Kitabı oku: «Star Trek - The Next Generation: Vorhandenes Licht», sayfa 3
KAPITEL 4
Wie üblich füllte sich die Messe der Enterprise nach Ende der Alpha-Schicht rasch. Die Theke war voll besetzt, und an den Tischen waren nur noch vereinzelt Stühle frei. Offiziere standen in Grüppchen in der Nähe der Bar herum, zwischen den Tischen oder vor den großen, abgeschrägten Fenstern. Dort hatte man den besten Ausblick auf die Sterne: Das Warpfeld verzerrte sie, sodass sie wie Lichtstreifen wirkten. T’Ryssa Chen versuchte immer, einen Tisch am Fenster zu ergattern. Wenn sie nach draußen schaute, konnte sie besser denken. Der Ausblick hatte beinahe etwas Meditatives.
»Trys?«
Sie erschrak ein wenig und erinnerte sich, dass sie nicht allein am Tisch saß. Dann wurde ihr mit einiger Verspätung klar, dass ihre Freundin Dina Elfiki sie jetzt schon zum dritten Mal angesprochen hatte. Chen setzte sich aufrechter hin und räusperte sich.
»Entschuldige, Dina. Ich …« Sie runzelte die Stirn. Ihre Gedankenverlorenheit war ihr peinlich. »Ich glaub, ich war kurz abgelenkt.«
»Langweile ich dich? Wärst du lieber allein?« Elfiki war in Ägypten geboren worden und sprach mit leichtem Akzent. Der Blick ihrer großen dunklen Augen war ernsthaft besorgt.
Chen winkte ab. »Nein, natürlich nicht! Verzeih mir. Ich hab keine Ahnung, was mit mir los ist.«
Lügnerin, tadelte sie sich selbst. Du weißt ganz genau, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist. Dir und allen anderen auf diesem Schiff.
Elfiki strich sich eine Strähne ihres schulterlangen schwarzen Haars aus dem Gesicht. »Wahrscheinlich bist du bloß müde. Wie ich …« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas. »Ich hab die letzten sechsunddreißig Stunden damit verbracht, zusammen mit meinem Team und ein paar Ingenieuren noch mal den Computerkern und alle Backup-Systeme zu überprüfen – wir haben uns noch mal jedes Kiloquad Datenspeicher angesehen. Dasselbe haben wir mit den Computersystemen aller Shuttles, der Jacht des Captains und mit jedem einzelnen Ausrüstungsgegenstand gemacht, der einen eingebauten Computer oder Datenspeicher besitzt, bis hin zum letzten Trikorder und zum letzten isolinearen Chip.«
»Wirklich?«, fragte Chen. »Hattet ihr das nicht gerade erst gemacht?«
»Commander La Forge hat uns gebeten, uns alles noch mal vorzunehmen. Soweit ich sagen kann, haben wir von allen Computern an Bord jede einzelne Komponente des Uräus-Programms vollständig entfernt.«
Chen seufzte. »Du weißt, dass ich dir geholfen hätte, oder? Du hättest mich nur fragen müssen!«
»Natürlich weiß ich das. Du warst beschäftigt, Trys.«
»Damit, die Sensorphalanx nachzukalibrieren.« Chen verdrehte die Augen. »Wenn ich vor die Wahl gestellt würde, was ich lieber machen würde – das oder mich kopfüber in eine Plasmaleitung stürzen –, müsste ich ernsthaft darüber nachdenken.« Die Arbeiten an der Phalanx mussten akribisch durchgeführt werden, verlangten volle Konzentration, waren absolut notwendig – und so langweilig, dass Chen darüber hätte in Tränen ausbrechen können. Vielleicht war es noch schlimmer, Millionen und Abermillionen Zeilen Computercode durchzugehen, um Schadsoftware aufzuspüren, aber wenigstens konnte man dabei an einer Konsole sitzen und musste nicht von Zugangsklappe zu Zugangsklappe durch Jefferies-Röhren kriechen. »Das war ein ziemlich heimtückisches Programm. Ein zusätzliches Augenpaar wäre bestimmt nützlich gewesen.«
Chen hatte den offiziellen Bericht des Sternenflottenkommandos gelesen, der sich mit dem vollen Funktionsumfang des Uräus-Programms von seiner Initialisierung im 22. Jahrhundert an beschäftigte. Experten aus der Sternenflottenabteilung für Forschung und Entwicklung hatten umfängliches Material zusammengestellt, um die Betriebsparameter und die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz zu skizzieren. Dazu gehörte auch eine vollständige Darstellung des ihr zugrunde liegenden Computercodes. Natürlich hatte Chen an der Sternenflottenakademie den Umgang mit Computern erlernt. Sie hatte ihr Wissen an Bord der U.S.S. Rhea und später an Bord der Enterprise angewandt, hielt sich aber nicht für eine Computerexpertin. Wenn sie sich Mühe gab, konnte sie mit anderen, klügeren Offizieren, die vielleicht sogar eine Begabung auf diesem Gebiet hatten, gerade so mithalten. Mit Elfiki zum Beispiel. Seit sie auf der Enterprise diente, hatten das Talent, die Initiative und der vortreffliche Instinkt ihrer Freundin schon ein paarmal wesentlich dazu beigetragen, Raumschiff und Besatzung aus gefährlichen Situationen herauszuholen. Dabei hatte Elfiki wie nebenbei Leben gerettet.
»Wir haben uns jede einzelne Codezeile angeschaut«, sagte Elfiki. »Alle gespeicherten Dateien. Wir haben jeden Datentransfer zurückverfolgt, und ich meine jeden, einschließlich den der Datenbänke aus der Enterprise-D. Du weißt schon, die aus dem Annex-Archiv in Aldrin City auf Luna. Aber was Data, Lal und die anderen in den Hochsicherheitsarchiven Memory Alpha und Memory Prime getan haben, war sehr effektiv: Wir haben nirgendwo auch nur eine Spur von Uräus gefunden. Man sollte meinen, ich würde jetzt besser schlafen, aber von wegen! Ich werde wahrscheinlich wochenlang von endlosen Codezeilen träumen …«
Elfiki musste sich aussprechen, und Chen ließ ihre Freundin reden. Captain Picards Befehl, die Uräus-Software restlos vom Schiffscomputer zu entfernen, war eine große Herausforderung: Das Programm war so konzipiert, dass es wie wuchernder Efeu alles umschlang. Immerhin konnten Elfiki, Commander La Forge und ihre jeweiligen Teams sich auf die detaillierten Berichte Datas stützen, der die KI besiegt hatte. Er und seine Androidentochter Lal hatten mithilfe des ehemaligen Sternenflottenarztes Julian Bashir und Sarina Douglas’, die Sektion 31 abtrünnig geworden waren, ein Heilmittel gegen die Seuche Uräus gefunden.
»Wir sind allein hier draußen«, sagte Chen, »deshalb müssen wir ganz sichergehen, dass nicht in irgendeiner Computerdatei eine Falle versteckt ist. Wenn wir unserer Ausrüstung nicht vertrauen können … Immerhin hält sie uns am Leben.«
Elfiki starrte in ihr Glas und seufzte schwer. »Ja. Wir haben bloß das Schiff … Und einander.«
Aha, dachte Chen. Jetzt kommen wir zur Sache.
»Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen«, fuhr Elfiki nach einer kurzen Pause fort. »Weil wir so beschäftigt waren … Oder vielleicht haben wir uns auch bloß in unserer Arbeit vergraben.« Sie warf einen raschen Blick durch die Messe. »Guck dich mal um! Es ist, als wäre man auf einem Begräbnis.«
Ihre Freundin hatte es also auch gemerkt. Die Stimmung war gedrückt. Die Anwesenden taten ihr Bestes, um den Eindruck zu erwecken, alles sei beim Alten – mit mäßigem Erfolg. Wahrscheinlich gab es niemanden an Bord, der die Nachrichten nicht verfolgt hatte. Sektion 31, das Uräus-Programm und die geheimen Freveltaten, die seit zwei Jahrhunderten ungestraft durchgeführt wurden … Die Enthüllungsjournalistin Ozla Graniv hatte dafür gesorgt, dass jeder davon erfuhr. Allerdings gab ihre Reportage keine Antworten auf jene Fragen, die die Besatzung der Enterprise quälten.
»Man erfährt nicht jeden Tag, dass der eigene Captain dabei geholfen hat, einen Föderationspräsidenten seines Amtes zu entheben, der dann von einer Geheimorganisation ermordet wurde«, sagte Elfiki. »So was hinterlässt einen bleibenden Eindruck.«
»Wir wissen doch alle, dass er mit Zifes Ermordung nichts zu tun hatte«, sagte Chen.
Elfiki nickte. »Natürlich. Aber wir haben geglaubt, Zife sei freiwillig zurückgetreten, aus persönlichen Gründen. Du musst zugeben, es ist schon ein bisschen … verstörend zu erfahren, dass unser Captain in seinen Sturz involviert war. Klar, wenn man das große Ganze betrachtet, war es wohl die richtige Entscheidung. Aber ich hätte sie nicht treffen wollen. Und hätte mich jemand gebeten, bei der Sache zu helfen … Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Ich rede mir ein, ich würde in so einem Fall aus den richtigen Gründen das Richtige tun.« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Entschuldige, Trys. Ich komme nicht besonders gut mit der Sache zurecht.«
»Das macht doch nichts.«
Die Neuigkeit, dass Captain Picard in die Min-Zife-Affäre verwickelt war, hatte sich mit Warpgeschwindigkeit verbreitet. Zuerst war die Besatzung schockiert gewesen und hatte es nicht glauben wollen. Dann hatten sich Ärger, Unsicherheit und das starke Gefühl, verraten worden zu sein, breitgemacht. Was sollte jetzt werden? Chen war unfreiwillig Zeugin mehrerer gedämpfter Gespräche geworden, in denen Crewmitglieder ihre Zweifel austauschten: War der Mann, zu dem sie aufsahen, von dem sie Führung erwarteten, ihres Vertrauens überhaupt würdig? Allerdings schienen die Offiziere, die ihrem Captain den Rücken stärkten, deutlich in der Überzahl zu sein. Sie erinnerten neuere Kameraden daran, was Picard alles getan und erreicht hatte, an die Jahrzehnte, die er nach bestem Wissen und Gewissen der Sternenflotte gedient hatte. Ob der Captain etwas von der Zerrissenheit ahnte, unter der seine Mannschaft litt, wusste Chen nicht. Wäre es ihm ein Trost zu wissen, dass es Leute gab, die versuchten, die ganze elende Geschichte in die richtige Perspektive zu rücken?
Man musste Picard zugutehalten, dass er mit jedem persönlich über die Angelegenheit gesprochen hatte, der den Wunsch danach geäußert hatte. Chen hatte sein Angebot wahrgenommen. Picard hatte müde ausgesehen. Wie sicher schon vielen anderen vor ihr hatte er ihr gestanden, dass er nicht stolz darauf war, was er getan hatte. Zifes Rücktritt zu erzwingen, hatte damals wie die beste verschiedener schlechter Alternativen gewirkt. Jede andere Marschroute hätte vermutlich die Spannungen zwischen der Föderation und dem Klingonischen Reich verstärkt, zu einer Zeit, als die Föderation sich das nicht leisten konnte. In Picards Augen gab es keine juristische Rechtfertigung dafür, einen gewählten Föderationspräsidenten ohne jedes Verfahren abzusetzen – und erst recht keine moralische Rechtfertigung für das, was hinterher geschehen war.
»Vielleicht hättest du auch mit ihm sprechen sollen, Dina«, sagte sie leise. »Dann wüsstest du, wie sehr er sich schämt. So habe ich ihn noch nie gesehen … So angreifbar. Er hat gesagt, er musste sich nach der Sache immer und immer wieder selbst davon überzeugen, dass der Schritt notwendig gewesen sei. Dass es zahllose Leben gerettet habe, Zife aus dem Amt zu drängen. Er hat gesagt, er habe jeden Tag aufs Neue versucht, irgendwie wiedergutzumachen, was er getan hat.«
»Glaubst du, er hat es jemandem erzählt?«, fragte Elfiki. »Er ist ein zurückhaltender Mensch, das ist keine Frage, aber auch er hat ja ein paar enge Freunde. Hat er Doktor Crusher ins Vertrauen gezogen? Oder Admiral Riker? Irgendjemanden?«
Chen schüttelte den Kopf. »Er sagt Nein. Und mal ehrlich, das ist nicht die Art von Geschichte, die man gerne erzählt.« Picard hatte gesagt, bevor Granivs Reportage erschienen sei, hätten nur diejenigen, die an der Sache beteiligt gewesen waren, Bescheid gewusst (und wie viel sie gewusst hatten, hätte von der Rolle abgehangen, die sie gespielt hatten). Natürlich war die Verschwörung um einiges größer gewesen, als Picard damals geglaubt hatte, so viel war Chen klar. Immerhin war Sektion 31 involviert gewesen.
»Seien wir ehrlich«, sagte sie, »so schrecklich es auch sein mag, was Zife zugestoßen ist …Wenn ich bloß darüber nachdenke, was Sektion 31 alles auf dem Kerbholz haben soll, fällt’s mir schwer, Picard nicht sofort in Schutz zu nehmen.«
»Das stimmt schon«, murmelte Elfiki. »Wir haben alle gedacht, wir würden nach unserem eigenen freien Willen leben … Aber stattdessen hat uns auf die eine oder andere Weise ein Computerprogramm kontrolliert.« Als Chen etwas erwidern wollte, hob sie rasch die Hände. »Ich weiß, ich weiß. Ist eine grobe Vereinfachung, aber denk mal drüber nach. Wie viel von dem, was wir gemacht haben – über Jahrhunderte hinweg –, haben wir bloß gemacht, weil uns dieses … dieses Ding wie Marionetten an Fäden herumgeschwenkt hat?«
»Daran glaube ich nicht.« Chen stürzte beinahe ihren ganzen Drink auf einmal hinunter. Oh, sie konnte nicht leugnen, dass Uräus die Föderationsbürger auf vielen verschiedenen Ebenen beeinflusst hatte! Trotzdem würde sie sich auf keinen Fall einreden, die KI sei allmächtig gewesen.
Sie mochte ein ausgeklügeltes System aus prädiktiven Algorithmen benutzt haben, die auf der Grundlage von Statistiken, Wahrscheinlichkeiten und Mustererkennung Vorhersagen treffen konnten. Sie mochte infolge dieser Vorhersagen Situationen und Umstände manipuliert haben, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dennoch konnte Chen nicht glauben, dass jede vollbrachte Leistung, jeder verbuchte Erfolg in den letzten zweihundert Jahren das Resultat seelenloser Vorausplanung war. Uräus’ Einfluss negierte weder die Gedanken und Gefühle noch die moralischen Entscheidungen zahlloser Lebewesen aus Fleisch und Blut. Das war es, was die Bürger der Föderation ausmachte. Chen würde es ihnen nicht absprechen.
Sie beugte sich über den Tisch. »Wir treffen unsere Entscheidungen selbst«, sagte sie eindringlich. »Wir handeln so, wie wir es für richtig halten – und wir bestimmen mit Logik und Vernunft, was das Richtige ist, hören aber auch auf unsere Gefühle. Und ja, wir haben außerdem eine Art moralischen Kompass …« Chen klopfte leicht gegen ihr Brustbein. »Hier kommen unsere Entscheidungen her, Dina. Daran muss ich glauben können, denn sonst … Was täten wir sonst hier draußen?«
Elfiki nickte. »Ja. Und dazu kommt … Ich kann mir sogar vorstellen, dass diejenigen, die Uräus geschaffen haben – oder das, was später Uräus werden sollte –, das in bester Absicht getan haben. Wir wissen ja, was mit Technologien alles schiefgehen kann … Die KI ist gewachsen, hat selbstständig gelernt, und irgendwann konnten ihre Schöpfer nicht mehr mithalten und waren ihr unterlegen.«
»Und jetzt ist sie zerstört«, sagte Chen. »Aber was bedeutet das für uns? Es ist erst drei Wochen her, dass Graniv an die Öffentlichkeit gegangen ist. Es dauert bestimmt noch Monate, vielleicht sogar Jahre, bis wir wirklich Klarheit darüber haben, was Uräus bewirkt hat. Wo stehen wir dann?«
Elfiki spielte mit ihrem leeren Glas und drehte es zwischen den Händen. »Da, wo wir immer gestanden haben, schätze ich. Uräus hat ja keinen von uns gezwungen, der Sternenflotte beizutreten, Trys. Jetzt ist es an uns zu beweisen, dass wir selbst über unser Leben bestimmen, nicht irgendein Computer.«
Bevor Chen antworten konnte, pfiff das Interkom. Im nächsten Moment erklang die Stimme des Ersten Offiziers der Enterprise, Commander Worf.
»Führungsoffiziere auf ihre Stationen! Captain Picard, bitte melden Sie sich auf der Brücke.«
»Sie spielen mein Lied«, sagte Elfiki und gab ihrem Glas einen Schubs. Dann stand sie auf. »Danke, dass du mir zugehört hast, Trys.«
Chen lächelte. »Danke dir!« Sie machte eine Geste zur Decke hinauf. »Wenn du oben bist, lass mich wissen, ob was Spannendes los ist. Du weißt schon, irgendwas, wofür man die Hilfe der freundlichen Kontaktspezialistin von nebenan brauchen könnte …«
»Versprochen«, erwiderte Elfiki. Auf dem Weg zum Ausgang drehte sie sich noch einmal um und grinste Chen ironisch zu. »Aber komm schon. Wann passiert auf diesem Schiff schon mal was Spannendes?«
KAPITEL 5
Die Enterprise glitt auf das stille, dunkle Schiff zu. Solche Augenblicke waren es, die Jean-Luc Picard daran erinnerten, warum er Beförderungen immer ausgeschlagen und es tunlichst vermieden hatte, sich in den Ruhestand zu verabschieden. Der Gedanke, der erste Mensch zu sein, der eine bisher unbekannte Welt, ein vernunftbegabtes Lebewesen oder ein Relikt wie dieses erblickte, erfüllte ihn mit Vorfreude. Deshalb war er zur Sternenflotte gegangen: um in die Fußstapfen der großen Entdecker zu treten, die er bewunderte – Shackleton, Baré, Archer und Georgiou, um nur ein paar zu nennen –, und wie sie einen bleibenden Beitrag zur Geschichte zu leisten. Auch heute noch, nach Jahrzehnten, fühlte er die gleiche gespannte Erwartung. Sein Herz schlug rascher, und alle seine Sinne waren mit einem Mal hellwach. Sogar sein Atem schien sich ein wenig zu beschleunigen.
Selbstverständlich ließ er sich nichts anmerken: Immerhin musste die Disziplin aufrechterhalten werden.
»Wenn wir unsere derzeitige Geschwindigkeit beibehalten, erreichen wir das Schiff in drei Minuten«, meldete Lieutenant Joanna Faur, die leitende Pilotin der Enterprise. Sie wandte sich in ihrem Sessel zu Picard um. »Es hat seinen Kurs nicht geändert, Sir.«
»Danke, Lieutenant. Behalten Sie Abfangkurs und Geschwindigkeit bei.« Picard betrachtete das Bild auf dem Hauptschirm. Obwohl der Computer es mithilfe der Daten erstellte, die die Sensorphalanx der Enterprise sammelte, schien sich das andere Schiff in Schatten zu hüllen. Es war so gewaltig, dass es trotz niedrigerer Vergrößerungsstufe beinahe den gesamten Schirm ausfüllte. Seine Form war nicht leicht zu beschreiben: Die Achtersektion war abgerundet, darin eingelassen war eine Kugel. Drei Spitzen wuchsen nach vorn, je eine links und rechts der Kugel und die dritte darunter – dadurch erinnerte das Schiff ein wenig an eine Klaue. Überhaupt glich es eher einem Lebewesen als etwas künstlich Geschaffenem. Picard dachte unwillkürlich an Raumstationen, die nach cardassianischem Design erbaut worden waren: an die monumentalen gebogenen Streben, die als Andockrampen für Schiffe dienen konnten, die zu groß waren, um in einen der Häfen im Inneren der Station einzufliegen.
Neben den klauenartigen Auswüchsen des Schiffes wirkte die Enterprise winzig. Die dunkle Außenhülle schien größtenteils glatt zu sein, aber Picard konnte über die verschiedenen Schiffsteile verstreut Höcker erkennen.
»Warum ist das Bild so schlecht?«
»Das Material, aus dem die Hülle besteht, stört unsere Messungen, Sir«, berichtete Dina Elfiki von ihrem Platz an einer der Wissenschaftsstationen. »Die Sensoren werden nicht direkt blockiert, es ist eher so, als würden unsere Scans … ›absorbiert‹, in Ermangelung eines besseren Wortes. Aber je näher wir kommen, desto klarer werden die Messwerte. Wir sollten gleich eine vollständige Darstellung sehen.« Nach einem Augenblick fügte sie hinzu: »Allerdings gibt es auf kurze Entfernung mehr Probleme mit den Langstreckensensoren, Sir. Als sei das Ding von einem Streuungsfeld umgeben.«
Lieutenant Aneta Šmrhová bemannte die taktische Station. »Das stimmt, Sir«, sagte sie. »Die Langstreckensensoren sind betroffen. Wenn wir uns weiter auf das Schiff zubewegen, könnten sie ganz ausfallen.«
»Behalten Sie das im Auge«, sagte Picard. Seine Aufmerksamkeit war gebannt auf den Schirm gerichtet. »Wie groß ist es genau?«
»Der Hauptkörper misst an der breitesten Stelle über sechstausend Meter«, antwortete Elfiki. »Die Durchmesser der drei Fortsätze variieren zwischen einhundert und dreihundert Metern.«
Kurz gesagt: Das Schiff war gigantisch. Es hätte das riesige Raumdock in der Erdumlaufbahn, ja, sogar die Poklori gil dara, das gewaltige Waffenschiff der Raqilan, im Vergleich klein erscheinen lassen.
»Was sind das für Gebilde an der Außenhülle?«, fragte Commander Worf, der zu Picards Rechter saß. »Teile eines Waffensystems? Haben unsere Sensoren eine Bedrohung erkannt?«
»Bis jetzt noch nicht, Commander«, sagte Glinn Ravel Dygan. Der junge Einsatzoffizier war Teil eines Austauschprogramms der Sternenflotte mit der Cardassianischen Union.
»Und immer noch keine Lebenszeichen?«, fragte Picard. Als das Schiff entdeckt worden war und Elfiki ihren ersten Bericht abgegeben hatte, hatte es diesbezüglich noch keine Ergebnisse gegeben.
»Nein, Sir«, erwiderte der Cardassianer. »Die Sensoren werden noch immer gestört, aber die Scans, die wir durchführen konnten, zeigen weder Lebenszeichen noch Aktivitäten, die auf die Gegenwart von Lebewesen hindeuten.«
»Captain«, sagte die Sicherheitschefin, »soll ich Gelben Alarm geben? Bis wir sicher sein können, dass von dem Schiff keine Gefahr ausgeht …« Šmrhová war anzusehen, dass ihr die Auswirkungen des gewaltigen Schiffs auf die Sensoren der Enterprise gar nicht gefielen.
»Tun Sie das, Lieutenant, aber aktivieren Sie nur die Schilde. Es gibt keinen Anlass, aggressiv aufzutreten.«
Picard war bewusst, dass Šmrhová – und Worf erst recht – es vorgezogen hätten, die Waffensysteme der Enterprise einsatzbereit zu machen, doch ohne triftigen Grund war er nicht bereit dazu. Zu leicht konnte das als Provokation aufgefasst werden. Das riesige Schiff war schon vor Stunden von den Sensoren erfasst worden, und bisher hatte es keine Anzeichen dafür gegeben, dass es eine Bedrohung für die Enterprise oder ihre Besatzung darstellen könnte. Sämtliche Kommunikationsversuche waren gescheitert, Glinn Dygan konnte nicht einmal bestätigen, dass die Funksprüche empfangen worden waren. Das Schiff schien nicht viel mehr zu sein als ein verlassenes Wrack, das durchs All trieb.
»Was ist das Ergebnis der Energiemessungen?«, fragte Picard.
»Den Scans zufolge gibt es geringfügige Schwankungen, Sir«, berichtete Elfiki. »Es lässt sich nicht feststellen, was da drüben Energie erzeugt, der Output ist sehr niedrig. Ein Antriebssystem konnte ich immer noch nicht orten. Soweit ich sagen kann, treibt das Ding bloß durchs All.«
»Wie lange denn schon?«, fragte Worf.
»Das kann ich nicht beantworten, Sir«, erwiderte die Wissenschaftsoffizierin. »Zumindest noch nicht … Die Sensoren haben größere Schäden an der Front und den Seiten festgestellt. Möglicherweise ist das Schiff in einen Ionensturm geraten, es gibt allerdings auch Anzeichen für Zusammenstöße mit Meteoriten oder Asteroiden. Das muss Jahrzehnte her sein.«
»Sieht ganz so aus, als seien wir auf ein neues Mysterium gestoßen.« Picard warf Worf einen Seitenblick zu. Er konnte es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Und wir wissen ja, wie problemlos die immer zu lüften sind.«
Der Klingone brummte nur leise.
Tatsächlich freute sich Picard über die Stimmung, die mit einem Mal auf der Brücke herrschte. In den letzten Wochen waren die Schichten reine Routine gewesen. Die Besatzung der Enterprise kartografierte noch immer den Odysseeischen Pass, und seit die Wahrheit über Sektion 31 ans Licht gekommen war – und über Picards eigene Rolle in der Zife-Affäre –, war kaum etwas geschehen, das die Aufmerksamkeit der Führungsoffiziere beansprucht hätte.
Dies hier, dachte er, war genau das, was er und seine Crew brauchten. Ein faszinierendes Rätsel, das es zu studieren und zu lösen galt. Welche Geheimnisse barg dieses Schiff? Wer hatte es entworfen und gebaut? War es verlassen worden oder nie bemannt gewesen? Wo waren diejenigen, die es geschaffen hatten, welches noch unentdeckte Sonnensystem war die Wiege ihrer Zivilisation? Wenn der Herkunftsort des fremden Schiffs bestimmt werden konnte, würde die Enterprise vielleicht erneut Gelegenheit bekommen, Kontakt zu einem Volk herzustellen, von dessen Existenz die Föderation bisher nichts gewusst hatte … Picards Puls beschleunigte sich beim bloßen Gedanken daran.
Wir sind wieder Entdecker!
»Wir erreichen das Schiff in nicht einmal einer Minute, Captain«, meldete Faur.
»Die Messergebnisse werden immer klarer, Sir«, sagte Elfiki. »Die Sensoren können jetzt an mehreren Punkten die Hülle durchdringen. Das Schiff ist eindeutig mit einem Überlichtantrieb ausgestattet. Wie die Hauptenergieversorgung ist der Antrieb jedoch abgeschaltet. Große Bereiche im Hauptteil des Schiffs – zumindest glaube ich, dass es der Hauptteil ist – sind abgeschirmt, und unsere Sensoren schaffen es nicht, die Schilde zu durchdringen.«
»Lässt sich mittlerweile sagen, wozu diese Erhebungen nütze sind?«, fragte Worf.
»Das sind Solarenergie-Kollektoren, Sir. Sie speisen die gesammelte Energie in ein Verteilernetz ein, das einen ausgeklügelten Eindruck macht … Ich kann die Leitungen durch das Schiff verfolgen.«
Picard erhob sich von seinem Kommandosessel und trat an der Steuer- und der Ops-Konsole vorbei. Vor Faur und Dygan blieb er stehen. Er verschränkte die Arme und betrachtete das Schiff auf dem Hauptschirm. Die neuen Daten, die die Sensoren der Enterprise fortwährend lieferten, ermöglichten eine vollständigere Darstellung des scheinbaren Wracks.
»Arbeiten die Kollektoren?«, fragte Picard.
»Die meisten ja, Sir. Ein paar sind ausgefallen, entweder weil sie beschädigt wurden oder aufgrund eines anderen Problems, das ich noch nicht identifizieren kann. Offenbar kommt da drüben nur über die Kollektoren Energie rein … Natürlich sammeln sie nicht viel, solange kein Sonnensystem in Reichweite ist. Jetzt sind wir nah genug, dass ich einen sehr niedrigen Energieverbrauch feststellen kann. Wahrscheinlich automatisierte Kontroll- und Wartungssysteme.«
Sie hielt inne, und Picard wandte sich zu ihr um. Sie schüttelte den Kopf, ehe sie fortfuhr:
»Sieht so aus, als würde eine Menge Aufwand für nichts und niemanden getrieben.«
»Sie orten also immer noch keine Lebenszeichen?«, fragte Worf.
»Nein, Commander«, antwortete Elfiki, »nichts dergleichen. Die gesammelte Energie wird in Energiespeicher oder auf direktem Weg zum Hauptcomputer des Schiffs geleitet – zumindest schätze ich, dass es sich um den Hauptcomputer handelt. Wie das Schiff selbst ist er gewaltig. Ich habe Raumstationen gesehen, die kleiner sind als der Prozessorkern! Selbst wenn wir die Sprache derjenigen verstünden, die den Computer gebaut haben – ich kann nicht darauf zugreifen. Das ganze Ding wird von einem Kraftfeld umschlossen.«
Picard konnte sich auf nichts davon einen Reim machen. »Warum sollte jemand einen riesenhaften Computerkern ins All schießen und dort unbewacht in einem Schiff ohne Crew herumtreiben lassen? Was ist der Zweck? Könnte dieses Schiff das Äquivalent zu unserem Memory Alpha sein?«
Die bloße Erwähnung der großen Bibliothek der Föderation erinnerte ihn wieder an den Skandal, dessen Mittelpunkt Memory Alpha und Memory Prime bildeten – und all die Geheimnisse, die dort geschlummert hatten und die von Ozla Graniv öffentlich gemacht worden waren.
»Vielleicht ist das Schiff bloß vom Kurs abgekommen«, spekulierte Glinn Dygan an der Ops-Konsole. »Irgendein unerwartetes Ereignis könnte eingetreten sein, mit dem die Konstrukteure des Schiffs nicht gerechnet haben.«
»Gut möglich.« Elfiki zuckte mit den Schultern. »Aber was ursprünglich auch der Zweck dieses Dings gewesen sein mag – es muss eine Fundgrube von unschätzbarem Wert sein.«
Picard hörte die Begeisterung in der Stimme seiner Wissenschaftsoffizierin. Zweifellos hoffte sie darauf, das Schiff näher zu untersuchen. Er konnte Geordi La Forge beinahe vor sich sehen: Sein Chefingenieur verfolgte sicher sehr genau die Sensormessungen, während er bereits seinen eigenen Bericht vorbereitete, der sich mit dem Aufbau des Schiffs, der Antriebsart, der Bewaffnung und allem möglichen anderen beschäftigen würde. La Forge würde diese neue Entdeckung genau in Augenschein nehmen und jeden Millimeter katalogisieren wollen, um Erkenntnisse über die fremdartige Technologie zu gewinnen.
»Es scheint ganz so, als müssten wir uns die Sache näher ansehen, nicht wahr, Nummer eins?« Picard sah den Ausdruck widerwilliger Zustimmung auf Worfs Gesicht und musste sich ein Lächeln verbeißen. »Schließlich könnte es ja sein, dass wir herausfinden, wem das Schiff gehört. Dann könnten wir es den Besitzern zurückgeben oder sie wenigstens wissen lassen, wo sie es abholen können.«
Wie erwartet, fing Worf sich sofort. »Da wir nicht wissen, was uns erwartet, schlage ich vor, dass zunächst ein kleines Außenteam hinüberbeamt, das wir schnell zurückholen können. Nur ich, Lieutenant Elfiki, Lieutenant Chen …« Eine Pause, kurz, aber wahrnehmbar. »Und Lieutenant Commander Taurik, Sir.«
Es war kein Wunder, dass Worf zögerte, wenn man bedachte, wie angespannt die Beziehung zwischen Picard und dem stellvertretenden Chefingenieur vor ein paar Wochen noch gewesen war. Im Großen und Ganzen war das Picards Schuld gewesen – Admiral Akaar hatte Taurik in eine schwierige Position gebracht, und Picard hatte wenig Nachsicht mit dem vulkanischen Offizier gezeigt. Die Enterprise hatte in Akaars Auftrag den Planeten Sralanya besucht, und im Zuge dessen hatte sich herausgestellt, dass die Vergangenheit der Menschheit auf unglückselige Weise mit der indigenen Bevölkerung Sralanyas, den Eizand, verwoben war. Vor mehr als dreihundert Jahren – in der Mitte des 21. Jahrhunderts, zur selben Zeit, als die Vulkanier Kontakt zu den Menschen aufgenommen hatten – waren sich auch die Menschen und die Eizand zum ersten Mal begegnet. Picard und seine Besatzung hatten eine Schlüsselrolle dabei gespielt, die schreckliche Wahrheit über dieses Zusammentreffen aus dem Halbdunkel der Geschichte herauszuschälen und ans Licht zu holen.
Akaar hatte Taurik auserkoren, ihn über die Bemühungen Picards und seiner Crew auf dem Laufenden zu halten. Der Vulkanier war auf dem Waffenschiff der Raqilan auf Informationen über zukünftige Ereignisse gestoßen – die Poklori gil dara war selbst in der falschen Zeit gewesen – und hatte mit seiner Diskretion Akaars Interesse geweckt. Es blieb abzuwarten, ob Akaar Taurik lediglich für die Mission auf Sralanya als »kommissarischen Mediator« eingesetzt hatte oder ob er davon ausging, dass die Enterprise hier draußen noch weitere zukunftsrelevante Entdeckungen machen würde. Die Art und Weise, auf die er Taurik in die Rolle eines Informanten gedrängt hatte, hatte Picard jedenfalls fuchsteufelswild gemacht – so sehr, dass er den vulkanischen Ingenieur schließlich seiner Pflichten enthoben und ihn unter Quartierarrest gestellt hatte. Im Nachhinein betrachtete er das als Fehler. Er hatte sich bei Taurik entschuldigt und ihm versichert, dass sie von nun an zusammenarbeiten würden, um durch die schwierigen Gewässer zu navigieren, die sie hier draußen vorfinden mochten – gleichgültig, ob die Probleme zukunftsrelevanter Natur sein würden oder nicht.