Kitabı oku: «Europäische Urbanisierung (1000-2000)», sayfa 5

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3.1.3 Stadtgründung als Investition und Landesentwicklung

Charakteristisch wurde in dieser Phase des 12. und 13. Jahrhundert aber nicht nur die Emanzipation der Bischofsstädte, die zunehmend zu Freien oder Reichsstädten wurden, sondern besonders auch die Gründung neuer Städte, die von vornherein mit umfangreichen Privilegien versehen wurden. Die Periode zwischen 1150–1350 war die Hauptphase von Stadtgründungen: Von insgesamt 5000 Städten, die Stoob für den mitteleuropäischen Raum erfasst hat, wurden rund 4000 in dieser Phase gegründet.21 Territorialherren nahmen die Stadt als “Erfolgsmodell“ wahr, erkannten, dass man durch die Gründung von Märkten und Städten die eigenen Einnahmen vermehren und die eigene Machtposition in Konkurrenz zu benachbarten Adligen oder dem König stärken konnte.

Freiburg: Die Marktprivilegierung

Das in der deutschen Stadtgeschichte berühmteste und quellenmäßig am besten belegte Beispiel ist im frühen 12. Jahrhundert die Gründung der Stadt Freiburg im Breisgau. Schriftliche Quellen für die Existenz einer früheren Siedlung auf dem Gebiet von Freiburg gibt es nicht, aber archäologische Funde legen eine Vorsiedlung aus dem späten 11. Jahrhundert nahe.22 Die Existenz einer Martinskapelle (= fränkisches Patrozinium) [<<49] auf dem Stadtgebiet deutet auf noch ältere Siedlungselemente hin. Der Graf Konrad von Zähringen lässt 1120 folgende Gründungsurkunde anfertigen:

Allen Zukünftigen wie Gegenwärtigen sei bekannt, das ich, Konrad, auf meinem eigenen Land, nämlich in Friburc, im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1120 einen Markt (forum) gegründet habe. Ich habe durch Bekanntmachung von überallher Kaufleute herbeigerufen und bestimmt, den Markt durch eine Schwureinung (coniuratio) zu gründen und auszubauen. Dann habe ich jedem Kaufmann in dem gegründeten Markt einen Bauplatz zugeteilt, damit er Häuser auf eigenem Besitz errichten kann, und habe bestimmt, dass mir und meinen Nachfahren von jedem Grundstück zu Martini ein Schilling gültigen Geldes als jährlicher Zins bezahlt werde. Die einzelnen Hausgrundstücke sollen hundert Fuß lang und fünfzig Fuß breit sein. […] Ich verspreche Frieden und Wegesicherheit in meinem Macht- und Herrschaftsbereich allen, die meinen Markt aufsuchen. Sollte jemand dort beraubt werden, werde ich, wenn er den Räuber benennt, entweder die Rückgabe erreichen oder selbst Schadensersatz leisten. […] Allen Kaufleuten erlasse ich den Zoll. Niemals will ich meinen Bürgern einen Vogt oder einen Pfarrer ohne Wahl vorschreiben, sondern wen immer sie dazu erwählen, will ich bestätigen. Wenn sich irgendeine Streitigkeit oder Meinungsverschiedenheit unter meinen Bürgern erhebt, sollen diese weder nach meinem Urteil noch dem ihrer Vorsteher verhandelt werden, sondern nach dem gewohnheitlichen und legitimen Recht aller Kaufleute, besonders der Kölner, soll ein Urteil gefunden werden.23

Das erste Freiburger Recht war eigentlich noch kein Stadtrecht, sondern vielmehr ein Marktrecht, im lateinischen Text ist nur von locus und forum die Rede. Erst knapp hundert Jahre später, als 1218 die Freiburger ihre Rechte im „Stadtrodel“ nochmals bestätigen lassen, spricht der Text von civitas.24 Zentrale Elemente des Freiburger Rechts von 1120 waren Marktgründung und Schwureinung der beteiligten Kaufleute. Der Graf übergibt abgemessene gleich große Grundstücke an die Kaufleute zu deren freiem Besitz und verlangt lediglich eine regelmäßige, einmal jährlich zu entrichtende Geldabgabe, eine Vorform der Grundsteuer. Besonders wichtig für das Gedeihen des Freiburger Marktes war angesichts der grassierenden Unsicherheit auf Straßen und Wegen die Garantie für Frieden und Sicherheit und die Zusicherung von Schadensersatz, sollte [<<50] ein Kaufmann beraubt werden. Außerdem versprach der Stadtgründer den Kaufleuten Abgabenfreiheit – mit Ausnahme des Grundzinses – und das Recht, ihren Vogt und Pfarrer selbst zu wählen. Die Rechtsgrundlage für das Gerichtswesen in Freiburg bildete das Kölner Kaufmannsrecht; war die Klärung einer Rechtsfrage also in Freiburg strittig, so konnten sich die Parteien an den Rat der Stadt Köln mit der Bitte um Rechtsauskunft wenden. Trotz der bemerkenswert dichten stadtrechtlichen Überlieferung in Freiburg wurde die Stadt nie eine “Freie Stadt“ wie die vorher erwähnten Bischofsstädte. Nach Aussterben der Gründungsdynastie der Zähringer fiel die Stadt 1218 an die Grafen von Freiburg, mit denen es allerdings dann im späteren 14. Jahrhundert auch bewaffnete Auseinandersetzungen gab. Nach massiven Kämpfen, bei denen die Freiburger die gräfliche Burg zerstörten, dann aber doch militärisch besiegt wurden, ging die Stadt den wirtschaftlichen Weg; man kaufte sich von den Grafen von Freiburg los und unterstellte sich dem Schutz der mächtigen, aber fernen Habsburger, Freiburg blieb damit eine Landstadt.25 Wirtschaftlich nahm Freiburg durch den Silberbergbau im nahen Südschwarzwald und den regionalen Handel im Raum zwischen Straßburg und dem Bodensee einen raschen Aufschwung. 1146 sind Mauern, ein Hospital und eine Kirche belegt, in den 1170er-Jahren dürften die Stadtbäche angelegt worden sein. Die Präsenz von Steinhäusern bereits im frühen 13. Jh. zeigt den Reichtum der Stadt. Die Grundstruktur des Stadtgrundrisses mit Straßenmarkt und Querstraßen, die wiederum durch Gassen verbunden waren, dürfte bereits bei der Gründung festgelegt worden sein.26

Leipzig: Stadtgründung im Kolonisationsland

Lag Freiburg im Breisgau im fränkischen und schon früh christianisierten Altsiedelland, so soll Leipzig als Beispiel einer Stadtgründung östlich der Elbe, im Zuge der sogenannten Ostkolonisation, dienen. Auf dem Gebiet des heutigen Leipzig, am Zusammenfluss von Parthe, Pleiße und Elster, existierte seit dem Frühmittelalter eine sorbische Siedlung „Lipzi“, was auf „lipa“= Linde verweist. Erstmals urkundlich erwähnt wird Leipzig als urbs Lipzi, Burg Leipzig, in der Chronik Bischofs Thietmar von Merseburg im Jahr 1015. Diese deutsche Burg sicherte eine Kaufmanns- und Handwerkersiedlung an der Kreuzung von zwei wichtigen Fernstraßen, der via regia in West-Ost-Richtung, aus dem [<<51] Rhein-Main-Raum kommend und weiter nach Breslau führend, und der via imperii, die vom Süden, letztlich aus Italien über Nürnberg kommend, weiter über Halle, Magdeburg und schließlich an die Ostsee führte. Leipzig lag im Hochmittelalter am östlichen Rand eines ausgedehnten, versumpften Auenwaldes im Flusstal der Weißen Elster, was eine Annäherung und Belagerung von Westen her wohl erschwert haben dürfte. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts zeigen Kirchenbauten, dass Leipzig wachsende Bedeutung gewann. Der Stadtbrief, den Markgraf Otto der Reiche von Meißen-Wettin zwischen 1156 und 1170 für Leipzig ausstellte, die erste Stadtrechtsverleihung in Ostdeutschland, dokumentiert die Wichtigkeit der Stadt für den Markgrafen: Er verlieh der Stadt Hallisch-Magdeburgisches Recht, gab – wie in Freiburg – das Stadtgebiet zur Bebauung frei. Besonders wichtig wurde das Marktrecht, das Leipzig eine Bannmeile von 15 km Umkreis sicherte. In diesem Bereich lagen 27 Dörfer, denen die Abhaltung eines Marktes damit untersagt war. Der räumliche Geltungsbereich des Stadtrechts, das sogenannte Weichbild, wurde durch Grenzzeichen markiert.27 Leipzig selbst genoss Zollfreiheit, war aber berechtigt, in den Dörfern seines Marktbanns Wege- und Brückengelder zu erheben. Die Stadt durfte die Wälder der Nachbarschaft nutzen und musste keine Abgaben leisten mit Ausnahme für die Kriegszüge der deutschen Könige.28 Infolge dieser Privilegierung bildete sich eine ausgeprägte regionale Hierarchie heraus: Nachbarorte wie Taucha oder Schkeuditz, die bis Mitte des 12. Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung wie Leipzig durchlaufen hatten, wurden als Konkurrenten ausgeschaltet, weil ihnen die Möglichkeit abgeschnitten wurde, über die Entwicklung eines regionalen Marktes Wachstumsimpulse zu erhalten. Das Marktrechtsprivileg mit der Bannmeile sollte später auch den Kern für das bedeutsame Messeprivileg Leipzigs bilden.

Im 13. Jahrhundert begegnet uns Leipzig als entwickeltes städtisches Gemeinwesen: Über den großen planmäßig angelegten Marktplatz führten die beiden wichtigen Fernhandelsstraßen. Jenseits der Mauern und der vier Tore lagen im Norden und Nordwesten gewerbliche Vorstädte mit Ansiedlung der Gerber und zahlreichen Mühlen. Die örtlichen Flüsse waren für den Betrieb dieser Mühlen vielfach umgeleitet worden, was auf eine kapitalkräftige und leistungsfähige städtische Siedlung verweist.

Im Verlauf einer Reihe von Konflikten zwischen Bürgergemeinde und Stadtherrn, dem Markgrafen, zerstörte die Stadt nach 1225 die vom Stadtherrn errichteten [<<52] Zwingburgen und überließ deren Reste den neuen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner zur Nutzung. Allerdings gelang es Leipzig nie, wie etwa Frankfurt, den Status einer Reichsstadt zu erkämpfen. Seit 1270 sind in Leipzig consules, also Räte nachgewiesen, 1273 erwirbt die Stadt von ihrem Landesherrn das Münzrecht. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts dürfte Leipzig etwa 3000 Einwohner gezählt haben.29

Die Gründungsprozesse von Freiburg und Leipzig zeigen, wie Territorialherren einerseits Siedlungen an strategisch günstigen Stellen gezielt mit Stadtrechten und städtischen Privilegien förderten, andererseits die Bewohner dieser Städte sich erhebliche Handlungsspielräume gegenüber ihren Stadt- und Landesherren erkämpfen konnten. In ganz Europa wurde die Gründung von Städten zur vielfach praktizierten Strategie der führenden Geschlechter, die sich damit Herrschaftsstützpunkte und Quellen für Steuern und Abgaben schaffen wollten. So wurden die Staufer etwa mit der Gründung von Heidelberg, Breisach, Pforzheim oder Hagenau aktiv, die Welfen etablierten München – nachdem sie Föhring, den Marktort des Freisinger Bischofs, zerstört hatten – wie auch Lübeck, und förderten Braunschweig nachdrücklich. Ergebnis dieses säkularen Prozesses der Urbanisierung im 12. und 13. Jahrhundert war die Herausbildung einer vielfach gegliederten Städtelandschaft, die einherging mit einer wesentlich intensiveren Kultivierung des Bodens. Peter Clark schätzt den Anteil der städtischen Bevölkerung um die Mitte des 14. Jahrhunderts europaweit auf 10–15 %, was aber große Unterschiede zwischen stark urbanisierten Landschaften in Norditalien und Flandern (30–40 %), Raten um 15 % in Frankreich, dem westlichen Deutschland und England, und Gebieten mit außerordentlich geringer Urbanisierung (Nord- und Osteuropa, 3–4 %) einschloss.30

3.2 Städte im Netz: Die europäische Städtelandschaft
3.2.1 Das Städtesystem im Überblick

Wir wechseln die Ebene und fragen: Lassen sich Muster erkennen, die die Verteilung der Städte im europäischen Raum bestimmten? Wie kann man diese Muster erklären? Gab es einen inneren Zusammenhang zwischen einzelnen Städten jenseits der Zugehörigkeit zu bestimmten Territorien? [<<53]

Diese Karte Europas mit Kartierung der Städte nach Größenklassen zeigt uns eine recht eindeutige Struktur:


Abb 3 Die Verteilung großer Städte in Europa um 1300

Um 1300 war die europäische Urbanisierung noch ein Phänomen, das sich im Wesentlichen auf Italien sowie West- und Mitteleuropa beschränkte. Das nördliche England, Schottland und Irland wie auch Skandinavien wiesen eine sehr geringe Städtedichte auf; in Osteuropa zeigten sich östlich der Oder und südlich der Donau nur wenige Städte. Auch Spanien war, mit Ausnahme des zu diesem Zeitpunkt noch maurischen [<<54] Südens, recht städtearm. Im Kernbereich der europäischen Urbanisierung erkennen wir zwei eindeutige Schwerpunkte: Ein Schwerpunkt lässt sich in Nord- und Mittelitalien erkennen, wo mit Mailand, Genua, Venedig und Florenz die größten Städte des römisch-christlichen Europas im Mittelalter zu finden waren. Ein zweiter Schwerpunkt zeigt sich in Nordwesteuropa. Seinen Kern bilden die flandrischen Städte im heutigen Belgien, seine Ausläufer umfassen Paris, Köln und London. In diesen beiden Regionen finden sich erheblich mehr, nach der Klassifizierung von David Nicholas (Abb. 3, S. 55)„ sehr große“ Städte (25.000–50.000) als im restlichen Europa, hier können wir auch schon um 1300 von einer verstädterten Landschaft sprechen.31

Wie kann es zu einer solchen Struktur gekommen sein? Zunächst war in Italien, darauf war bereits in Kap. 2, S. 25 hingewiesen worden, die Stadtkultur nach dem Untergang des Römischen Reichs nie so stark dezimiert und reduziert worden wie nördlich der Alpen; die Voraussetzungen für ein Wachstum lagen hier also günstig. Dann übernahmen italienische Städte in dem Maße, wie sich nördlich der Alpen im Zuge wirtschaftlicher Entwicklung und Monetarisierung ein Bedarf an Waren aus dem Orient entwickelte, die Funktion der Vermittler; Luxuswaren aus dem Orient wurden vor allem über Venedig, aber auch über Genua, zunächst auf dem Landweg über die Alpen gebracht. Pässe wie der Große St. Bernhard, der Simplon und der Mont St. Cenis waren bereits im Hochmittelalter von zentraler Bedeutung für den Warentransport.32

Auch wenn der Fernhandel von Luxuswaren quantitativ deutlich weniger Umfang hatte als der kleinräumige Handel mit Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs, so waren hier doch sehr viel höhere Gewinnspannen möglich, sodass sich um den Fernhandel eine international vernetzte Kaufmannschaft herausbildete. Als Schaltstelle und Verteiler für die europaweit gehandelten Waren dienten zunächst die berühmten Messen der Champagne, die sich an wechselnden Orten, darunter Provins und Troyes, über größere Teile des Jahres hinzogen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts büßten diese Messen jedoch allmählich ihre führende Rolle ein, insbesondere nachdem die italienischen Kaufleute den langen, aber wesentlich kostengünstigeren Seeweg durch die Straße von Gibraltar und rings um die Westflanke Europas bis zu den Häfen Flanderns erschlossen hatten und diesen zunehmend als Hauptroute nutzten.33 [<<55]

Die herausragende Stellung der Städte Flanderns, der zweite große Pol des europäischen Städtesystems, erklärt sich zunächst eher aus Mangel denn aus Überfluss. Flandern war landwirtschaftlich um 1000 eine eher arme Küstenregion, der Westen Flanderns wurde hauptsächlich als Weide genutzt, bis die Sümpfe im 12. Jahrhundert im Zuge des Landesausbaus allmählich trocken gelegt wurden. Günstig war insbesondere die Lage: Die Region lag im Kreuzungspunkt von Handelswegen zu den britischen Inseln, von Frankreich in den Ostseeraum und am Zugang ins Innere des europäischen Kontinents über das Wasserstraßensystem des Rheins. In Flandern entstand daher ein Knoten von gewerblich spezialisierten Städten, die außerdem Verteilerfunktion für Nordwesteuropa, aber auch für den Handel mit Skandinavien und dem Ostseeraum übernahmen.

Brügge – Venedig des Nordens?

Zentralort dieses internationalen Austausches in Nordwesteuropa und in gewisser Weise funktionales Pendant von Venedig wurde Brügge: Der hohe Meereswasserstand im 11. Jahrhundert und eine verheerende Sturmflut von 1134, die weit ins Binnenland durchbrach, machten die Stadt zum Meereshafen. Die Stadt war Sitz der Grafen von Flandern, und der Konflikt zwischen den Grafen und der sich emanzipierenden Bürgergemeinde prägte große Teile der mittelalterlichen Geschichte Brügges. Um 1130 erhielt die Stadt einen ersten Mauerring, der sich heute noch am inneren Kanalring ablesen lässt. Im 12. Jahrhundert wurde Brügge dann zur Schaltstelle im Handel mit England, von wo feine Wolle importiert wurde. Nach Verarbeitung in Brügge und vor allem in den umliegenden Tuchmacherstädten wie Gent und Ypern wurde das hochwertige Tuch dann wieder nach England, vor allem aber auch in andere europäische Länder exportiert. Im späten 13. Jahrhundert wurde Brügge zum wichtigsten Umschlagszentrum internationalen Handels nördlich der Alpen. Dieser rasche Aufstieg fand auch seinen baulichen Niederschlag: Um 1240 wurde am Marktplatz der Belfried, das spätere Wahrzeichen Brügges, sowie die an ihn grenzenden zweistöckigen Hallen gebaut. Weil sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts der Handel stark ausgedehnt hatte, wurde an einer Seite des Marktplatzes eine neue große Tuchhalle nur für den Tuchhandel über dem Flüsschen Reie gebaut.34 [<<56]


Abb 4 Plan von Brügge um 1500, Gemälde im Rathaus von Brügge

Bemerkenswert ist, wie die Stadt ihren Stoffwechsel im Hinblick auf das Wasser organisierte: Brügges doppelter Ring von Kanälen und Wasserstraßen stand mit dem Fluss Reie in Verbindung. Der innere Ring bestand aus dem ehemaligen Wallgraben rings um die erste Stadtmauer, der zweite, äußere, ein Doppelgraben, umgab die neuen Mauern des späten 13. Jahrhunderts. Die inneren Kanäle schufen daher an vielen Stellen in der Stadt Umschlagmöglichkeiten für den Wassertransport, sie waren fast durchgängig von Kais gesäumt. Der äußere Ring diente als Reservoir für das in der Stadt benötigte Wasser. Sein Wasserspiegel lag etwa einen Meter höher als das innere Wassernetz. Dadurch konnten Kanäle vom äußeren zum inneren Ring durch das Gefälle Wassermühlen antreiben und die notwendige Wasserversorgung mit frischem Wasser für Färber und Walker sicherstellen. Ein Leitungssystem, das zahlreiche Brunnen in der Stadt versorgte, wurde durch eine Wasserkunst (Waterhuis) gespeist: Von Pferden getrieben wurde durch eine Eimerkette Wasser aus dem äußeren Ring auf das Dach des Waterhuis geschöpft, von wo es in das städtische Netz eingespeist wurde und zahlreiche Brunnen in der [<<57] Stadt mit Wasser versorgte. Dieses Leitungssystem, entstanden Ende des 13. Jahrhunderts, war der Stolz Brügges.35

International gesehen war Brügge als zentraler Knotenpunkt des Handels in Nordeuropa und zugleich als Vermittler zwischen Mittel- und Südeuropa im 14. Jahrhundert auf dem Höhepunkt seiner Macht und seiner wirtschaftlichen Entwicklung; allerdings konnte die Stadt nie eine Autonomie wie die italienischen Kommunen erreichen. Im 15. Jahrhundert sank jedoch Brügges Stern: Zwar war die Stadt außerordentlich glanzvoll, feierte großartige Turniere und Prozessionen, aber das wirtschaftliche Fundament war zunehmend ausgehöhlt. Dies lag zum einen daran, dass die alteingesessene Oberschicht an Kaufleuten sich allmählich aus dem aktiven Handelsgeschäft zu einem Rentierdasein zurückgezogen hatte. Der Brügger Handel wurde nun vielmehr von Ausländern, vor allem von Italienern übernommen. Der zweite Faktor für den Niedergang Brügges war eine Umweltveränderung: der Meeresarm Zwin, durch Sturmfluten im 12. Jahrhundert schiffbar geworden, verlandete zunehmend und Seeschiffe konnten so den Vorhafen von Brügge, Sluis, nicht mehr erreichen. Ein dritter Faktor war der Entzug der kaiserlichen Unterstützung Ende des 15. Jahrhunderts, nachdem der spätere Kaiser Maximilian von den Brügger Bürgern längere Zeit in Haft gehalten worden war (vgl. Kap. 6.5, S. 141 zu Antwerpen).

3.2.2 Modelle zur Erklärung des europäischen Städtesystems

Wie lässt sich die empirisch beobachtete Struktur des europäischen Städtesystems nun auf einer Modell-Ebene fassen? Ein bis heute wichtiger Ansatz zur Systematisierung der Verteilung von Städten und Orten unterschiedlicher Größe im Raum ist die Theorie der zentralen Orte, formuliert vom Geografen Walter Christaller.36 Christaller untersuchte um 1930 die Stadtstruktur Süddeutschlands in ihrer historischen Genese und identifizierte dabei ein hierarchisch gestuftes System zentraler Orte, wobei sich die Hierarchiestufe der jeweiligen Siedlung daraus ergab, welche Güter und Dienstleistungen jeweils angeboten wurden. Christaller ging davon aus, dass Güter und Dienstleistungen unterschiedliche Reichweiten haben: Je seltener ein Produkt nachgefragt wird, umso größer muss das Absatzgebiet sein, damit das Angebot wirtschaftlich erbracht [<<58] werden kann. Während die Produkte der Bäcker täglich und fast von jedermann nachgefragt werden, ist die Nachfrage nach Schmuck sehr viel geringer; Juweliere benötigen daher ein deutlich größeres Einzugsgebiet als Bäcker, sie werden meist nur in größeren Siedlungen anzutreffen sein.


Abb 5 Modell der zentralen Orte nach Christaller [<<59]

Um zufällige Einflüsse auszuschließen, ging Christaller von einem homogenen Raum und entsprechend proportional variablen Transportkosten aus; die Modellannahmen wurden aus der klassischen Ökonomie übernommen (homo oeconomicus, vollkommene Konkurrenz, vollständige Information). Aufgrund dieser Vorannahmen entwickelte Christaller in seinem Modell eine Theorie über die Einzugsbereiche zentraler Orte. Die optimale Versorgung aller Punkte wäre demnach in einem mehrfach geschachtelten Hexagonal-Schema gewährleistet: Christaller identifizierte sechs verschiedene Hierarchieebenen zentraler Orte mit unterschiedlichen Gütern und Reichweiten, die jeweils aufgrund der oberen Grenze der Reichweite in unterschiedlicher Entfernung angeordnet sein müssen.

Der Hauptort der höchsten Stufe A hat in unmittelbarer Nachbarschaft, weil er sämtliche Güter und Dienstleistungen anbietet, nur Orte der niedrigsten Hierarchiestufe F in einer Entfernung von 7 km. Auf einem nächsten Ring, etwa 12 km entfernt, folgen Orte der zweitniedersten Stufe E usw. Je weiter ein Ort vom ‚zentralen Ort‘ (‚A‘) entfernt ist, umso breiter ist das in ihm vorhandene Angebot an Waren und Dienstleistungen, umso höher seine Zentralitätsstufe. Das Zentrale-Orte-Modell war von großer Bedeutung für die Hierarchisierung von Städten in der Raumordnung und Regionalplanung; noch heute stützt sich das Klassifizierungsmodell von Ober-, Mittel- und Unterzentren und die damit verbundene Zuordnung bestimmter Funktionen zu einzelnen Orten auf die Theorie der zentralen Orte von Christaller.37

Im Hinblick auf die historische Herausbildung eines räumlich hierarchisch organisierten Städtesystems geht das Modell im Prinzip davon aus, dass im Rahmen einer zunehmend dichter besiedelten und intensiver kultivierten Landschaft Überschüsse der agrarischen Produktion entstehen. Diese Überschüsse suchen nach Absatz auf Märkten und daraus bildet sich im Wege der Arbeitsteilung und der Notwendigkeit unterschiedlicher Absatzgebiete eine Hierarchie von Städten heraus. Ein solches Modell kann die Entstehung von Markt- und Amtsstädten in einem primär agrarischen Kontext gut erklären, versagt aber im Hinblick auf die weiter oben aufgezeigte bipolare Struktur und Cluster-Bildungen im europäischen Städtesystem. Nach Christaller dürfte es solche räumliche Konzentrationen großer Städte eigentlich nicht geben.

Kritik an Christallers Konzept macht sich einmal an seinen Modellprämissen fest: ‚Nutzen‘ lag für den mittelalterlichen Menschen nicht nur in Geld oder der Ersparnis [<<60] von Zeit und Arbeitskraft, sondern konnte durchaus auch im Besuch heiliger und besonders bedeutsamer Orte liegen. Christallers Konzept beachtet zweitens die Pluralität von Gründungsmotiven von Städten nicht hinreichend. Städte wurden auch aus politisch-militärischen Interessen, etwa zur Sicherung strategisch wichtiger Punkte gegründet; Untertanen wurden durch die Monopolisierung bestimmter wichtiger Dienstleistungen (z. B. Gerichte) an bestimmten Orten genötigt, diese aufzusuchen. Dritter Kritikpunkt ist die Annahme räumlicher Homogenität: Tatsächlich hat die Topografie deutlich verzerrende Wirkung; an einem Bergpass, wo ein Ausweichen auf andere Routen kaum möglich ist, liegen Siedlungen, auch wegen der schwierigeren Wegverhältnisse und niedrigeren Reisegeschwindigkeiten zwangsläufig dichter beisammen als auf einer wenig Hindernisse bietenden Ebene. Die Lage an einem Meereshafen eröffnet potenziell ein sehr viel größeres Versorgungshinterland als ein Standort im Binnenland. Schließlich vernachlässigt das Modell auch den Aspekt, dass Besorgungen in der Regel gekoppelt wurden – auch eine Art der Nutzenmaximierung, sodass Angebote einer zentraleren Hierarchiestufe dann genutzt wurden, wenn aus anderen Gründen dieser Ort ohnehin aufgesucht werden musste.38

Dennoch behält die Theorie der zentralen Orte von Christaller in vielen Fällen beachtliche Erklärungskraft; Paul Hohenberg und Lynn Lees schlagen daher vor, diese Theorie komplementär mit der Netzwerk-Theorie zu verwenden.39 Die Netzwerk-Theorie geht davon aus, dass dem Fernhandel auch über den tiefen Einschnitt des Frühmittelalters eine recht erhebliche Bedeutung zukommt. Städte werden hier nicht als inselartige, allein auf ihr Umland bezogene Sammel- und Verteilerorte verstanden, sondern vielmehr als Glieder in einer großräumlichen, zunehmend ganz Europa übergreifenden Kette von Handels- und Transportbeziehungen, die auch aus den Handelszentren des Nahen Osten gespeist wurden. Diese Glieder sind aber bis zu einem gewissen Grad flexibel und austauschbar; je nach lokaler Lage sucht sich der Handel neue Wege, umgeht Kriegs- und Katastrophengebiete, wertet neue Städte auf und lässt alte Emporien absinken. Dies zeigte sich etwa im Wechsel von der bis ins 11. Jahrhundert für den Handel zwischen Oberitalien und Nordeuropa präferierten Rheinschiene auf die Route durch Frankreich und die Messen der Champagne, von wo aus sich der Handel angesichts der massiven Störung durch den Hundertjährigen Krieg im 14. Jahrhundert wieder stärker nach Deutschland verlagerte.40 Der [<<61] Fernhandel entfaltete somit über als gateway fungierende Städte eine die Zuordnung von Städten zueinander und die Herausbildung eines bipolaren, funktional integrierten Städtesystems insgesamt bestimmende Kraft. Diese Grundstruktur behielt über viele Jahrhunderte, obwohl die Funktion vorrangiger gateway-Städte wechseln konnte, eine bemerkenswerte Kraft. Als prototypische gateway-Stadt für das Mittelalter bieten Hohenberg und Lees Venedig an.

Venedig- die gateway-Stadt

Die Lagunenstadt entwickelte sich von bescheidenen Anfängen seit dem 6. Jh. auf einer Reihe von Inseln vor allem zur Vermittlerin zwischen dem italienischen Festland und dem Oströmischen Reich. Der Raub der angeblichen Reliquien des Heiligen Markus aus Alexandria im frühen 9. Jahrhundert und der Bau einer Kirche zur Verehrung des Heiligen, des Markusdoms, brachten Venedig eine hohe religiöse Attraktivität und eine große Zahl von Pilgern, die die Reliquien des Heiligen Markus verehren wollten. Wirtschaftlich etablierte sich Venedig schon von frühester Zeit an als Handelsstadt, denn angesichts der prekären Lage auf den Inseln, gab es keinerlei Land für den Anbau von Getreide und anderen Lebensmitteln in nächster Nähe. Anbieten konnte man Fische, die in der Lagune reichlich zu fangen waren, sowie Salz, das man in flachen Becken planmäßig aus dem Meerwasser gewann. Die Handelsinteressen Venedigs, die sich rasch bis in das östliche Mittelmeer ausdehnten, wurden durch eine schlagkräftige Kriegsflotte nachdrücklich unterstützt; Venedig, das formell unter der Hoheit von Byzanz stand, erhielt 1082 vom byzantinischen Kaiser Alexios I. Komnenos das Privileg, im ganzen Herrschaftsbereich Ostroms zollfrei Handel treiben zu dürfen. Damit wurde Venedig zur wichtigsten Drehscheibe zwischen Okzident und Orient; Haupthandelsgüter waren neben Fisch und Salz auch Getreide und Holz, Luxuswaren aus dem Orient und Sklaven. Seit dem 11. Jahrhundert baute Venedig ein meerbasiertes Empire von Stützpunkten und befestigten Häfen im östlichen Mittelmeer auf, das zur Absicherung der Handelsrouten diente, nicht – etwa im Unterschied zu den Bestrebungen zahlreicher norditalienischer Städte im Hinblick auf ihr Territorium, – zum Aufbau einer Festlandsmacht. Dieser vor allem maritim bestimmte Herrschaftsbereich wurde stato da mar genannt und in einer Zeremonie jährlich beschworen, in der sich der jeweilige Doge, der aus der Führungsgruppe der Stadt gewählte oberste Repräsentant Venedigs, symbolisch mit dem Meer vermählte.41 [<<62]

Innerhalb der Raumstruktur der Stadt selbst war alles auf die gateway-Funktion und ihre politische Absicherung ausgerichtet, etwa im Canale Grande, der so groß angelegt war, dass Schiffe von 200 Tonnen ihn durchfahren konnten, oder an der Rialto-Brücke, dem kommerziellen Zentrum. Konstitutiv für die Funktionsweise von Venedig als gateway-Stadt war die im Stadtplan ablesbare enge Verbindung von Stadtregierung, Handel und Schifffahrt.42 Der Staat Venedig selbst war Eigentümer der Galeeren der Handels- und Kriegsflotte, regulierte den Schiffsbau, ihre Ausstattung und Fracht, plante die Seereisen. Die Bürger von Venedig mussten Militärdienst als Ruderer leisten. Auch der Handel war hochgradig reguliert, um Konflikte innerhalb des Adels zu vermeiden. Zahlreiche Regeln zur Funktionsweise des Regierungssystems beschränkten die Macht der Dogen und sicherten eine breite Beteiligung der Elite-Familien an der Machtausübung.43 Mithilfe seiner überlegenen Flotte und der Kooperation seiner Kaufleute baute Venedig ein weitreichendes Handelssystem auf, das der Stadt über viele Jahrhunderte Prosperität und Dominanz sicherte. Venezianische Kaufleute übernahmen insbesondere in den östlichen Mittelmeerhäfen Konstantinopel, Jiddah, Alexandria und Acre (Stadt im Norden des heutigen Staates Israel) orientalische Waren (Gewürze, Seide, wertvolle Waffen etc.), die über Karawanen orientalischer Händler aus Indien, Persien und China ans Mittelmeer geschafft worden waren. Im Austausch lieferte Venedig an den Orient Wolle und Wolltuche, Metall, Rohmaterialien wie Teer und Pech, somit Güter, die aus Nordeuropa über die Champagne-Messen nach Venedig gelangt waren. Zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung eroberte Venedig die Kontrolle über das nah gelegene Festland, die terra ferma, etablierte auf dem Festland aber keine weit ausgreifende Territorialmacht.44

Die Autoren Hohenberg/Lees beschreiben nun ihr entwickeltes „Netzwerksystem“ wie folgt: „At the heart of the system is an ‚internationale of cities‘, each determinedly autonomous and more concerned with the world at large than with its own backyard. A single city’s culture, like its population and trade, is apt to be cosmopolitan and varied.”45 Die Autoren schlagen vor, das zentralörtliche Modell und das Netzwerk- [<<64] Modell für die historische Erklärung der Herausbildung spezifischer Städtesysteme anzuwenden: Je nach Periode und geografischer Lage habe das eine oder andere Modell größere Erklärungskraft. Das zentralörtliche Modell betont stärker die Bedeutung der Landwirtschaft und der regionalen Gesellschaft als Basis für eine von unten her sich vollziehende Herausbildung eines regionalen, hierarchisch gegliederten Städtesystems. Das Netzwerk-Modell unterstreicht im Kontrast dazu stärker die Stimuli, die vom Fernhandel über eine Stärkung städtischer Kaufkraft und Nachfrage zur Belebung und Intensivierung der regionalen Landwirtschaft ausgingen, reflektiert die Einbettung von Städten und Regionen in europäische Handelssysteme. Allerdings waren Städte höchst selten nur „zentrale Orte“ oder nur gateways. Auch in gateway cities gab es immer ein Element zentralörtlicher Funktion für das Umland. Umgekehrt bildeten auch die meisten herausgehobenen zentralen Orte jenseits ihrer Zentralfunktion für eine mehr oder weniger klar definierte Region zugleich auch ein Glied in einer Handelskette und wirkten als Teil eines ortsübergreifenden Netzwerkes.46 [<<64]

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