Kitabı oku: «Das Lebenselixier», sayfa 4
Kapitel VII
Ich habe bereits versucht, eine Vorstellung vom äußeren Erscheinungsbild der Mrs. Colonel Poyntz zu vermitteln. Die Frau im Innern war ein ebenso großes Mysterium wie die Sphinx, deren Züge den ihren ähnelten. Aber zwischen der äußerlichen und inneren befindet sich immer eine dritte Frau – die ganz normale Frau – so wie sich das ganze Wesen der Welt darbietet – stets verschleiert, manchmal maskiert.
Mir wurde gesagt, die feine Gesellschaft in London erkenne den Titel „Mrs. Colonel“ nicht an. Sollte das zutreffen, befindet sich die feine Gesellschaft London´s im Unrecht, denn niemand im Universum könnte feiner sein als die feine Gesellschaft des Abbey Hill; und diese war der Ansicht, ihr Souverän habe ein ebenso gutes Anrecht an dem Titel „Mrs. Colonel“ wie die Königin von England an dem einer „Gracious Lady“. Dennoch bediente sich Mrs. Poyntz dieses Titels nie selbst; er erschien ebensowenig auf einer ihrer Karten, wie man die Bezeichnung „Gracious Lady“ auf einer der Einladungskarten finden wird, die der Lord Steward oder Lord Chamberlain auf Befehl ihrer Majestät ausgeben. Titel riefen bei Mrs. Poyntz ohnehin keine abergläubische Ehrfurcht hervor. Zwei dem Hochadel angehörende Damen, die zu ihrer engen Verwandtschaft gehörten, pflegten ihr alljährlich einen zwei- oder dreitägigen Besuch abzustatten. Der Berg betrachtete dies als eine Würdigung ihrer hohen Stellung. Mrs. Poyntz schien darin nie eine ihr selbst erwiesene Ehre zu erkennen, rühmte sich nie dieser Besuche, stellte ihre vornehmen Verwandten nie zur Schau oder machte nicht viel Aufhebens aus dem Empfang der Damen. Ihre Art zu Leben war frei von allem Prunk. Sie hatte das Glück, einige hundert Pfund Jahreseinkommen mehr verbuchen zu können als jeder andere Bewohner des Hill, aber sie verwendete ihre größeren Ressourcen nie zu der Schaustellung einer überlegenen Pracht. Als weiser Souverän widmete sie die Einkünfte ihrer Staatskasse dem Wohl ihrer Untertanen und nicht der Eitelkeit einer egoistischen Zurschaustellung. Da niemand auf dem Berg eine Kutsche unterhielt, verzichtete sie ebenfalls darauf. Ihre Einladungen waren einfach, aber zahlreich. Zweimal in der Woche empfing sie den Hill und sorgte dafür, dass er sich heimisch fühlte. Sie sorgte dafür, ihre Parties sprichwörtlich angenehm zu halten. Die gereichten Erfrischungen waren von der Art, die auch die ärmste ihrer Ehrendamen bieten konnte, allerdings achtete sie sehr auf Qualität – der beste Tee, die beste Limonade, die besten Kuchen waren gerade gut genug.
Ihre Räume waren von einer Behaglichkeit, die ihnen etwas besonderes gab. Sie sahen aus wie Räume aussehen sollten, die daran gewöhnt waren, in freundlicher Art Gäste zu empfangen, angenehm warm, gut beleuchtet, mit Kartentischen und Piano, die so platziert waren, dass sie zu Kartenspiel und Musik förmlich einluden. An den Wänden hingen einige Familienporträts und drei oder vier andere Bilder, von denen gesagt wurde, dass sie einigen Wert besäßen und gut dort hin passten – zwei Watteaus, ein Canaletti und ein Weenix; dazu eine größere Anzahl von Sesseln und Sofas, mit fröhlichem Chintz bezogen – wobei die Anordnung des Mobiliars im allgemeinen eine unbeschreibliche, sorglose Eleganz zeigte. Sie selbst war ausgesucht einfach gekleidet und trug auffallend weniger Juwelen und Schmuck als irgend eine andere verheiratete Dame auf dem Hill. Aber ich habe von denen, die etwas von der Sache verstehen, gehört, dass man sie niemals in der Mode des letzten Jahres gekleidet sah. Sie war stets auf dem neuesten Stand, gerade so viel, um zu zeigen, dass sie sich bewusst war, was zur Zeit Mode war, aber mit einer nüchternen Zurückhaltung, so als ob sie sagen wollte: „Ich gehe mit der Mode, so weit sie mir zusagt; ich erlaube ihr nicht, über mich zu bestimmen.“ Kurz, Mrs. Colonel Poyntz war manchmal rau, manchmal grob, immer maskulin und doch auf eine seltsam feminine Art und Weise maskulin; aber niemals vulgär, da sie nie geziert wirkte. Es war unmöglich zu leugnen, dass sie durch und durch „Gentlewoman“ war und sich einige Dinge ohne Verlust ihrer Würde erlauben konnte, für die andere Damen ihren Ruf einbüßen würden. So war sie sehr geschickt im Parodieren von Leuten, sicherlich die am wenigsten damenhafte Art, Humor zu zeigen. Aber wenn sie parodierte, so geschah das mit einem so ruhigen Ernst oder einem derart königlich guten Humor, dass man nur sagen konnte: „Was für ein unterhaltsames Talent die gute Mrs. Colonel hat!“
Auf dieselbe Weise, in der sie die Rolle einer gebildeten Frau einnahm, behauptete ihr männlicher Gegenpart, der männliche Colonel, seine Stellung unter den Herren; er war zwar scheu, aber nicht kühl, hasste Schwierigkeiten aller Art und begnügte sich in seinem Hause, eben so gar keine Rolle zu spielen. Wenn es das Hauptanliegen der Mrs. Colonel gewesen wäre, es ihrem Gatten möglichst gemütlich zu machen, wäre nichts dazu besser geeignet gewesen, als ihn mit Freunden zu umgeben und diese ihm zu passender Gelegenheit wieder vom Hals zu schaffen. Colonel Poyntz, der männliche Colonel, hatte in seiner Jugend tatsächlich gedient, hatte aber schon vor Jahren, bald nach seiner Heirat, den Abschied genommen. Er war der jüngere Bruder eines der vornehmsten Grundbesitzer des Landes; hatte das Haus, in dem er lebte, zusammen mit einigem wertvollen anderen Grundbesitz in und um L... von einem Onkel geerbt, galt als tüchtiger Landmann und war sehr populär in der Low Town, obwohl er sich niemals in deren innere Angelegenheiten einmischte. Er war peinlich genau gut angezogen, von schlanker, jugendlicher Gestalt und krönte sein Aussehen mit einer dicken jugendlichen Perücke. Er schien niemals etwas anderes als die Zeitungen und das meteorologische Journal zu lesen, was ihm den Ruf des wetterkundigsten Mannes in L... eingebracht hatte. Seine andere intellektuelle Vorliebe war – Whist; worin er es allerdings zu nicht ganz so großem Ruhm gebracht hatte. Vielleicht weil die Feinheiten dieses Spiels eine seltenere Vereinigung mentaler Fähigkeiten erforderten, als die Voraussage eines Steigens oder Fallens des Barometers. Im übrigen war der männliche Oberst, der eine beachtliche Anzahl von Jahren mehr als seine Gattin zählte, trotz seines jugendlichen Aussehens ein bewunderungswürdiger Adjutant des kommandierenden Generals, und sie hätte niemanden finden können, der gehorsamer, ergebener oder mehr voll des Stolzes auf einen so ausgezeichneten Chef gewesen wäre.
Wenn ich Mrs. Colonel Poyntz als Königin des Hills bezeichne, muss ich darum bitten, mich nicht falsch zu verstehen. Sie war keine konstitutionelle Fürstin, sondern herrschte als absolutistischer Monarch. Alle ihre Erklärungen hatten die Macht von Gesetzen.
Solcher Einfluss hätte nicht ohne ein beachtliches Talent, sich ihn anzueignen und festzuhalten, errungen werden können. Trotz ihrer ungezwungenen, lebhaften, herrischen Offenheit wusste sie mit unbeschreiblichem Takt Unterschiede zu machen. Selbst wenn sie sich bürgerlich und grob benahm, dann nie auf eine Weise, welche die Öffentlichkeit gegen sie eingenommen hätte. Ihre Kenntnis der Gesellschaft im Allgemeinen musste natürlich beschränkt sein, so wie das bei allen weiblichen Souveränen der Fall sein muss; aber sie schien die Gabe eines intuitiven Wissens über die menschliche Natur zu besitzen, die sie dazu verwendete, Herrschaft über sie zu erringen. Ich zweifle nicht daran, dass sie, wäre sie plötzlich als Wildfremde in die Welt von London versetzt worden, sich bald ihren Weg zu den auserlesensten Kreisen gebahnt hätte und dort, einmal angelangt, ihre Stellung selbst gegen eine Herzogin behauptet hätte.
Ich habe berichtet, sie täuschte niemals etwas vor; das mag einer der Gründe ihrer Regentschaft über einen Personenkreis gewesen sein, in dem beinahe jede andere Frau versuchte, eher als ein Jemand erscheinen zu wollen, als wirklich jemand zu sein.
Wenn Mrs. Colonel Poyntz auch nicht künstlich war, so war sie kunstreich – oder vielleicht sollte ich eher sagen artistisch. In allem, was sie sagte und tat, war Haltung, Führung und Plan. Sie konnte ein äußerst hilfreicher Freund oder ein gefährlicher Feind sein; obwohl ich persönlich glaube, dass sie selten die Grenzen zu extremer Vorliebe oder abgrundtiefem Hass überschritt. Alles war Politik – der Politik eines großen Parteiführers vergleichbar, der entschlossen ist, diejenigen mit besonderen Ehrungen zu würdigen, die es aus Gründen der Staatsräson zu begünstigen empfiehlt und die, die es aus denselben Gründen zu erniedrigen gilt, zu demütigen und zu zerstören.
Seit meinem Streit mit Dr. Lloyd hatte mich diese Lady mit ihrer freundlichsten Seite beehrt und nichts konnte geschickter sein, als die Art und Weise, in der sie, in dem sie mich anderen als orakelhafte Autorität vorstellte, danach strebte, das Orakel selbst ihrem Willen zu unterwerfen.
Sie pflegte in einer bestimmten mütterlichen Art mit mir zu sprechen, so als ob sie das aufs tiefste empfundene Interesse an meinem Wohlergehen, Glück und Ansehen habe. Gleichzeitig wusste sie in jedem Kompliment, in jedem scheinbaren Beweis des Respekts die überlegene Würde einer Autorität zu behaupten, die aus der Verantwortung ihrer Stellung die Pflicht ableitet, aufstrebenden Verdienst zu ermutigen; ein Umstand, der bewirkte, dass ich, trotz allen Stolzes, der mich glauben machte, ich brauche keine helfende Hand um vorwärts zu kommen oder meinen Weg in der Welt zu machen, mich des Gedankens nicht erwehren konnte, Mrs. Colonel Poyntz habe auf irgendeine mysteriöse Weise mein Patronat übernommen.
Wir mögen ungefähr fünf Minuten so Seite an Seite dagesessen haben - in einer Stille, als befänden wir uns in der Höhle des Trophonius – als Mrs. Poyntz plötzlich, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, sagte:
„Ich denke über Sie nach, Dr. Fenwick. Und Sie – Sie denken an eine andere Frau. Undankbarer Mann!“
„Was für eine ungerechte Anschuldigung! Gerade mein Schweigen sollte als Beweis dafür dienen, wie intensiv meine Gedanken auf Sie und Ihr zauberhaftes Gewebe gerichtet waren, welches unter Ihrer Hand aus Maschen entsteht, die den Blick verwirren und die Aufmerksamkeit fesseln.“
Mrs. Poyntz sah einen Moment zu mir auf – ein einziger Blick aus großen haselnussbraunen Augen – und sagte:
„Haben Sie wirklich über mich nachgedacht? Sagen Sie die Wahrheit.“
„Ganz ehrlich – ja.“
„Das ist eigenartig. Wer kann es sein?“
„Wer es sein kann? Was meinen Sie damit?“
„Wenn Sie über mich nachgedacht haben, dann geschah das in Verbindung mit einer anderen Person – einer anderen Person meines Geschlechts. Es ist ganz sicher nicht die arme liebe Miss Brabazon. Aber wer dann?“
Und wieder schoss ihr Blick über mich hinweg und ich fühlte, wie ich unter ihm errötete.
„Ganz ruhig!“ sagte sie und senkte ihre Stimme; „Sie sind verliebt!“
„Verliebt! – ich! Erlauben Sie mir zu fragen, wie Sie auf diesen Gedanken kommen?“
„Die Anzeichen sind unverkennbar; seit ich Sie zuletzt gesehen habe, hat sich Ihr Benehmen, ja sogar der Ausdruck Ihres Gesichts verändert; Ihr Verhalten ist sonst ruhig und beobachtend – jetzt aber unruhig und zerstreut. Ihr sonst so stolzer und heiterer Gesichtsausdruck ist jetzt gedrückt und verstört. Sie tragen etwas mit sich herum! Es handelt sich nicht um Ihren Beruf – da ist alles im Besten. Es handelt sich auch nicht um einen Ihrer Patienten, sonst wären Sie kaum hier. Aber Sie sind besorgt – eine Besorgnis, die nichts mit Ihrem Beruf zu tun hat, aber Ihr Herz berührt und eine neue Erfahrung für Sie ist!“
Ich war erstaunt und beinahe erschrocken, versuchte aber meine Verwirrung unter einem gezwungenen Lachen zu verbergen.
„Gründlicher Beobachter! Scharfsinniger Analytiker! Sie haben mich gerade davon überzeugt, dass ich verliebt sein muss, obwohl ich vorher gar keine Ahnung davon hatte. Aber wenn ich erraten soll, um wen es sich dabei handeln könnte, bin ich genauso ratlos wie Sie selbst und stelle die gleiche Frage: wer könnte es sein?“
„Wer immer es sein mag,“ sagte Mrs. Poyntz, die während meiner Erwiderung ihre Arbeit ruhen gelassen hatte und nun langsam und sorgfältig wieder aufnahm, als ob ihr Verstand und ihre Strickzeug in direkter Verbindung stehen würden – „ wer immer es sein mag, für Sie ist Liebe eine ernste Angelegenheit und mit oder ohne Liebe ist Heirat für uns alle eine ernste Angelegenheit. Nicht jedes hübsche Mädchen würde zu Allen Fenwick passen.“
„Oh je, gibt es irgendwo ein hübsches Mädchen zu dem Allen Fenwick passen würde?“
„Unsinn! Sie sollten über die ärgerliche Eitelkeit, nach einem Kompliment zu haschen, erhaben sein. Ja; die Zeit ist gekommen, in der es für Sie und Ihr weiteres Fortkommen ratsam wird zu heiraten. Meinen Segen haben Sie,“ sagte sie und lächelte dabei wie im Scherz, obwohl ein leichtes Nicken andeutete, dass sie es ernst meinte. Sie strickte jetzt entschiedener und rascher. „Aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, wer es sein könnte. Nein! Es ist schade, Allen Fenwick (jedes Mal wenn Mrs. Poyntz mich bei meinem Vornamen nannte, nahm sie ihre majestätische mütterliche Haltung ein) – „schade, dass Sie mit Ihrer Herkunft, Tatkraft, Beharrlichkeit, Ihrem Talent und lassen Sie mich das hinzufügen, bei Ihrem guten Aussehen und Benehmen – schade, dass Sie keine Laufbahn gewählt haben, die Ihnen ein höheres Einkommen und größeren Ruf einbringen könnte, als der glänzendste Erfolg als Provinzarzt. Aber gerade durch diese Entscheidung bin ich auf Sie aufmerksam geworden. Ich habe eine ähnliche Wahl getroffen – ein kleiner Kreis, aber die Erste darin. Wäre ich oder mein lieber Colonel ein Mann gewesen, den die Kraft der Frauenkunst eine Stufe höher auf der metaphorischen Leiter zu heben vermocht hätte, die nicht die Leiter der Engel ist, dann – ja, was dann? Egal! Ich bin zufrieden. Ich habe meinen Ehrgeiz an Jane übertragen. Finden Sie sie nicht hübsch?“
„Ohne Zweifel,“ sagte ich, sorglos und ungezwungen.
„Ich habe große Pläne mit Jane,“ Mrs. Poyntz nahm ihre Arbeit wieder auf. „Sie wird einen adligen Großgrundbesitzer heiraten. Er wird ins Parlament gehen. Sie wird sich um seine Karriere kümmern, wie ich für den Komfort des Colonels sorge. Wenn er klug genug ist, wird sie ihm dabei behilflich sein, Minister zu werden; ist er nicht klug genug, wird ihr sein Reichtum dabei behilflich sein, sie zu einer bedeutenden Persönlichkeit zu machen und ihm als Gatten einer Persönlichkeit Bedeutung zu geben. Sie sehen also, Allen Fenwick, dass meine Heiratspläne nicht auf Sie abzielen, denken Sie also darüber nach, ob es nicht von Vorteil für Sie sein könnte, mich ins Vertrauen zu ziehen. Vielleicht kann ich Ihnen nützlich sein....“
„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll; aber ich habe nichts, was ich Ihnen anvertrauen könnte.“
Während ich das sagte, blickte ich aus dem offenen Fenster, neben dem ich saß. Es war eine wundervolle, milde Nacht und der Maimond glänzte in seiner vollen Pracht. Unterhalb erstreckte sich in einiger Entfernung, soweit das Auge reichte, die Stadt mit ihren zahllosen Lichtern; dazwischen lag ein großes Viereck, in dessen Mitte einsam die mächtige alte Kirche stand, etwas weiter entfernt die Gärten und verstreuten Land- und Herrenhäuser, welche die Seiten des Hills bedeckten. Nach einer kurzen Pause sagte ich:
„Ist das nicht das Haus - das mit den drei Giebeln, in dem der arme Dr. Lloyd wohnte – Abbots´House?“
Ich warf den Satz so dahin, als ob ich der Unterhaltung eine andere Wendung geben wollte. Meine Gastgeberin hörte auf zu stricken, erhob sich halb und blickte aus dem Fenster.
„Ja, was für eine herrliche Nacht! Wie kommt es, dass der Mond Dinge, die sich im Sonnenlicht so scharf voneinander abheben, in solche Harmonie bringt? Den stattlichen Kirchturm, in tausend Jahren ergraut, diese ordinären Ziegeldächer und Schornsteine, so rot und rau wie erst gestern gemauert; im Mondlicht verschmilzt beides zu einem untrennbaren Zauber.“
Während sie so sprach, hatte meine Gastgeberin ihren Sitz verlassen und war mit dem Strickzeug in der Hand vom Fenster auf den Balkon getreten. Es geschah nicht sehr oft, dass Frau Poyntz sich herabließ, der „Sentimentalität“ – wie sie es bezeichnete – Zutritt zu der scharfen, praktischen und weltlichen Art Unterhaltung zu lassen, die sie bevorzugte. Trotzdem kam es von Zeit zu Zeit vor und wenn dies der Fall war, vermittelte sie mir den Eindruck eines viel zu verständigen Intellekts, um der Empfindsamkeit nicht doch einen Platz in diesem Leben einzuräumen, natürlich einen fest zugewiesenen Platz, vergleichbar der Mischung aus Leutseligkeit und Gleichgültigkeit, mit der eine vornehme Schönheit dem Genius eines armen, mittellosen Poeten Gehör schenkt, ohne ihn zu Weiterem zu ermutigen. Ihre Blicke wanderten einige Minuten lang mit sichtlichem Genuss über den Schauplatz; dann als sie auf den drei Giebeln von Abbots´ House haften blieben, gewann ihr Gesicht etwas von der Härte, die ihrem entschlossenen Charakter eigen war, zurück; ihre Finger kehrten mechanisch zu ihrer Tätigkeit zurück und sie sagte, mit einem klaren, metallischen Klang in ihrer Stimme:
„Können Sie sich vorstellen, weshalb ich mir so viel Mühe gegeben habe, Mr. Vigors einen Gefallen zu tun und Mrs. Ashleigh dort unten unterzubringen?“
„Sie waren bereits so freundlich, uns Ihre Gründe ausführlich darzulegen.“
„Einige meiner Gründe; aber nicht den Hauptgrund. Wer es wie ich für seine Aufgabe hält, Andere zu lenken, muss in Bezug auf seine Regentschaft, sei es über ein Königreich oder über ein Dorf, sich für ein Prinzip der Regentschaft entscheiden und unbeirrbar an ihm festhalten. Das Prinzip, das für den Berg am Besten geeignet ist, ist die Wahrung des Anstands. Wir haben nicht sehr viel Geld und – unter uns – auch keinen allzu hohen Rang. Unsere Politik muss also sein, dem Anstand so viel Macht zu geben, dass sich das Geld ihm unterwerfen und der Rang sich vor ihm fürchten muss. Kurz vor Mr. Vigors Besuch erfuhr ich, dass Lady Sarah Bellasis sich mit dem Gedanken befasse, Abbots´House zu mieten. London habe sich bereits seine Meinung über diese Dame gebildet; eine Provinzstadt würde wohl milder urteilen. Die Tochter eines Earl´s mit einem schönen Einkommen und einem furchtbar schlechten Ruf, mit den besten Manieren und der schlimmsten Moral, würde dem Anstand übel mitgespielt haben. Wie viele unserer Damen hätten Champagner dem Tee und die Lady der Mrs. Poyntz vorgezogen. Der Hill war nie zuvor in größerer Gefahr. Bevor ich das Haus Lady Sarah Belassis überlassen hätte, hätte ich es lieber selbst gemietet und mit Eulen vollgestopft. In diesem kritischen Augenblick kam mir Mrs. Ashleigh sehr gelegen. Lady Sarah´s Pläne sind vereitelt, der Anstand gewahrt und die Angelegenheit damit geregelt.“
„Es wird Sie freuen, eine Jugendfreundin so nah bei sich zu haben.“
Mrs. Poyntz sah mir tief in die Augen.
„Kennen Sie Mrs. Ashleigh?“
„Nein.“
„Sie hat viele Tugenden und wenig Ideen. Sie ist auf genauso alltägliche Weise schwach, wie ich auf alltägliche Weise stark bin. Aber diese Schwäche kann sehr liebenswert sein. Ihr Mann, ein Genie und Gelehrter, hatte ihr sein ganzes Herz geschenkt – ein Herz, das es wert war, errungen zu werden; aber er war nicht besonders ehrgeizig und verachtete die Welt.“
„Ich glaube, Sie sagten Ihre Tochter sei sehr gut mit Miss Ashleigh befreundet. Ist sie ihrer Mutter sehr ähnlich?“
Ich befürchtete schon, wieder dem suchenden Blick von Mrs. Poyntz ausgesetzt zu werden, aber diesmal sah sie nicht von ihrer Arbeit auf.
„Nein. Lilian ist weit davon entfernt alltäglich zu sein.“
„Sie beschrieben ihre Gesundheit als angeschlagen; Sie sagten etwas von der Hoffnung, sie sei nicht schwindsüchtig. Ich hoffe, es gibt keinen ernsthaften Grund für die Annahme, sie habe die Anlage für diese Krankheit, welche in ihrem Alter sorgfältig überwacht werden müsste?“
„Ich glaube nicht. Wenn sie sterben müsste... – Dr. Fenwick, was ist mit Ihnen?“
Das Bild, welches die Worte der Frau mir vor Augen geführt hatten, bewirkte, dass ich auffuhr, als sei ich ins Mark getroffen worden.
„Ich bitte um Verzeihung,“ stotterte ich und presste meine Hand auf mein Herz; „ein plötzlicher Krampf in der Brustgegend....- ist schon vorüber. Sie sagten, dass... - ..dass..-..“
„Ich wollte gerade sagen...“ an dieser Stelle legte Mrs. Poyntz ihre Hand leicht auf die meine. „Ich wollte gerade sagen, falls Lilian sterben würde, würde ich um sie weniger trauern, als um jemanden, dem irdische Dinge mehr bedeuten. Aber ich glaube, es gibt keinen Grund zu der Besorgnis, die meine Worte unabsichtlich in Ihnen wachgerufen haben. Ihre Mutter ist sehr wachsam und um ihr Wohl besorgt; sollte Lilian etwas fehlen, so würde sie sich sofort nach ärztlichem Rat umsehen. Mr. Vigors würde natürlich Dr. Jones empfehlen.“
Mit diesen Worten, die mir wie ein Stachel im Herzen staken, beendete Mrs. Poyntz unserer Unterhaltung und kehrte in den Salon zurück.
Ich blieb noch einige Minuten auf dem Balkon, wütend und aus der Fassung gebracht. Auf welch vollendete Weise hatte mir diese abgebrühte Diplomatin mein Geheimnis abgerungen! Dass sie mein Herz besser kannte, als ich wahrhaben wollte, wurde durch den mit dem Widerhaken „Dr. Jones“ versehenen parthischen Pfeil deutlich, den sie im Rückzug über die Schulter noch auf mich abgeschossen hatte. Vielleicht war es nur die gewohnt schnelle Auffassungsgabe des weiblichen Geschlechts, die bewirkte, dass sie vom ersten Moment an, in dem sie mich an ihre Seite gelockt hatte, „das Etwas“ in mir ausfindig gemacht hatte. Mit außergewöhnlicher Schlauheit hatte sie die Unterhaltung in eine Richtung gelenkt, in der sie einen Hinweis auf dieses Etwas vermutete. Zu welchem Zweck? Was brachte ihr das Ganze? Welche Gründe, außer der Befriedigung ihrer Neugier, konnte sie haben? Vielleicht hatte sie zuerst angenommen, ich hätte mich von der eindrucksvollen Schönheit ihrer Tochter beeindrucken lassen und mir deshalb mit halb zynischer, halb freundlicher Offenheit ihre ehrgeizigen Pläne für die Verheiratung dieser jungen Dame offenbart. Meine Reaktion überzeugte sie, dass ich offensichtlich keine Ambitionen in dieser Richtung entwickelt hatte, spornte jedoch ihr Vergnügen an der Ausübung eines gerissenen Intellekts an, der Politiker und Intriganten zu einer Aktivität antreibt, die ohne den eigenen Reiz an sich keinen vergleichbaren Ansporn liefert. Zudem war die Ausübung von Macht die beherrschende Leidenschaft dieses kleinen Souveräns und wenn Wissen Macht bedeutet, gibt es kein besseres Mittel, Macht über ein widerspenstiges Subjekt zu gewinnen, als durch das Wissen um ein Geheimnisses, welches in seinem Herzen ruht.
Aber „Geheimnis“! Besagte das eigentlich nicht viel zu viel? War es wirklich möglich, dass allein der Blick in ein Gesicht, dass man nie zuvor gesehen hatte, mein ganzes Leben beeinflussen konnte – das einer Fremden, von deren Geist und Charakter ich nichts wusste und deren Stimme ich noch nicht einmal gehört hatte? Nur aus dem unerträglichen Schmerz, den ich bei den sorglos dahin gesagten Worten „wenn sie sterben sollte“ empfand, fühlte ich, wie sehr die Welt sich für mich verändern würde, wenn ich dieses Gesicht nie mehr wiedersehen könnte! Ja, es war auch für mich kein Geheimnis mehr – ich war verliebt! Und wie alle, auf die sich die Liebe herablässt, einmal sanft und langsam mit dem leichten Flügelschlag der Taube, die auf ihrem Nest landet, ein anderes Mal mit dem Herabsausen eines Adlers auf seine ahnungslose Beute vergleichbar, war ich der Ansicht, dass niemand je zuvor so wie ich geliebt habe und dass eine derartige Liebe ein Wunder sein müsse, nur für mich alleine geschaffen. Unmerklich besänftige mein Gemüt seine wilderen und stürmischeren Gedanken, während mein Blick auf dem Dach von Lilian´s Heim und der vom schimmernden Silber des Mondlichts beleuchteten Weide ruhte, unter der ich sie zum ersten Mal in den rotglühenden Abendhimmel blicken sah.