Kitabı oku: «3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT», sayfa 4
»Wo arbeitet Ihre Frau?«
»Sie ist Unternehmerin und hat ein eigenes Busunternehmen. Ich bin Zahnarzt und musste erst später los, weil die Praxis am Freitag erst um neun öffnet. Ich räumte den Frühstückstisch ab und ging dann ins Bad. Eine halbe Stunde später bekam ich einen Anruf von Frau Brand. Das ist Christianes Sekretärin. Sie fragte, ob meine Frau heute später kommen würde oder krank sei. Ich sagte, Christiane sei schon weggefahren und müsste eigentlich längst dort sein. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt natürlich noch keinen Grund, beunruhigt zu sein. Vielleicht musste sie ja noch etwas besorgen und hatte nur vergessen, ihrer Sekretärin und mir davon zu erzählen. Frau Brand meinte, dass meine Frau dann wohl jede Sekunde eintreffen würde, und wir beendeten das Gespräch. Ich machte mir keine Gedanken und fuhr in die Praxis. Doch eine Stunde später rief mich die Sekretärin erneut an. Sie machte sich Sorgen, weil Christiane noch immer nicht aufgetaucht war. Jetzt begann ich mir ebenfalls Sorgen zu machen. Ich sagte Frau Brand, sie solle mich informieren, sobald meine Frau auftauchte. Dann wählte ich die Nummer von Christianes Handy, erreichte sie aber nicht. Anschließend rief ich ihre beste Freundin Sandra Sterzinger an, mit der sie sich manchmal zu einem zweiten Frühstück oder zum Mittagessen verabredet. Doch Sandra hatte sie nicht getroffen und seit Tagen nicht gesehen. Ich wusste nicht mehr, wen ich sonst noch anrufen sollte. Am liebsten hätte ich bei allen Krankenhäusern in der Umgebung nachgefragt, ob jemand eingeliefert wurde, der meine Frau sein könnte, hielt das zu diesem frühen Zeitpunkt aber für übertrieben. Ich konnte mich allerdings kaum auf meine Arbeit konzentrieren und sagte daher alle Termine für den Nachmittag ab. Um zwei rief ich dann Frau Brand an, doch Christiane war noch immer nicht aufgetaucht. Also fuhr ich zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben.« Er seufzte tief und schüttelte den Kopf. »Der Beamte weigerte sich jedoch, die Anzeige aufzunehmen und eine Vermissten-Fahndung, wie er es nannte, einzuleiten. Schließlich sei meine Frau erwachsen und im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte. Sie habe daher das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen, ohne dass sie diesen ihren Angehörigen und Freunden mitteilen müsse. Es sei nämlich nicht Aufgabe der Polizei, bei erwachsenen Personen Aufenthaltsermittlungen durchzuführen, solange nicht von einer Gefahr für Leib oder Leben, beispielsweise durch eine Straftat, einen Unfall, Hilflosigkeit oder eine Selbsttötungsabsicht, ausgegangen werden muss.« Kauffmann schüttelte erneut den Kopf. »Aber wieso sollte Christiane sonst verschwunden sein?« Er sah Schäringer fragend an, als wüsste der die Antwort, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. »Als Sie dann vor dem Tor standen und sagten, Sie seien von der Kriminalpolizei, nahm ich an, die Polizei würde die Sache endlich ernst nehmen. Doch wie es scheint, habe ich mich wohl getäuscht.« Kauffmann runzelte die Stirn und dachte nach. »Von welcher Abteilung der Kripo sind Sie eigentlich, Herr Kommissar?«, fragte er dann mit leiser Stimme.
»Kommissariat für Todesermittlungen und vorsätzliche Tötungsdelikte.«
Kauffmann, der das schon geahnt haben musste, erbleichte schlagartig, als wäre sämtliches Blut aus seinem Kopf in seine unteren Körperregionen geflossen. Die Muskeln in seinem Gesicht erschlafften, sodass sogar die fleischigen Backen der Schwerkraft nachgaben und ein Stück nach unten sackten. Von einer Sekunde zur anderen sah er um Jahre gealtert, unsagbar müde und todtraurig aus. »Dann ist Christiane also tot.« Es war keine Frage.
Schäringer nickte. »Es tut mir wirklich leid, Herr Kauffmann, dass ich keine besseren Nachrichten für Sie habe.«
Kauffmann schüttelte den Kopf. »Sie können ja auch nichts dafür, Herr Kommissar. Außerdem ahnte ich bereits, dass ihr etwas zugestoßen sein musste. Was ist passiert? Sie sagten, Sie sind für vorsätzliche Tötungsdelikte zuständig. Heißt das, dass meine Frau ermordet wurde?«
»Das wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Die Todesursache ist momentan noch unklar, deshalb führen wir bislang nur Todesermittlungen durch. Aber sobald Ihre Frau im Laufe des Tages rechtsmedizinisch untersucht wurde, wissen wir hoffentlich mehr.« Schäringer erzählte Kauffmann, wo und unter welchen Umständen seine Frau gefunden worden war.
»In ihrem Auto verbrannt!«, flüsterte der Mann wie ein gespenstisches Echo, nachdem Schäringer seinen Bericht beendet hatte.
Schäringer nickte. »Außerdem gab es gestern noch zwei weitere Vorfälle, in die ein schwarzes Fahrzeug wie das Ihrer Frau verwickelt war.«
»Welche Vorfälle?«
»In der Innenstadt wurde gestern Vormittag eine alte Dame angefahren und dabei tödlich verletzt. Die meisten Augenzeugen sagten aus, dass es sich bei dem Unfallfahrzeug um einen schwarzen BMW gehandelt haben soll. Und am Nachmittag kam auf einer Landstraße nordwestlich von Fürstenfeldbruck der Kleinwagen einer jungen Frau von der Straße ab und überschlug sich mehrmals. An der linken Seite des Fahrzeugs wurden schwarze Lackspuren eines anderen Wagens gefunden.«
»Und Sie glauben jetzt, meine Frau hätte etwas damit zu tun gehabt?«
Schäringer zuckte mit den Schultern. »Drei Vorfälle an einem einzigen Tag, und bei jedem scheint ein schwarzes Auto beteiligt gewesen zu sein. Das sieht mir nicht nach einem Zufall aus.«
Kauffmann setzte sich wieder aufrechter hin. Sogar seine Gesichtszüge strafften sich. Er schüttelte den Kopf und sah Schäringer zornig an. »Zufall hin oder her. Für mich sieht es so aus, als wollten Sie Ihre Ermittlungen schnell abschließen und diese Taten meiner Frau in die Schuhe schieben. Einer Toten, die sich nicht mehr wehren kann. Aber das lasse ich nicht zu! Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Christiane etwas mit diesen schrecklichen Dingen zu tun hatte, weder absichtlich noch unabsichtlich. Sie war schon immer eine gute und sichere Fahrerin. Das können Sie übrigens überprüfen, denn sie hat keinen einzigen Punkt in der Verkehrssünderkartei. Und falls Sie denken, sie könnte betrunken gewesen sein, dann liegen Sie ebenfalls vollkommen daneben. Meine Frau hat nämlich nie einen Tropfen Alkohol getrunken. Außerdem verabscheute sie nichts mehr, als Menschen, die zu viel tranken, sich dann hinters Steuer setzten und andere gefährdeten. In dieser Hinsicht drückte sie auch bei ihren Busfahrern kein Auge zu und griff rigoros durch. Statt also meine Frau grundlos zu verdächtigen, Herr Kommissar, sollten Sie sich besser auf die Suche nach den wahren Tätern machen und endlich herausfinden, was mit meiner Frau geschehen ist.«
»Genau das haben wir vor, Herr Kauffmann. Nur eine Frage noch.«
»Ja?« Schäringers Worte hatten Kauffmann anscheinend den Wind aus den Segeln genommen. Die Energie, die ihn gerade noch durchpulst hatte, verpuffte, und seine Schultern sanken wieder nach unten.
»Sagen Ihnen die Namen Elisabeth Moritz und Lisa Bernert etwas?«
Kauffmann überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Wieso?«
»Das sind die Namen der beiden anderen Opfer.« Schäringer stand auf. »Wir wollen Sie jetzt aber nicht länger stören, Herr Kauffmann.«
Obwohl es im Grunde eine ganz ähnliche Situation wie am gestrigen späten Abend war, als Baum und Schäringer zum ausgebrannten Wrack des BMW gerufen worden waren, hätten die beiden Szenarien dennoch kaum unterschiedlicher sein können. Es ging zwar erneut um einen Leichenfund in einem Fahrzeug, doch damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon, denn dieses Mal spielte sich alles am helllichten Tag, genauer gesagt am späten Vormittag, und auch nicht in der Dunkelheit an einem abgeschiedenen Ort, sondern mitten in der Stadt auf einer ansonsten vielbefahrenen Kreuzung ab. So war es auch kein Wunder, dass eine vollkommen andere Atmosphäre herrschte. Nicht die gespenstische Stille, die nur vom lauten Brummen eines Generators gestört wurde, sondern lautes Rufen und Hupen und das Rauschen des Verkehrs, der um den abgesperrten Bereich herumgeleitet wurde, der im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Polizei, Spurensicherung, Rechtsmedizin und neugierigen Passanten stand.
»Was ist passiert?«, fragte Schäringer den Streifenpolizisten, der gemeinsam mit seinem Kollegen als Erster vor Ort gewesen war, und warf einen Blick auf die beiden Autos, einen titaniumblauen Toyota Corolla mit Mannheimer Kennzeichen und einen silbergrauen VW-Golf, die mitten auf der Kreuzung kollidiert waren. So wie es aussah, war der Corolla ungebremst in die Beifahrerseite des Golfs gefahren. Der Pathologe Dr. Dieter Mangold beugte sich über den offen stehenden Kofferraum des Toyota und untersuchte den Leichnam, der darin lag und den Schäringer von seinem Standort aus nicht sehen konnte. Ein genervter Autofahrer hupte. Schäringer sah sich um und bemerkte, dass sich der Verkehr, der von mehreren Verkehrspolizisten gestikulierend über den freien Teil der Kreuzung gelenkt wurde, dennoch in allen Richtungen staute.
Polizeiobermeister Simon Ludwig räusperte sich und sah dann zu beiden Unfallfahrzeugen, als müsste er sie vor Augen haben, um das Geschehen korrekt wiedergeben zu können. Er war einen ganzen Kopf kleiner als Schäringer, von mittlerer Statur und schätzungsweise Mitte dreißig. Unter seiner Dienstmütze lugte kurzes, hellblondes Haar hervor. Außerdem trug er eine Brille mit filigranem, goldfarbenem Metallgestell.
»Nach Aussagen der Golffahrerin, einer 43-jährigen Grundschullehrerin, und mehrerer Augenzeugen fuhr der Toyota mit überhöhter Geschwindigkeit bei Rot auf die Kreuzung und rammte dort den VW Golf, dessen Fahrerin Grün hatte. Der Fahrer des Toyota stieg jedoch zunächst nicht aus, sondern versuchte, den abgestorbenen Motor seines Fahrzeugs sofort wieder zu starten, was ihm jedoch trotz mehrerer Versuche nicht gelang. Deshalb verließ er schließlich doch den Wagen und rannte davon, ohne sich um den von ihm angerichteten Schaden zu kümmern und eine Aufnahme seiner Personalien zu ermöglichen. Laut Beschreibung durch die Geschädigte und die Zeugen …« Ludwig wandte den Blick von den Autos und richtete ihn auf das Klemmbrett in seiner Hand, um die exakten Daten abzulesen, die er sich notiert hatte. »… handelt es sich bei dem Fahrerflüchtigen um einen 25- bis 30-jährigen, ungepflegt wirkenden Mann mit langen, dunklen Haaren, ungefähr ein Meter fünfundsiebzig groß. Er trug eine hellgraue Jeans und ein weißes T-Shirt mit buntem Aufdruck. Mehreren Personen fiel auf, dass der Mann zahlreiche Piercings im Gesicht und großflächige Tätowierungen an den Armen hatte. Besonders einprägsam war dabei vor allem ein Skelett mit Wikingerhelm auf dem linken Unterarm, das eine große Axt schwingt. Nachdem der Unfallverursacher geflüchtet war, rief die Geschädigte die Polizei zu Hilfe. Als mein Kollege und ich daraufhin den Wagen durchsuchten, um einen Hinweis auf die Identität des Fahrers zu finden, stieß ich im Kofferraum auf die Leiche eines Mannes.«
»Vielen Dank.« Schäringer nickte dem uniformierten Kollegen zu, bevor dieser ging, um sich wieder seinen Aufgaben zu widmen.
»Schon wieder eine Leiche.« Baum seufzte tief. Er sah noch immer müde aus und hatte dunkle Ringe um die Augen. »Als hätten wir nicht schon genug davon.«
»Dieses Mal scheint es aber eindeutig das Opfer eines Tötungsdelikts zu sein.«
»Wie kommst du denn darauf, Franz? Du hast den Toten doch noch gar nicht gesehen.«
»Wie viele Selbstmörder oder Unfallopfer hast du denn schon gesehen, die im Kofferraum eines Autos gefunden werden?«
Baum überlegte kurz. »Du hast recht. Das spricht eher für Mord.«
»Lass uns hören, was Christian dazu zu sagen hat. Sieht so aus, als sei Dr. Mangold noch mitten in der Arbeit, deshalb stören wir ihn lieber nicht.«
Sie gingen zu Christian Krautmann, dem Leiter der Abteilung Spurensicherung und -auswertung, der nicht nur ein geschätzter Kollege, sondern auch ein guter Freund von Schäringer war. Die beiden hatten ungefähr zur selben Zeit bei der Kripo Fürstenfeldbruck angefangen und seitdem in unzähligen Fällen erfolgreich zusammengearbeitet. Gelegentlich trafen sie sich auch nach Feierabend, um irgendwo eine Flasche Wein zu trinken.
Krautmann trug einen partikeldichten, hellgrauen Schutzoverall mit schwarzem Polizei-Aufdruck auf dem Rücken und übergezogener Kapuze, dazu Einmal-Handschuhe aus Vinyl und weiße, reißfeste Überschuhe. Er war 56 Jahre, eins achtzig groß, hatte einen kugelförmigen Kopf und dünne, schwarze Augenbrauen und trug eine randlose Brille, deren Gläser seine Augen vergrößerten.
Schäringer und Baum blieben neben Krautmann stehen, der in der Nähe der offenen Fahrertür des Toyota stand und etwas auf einem Klemmbrett notierte. Anscheinend hatte er sie noch nicht bemerkt.
»Hallo, Christian«, sagte Schäringer, um die Aufmerksamkeit seines Freundes zu erregen. »Schon was herausgefunden?«
Krautmann brummte etwas Unverständliches, hob den Kopf und sah zuerst Schäringer und dann Baum finster an. Durch den Vergrößerungseffekt der Brillengläser wurde die Wirkung noch verstärkt. »Eigentlich habe ich nach dem gestrigen Tag schon mehr als genug unerledigte Arbeit auf meinem Schreibtisch. Und dann taucht schon wieder eine neue Leiche auf. Manchmal ist es wie verhext. Und jetzt kommt auch noch ihr beiden daher und lenkt mich von der Arbeit ab. Was willst du wissen, Franz?«
»Schon herausgefunden, wem der Toyota gehört?«
Krautmann nickte. »Der Halter des Fahrzeugs heißt Gerhard Biermann, kommt aus Mannheim und ist laut Auskunft der dortigen Zulassungsstelle 38 Jahre alt.«
»Dann kann er nicht der Kerl sein, der den Unfall verursacht hat und stiften gegangen ist«, sagte Baum und notierte sich die Informationen wie schon beim Bericht des Streifenpolizisten in sein Notizbuch.
»Sehe ich auch so«, stimmte Krautmann zu. »Allerdings könnte der Tote im Kofferraum Biermann sein. Der Wagen wurde nicht aufgebrochen und kurzgeschlossen, sondern mit dem Schlüssel geöffnet und gestartet, der noch immer im Zündschloss steckt. Im Inneren des Wagens wurden bislang keine Fingerabdrücke gefunden. Sieht ganz so aus, als sei alles sehr sorgfältig abgewischt worden. Nach Aussage einiger Zeugen soll der Unfallfahrer Handschuhe getragen haben.«
»Kannst du uns auch schon etwas über die Leiche sagen?«, fragte Schäringer.
»Der Tote weist mehrere Stichwunden auf, ist splitterfasernackt und wurde in durchsichtige Plastikfolie verpackt. Bedauerlicherweise hatte er auch keine Ausweispapiere bei sich, sondern nur einen gepackten Trolley. Aber wie schon gesagt, dürfte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Biermann handeln. Mehr über den Leichnam erfahrt ihr aber sicherlich von …« Er senkte die Stimme, damit der Gerichtsmediziner ihn nicht hörte. »… Dr. Tod.«
»Dr. Tod?«, flüsterte Schäringer mit gerunzelter Stirn. »Ist das etwa ein neuer Spitzname für ihn?«
»Wieso neu?«, fragte Baum. »Hatte er denn auch einen alten?«
»Soweit ich weiß, nicht«, sagte Schäringer. »Aber wer ist denn ausgerechnet auf Dr. Tod gekommen.«
Krautmann zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber er passt doch. Oder etwa nicht?«
»Er passt vermutlich auf jeden Rechtsmediziner, da sie in der Regel einen Doktortitel haben und ihre Kunden allesamt tot sind. Von daher ist er allerdings auch nicht besonders einfallsreich.«
»Mir gefällt er.« Baum grinste.
»Das dachte ich mir fast«, sagte Schäringer. Dann zu Krautmann: »Habt ihr die Tatwaffe gefunden?«
»Nein. Aber wenn derjenige, der dem armen Kerl das angetan hat, klug war, dann hat er sie in die Amper geworfen, sodass sie nie mehr auftaucht.«
»Hoffen wir mal, dass wir es mit einem dummen Mörder zu tun haben«, sagte Baum. »Schließlich war es auch nicht sehr klug, mit einer Leiche im Kofferraum bei Rot über eine Kreuzung zu rasen und ein anderes Auto zu rammen.«
»Ich danke dir, Christian«, sagte Schäringer. »Sag Bescheid, wenn du noch was für uns hast.«
»Mach ich.« Krautmann wandte sich ab, ging zur Fahrertür und beugte sich ins Innere des Toyota.
Schäringer und Baum gingen die wenigen Schritte bis zum Gerichtsmediziner, der noch immer neben dem offenen Kofferraum stand, die Latexhandschuhe abstreifte und einfach zu Boden fallen ließ.
»Schäringer«, sagte Dr. Mangold, der grundsätzlich jeden nur mit den Nachnamen ansprach, selbst wenn es die Kanzlerin oder der Papst gewesen wäre, und lächelte.
Der Kriminalhauptkommissar schätzte den Gerichtsmediziner auf Mitte fünfzig. Mit seinen eins fünfundachtzig war er nur geringfügig kleiner als Schäringer, dafür übertraf er diesen an Breite um das Doppelte. Das schwarzbraune Haar auf seinem Kopf war nicht echt, sondern eine Perücke, die böswilligen Gerüchten zufolge von einer Leiche stammen sollte, die auf seinem Seziertisch gelandet war. Dr. Mangold warf liebend gern mit lateinischen Fachausdrücken um sich und testete das Wissen seiner Gesprächspartner, sodass Unterhaltungen mit ihm Schäringer oft unangenehm an Ausfragen durch seinen ehemaligen Lateinlehrer erinnerten. Allerdings zeigte der Pathologe sich ihm gegenüber auch immer sehr auskunftsfreudig. Dr. Mangold trug eine braune Cordhose, ein kariertes Hemd und braune Halbschuhe.
»Und Sie sind Baum«, sagte der Rechtsmediziner und wandte sich an Schäringers Kollegen. »Ich erinnere mich an Sie. Sie sind der, der in der Schule kein Latein, sondern Französisch gelernt hat.« Er sagte es in einem Tonfall, als gäbe es nichts Schrecklicheres.
»Ist aber andererseits ganz praktisch, wenn man Urlaub in Frankreich macht«, erwiderte Baum schlagfertig.
»Und wie oft waren Sie in den letzten Jahren in Frankreich, junger Mann?«
»Gar nicht.«
»Sehen Sie!«, sagte Mangold mit hochgezogenen Augenbrauen. »Latein kann man hingegen immer gebrauchen. Vor allem natürlich in der Rechtsmedizin.« Er wandte sich an Schäringer. »Haben Sie schon einen Blick auf den Toten geworfen?«
Schäringer nickte. Er hatte die Zeit des Wortwechsels zwischen Baum und Mangold genutzt und sich den Leichnam im Kofferraum genauer angesehen. Der Tote hatte kurz geschnittenes, mittelblondes Haar und graue Augen, die weit offen standen und vom Tod getrübt waren. Ansonsten gab es allerdings keine Auffälligkeiten. Obwohl er verkrümmt im Kofferraum lag, weil er sonst nicht hineingepasst hätte, und seine Größe daher schwer zu schätzen war, ging Schäringer davon aus, dass er durchschnittliche Körpermaße hatte. Der Körper war wachsbleich und hob sich daher besonders deutlich von der schwarzen Matte auf dem Boden des Kofferraums ab. Die transparente Plastikfolie, mit der der Tote umwickelt gewesen war, war geöffnet und zurückgeschlagen worden, damit der Rechtsmediziner die Leiche untersuchen konnte. Sie wies mehrere blutige Flecken auf, doch für die zahlreichen Stichwunden, die der Leichnam aufwies, war es entschieden zu wenig Blut. Der Mann war also woanders erstochen und erst dann verpackt und in den Kofferraum gelegt worden.
»Starb er am Blutverlust?«, fragte der Kriminalhauptkommissar.
»Früher oder später wäre er das angesichts der multiplen Stiche und des daraus resultierenden Blutverlustes gewiss. Doch bevor es dazu kommen konnte, durchbohrte das Messer sein Cor. Das ist …«
»… das Herz.« Baum grinste, als sowohl Dr. Mangold als auch Schäringer ihn überrascht ansahen.
»Ich dachte, Sie können kein Latein, Baum.«
»Ein paar Begriffe habe ich inzwischen gelernt.«
»Und woher?«, fragte Schäringer. »Hast du etwa einen VHS-Kurs belegt? Latein für Anfänger.«
»Nein. Meine derzeitige Freundin ist Medizinstudentin. Gelegentlich muss ich bei ihr den Stoff abfragen, und da bleibt das eine oder andere hängen.«
»Ach so.« Schäringer hob die Augenbrauen. »Deshalb hast du vorletzte Nacht also zu wenig Schlaf bekommen.«
»Nein, das hatte andere Gründe.« Baum winkte ab. Er konnte es jedoch nicht verhindern, dass sein Gesicht ein intensiveres Rot zeigte, als es sonst der Fall war.
»Können wir jetzt vielleicht wieder zu den wichtigen Dingen des Lebens zurückkommen?«, fragte der Rechtsmediziner.
Schäringer und Baum nickten nur.
»Danke. Auf jeden Fall haben Sie recht, Baum. Einer der Stiche ging ins Herz. Und das führte in kürzester Zeit zu einer Perikardtamponade. Wissen Sie in Ihrer grenzenlosen Weisheit vielleicht auch, was das Perikardium ist, Baum?«
Dieser zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, aber das kam noch nicht dran.«
»Der Herzbeutel. Merken Sie sich das für die Zukunft, Baum!«
Baum nickte.
»Und Sie auch, Schäringer.«
Der Kriminalhauptkommissar wies auf die rechte Hand des Toten, an der sich ein tiefer Schnitt befand. »Ist das eine Abwehrverletzung.«
»Davon gehe ich aus. Ich nehme an, dass er den ersten Stich mit der Hand abwehren konnte. Es ist allerdings die einzige Verletzung an seinen Händen.«
»Dann bedeutet das wohl, dass er sich danach nicht mehr wehren konnte.«
Dr. Mangold nickte. »Vielleicht wurde er festgehalten.«
»Das heißt, dass der Täter möglicherweise nicht allein war, sondern einen oder mehrere Komplizen hatte.«
»Ja. Aber das herauszufinden ist Ihre Aufgabe, meine Herren. Ich kann Ihnen nur sagen, was der Leichnam mir erzählt.«
Schäringer dachte an den neuen Spitznamen des Rechtsmediziners, der möglicherweise doch ganz passend war, und erschauderte. »Hat er Ihnen wenigstens gesagt, wann er gestorben ist?«
Dr. Mangold bekam die Ironie nicht mit. Er wiegte den Kopf hin und her, bevor er antwortete: »Schätzungsweise vor sechs bis vierzehn Stunden.«
»Letzte Nacht also.«
Der Mediziner nickte. »Vielleicht kann ich den Zeitrahmen noch etwas enger ziehen, nachdem ich ihn genauer untersuchen konnte.«
»Was ist mit der Tatwaffe?«
»Ein schmales, langes Messer mit gerader Klinge. Schätzungsweise zwischen 15 und 25 Zentimeter lang. Wenn Sie mich fragen. Schäringer …« Der Pathologe sah den Kriminalhauptkommissar an und hob fragend die Augenbrauen.
Schäringer seufzte. »Haben Sie eine Vermutung, welche Art von Messer benutzt wurde, Dr. Mangold?«
Der Rechtsmediziner strahlte. »Gut, dass Sie fragen, Schäringer. Die habe ich nämlich in der Tat. Meiner Meinung nach stammen die Stichwunden von einem Fleisch- oder Tranchiermesser.«
»Das könnte auf eine Tat im Affekt oder in Notwehr hindeuten«, meldete sich Baum zu Wort. »Der Täter …«
»… oder die Täterin«, sagte Dr. Mangold mit hochgezogenen Augenbrauen tadelnd.
»… oder die Täterin«, wiederholte Baum gehorsam, »griff nach dem erstbesten Gegenstand, der greifbar war, und ertastete den Messerblock auf der Küchentheke. Er …« Er sah den Mediziner an. »… oder sie zieht zufällig das Fleischmesser heraus und sticht zu.«
»Die hohe Zahl der Stichwunden spricht meiner Meinung nach gegen Notwehr«, widersprach Schäringer. »Wieso sollte der Täter so oft zustechen, wenn es ihm nur darum ging, einen Angriff abzuwehren.«
»Ein Exzess«, schlug Dr. Mangold vor.
Schäringer zuckte mit den Schultern und warf einen weiteren Blick auf die Leiche. »Trotzdem – jemanden im Affekt oder in Notwehr zu töten, ist eine Sache. Die Leiche anschließend in den Kofferraum zu legen, um sie irgendwo verschwinden zu lassen, eine ganz andere. Das Erste geschieht ohne Vorsatz, das Zweite erfordert hingegen Kaltblütigkeit und Planung. Kurz gesagt, es passt meiner Meinung nach nicht zusammen.«
»Zum Glück ist es Ihre und nicht meine Aufgabe, dieses Rätsel zu lösen«, sagte Dr. Mangold. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich momentan nach der ersten Inaugenscheinnahme des Leichnams weiß. Mehr erfahren Sie dann in meinem schriftlichen Bericht über das Ergebnis der Obduktion. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, meine Herren. Mich erwartet im Sektionsraum noch eine Menge Arbeit.«
Schäringer bedankte sich bei Dr. Mangold. Dann verabschiedeten sich die beiden Kriminalbeamten und gingen zu ihrem Wagen, den sie am Rand der Absperrung abgestellt hatten.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Baum.
»Du lässt dich von einem Streifenwagen zur Inspektion bringen, Lutz. Versuch so viel wie möglich über Gerhard Biermann, den Halter des Toyota, herauszubekommen. Wie waren seine Lebensverhältnisse? Was tat er hier? Was machte er beruflich? Vielleicht findest du im Internet sogar ein Foto, damit wir abklären können, ob es sich bei dem Leichnam im Kofferraum tatsächlich um ihn handelt.«
»Und was hast du vor?«
»Ich versuche herauszufinden, wer den Toyota zuletzt gefahren und nach dem Unfall Fersengeld gegeben hat.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Nach Aussage der Augenzeugen hatte der Kerl zahlreiche Tätowierungen. Und dabei ist ihnen vor allem eine Tätowierung im Gedächtnis geblieben, die meiner Meinung nach sehr markant und möglicherweise einzigartig ist.«
»Der skelettierte Wikinger mit der Axt.«
Schäringer nickte. »Ich frage jemanden, der sich mit Tätowierungen auskennt.«
Baum hob die Augenbrauen. »Dann weiß ich ja, zu wem du gehst.«
»Soll ich ihm von dir einen schönen Gruß ausrichten?«, fragte Schäringer grinsend.
Doch sein Kollege schüttelte voller Entrüstung den Kopf. »Bloß nicht. Der Typ will mich nur wieder dazu überreden, mir ein Herz und die Worte Mamas kleiner Liebling tätowieren zu lassen.«
Die elektronisch verstärkte Glocke läutete extrem laut, als Schäringer das Tätowierstudio namens »Tattoo-Angel« im Erdgeschoss eines heruntergekommenen, mehrstöckigen Hauses betrat. Das Studio war verlassen, doch aus einem Durchgang im Hintergrund des Raums, der von einem schwarzen Vorhang verdeckt wurde, meldete sich eine unglaublich tiefe Stimme mit den Worten: »Komme gleich.«
Schäringer sah sich um. Seitdem er mit Baum zum ersten Mal hier gewesen war, hatte sich nichts verändert. In der Ecke neben der Eingangstür stand eine Sitzgruppe aus nicht zueinanderpassenden Sperrmüllmöbeln, bestehend aus einem zerschlissenen Sofa und vier Sesseln um einen zerkratzten Holztisch herum, auf dem zerfledderte Zeitschriften über Tattoos und Motorräder lagen. Die Wände waren mit Tätowiermotiven tapeziert, mit denen auch das einzige Schaufenster zugeklebt war, hinter dem sich das eigentliche Studio befand, das durch einen Vorhang vom Eingangs- und Wartebereich abgetrennt werden konnte. Dort stand der wuchtige, mit schwarzem Vinyl bezogene Tätowiersessel, dessen gepolsterte Rücken- und Armlehnen und Bein- und Fußstützen hydraulisch verstellt und nahezu jeder Körperhaltung angepasst werden konnten. Daneben ein höhenverstellbarer Hocker mit Vinylbezug, eine Stehlampe auf Rollen mit mehrfach verstellbarem Schwenkarm und eingebautem Vergrößerungsglas sowie eine Armlehne mit gepolstertem Kissen, auf dem der Tätowierer bei den Sitzungen, die oft mehrere Stunden dauern konnten, seinen Arm ablegen konnte. Neben dem Hocker stand ein Trolley aus Metall mit zwei Ablagefächern, auf denen die Tattoo-Maschine, Nadeln und Farben lagen.
»Haben Sie sich jetzt etwa doch dazu entschlossen, sich tätowieren zu lassen, Herr Polizist?«
Schäringer wandte den Kopf und betrachtete den Riesen, der den Vorhang zur Seite geschoben und aus dem Durchgang ins Studio gekommen war.
Angel Michael Grimm überragte sogar den Kriminalhauptkommissar, der mit seinen eins neunzig alles andere als ein Zwerg war, um mindestens fünfzehn Zentimeter. Er war Mitte dreißig und hatte einen massigen Körper mit ausladenden Schultern und einem dicken Bauch. Sein Schädel war riesig, von schwarzen Haaren geradezu überwuchert und wuchs ohne erkennbaren Übergang aus seinem tonnenförmigen Brustkorb, der ebenfalls von einem dichten, schwarzen Pelz bedeckt war, der aussah wie ein langfloriger Teppichboden, den er sich auf den Körper geklebt hatte. Im Gegensatz zu ihrer letzten Begegnung war das lange Haar allerdings nicht mehr zu einem Pferdeschwanz gebunden, sondern wie auch der dichte Vollbart zu unzähligen, dünnen Rastazöpfen, sogenannten Micro Braids, geflochten, die zusätzlich mit bunten Perlen verziert waren. Lediglich die wulstigen Lippen, die an eine Knolle erinnernde Nase und ein kleiner Bereich um seine warmherzigen, braunen Augen waren unbehaart. Wie auch beim letzten Mal war Grimm von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, vom ärmelloses Shirt mit dem Aufdruck einer Heavy Metal Band, die der Kommissar nicht kannte, über die Lederhose, die nicht nur von einem nietenbeschlagenen Ledergürtel, sondern auch von den breiten Hosenträgerriemen an Ort und Stelle gehalten wurde, bis hin zu den rindsledernen Motorradstiefeln, die mehr als nur ein modisches Accessoire waren, da der Tätowierer stolzer Besitzer einer Harley-Davidson FLSTF 1584 Fat Boy war. Und als wäre Grimm eine fleischgewordene Litfaßsäule, die Werbung für die eigene Arbeit machte, waren die sichtbaren Teile seiner Arme vom Handrücken bis zu den Schultern mit Tattoos übersät. Allerdings keine düsteren Bilder, sondern eher religiöse Motive wie Kreuze, Engel und Bibelzitate. Auch auf die einzelnen Glieder seiner Finger waren Buchstaben tätowiert worden. Auf seiner rechten Pranke ergaben sie das Wort G-O-T-T, auf seiner linken J-E-S-U. Im Gesicht gab es, vermutlich mangels unbehaarter Stellen, keine Tattoos, dafür silberne Piercings in den Ohren, den Lippen, der Nase und den Augenbrauen.
»Für Tattoos bin ich definitiv zu alt.«
»Dafür ist man nie zu alt.« Grimm trat näher und reichte dem Polizisten die bratpfannengroße Hand, auf deren Fingern G-O-T-T zu lesen war. »Sie glauben gar nicht, wer alles zu mir kommt, um sich tätowieren zu lassen.«
Schäringer schüttelte die Hand des Riesen vorsichtig. Er hatte befürchtet, es könnte ihn ein paar Finger kosten, doch Grimms Handgriff war zwar zupackend, aber nicht schraubstockartig. »Trotzdem ist das nichts für mich.«
»Was vermutlich weniger an Ihrem Alter, sondern eher an Ihrer konservativen Gesinnung liegt.«
»Man muss nicht konservativ sein, um sich kein Tattoo machen zu lassen«, widersprach Schäringer. »Es reicht schon, dass man es nicht mehr so leicht loswird, wenn man es sich irgendwann anders überlegen sollte.«