Kitabı oku: «Winzige Gefährten», sayfa 3

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Wie können wir angesichts dessen, was wir wissen, überhaupt ein Individuum definieren?25 Beschreibt man das Individuum anatomisch als den Besitzer eines bestimmten Körpers, muss man einräumen, dass die Mikroorganismen den Raum mit ihm teilen. Man könnte es mit einer Definition auf der Grundlage der Entwicklung versuchen: Dann ist ein Individuum alles, was aus einer einzigen befruchteten Eizelle hervorgeht. Aber auch das funktioniert nicht, denn der Körper mancher Tiere – von Tintenfischen über Mäuse bis zu Zebrafischen – wird auf der Grundlage von Anweisungen aufgebaut, die sowohl in ihren eigenen Genen als auch in ihren Mikroorganismen codiert sind. In einer sterilen Blase würden sie nicht normal heranwachsen. Man könnte eine physiologische Definition zur Debatte stellen, in der das Individuum aus Teilen – Geweben und Organen – besteht, die zum Wohle des Ganzen kooperieren. Das stimmt schon, aber wie steht es mit Insekten, in denen Bakterien- und Wirtsenzyme bei der Herstellung lebenswichtiger Nährstoffe zusammenwirken? Diese Mikroben sind in jedem Fall ein Teil des Ganzen, und ein unentbehrlicher Teil noch dazu. Die gleichen Probleme wirft eine genetische Definition auf, wonach ein Individuum aus Zellen besteht, denen das gleiche Genom gemeinsam ist.

Jedes einzelne Tier enthält sein eigenes Genom, darüber hinaus wirken sich aber auch viele Mikrobengenome auf sein Leben und seine Entwicklung aus. In manchen Fällen können die Genome von Mikroorganismen sich auf Dauer im Genom des Wirtsorganismus festsetzen. Ist es demnach wirklich sinnvoll, sie als eigenständige Gebilde zu betrachten? Wenn wir mit unserem Latein am Ende sind, können wir den Schwarzen Peter dem Immunsystem zuschieben, das ja angeblich zu dem Zweck existiert, unsere eigenen Zellen von denen der Eindringlinge zu unterscheiden, Selbst und Nichtselbst auseinanderzuhalten. Auch das stimmt aber nicht ganz; wie wir noch genauer erfahren werden, tragen die in uns ansässigen Mikroorganismen dazu bei, unser Immunsystem aufzubauen, das seinerseits lernt, sie zu tolerieren. Ganz gleich, wie wir das Problem auch drehen und wenden, eines ist klar: Mikroorganismen stellen unsere Vorstellungen von Individualität infrage. Und sie prägen unsere Individualität auch. Ihr Genom gleicht im Wesentlichen meinem, aber unsere Mikrobiome können sehr unterschiedlich sein (und für unsere Virome gilt das noch stärker). Vielleicht ist es weniger so, dass ich Vielheiten enthalte, sondern eher, dass ich Vielheiten bin.

Sich das vorzustellen, kann zutiefst beunruhigen. Unabhängigkeit, freier Wille und Identität sind zentrale Gedanken unseres Lebens. David Relman, ein Pionier der Mikrobiomforschung, schrieb einmal: »Der Verlust eines Gefühls der eigenen Identität, der Illusionen im Hinblick auf die eigene Identität und Erlebnisse einer ›Fremdbestimmung‹« seien potenzielle Anzeichen für eine Geisteskrankheit.26 »Da ist es kein Wunder, dass die Erforschung der Symbiose in jüngster Zeit ein beträchtliches Maß an Interesse und Aufmerksamkeit geweckt hat«. Er fügt aber auch hinzu: »[Solche Untersuchungen] werfen ein Schlaglicht auf die Schönheit der Biologie. Wir sind soziale Lebewesen und streben danach, unsere Verbindungen zu anderen lebenden Gebilden zu verstehen. Symbiose ist das beste Beispiel für den Erfolg durch Zusammenarbeit und für den gewaltigen Nutzen enger Beziehungen.«

Der gleichen Ansicht bin ich auch. Symbiose ist ein Hinweis auf die Fäden, die alles Leben auf der Erde verbinden. Warum können so unterschiedliche Organismen wie Menschen und Bakterien zusammenleben und zusammenarbeiten? Weil wir einen gemeinsamen Vorfahren haben. Wir speichern die Information nach dem gleichen Codierungsschema in unserer DNA. Moleküle namens ATP dienen uns als Energiewährung. Das Gleiche gilt quer durch die gesamte Welt des Lebendigen. Stellen wir uns einmal ein Sandwich mit Schinken, Salat und Tomaten vor: Vom Salat über die Tomaten bis zum Schwein, von dem der Schinken stammt, und von der Hefe, mit der das Brot gebacken wurde, bis zu den Mikroorganismen, die mit Sicherheit auf seiner Oberfläche liegen, sprechen alle Zutaten die gleiche molekulare Sprache. Oder, wie der niederländische Biologe Albert Jan Kluyver es einmal formulierte: »Vom Elefant bis zum Buttersäurebakterium – es ist alles das Gleiche!«

Wenn wir erst einmal begreifen, wie ähnlich wir sind und wie tief die Verbindungen zwischen Tieren und Mikroorganismen reichen, wird unser Blick auf die Welt unermesslich viel reichhaltiger. Bei mir war es mit Sicherheit so. Schon immer liebte ich die Natur. Meine Regale sind voller Dokumentarfilme über Tiere und voller Bücher, in denen es von Erdmännchen, Spinnen, Chamäleons, Quallen und Dinosauriern wimmelt. Aber nirgendwo ist davon die Rede, wie Mikroorganismen das Leben ihrer Wirte beeinflussen, verbessern und lenken; die Filme und Bücher sind also unvollständig – Bilder ohne Rahmen, Kuchen ohne Zuckerguss, Lennon ohne McCartney. Heute erkenne ich, wie stark das Leben all dieser Tiere von unsichtbaren Organismen abhängig ist, mit denen sie leben, ohne sich ihrer bewusst zu sein, die zu ihren Fähigkeiten beitragen und manchmal gänzlich dafür verantwortlich sind, und die auf unserem Planeten schon viel länger existieren als wir. Es ist ein schwindelerregender Perspektivwechsel, aber auch ein großartiger.

In den Zoo gehe ich schon, seit ich so klein war, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann (und noch nicht wusste, dass man nicht in den Käfig der Riesenschildkröten klettern soll). Aber mein Besuch im Zoo von San Diego mit Knight (und Baba) fühlt sich anders an. Der Zoo ist ein turbulentes Durcheinander von Farben und Geräuschen, und doch wird mir klar, dass das Leben hier zum größten Teil unsichtbar und unhörbar ist. Am Haupteingang trennen sich Gefäße voller Mikroorganismen von ihrem Geld, damit sie durch die Tore gehen und anders geformte Mikrobengefäße sehen können, die in Käfigen und Gehegen herumlungern. Billionen Mikroben fliegen, verborgen in gefiederten Körpern, durch die Volieren. Andere Horden schwingen sich von Ast zu Ast oder sausen durch Tunnel. Ein Bakterienhaufen, eingekuschelt in das Hinterende eines schwarzen Kaminvorlegers, erfüllt die Luft mit dem angenehmen Duft von Popcorn. Das ist die wahre Welt des Lebendigen, und obwohl sie für meine Augen immer noch unsichtbar ist, kann ich sie endlich erkennen.

KAPITEL 2
DIE IDEE, GENAUER HINZUSEHEN

BAKTERIEN SIND ÜBERALL, aber was unser bloßes Auge betrifft, könnten sie ebenso gut nirgendwo sein. Es gibt nur ein paar außergewöhnliche Ausnahmen: Epulopiscium fishelsoni, ein Bakterium, das ausschließlich im Darm des Goldtupfen-Doktorfisches lebt, ist ungefähr so groß wie der Punkt am Ende dieses Satzes. Alle anderen kann man ohne Hilfsmittel nicht sehen, das heißt, sehr lange sah man sie überhaupt nicht. In unserem imaginären Kalender, der die Erdgeschichte in einem Jahr zusammendrängt, tauchten Bakterien erstmals Mitte März auf. Praktisch während ihrer gesamten Lebenszeit war nichts und niemand sich ihrer Existenz bewusst. Ihr anonymes Leben endete erst wenige Sekunden vor dem Jahresende, als ein neugieriger Niederländer auf die schrullige Idee kam, einen Tropfen Wasser durch selbst gefertigte Linsen von Weltklassequalität zu betrachten.

Antoni van Leeuwenhoek wurde 1632 in Delft geboren, einer pulsierenden Drehscheibe des Auslandshandels, die von Kanälen, Bäumen und Wegen mit Kopfsteinpflaster durchzogen war.1 Tagsüber arbeitete er als städtischer Beamter und führte ein kleines Kurzwarengeschäft. Nachts stellte er Linsen her. Zeit und Ort waren dafür günstig: Die Niederländer hatten kurz zuvor sowohl das zusammengesetzte Mikroskop als auch das Teleskop erfunden. Jetzt konnten Wissenschaftler durch kleine runde Glasstücke auch Gegenstände sehen, die viel zu klein waren, als dass man sie mit bloßem Auge hätte erkennen können. Einer von ihnen war der britische Universalgelehrte Robert Hooke. Er richtete den Blick auf alle möglichen winzigen Dinge: Flöhe, Läuse, die sich an Haare klammerten, Nadelspitzen, Pfauenfedern, Hanfsamen. Seine Beobachtungen veröffentlichte er 1665 in einem Buch mit dem Titel Micrographia, das auch großartige, außerordentlich detaillierte Abbildungen enthielt. Es wurde in Großbritannien sofort zum Bestseller. Kleine Dinge hatten ihre große Zeit.

Leeuwenhoek hatte im Gegensatz zu Hooke nie eine Universität besucht. Er war kein ausgebildeter Wissenschaftler und sprach nicht die lateinische Gelehrtensprache, sondern nur Niederländisch. Allerdings brachte er sich selbst bei, Linsen herzustellen, und das mit einer Geschicklichkeit, an die kein anderer heranreichte. Die Einzelheiten seiner Methoden kennen wir nicht, aber grob gesagt, schliff er einen Glasklumpen zu einer glatten, vollkommen symmetrischen Linse mit einem Durchmesser von weniger als zwei Millimetern. Diese brachte er zwischen zwei Rechtecken aus Messing an. Anschließend befestigte er einen Gegenstand mit einer winzigen Nadel vor der Linse und stellte ihre Position mit einigen Schrauben richtig ein. Das so entstandene Mikroskop sah aus wie ein besseres Türscharnier und war kaum mehr als ein einstellbares Vergrößerungsglas. Um damit etwas zu sehen, musste Leeuwenhoek es so halten, dass es nahezu sein Gesicht berührte, und dann am besten im hellen Sonnenlicht durch die winzige Linse schielen. Solche Einzellinsen-Mikroskope waren viel anstrengender für die Augen als die zusammengesetzten Mikroskope mit ihren vielen Linsen, für die Hooke sich starkgemacht hatte, aber sie lieferten bei stärkerer Vergrößerung ein besseres Bild. Hookes Instrumente vergrößerten Objekte um das 20- bis 50-Fache; die von Leeuwenhoek ermöglichten eine bis zu 270-fache Vergrößerung. Zu jener Zeit waren sie die besten Mikroskope der Welt.

Aber Leeuwenhoek war, wie Alma Smith Payne in The Cleere Observer feststellt, »mehr als ein guter Mikroskophersteller«. Er war »auch ein ausgezeichneter Mikroskopiker – ein Mikroskopbenutzer«. Leeuwenhoek hielt alles fest. Er wiederholte seine Beobachtungen. Er stellte systematisch Experimente an. Obwohl er Amateur war, hatte er die wissenschaftliche Methode instinktiv verinnerlicht – und ebenso besaß er die unstillbare Neugier eines Wissenschaftlers. Durch seine Linsen betrachtete er Tierhaare, Fliegenköpfe, Holz, Samen, Walmuskeln, Hautschuppen und Ochsenaugen. Und zeigte die Wunder, die er sah, Freunden, Angehörigen und den Gelehrten von Delft.

Einer dieser Gelehrten, der Arzt Regnier de Graaf, war Mitglied der Royal Society, der kurz zuvor gegründeten, angesehenen wissenschaftlichen Gesellschaft mit Sitz in London. Er empfahl Leeuwenhoek, dessen Mikroskope »bei Weitem alles übertreffen, was wir bisher gesehen haben«, seinen gelehrten Kollegen und beschwor sie, mit dem Niederländer in Kontakt zu treten. Henry Oldenburg, der Sekretär der Gesellschaft und Herausgeber ihrer führenden Zeitschrift, tat es. Am Ende übersetzte und veröffentlichte er mehrere entwaffnend weitschweifige, informelle Briefe, in denen der Außenseiter Leeuwenhoek rote Blutkörperchen, Pflanzengewebe und den Darm von Läusen mit beispielloser Detailtreue und Sorgfalt beschrieb.

Als Nächstes sah sich Leeuwenhoek Wasser an, und zwar insbesondere Wasser aus dem Berkelse Mere, einem See in der Nähe von Delft. Er saugte ein wenig von der trüben Flüssigkeit in eine Glaspipette, und als er sie anschließend im Mikroskop betrachtete, sah er, dass es in dem Wasser von Leben wimmelte: »kleine grüne Wolken« aus Algen, außerdem Tausende winzige, tanzende Geschöpfe.2 »Die Bewegung der meisten dieser Tierlein im Wasser war so schnell und so verschieden aufwärts, abwärts und rundherum, dass es wundervoll zu sehen war«, schrieb er, »und nach meinem Urteil sind manche dieser kleinen Geschöpfe ungefähr tausendmal kleiner als die kleinsten, die ich jemals auf der Rinde von Käse gesehen habe.«3 Es waren Protozoen – Organismen einer vielgestaltigen Gruppe, zu der unter anderem die Amöben und andere einzellige Eukaryonten gehören. Leeuwenhoek war der erste Mensch, der sie jemals zu Gesicht bekam.4

Im Jahr 1675 richtete Leeuwenhoek seine Linsen auf Regenwasser, das sich in einem blauen Topf vor seinem Haus gesammelt hatte. Auch hier tauchte eine wunderbare Tierwelt auf. Er sah schlangenähnliche Gebilde, die sich auf- und abwickelten, und ovale Lebewesen, »welche mit vielfältigen, winzigen Füßen ausgestattet sind« – weitere Protozoen. Außerdem sah er Exemplare aus einer noch kleineren Klasse von Lebewesen; sie waren tausendmal kleiner als das Auge einer Laus und »drehten sich mit einer Schnelligkeit, als würden wir einem Kreisel bei seiner Bewegung zusehen« – Bakterien! Er untersuchte weiteres Wasser aus seinem Studierzimmer, von seinem Dach, aus den Kanälen von Delft, aus dem nahe gelegenen Meer und aus dem Brunnen in seinem Garten. Die kleinen »Tierlein« waren überall. Wie sich herausstellte, existierten Lebewesen in unvorstellbarer Zahl unterhalb der Grenze unserer Wahrnehmung – sichtbar waren sie nur für diesen einen Mann mit seinen überragenden Linsen. Später schrieb der Historiker Douglas Anderson: »Nahezu alles, was er sah, sah er als allererster Mensch überhaupt.« Aber vor allem: Warum sah er sich überhaupt das Wasser an? Was um alles in der Welt trieb diesen Mann an, den Regen zu untersuchen, den er in einem Topf gesammelt hatte? Ähnliches könnte man sich bei vielen Menschen aus der gesamten Geschichte der Mikrobiomforschung fragen: Sie waren diejenigen, die die Idee hatten, genauer hinzusehen.

Im Oktober 1676 berichtete Leeuwenhoek der Royal Society, was er gesehen hatte.5 Seine Schriften waren ganz anders als die muffigen wissenschaftlichen Abhandlungen in den Fachzeitschriften. Sie waren voller lokaler Tratschgeschichten und enthielten auch Berichte über Leeuwenhoeks Gesundheit. (»Der Mann hätte einen Blog gebraucht«, so Anderson.) Aus dem Brief vom Oktober erfahren wir beispielsweise, wie das Wetter in Delft in diesem Sommer gewesen war. Er enthält aber auch faszinierend detaillierte Berichte über die Tierlein. Sie seien »unglaublich klein, nein, aus meiner Sicht so klein, dass ich der Ansicht bin, dass selbst hundert dieser winzigen Tiere, die ausgestreckt hintereinander lägen, nicht die Länge eines groben Sandkorns erreichen würden; und wenn das wahr ist, kämen zehnmal hunderttausend dieser Lebewesen kaum der Masse eines groben Sandkorns gleich«. (Später stellte er fest, dass ein Sandkorn einen Durchmesser von ungefähr einem Dreißigstelmillimeter hat, das heißt, eines der »winzigen Tiere« wäre drei Mikrometer lang. Das ist mehr oder weniger die Größe eines durchschnittlichen Bakteriums. Der Mann war erstaunlich präzise.)

Angenommen, heute würde irgendjemand plötzlich verkünden, er habe eine Gruppe wundersamer, unsichtbarer Lebewesen beobachtet, die noch kein anderer jemals gesehen hat. Würden wir ihm glauben? Oldenburg hatte sicherlich seine Zweifel, wie auch bereits bei Leeuwenhoeks früheren Beschreibungen der »Tierlein«. Dennoch veröffentlichte er 1677 Leeuwenhoeks Brief – »ein außerordentliches Denkmal für die aufgeschlossene Skepsis der Wissenschaft«, wie Nick Lane es nennt. Allerdings fügte Oldenburg eine warnende Notiz hinzu: Er erklärte, die Gesellschaft wolle Leeuwenhoeks Methoden im Einzelnen kennenlernen, damit auch andere seine unerwarteten Beobachtungen bestätigen konnten. Aber Leeuwenhoek kooperierte nicht so recht. Seine Technik zur Herstellung von Linsen war ein gut gehütetes Geheimnis. Statt es preiszugeben, zeigte er die Tierlein einem Notar, einem Rechtsanwalt, einem Arzt und anderen gut beleumundeten Herren, die daraufhin der Royal Society berichteten, er könne tatsächlich sehen, was er zu sehen behauptete. Gleichzeitig bemühten sich andere Mikroskopiker darum, Leeuwenhoeks Arbeiten nachzuvollziehen – und scheiterten. Selbst der große Hooke hatte anfangs zu kämpfen, und der Erfolg stellte sich erst ein, als er zu den verhassten Einzellinsen-Mikroskopen wechselte. Sein Erfolg bestätigte Leeuwenhoek und festigte den Ruf des Niederländers. Im Jahr 1680 wurde der ungebildete Textilkaufmann zum Mitglied der Royal Society ernannt. Und da er weder Latein noch Englisch lesen konnte, erklärte sich die Gesellschaft bereit, ihm die Mitgliedsurkunde auf Niederländisch auszustellen.

Nachdem Leeuwenhoek als erster Mensch überhaupt Mikroorganismen gesehen hatte, sah er nun auch als erster seine eigenen. Im Jahr 1683 fielen ihm zwischen seinen Zähnen weiße, teigige Beläge auf, und wie es seine Gewohnheit war, betrachtete er sie durch seine Linsen. Das Ergebnis? Weitere Lebewesen »in sehr hübscher Bewegung«! Da gab es lange, torpedoförmige Stäbchen, die »wie ein Hecht« durch das Wasser schossen, in dem er seinen Zahnbelag gelöst hatte, und kleinere, die sich drehten wie ein Kreisel. »Alle Menschen, welche in unseren Vereinigten Niederlanden leben, sind nicht so zahlreich wie die lebenden Tiere, die ich genau an diesem Tag in meinem eigenen Mund mit mir herumtrage«, berichtete er. Er zeichnete die Mikroben und schuf damit ein einfaches Bild, das die Mona Lisa der Mikrobiologie wurde. Außerdem studierte er sie in den Mündern anderer Bürger aus Delft: von zwei Frauen, einem achtjährigen Kind und einem alten Mann, der sich angeblich nie die Zähne geputzt hatte. Er setzte den Proben, die er bei sich selbst abgekratzt hatte, sogar Essig zu und beobachtete, wie die Tierlein starben – der erste Bericht über Desinfektion.

Als Leeuwenhoek 1723 im Alter von neunzig Jahren starb, war er zu einem der berühmtesten Mitglieder der Royal Society geworden. Er hinterließ der Gesellschaft ein schwarzes, lackiertes Kästchen, in dem sechsundzwanzig seiner verblüffenden Mikroskope einschließlich der montierten Objekte lagen. Bizarrerweise verschwand die Kiste und tauchte nie wieder auf – ein umso tragischerer Verlust, als Leeuwenhoek niemandem je genau erklärt hatte, wie er seine Instrumente herstellte. In einem Brief beschwerte er sich, die Studenten interessierten sich mehr für Geld oder Ruhm als dafür, »Dinge zu entdecken, welche unseren Blicken verborgen sind«. »Nicht einer unter tausend Männern ist zu solchen Studien in der Lage, denn sie benötigen viel Zeit und man muss viel Geld aufwenden«, klagte er. »Und vor allem sind die meisten Männer nicht neugierig, es zu wissen: Nein, manche zögern nicht einmal zu sagen: Was spielt es schon für eine Rolle, ob ich es weiß oder nicht?«6

Seine Einstellung wäre fast der Tod seines Erbes gewesen. Als andere durch ihre minderwertigen Mikroskope blickten, sahen sie nichts, oder nichts als Produkte ihrer Einbildung. Das Interesse schwand. Als Carl von Linné in den 1730er-Jahren begann, alle Lebensformen zu klassifizieren, fasste er sämtliche Mikroorganismen zu der Gattung Chaos (was so viel wie »formlos«) und dem Stamm Vermes (»Würmer«) zusammen. Nachdem man die Welt der Mikroorganismen entdeckt hatte, sollten noch eineinhalb Jahrhunderte vergehen, bevor man sich daranmachte, sie ernsthaft zu erforschen.

Heute werden Mikroorganismen so häufig mit Schmutz und Krankheit in Verbindung gebracht, dass die meisten Menschen wahrscheinlich angeekelt zurückschrecken würden, wenn man ihnen zeigte, welche Vielfalt allein in ihrem Mund zu Hause ist. Leeuwenhoek hegte diese Abscheu nicht. Tausende von winzigen Dingen? In seinem Trinkwasser? In seinem Mund? Im Mund jedes Menschen? Wie aufregend! Wenn er den Verdacht hatte, dass sie Krankheiten verursachen können, brachte er es in seinen Schriften, in denen er so auffällig auf Spekulationen verzichtete, nicht zum Ausdruck. Andere Gelehrten waren weniger zurückhaltend. Der Wiener Arzt Marcus Plenciz behauptete 1762, mikroskopisch kleine Lebewesen könnten Krankheiten verursachen, weil sie sich im Körper vermehren und durch die Luft verbreiten. »Jede Krankheit hat ihren Organismus«, schrieb er weitsichtig. Leider hatte er für seine Behauptungen keine Belege, und deshalb konnte er auch andere nicht davon überzeugen, dass diese unbedeutenden Lebewesen eine Bedeutung haben. »Ich werde keine Zeit mit der Bemühung vergeuden, diese absurden Hypothesen zu widerlegen«, schrieb ein Kritiker.7

Das alles änderte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch den anmaßenden und streitlustigen französischen Chemiker Louis Pasteur.8 Er konnte kurz hintereinander nachweisen, dass Bakterien verschiedene Flüssigkeiten sauer werden lassen und dafür sorgen, dass Fleisch verwest. Und wenn sie sowohl für die Gärung als auch für die Verwesung verantwortlich sind, so behauptete Pasteur, dann können sie auch Krankheiten hervorrufen. Diese »Keimtheorie« hatten auch Plenciz und andere bereits vertreten, sie war aber nach wie vor umstritten. Man glaubte eher, Krankheiten würden durch Miasmen hervorgerufen, schlechte Luft, die von verwesender Materie ausging. Pasteur bewies 1865 etwas anderes: Er entdeckte, dass zwei Krankheiten, an denen die Seidenraupen Frankreichs litten, von Mikroben ausgelöst wurden. Er isolierte die infizierten Eier, verhinderte so, dass die Krankheiten sich ausbreiteten, und rettete die Seidenindustrie.

Zur gleichen Zeit beschäftigte sich der Arzt Robert Koch in Deutschland mit einer Milzbrandepidemie, die das Vieh dahinraffte. Andere Wissenschaftler hatten im Gewebe der betroffenen Tiere bereits ein Bakterium namens Bacillus anthracis gesehen. Diese Mikroorganismen spritzte Koch 1876 einer Maus – woraufhin sie starb. Er gewann die Bakterien aus dem toten Nagetier und injizierte sie einem weiteren – das ebenfalls starb. Hartnäckig wiederholte er den grausigen Versuch über zwanzig Generationen hinweg, und jedes Mal geschah das Gleiche. Damit hatte Koch eindeutig gezeigt, dass das Bakterium den Milzbrand verursachte. Die Keimtheorie der Krankheiten stimmte.

Nun hatte man die Mikroorganismen endgültig wiederentdeckt, und sie wurden sofort in die Rolle der Todesboten gedrängt. Sie waren Keime, Pathogene, Überbringer von Seuchen. In den zwanzig Jahren, die auf die Arbeit mit dem Milzbrand folgten, hatten Koch und viele andere entdeckt, welche Bakterien hinter Lepra, Tripper, Typhus, Tuberkulose, Cholera, Diphtherie, Tetanus und Pest stehen. Wie für Leeuwenhoek, so ebneten auch hier neue Hilfsmittel den Weg: bessere Linsen, neue Methoden, um Mikroorganismen in Reinkulturen auf Platten mit gallertartigem Agar heranzuzüchten, und neue Färbemethoden, mit denen man Bakterien unter dem Mikroskop besser ausmachen und identifizieren konnte. Vom Identifizieren ging man sofort zum Eliminieren über. Von Pasteur angeregt, begann der britische Chirurg Joseph Lister, in seiner Praxis neue Methoden zum Keimfreimachen anzuwenden: Er zwang seine Mitarbeiter, Hände, Instrumente und Operationssäle chemisch zu desinfizieren, und bewahrte damit unzählige Patienten vor verheerenden Infektionen. Andere suchten nach Wegen, um Bakterien an ihrer Tätigkeit zu hindern und so Krankheiten zu heilen, die Hygiene zu verbessern und Nahrung haltbar zu machen. Die Bakteriologie wurde zu einer angewandten Wissenschaft: Man studierte Mikroorganismen, um sie abzuwehren oder zu zerstören.

Da war es auch nicht gerade hilfreich, dass ein gewisser Charles Darwin im Jahr 1859, nur kurz vor dieser Welle neuer Entdeckungen, sein Werk Die Entstehung der Arten veröffentlicht hatte. »Durch diesen historischen Zufall entwickelte sich die Keimtheorie der Krankheiten in der blutrünstigen Phase des Darwinismus: Man betrachtete das Wechselspiel zwischen den Lebewesen als Kampf ums Überleben, in dem man Freund oder Feind sein musste, ohne dass Pardon gegeben wurde«, schrieb der Mikrobiologe René Dubos.9 »Diese Einstellung prägte von Anfang an alle späteren Versuche, von Mikroorganismen verursachte Krankheiten unter Kontrolle zu bringen. Es führte zu einer Art aggressiven Kriegsführung gegen die Mikroorganismen mit dem Ziel, sie aus dem kranken Menschen und der Gemeinschaft zu entfernen.«

Diese Einstellung herrscht bis heute. Würde ich in eine Bibliothek gehen und ein Lehrbuch der Mikrobiologie aus dem Fenster werfen, könnte ich damit leicht einem Passanten eine Gehirnerschütterung zufügen. Würde ich dagegen alle Seiten herausreißen, auf denen von nützlichen Mikroorganismen die Rede ist, könnte ich damit höchstens jemandem einen dieser gemeinen Papierschnitte antun. Berichte über Krankheit und Tod beherrschen noch heute unsere Vorstellungen von Mikrobiologie.

Während die Keimtheoretiker im Rampenlicht standen und einen tödlichen Krankheitserreger nach dem anderen identifizierten, mühten sich andere Biologen im Hintergrund mit Arbeiten ab, welche die Mikroorganismen am Ende in einem völlig anderen Licht erscheinen ließen.

Einer der Ersten, die ihre globale Bedeutung nachwiesen, war der Niederländer Martinus Beijerinck. Der zurückgezogen lebende, abweisende und unbeliebte Wissenschaftler empfand keine Liebe für Menschen mit Ausnahme einiger enger Kollegen und auch keine Liebe zur medizinischen Mikrobiologie.10 Krankheiten interessierten ihn nicht. Er wollte Mikroorganismen in ihrem natürlichen Lebensraum studieren: in Boden, Wasser, Pflanzenwurzeln. Im Jahr 1888 fand er Bakterien, die der Luft den Stickstoff entziehen und ihn in Ammo niak verwandeln, den die Pflanzen nutzen können; später isolierte er Arten, die zur Bewegung des Schwefels durch Boden und Atmosphäre beitragen. Seine Arbeiten waren in Beijerincks Heimatstadt Delft – wo Leeuwenhoek schon zwei Jahrhunderte zuvor erstmals Bakterien zu Gesicht bekommen hatte – der Auftakt zu einer Neugeburt der Mikrobiologie. Die Mitglieder seiner neu gegründeten Delfter Schule und Geistesverwandte wie der Russe Sergei Winogradski bezeichneten sich selbst als mikrobielle Ökologen. Sie fanden heraus, dass Mikroorganismen nicht nur eine Gefahr für die Menschheit sind, sondern auch unverzichtbare Bestandteile der Welt.

Die Zeitungen jener Zeit sprachen plötzlich von »guten Keimen«, die den Boden mit Nährstoffen anreichern und dazu beitragen, alkoholische Getränke und Milchprodukte herzustellen. Einem Lehrbuch von 1910 zufolge waren die »schlechten Keime«, auf die sich alle konzentrierten, »ein kleiner, spezialisierter Nebenzweig im Reich der Bakterien, der, grob gesagt, eigentlich von untergeordneter Bedeutung ist«.11 Die meisten Bakterien, so hieß es dort, seien abbauende Organismen, die der Welt die Nährstoffe aus verwesendem organischem Material zurückgeben. »Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, ohne [sie] … würde alles Leben auf der Erde zwangsläufig zu Ende sein.«

Anderen Mikrobiologen wurde zur Zeit der Jahrhundertwende klar, dass viele Mikroorganismen sich die Körper der Tiere, Pflanzen und anderer sichtbarer Lebewesen teilen. Es stellte sich heraus, dass Flechten – die farbigen Flecken, die auf Wänden, Steinen, Baumrinde und Holzbalken wachsen – zusammengesetzte Lebewesen sind: Sie bestehen aus mikroskopisch kleinen Algen, die mit einem Pilz als Wirtsorganismus zusammenleben und im Austausch für Mineralstoffe und Wasser Nährstoffe liefern.12 Wie man außerdem bemerkte, enthalten die Zellen vieler Tiere wie Seeanemonen oder Plattwürmer ebenfalls Algen, in denen von Rossameisen sind dagegen lebende Bakterien zu Hause. Die Pilze, die an Baumwurzeln wachsen und die man lange für Parasiten hielt, erwiesen sich als Partner, die Stickstoff im Austausch gegen Kohlenhydrate bereitstellen.

Solche Partnerschaften wurden nun als Symbiose bezeichnet, ein Begriff, der von den griechischen Wörtern für »zusammen« und »Leben« kommt.13 Das Wort selbst war neutral und konnte jede Form der Koexistenz bezeichnen. Wenn ein Partner auf Kosten des anderen profitierte, war er ein Parasit (oder ein Krankheitserreger, wenn er eine Krankheit verursachte). Wenn er profitierte, ohne den Wirt zu schädigen, nannte man ihn einen Kommensalen. Nützte er dem Wirt, war er ein Mutualist. Alle diese Formen des gemeinsamen Daseins gehören in die Rubrik der Symbiose.

Solche Konzepte entwickelten sich zu einer unglücklichen Zeit. Im Schatten des Darwinismus sprachen die Biologen vom Überleben der Geeignetsten. Die Natur war rot an Zähnen und Klauen. Thomas Huxley, Darwins Bulldogge, hatte die Tierwelt mit einem »Gladiatorenkampf« verglichen. In diesem Rahmen von Konflikt und Konkurrenz nahm die Symbiose mit ihren Themen von Kooperation und Teamwork eine heikle Stellung ein. Auch zu der Idee, Mikroorganismen seien Bösewichte, passte sie nicht. In der Zeit nach Pasteur war ihre Anwesenheit zu einem Anzeichen von Krankheit geworden, und ihre Abwesenheit galt als definierendes Merkmal gesunden Gewebes. Als Friedrich Blochmann 1884 erstmals die Bakterien der Rossameisen sah, widersprach die Vorstellung von Mikroorganismen als harmlosen Mitbewohnern so stark der Intuition, dass er sprachliche Verrenkungen anstellte, um sie nicht als das beschreiben zu müssen, was sie waren.14 Er nannte sie »Plasmastäbchen« oder sprach von einer »sehr auffälligen faserigen Differenzierung des Eiplasmas«. Erst nach jahrelangen eingehenden Untersuchungen bekannte er endlich Farbe. Im Jahr 1887 schrieb er: »Ich glaube, dass man nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens kaum anders kann, als die Stäbchen für Bakterien zu erklären.«

Mittlerweile war anderen Wissenschaftlern aufgefallen, dass der Darm von Menschen und anderen Tieren ebenfalls eine Fülle symbiontischer Bakterien enthält. Sie rufen weder eine erkennbare Krankheit noch Verwesung hervor. Vielmehr sind sie einfach da – als »normale Darmflora«. »Mit der Entstehung der Tiere … war es unvermeidlich, dass Bakterien von Zeit zu Zeit in ihrem Körper in Gefangenschaft gerieten«, schrieb Arthur Isaac Kendall, ein Pionier der Erforschung von Darmbakterien.15 Der menschliche Körper ist demnach einfach ein weiterer Lebensraum, und Kendall hatte den Eindruck, dass die dort lebenden Mikroorganismen es verdienten, dass man sie nicht nur zerstörte oder unterdrückte, sondern auch studierte. Aber das war einfacher gesagt als getan. Schon damals war klar, dass unsere Mikroorganismen entmutigend große Lebensgemeinschaften bilden. Theodor Escherich, der Entdecker des Bakteriums E. coli, das zu einer Hauptstütze der Laborwissenschaft werden sollte, sagte einmal: »Es scheint eine sinnlose, zweifelhafte Übung zu sein, die offenbar zufällig auftretenden Bakterien in normalem Stuhl und im Verdauungstrakt zu untersuchen und zu entwirren, wo sie in einer Situation sind, die anscheinend von tausend Zufällen abhängig ist.«16

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