Kitabı oku: «Europäische Urbanisierung (1000-2000)», sayfa 7
4.2.3 Die Substitution von lokalen Waldbeständen
In vielen Städten, die lokal zu wenig Wald hatten, aber an flößbaren Flüssen lagen, wurde die Flößerei systematisch weiter entwickelt.24 Flussnahe Areale wie etwa in München die spätere Kohleninsel an der Isar, heute Standort des Deutschen Museums, dienten als Floßlände und Holzlagerplatz, in städtischen Straßen- und Gewannnamen wie „Holzmarkt“, „Holzhof“ etc. sind solche früheren Nutzungen noch aufg [<<74] ehoben. Stadtferne Waldbestände, jenseits der intensiver für den Nahrungsbedarf eines Marktzentrums genutzten „Thünenschen Zonen“, wurden zunehmend durch Wege und Triftbäche erschlossen, um die Transportkosten so gering wie möglich zu halten. Bauholz, bei dem höhere Qualitätsanforderungen im Hinblick auf Festigkeit und Geradheit gestellt wurden, wurde häufig aus größeren Entfernungen, meist auf dem Wasserweg beschafft. Amsterdam, im Morast gelegen, wurde in der frühen Neuzeit zu erheblichen Teilen auf Pfählen errichtet, die im Schwarzwald geschlagen worden waren und auf dem Rhein in großen Floßverbünden nach Holland geflößt wurden.25 Köln, am Rhein als Arterie des Holztransports gelegen, versuchte im 15. Jahrhundert sein Stapelrecht, das Recht, die Stadt passierende Kaufleute zu zwingen, ihre Waren auf dem städtischen Markt drei Tage anzubieten, auch auf das rheinabwärts verschiffte Holz auszudehnen, um damit seine Holzversorgung zu verbessern. Große städtische Zentren in Meeresnähe, wie die Städte Flanderns, die kaum Wälder in ihrem Umland hatten, wurden schon im 13. Jahrhundert mit Brennholz aus der Grafschaft Kent in Südost-England, seit dem späten Mittelalter per Schiff mit (Bau-) Holz aus dem Ostseeraum, aus Norwegen etc. beliefert.26 Auch dies lässt sich als Beleg für die Netzwerk-Theorie, als Hinweis auf die Existenz weitreichender Handelsbeziehungen nicht nur für Luxuswaren, sondern auch für Massengüter wie Holz bereits um 1300 verstehen. Das Weichselgebiet wurde hinsichtlich der Holzversorgung zum Hinterland von Brügge und Gent, Danzig zur gateway city zur Erschließung der Ressourcen des polnischen Hinterlandes.27 Auch Hamburg entwickelte sich zum Holzhandelsplatz für elbabwärts geflößte Hölzer: Die Stadt versorgte nicht nur ihren eigenen Bedarf mit Holz aus den böhmischen Wäldern, sondern exportierte auch erhebliche Mengen, Holz war im 15. Jahrhundert nach Getreide und Bier das drittwichtigste Exportgut des Hamburger Hafens; das meiste Holz ging in die Niederlande.28
Holzversorgung war also ein zentrales Element städtischer Versorgungspolitik; sie motivierte den Erwerb von Wäldern im Umland der Städte, förderte, wo dies möglich war, das Engagement für eine städtische Territorialpolitik, wie sie uns besonders deutlich im Falle von Nürnberg und Ulm entgegentritt.29 Eine Alternative zur politischen [<<75] oder polizeilichen Sicherung der Versorgung war die Etablierung fester und langfristiger Handelsbeziehungen zu Holzlieferanten in größerer Entfernung. Dennoch waren große Städte wie Paris stets bestrebt, Wälder in unmittelbarer Nähe gewissermaßen als Reserve für den Fall der Unterbrechung weiträumiger Versorgungsbeziehungen kontrollieren zu können.
Die Substitution von Holz als Brennholz durch andere Brennstoffe fand in Kontinentaleuropa, im Unterschied zu England, kaum auf breiterer Front statt. Zwar hatte der Abbau von Steinkohlen bei Lüttich um 1200 begonnen, aber für die Grundversorgung spielte Steinkohle zunächst kaum eine Rolle. In den Niederlanden und in Norddeutschland wurde für massiv Holz verbrauchende Gewerbe, wie an einzelnen Orten die Salzsiederei, Torf verbrannt. Ende des 15. Jahrhunderts taucht in rheinischen Zollrechnungen auch bereits Kohle auf, die offenbar aus Gruben an der Saar und der Ruhr in die Niederlande transportiert wurde.30
4.3 Getreideversorgung
Das entscheidende Gut für die physische Reproduktion mittelalterlicher und auch noch frühneuzeitlicher Städte war die Versorgung mit Getreide. Der Anteil des Getreides am täglichen Kalorienbedarf der Menschen lag im Mittelalter bei 60–75 %, die in Form von Brot, Mus oder Bier konsumiert wurde. Pro Stadtbewohner war ein jährlicher Bedarf von 1,65 Quartern (1 Quarter = 290 l) an Getreide anzusetzen.31 Der räumliche Einzugsbereich, aus dem die Getreideversorgung stattfinden konnte, war durch transportwirtschaftliche Logiken begrenzt: Bei Entfernungen über 35–40 km über Land, 1–2 Tagesreisen, näherte sich der Futterbedarf der Zugtiere dem Kaloriengehalt des transportierten Getreides an, energetisch war der Landtransport über weitere Entfernungen also ein Nullsummenspiel oder gar ein Verlustgeschäft. Nur in Hungersnöten können wir weiträumigeren Landtransport von Getreide nachweisen, etwa von Thüringen nach Köln.32 [<<76]
Betrachten wir das Beispiel London etwas näher: Rund drei Viertel der Anbaufläche der zehn Grafschaften um London wurde für Getreideanbau genutzt. Die Nachfrage Londons beeinflusste die Wahl der angebauten Getreidearten tief greifend, gelegentlich sogar im Widerspruch zur spezifischen Eignung von Böden. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatte sich ein homogener Getreidemarkt in Südengland herausgebildet, der wesentlich durch den Bedarf Londons gesteuert wurde; auf diesem Markt bewegten sich die Preise in der Regel synchron und in die gleiche Richtung. Offenbar hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon ein einigermaßen effizientes Handelsnetzwerk etabliert; lokale Marktstädtchen dienten als Sammelpunkte für Getreide, das von dort weiter in die Hauptstadt verschickt wurde.33 Auch auf dem Kontinent repräsentierten „… [K]leinere Städte und Märkte […] wichtige Scharniere in einem größeren Handelsnetzwerk und trugen erheblich zur Senkung der Kosten des Handels und somit zu einer kommerziellen Verdichtung bei.“34 Der südenglische Getreidemarkt schloss auch Flandern, die Picardie, die Normandie und andere küstennahe Gebiete des Kontinents mit ein. Als Folge des Bevölkerungskollaps nach der Pest Mitte des 14. Jahrhunderts schrumpfte Londons Getreideversorgungsbereich erheblich.35
Für Flandern und die Niederlande, eine der im Spätmittelalter am stärksten urbanisierten Regionen Europas nördlich der Alpen, zeigt Richard Unger, dass angesichts der nach der Pest zunächst deutlich zurückgegangenen Bevölkerung die Getreideversorgung weitgehend aus der Region erfolgen konnte.36 Gleichwohl wurde die bereits vor 1350 in Ansätzen etablierte Fernversorgung mit Getreide nicht aufgegeben. Schon vor der Pest kamen substanzielle Getreidelieferungen aus der Altmark an der Elbe über [<<77] Hamburg in die flandrischen Städte.37 Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts klassische Versorgungsregionen für Flandern und die Niederlande, etwa die Normandie, wegen wieder wachsender Bevölkerung nur geringere Überschüsse für die Bedarfsgebiete Flanderns zur Verfügung hatten, setzte in größerem Maße der Getreidefernhandel nach Flandern wieder ein: Bezugsquellen waren zum einen Süddeutschland im Einzugsbereich schiffbarer Flüsse, zum anderen Getreideanbaugebiete mit Wasseranschluss im Einzugsgebiet der Ostsee. Dass der flämische Getreidemarkt so weit reichte, zeigt ein nachweisbarer Gleichklang in der Fluktuation der Getreidepreise zwischen den großen Getreidemärkten in Frankfurt, Straßburg, Rostock und den südenglischen und den niederländischen Städten, wobei in den Niederlanden die Preisausschläge stets am höchsten waren. Unger interpretiert diese Preismuster als Anzeichen einer regen Spekulation mit Getreide in den niederländischen Städten, wobei die Spekulation auch vielfältige Maßnahmen der Städte zur Regulierung des Getreidehandels provozierte. Andererseits akzeptierten Stadtregierungen die Notwendigkeit hoher Getreidepreise, denn dadurch strömte auch in Mangeljahren ausreichend Nachschub in die Niederlande. Ein weiteres Motiv für Entwicklung eines Getreidefernhandels, obwohl die weitere Region die Versorgung hätte eigentlich sichern können, waren die Handelsinteressen: Flandern baute in erheblichem Umfang Handelsbeziehungen in die Ostsee hinein auf. Dort traten zunehmend an die Stelle der Hanse flandrische Schiffe, die Waren etwa aus dem Mittelmeerraum in die Ostsee brachten; diese benötigten auch eine Rückfracht, z. B. Getreide. Das „Getreidehinterland“ von Flandern und den Niederlanden war also im Spätmittelalter in der Masse immer noch einigermaßen regional begrenzt, aber die Konturen eines international integrierten Getreidemarkts zeichneten sich bereits im späten 15. Jahrhundert ab; im 17. Jahrhundert sollte der Getreideimport aus der Ostsee nicht nur für die Niederlande, sondern auch für Westeuropa, vorübergehend auch für Südeuropa in größerem Umfang dann sehr wichtig werden.38
Jenseits der hochgradig verstädterten Landschaften versorgten sich jedoch die meisten europäischen Städte aus einem weiter gezogenen Umland; für Köln (40.000 Einwohner im späten 15. Jahrhundert), das über ein sehr fruchtbares Umland links des Rheins verfügte, reichte ein Gebiet von 1800 qkm zur Versorgung mit Getreide, während Nürnberg (28.000 Einwohner Ende 15. Jahrhundert) mit wesentlich schlechteren Böden im nahen Umland ein Getreideversorgungsgebiet von rund 5000 km² [<<78] benötigte.39 Im Spätmittelalter setzte an vielen Orten auch schon die planmäßige Bevorratung von Getreide seitens der städtischen Obrigkeit, der Bau von Kornspeichern und Magazinen ein. Neben gewissen Anfängen im 14. Jahrhundert wurden besonders seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als die Bevölkerung wieder deutlich wuchs, Kornspeicher errichtet, die dann in Mangeljahren zum Ausgleich, vor allem zur Versorgung der ärmeren Stadtbevölkerung, dienten. In Hungerkrisen war die städtische Bevölkerung in der Regel „erheblich besser gestellt als die Landbewohner.“40
4.4 Die Fleischversorgung der Stadt
Fleisch war nicht die Hauptquelle der Ernährung mittelalterlicher Stadtbewohner, aber der Konsum war durchaus nennenswert. Als Folge der Pest erhöhte sich auch in der breiten Stadtbevölkerung dank steigender Reallöhne der Fleischkonsum beträchtlich und erreichte im 15. und frühen 16. Jahrhundert ein Niveau, das erst im späten 19. Jahrhundert wieder erreicht wurde. Man kann von einem Fleischverbrauch von rund 50 kg pro Kopf und Jahr in deutschen Städten ausgehen, in mediterranen Städten lag dieser Wert üblicherweise deutlich niedriger. Köln benötigte 8000 Stück Schlachtvieh pro Jahr.41
Mittelalterliche Städte waren selbst Orte der Fleischproduktion: Die Zahl städtischer Viehhirten, die das Vieh der Bürger auf die Weiden außerhalb der Stadt führten, aber auch Angaben über städtisches Vieh, das von Raubrittern geraubt wurde, lassen auf erhebliche Bestände an Vieh in und unmittelbar um die Stadt schließen.42 Städtische Obrigkeiten waren bestrebt, die Fleischversorgung auf einem gewissen Niveau zu st [<<80] abilisieren. So zwang der Frankfurter Rat etwa die örtlichen Bäcker, Schweine mit der Kleie, den Schalen der Körner, die beim Mahlen anfallen und die die Bäcker von den Müllern zusammen mit dem Mehl erhielten, zu füttern. Damit sollte verhindert werden, dass die Bäcker die Kleie mit dem Mehl zu (minderwertigem) Brot verbackten. Die aus dieser Mast hervorgehenden Schweine durften nur an Mitbürger und nicht an die Metzger verkauft werden. Das Recht jeden Bürgers auf eigene Schlachtung wurde von den Räten verteidigt, teilweise durften die Metzger zu Zeiten, wenn die Bürger ihre „Bürgerschlacht“ wahrnahmen, in Frankfurt meist im Oktober um den Gallustag (16. Oktober), selbst nicht als Aufkäufer auf den Viehmärkten auftreten.43 Städtische Metzger und Viehhändler erhielten regelmäßig Kredite seitens der Stadt, um Vieh auswärts aufkaufen und dem städtischen Markt zuführen zu können.44
Diese lokalen Bestände deckten den Fleischbedarf größerer Städte aber in keiner Weise. Regionale Viehbestände spielten von daher eine wichtige Rolle zur Deckung städtischen Bedarfs; so standen jede Woche Hunderte von Rindern aus Viehzuchtgebieten des Burgund und der Franche-Comte auf dem berühmten Viehmarkt in Sennsheim im Elsass zum Verkauf, wo sich zahlreiche Städte des Oberrhein-Gebiets versorgten.45 Darüber hinaus entwickelte sich, vor allem seit dem späten 15. Jahrhundert, ein System europaweiter Arbeitsteilung: Dünner besiedelte Gebiete an der Peripherie Europas spezialisierten sich auf Viehzucht und versorgten die verstädterten Regionen Nordwest- und Südeuropas, in deren Nähe wegen der transportwirtschaftlichen Zwänge der Getreideanbau dominieren musste, mit Fleisch. Vorrangig gehandelt wurden Ochsen, die auf langen Viehtrieben aus den Aufzuchtgebieten in die Absatzgebiete getrieben wurden. Im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert hatten noch Ochsen aus Ungarn den Fernhandel mit Vieh dominiert; von dort wurden diese regelmäßig nach Venedig, aber auch nach Frankfurt und Aachen getrieben. Als ab etwa 1460/70 wegen des Bevölkerungsdrucks im dichter besiedelten Mittel- und Westeuropa verstärkt wieder Viehweiden in Ackerland umgewandelt wurden, formierte sich ein dauerhaftes System, in dem sich neben Ungarn auch andere Lieferregionen etablierten. So kamen aus Dänemark seit den 1480er-Jahren regelmäßig über 10.000 Rinder über die Elbe, wurden dann weiter auf den Marschen in der Nähe der Nordsee gemästet und dann schließlich auf die Märkte in Küstennähe, aber auch in [<<80] die südlichen Niederlande und bis Mitteldeutschland getrieben. Mitte des 16. Jahrhunderts erreichte dieser Strom fast 50.000 Tiere pro Jahr.46 War der Absatz dänischer Rinder vor allem auf den norddeutsch-niederländischen Bereich beschränkt, so fanden ungarische Rinder, die ab 1470 wieder verstärkt auf dem Markt auftauchten, den Weg in Städte südlich des Mains, aber auch nach Venedig und Norditalien. In den frühen 1570er-Jahren wurden rund 100.000 Tiere jährlich aus Ungarn exportiert. Eine dritte internationale Fleischquelle war Polen: Von dort kamen zwischen 20.000 – 40.000 Tiere pro Jahr; sie wurden aus Masuren über Posen nach Leipzig und Dresden getrieben, um Absatzmärkte in Norddeutschland und Böhmen zu erreichen. Erst im späten 16. Jahrhundert, nachdem Polen die Ukraine erobert hatte und eine andere, auf den ukrainischen Steppen heimische und zähere Rinderart exportiert wurde, stieg der polnische Ochsenexport deutlich an und eroberte sich größere Marktanteile. Städte versuchten häufig, ihre Bezugsquellen zu diversifizieren, um nicht ausschließlich von einem Liefergebiet abhängig zu sein; so wurde Frankfurt etwa vorwiegend aus Ungarn versorgt, zugleich erhielt man aber bis ins 18. Jahrhundert substanzielle Lieferungen auch aus dem Norden, aus Polen und Dänemark.47
Rindfleisch war das begehrteste und wertvollste Fleisch und nur Rinder konnten über so weite Strecken getrieben werden. Aber auch Hammeltriebe wurden regelmäßig aus dem Bergischen Land nach Paris durchgeführt.48 Der internationale Ochsenhandel war einer der wertmäßig bedeutendsten Warenströme des 16. Jahrhunderts.49 Den europäischen Städten gelang es damit, sich von ihrem näheren Umland abzukoppeln, was die städtische Fleischversorgung anbelangte, ein Umstand, den Blanchard als Strukturbruch interpretiert.
4.5 Stadt – Umland – Territorium
Zur Sicherung elementarer Ressourcen waren zahlreiche Städte vor allem nach der großen Pest und bis etwa 1600 intensiv bestrebt, eine weitergehende und intensivere Kontrolle über ihr Umland zu etablieren. Diese Versuche konnten sehr unterschiedliche Formen annehmen, vom Aufbau regionaler ökonomischer Einflusssphären, wie [<<81] dies seitens der Städte der südlichen Niederlande, bzw. Flanderns erfolgte, bis hin zur Herausbildung regelrechter Stadtstaaten in den nördlichen Schweizer Stadtkantonen und natürlich Italien.50 Im Heiligen Römischen Reich vollzog sich die territoriale Expansion der Städte über verschiedene Stufen: Zunächst erwarben einzelne städtische Bürger Landbesitz und Einkünfte im Umland der Stadt, teilweise, um ihre eigene Versorgung mit den Erträgen zu sichern, teilweise aber auch schlicht als Kapitalanlage. Diese Erwerbungen konnten auch Gerichtsrechte oder Märkte miteinschließen. In einer zweiten Stufe entwickelten sich persönliche oder korporative Beziehungen zwischen Landbewohnern und Städten etwa in der Form des Bürgerrechts, das Personen oder Körperschaften außerhalb der Stadt verliehen wurde. Solche Rechtsbeziehungen konnten den Städten auch Zugang zu militärstrategisch wichtigen Punkten oder zu Orten der Zollerhebung an Mautstellen oder Brücken sichern. Eine dritte Stufe war schließlich der Erwerb von Land mitsamt Herrschaftsrechten und Untertanen seitens der Stadt als Körperschaft; dieser Erwerb konnte entweder als später wieder abzulösende Hypothek oder als regelrechter Kauf erfolgen, der dem Magistrat dann vollständige Gerichtsherrschaft über das Gebiet sicherte.51 Diese territoriale Expansion erfolgte aus unterschiedlichen Motiven: Für die süddeutschen Reichsstädte war der Ankauf von ländlichem Grundbesitz häufig die Vorbedingung für folgende territoriale Konsolidierung: Stadtbürger investierten in ländlichen Grundbesitz, weil sie damit Statusgewinn suchten, die Vorstufen zu einer angestrebten Erhebung in den Adelsstand. Die Geldanlage in Land bot Sicherheit für die Risiken des oft nur schwer kalkulierbaren Fernhandels, das Land diente demnach als Kapitalreserve. Städtische Grundbesitzer wirkten häufig aber auch als Pioniere landwirtschaftlicher Produktivitätssteigerung und Spezialisierung, weil sie, im Unterschied zu subsistenzorientierten und risikominimierenden Bauern oder Grundherren eher profitmaximierend dachten.52 [<<82]
Die räumliche Reichweite solcher Ankäufe variierte mit der Größe der jeweiligen Stadt: Während in Augsburg stadtbürgerlicher Grundbesitz im Umland sich über einen Radius von 40–60 km erstreckte, war der Bereich in regionalen Zentren wie Memmingen oder Nördlingen kaum größer als 20 km, für Marktstädtchen wie Kempten oder Donauwörth überstieg der Bereich stadtbürgerlichen Grundbesitzes selten 10–15 km. Häufig spielten auch die städtischen Spitäler eine wesentliche Rolle im Aufbau außerstädtischen Grundbesitzes. Diese waren meist schon mit Landbesitz außerhalb der Stadt ausgestattet und bauten diesen dann planmäßig aus. Die städtischen Eliten, die häufig über Leitungspositionen oder Vormundschaften die Geschäftspolitik der Spitäler kontrollierten, verfügten mit den Spitälern über ein Instrument, das weniger das Misstrauen des regionalen Adels provozierte als individuelle Kaufstrategien.53
Die Verleihung städtischen Bürgerrechts an Bewohner des städtischen Umlandes, sowohl Adlige als auch Klöster und Bauern, war eine häufige Praxis, auch wenn Kaiser Karl IV. in der Goldenen Bulle von 1356 bestrebt war, die Verleihung der sogenannten Pfahlbürgerrechte an Bauern des Umlands zu unterbinden. Viele Städte ignorierten erfolgreich das Verbot. Für Städte wie Köln, die angesichts spezifischer regionaler Kräfteverhältnisse kaum ein geschlossenes Territorium aufbauen konnten, war die Verleihung von Bürgerrechten an führende regionale Adelsfamilien offenbar eine adäquate Kompensationsstrategie. Augsburg drängte das städtische Bürgerrecht auswärtigen Klöstern geradezu auf, um diese im Hinblick auf deren wirtschaftliche Potenz besser nutzen zu können.54 In anderen Städten, insbesondere den Textilstädten Schwabens wie Kempten oder Isny, diente die Verleihung städtischer Bürgerrechte an Auswärtige auch dazu, die gewerbliche Produktion im Umland besser kontrollieren zu können.55
Im Hinblick auf die Entfaltung einer regelrechten städtischen Territorialpolitik können wir sehr deutliche Unterschiede zwischen nord- und süddeutschen Städten feststellen. Während eine größere Anzahl süddeutscher Reichsstädte erfolgreich ihre individuellen ländlichen Besitztümer, Bündel von Rechten für außerstädtische Gebiete und Schutzbündnisse in konsolidierte abhängige Territorien verwandeln konnten, gelang dies im Norden nur wenigen größeren Städten, etwa Bremen, Hamburg, [<<83] Lübeck, Braunschweig und Lüneburg. Scott erklärt diese regionale Varianz auch mit unterschiedlichen Prioritäten: Für die norddeutschen Hansestädte war Frieden und die Sicherung der Handelsrouten wesentlich bedeutsamer als der Erwerb ländlicher Gebiete per se. Viele norddeutsche Städte verließen sich auch stärker auf Hypotheken, d. h. ihr Besitz konnte durch Rückzahlung der Darlehen seitens der Schuldner wieder verloren gehen. Ein Aspekt, warum die Hansestädte weniger Wert auf eine Territorialpolitik legten als süddeutsche Reichsstädte, dürfte auch deren geringere Abhängigkeit von den Ressourcen ihres unmittelbaren Umlandes sein. Während die süddeutschen Städte in der Hauptsache darauf angewiesen waren, ihr Getreide, ihr Holz und die Rohstoffe für ihre gewerbliche Produktion aus einem aus transportwirtschaftlichen Kostengründen relativ nahen Umland zu erhalten, standen den Hansestädten an der Küste auf dem Seeweg weiträumige Versorgungsregionen auch in größeren Entfernungen zu günstigen Transportkosten zur Verfügung. So war für eine Stadt wie Lübeck der Weichselraum, obwohl mehrere hundert Kilometer entfernt, wichtiger als das regionale Hinterland als zusätzliche Basis der Getreideversorgung. Unter den süddeutschen Städten waren Nürnberg (1200 km²) und Ulm (830 km²) am erfolgreichsten in ihrer Territorialpolitik. An dritter Stelle kam Erfurt (610 km²), aber bereits die Städte auf den Rängen 4 und 5, Rothenburg ob der Tauber und Schwäbisch Hall, zeigen, dass ein großes städtisches Territorium einer Stadt nicht zwangsläufig überregionale Bedeutung verlieh.
Warum verfolgten die süddeutschen Städte nun eine solche Territorialpolitik? Zunächst einmal ging es, wie oben angedeutet, um die Sicherung elementarer Ressourcen, insbesondere der Getreideversorgung. Ein zweites Motiv war das Erzielen landwirtschaftlichen Einkommens, das das städtische Einkommen ergänzte. In Ulm kamen in guten Erntejahren bis zu 22 % des städtischen Einkommens aus dem Landbesitz der Stadt.56 Das Territorium einer Stadt diente drittens als demografische Reserve, um das wegen der hohen städtischen Mortalität chronische demografische Defizit der Städte auszugleichen und um fehlende Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Städtische Territorialpolitik konnte sehr unterschiedliche Formen annehmen. Neigten „zentrale Orte“ im Sinne des Christallerschen Modells eher dazu, ein in der Tendenz nach allen Richtungen ungefähr gleich großes, radiales Territorium zu erwerben, so zeigt sich in Fernhandelsstädten („Netzwerk-Modell“) viel eher das Interesse, Land entlang der Handelskorridore, stützpunktförmig, also gewissermaßen axial zu erwerben. Auch Städte im Binnenland wie Erfurt und Ulm kombinierten die Rollen eines [<<84] Handelsstützpunkts und eines zentralen Ortes miteinander. Der Besitz eines Territoriums war allerdings keineswegs eine unverzichtbare Bedingung wirtschaftlichen Erfolges, wie die Beispiele Augsburg und Köln zeigen.57
Im Rahmen der Umlandpolitik und der Kontrolle der näheren Marktzone, war die Durchsetzung des Marktbanns in der Regel zentral: Die meisten Städte forderten, dass in einer Entfernung von ein bis zwei deutschen Meilen (7,4 bis 14,7 km) keine anderen Märkte stattfinden dürfen. Besonders mächtige und erfolgreiche Städte wie Augsburg konnten eine Bannmeile ihres Marktzwangs von bis zu 10 Meilen (73,6 km) durchsetzen. Leipzig verlieh die Bannmeile entscheidende Konkurrenzvorteile gegenüber Nachbarstädten in der Region.