Kitabı oku: «Europäische Urbanisierung (1000-2000)», sayfa 9

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5.2.2 Die Folgen der Pest

Was waren nun die Folgen dieses im Gesamteffekt katastrophalen demografischen Einbruchs? Wirtschaftlich wird häufig von der „Krise des 14. Jahrhunderts“ oder dem „Herbst des Mittelalters“ gesprochen, ein Niedergang, der allerdings die überlebenden Menschen sehr unterschiedlich traf.15 Das massenhafte Sterben brachte zunächst einen drastischen Rückgang der Nachfrage, vor allem nach den Grundnahrungsmitteln wie Getreide. Andererseits wurde durch die Pest die Kulturlandschaft als solche zunächst nicht reduziert, nur soweit die Menschen gestorben waren, die sie bestellten. Einer dramatisch gesunkenen Nachfrage stand also ein deutlich weniger stark reduziertes [<<93] Angebot gegenüber.16 Es entwickelte sich daher nach zunächst erratischen Preisfluktuationen in direkter Folge der Pestzüge ab etwa 1370 eine Agrardepression, weil die Preise für Getreide mangels Nachfrage besonders stark zurückgingen. In Reaktion auf diesen Verfall der Getreidepreise kam es zu den bereits angesprochenen Wüstungen, weil die weniger fruchtbaren Böden aufgegeben wurden.17 Wilhelm Abel bezifferte den Rückgang der Zahl der Siedlungen auf 26 % (ca. 46.000 Wüstungen), rund ein Viertel der Dörfer und Weiler wurden aufgegeben.18 Das Massensterben hatte Arbeitskräfte knapp gemacht. Dieser Mangel an Arbeitskräften sowohl auf dem Land als auch und zunächst gerade in der Stadt führte zu Reallohnverbesserungen und zu einer Hebung des Lebensstandards der lohnbeziehenden Städter, was sich etwa an einer deutlichen Erhöhung des Fleischkonsums zeigte. Weil die städtischen Handwerker mit ihren höheren Löhnen angesichts sinkender Getreidepreise die Grundnahrungsmittel (Brot, Getreide für Mus) günstiger kaufen konnten, hatten sie mehr Spielräume für den Kauf höherwertiger Nahrungsmittel, insbesondere Fleisch. Der Prokopf-Verbrauch von Fleisch stieg von etwa 60 kg auf – in der Forschung allerdings sehr kontrovers diskutierte – 100 kg pro Jahr.19 In England trug dies, zusammen mit der wachsenden [<<94] Nachfrage nach Wolle, etwa aus den Textilstädten Flanderns, zu großflächiger Umwidmung von Ackerland zu Weideflächen bei, vor allem für Schafe. Auch der höhere Anteil von Lohnkosten bei Ackerbau spielte hier eine nennenswerte Rolle.20 Man sieht noch heute, etwa in den englischen Midlands, große Flächen, wo die Grasweiden eine eigenartige, entfernt an Wellblech erinnernde Oberflächenstruktur aufweisen. Dies ist ein Relikt der mittelalterlichen Ackerbautechnik, wo durch das Pflügen der langen, damals noch offenen Felder diese wellenartige Oberfläche (ridge-and-furrow) entstanden war. Beim Übergang zur Beweidung machte man sich nicht die Mühe, die Flächen zu planieren, sondern säte einfach Grassamen auf die ondulierenden Äcker.21

Insgesamt nahmen die Aufzucht von Tieren sowie Spezialkulturen (Weinbau etc.) proportional zu, weil die relativ höhere Kaufkraft vor allem der Städter Absatzmärkte dafür schuf. Die „Krise des 14. Jahrhunderts“ war von daher in wirtschaftlicher Hinsicht in erster Linie eine Krise für die marktorientierten Getreideproduzenten, während diejenigen städtischen Konsumenten, die die Pestwellen überlebt hatten, sich deutlich besser stellten. Auch die Lohnbezieher auf dem Land erfuhren Reallohnverbesserungen, was die Nachfrage nach gewerblichen Produkten, die in der Stadt produziert wurden, steigerte. So verstärkte sich etwa das Gewicht der Metallhandwerker in London im Jahrhundert nach der Pest sehr markant, in York und anderen Städten blühte das Gewerbe der Zinngießer auf.22 Langfristig gesehen resultierte das große Sterben auch in einem schnelleren Erben. Firmen, Werkstätten und Geschäfte verloren durch die Pest ihre Inhaber; jüngere Söhne, Brüder oder familienfremde Handwerksgesellen, die bis zu diesem Zeitpunkt kaum größere Chancen für einen sozialen Aufstieg gehabt hatten, rückten nach und erbten größere Vermögen. Leere Häuser konnten zu günstigen Preisen erworben werden. Städte reagierten zudem, darauf verweist Peter Clark, auf die Krise des 14. Jahrhunderts mit einer Reihe von Innovationen: Zur Kostenreduzierung wurden mit dem Aufbau des Verlagsgewerbes (vgl. Kap. 4.6, S. 85) die Arbeitskraftreserven des Umlands der Städte zunehmend stärker mobilisiert, insbesondere die einfacheren und weniger qualitätssensiblen Stufen der gewerblichen Produktion wurden aufs Land ausgelagert. Mit dem Aufbau von Schulen und Unive [<<96] rsitäten wurden neue Dienstleistungsangebote geschaffen, die neue und kaufkräftige Stadtbewohner anziehen sollten. Der Ausbau von Gastwirtschaften und von neuen Zeremonien und Veranstaltungen, die Besucher von auswärts anlockten, verbesserten die Konkurrenzfähigkeit von Städten, die solche Strategien verfolgten. Schließlich zeigten sich auch intensivere Anstrengungen, teilweise durch die Pest und hygienische Problematisierungen ausgelöst, zur Verbesserung von Wasserversorgung, öffentlicher Sauberkeit und dem Zustand von Straßen und Plätzen (vgl. unten Kap. 5.4, S. 109).23

Städte wurden also, nachdem sich die Verhältnisse wieder etwas stabilisiert hatten, durchaus attraktiv, sie zogen viele Neubürger an. Von daher gelang es den Städten deutlich rascher als dem Land, vor allem durch Zuzug ihre pestbedingten Bevölkerungsverluste wieder auszugleichen. Die Anteile städtischer Bevölkerung stiegen im Kontext sinkender oder stagnierender Gesamtbevölkerung signifikant. Kamen 1350 auf 100 Dorfbewohner 11 Stadtbewohner, so lag die Quote hundert Jahre später bei 100:17. Um 1450 hatten viele Städte vor allem dank Zuwanderung ihren Bevölkerungsstand von vor der Pest in etwa wieder erreicht. Für Köln, die größte deutsche Stadt vor der Pest, geht man von einer Bevölkerung von 35.000–40.000 um 1340 aus; erst um 1460/70 war der Bevölkerungsverlust dann wieder ausgeglichen.24 Allerdings lassen sich auch mancherorts gleichzeitig Aufstieg und Stagnation beobachten, etwa beim Boom der holländischen Städte, wo im 15. Jahrhundert die Urbanisierungsrate bis 1470 auf 44 % stieg, neben dem Stillstand älterer flandrischer Städte wie Brügge oder Ypern. In Deutschland nahmen süddeutsche Städte mit intensiven Handelsbeziehungen nach Italien, etwa Nürnberg, Ravensburg oder Augsburg einen deutlichen Aufschwung, während die norddeutschen Städte mehr zurückblieben.25

Auf gesellschaftlicher Ebene brachte die Pest langfristig nördlich der Alpen eine Polarisierung der Agrarverfassung. Während sich im Osten, östlich der Elbe, in den Gebieten, die im Zuge der Ostkolonisation erschlossen worden waren, der Feudalismus in Richtung einer zweiten Leibeigenschaft entwickelte, die Gutshofwirtschaft in großen Gütern gestärkt wurde, ging die Tendenz im Westen mehr hin auf eine Stärkung der Position der bäuerlichen Vollbetriebe. Die im Hochmittelalter entwickelten Tendenzen zu einer Monetarisierung, einer Ablösung feudaler Pflichten durch [<<96] Geldbeträge, brachen hier nicht ab, die Hofgröße wuchs. Verstärkt wurde dies auch durch die wirtschaftliche Strahlkraft der im Westen deutlich dichter im Raum verteilten Städte. Von ihnen gingen im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit starke Impulse zur Ausbildung eines Verlagswesens (vgl. Kap. 4.6, S. 85) aus, das für die unterbäuerlichen Schichten auf dem Land zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten schuf. Ein wichtiger Grund für diese Auseinanderentwicklung lag auch in der starken Zersplitterung von Herrschaftsrechten an den Bauern im Westen, während im Osten die Gutsbesitzer sehr viel mehr verschiedene Rechte (Grundherr, Gerichtsherr) in ihrer Hand vereinigten und daher sehr viel effektiver und mit geringerer Konkurrenz gegenüber anderen Herren ihre Leibeigenen kontrollieren konnten.26 Ebenso war die Zahl von Wüstungen im Westen insgesamt geringer. Die Städte im Westen leisteten stärkeren Widerstand gegen die Tendenzen zur Refeudalisierung und widersetzten sich massiv den aus städtischer Perspektive als Rechtsbruch gesehenen Aktionen der Ritter. Diese holten sich in der Absicht, den massiven Rückgang ihrer Renteneinkommen wegen der Agrardepression zu kompensieren, in wachsendem Umfang durch Überfälle und Erpressung von Kaufleuten das, was ihnen ihrer Ansicht nach zustand. Solche Übergriffe gegen den Landfrieden, der für die städtische Wirtschaft und das Gedeihen des Handels besonders wichtig war, an die Friedensgarantie des Markgrafen von Zähringen für die Freiburger Kaufleute sei erinnert, provozierten den Widerstand von Städten und Landesherren. In gemeinsamen Heerzügen zerstörten Städte und Landesherren die Burgen dieser „Raubritter“ und versuchten, das Land insgesamt wieder zu befrieden.27

Auf mentaler und kultureller Ebene hatte die Pest hochgradig ambivalente Folgen: Kurzfristig führte das große Sterben zu einer massiven Verunsicherung der Bevölkerung; die ohnehin schon ausgeprägte Unsicherheit der täglichen Existenz steigerte sich ins Unermessliche. Weil viele Menschen im religionsgeprägten Sinnhorizont der Zeit die Pest als Strafe Gottes interpretierten, blühte religiöses Sektierertum; es bildeten sich große Gruppen von Geißlern und Flagellanten, die – sich selbst ob ihrer „Sündhaftigkeit“ blutig schlagend – durch Städte und Dörfer zogen. Allerdings traten Geißler häufig auch in Regionen auf, wo die Pest noch gar nicht ausgebrochen war, sie stellen [<<97] also eine Reaktion auf eine antizipierte Heimsuchung dar und könnten durchaus durch die erhöhte Mobilität zur rascheren Ausbreitung der Pest beigetragen haben. Eine weitere Reaktion der städtischen Bevölkerung war die Suche nach Sündenböcken, wozu insbesondere Minderheiten wie die in zahlreichen Städten ansässigen Juden ausgewählt wurden. Vielerorts wurde den Juden vorgeworfen, sie hätten die Brunnen vergiftet. Es kam zu zahlreichen Pogromen gegen die jüdischen Gemeinden, in vielen Städten wurden die Juden für lange Zeiträume aus der Stadt verbannt, ihr Eigentum verfiel der Stadt, Schulden, die zahlreiche Bürger bei den Juden als Geldverleihern hatten, waren getilgt. Auch hier, wie bei den Geißlern, gilt aber, dass häufig die Judenpogrome dem tatsächlichen Auftreten der Pest vorausgingen. Karl IV., unter dessen Schutz die Juden eigentlich standen, duldete dieses Vorgehen. In Nürnberg wurde 1349 das Judenviertel komplett abgerissen und an seiner Stelle der großzügige Marktplatz mit dem Ende des 14. Jahrhunderts erbauten „Schönen Brunnen“ angelegt. Das erste nachgewiesene Auftreten der Pest in Nürnberg erfolgte aber wohl erst 1359.28

Längerfristig trugen die Pest und ihre mentale Verarbeitung bemerkenswerterweise zu einer stärkeren Diesseits-Orientierung bei zahlreichen Menschen bei: War das Leben schon so unsicher und kurz, so wollte man es umso mehr genießen, Lebensgenuss und eine stärkere Individualisierung spielten nach 1348 eine zunehmend größere Rolle.

5.3 Der Raum der Stadt
5.3.1 Das Umland der Stadt

Zum Zeitpunkt der Pest hatte sich die europäische Stadt schon als vielfältiges und differenziertes gesellschaftliches Phänomen etabliert, der Typus der „okzidentalen Stadt“, wie ihn Max Weber gefasst hat, war ausgebildet.29

Wie präsentierte sich die europäische Stadt nun baulich-räumlich, was erwartete einen Reisenden üblicherweise, wenn er in eine ihm unbekannte Stadt kam? [<<98] Selbstverständlich kann eine solche idealtypische Beschreibung immer nur eine Annäherung liefern; Größe, topografische Lage, wirtschaftliche Struktur, aber auch politische Phänomene wie Stärke oder Schwäche der Stadtherrschaft oder Nähe bzw. Ferne anderer konkurrierender Städte sorgten für vielfältige lokale Unterschiede. Dennoch gab es gemeinsame Charakteristika, die es erlauben, von einer „europäischen Stadt“ zu sprechen.30

Näherte man sich einer größeren Stadt in einer Ebene oder einer mit Fernblicken begünstigten Landschaft, so stachen natürlich schon von Weitem die hochragenden Kirchtürme und die häufig imposanten Mauern und Stadttore ins Auge. Aber noch weit vor der Stadt, in einer Entfernung von rund 5 km, traf der Reisende bei Städten, die über ein umfangreicheres Territorium jenseits ihrer Mauern verfügten, auf einen ersten rudimentären Befestigungsring, meist mit Gräben und Hecken ausgebildet, die sogenannte Landwehr.31 Diese Landwehr hatte die Aufgabe, die stadtnahen Dörfer sowie die außerhalb der Stadt gelegenen, aber für die städtische Versorgung wichtigen Kulturflächen der Stadtbürger zu schützen. Sie sollte verhindern oder erschweren, dass im Fall von Krieg und Belagerung das Vieh geraubt oder die Felder abgebrannt wurden. An den zur Stadt führenden Straßen war die Landwehr durch Türme und Tore markiert, wo Turmwächter Ausschau hielten und die Annäherung verdächtiger großer Gruppen rasch in die Stadt melden mussten. Die Rothenburger Landwehr war etwa 62 km lang und wies neun Türme auf.32

Das Land zwischen Mauern und Landwehr diente nicht nur als militärischer Puffer; hier hatten zahlreiche städtische Bürger auch Grundbesitz; disponibles Kapital wurde [<<99] in der mittelalterlichen Gesellschaft (vgl. Kap. 4.5, S. 82) häufig in landwirtschaftlichem Besitz angelegt. Hatte der Reisende die Landwehr passiert, traf er im Vorfeld der Mauern auf eine Reihe von Einrichtungen, die funktional zur Stadt gehörten, sich aber fast immer außerhalb der Mauern befanden: Besonders bekannt sind hier die Lepra-Häuser, in den Quellen teilweise auch „Sondersiechen-Häuser“ genannt, also Einrichtungen, in denen die Aussätzigen lebten, meist durch Spenden der Stadtbürger oder durch ein Stiftungsvermögen des Leprahauses unterhalten. Gelegentlich wandelten sich diese Häuser im Spätmittelalter zu allgemeinen Spitälern, die chronisch Kranke und Menschen aufnahmen, die sich wegen Alter oder Gebrechlichkeit nicht selbst versorgen konnten.33 Außerhalb der Mauern waren auch große und wenig stadtverträgliche Gewerbebetriebe angesiedelt, z. B. Hammermühlen oder Walkmühlen zur Verarbeitung von Metallen und Tuchen. Solche Betriebe wurden durch Mühlräder an Bächen und Flüssen angetrieben, teilweise gab es auch künstliche Mühlkanäle, die das zum Antrieb dienende Wasser von Flüssen heranführten. Außerhalb der Stadt fanden außerdem flächenintensive Aktivitäten wie das Bleichen der Tuche statt; Steinbrüche und Lehmgruben für die Ziegelproduktion usw. lagen vor den Toren. Städte, die in großem Umfang von Holzzufuhr auf dem Wasserweg abhängig waren, hatten häufig große Holzlagerstätten am Flussufer außerhalb der Stadt.

Nicht selten finden wir auf Abbildungen auch die Richtstätte vor den Toren, häufig auf einer Hügellage wie auf Abbildung 7 im Vordergrund vor Nürnberg. Der Henker, ein wichtiger Beruf in der mittelalterlichen Stadt, war nicht ehrbar; er wohnte vor den Toren und verdiente seinen Unterhalt neben den – eher seltenen – Hinrichtungen mit der Entsorgung toter Tiere, teilweise auch mit der Entleerung von Abortgruben.34 Die Lage der Richtstätte vor den Toren konnte auch darauf hinweisen, dass die Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit nicht vom städtischen Magistrat, sondern von einem anderen Stadtherrn ausgeübt wurde. Vor den Toren konnte der Reisende auch Wiesen und Gärten der Stadtbürger sehen, außerdem hielten sich häufig zahlreiche Bettler vor den Toren auf, denen der Zutritt zur Stadt nicht gestattet wurde. [<<100]


Abb 7 Nürnberg in der Schedelschen Weltchronik

5.3.2 Vor den Toren: Die Stadt als Festung

Unmittelbar vor der Stadt angekommen, stachen natürlich in erster Linie die mächtigen und hohen Stadtmauern ins Auge, die die Stadt physisch und auch rechtlich vom Umland abgrenzten. Der Bau dieser Mauern war meist der größte Ausgabenposten im städtischen Haushalt, die Bürger wurden nicht nur finanziell durch Steuern und Abgaben zu ihrer Finanzierung herangezogen, sondern mussten auch selbst bei Schanzarbeiten mit Hand anlegen.35 Wie Hartmut Boockmann betont, steht „[…] die Stadtmauer […] auch aus diesem Grunde an den Anfängen städtischer Autonomie.“36 Zunächst einfache Erd- oder Palisadenwälle, wurden die Mauern im Lauf der Jahrhunderte immer wieder verstärkt, durch gemauerte Wälle ersetzt und erhöht. Vorspringende Halbtürme dienten dazu, auf Belagerer schießen zu können, die versuchten, die Mauern zu erklimmen, und vom Wehrgang hinter der Mauerkrone [<<101] konnte man die Angreifer unter Beschuss nehmen. Die Bürger waren zusätzlich verpflichtet, sich an der Stadtverteidigung zu beteiligen. Teilweise war die Mauerverteidigung nach Stadtbezirken oder Kirchspielen, teilweise nach Zünften organisiert. Bis zur Einführung mauerbrechender Artillerie waren Städte militärisch vergleichsweise gut geschützt; es gelang Angreifern eher selten, eine Stadt durch brachiale Gewalt zu erobern; eher führten listige Täuschungsmanöver, das Ausnutzen innerer Konflikte in der Stadt, Unterbrechung der Wasserversorgung oder Aushungern durch langfristige Belagerung zum Ziel. Die Schutzfunktion der Stadt, ihr Charakter als “Groß-Burg“ war also im Mittelalter sehr ausgeprägt; Mauern und Stadttore traten daher prominent auf Stadtwappen und Siegeln von Städten in Erscheinung.37

An den Toren, Scharnier zwischen Stadt und Umland, fand die Kontrolle der in die Stadt Kommenden und der die Stadt Verlassenden statt. Der Torwächter fragte nach Zweck des Besuches, ließ sich gegebenenfalls Bürgen für den Fremden in der Stadt nennen und erhob ein Torgeld. Am Tor wurden auch Zölle auf die in die Stadt eingeführten Waren, aber auch auf Vieh erhoben.38 Diese Zölle und Abgaben machten einen erheblichen Anteil der städtischen Einnahmen aus. Nachts blieben die Stadttore geschlossen, wer zu spät, nach Torschluss, bei einer Stadt ankam, musste draußen warten, bis die Tore wieder geöffnet wurden. Allerdings gab es häufig auch Herbergen und Gaststätten vor den Toren. Die Tore selbst, meist nur an den wenigen Hauptausfallstraßen der Stadt errichtet, trugen außen nicht selten Wappen des Stadtherren, bei Reichsstädten demnach den Reichsadler, oder Bilder/Skulpturen der Heiligen, die die Stadt als Patron gewählt hatte. Sie dienten häufig auch als Orte der Justiz, beherbergten Stadtgefängnisse und markierten die Grenze des Stadtrechtsbereichs im engeren Sinne. Wenn Frankfurt die Schädel des Aufrührers Fettmilch und seiner Genossen nach der Hinrichtung 1616 am Brückenturm anbrachte, wo er noch von Goethe Mitte des 18. Jahrhunderts registriert wurde, so warnte die Stadt damit alle, sich nicht gegen die städtische Obrigkeit aufzulehnen.39

Der Graben vor den Mauern diente häufig als Mülldeponie; er wurde – trotz Verbots – zur Entsorgung aller Arten von Abfall genutzt. Nahte eine feindliche Armee, musste daher der Stadtgraben, der ja fortifikatorische Bedeutung hatte, [<<102] schnellstmöglich ausgeräumt und in seiner Funktion als Barriere wieder hergestellt werden.40 Im Zuge des Stadtwachstums vor allem seit dem frühen 12. Jahrhundert rissen Städte wiederholt ihre ehemaligen Mauern ab und errichteten neue, weiter ausgreifende. Am Grundriss mittelalterlicher Städte lässt sich daher oft noch der Verlauf der alten Mauerlinie ablesen, weil der Grund und Boden der alten, häufig kreisförmigen Mauern, nicht wieder neu bebaut, sondern für öffentliche ringförmige Straßen umgenutzt wurde.

Dort, wo etwa eine Befestigung der Uferfront schwierig oder funktional kontraproduktiv war, gestaltete man Gassen, die vom Ufer in die Stadt führten, sodass sie als Engpässe im Falle des Eindringens von Feinden rasch blockiert werden konnten. Flüsse wurden als potenzielle Einfallstore im Kriegsfall durch schwere Ketten quer über den Fluss gesperrt, wasserdurchlässige Palisadenzäune verhinderten die unkontrollierte Annäherung von Kriegsschiffen etwa in Zürich. In Städten wie Basel, Lübeck oder Regensburg kann man heute noch an Hauswänden Ösen erkennen, in die schwere, das Vordringen von Feinden behindernde Ketten gehängt wurden. Innerhalb der Stadt diente das Zeughaus als städtisches Waffenmagazin, wo aufwendigere und komplizierte Kriegsgeräte wie Kanonen, teilweise aber auch Turnierwaffen und -harnische gelagert wurden. Einfacheres Kriegsgerät wie Spieße, Helme oder Brustpanzer mussten die „Spießbürger“, also die zu Wehrdienst verpflichteten Bürger, bei sich zu Hause aufbewahren und auch selbst anschaffen und unterhalten.41 Die heute nur noch in San Gimignano in der Toskana zu bewundernden „Geschlechtertürme“ waren ein typisches Merkmal spätmittelalterlicher Städte auch nördlich der Alpen. In diesen fortifikatorisch ausgebauten Stadthäusern konnten adlige oder patrizische Familien innerstädtische gewaltsame Konflikte über längere Zeiträume aussitzen.42 [<<103]

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