Kitabı oku: «3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT», sayfa 3

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Von einem Augenblick zum anderen war der Schmerz spurlos verschwunden. In ihm machte sich eine Leichtigkeit breit, die in so großem Gegensatz zu dem Zustand der Agonie stand, in dem er sich bis dahin befunden hatte, dass er beinahe laut gelacht hätte. Doch sein Körper starb und war zu derartigen Dingen natürlich nicht mehr in der Lage.

Heike, Sarah, Niklas!

Die Namen seiner Frau und seiner Kinder blitzten in seinem sterbenden Verstand auf und erloschen sofort wieder wie Sternschnuppen, bevor der Tod seinen schwarzen Umhang über ihn breitete. Im Hintergrund begann jemand – Paul Potts oder er selbst – leise Nessun dorma zu singen, verstummte jedoch schon allzu bald wieder.

Dilegua, o notte

(Die Nacht entweiche )

Denn das Gegenteil geschah. Die Nacht entwich nicht, sondern kam. Die ewige Nacht!

ZWEI

Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen: unsre Glock hat zwei geschlagen! Zwei Weg hat der Mensch vor sich. Herr, den rechten führe mich. Menschenwachen kann nichts nützen, Gott wird wachen, Gott wird schützen. Herr, durch deine Güt’ und Macht, schenk uns eine gute Nacht!

Kriminalhauptkommissar Franz Schäringer von der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck stellte sich vor, wie ein mittelalterlicher Nachtwächter, bekleidet mit einem langen, schwarzen Mantel und einem schwarzen Hut, ein Horn um den Hals und eine Hellebarde sowie eine Laterne in der Hand, durch die Straße marschierte, durch die sie gerade fuhren, und laut die zur gegenwärtigen Uhrzeit passende Strophe des alten Nachtwächterlieds sang.

»Schläfst du?«

Schäringer wandte den Kopf und sah zu Kriminalkommissar Lutz Baum, der den Dienstwagen um zwei Uhr nachts durch die menschenleeren Straßen lenkte.

»Nein. War nur in Gedanken.«

Baum sah sogar noch müder aus, als Schäringer sich fühlte. Das lag vermutlich nicht nur an der Uhrzeit, zu der sie beide normalerweise längst im Bett lagen, sondern auch daran, dass sie vorher nicht im Büro gewesen waren und Baum deshalb auch noch keinen Automatenkaffee bekommen hatte, der ihm als einzigen Menschen, den Schäringer kannte, so gut schmeckte, dass er jeden Tag erschreckend große Mengen davon trinken konnte. Mengen, die jedem anderen Sterblichen nach Schäringers Überzeugung mindestens ein Magengeschwür, wenn nicht sogar einen baldigen, schrecklichen Tod beschert hätten. Baum schien der Kaffee hingegen nicht nur zu schmecken, sondern sogar zu bekommen, denn er siechte nicht allmählich dahin, sondern wurde vor allem an Bauch und Hüften stetig etwas rundlicher und im Gesicht immer voller. Doch das lag vermutlich eher an den reichhaltigen Mahlzeiten und den Süßigkeiten, die er darüber hinaus ständig zwischendurch konsumierte.

Normalerweise sah Baum nur in der Früh so verschlafen aus der Wäsche, wenn er es gerade noch rechtzeitig ins Büro geschafft hatte, denn er kam nur schlecht aus den Federn, oder wenn man ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf riss. Heute Nacht hatten sie beide allerdings noch gar keine Gelegenheit gehabt, sich schlafen zu legen, da sie am späten Abend lange nach Einbruch der Dunkelheit zum ausgebrannten Wrack eines BMW gerufen worden waren, den ein 15-Jähriger unter einem Ahornbaum gefunden hatte. Der Baum wäre beinahe ebenfalls ein Raub der Flammen geworden und komplett abgebrannt, wenn die herbeigerufene Feuerwehr den Brand nicht gelöscht hätte. Für die Fahrerin war allerdings jede Hilfe zu spät gekommen. Sie war im Innern des Fahrzeugs nahezu bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Schäringer erinnerte sich mit einem Schaudern an die gespenstische Szenerie, die sie vor einer halben Stunde verlassen hatten, nachdem auch die Leiche abtransportiert worden war.

Obwohl der abgeschiedene Ort, an den sich vermutlich noch nie so viele Menschen auf einmal verirrt hatten, vor Leuten geradezu wimmelte, war es dennoch geradezu unnatürlich still. Während die Feuerwehrleute im Licht des aufgestellten Beleuchtungsmastes ihre Geräte einpackten und uniformierte Polizisten darauf achteten, dass nur autorisiertes Personal hinter die Polizeiabsperrung trat, untersuchten an Gespenster erinnernde, weiß gekleidete Beamte der Spurensicherung den Boden innerhalb der Absperrung und das abkühlende Fahrzeugwrack und der Gerichtsmediziner die Leiche. All das geschah allerdings in geisterhafter Lautlosigkeit, da kaum jemand sprach, und wenn doch, dann allenfalls im Flüsterton. Das einzig laute Geräusch stammte vom Generator der Feuerwehr, der den Lichtmast mit Strom versorgte.

Baum und Schäringer hatten den jungen Mann, der mit seinem Motorroller auf dem Heimweg gewesen war, als er den brennenden Wagen entdeckt hatte, kurz befragt und dann in die Obhut seiner besorgten Mutter entlassen, die jemand kurz zuvor informiert hatte. Nachdem der Junge durch die Flammen einen kurzen Blick auf die Leiche erhascht hatte, war es ihm zwar noch gelungen, die Polizei anzurufen, aber seitdem war mit ihm verständlicherweise nicht mehr viel anzufangen. Er war mit seinen Nerven am Ende und würgte immer wieder, obwohl er längst nichts mehr im Magen hatte, das er von sich geben konnte. Vermutlich würde er sich zeitlebens an den furchtbaren Anblick erinnern, auch wenn er gnädigerweise keine Einzelheiten mehr wusste. Und auch sonst hatte er ihnen leider wenig sagen können, was Licht auf die Angelegenheit hätte werfen können. Allerdings war er davon überzeugt, dass er ganz kurz ein anderes Auto gesehen hatte, das sich ohne Licht entfernt hatte, bevor er den Ort erreichte. Mehr hatte er wegen der Dunkelheit jedoch nicht erkennen können.

Es war also nicht viel, was sie bislang erfahren hatten, reichte aber, die beiden Kriminalbeamten davon zu überzeugen, dass die Hintergründe dieses Fundes vermutlich komplizierter waren, als es auf den ersten Blick aussah. Entgegen der landläufigen Meinung waren Baum und Schäringer nicht nur für Mord zuständig, sondern mussten in allen Fällen Todesermittlungen durchführen, in denen die Todesursache zunächst unklar war. Das war auch hier der Fall, denn solange der Leichnam im gerichtsmedizinischen Institut nicht eingehend untersucht worden war, blieb die genaue Todesursache ein Geheimnis. Aufgrund des schlechten Zustands des verbrannten Körpers war es dem Gerichtsmediziner Dr. Dieter Mangold nicht einmal möglich gewesen, vor Ort eine vorläufige Feststellung zu treffen. Daher war momentan noch alles offen, und es kamen sowohl ein Suizid als auch ein Unfall, aber natürlich auch ein Tötungsdelikt in Betracht.

Während die beiden Kriminalpolizisten beobachteten, wie die Kollegen von der Spurensicherung etwaige Beweise sicherten, die ihnen womöglich bei ihren Ermittlungen weiterhalfen, dachte Schäringer über die möglichen Szenarien nach, die dazu geführt haben könnten, dass der schwarze BMW gegen den Baum gerast war und anschließend Feuer gefangen hatte.

Erste Möglichkeit: Unfall.

Die Fahrerin – Dr. Mangold hatte zumindest die begründete Vermutung geäußert, dass es sich um den Leichnam einer Frau handelte – war zu schnell über den schmalen Kiesweg gefahren, hatte die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren und war gegen den Baum geprallt. Entweder war sie bereits durch den Aufprall getötet oder so schwer verletzt worden, dass sie das Bewusstsein verloren hatte und nicht mehr in der Lage gewesen war, den Wagen zu verlassen, als sich auslaufendes Benzin entzündete und das Auto in Brand setzte. Wie Christian Krautmann, der Leiter der Abteilung Spurensicherung und -auswertung, Schäringer mitgeteilt hatte, war die Frau während des Unfalls angeschnallt gewesen. Verletzungen, die sie beim Unfall davongetragen hatte, würde der Gerichtsmediziner natürlich bei einer genaueren Untersuchung des Leichnams feststellen. Außerdem würde eine Untersuchung des Fahrzeugwracks ergeben, wie und warum das Feuer ausgebrochen war. Doch wie passte das zweite Fahrzeug, das sich ohne Licht entfernt hatte, in dieses Szenario? War die Frau von jemandem verfolgt worden und deshalb zu schnell gefahren? Oder hatten sich die Fahrer ein Rennen geliefert, das tragisch endete? Aber auf einem schmalen, schlecht zu befahrenden Feldweg machte das wenig Sinn.

Zweite Möglichkeit: Suizid.

Die Fahrerin war mit voller Absicht gegen den Baum gefahren, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Aber wieso ausgerechnet an diesem verlassenen Ort? Wollte sie damit nur sicherstellen, dass niemand schnell genug zur Stelle war, um das Feuer zu löschen und sie zu retten? Obwohl Schäringer aufgrund der äußeren Umstände vor Ort diese Möglichkeit ebenfalls für wenig überzeugend hielt, gab es gleichwohl auch Begleitumstände, die für eine Selbsttötung sprachen.

Im Laufe des Tages hatte es nämlich zwei tragische Unfälle gegeben, die man zunächst für bedauerliche Einzelfälle gehalten hatte, die nach dem Fund des ausgebrannten BMW aber unter einem neuen Blickwinkel betrachtet werden mussten, denn in beiden Fällen hatte vermutlich ebenfalls ein schwarzes Auto eine Rolle gespielt.

Im ersten Fall war die 67-jährige Betreiberin eines Gästehauses am Vormittag auf offener Straße überfahren worden. Und nach der überwiegenden Zahl der Augenzeugenberichte hatte es sich bei dem Unfallwagen um einen schwarzen BMW gehandelt, obwohl einzelne Zeugen sowohl eine andere Fahrzeugmarke als auch eine andere Farbe genannt hatten. Das menschliche Erinnerungsvermögen war, wie Schäringer nur zu gut wusste, trügerisch und nicht immer verlässlich, doch er vertraute darauf, dass sich die Mehrheit nicht irrte. Wie sich der Unfall zugetragen hatte, war hingegen weniger klar, denn keiner der Zeugen hatte gesehen, wie die alte Frau die Straße betreten hatte. Erst als sie das Aufheulen eines Motors gehört hatten, waren sie aufmerksam geworden und hatten mitansehen müssen, wie das Unfallopfer über den Wagen geschleudert wurde und leblos auf der Straße landete. Ein Zeuge hatte allerdings ausgesagt, er hätte den schwarzen BMW zuvor mit laufendem Motor am Straßenrand stehen sehen, als würde er auf jemanden oder etwas warten.

Beim zweiten Vorfall war eine 24-jährige Autofahrerin von der Straße abgekommen, die Böschung hinuntergerast und in einem Feldweg gelandet, wo sich der Wagen mehrmals überschlagen hatte. Zunächst war man von einem Unfall ohne Fremdbeteiligung ausgegangen. Dann hatte man jedoch an der Fahrerseite schwarze Lackspuren gefunden, die von einem anderen Fahrzeug stammen mussten. Der Lack musste noch kriminaltechnisch untersucht werden, um bestimmen zu können, von welcher Fahrzeugmarke er stammte, doch Schäringer würde sich nicht wundern, wenn herauskam, dass auch hier ein schwarzer BMW beteiligt gewesen war. Und möglicherweise würde sich dieser Verdacht bereits bestätigen, wenn an dem ausgebrannten Wagen Lackspuren des roten Kleinwagens nachgewiesen werden konnten.

Doch wie passten diese Vorfälle in das Suizidszenario? Hatte die Fahrerin, nachdem sie an einem einzigen Tag zwei furchtbare Unfälle verursacht hatte, so große Gewissensbisse bekommen, dass sie unter der Last ihrer Schuld nicht mehr weiterleben konnte?

Möglich wäre es.

Schäringer zuckte zweifelnd mit den Schultern, denn er konnte sich bessere Möglichkeiten vorstellen, sich das Leben zu nehmen, als mit dem Auto angeschnallt gegen einen Baum zu rasen. Schließlich konnte man nicht sicher sein, dass man dabei tatsächlich starb. Möglicherweise überlebte man und war für den Rest seines Lebens schwerstbehindert. Oder man überstand zwar den Unfall, starb dann aber qualvoll in den Flammen. Allerdings gingen Autos in der Wirklichkeit nicht so schnell in Flammen auf, wie Film und Fernsehen das den Zuschauern suggerierten.

Also war noch alles offen. Es bestand daher immer noch die Möglichkeit, dass es sich weder um einen Unfall noch um einen Selbstmord, sondern um ein Tötungsdelikt handelte.

Dritte Möglichkeit daher: Mord.

Schäringer sah sich aufmerksam um, während er darüber nachdachte, wie die Sache in dem Fall abgelaufen sein könnte. Zumindest die Abgelegenheit und Verlassenheit des Ortes sprach für diese Alternative, denn eine bessere Stelle, einen Mord zu begehen und dabei ungesehen und ungestört zu bleiben, gab es in einem dicht besiedelten Land wie diesem kaum. Schäringer spielte das Szenario durch: Der oder die Täter hatten die Fahrerin getötet, den BMW hierher und dann gegen den Baum gefahren, die Leiche hinters Steuer gesetzt und angeschnallt, das Auto sodann mit Benzin übergossen und angezündet und waren schließlich mit einem anderen Fahrzeug weggefahren, als der 15-Jährige überraschend auf seinem Roller aufgetaucht war. Doch aus welchem Grund waren die Frau getötet und der Wagen angezündet worden? Und wie passten die beiden anderen Vorfälle in dieses Szenario?

Schäringer seufzte, denn noch ergaben die Geschehnisse dieses Tages kein eindeutiges, einheitliches Bild und schienen bis auf die Beteiligung eines schwarzen Fahrzeugs nichts miteinander zu tun zu haben. War also alles nur ein merkwürdiger Zufall? War es möglich, dass an einem Tag drei völlig verschiedene schwarze Autos absolut unabhängig voneinander in drei schreckliche Vorfälle verwickelt sein konnten?

Nichts ist unmöglich!, kam ihm der Werbespruch einer Automarke in den Sinn, während er zusah, wie der Transportsarg mit den sterblichen Überresten der Frau in den Leichenwagen geschoben wurde. Doch nach all den Jahren bei der Kripo fiel es ihm immer schwerer, an derartige Zufälle zu glauben. Sein Bauchgefühl sagte ihm vielmehr, dass es einen Zusammenhang geben musste, auch wenn sie bislang nur eine Unmenge einzelner Puzzleteile sahen und keine Ahnung hatten, wie und ob sie überhaupt zusammenpassten. Erst die nachfolgenden Untersuchungen der gefundenen Beweise, des Fahrzeugs und der Leiche würden weitere, bislang verborgene Aspekte des Falls zum Vorschein bringen, die dann hoffentlich mehr Licht in den Fall bringen und alle offenen Fragen beantworten würden. Bis dahin musste er sich allerdings in Geduld üben.

Wenigstens mussten sie solange nicht untätig bleiben und Däumchen drehen, sondern konnten mit den Informationen arbeiten, die der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung bereits in Erfahrung gebracht hatten. So wussten sie nicht nur, dass der Leichnam einer Frau gehörte, sondern hatten auch herausgefunden, dass es sich bei dem Wagen um einen carbonschwarzen BMW 740i handelte, der auf eine Christiane Kauffmann zugelassen war. Schäringer war niemand, der gern und oft wettete, doch in diesem Fall wäre er ausnahmsweise jede Wette eingegangen, dass es sich bei dem verbrannten Leichnam um die Fahrzeughalterin handelte.

Als der Fahrer des Abschleppwagens damit begann, das noch immer schwelende Fahrzeugwrack vom Baumstamm zu trennen, um es aufzuladen, wandte sich Schäringer ab. »Lass uns zum Haus von Frau Kauffmann fahren, Lutz. Mal sehen, ob jemand zu Hause ist, der uns ein paar Fragen beantworten kann.«

Und genau dorthin waren sie nun unterwegs.

Schäringer beobachtete noch immer seinen jüngeren Kollegen, einen mittelgroßen 38-Jährigen, dem man in dieser Nacht ausnahmsweise jedes einzelne seiner Lebensjahre ansah und dessen gelocktes Haar von einer Farbe, die Schäringer normalerweise an Karotten erinnerte, ebenso müde, matt und glanzlos war wie seine grünen Augen. Baum trug wie immer teure Markenkleidung. Neben der obligatorischen Jacke aus besonders weichem, schwarzem Lammleder von Just Cavalli, von der er sich nicht einmal trennen konnte, wenn er im Büro hinter seinem Schreibtisch saß, hatte er eine anthrazitfarbene Schurwollhose von Ermenegildo Zegna, ein schwarzes Hemd von Tommy Hilfiger und dunkelbraune Desert Boots von Floris van Bommel an.

»Warum guckst du mich die ganze Zeit so komisch an?« Baum hob die Hand zum Mund, weil er gähnen musste.

Schäringer wandte rasch den Kopf und sah durch die Windschutzscheibe auf die Straße, um sicherzugehen, dass weder ein Hindernis noch eine scharfe Kurve vor dem Wagen auftauchte, während Baum die Augen geschlossen hatte. Doch die Strecke war zum Glück schnurgerade und frei. Wäre ja auch zu dumm gewesen, wenn sie nach all den gestrigen Vorfällen jetzt auch noch mit dem Auto verunglückt wären.

»Ich hab über den Fall nachgedacht.« Schäringer überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ausnahmsweise er sich ans Steuer gesetzt hätte. Er war zwar ebenfalls müde und hätte nichts dagegen gehabt, wenn er endlich nach Hause und ins Bett gekommen wäre, doch er hatte allem Anschein nach weniger mit der Müdigkeit zu kämpfen als sein Kollege, obwohl er 19 Jahre älter als Baum war.

Schäringer maß ein Meter neunzig, war schlank und hatte dichtes, kurzgeschnittenes Haar von aschblonder Farbe mit ein wenig Grau dazwischen, das jedoch kaum auffiel. Er trug passenderweise einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte mit Querstreifen in verschiedenen Grautönen, als hätte er gestern früh beim Anziehen bereits gewusst, dass er zur Anschrift einer Toten fahren musste, um möglicherweise einem Angehörigen die traurige Nachricht vom Tod eines lieben Menschen zu überbringen, was allerdings nicht der Fall gewesen war. Außerdem verschwendete der Kriminalhauptkommissar im Gegensatz zu Baum wenig Gedanken an seine Kleidung und hatte nach dem Frühstück einfach einen seiner Anzüge aus dem Schrank genommen, von denen er mehrere in unterschiedlichen Farben besaß.

»Soll ich fahren?«, fragte Schäringer.

Baum schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, ich schaff das schon.« Er rieb sich mit den Fingern die Tränen zuerst aus dem linken, dann aus dem rechten Auge. Anschließend zwinkerte er mehrmals und riss seine Augen ganz weit auf, als hätte er Angst, sie könnten ihm ansonsten zufallen. »Hast du etwa Angst, dass ich einschlafe?«

»So, wie du mit der Müdigkeit zu kämpfen hast? Wer hätte da keine Angst?«

»Ich schlaf schon nicht ein. Hab nur die Nacht zuvor schon zu wenig Schlaf gekriegt.«

»Und warum, wenn ich fragen darf? Hast du etwa schon wieder eine neue Freundin?«

Baum lachte. »Stimmt. Bei deinem Scharfsinn solltest du Kriminalist werden, Franz.«

»Gute Idee. Aber wieso schaffst du es eigentlich nie, ausnahmsweise ein bisschen länger mit einer Frau zusammenzubleiben.«

»Das liegt wahrscheinlich daran, dass es so viele von ihnen gibt. Ich kann mich einfach nicht für eine Frau entscheiden. Aber eigentlich bist du der Letzte, der mir Tipps in Beziehungsfragen geben sollte, Franz. Schließlich lebst du jetzt schon seit deiner Scheidung vor fünf Jahren allein. Wird Zeit, dass du dir auch mal wieder eine Partnerin suchst. Dann musst du deine neugierige Nase auch nicht ständig in mein Liebesleben stecken. Soll ich mal für dich auf die Suche gehen?«

»Gott bewahre!« Schäringer winkte ab. »Außerdem – wozu brauche ich eine Frau, wenn ich doch dich habe.«

Baum sagte nichts darauf, sondern gähnte erneut.

»Und außerdem kriege ich so im Gegensatz zu dir in der Nacht wenigstens genügend Schlaf.«

Baum seufzte. »Ich hatte ja gehofft, ich könnte den fehlenden Schlaf heute nachholen. Aber Pustekuchen. Wieso müssen die Leute immer dann den Löffel abgeben, wenn es uns am wenigsten passt?«

»Manchmal können sie es sich eben nicht aussuchen. Außer, sie bringen sich selbst um. Aber selbst dann, glaube ich, verschwenden die meisten nicht allzu viele Gedanken daran, ob sie anderen dadurch Umstände oder zusätzliche Arbeit bereiten.«

»Glaubst du, die Fahrerin des BMW hat das getan?«

»Du meinst, sich selbst getötet?«

»Ja.«

Schäringer zuckte mit den Schultern. »Die Frage habe ich mir auch schon gestellt, als ich über den Fall nachdachte. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Warten wir einfach die Obduktionsergebnisse ab, dann sind wir hoffentlich schlauer.«

»Ich wollte nicht wissen, was du weißt, sondern was du glaubst. Was sagt denn dein berühmtes Bauchgefühl dazu. In der Regel ist darauf doch Verlass.«

Schäringer seufzte. »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass mehr hinter dieser Geschichte steckt, als auf den ersten Blick offensichtlich ist. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es Selbstmord war.«

»Dann sind wir ja ausnahmsweise mal einer Meinung. Ich denke nämlich auch nicht, dass die gute Frau mit voller Absicht gegen den Baum knallte und sich dann grillen ließ.«

Schäringer schüttelte den Kopf. »Du solltest mehr Respekt vor den Todesopfern haben, mit denen wir es zu tun haben, Lutz.«

»Nur weil ich mich manchmal etwas flapsig ausdrücke, heißt das nicht, dass ich die Toten nicht respektiere.«

»Dann bin ich ja beruhigt.«

Baum bog ab. »Das ist die Straße. Wir müssten also gleich da sein.«

Sie hielten Ausschau nach der richtigen Hausnummer. Zu beiden Seiten der Straße befanden sich weitläufige Grundstücke, die in den meisten Fällen hinter Mauern oder hohen Hecken verborgen waren, sodass von den großzügigen Einfamilienhäusern von der Straße aus nur wenig zu sehen war.

»Sieht so aus, als hätten die Leute, die in dieser Gegend wohnen, keine finanziellen Probleme«, vermutete Baum.

»Oder sie wollen zumindest den Eindruck erwecken, es wäre so. Da ist es!« Schäringer wies auf eine Grundstückseinfahrt, die von einem hohen Gittertor versperrt wurde. »Fahr bis vors Tor und halt an. Du kannst im Wagen warten, während ich läute. Mal sehen, ob uns jemand das Tor öffnet. Aber schlaf bloß nicht ein.«

»Sehr witzig!« Baum stoppte ihren Dienstwagen einen Meter vor dem Tor. »Und was machen wir, wenn niemand da ist? Schließlich wissen wir gar nicht, ob die Frau überhaupt verheiratet war.«

»Wenn keiner auf das Klingeln reagiert, können wir nach Hause fahren und uns schlafen legen. Dann besorgen wir uns morgen früh einen Durchsuchungsbeschluss und kommen mit dem Schlüsseldienst zurück.«

Baum schloss kurz die Augen, als würde er darum beten, dass niemand zu Hause war. Allerdings wusste Schäringer, dass sein Kollege nicht besonders gläubig war und deshalb auch nicht betete. Er stieg aus, ohne den jüngeren Mann noch einmal zu ermahnen, bloß nicht einzuschlafen, und ging um die Motorhaube herum zur linken Seite des Tors, wo er die Klingel vermutete. Er fand ein Messingschild von dezenter Größe, auf dem lediglich der Name Kauffmann stand. Neben der Hausnummer, die aus großen Ziffern aus Edelstahl bestand und sich weiter oben an dem Pfeiler aus Natursteinen befand, ein weiterer Beweis, dass sie hier richtig waren.

Schäringer begrub den Klingelknopf neben dem Namen für die Dauer von mehreren Sekunden unter seinem Daumen. Anschließend hob er den Kopf und sah in die Kamera, die auf der Spitze des Pfeilers befestigt und auf den Bereich vor dem Tor gerichtet war. Er stellte sich darauf ein, länger warten und notfalls noch einmal klingeln zu müssen. Selbst wenn tatsächlich jemand zu Hause war, hatte derjenige um diese Uhrzeit bestimmt geschlafen und war vermutlich erst durch Schäringers langes Klingeln geweckt worden. Doch zu seiner Überraschung hörte er bereits nach weniger als dreißig Sekunden eine Stimme aus den Schlitzen neben dem Klingelknopf kommen.

»Ja?«

Die Stimme war so verzerrt, dass sich unmöglich sagen ließ, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte. Schäringer konnte daher nur raten. »Herr Kauffmann?«

»Ja. Und wer sind Sie?«

»Schäringer, Kriminalpolizei.« Er holte seinen Dienstausweis aus der Innentasche seines Jacketts und hielt ihn in die Kamera. »Entschuldigen Sie die späte Störung, Herr Kauffmann.«

»Das ging aber schnell.«

»Wie bitte?« Schäringer runzelte die Stirn. Hatte der Mann sie etwa erwartet? Wenn ja, wieso?

»Ich öffne Ihnen das Tor. Fahren Sie bis vors Haus. Dort warte ich auf Sie.«

Es knackte in der Sprechanlage, bevor sie verstummte.

Schäringer wandte sich ab und stieg wieder in den Wagen.

»Und? Da ich dich sprechen gehört habe und weiß, dass du trotz deines fortgeschrittenen Alters noch nicht dazu neigst, Selbstgespräche zu führen, gehe ich davon aus, dass jemand da ist und mein Bett noch ein bisschen länger auf mich warten muss.«

»Bingo! Bei deinem Scharfsinn solltest du Kriminalist werden, Lutz.«

Das Gittertor vor ihnen bewegte sich und rollte in seiner Stahlschiene zur Seite.

»Fahr bis zum Haus. Dort erwartet Herr Kauffmann uns bereits.«

»Ist das der Ehemann?« Baum startete den Wagen und fuhr los, nachdem das Tor vollständig zur Seite gewichen war.

»Vermutlich. Sieht ganz so aus, als hätte er gewusst, dass wir kommen.«

Baum warf ihm einen kurzen Blick zu, als wollte er sich versichern, dass sein Kollege keine Scherze mit ihm trieb. »Ohne Scheiß?«

Schäringer nickte. »Nachdem ich mich vorgestellt hatte, sagte er: ›Das ging aber schnell.‹«

»Vielleicht hat er seine Frau umgebracht, ihren Wagen gegen den Baum gefahren, sie hinters Steuer gesetzt und das Auto dann angezündet«, sagte Baum und entwickelte damit ein Szenario, das sich auch Schäringer schon als mögliche Alternative überlegt hatte. »Doch als er wieder zu Hause war, packte ihn die Reue. Deshalb ist er froh, dass wir kommen, und legt sofort ein umfassendes Geständnis ab. Fall erledigt, und alle sind zufrieden. Außer die tote Ehefrau vielleicht. Und wir können endlich Feierabend machen und uns verdientermaßen zur Ruhe legen.«

»Und was ist mit den anderen Fällen von gestern, bei denen ein schwarzes Fahrzeug beteiligt gewesen sein soll? Wie passen diese Vorfälle in dein Szenario?«

»Gar nicht, weil es nämlich gar keinen Zusammenhang gibt. In den anderen Fällen kann nämlich auch ein ganz anderes schwarzes Auto beteiligt gewesen sein.«

»Vielleicht«, stimmte Schäringer halbherzig zu, als Baum ihren Wagen auf der gepflasterten Einfahrt vor der geschlossenen Doppelgarage zum Stehen brachte.

Kauffmann stand in der offenen Tür und sah ihnen erwartungsvoll entgegen, als Schäringer und Baum sich dem Haus näherten.

»Franz Schäringer, Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck«, stellte sich der Kriminalhauptkommissar noch einmal vor und präsentierte seinen Dienstausweis.

Kauffmann machte sich jedoch gar nicht die Mühe, einen Blick darauf zu werfen. »Schön, dass Sie kommen konnten, Herr Schäringer«, sagte er, als hätte er sie herbestellt, und streckte dem Kriminalhauptkommissar seine Rechte entgegen. »Ich bin Friedrich Kauffmann.«

Sie schüttelten sich die Hände. Dann wies Schäringer auf Baum. »Das ist mein Kollege Lutz Baum.«

Kauffmann gab auch diesem die Hand.

»Wir kommen wegen Ihrer Frau«, sagte Schäringer.

»Das weiß ich doch!« Kauffmann sah nicht so aus, als wäre er schon im Bett gewesen, denn er trug eine schwarze Jeans, ein rotes Polohemd und braune Lederhausschuhe. »Kommen Sie herein.« Er bedeutete den beiden Polizisten, ihm zu folgen, wandte sich ab und ging voraus.

Schäringer ließ Baum den Vortritt. Dann betrat er das Haus und schloss die Tür hinter sich. Von einem kleinen Vorraum mit der Garderobe unmittelbar hinter der Tür ging es durch eine Glastür ins nächste Zimmer, das nahezu den ganzen Rest des Erdgeschosses einnahm und Wohnzimmer, Esszimmer und Küche in einem war. Die einzelnen Teile wurden nur optisch durch andere Einrichtungsstile und vereinzelte Deckenpfeiler voneinander getrennt. Lediglich die Toilette war in einem eigenen kleinen Raum untergebracht. Die Einrichtung machte auf den Kriminalbeamten einen kostspieligen Eindruck, teilweise handelte es sich auch um Antiquitäten. Außerdem gab es zahlreiche Kunstgegenstände. Neben mehreren großformatigen Gemälden an den Wänden diverse Heiligenfiguren aus Holz in den unterschiedlichsten Größen. Schäringer fiel auf, dass es sich allesamt um weibliche Heilige handelte. Da er nicht nur eine katholische Erziehung genossen hatte, sondern auch viele Jahre lang Messdiener gewesen war, erkannte er einige der Figuren anhand der Gegenstände, die sie in Händen hielten. Unter anderem die Heilige Cäcilia, die Patronin der Kirchenmusik und Organisten, die eine kleine Orgel trug. Die Heilige Apollonia, die eine Zange mit einem gezogenen Zahn bei sich hatte und als Patronin der Zahnärzte galt. Und die Heilige Barbara, die einen Turm mit drei Fenstern in den Händen hatte. Sie zählte zu den vierzehn Nothelfern und wurde gegen Gewitter, Feuer, die Pest, Fieber und generell gegen einen plötzlichen und unerwarteten Tod angerufen, weshalb sie die Schutzpatronin gleich mehrerer gefahrgeneigter Berufe war. Allerdings hatte auch sie der verstorbenen Christiane Kauffmann nicht helfen können, als diese plötzlich und unerwartet gestorben war.

Kauffmann führte sie in den Wohnbereich und zu einer Sitzgruppe aus dunkelbraunem Leder. »Nehmen Sie bitte Platz, meine Herren.«

Sie setzten sich. Baum holte ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch heraus, auf dem sich sein Monogramm befand. Er schlug es auf, nahm den Kugelschreiber und wartete, dass einer der beiden anderen Männer das Gespräch eröffnete.

Kauffmann sah nicht so aus, als würde er es tun wollen, denn er sah Schäringer erwartungsvoll an. Er musste Anfang bis Mitte fünfzig sein, war ungefähr eins fünfundsiebzig groß und übergewichtig. Er hatte ein rundes Gesicht mit fleischigen, roten Backen, warmherzige braune Hundeaugen und hellbraunes, sehr kurz geschnittenes Haar, das sich in der Mitte seines Schädels schon deutlich lichtete.

»Sie sagten vorhin: ›Das ging aber schnell.‹«, begann Schäringer die Befragung. »Bedeutet das, dass Sie mit unserem Kommen gerechnet haben?«

Kauffmann nickte. »Selbstverständlich.«

»Und woher wussten Sie, dass wir kommen?«

Kauffmann seufzte, als wäre Schäringer besonders begriffsstutzig. »Na, wegen der Vermisstenanzeige.«

»Vermisstenanzeige?«, wiederholte Schäringer und hob die Augenbrauen.

»Sagen Sie bloß, Sie wissen gar nichts davon.«

»So ist es. Erzählen Sie uns doch davon.«

Kauffmann sah verwirrt aus und schüttelte den Kopf. »Ich war doch gestern Nachmittag bei der Polizei und wollte eine Vermisstenanzeige aufgeben.«

»Weswegen?«

»Na, weil meine Frau verschwunden ist. Gestern früh war noch alles in Ordnung. Wir frühstückten gemeinsam, wie wir das seit fast dreißig Jahren jeden Tag tun. Dann ging sie aus dem Haus, um ins Büro zu fahren.«

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