Kitabı oku: «Humoresken (Zweites Bändchen)», sayfa 4
Fünftes Kapitel
Mehr als zwei Monate waren verflossen. Der große Tag von Sedan hatte das übermüthige Frankreich belehrt, daß man nicht ungestraft mit dem Glück einer friedlichen Nation spielt. Unaufhaltsam drangen die siegreichen Heere der Deutschen vorwärts. Paris, die Metropole, in deren Schooß das frevelhafte Unterfangen der Kriegserklärung herangereift war, Paris, die eigentliche Urheberin des fluchwürdigen Verbrechens, war bereits von dem ehernen Ringe der Belagerung vollständig umzingelt. Immer neue Heeresmassen wälzten sich von Osten her über das unglückliche Land, das seinen Übermuth nun so furchtbar zu büßen hatte. Fast jeder Tag brachte die Nachricht von einem neuen Erfolge der deutschen Waffen. Wo der Adler der Hohenzollern sich zeigte, da zerstoben die demoralisirten Schaaren der Gallier wie Spreu vor dem Winde und trugen die blasse Angst und das zitternde Entsetzen weiter in die Reihen ihrer zagenden Brüder. Ganz Frankreich befand sich in einem Zustande der Aufregung, der Wuth, der Verzweiflung, dessen düstere Färbung nur mit der Feder eines Dante nachgemalt werden könnte.
Auch Gressinet fühlte sich zum ersten Male als Mitglied eines großen gemeinsamen Vaterlandes und schrie mit Jules Favre: »Keinen Fuß breit unseres Bodens! Keinen Stein unserer Festungen!« Der ›Unverzagte Streiter von Gressinet‹ beschäftigte sich eifrig mit der Frage, was zu thun sei, wenn man die Preußen wieder über den Rhein getrieben habe, und verfocht die Ansicht, man müsse sich mit der Annexion der bayerischen Pfalz begnügen, da eine Eroberung preußischen Gebietes zu erneuten Kriegen Anlaß geben würde. Ja, Croquepeu ging schließlich so weit, den Verzicht auf jede Grenz-Erweiterung zu empfehlen, und die Entrichtung einer Kriegsentschädigung von acht Milliarden als diejenige Bedingung zu bezeichnen, deren Erfüllung den besiegten Barbaren am leichtesten fallen würde. Dem bekannten Sprüchworte von den goldenen Brücken zufolge, müsse er als echter Patriot immer wieder auf diese acht Milliarden zurückkommen. »Frankreich,« so schloß Croquepeu eines Tags wörtlich, »ist das Land der Großmuth par excellence! Zeigen wir dem staunenden Europa, daß wir trotz der schmachvollen Übergriffe unserer Feinde diese unsere Nationaltugend nicht verlernt haben!«
Bildeten indeß die kriegerischen Ereignisse einen hochwichtigen Faktor in den Materien des ›Unverzagten Streiters von Gressinet‹, so ward um dieser äußeren Angelegenheit willen das Innere des Gressineter Gemeinwesens keineswegs von der Tagesordnung verwiesen. Im Gegentheil. Die municipale Fehde mit Clatou wogte jetzt lebhafter denn je. Der ›Unverzagte Streiter‹ behauptete, es sei ein evidenter Mangel an Vaterlandsliebe, wenn der Maire sogar im Angesichte des Feindes sich weigere, die Selbstständigkeit Gressinets anzuerkennen und die Feuerspritze herauszugeben; – während der ›Clatouneser Beobachter‹ die Emancipationsbestrebungen der Gressineter unter den obwaltenden Verhältnissen zwiefach hochverrätherisch und unpatriotisch fand und die Einwohner der Colonie als »Spione Bismarck's« verdächtigte …
– Jules Pierrot hatte bisher vergeblich auf eine günstige Gelegenheit zu der geplanten Doppel-Eroberung gelauert. Hundertmal fragte Goguenard, ob er noch nicht »marschiren« könne, und hundertmal erwiderte Jules achselzuckend: »Noch nicht, aber bald!«
Jetzt endlich schien der entscheidende Augenblick gekommen …
Es war am 29. September, Abends neun Uhr. Herr Clamard, der Bürgermeister, war in Amtsangelegenheiten nach St. Quentin gereist; sein Adjunkt lag an einem Bronchialkatarrh ernstlich darnieder; der Schreiber war bei dem Notar Brassou zur Kindtaufe geladen; und der Bureaudiener konnte als taub und altersschwach nicht in Betracht kommen. Die Haupt-Persönlichkeit, die bis zur Stunde die Pläne der Gressineter vereitelt hatte, Fanchon, die pflichttreue Köchin, war des Tags zuvor ihres Amtes entlassen worden. An ihrer Stelle figurirte jetzt eine alte Bäuerin, Namens Marguérite, die sich vermittelst eines Hundert-Sousstücks überreden ließ, die Schlüssel zum Hinterhofe herauszugeben und die Expedition Goguenards gewähren zu lassen.
Die Glocken von Clatou hatten also, wie gesagt, die neunte Abendstunde verkündigt. Die Einwohnerschaft des Städtchens dachte allmählich an's Schlafengehen. Die Nacht war düster und wolkig. Über der ganzen Landschaft lagerte es wie die Vorahnung bedeutsamer Ereignisse.
Da traten aus der Weinschenke des Bürgers Goguenard sieben Männer ins Freie.
Sie trugen blaue Blousen und niedrige Mützen mit kurzen Schildern aus grün lackirtem Leder. Ihre Züge athmeten eine unverkennbare Entschlossenheit.
Sie wandelten schweigend nach der »Gemeindewiese«. Dort angelangt machten sie Halt und schüttelten sich, wie zur Erneuerung eines brüderlichen Bundes, die Hände.
»Patrioten,« sagte Jules Pierrot, »ich überlasse euch jetzt dem Commando dieses trefflichen Weinwirths! Gressinet erwartet, daß Jedermann seine Pflicht thue!«
Ein beifälliges Murmeln flog durch die Reihen der Verschworenen.
»Ich gehe voran,« fuhr Pierrot fort, »und sorge dafür, daß ihr die Pforte offen findet. Nach gelungener That treffen wir uns wieder hier auf der Gemeindewiese!«
»So sei es!« flüsterten die entschlossenen Blousenmänner.
»Also auf Wiedersehn!«
Jules eilte hastig von dannen.
»Es ist noch früh,« sagte Goguenard, als der Handlungsdiener im Dunkel des Septembernebels verschwunden war. »Vor zehne dürfte es kaum rathsam erscheinen, ans Werk zu gehen.«
»Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf,« versetzte Croquepeu, »so würde ich vorschlagen, die Sache auf Mitternacht zu verschieben. Unserm Pierrot wird bei seiner Marion die Zeit wohl nicht allzu lang werden, – und übertriebene Vorsicht ist stets besser als Leichtsinn.«
»In der That,« meinte ein Anderer, »es wäre äußerst fatal, wenn wir vorzeitig entdeckt würden. Haben wir die Spritze nur einmal aus Clatou heraus, dann wollen wir schon dafür sorgen, daß sie den Clatounesen nicht wiederum in die Hände fällt. Aber ein ungelegener Allarm, ehe die Eroberung vollbracht ist, – und alles ist unwiderruflich verloren. Bedenkt, Brüder, was auf dem Spiele steht!«
Nach langem Hin- und Herreden wurde dieser Antrag genehmigt. Da man indeß keine Lust verspürte, die Geisterstunde unter freiem Himmel zu erwarten, so kehrte man in die Goguenard'sche Weinschenke zurück und becherte, bis die Kuckuksuhr über dem zinnbeschlagenen Ecktische elf rief. Dann begaben sich die Verschworenen in Goguenards Privatgemächer, um nicht die Aufmerksamkeit des von dem Clatouneser Maire besoldeten Polizeidieners zu erregen, und harrten daselbst unter begeisterten Gesprächen des ersehnten Glockenschlags.
Endlich! Zu je zweien schlichen sie über die Schwelle und eilten dann geräuschlos der Wiese zu … Croquepeu hatte diesen Modus befürwortet … Von der Wiese aus nahm Goguenard mit zwei handfesten Burschen die Richtung nach dem südlichen Thore von Clatou, wo die Mairie lag, während Croquepeu mit den Andern von Westen her operirte.
Alles ging nach Wunsch. Die Bürgerschaft von Clatou lag ahnungslos in den Federn. Die Straßen waren wie ausgestorben. Im Vorhofe der Mairie athmete keine Seele. Goguenard war mit den Seinen zuerst am Platze. Zwei Minuten später kam Croquepeu. Die Pforte nach dem Hinterhofe stand offen. Die Verschworenen drangen ein, packten die roth und blau lackirte Feuerspritze mit einem halb unterdrückten Jubelruf bei der Deichsel und zogen sie langsam ins Freie. Nach kurzer Frist war das südliche Thor erreicht. Niemand hatte den kühnen Griff der Gressineter bemerkt. Jetzt, im offenen Felde angelangt, setzte sich die Colonne in Trab. Etwa drei Minuten lang brauste die wilde Jagd durch die neblige Dämmerung dahin, – unheimlich, gespenstisch, wie eine Schaar von ruh'losen Geistern. Dann machten sie Halt.
»Triumph, Triumph!« jauchzte Croquepeu. »Nicht fünfzig Franken nähme ich für diese beseligende Wollust des Siegesbewußtseins!«
»Bürger!« sagte Goguenard, »wir haben unsere Schuldigkeit gethan! Wir können stolz auf uns sein!«
»Aber nun schafft die Beute in Sicherheit!« mahnte Croquepeu. »Die Geschichte kann schneller entdeckt werden, als wir uns träumen lassen, und es wäre doch bitter …«
»Herr Schullehrer,« versetzte Goguenard mit Nachdruck, »jetzt, wo wir das Ding einmal haben, soll es uns eine Armee von Teufeln nicht wiederum aus den Händen reißen! Uebrigens bin ich ganz Ihrer Ansicht, daß wir das kostbare Kleinod sofort nach dem verabredeten Versteck bringen. Hier auf der Gemeindewiese können wir die Spritze nicht länger stehen lassen. He, Leute, – ihr Beiden da –, ihr könntet euch vorspannen und das Symbol unserer communalen Selbständigkeit, wie der Herr Schullehrer sagt, hinüberfahren – ihr wißt ja, wohin.«
Die beiden Vaterlandsfreunde nickten, griffen zu und verschwanden mit der Feuerspritze von Gressinet hinter dem Buschwerk.
»Aber wo bleibt unser Pierrot?« fragte Croquepeu, als das Knirschen der Räder in der Ferne verhallt war.
»Hier ist er, ihr Unglückseligen!« erwiderte eine athemlose Stimme.
Es war Jules selber, der querfeldein der Gemeindewiese zueilte.
Nach wenigen Secunden stand er mitten unter den Verschworenen.
»Nein! daß ich so was erleben muß! Goguenard, Weinwirth, wo haben Sie Ihre fünf Sinne gehabt? Ich warte wie ein Narr eine, zwei, drei Stunden, aber kein Goguenard läßt sich blicken!«
»Sehr einfach …« versetzte der Angeredete.
Jules ließ ihn nicht zum Worte kommen.
»Sehr einfach!« wiederholte er in gereiztem Crescendo. »Eine schöne Einfachheit, die mir meinen ganzen Plan verpfuscht hat! Es ist unerhört!«
»Aber so erlauben Sie doch …«
»Und du, Croquepeu! Wahrhaftig, ich habe dich für einen zuverlässigen Menschen gehalten! Schnöde Verblendung! Nichts ist diesem Jahrhundert mehr heilig! Wir leben in der Aera des Schwindels, des Betrugs und der Dummheit …«
»Aber was ist denn passirt? Die Spritze ist in sicherem Gewahrsam. Und wo hast du deine Marion?«
»Satanischer Schulmeister, das ist es ja!« wetterte Jules im höchsten Zorne. »Lautete unsere Verabredung nicht auf halb zehn? Solltet ihr nicht erst die Spritze holen? Wollte ich nicht alsbald mit Marion nachkommen?«
»Nun, und? – Ich wiederhole dir, die Spritze ist gerettet.«
»Aber ihr habt mir durch eure himmelschreiende Unpünktlichkeit das ganze Spiel verdorben! Warum in Teufels Namen kommt ihr nicht rechtzeitig? Alles war in schönster Ordnung. Marion hatte Ja gesagt. Schluchzend lag sie in meinen Armen und schwur mir, sie werde mich bis ans Ende der Welt begleiten …«
»Nun, und …?«
»Nun, ich war selig und gewärtigte in jedem Augenblick eurer Ankunft. Ich konnte doch nicht vorher durchgehen. Eine derartige Verwegenheit hätte die Rettung der Feuerspritze compromittirt, denn die alte Marguérite war zwar mit der Entführung dieses Instrumentes, nicht aber mit der ihrer jungen Gebieterin einverstanden …«
»Aber ich verstehe immer noch nicht.«
»O menschliche Beschränktheit! Wäret ihr nun gleich zur Stelle gewesen, so würde Alles wie am Schnürchen gegangen sein. Aber nein! Minute um Minute verrinnt. Ich horche: nichts! Ich lausche: nichts! Ich gucke: nichts! Absolut nichts! Nun, Marion konnte doch nicht von neun bis zwölf unausgesetzt in meinen Armen liegen und schluchzen. Sie geht also nach dem nächsten Fauteuil und nimmt Platz. Ich nehme auch Platz. Nun fängt mir das Mädel an, zu überlegen. Sie malt sich die Folgen ihrer Flucht immer lebhafter und bedenklicher aus. Sie blickt ernst und ernster … ›Was fehlt dir, Marion?‹ frag' ich besorgt. ›Ach nichts, liebster Jules!‹ stammelt sie verlegen und ängstlich. Immer schweigsamer starrt sie in die Ecke … Es schlägt zehn … Es schlägt elf … ›Ach, Jules, … mir ist so bange …!‹ ›Warum denn?‹ – ›Ach, Jules, was wird der Onkel sagen?‹ … Und so ach-Jült sie mir weiter, bis ich im Hof eure Tritte höre … ›Auf, Geliebte! Der Moment ist da!‹ ruf' ich in unterdrücktem Jubeltone. Ja wohl! Hat sich was zu jubeln! ›Ach Jules,‹ sagt sie, ›ach Gott, ach, ich getrau' mir's nicht … Ach Jules, es ist Sünde! Ach, der Onkel bringt mich um … Nein, nein, ich thu's nicht, ich thu's nicht!‹ Vergeblich demonstrir' ich ihr vor, daß Liebe kein Verbrechen sei; daß es sich ja nur um einen listigen Schachzug handle, der uns die Partie gewinnen solle … Sie bleibt bei ihrem ›Nein, nein, ich thu's nicht!‹ – und damit Basta!«
»O Weiber, Weiber!« rief Croquepeu pathetisch.
»Ja, jetzt hast du gut über Weiber schimpfen, du pflichtvergessener Kinderfuchtler! Wer ist denn an der ganzen Geschichte Schuld? Ihr! Ihr!«
»Aber wir dachten …«
»Ihr habt nichts zu denken! Ein Mann, ein Wort! Wer sich verabredet, der hat seinem Versprechen zu genügen, sonst ist er nicht werth, Bürger von Gressinet zu sein.«
»Nun, da hast du sie also sitzen lassen?« fragte der Schulmeister neugierig.
»Sitzen lassen? Wie verstehst du das? Meiner Liebe thut das nicht Abbruch. Im Gegentheil! Ich weiß die Motive des Mädchens zu würdigen …«
»Aber sagen Sie einmal, Herr Jules,« rief jetzt einer der Umstehenden, »das ist ja das erste Wort, das wir hören! Was? Sie haben mit einer Clatouneserin zu schaffen?«
»Ja, Kameraden. Hat Goguenard euch nicht heute Nachmittag in dieses Geheimniß eingeweiht? Ich autorisirte ihn.«
»Ja, er hat uns davon erzählt, aber ich dachte, es wäre nur eine Finte, um uns desto eifriger auf's Gelingen erpicht zu machen. Nein, Herr Jules, – eine Clatouneserin! Das ist stark für einen Patrioten.«
»Bürger, Sie reden, wie Sie's verstehen! Aber vergeuden wir nicht die Zeit mit unnöthigem Geschwätz! Macht, daß ihr heim kommt! Der Maire ist da!«
»Was? wie? wo? ist's möglich?« klang es im Chore.
»Ja, nicht nur möglich, sondern thatsächlich. Ihr laßt mich ja nicht ausreden. Aber wenden wir uns dem Dorfe zu. Der Tyrann könnte den Raub der Spritze noch in dieser Nacht entdecken … Es ist besser, wir sind vorsichtig …«
Die Colonne setzte sich in Marsch.
»Also,« fuhr Pierrot fort – »ich will eben Marion noch einmal bei ihrer Liebe zu mir beschwören … da öffnete sich die Thüre, und herein tritt Herr Clamard, der Bürgermeister von Clatou!«
»Ha! oh! ah!«
»Ja wohl! der Bürgermeister! Ich glaube, der Schlag soll mich rühren. Wie er mich erblickt, kreuzt er die Arme vor der Brust, runzelt die Stirne und fragt mit fürchterlicher Stimme: ›Was thun Sie hier?‹ Ich stammle einige Worte der Erwiderung und platze endlich mit dem Bekenntnis heraus: ›Ich liebe Marion Leclerc!‹«
»Welcher Muth! Dem das so ins Gesicht zu sagen!« unterbrach Croquepeu den Bericht seines Freundes.
»Es fehlt mir nie an Courage,« versetzte Jules Pierrot nachdrücklich.
»Das weiß der Himmel und Clatou!« rief Goguenard.
»Nun,« fuhr Pierrot fort, »ich gesteh' also meine Neigung … Da hättet ihr den Wütherich sehn sollen! – ›Was?‹ ruft er … ›Sie lieben meine Nichte? Ei, so machen Sie doch so schnell als möglich, daß Sie die Treppe hinunter kommen, sonst lass' ich Sie vor die Thüre werfen, daß Ihnen alle Knochen im Leibe knacken!‹«
»Im Leibe knacken!« wiederholte Goguenard. »Das ist eine Injurie, wie sie im Buche steht. Sie müssen den Bürgermeister belangen. Unter vier Wochen darf er nicht wegkommen.«
»Eine Injurie!« versetzte Pierrot eifrig. »Das hab' ich auch gesagt. ›Herr Maire,‹ sagte ich, ›Sie reden da in einem Tone …‹ – ›Was?‹ schreit er, ›ich rede in einem Tone …? Marion, du hast's gehört, der Spitzbube sagt, ich rede in einem Tone!‹ – ›Aber Herr Maire!‹ rufe ich, ›Ihre Nichte erwiedert meine Liebe.‹ – Umsonst! – ›Hinaus!‹ donnert er in höchster Entrüstung. ›Entweihen Sie nicht dieses Haus durch Ihre unsaubere Gegenwart! Nie werde ich meine Marion an einen Gressineter wegwerfen; lieber stecke ich sie in's Kloster! Hinaus, wiederhole ich, oder ich lasse Sie arretiren!‹«
»So eine Unverschämtheit!« bemerkte Goguenard heftig.
»Hat der Mensch denn kein Herz im Leibe?« seufzte Croquepeu. »Einen Liebenden so vor der Geliebten zu verunglimpfen!«
»Das ist jetzt schon das dritte Mal!« sagte Jules, indem er die Faust ballte. »Erst die Steinwurf-Affaire, dann der Schlossergeselle, und jetzt der Bürgermeister in eigenster Person! Aber warte, verdammtes Nest! Rache!«
»Und was geschah weiter?« fragte Goguenard.
»Nun, was sollte ich thun? ›Herr Maire,‹ sagte ich entschlossen, ›hören Sie mich an! Wenn Sie mir in dieser unerhörten Manier auftrumpfen und mir in Gegenwart des Wesens, das ich mehr liebe, als Licht und Leben, so schroff die Thür weisen, und überhaupt in jeder Beziehung meine Ehre beleidigen, – wissen Sie was, Herr Maire, was ich dann thue? Dann überlass' ich Sie Ihrem Gewissen! Leben Sie wohl, Herr Maire!‹«
»Nun, und?«
»Und dann ging ich.«
»Armer Jules,« sagte Croquepeu. »Aber du hast's ihm doch wenigstens tüchtig heimgezahlt.«
»Nicht wahr?«
»Gründlich, auf Ehre! Leider wird dir das wenig helfen. Ich fürchte, du mußt deine Flamme aufgeben.«
Jules seufzte.
»Aufgeben, Croquepeu? Geh, du hast nie geliebt! Ich gestehe dir zwar, daß ich nicht mehr viel hoffe, – aber aufgeben? Nein, Croquepeu! So lange ein Pulsschlag …«
Sie waren in Gressinet angelangt. Die Patrioten schüttelten sich die Hände, um sich zu trennen.
»Jules,« sagte der Schulmeister, »nicht wahr, du verzeihst uns, daß wir dir, ohne es zu wollen, einen Strich durch die Rechnung gemacht haben?«
»Bürger,« versetzte Jules, indem er die Rechte ausstreckte, »ich hege keinen Groll! So schwer ihr mich auch geschädigt habt, – ich vergebe euch!«
Und somit eilte er um die Ecke.
Sechstes Kapitel
Des andern Tages las man an allen Mauern Clatou's und Gressinet's folgendes Manifest:
»Einwohner!
»Ein schamloser Diebstahl ist in der Nacht von gestern auf heute innerhalb eures Weichbildes verübt worden. Die s. Z. den Gressineter Insurgenten confiscirte Feuerspritze wurde, unter gewaltsamer Erbrechung der Pforten, aus dem Hinterhofe der Mairie entführt, ohne daß es bis jetzt gelungen wäre, der ruchlosen Thäter habhaft zu werden.
»Einwohner der Gemeinde Clatou-Gressinet! Dieses unerhörte Attentat auf die Gesellschaft bildet einen unauslöschlichen Schandfleck auf dem Ehrenschilde unserer geliebten Vaterstadt! Ich fordere daher alle guten Bürger auf, das Ihrige zur Entlarvung der Missethäter beizutragen. In einem Augenblicke, wo Frankreich von einer Prüfung heimgesucht wird, wie sie in den Annalen unserer glorreichen Geschichte ohne Beispiel sein dürfte, erscheint ein Verbrechen wie das vorliegende doppelt verwerflich. Soll dereinst die Chronik berichten, Clatou-Gressinet habe sich die durch die feindlichen Siege hervorgerufene Verwirrung zu Nutz gemacht, um dem Gesetze Hohn zu sprechen? Einwohner! Patrioten! Die Augen von ganz Europa sind auf euch gerichtet! Duldet nicht, daß man euren guten Namen ungestraft der Verachtung aller civilisirten Nationen Preis gebe! Frankreich ist, so tief es auch in diesem Augenblicke darniederliegt, das Land der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der echten Bürgertugend. Thut das Eurige, um diesen Ruf aufrecht zu erhalten!
»Der Weinwirth Goguenard, den der dringende Verdacht trifft, um das Attentat zu wissen, ist bereits in Haft genommen. Die unterzeichnete Behörde sieht weiteren Enthüllungen von zehn bis vier Uhr im Bureau der Bürgermeisterei entgegen.
Der Maire von Clatou-Gressinet
C. Clamard. †*
Für die Ausfertigung: Coquerel, Adjunkt.«
Die Clatounesen schäumten vor Wuth. Der desselbigen Abends erscheinende ›Beobachter‹ verlangte im Namen Frankreichs eine »exemplarische Züchtigung dieser entarteten Söhne des Vaterlandes« und ließ ziemlich unverblümt durch die Zeilen blicken, wen er nach so mannigfachen Antecedentien für schuldig erachten müsse …
Herr Clamard versäumte indessen nichts, was die aufgeregte öffentliche Meinung beruhigen konnte. Schon in aller Frühe hatte er, wie sein Manifest besagte, den Weinwirth Goguenard verhaften lassen. Seine zweite Maßnahme bezog sich auf den ›Unverzagten Streiter von Gressinet‹, der bereits vor mehreren Wochen unter dem Titel: »Wie löschen wir?« einen höchst bedenklichen Artikel gebracht hatte. Damals war jener Aufsatz nicht ernstlich beachtet worden: jetzt gewann er angesichts des heimtückischen Attentats eine sehr compromittirende Färbung. Herr Clamard suspendirte den ›Unverzagten Streiter‹ von Amtswegen, belegte das redactionelle Material – eine Schreibmappe, eine Scheere, ein Tintenfaß, vier Hefte Conceptpapier, drei Stahlfedern, vier Gänsekiele und ein zweiklingiges Federmesser – mit Beschlag und beauftragte die competenten Behörden mit der Einleitung eines Preßprocesses.
Nach Erledigung dieser von dem Publikum mit größter Befriedigung aufgenommenen Präliminarien ordnete Herr Clamard eine regelrechte Haussuchung bei sämmtlichen Bürgern von Gressinet an.
»Die Spritze soll und muß wiedergefunden werden!« sprach er zu seinen Leuten … »Bedenkt, daß nicht nur die Ehre Clatou's, sondern auch die Würde meines Amts auf dem Spiele steht! Ich werde Denjenigen, der mir die Spritze wiederbringt, zum Kreuz der Ehrenlegion vorschlagen.«
Die Leute gingen und suchten. Sie kehrten ganz Gressinet um und um. Jede Schublade wurde aufgezogen; keine Rocktasche blieb undurchstöbert; unter jede Bettlade ward geschnüffelt: umsonst! Die Spritze war nirgends aufzutreiben.
Herr Clamard erließ ein erneutes Manifest. Er sicherte Demjenigen, der über den Verbleib des vermißten Instruments irgend welche Anhaltspunkte zu geben vermöchte, eine Belohnung von 100 Francs zu. Aber unter den Patrioten Gressinet's fand sich kein Verräther. Die Spritze war und blieb verschwunden wie eine Stecknadel.
Was half es dem Herrn Bürgermeister, daß Jules Pierrot und Croquepeu wegen Aufreizung zu einer verbrecherischen Handlung je vierzehn Tage ins dunkle Verließ des städtischen Kerkers geworfen wurden?
Was half es, daß der ›Unverzagte Streiter‹ verstummt war?
Die Spritze war fort, und aller officieller und officiöser Zorn des Pascha's war nicht im Stande, sie wieder herbeizuschaffen.