Unterschiede![88]

a) Grundrechtsschranken

160

Ihre Prüfung beginnen Sie mit der Frage nach den Grundrechtsschranken (vgl. dazu bereits oben Rn. 135 ff.). Sie untersuchen, ob das möglicherweise verletzte Freiheitsrecht einschränkbar ist, d.h., ob es aufgrund eines formellen Gesetzes durch eine Maßnahme der Exekutive oder der Judikative eingeschränkt werden kann.

b) Verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage für die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

161

Kann das möglicherweise verletzte Grundrecht aufgrund eines formellen Gesetzes durch eine Maßnahme der Exekutive oder der Judikative eingeschränkt werden, benennen Sie nun die formell-gesetzliche Grundlage, auf der die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative beruht.

Beispiel

Die Stadt Köln widerruft die dem W zum Betrieb einer Gaststätte erteilte Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit. Der Widerruf ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NW, der auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 GastG ergeht.

162

Die gesetzliche Grundlage muss verfassungsgemäß sein. An dieser Stelle prüfen Sie die (formelle und materielle) Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage, auf der die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative beruht. Insoweit kann auf die Ausführungen oben (Rn. 141) verwiesen werden.

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Wenn die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative auf einem gängigen, seit langem angewendeten formellen Gesetz beruht (z.B. einer landesrechtlichen Spezial- oder Generalermächtigung), wird die Verfassungsmäßigkeit der formell-gesetzlichen Grundlage in aller Regel nicht problematisch sein. Anders kann sich für Sie die Situation in der Fallbearbeitung darstellen, wenn etwa eine Maßnahme der Exekutive auf einem materiellen Gesetz (Rechtsverordnung; Satzung) beruht, das gerade erlassen wurde. Hier sollten Sie die Angaben im Sachverhalt aufmerksam studieren, ob sich Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der materiell-gesetzlichen Grundlage ergeben. Beachten Sie, dass Sie in diesem Falle eine doppelte Prüfung vornehmen müssen: Nicht nur die materiell-gesetzliche Grundlage für die Maßnahme der Exekutive muss verfassungsgemäß sein; vielmehr muss auch das materielle Gesetz selbst auf einer verfassungsgemäßen formell-gesetzlichen Grundlage beruhen (denken Sie in diesem Zusammenhang bei Rechtsverordnungen auf Bundesebene an Art. 80 GG und bei Rechtsverordnungen auf Landesebene an die entsprechende landesrechtliche Bestimmung [z.B. Art. 70 Verf. NW])!

c) Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

163

Die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative muss ihrerseits verfassungsgemäß sein. Dies prüfen Sie in drei Schritten:

aa) Verfassungskonforme, vor allem grundrechtskonforme, Anwendung und Auslegung der gesetzlichen Grundlage

164

Die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative ist verfassungsgemäß, wenn sie die formell-gesetzliche Grundlage verfassungskonform, insbesondere grundrechtskonform, anwendet und auslegt. Der Sache nach prüfen Sie also, ob sich die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative im Rahmen der formell-gesetzlichen Grundlage hält.

Beispiel

K will sich ein neues Einfamilienhaus bauen. Die Behörde lehnt den Bauantrag des K mit der Begründung ab, die Entscheidung über die Baugenehmigung stehe in ihrem Ermessen und dieses habe sie – aus nicht nachvollziehbaren – Gründen dahingehend ausgeübt, dass dem K die Baugenehmigung zu versagen sei. K fühlt sich in seinem Grundrecht auf Baufreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verletzt.

165

In unserem Beispiel (Rn. 164) ist zu prüfen, ob sich die Versagung der Baugenehmigung im Rahmen der gesetzlichen Grundlage hält. Nach den einschlägigen landesrechtlichen Regelungen in den Landesbauordnungen (z.B. § 74 Abs. 1 BauO NW 2018) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Bei der Baugenehmigung handelt es sich um ein sog. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das Bauen ist zunächst verboten. Wegen der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Baufreiheit erwächst dem Bauherrn aber ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn sein Bauvorhaben alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Baugenehmigung erfüllt. Dies hat die Baubehörde bei K verkannt. Sie hat eine Ermessensentscheidung getroffen, obgleich sie zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet war (vgl. z.B. Wortlaut des § 74 Abs. 1 BauO NW 2018: „ist zu erteilen“). Die Versagung der Baugenehmigung hält sich demnach nicht im Rahmen der gesetzlichen Grundlage und ist damit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

166

Das Prinzip der verfassungskonformen Auslegung ist besonderer Ausdruck der objektiven Bedeutung der Grundrechte. In der Praxis hat der Rechtsanwender häufig verschiedene Möglichkeiten, wie er ein Gesetz auslegt. Welche Auslegungsvariante der Rechtsanwender zu wählen hat, ist von Verfassungs wegen bestimmt. Bestehen mehrere Auslegungsvarianten, von denen eine Variante verfassungsgemäß und eine andere Variante verfassungswidrig ist, muss sich der Rechtsanwender für die verfassungsgemäße Auslegungsvariante des Gesetzes entscheiden.[89]

Beispiel

§ 14 VersG ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass bei Spontanversammlungen die Anmeldepflicht entfällt und bei Eilversammlungen der Anmeldezeitraum dahingehend zu verkürzen ist, dass die Eilversammlung anzumelden ist, sobald die Teilnehmer die Möglichkeit hierzu haben.[90]

167

Nichts anderes gilt für die grundrechtskonforme Auslegung als Sonderfall der verfassungskonformen Auslegung. Hier ist bei mehreren verfassungsgemäßen Auslegungsvarianten diejenige Variante zu wählen, die den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts am weitestgehenden beachtet.[91]

bb) Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

168

Wendet die Exekutive oder die Judikative die formell-gesetzliche Grundlage verfassungskonform, insbesondere grundrechtskonform, an, untersuchen Sie in einem nächsten Schritt die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Exekutive oder der Judikative. Insoweit kann grundsätzlich auf die Ausführungen oben (Rn. 143 ff.) verwiesen werden. Im Gegensatz zur Legislative sind die Exekutive und die Judikative jedoch an das geltende Recht gebunden. Sie besitzen daher vor allem keinen vergleichbaren Gestaltungsspielraum, wie ihn die Legislative hat.

cc) Bestimmtheitsgrundsatz

169

Erweist sich die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative als verhältnismäßig, untersuchen Sie in einem letzten Prüfungsschritt, ob die Maßnahme dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügt. Danach muss erkennbar sein, welcher Eingriff durch die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative zugelassen oder vorgenommen wird.

Hinweis

Bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzbereich von Freiheitsrechten durch Gesetz gehört die Bestimmtheitsprüfung dagegen üblicherweise zur materiellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes (s.o. Rn. 141).


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Anmerkungen

[1]

Vgl. Sodan/Ziekow-Sodan Grundkurs Öffentliches Recht § 24 Rn. 2; Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 125, 127 ff.

[2]

Vgl. Ipsen Staatsrecht II Rn. 61.

[3]

Vgl. BVerfGE 39, 1; 88, 203 – Abtreibungsurteile.

[4]

Vgl. BVerfGE 30, 173 – Mephisto.

[5]

Vgl. zum Ganzen Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 97 f.

[6]

Vgl. BVerfGE 129, 78 – Designermöbel; anders noch BVerfGE 21, 207; 23, 229; 100, 313.

[7]

Vgl. näher BVerfGE 21, 207; 23, 229; 100, 313.

[8]

Vgl. zum Ganzen: Epping/Patzke Ad Legendum 2013, 40.

[9]

Vgl. zuletzt BVerfGE 126, 286.

[10]

Vgl. BVerfGE 21, 362.

[11]

Vgl. BVerfGE 45, 63.

[12]

Vgl. BVerfGE 61, 82.

[13]

Vgl. BVerfGE 75, 192.

[14]

Vgl. BVerfGE 39, 302.

[15]

Vgl. BVerfGE 21, 362.

[16]

Vgl. BVerfGE 21, 362.

[17]

Vgl. Schoch Jura 2001, 201.

[18]

Vgl. BVerfG (K) DVBl. 2001, 63.

[19]

Vgl. BVerfGE 6, 45.

[20]

Vgl. BVerfGE 15, 256.

[21]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 1210.

[22]

Vgl. BVerfGE 85, 360.

[23]

Vgl. BVerfGE 59, 231.

[24]

Vgl. BVerfGE 107, 299.

[25]

Vgl. BVerfGE 19, 1.

[26]

Vgl. dafür VerfGH Bayern NVwZ-RR 1994, 509; dagegen VerfGH Sachsen NJW 1997, 3015.

[27]

Vgl. BVerfGE 88, 25.

[28]

Vgl. Sachs Verfassungsrecht II – Grundrechte A 6 Rn. 1.

[29]

Vgl. Jarass/Pieroth-Pieroth Art. 38 Rn. 5.

[30]

Vgl. BVerfGE 35, 382; Sachs Verfassungsrecht II – Grundrechte A 6 Rn. 16 f.

[31]

Vgl. Schwabe NJW 1974, 1044.

[32]

Vgl. Wernsmann Jura 2000, 657.

[33]

Vgl. Dreier-Dreier GG I Vorb. vor Art. 1 Rn. 116.

[34]

Vgl. Hufen Staatsrecht II § 6 Rn. 41.

[35]

Vgl. auch Hufen Staatsrecht II § 6 Rn. 45 f.

[36]

Vgl. Hufen Staatsrecht II § 6 Rn. 46.

[37]

Vgl. BVerfG (K) NJW 2001, 2459 – Loveparade/Fuckparade.

[38]

Vgl. hierzu Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 292.

[39]

Vgl. Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 135.

[40]

Nach BVerfGE 105, 279.

[41]

Vgl. zum Ganzen Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 266.

[42]

Vgl. zum Ganzen Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 270; Michael/Morlok Grundrechte Rn. 43 f. Die dogmatische Handhabung der Grundrechtsausgestaltung ist im Einzelnen nicht unumstritten.

[43]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 276.

[44]

Vgl. Hufen Staatsrecht II § 8 Rn. 2.

[45]

Vgl. zum Ganzen Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 276, 934; auch Manssen Staatsrecht II Rn. 639; BVerfGE 54, 224; 237.

[46]

Vgl. Geiger NVwZ 1989, 35.

[47]

Vgl. Jarass/Pieroth-Jarass Vorb. vor Art. 1 Rn. 36.

[48]

Vgl. Jarass/Pieroth-Jarass Vorb. vor Art. 1 Rn. 36.

[49]

Vgl. BVerwGE 119, 123.

[50]

In Bezug auf Art. 13 GG vgl. Jarass/Pieroth-Jarass Art. 13 Rn. 10.

[51]

Vgl. Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 141; Manssen Staatsrecht II Rn. 173.

[52]

Vgl. Manssen Staatsrecht II Rn. 173.

[53]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 304.

[54]

Vgl. Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 142.

[55]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 307; Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 141.

[56]

Vgl. Sodan/Ziekow-Sodan Grundkurs Öffentliches Recht § 24 Rn. 17.

[57]

Vgl. z.B. Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 146 ff.

[58]

Vgl. nur Papier/Krönke Grundkurs Öffentliches Recht 2 Rn. 156.

[59]

Vgl. BVerfGE 7, 377 – Apothekenurteil.

[60]

Vgl. BVerfGE 7, 198 – Lüth.

[61]

Vgl. BVerfG (K) NJW 1998, 1776.

[62]

Vgl. BVerfGE 30, 292.

[63]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 336.

[64]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 340.

[65]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 342 ff.

[66]

Vgl. BVerfGE 113, 29.

[67]

Vgl. BVerfGE 104, 337.

[68]

Vgl. BVerfGK 18, 158.

[69]

Vgl. Michael/Morlok Grundrechte Rn. 57.

[70]

Vgl. Michael/Morlok Grundrechte Rn. 57.

[71]

Kritisch z.B. Spielmann JuS 2004, 371.

[72]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 262.

[73]

Vgl. Michael/Morlok Grundrechte Rn. 57.

[74]

Vgl. Manssen Staatsrecht II Rn. 208.

[75]

Vgl. weitere Einzelheiten bei Michael/Morlok Grundrechte Rn. 56 ff.; Manssen Staatsrecht II Rn. 208 f.; Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 262; Hufen Staatsrecht II § 6 Rn. 46.

[76]

Vgl. hierzu näher Michael/Morlok Grundrechte Rn. 57 f.

[77]

Vgl. Manssen Staatsrecht II Rn. 210.

[78]

Vgl. BVerfGE 22, 180.

[79]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 352 ff.

[80]

Vgl. BVerwGE 47, 330.

[81]

Vgl. BVerfGE 28, 36.

[82]

Vgl. Jarass/Pieroth-Jarass Art. 18 Rn. 1.

[83]

Vgl. Hufen Staatsrecht II § 9 Rn. 38.

[84]

Vgl. Manssen Staatsrecht II Rn. 166.

[85]

Vgl. BVerfGE 28, 243; vgl. auch Hufen Staatsrecht II § 9 Rn. 30 ff.

[86]

Vgl. BVerfGE 53, 30.

[87]

Vgl. allgemein in diesem Zusammenhang auch Augsberg/Viellechner JuS 2008, 407.

[88]

Vgl. zum Ganzen auch Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 400.

[89]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 8c.

[90]

Vgl. BVerfGE 85, 69.

[91]

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 8a f.

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