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Kitabı oku: «Humoresken (Zweites Bändchen)», sayfa 3

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Zweites Kapitel

Fünf Minuten nach sieben war die Versammlung vollzählig.

Pierrot ergriff das Wort und schilderte in den lebhaftesten Farben die erlittene Unbill. Er forderte die Gressineter auf, diese blutige Beleidigung durch eine exemplarische Bestrafung der Mutterstadt glorreich zu sühnen.

Nach längeren Debatten faßte man den Beschluß, Clatou am nächsten Sonntag während der Kirche zu überfallen, dem Haupturheber des frevelhaften Attentates die Fenster einzuwerfen und einen etwaigen Widerstand mit bewaffneter Hand zu bewältigen …

Das war eine verwegene Idee. Ihre Annahme läßt sich nur aus der krankhaften Steigerung des intermunicipalen Hasses erklären, der bei den Gressinetern die Stimme der Vernunft völlig übertäubte. O, hättet ihr den Plan Jules Pierrot's verworfen! Ihr würdet ihm und euch viel Trauer und Herzeleid erspart haben!

Der verhängnisvolle Sonntag kam heran. Die Glocken von Clatou hatten langsam ausgeläutet. Die gesammte Bürgerschaft – mit der einzigen Ausnahme eines lüderlichen Zecherkleeblatts und verschiedener Greise, Wöchnerinnen und Kranken – befand sich im Gotteshause. Herr Laloupon, der Geistliche, predigte über die Bibelstelle: »Selig sind die Friedfertigen –« und erging sich in eifrigen Angriffen auf die Störer der öffentlichen Ordnung. Die Clatounesen schmunzelten, denn sie fühlten, daß Herr Laloupon auf die Gressineter stichelte.

Da zog aus den Thoren der rebellischen Colonie eine Schaar von fünfzig oder sechzig kräftigen Burschen – so ziemlich die ganze waffenfähige Mannschaft des Pflanzdorfes – und wandte sich in raschem Halbtrabe dem arglosen Clatou zu.

Nach fünf Minuten war die Mutterstadt erreicht. Jean, der alte stelzfüßige Polizist, wurde über den Haufen gerannt. Dann plötzlich klirrte ein Hagel von Steinen wider die Façade eines der stattlichsten Häuser der Hauptstraße, und ein lautes Hurrah des Rächercorps verkündete, daß die Salve von wunderbarster Wirkung gewesen.

Alsbald regte es sich in den Hallen der Kirche. Die Weiber und Kinder erhoben ein klägliches Angstgeschrei. Die Männer rüsteten sich zur Gegenwehr. Die clatounesische Übermacht gestattete keinen Zweifel über den Ausgang des Handgemenges. Jules Pierrot, der unter den Vordersten war, wurde an der Kirchentreppe von einem gigantischen Schlossergesellen in Bearbeitung genommen. Zu seinem wahnwitzigsten Entsetzen bemerkte er unter den Damen, die sich nach der Pforte des Gotteshauses drängten, Marion Leclerc, die Geliebte seines Herzens. Sie sollte jetzt zum zweiten Male mit ansehen, wie ihr treuer Cavalier von pöbelhaften Fäusten mißhandelt wurde. Jules Pierrot rang wie ein Verzweifelter; aber der Schlossergeselle war ein Hercules, legte ihn über das Knie und erteilte ihm eine Lection, wie sie Herr Croquepeu, der Schulmeister, seinen Zöglingen nicht kunstgerechter hätte angedeih'n lassen können. Ähnlich wie dem Liebhaber Marion's erging es den meisten Gressinetern; nur Wenige schlugen sich rühmlich durch und erreichten die Colonie; die Übrigen wurden schauderhaft zerwalkt und dann in Masse nach der »Violine«, das heißt nach der Wache gebracht.

Herr Clamard, der Maire, rieb sich die Hände. Die Gressineter knirschten vor Schmerz und Erbitterung. Herr Laloupon, der Pfarrer, ließ ein Tedeum anstimmen.

Drei Tage später wurden sämmtliche an dem Krawall betheiligten Colonisten mit mehreren Wochen Polizeigefängnis bestraft.

Drittes Kapitel

Auch dieses Leid trug dazu bei, den Zorn der Gressineter zum Paroxysmus zu steigern.

Als die Gemaßregelten die Freiheit wieder erlangt hatten, berief Jules Pierrot die Bürgerschaft des unglücklichen Pflanzdorfes zu einer abermaligen Generalversammlung in die Scheune des ehrwürdigen Herrn Grimmont.

Die Eingeladenen erschienen mit mathematischer Pünktlichkeit. Drei oder vier der besiegten Sonntagskämpfer trugen noch die Spuren ihrer Niederlage in den finster blickenden Gesichtern. Über der ganzen corona civium lagerte eine düstere, unheilschwangere Stimmung.

Jules Pierrot ergriff das Wort.

»Mitbürger!« sagte er langsam und feierlich. »Die Würfel sind gefallen!«

Ein dumpfes Murmeln ging durch die Reihen der Zuhörer.

»Eine schamlose Vergewaltigung, wie wir sie in den Annalen unserer vaterländischen Geschichte nicht zum zweiten Male verzeichnet finden, hat die letzten Bande der Pietät, die uns an das verabscheuungswürdige Clatou knüpfen mochten, für alle Zeiten zerrissen!«

Lange anhaltender Applaus.

»Mitbürger!« fuhr Pierrot fort, »wir müssen Clatou moralisch vernichten …«

Athemlose Spannung.

»Es genügt hinfür nicht mehr, daß sich Gressinet eine Gemeinde nennt: wir müssen eine Gemeinde werden! Setzen wir Gut und Blut an die Erreichung dieses glorreichen Zieles!«

»Hoch! hoch!« schrieen die Gressineter in donnerndem Chorus.

»Patrioten! Suchen wir Clatou zu verdunkeln, zu überflügeln, zu zermalmen! Clatou besitzt eine Schule mit zwei Elementarlehrern: stellen wir, dem Tyrannen Clamard zum Hohne, drei Elementarlehrer mit je zweihundert Franken Gehalt und freiem Holz an!«

»Unterstützt! Unterstützt!« riefen drei oder vier der eifrigsten Vaterlandsfreunde. »Ich zeichne zehn Franken!« – »Ich zwölf!« – »Ich fünfundzwanzig!«

»Aber nicht genug,« fuhr Pierrot fort, »daß wir im Punkte der Intelligenz die Clatounesen überholen müssen: es gilt auch die municipalen Institute dergestalt zu entwickeln, daß man höheren Ortes unsere Reife erkennt und, Herrn Clamard zum Trotz, unsere Berechtigung, als selbstständige Gemeinde aufzutreten, amtlich sanctionirt!«

»Sehr wahr! Hört, hört!«

»Bürger! Zu den wichtigsten Errungenschaften eines municipalen Gemeinwesens gehört unstreitig der Besitz einer unabhängigen Feuerspritze! Schaffen wir eine Feuerspritze an!«

»Hoch! hoch!« schrieen die begeisterten Gressineter. »Es lebe Jules Pierrot! Hoch! hoch!«

»Aber eine Feuerspritze kostet ein Heidengeld!« bemerkte einer der Versammelten.

»Das ist wahr!« versetzte ein Zweiter.

»Sehr richtig!« murmelte ein Dritter.

»Patrioten!« schrie Pierrot … »Wo es die Ehre Gressinet's gilt, da ist keine Ausgabe unerschwinglich! Denkt euch übrigens nur einmal folgenden Fall! Die Clatounesen, von dem leidenschaftlichen Drange ihres Hasses getrieben, nahen uns eines schönen Tages mit Fackeln und Pechkränzen! Sie zünden uns insgeheim das Haus über dem Kopfe an! … Bürger! Was soll aus uns werden, wenn wir unter sothanen Umständen keine Feuerspritze besitzen?«

»Er hat Recht! Wir sind es nicht nur unserer Ehre, sondern mehr noch unserer Sicherheit schuldig, nichts zu versäumen, was die schmachvollen Pläne der Clatounesen vereiteln kann! Vae victis, sagt der Lateiner! Schaffen wir eine Spritze an!«

Es war Croquepeu, der Schulmeister, der durch diesen pathetischen Mahnruf die Versammelten elektrisirte und einen neuen Sturm des Beifalls entfesselte.

»Ich bitte noch für einige Augenblicke um eure Aufmerksamkeit!«

»Reden Sie, reden Sie! Ruhe! Jules Pierrot hat das Wort! Wollt ihr still sein dahinten? Reden Sie!«

»Meine Freunde! Wir leben im neunzehnten Jahrhundert …«

»Sehr wahr! Bravo!«

»Ruhe! Ruhe!«

»Das neunzehnte Jahrhundert ist das Jahrhundert der Bildung, der Intelligenz, des allgemeinen Stimmrechts, der öffentlichen Meinung! Was aber ist der bedeutsamste Hebel der öffentlichen Meinung …«

»Die Weiber!« schrie im Hintergrund eine volltönende Baßstimme …

»Die Presse!« vollendete Jules Pierrot mit theatralischer Würde. »Ja, meine Mitbürger, die Journalistik ist heutzutag' eine Großmacht. In Paris, unsrer heiligen Metropole, habe ich ihren Einfluß kennen und achten gelernt. Männer von Gressinet! Gründen wir eine Zeitung!«

Lautlose Stille.

»Aha, ein Wochenblatt,« meinte endlich Goguenard, der Weinwirth … »Ich bin dabei, lieber Herr Jules!«

»Ein Journal?« rief der Krämer Léon … »Das wird amüsant. Ich mache mit, lieber Pierrot!«

»Gründen wir eine Zeitung!« sagte jetzt auch Croquepeu, indem er sich nach Möglichkeit in die Brust warf. »Clatou besitzt seit einem Jahre den ›Clatouneser Beobachter‹! Schaffen wir ein Organ, das die schamlosen Verleumdungen dieses ›Beobachters‹ energisch zurückweisen und der staunenden Welt zeigen kann, daß der alte glorreiche Sinn der Gressineter noch nicht ausgestorben ist, daß wir die Standarte der Wahrheit hochhalten, und die angestammten Rechte eines freien Volkes unbeugsam zu wahren wissen!«

Die Versammlung applaudirte begeistert. Man schritt zur Abstimmung. Sämmtliche Anträge Pierrot's wurden mit großer Majorität angenommen.

Goguenard, der Weinwirth, trat an die Spitze der Spritzencommission.

Léon, der Krämer, erklärte sich bereit, die Collecte für die Schulmeister zu leiten.

Das zu gründende Journal wurde dem Antragsteller persönlich überlassen.

Es sollte vorläufig dreimal monatlich erscheinen und in St. Quentin auf Gemeindekosten gedruckt werden.

Man setzte schließlich als Titel die geschmackvolle Bezeichnung: ›Der unverzagte Streiter von Gressinet‹ fest und verpflichtete den Redacteur Pierrot, in jeder Nummer eine eclatante Schandthat der Clatounesen dem Urtheile Europa's Preis zu geben.

Hierauf erklärte Jules die Versammlung für aufgehoben. Jean-Baptiste Grimmont, der Älteste im Rathe, umarmte den kühnen Jüngling unter lautem Schluchzen, blickte zum Himmel auf und sprach:

»Ich danke dir, Herr, daß du mich aufbehalten hast, diese Freude noch zu erleben! Ich werde jetzt, so du gebeutst, gern in die Grube fahren.«

Jules Pierrot war sichtlich gerührt. Ein leises Zucken spielte wie Wetterleuchten um die sonst so mannhaften Lippen.

»Ehrwürdiger Freund!« sagte er mit tremulirender Stimme … »ich thue nur meine Pflicht! Nicht an mich dürfen Sie sich wenden, wenn Sie Ihren Gefühlen Ausdruck verleihen wollen, sondern an das Volk, an die gesammte Bürgerschaft. Wir alle sind ja von dem gleichen Gedanken beseelt, der in den heiligen Worten gipfelt: Vorwärts mit Gott für unser geliebtes, glorreiches Gressinet!«

Viertes Kapitel

Die Angelegenheiten der jungen Gemeinde nahmen von dieser Stunde an in der That einen Aufschwung, der den Segen des Himmels deutlich erkennen ließ.

Die Schulmeister wurden engagirt, wiewohl man den vorgeschlagenen Gehalt nachträglich auf siebzig Franken jährlich verringerte.

Die Feuerspritze wurde gekauft und in der Scheuer Grimmont's sorgfältig untergebracht.

Die erste Nummer des ›Unverzagten Streiters von Gressinet‹ erschien in Klein-Octav und erfreute sich des allgemeinsten Beifalls. Der Leitartikel, von Croquepeu verfaßt, behandelte das mehrfach erwähnte Steinwurf-Attentat der Clatounesen unter dem pittoresken Titel: ›Wie man in Clatou das Recht freier Bürger achtet!‹; – während Jules Pierrot unter der Rubrik: ›Clatounesische Lügen‹ nachzuweisen suchte, daß in ganz Clatou kein vorurtheilsloser Ehrenmann lebe, und daß insbesondere die Justiz viel zu wünschen lasse.

Bereits wenige Tage nach erfolgtem Ankauf der Feuerspritze begann Gressinet mit den Übungen.

Es war ein feierlicher Moment, als die Bürgerschaft sich vor das roth und blau lackirte Instrument spannte und vor das Dorf auf die »Gemeindewiese« marschirte, wo das erste Probespritzen stattfinden sollte.

Croquepeu dichtete aus Anlaß dieses bedeutsamen Ereignisses eine Cantate, deren Refrain also lautete:

 
»So fürchten wir nie des Verrathes Brand:
wir spritzen für Freiheit und Vaterland.«
 

Unter den weihevollen Klängen einer großen Harmonika wurden die ersten Stöße geleistet. Das Pumpwerk übertraf an Promptheit und Energie alle Erwartungen. Diese Spritze zu bedienen, war eine Lust, eine ideale Beschäftigung, die an das freie Schaffen des gottbegnadeten Künstlers erinnerte.

Die Gressineter waren just in der besten Arbeit, als unvorsichtiger Weise Herr Laloupon, der Pfarrer von Clatou, vorüberging. Alsbald erinnerte man sich des Tedeums, das dieser entartete Priester aus cynischer Freude über die Mißhandlung des Gressinetischen Rächercorps' hatte anstimmen lassen. Eine diabolische Wuth bemächtigte sich aller Gemüther. Croquepeu, der die Spitze des Schlauches hielt, wechselte mit Jules Pierrot einen Blick des Verständnisses, wartete, bis der Pfarrer etwa zehn Meter entfernt war, und richtete dann den straffen Strahl mit seiner vollen Vehemenz auf die unteren Rückenwirbel des Dahinwandelnden.

Die Wirkung war colossal. Der Diener der Kirche wurde nicht nur vollständig durchnäßt, sondern auch empfindlich contusionirt. Zornglühend hinkte er nach Hause und sandte alsbald dem Maire ein langes Klageschreiben, worin er um Genugthuung für die erlittene Injurie bat, Gott zum Zeugen für die fortschreitende Entartung des Menschengeschlechts anrief, und die Gressineter mit den Philistern und anderen heidnischen Völkerschaften verglich.

Des anderen Tages schickte der Bürgermeister zwei berittene Gensdarmen aus und ließ die Feuerspritze im Namen des Gesetzes confisciren.

Alle Reclamationen der Betroffenen blieben erfolglos. Der Maire gab zur Antwort, Gressinet gehöre zur Gemeinde Clatou, und sobald es in Gressinet brenne, werde er, Clamard, von Amtswegen für die erforderlichen Löschmaßregeln Sorge tragen. Eine eigene Spritze sei subordinationswidrig.

Der ›Unverzagte Streiter von Gressinet‹ brachte in seiner nächsten Nummer einen Leitartikel, betitelt: ›Wo soll das enden?‹ Herr Clamard war in besagtem Aufsatze auf's Leidenschaftlichste angegriffen. Croquepeu schloß mit der bedeutsamen Wendung: »Und so werden wir, angesichts der obwaltenden Verhältnisse, höheren Ortes das Recht suchen, das uns von maßgebender Seite in einer so durchaus nicht näher zu qualificirenden Weise verweigert wird.«

Diese Drohung des ›Unverzagten Streiters von Gressinet‹ ward noch in derselben Woche verwirklicht.

Jules Pierrot verfaßte eine Adresse an den Sous-Préfet, die sich alsbald mit Unterschriften bedeckte.

Das ebenso klar als taktvoll gehaltene Document hob die Wichtigkeit einer municipalen Entwickelung Gressinets aufs Nachdrücklichste hervor und betonte die hohe culturgeschichtliche Bedeutung gut organisirter Lösch-Apparate. Dann ging die Adresse auf den speciellen Fall ein und erhärtete mit allen Mitteln der Logik, daß Herr Clamard, der Maire, sich eines Gewaltstreiches schuldig gemacht habe, um dessen geneigte Abstellung man um so dringender bitte, als bereits die Presse anfange, die Angelegenheit in unangenehmer Weise zu interpretiren. Die Ehre Gressinet's erheische eine schleunige und glänzende Satisfaction.

Leider hatte der Unterpräfect eine Nichte der Schwägerin des angeheirateten Onkels des Bürgermeister zur Frau.

Die Petition wurde zurückgewiesen.

Man wandte sich nun mit einer neuen Beschwerde an den Präfecten.

Leider war der Präfect ein Duzbruder des Unterpräfecten.

So machten denn die Gressineter abermals Fiasco.

Das journalistische Organ der jungen Gemeinde führte indeß nicht umsonst den Titel: ›Der unverzagte Streiter‹! Die wackern Bürger ließen sich durch das mehrmalige Fehlschlagen ihrer Hoffnungen nicht abschrecken.

Es war seit einiger Zeit das dunkle Gerücht nach Gressinet gedrungen, Napoleon III. und sein Gouvernement seien liberal geworden.

Die Gressineter wußten zwar nicht genau, was sie sich unter diesem ›Liberalismus‹ zu denken hatten, aber eine instinctive Ahnung sagte ihnen, Liberalismus sei etwas Ähnliches wie Liberalität; und da überdies Jules Pierrot versicherte, in Paris sei jeder anständige Mensch liberal und der Kaiser folge nur dem Gebote der öffentlichen Meinung, wenn er sich gleichfalls zum Liberalismus bekehrt habe, so beschloß man, die Sache bis aufs Äußerste zu treiben und in Angelegenheiten der Feuerspritze eine Adresse an Se. Excellenz den Minister des Innern aufzusetzen.

Am 14. Juli 1870 ging also ein recommandirtes Sendschreiben nach Paris ab. Nachschriftlich war dem Document die Bitte um recht baldige Erledigung beigefügt, da es ja leicht einmal in Gressinet brennen könne, und die Bürgerschaft alsdann in die größte Verlegenheit gerathen würde, wenn keine Spritze zur Hand sei.

Die Patrioten warteten von Tag zu Tag, aber es kam keine Antwort. Wohl aber erschreckte sie eines schönen Morgens die Nachricht, daß der große Staatsmann Emil Ollivier an Preußen den Krieg erklärt habe.

»O weh,« sprach Croquepeu, als er am Abend nach dieser verhängnisvollen Botschaft mit Jules Pierrot in der Weinschenke des würdigen Goguenard saß, »da sieht's schlecht aus mit unserer Petition! Die Herren in Paris werden jetzt an größere Dinge zu denken haben, als an Gressinet und die Feuerspritze.«

»Pah,« erwiderte Goguenard, »haben wir nicht ausdrücklich um rasche Erledigung gebeten? Es ist ja doch wahrhaftig keine große Mühe, ein ›Genehmigt‹ an den Rand zu schreiben, und das Ding auf die Post zu geben.«

»Goguenard, Goguenard, ich verstehe mich besser auf diese Späße. Unsere Spritze ist für immer zu den Todten geworfen.«

»Unsinn! Wie lange wird denn der Krieg dauern! Die paar Kosacken nehmen wir auf den kleinen Finger. Nun, und wenn sie erst wieder Frieden gemacht haben und die rothen Bänder vertheilen, hernach wird auch unsere Spritze erledigt. Man muß die Geduld nicht verlieren. Nicht wahr, Herr Jules?«

»Hm, hm,« versetzte Jules Pierrot, – »ich glaube zwar auch, daß wir in höchstens vierzehn Tagen Preußen so ziemlich erobern werden, aber mit dem Friedenschließen geht's nicht immer so glatt, wie man denkt. Als ich in Paris war, da schlugen sich die Deutschen drüben über dem Rhein. Nun, die Geschichte hat auch nicht lange gedauert, was die eigentliche Kriegführung betraf; aber bis alles wieder im Reinen war, ist doch manches Quart die Seine hinuntergeflossen. Ich meinestheils wäre der Ansicht, wir warteten gar nicht ab, was das Ministerium beschließt, sondern holten uns die Spritze auf eigene Faust.«

»Das ist ein Gedanke!« rief Croquepeu. »Weiß Gott, Jules, du hast mitunter prächtige Einfälle! Wo steht die Spritze?«

»Im Hinterhofe des Maire,« versicherte Goguenard. »Aber schwer wird sie zu kriegen sein. Der Hof ist ummauert und vor der Thür liegt ein Schloß, das seine vier Kilogramme wiegt. Nein, Kameraden, so wird nichts ausgerichtet!«

»Nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht in einigen Wochen,« erwiderte Jules mit Würde. »Ich will euch was sagen. Es gilt hier vor allen Dingen, die richtige Gelegenheit auszukundschaften. Ich will spioniren.«

»Aha!« schmunzelte Croquepeu mit einem verständnißreichen Augenzwinkern.

»Goguenard,« sagte Jules, »da Sie uns eigentlich auf diese Idee gebracht haben, so sollen auch Sie erfahren, was ich bis jetzt nur meinem vertrautesten Freunde, dem hier anwesenden Schulmeister Henri Jérôme Croquepeu mitgetheilt habe …«

Der Weinwirth horchte auf.

»Ja, Meister Goguenard,« fuhr Jules mit geheimnisvoller Betonung fort, – »ich bin der Mann, der die Verhältnisse in dem Clamard'schen Hinterhofe gründlich in Augenschein nehmen und den geeigneten Moment der That mit Zuverlässigkeit berechnen kann. Sie sind discret, Goguenard …«

Der wackere Bürger legte zur Betheuerung seiner Verschwiegenheit die rechte Hand in die Herzgrube.

»Nun denn …« flüsterte Jules, »ich bin der Verlobte der schönen Marion Leclerc …«

»Nicht möglich!« rief Goguenard. »Sie, Herr Jules, der feurigste Patriot, der glühendste Gegner der Clatounesen, der … wie soll ich nur sagen … Sie, der Chef der ganzen Agitation …«

»Liebster Freund,« versetzte Jules bedeutungsvoll, »es giebt Angelegenheiten, in denen die Parteiunterschiede aufhören. Nehmen sie z. B. einmal an, die Preußen trügen über unsere glorreichen Heere den Sieg davon …«

»Pah!« lachte Goguenard.

»Nun natürlich, es ist nur eine Annahme! Aber gesetzt den Fall … die feindlichen Armeen überschwemmten unser Departement … Glauben Sie, daß im Angesicht des gemeinsamen Gegners der Zwist der Gressineter und Clatounesen fortbestehn würde? Goguenard! Ich bin Gressineter mit Leib und Seele! Sie kennen meine Thaten, – ich brauche daher keine überflüssigen Worte zu machen! Aber so unversöhnlich wir auch die verrätherischen Bewohner von Clatou hassen – eins werden wir doch nie und nimmer vergessen: sie sind Franzosen! Gegen die Bajonnete der Preußen würden wir selbst die Clatounesen bis auf den letzten Mann vertheidigen. Habe ich Recht?«

»Ohnstreitig!« rief Croquepeu begeistert, während er das volle Glas zum Mund führte.

»Wenn's die beiden Herrn sagen, dann muß es wohl wahr sein,« versetzte Goguenard nachdenklich …

»Nun, sehen Sie wohl: wie's im Krieg ist, so ist es auch mit der Liebe. Amor fragt nicht lange, ob sein Gegenstand diesseits oder jenseits der Gemarkung wohnt. Kurz und gut, Marion ist meine Braut …«

»Aber ihr Vormund?« fragte Goguenard mit hochgezogener Braue.

»Das ist's eben!« erwiderte Jules. »Just mit Rücksicht auf den Herrn Maire habe ich diese Gelegenheit benutzt, um Sie in mein Geheimniß einzuweihen …«

»Wie so?«

»Hören Sie mich an. Ich schleiche mich jeden Mittwoch und jeden Sonnabend als Fuhrknecht verkleidet nach der Mairie und verplaudere ein Stündchen mit meiner Herzallerliebsten. Der Alte ist dann nicht zu Hause, und Marion weiß es stets so einzurichten, daß mir auch im Treppenbau niemand begegnet. Von ihrem Fenster aus kann man den Hinterhof überblicken. Wenn ich mich bis jetzt gehütet habe, hinauszugaffen, so geschah dies aus leicht begreiflicher Vorsicht. Jetzt, da ich weiß, welche Interessen auf dem Spiele stehen, werde ich die Sache riskiren und die Verhältnisse auskundschaften. Die Feuerspritze von Gressinet wird gerettet werden, und Sie, Meister Goguenard, sollen die Lorbeeren des glorreichen Unternehmens unverkürzt einheimsen.«

»Mit Vergnügen! Ich bin zu allem bereit. Gressinet geht mir über Leib und Leben.«

»O, es ist keine Gefahr vorhanden,« fuhr Jules fort. »Wenn Sie sich an die Spitze von vier, fünf geriebenen Burschen stellen, so wird es Ihnen ein Leichtes sein, die Angelegenheit zum gewünschten Ziele zu führen. Ich meinestheils verzichte auf jeden Ruhm. Sie, lieber Goguenard, Sie allein werden den Gressinetern das geraubte Kleinod zurückerobert haben.«

»Das läßt sich hören. Sie sind in der That ein großmüthiger Charakter, Herr Jules.«

»Nicht wahr, Croquepeu,« sagte Pierrot eifrig, »die Perspektive, die ich da unserem trefflichen Weinwirth eröffne, darf geradezu als glänzend bezeichnet werden?«

»Als kymmerisch, als phänomenal,« bestätigte der diensteifrige Schulmeister.

»Das wäre denn abgemacht!« rief Jules. »Und nun, mein wackerer Goguenard, bitte ich Sie um einen Gegendienst!«

»Reden Sie!«

»Marion's Vormund, der Tyrann von Clatou, ist natürlich mir vor allen Gressinetern spinnefeind …«

»Das gereicht Ihnen nur zur Ehre, Herr Jules.«

»Er wird mir das Mädchen nie und nimmer gutwillig zur Frau geben …«

»Das glaub' ich selbst.«

»Aber Marion liebt mich, und mein Entschluß, sie zu heirathen, steht so felsenfest, daß kein Himmel und keine Hölle ihn erschüttern werden.«

»Löblich, sehr löblich, Herr Jules.«

»Da ich nun das Ziel meiner Wünsche auf dem gewöhnlichen Weg nicht erreichen kann, da eine friedliche Vereinbarung nicht möglich ist –«

»So machen Sie's wie der Kaiser und erklären den Krieg!«

»So ist's! Ich werde Marion entführen.«

»Alle Wetter!«

»Ja, würdiger Weinverzapfer! Ich bin nicht gesonnen, demüthig den Nacken zu beugen und zu entsagen, wo der Kampf mir die Krone verschaffen kann. Marion hat bereits eine Ahnung von meinem Vorhaben … Ich zweifle nicht, daß sie mir folgen wird, – folgen – folgen – bis an das Ende der Welt.«

Jules Pierrot streckte den rechten Arm aus, um anzudeuten, wie unendlich weit Marion ihm folgen würde. Goguenard nickte bedächtig mit dem röthlich schillernden Haupte, während Croquepeu von neuem das Glas zum Mund führte.

»Und was kann ich bei dieser Angelegenheit thun?« fragte der Weinwirth nach einer Pause.

»Hören Sie weiter,« versetzte Jules. »Ich werde also Marion aus dem Kerker der Mairie mit Gewalt befreien, und zwar in derselben Nacht, in welcher Sie, an der Spitze Ihrer Getreuen, die Feuerspritze erobern …«

»Und da soll ich das Mädel wohl auf die Spritze setzen?« fragte Goguenard im Ton eines Mannes, dem eine bedeutsame Idee aufdämmert.

»Unsinn! Marion wird mit der Expedition, die Sie commandiren, nicht in die mindeste Berührung kommen. Ich besorge die Entführung meiner Geliebten auf eigene Faust. Nein! Sie sollen dem reizenden Kind ein Versteck gewähren. Ihre Frau ist klug und verschwiegen; es wird ihr ein Leichtes sein, die Kleine so lange zu verbergen, bis der Bürgermeister seine Einwilligung gegeben hat. Ist Marion erst in Sicherheit, dann werde ich Herrn Clamard schon auftrumpfen. Das Spiel ist dann so gut wie gewonnen.«

»Mein Haus steht Ihnen und Ihrer Dame jederzeit zur Verfügung,« erwiderte Goguenard, indem er Herrn Jules freundschaftlich die Hand reichte. »Sobald der Moment gekommen ist, winken Sie! Ich werde die Feuerspritze im Sturm nehmen und Fräulein Marion so meisterhaft verstecken, daß alle Häscher des Tyrannen von Clatou nicht im Stande sein sollen, das Geheimnis zu enträthseln.«

»Ich danke Ihnen, Goguenard! Also es bleibt dabei! Vorwärts mit Gott für Freiheit und Gressinet!«

»Und Marion Leclerc!« ergänzte der Wirth mit einem vielsagenden Lächeln. »Erst freilich kommt der Patriotismus – aber gleich dahinter folgt Amor! Nicht wahr, Verehrtester? Die Liebe glüht fast ebenso heiß wie das Pflichtgefühl?«

»Sie sind ein kleiner Schwerenöther!« sagte Jules, indem er sich erhob. »Komm, Croquepeu, wir haben heute genug geleistet! Laß uns den Rest des Abends unserm Journal widmen!«

Croquepeu leerte sein Glas, hing seinen Arm in den des Handlungsdieners und verließ in bedenklichem Menuetschritt die Schenke des würdigen Goguenard, der artig sein Käppchen lüftete und seinen scheidenden Gästen und Gesinnungsgenossen ein lebhaftes »Auf Wiedersehn!« nachrief.

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Litres'teki yayın tarihi:
11 ağustos 2017
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