Kitabı oku: «Die Ehre der Stedingerin», sayfa 3

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„Er will das ums Verrecken nicht“, beteuerte Ulrike hastig.

Davon wollte Sibo Aumund nichts hören und redete gelassen weiter. „Bestelle ihm einen gut gemeinten Gruß. Ich bin gewillt, euch und auch Lüder unterzubringen, und ich helfe gern. Aber ihr müsst einsehen, ich kann euch nicht auf Dauer umsonst durchfüttern. Darum werdet ihr euch nützlich machen auf dem Hof. Unser Großknecht wird euch einweisen. Und Lüder soll mir, so oft die Schmiede etwas abwirft, ein paar Silberpfennige abgeben, das ist billig.“

„Ich will es ausrichten“, versprach Ulrike erleichtert, aber sie wusste um den Starrsinn des Vaters.

„Gut Mädchen. Und mach‘ ihm klar: Andernfalls wird Graf Moritz einen fremden Schmied auf die Burg holen, und der wird fett werden im Dienst des Oldenburgers. Er aber wird als zweiter Schmied von Berne leben wie ein Bettelmann. Es ist ein Gebot der Klugheit, solch ein Angebot nicht abzulehnen.“

Erleichtert nickte Ulrike. Nun lag an Lüder wie es weiterging mit ihnen… und ihr selbst mangelte es nicht an der nötigen Einsicht.

Wibke entgegnete für sie: „Er braucht doch bloß seinen Männerstolz einmal hintenan zu stellen. Meine Güte, für uns, uns zu Liebe. Das wird er sich von mir zumindest anhören müssen.“

„Von mir auch“, fügte die Kleine bei, und Sibo stimmte es vergnügt. Seine Worte fielen bei den Mädchen auf fruchtbaren Boden, und ihr Vater war alt genug, zu begreifen, er konnte sich bei drei aufgeweckten Töchtern nicht einfach in Schweigen hüllen.

Aber ihr Vater tat sich schwer, eine Entscheidung zu fällen. Wenigstens zeigte er sich so weit einsichtig, Ulrike nahe zu legen, sie sei alt genug, aus dem Haus zu gehen. Den alten Hausstand zu räumen wollte er sich nicht durchringen. Lüder stellte es Wibke und Timke frei, ob sie bis zum letzten Tag in der Schmiede wohnen wollten, oder es vorzogen, sich mit seiner Ältesten bei den Aumunds einzuquartieren.

So ergab es sich, dass Birte die Freundin nach dem gemeinsamen Mittagstisch zu sich winkte und einlud, in ihr kleines Gemach neben der Diele. Ulrike offenbarte sich eine ihr bisher fremd gebliebene Welt. Sie fühlte verunsichert über die Oberkante der fein gedrechselten Kommode. Ein ebenso vorzüglich gearbeiteter, turmartiger Schrank nahm die Ecke an der Tür ein. Sie konnte den Blick gar nicht wieder davon losreißen; hinter kleinen Glastürchen schimmerte feines, blau marmoriertes Geschirr, und obendrauf eine Elfenbeindose mit einer zierlichen Gravur um den Deckel.

„Sag‘ mal Rike“, fragte Birte sie unter vier Augen, „hast du schon eine Vorstellung, was du anziehst, morgen nach dem Kirchgang, wenn der Festplatz geschmückt wird?“

Überrascht blinzelte Ulrike. „Warum fragst du? Na den Kittel hier.“

Die Freundin betrachtete sie kopfschüttelnd und zeigte auf eine runde Eichenholzscheibe, die zum Backen diente und auf der Kommode stand. „Nimm dir. Es ist gewöhnlicher Butterkuchen, aber aus unserem eigenen Backofen, ich bin stolz darauf.“

Das ließ sich Ulrike nicht zweimal sagen. Butterkuchen bot sich sonst bloß auf Hochzeiten oder Beerdigungen. Ungehemmt langte sie zu und merkte, Birte musterte sie von oben bis unten.

„Also so nehme ich dich nicht mit zum Tanz morgen“, gab ihr die schon ein wenig vertraute Freundin fassungslos zu verstehen.

Ulrike verzog trotzig die Stirn. „Was hast du denn?“

„Guck dich doch mal an“, empfahl ihr die Freundin und verschränkte nachdrücklich die Arme. „Du kannst doch nicht mit diesem lumpigen Kittel zu einer Feier gehen, wo auch Burschen sind. Also ich würde mir in so einem Zottel vorkommen wie eine Gänsemagd. Du bist erstaunlich, da fehlen mir ja die Worte.“

Es stimmte Ulrike betroffen. Eben noch mit vollen Backen kauend, stand ihr Mund ernüchtert still. „Du bist gemein. Ich habe‘ doch nur diesen Kittel.“

„Gemein ist, dich so losziehen zu lassen auf ein Fest, zu dem sich jede andere in deinem Alter fesch herausputzt.“

Was Birte meinte, war Ulrike durchaus bewusst. Ihr Kittel wirkte schäbig und fleckig, auch wenn sie das nicht störte. Oft wischte sie beim Kochen die Finger daran ab. Sie nahm sich ein zweites Stück vom Butterkuchen, biss ab und kaute wieder. Aus dem Gefühl, sich wehren zu müssen, brachte sie undeutlich hervor: „Ich weiß gar nicht, was du hast...“

„Zunächst - rede nicht, so lang du noch kaust, Rike, sonst hält dich jeder brauchbare Mann für ein Trampel.“

Ulrike schluckte. „Ja? Weißt du, auf so etwas habe ich nie geachtet“, entfuhr ihr, aber Birte überging es und als sie ihren Kleiderschrank aus hellem Buchenholz aufschlug, war das schon nicht mehr wichtig. Angesichts ihrer Kleidersammlung staunte Ulrike sie überwältigt an. Da hing eine tiefblaue Surkotte, die sie allenfalls in ihrem Zimmer anziehen durfte. So etwas zu tragen, blieb den Hofdamen von Adel vorbehalten; ein wenig erwachte bei Ulrike der Neid. Birte hatte selbst für derart eitle Anwandlungen genügend Geld.

Doch Birte ging es um sie. Die zeigte ihr ein friesisches Trachtenkleid, mit zierlicher Stickerei längs des Ärmels und der Säume. „Das ist von meiner Muhme. So laufen sie im Wangerland herum. Aber hat doch was, oder?“

Obendrein boten sich in Birtes Sammlung einige dezent bestickte Röcke und Kleider in hellblau, weiß und violett, jedes Stück aus weichem Linnen. Alles war gefällig und erweckte einen gepflegteren Eindruck als das, was sie am Leib trug, und Birte schob alles beiseite und empfahl ihr ein blütenweißes Sommerkleid. „Wir sind etwa gleich groß. Probiere es einfach an.“

Sie riss sich ihr abgetragenes Kleid über den Kopf, warf es auf Birtes Bett und zog sich das Sommerkleid über, strich es um sich glatt. Nie trug sie etwas Vergleichbares. Weich und sehr leicht und luftig fühlte es sich an, war nicht aus kratziger Wolle gewebt, sondern bestand aus feinstem Linnen. Auch einen passenden Gürtel in hellem Blau reichte ihr Birte, der die Taille unter ihren Busen verlagerte und sie gertenschlang machte, als sie den mit einer Schleife zuband.

„Na schau mal an“, lobte Birte und nickte zufrieden. „So kannst du dich sehen lassen, Rike.“

Sie waren unter sich in Birtes Kammer. Also stopfte sich Ulrike ungeniert den letzten Bissen ihres Butterkuchens in den Mund, und nachsichtig lächelnd deutete die Freundin auf den Standspiegel neben der Zimmertür. Ulrike hob entzückt das Kinn und strich beeindruckt das Kleid um sich glatt. „Du hast ja Recht, Birte. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Nur… wie stehe ich vor dir da, wenn ich das annehme?“

„Meinst du, ich werde gerade das Kleid vermissen? Willst du es nicht geschenkt, leihe ich es dir.“

Auf ihr Augenzwinkern wandte sich Ulrike der Tür zu, um sich den wartenden Schwestern zu präsentieren. Sie streckte kaum die Hand aus nach der Tür, da blickte sie Birte erneut beschwörend an. „Du wirkst noch immer wie eine Fünfzehnjährige.“

Langsam wurde es Ulrike zu bunt, beständig von der Freundin belehrt zu werden. Sie drehte sich hochfahrend um und betrachtete sich gekränkt noch einmal ganz kritisch in dem großen Wandspiegel, ehe die Freundin hinter sie trat und sich herausnahm, ihr den Zopf zu öffnen. „So muss mich jeder Mann für eine Walküre halten“, scherzte sie, und es klang verletzt.

„So sollst du ja auch nicht zum Tanz gehen.“ Birte wandte sich mit kreativ gespitzten Sinnen der Eichenkommode zu und überflog den Inhalt der kleinen, bunt bemalten Steinschale, die neben dem Butterkuchen ihren Platz hatte. Ein Kamm fand sich darin, scheinbar aus Silber, sowie eine Haarspange aus dunklem Horn und eine Perlenkette. Birte kämmte energisch ihr Haar durch, egal wie grausig das ziepte, bis es geschmeidig glänzte, dann entnahm sie die Perlenkette und wies die Ulrike. „Halte dir mal die Haare hoch. Nur um zu sehen, wie das aussieht.“

Ulrike raffte das Haar im Nacken zusammen, und Birte verschlang es ihr zu einem kunstvollen Knoten, dem sie mit dem Perlenband Halt verlieh. Ihre ungewöhnlich geschickten Finger wirkten gepflegt wie die einer Burgdame, und hinterher war der Haarbausch zierlich mit silberweißen Perlen umbunden und konnte durchaus einen Windstoß überstehen.

„Siehst du, wie recht ich habe? Oder möchtest du dich wieder umziehen und lieber zum Tanz gehen wie ein kleines Mädchen?“

Je mehr Ulrike Gefallen an ihrem verwandelten Äußeren fand, desto mehr taute sie auf in Birtes Gesellschaft und fing an, sich mit ungeübten Händen die ungewohnte Frisur mit dem Perlenband zurechtzurücken. „Du bist meine erste richtige Freundin“, gestand sie Birte.

Die zwinkerte ihr vergnügt zu. „Und du meine Beste.“

Für einen guten Bürger hatte es Tradition, den Sonntag des Erntedankes mit einem Kirchenbesuch zu beginnen. Für Lüder und seine Töchter lag die Kirche von Berne mit ihrem großen freien Platz, auf dem zwei alte Linden standen, auf der gleichen Warft, eigentlich um die Hausecke. Die Glocke rief auch an diesem Sonntag zum Gottesdienst wie zu einer Pflicht, der jeder gern nachkam, und sie klang weithin über das Land. Jeder in Berne lebende Stedinger war stolz auf die zum Großteil aus Stein bestehende Kirche. Durch das bunte Mosaikfenster im Hintergrund der Eichenholzkanzel, flutete gedämpftes Sonnenlicht in das Kirchenschiff. Bestieg Pfarrer Wilke Holms die hohe Kanzel und überschaute mit einem feierlichen Ausdruck im hageren Gesicht die Köpfe seiner Schäflein, erhob sich die über zwanzig Bankreihen verteilte Gemeinde zum Singen. Ulrike hielt heimlich Umschau, wer fehlte. Eigentlich widerte sie die sonntägliche Heuchelei an. Freilich, jeder ging in die Kirche, allerdings zur Unterhaltung, weniger wegen des Gottesdienstes. Wilke Holms war ein begnadeter Redner, ein Talent, das fesseln konnte. Seine Predigten sorgten für Gesprächsstoff und Abwechslung nach all der Plackerei und Mühsal, die den Alltag füllte - mehr nicht. Wer außer ihr hörte schon richtig hin?

Heute schmückten alle Nischen bunte Blumengebinde. Zu Füßen der Kanzel bildeten Astern, Levkojen, Studentenblumen, Sommerrittersporn und Löwenmäulchen eine farbenprächtige Augenweide. Auf dem Altar war eine Auswahl aus 16 geweihten Heilkräutern angeordnet, und zwar so, dass in dessen Mitte eine majestätische Königskerze mit einer leuchtend gelben Blütensäule thronte, um welche man die anderen Pflanzen büschelweise gruppiert hatte, vornean Johanniskraut, Schafgarbe, Kamille, Wermut, Beifuß, Baldrian und Arnika.

Ulrike richtete es ein, dass sie bei Birte Aumund sitzen konnten, rechts von ihr die Schwestern und der Vater, links von Birte deren Brüder Klaas und Herse sowie Sibo Aumund, das Familienoberhaupt. Dann erfüllte frommer Gesang die Kirche, und in die einkehrende Stille hinein sprach Wilke Holms über Weisheit und darüber, alles habe seine Zeit. „Es gibt den Herbst, um zu pflügen, den März, um zu säen und den späten Sommer, um zu ernten. So wie es eine Zeit gibt, zu trösten und die Momente, in denen wir Trost brauchen. Wir geben, damit andere uns geben, sind wir in Not“, beschloss es der Pfarrer und segnete die Gemeinde.

Erneut galt es, sich von der harten Bank zu erheben und nach weiterem Lobgesang auf den Herren breitete sich Unruhe im Hauptschiff aus. Während Birte in der Beichtkammer verschwand und die Leute lautstark schwatzend aus der Kirche schwärmten, hob Ulrike den Blick zu der Madonna, die in Kerzenschein gehüllt milde zu ihr herab lächelte, und sie vertiefte sich in ein stilles Gebet. Ein Luftzug von der Kirchenpforte ließ die Kerzenflamme am Marienaltar zittern, und Ulrike dachte an die schwere Entscheidung, die der Graf von ihrem Vater forderte. Sie fühlte sich dem lieben Gott an diesem Ort nahe. Glaube kann Berge versetzen, klang es zuweilen von der Kanzel. Sie wusste das zu deuten, so sehr, niemals einzuschlafen, ohne ihr Nachtgebet. Da der liebe Gott bekanntlich alles sah, bemühte sie sich von Herzen, ein guter Mensch zu sein, aber ähnlich erging es wohl den meisten. Nur heimlich, ohne es jemals vor Timke oder Wibke zuzugeben, glaubte sie daran, für Gott eine gewisse Rolle zu spielen, und sie fügte mit feierlichem Nachdruck das „Amen“ hinzu. Hinter den Pfeilern, am Rand der Sitzreihen, steckten die Frauen mit Haube leise tratschend die Köpfe zusammen. Die schwer über den Steinboden schlurfenden Schritte eines Handwerksmeisters nahmen sich wie ein Poltern aus im Gemurmel. Nach der Andacht fühlte sie sich wundersam befreit und mit sich im Reinen, ganz so, als sei ein heimliches Abkommen aufgefrischt, welches ihr von klein auf viel bedeutete. Die meisten verließen die Kirche hingegen, ohne ihr schweres Herz erleichtert zu haben. Die Masse strebte schiebend, in winzigen Schritten dem Ausgang zu, um sich draußen auf die festgetretene, freie Lehmfläche und die Wege mit Buden und Ständen zu verteilen, wo nur zum Rand hin noch Gras gedieh.

Draußen flötete eine Amsel in der Linde, und sie musste an Eike denken. Wie früher ärgerte sie seine ungestüme Art, die Dinge anzupacken. Die Freundin stieß eben wieder zu ihr, und Ulrike bemerkte leise: „Eike regt mich auf. Bolke stellt klar, es sei gefährlich, Renke van Hartjen zu helfen, und der lässt es glatt darauf ankommen, will beweisen, was er für ein Kerl ist. Das war dumm, ich frage mich, was geschehen wäre, hätte das Unwetter nicht alles umgeworfen.“ Sie ahnte, Birte würde es nur missverstehen; eigentlich fand sie es anfangs ja auch tapfer, wie Eike seinem Vater nacheiferte. Und Birte blinzelte überrascht. „Durch dich steige ich nicht durch. Uns hast du begeistert geholfen, bei Renke van Hartjen nennst du es dumm. Weshalb?“

Ulrike lachte trocken. „Das Gerangel auf dem Wertherhof hätte sich Ocko besser verkniffen. Der Werther könnte noch leben, und es hat den Vogt verärgert. Sowas tönt man doch nicht heraus wie Eike und treibt es noch toller.“

„Na gut, Eike handelt mitunter unüberlegt. Aber das trifft auf die meisten Kerle zu.“

Ulrike schnitt ein leidgeprüftes Gesicht und seufzte, als sei es ihr zu unwichtig, sich deswegen zu streiten. „Schon, aber sicher ist, der Bessere der beiden will dich.“

Lüder trug zur Feier des Tages ein Hemd mit dem Ansatz eines Kragens, darüber einen langen braunen Leinenmantel mit Ledermanschetten; man hätte ihn für einen Zunftmeister halten können. Ulrike war stolz auf ihren Vater. Ihre Augen streiften hinüber, zu dem Bühnengerüst mit Stiege, an dem zwei Zimmerleute ihre letzten Handgriffe ausführten und noch gehämmert wurde. Davor reihten sich Sitzbänke und acht Fuß lange Schanktische. Nahe dem Halbschatten der Linde errichteten kräftige Burschen einen Erntebaum, fast so hoch wie das Rathaus. Ein aus Ähren gebundener Kranz schmückte die Spitze, umweht von bunten Bändern. Die Umstehenden jubelten und beklatschten heftig die aufgepflanzte Erntekrone aus Rogge, Gerste und Hafer, die einen Vergleich mit der von Elsfleth nicht zu scheuen brauchte. Für Ulrike war es diesmal mehr als nur der übliche Rummel, der alle Jahre wiederkehrte, fand sich unter der Erntekrone die Jugend zusammen. Schausteller und ein dressierter Bär waren angekündigt, ein Barde sollte zum Tanz aufspielen. Vor allem aber hatte sie heute ein wunderschönes Kleid an. Diesmal würde sie nicht allein hingehen und freute sich, eine Freundin gefunden zu haben. Plötzlich bemerkte sie, ihr Vater fehlte, und das ließ ihr keine Ruhe. Timke wollte unbedingt am Sackhüpfen teilnehmen, überlegte sie und sah sich beunruhigt nach dem Vater um. Wibke machte sie im Gedränge des Standes aus, der heiße Pfannkuchen mit Marmelade anbot, und sie zog Birte mit sich, um nach Lüder zu suchen. In Gedanken überflog sie den Kreis der Freunde, zu denen es ihn verschlagen haben könnte. Der Kreis begrenzte sich auf einen eigenbrötlerischen Köhler, den sie aber nicht antrafen, und einen Freund, den er schon vor der Auswanderung aus Westfalen kannte. Der machte kürzlich von sich reden, durch den Bau einer Gerberhalle, die allen anderen Gerbern das Wasser abgrub. Sie mussten durch das wenig vornehme Westviertel, wo Fischer, Gerber und Färber ihrem anrüchigen Handwerk nachgingen. Auf ihrem Weg scheuchten sie in einem engen Durchgang ein entlaufenes Schwein auf, das im Schweinsgalopp vor ihnen her zuckelte und sich, als sie schneller ausschritten, durch ein Hundeloch unter einem Bretterzaun verdrückte. Früher oder später würde es in einem Vorgarten beim Räubern im Rübenbeet erwischt werden und doch noch auf dem Tisch landen. Ulrike seufzte - so war es nun einmal in der Welt. Ein Feldweg, von dem aus man die Hunte hörte, führte zu Fordolts Mühle, von der die Aumunds ihr Korn mahlen ließen. Die Grillen zirpten, und wo sich klappernd das Wasserrad der Mühle drehte und es immerzu plätscherte, tollten einige Kinder auf der Badewiese umher. Das Brausen vom Wehr wurde lauter und schwoll an, während sie sich langsam Eikes Angelstelle näherten. Sie entdeckte Eike schon von weitem. Keinen Steinwurf entfernt saß er am Ufer, und Ulrike rief die vorausgepreschte Freundin vom Wehrgang zurück, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln und ihn nicht völlig zu übergehen. Eike von Bardenfleth lehnte an seinem Stammplatz an der Weide und beschäftigte sich gerade mit der Angel. „Nein, dein Vater ist hier nicht vorbei gekommen“, klärte er sie auf, wickelte Schnur ab, tat ein kleines Schrotkorn daran und ließ forschend die Augen über das sie umgebende hohe Hafergras schweifen, auf der Suche nach einem Köder. Flink fasste er zu und erwischte eine grüne Heuschrecke, die er dann konzentriert auf den kleinen Haken spießte. Erst dann widmete er sich den Mädchen. „Setzt euch zu mir“, forderte er, und als Ulrike sich zu ihm hockte, lachten seine Augen anzüglich. „Ich finde Lüder großartig. Der traut sich was“, gab er zu. „Aber was hat jemand wie er mit diesem Gnatterpott von Gerber zu schaffen? Das wüsst‘ ich gern.“

Von den in der Sonne verrottenden Feldern her lag dumpfer Heu- und Öhmdgeruch auf dem Land, und Ulrike rieb sich die Nase, eigentlich schien es wichtiger, ihren Vater aufzustöbern, aber sie bezähmte sich und erklärte es ihm geduldig. „In Soest, wo Vater aufwuchs, arbeiteten sie zusammen in der Saline. Salinen sehen aus wie riesige hölzerne Bienenhäuser mit Türmen, hoch wie unser Erntebaum und vollgestopft mit Reisig. Im Reisig sammelt sich Sudsalz, und im Eifer des Gefechts stieß Hinnerk oder Lüder einen vollen Sack um. Auf wessen Kerbholz es tatsächlich ging, darüber haben sie sich nie einigen können. Hinnerk nahm es auf seine Kappe, und das verbindet.“ Sie wollte ihm nicht die Fische verscheuchen und ließ sich nicht länger aufhalten, warf aber ein Auge auf den Melkbottich am Schilf. Drei Rotfedern schwammen darin, die hin und wieder leise plätscherten. Eike deutete mit dem Kinn stumm auf das klare Wasser. Die Weißfische, auch die ältesten und größten lockte die Wärme empor, um sich zu sonnen, und einige umkreisten die in der Strömung wippende Federpose.

„Wie ich Lüder einschätze“, gab Eike ihr auf den Weg, „hockt der in der Schmiede und hadert mit sich und der Welt. Ich will eine Nacht in einem Bett voll Brennnesseln schlafen, sollte ich mich irren. Aber Lüder wirkte nie wie jemand, der sich bei Freunden ausweint.“

Ulrike wunderte, warum ihr das nicht selbst einfiel. „Danke“, warf sie ihm zu, und auf einmal zog es sie unwiderstehlich zur alten Herdstelle. Von dieser Stunde an mochte sie Eike wieder irgendwie; der nüchterne Wink zeugte von gesundem Menschenverstand und bewies, Eike machte sich Gedanken. Durch ihn wieder zuversichtlich gestimmt, wandte sie sich der überschaubaren Dorfstraße zu, und der Himmel über Berne war enzianblau wie Birtes Augen. Die Freundin sah sie zwinkernd an. „Ist doch ein Lieber, der Eike… musst du zugeben. Außerdem könnte ich mir dann leicht Bolke angeln. Einen für dich, einen für mich.“

Die klappernde Mühle und das tosende Wehr blieben hinter ihnen – es zog Ulrike mit beschleunigten Schritten zur alten Schmiede. Dort fanden sie ihren Vater. Lüder rieb sich grüblerisch den Stoppelbart und konnte sich nicht entschließen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Die Stirn gesenkt, stierte er aus glasigen Augen auf den Pott mit Most, zu dem er sonst eher selten griff. Wie viel von dem scharfen Obst er sich bereits einverleibte, zeigte die rote Nase. Er lallte hörbar, mit ihm zu reden, hätte sie sich sparen können. Er schob sich eine triefende Pflaume in den Rachen und kaute langsam und genießend. Vom Rummel wollte er nichts wissen - bevor Birte die Geduld verlor und empfahl, sie könne vorausgehen.

Endlich machte Lüder sich Luft. „Dieser aufgeblasene Hundsfott wird mich schikanieren“ stellte er brummig in den Raum. „Du kennst mich als Gemütsmensch, Rike, mir fällt es verdammt schwer, dann nicht gereizt zu klingen.“ Er schlug krachend die Faust auf den Tisch, die Augen sprühten vor Zorn. „Ich bin keiner, der katzbuckelt… und das hier aufzugeben, das heißt, einem Hund gleich den Schwanz einzukneifen.“

„Vater, nimm das Gute mit, das dir der Graf anbietet. Arbeite vorläufig am alten Amboss, dann an dem, den er dir hinstellt und komme zu uns, mit auf den Aumundhof, die Kammer ist allemal so groß wie das hier. Obendrein hättest du stets was zu tun. Ich erinnere mich, oft fehlte uns das Geld fürs Brot. Vergiss nicht, wie dir zumute war… hast du in der Schmiede gesessen und die Daumen gedreht.“

Es traf den Punkt, den er in seiner Verzweiflung vergessen hatte. Lüder erhob sich unbedarft, wankte heftig, und grinste als sie ihn stützte. „Du bist so klug wie deine Mutter war, Rike“, lobte er sie mit mühsam gebändigter Zunge. “Was soll aus uns werden… hält Eike auf einmal um dich an?“

Sie schüttelte den Kopf dazu und schmunzelte hintergründig. Er hütete sich, noch ein Wort darüber zu verlieren. Dann hakte sie sich bei ihm ein, und sie kehrten mit ihrem heftig schwankenden Vater auf den freien Platz am Rathaus zurück. Den Einzug der mit Blumengirlanden geschmückten Erntewagen hatten sie verpasst, ebenso das Ritual, in dem ein Junge die letzte Garbe vom Stoppelfeld bringt, und das Sackhüpfen der Kinder. Auf dem Stuhl des Bühnengerüsts saß ein grün und gelb gekleideter Barde. Er griff kraftvoll in die Saiten, und der Klang der Laute fuhr ihr in die Knie. Sie sang gern und genoss den Zauber des ihr fremden Instruments. Es war ein trauriges Lied von einem edelmütigen Ritter, dem die Geliebte schmollte, weil er ihr einen Freund erschlug. Wurde zum Tanz aufgespielt, war üblich, eine Seite der Bankreihen den Männern zuzuordnen, die andere Hälfte, von den Linden bis zum Tor mit der Bernebrücke blieb den Frauen. Scheue Blicke wechselten von hier nach dort, ehe ein mutiger Jüngling sich der weiblichen Gemeinde näherte.

Vor der Bühne tanzten bereits einige, da stieß Birte Ulrike an. Ihr Blick zielte auf Eike von Bardenfleth, der sein Angelzeug bei sich hatte und quer durch die Sitzreihen gezielt auf sie zu steuerte. „Birte… nein“, raunte sie. Bisher gelang ihr, sich vor dem Tanzen zu drücken; sie fürchtete, sich zu blamieren, und seine Absicht war klar.

„Du bleibst“, verlangte Birte. „Zeig‘ Courage, Rike. Der Eike ist ein brauchbarer Kerl. Stoß ihm nicht vor den Kopf. Hörst du?“

Also ließ sie sich auffordern, brachte mit Eike ihren ersten Reigen hinter sich und floh schleunigst wieder an ihren Platz. Erneut beschwor er sie, mit ihm den Heuschober aufzusuchen, ja drängte sie, und die strengen Regeln von Sitte und Anstand geboten, unberührt zu bleiben, bis die Glocke von Berne in den Hafen der Ehe rief. Die Bitte nach einem zweiten Tanz schlug sie barsch ab und blieb auch hart, als er sich verstohlen entschuldigte. Jedenfalls zog Eike traurig ab. Birte weigerte sich, das stumm hinzunehmen. Ihr Gespräch wurde lebhafter. Birte klang vorwurfsvoll, und Ulrike sträubte sich, noch einmal auf Eike zuzugehen. Ja, sie behauptete kühn, sie könne auf Eike verzichten, ebenso auf jeden anderen Kerl. Lüder sorge für genug Aufregung. Sie übertrieb, aber es tat gut, danach über das zu reden, was sie wirklich belastete, und die Zeit verging darüber wie im Flug.

Als ein kunterbunter Gaukler die Bühne betrat und eine lohende Feuerlanze in die Luft spie, hielt Ulrike fasziniert wie alle den Atem an. Es dämmerte allmählich, ein Häscher im Oldenburger Wappenrock entzündete Talglichter und steckte am Rand des Festplatzes einige Fackeln in den festgetretenen Lehm. Ulrike blies ungeduldig über ihre dampfende Schale mit Biersuppe, da erschien jemand in hohen Reitstiefeln vor der Bank, an der Ulrike mit ihren Schwestern und der Freundin saß. „Ist der Platz neben dir frei?“

Ein freudiger Schreck spiegelte sich in ihren Zügen. Sie erkannte das fein geschnittene Gesicht des humorvollen Edelmanns wieder, der ihnen zu nächtlicher Stunde am Brookdeicher Gehölz begegnet war, weil sein Pferd lahmte. Wieder lächelte er sein breites, unbefangenes Lächeln. Auch er hatte nicht vergessen, wer ihn damals zu später Stunde zu einem Schmied brachte. In seinen wachen, dunklen Augen blitzte ehrliche Wiedersehensfreude. Ulrike brauchte einen Moment, ehe ihr unsicher „äh… ja“ heraus rutschtet.

Schon saß er bei ihr, stellte seinen Bierkrug bei ihnen auf den Tisch. „Meine Freunde nennen mich Dirk“, stellte er sich vor. „Weißt du noch…?“

Sie registrierte das Wappenbild, ein goldener Schild mit zwei roten Balken. Im Vordergrund glänzten matt zwei gekreuzte silberne Schlüssel. Ansonsten schimmerte das Hemd in der Bleiche eines Kohlweißlings und ließ sich durch Bänder enger schnüren, bei kühler Witterung. Als sie stumm blieb und vor Verlegenheit rot anlief, fragte er leise: „wie heißt du?“

„Ulrike“, brachte sie tonlos vor.

„Wie geht es deinem Vater?“

Sie musste überlegen, wo sie anfangen sollte… und wollte ihm von den vielen erzählen, die in den letzten Tagen Hab und Gut verloren, da lockten Fiedel und Sackpfeife mit frischer Kraft zum Tanz. Als die Laute einstimmte forderte er sie mit einem feurigen Blick auf, die Hemmungen über Bord zu werfen und sich zu beteiligen. Die Paare fanden sich gerade und Schwung kam auf, sie wirbelten im Kreis, dass die Röcke flogen, und Ulrike genoss es wie in einem Taumel, bis sie völlig außer Atem abbrach. Glücklich wieder am Tisch und völlig aus der Puste, wagte sie endlich, ihn offen anzuschauen. „Seid Ihr ein Ritter, Herr von Keyhusen?“

Er nickte bloß, für ihn schien es nichts, vor dem sie Ehrfurcht haben müsste. „Hör zu, Ulrike, ich bin letztlich ein Mensch wie du“, gab er zu verstehen, und sie griff schweratmend nach ihrer Bierschale und strahlte ihn vergnügt an, gespannt auf seine Geschichte.

„Meine Burg steht nahe Rastede, bei dem gleichnamigen Kloster, weißt du. Hast du schon vom Zwischenahner Meer gehört?“

Ulrike schüttelte den Kopf. Sein Gesicht gefiel ihr, und seine Wesensart zog sie an wie kein Mann vor ihm. Doch wie sollte sie es ihm zeigen? Ihn offen anzulächeln wäre aufdringlich bei einer ihres Standes. Abweisen wollte sie ihn auch nicht, und sie ahnte, wie verstockt sie auf den angenehmen Junker wirkte. Zum Glück hielt ihn ihre Schüchternheit nicht ab, gesprächig zu werden. „Ich bin mit einem Freund hier in Berne. Ein Waffenbruder aus früheren Tagen lud uns ein auf Burg Lechtenberg, doch geriet ich im Rittersaal mit Graf Moritz von Oldenburg aneinander. Er ist ein Welfe, und ich bin ein Staufer... und gut über Philipp von Schwaben zu reden, genügte einem selbstherrlichen Protz wie ihm, mich nicht länger zu mögen. Graf Moritz ekelte mich von der Burg, könnte man sagen. Ich sah keinen Anlass, mich deshalb dem Erntedankfest fern zu halten. Du brachtest mich ja derzeit im Gasthof Bunter Hahn unter, und die alte Absteige war noch frei.“

Sie seufzte. Endlich wagte sie vorsichtig zu fragen: „Woher kennt Ihr den Grafen von Oldenburg?“

Dirk rieb sich andächtig das Kinn und beschloss ehrlich zu sein. „Dieser Schweinehund ist seit einem halben Jahr mein Lehnsherr. Nach dem Fall Heinrichs des Löwen hielt man es für klug, das Lehen Sachsen zu beschneiden, und Moriz von Oldenburg war zur Stelle, um den Erzbischof zu umgarnen. Heinrich hätte ihm beinahe den Garaus gemacht, aber bei Hartwich scheint er gute Karten zu haben. Jedenfalls überließ ihm sein neuer Landherr aus dem ehemaligen sächsischen Lehen Zwischenahn und Stedingen, und ich habe das hinzunehmen.“ Er blickte ihr tief in die unruhigen Augen.

Sie wich ihm irritiert aus.

„Und… wenn wir uns so unterhalten“, flüsterte er über den Tisch. „Sag‘ bitte Du zu mir. Ich hasse Standesdünkel.“

Ulrike schmunzelte verlegen, wusste nicht mehr, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie rang sich zu einem Blinzeln durch, um ihn wenigstens zu ermuntern, es nicht aufzugeben. Warum, fragte sie sich befangen, vertiefte er das Gespräch so? Der Standesunterschied forderte, nach diesem Abend unterschiedliche Wege zu gehen…

Er schien sie ohne Worte zu verstehen. „Ich kenne Konrad von Burg Lechtenberg“, erklärte er. „Wir tranken auf einem Turnier in Lüneburg einige Maß Burgunder zusammen und schlossen Freundschaft. Er lud mich ein nach Berne, und nachdem Graf Moritz überraschend abgereist ist, wohne ich wieder bei ihm, auf Lechtenberg.“

Ulrike nickte zögernd.

„Du bist eine sehr stille, habe ich den Eindruck. “

„Warum?“

„Na, ich erzähle dir aus meinem Leben, und du guckst mich an, als hättest du deine Zunge verschluckt. Wortkarg ist gar kein Ausdruck dafür. Oder ist es, weil ich Graf Moritz von Oldenburg kenne?“

„Möglich“, gestand sie. Dann brach heraus, was sie für sich behalten wollte. „Mein Vater hat dem Grafen von Oldenburg öffentlich widersprochen, und es ist besser, dem nicht aufzufallen.“

„Das kommt nun etwas überraschend für mich“, gestand ihr der junge Ritter.

„Ja“, sagte Ulrike gedämpft. Ihr Vater würde ihr dazu den Spruch auftischen, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und seine Freundlichkeit wunderte sie. Dirk ließ sich nicht beirren, schaute ihr aus ehrlichen Augen in das Gesicht, das ihn so seltsam anzog. Sie hob vorsorglich die Hand und fing damit seine Hand ab, die ihr zärtlich über die Schläfe streichen wollte, wie einem kleinen Mädchen, um dessen Vertrauen er kämpfte. „Bitte glaube mir, Ulrike, ich mag dich und will das Beste für dich.“

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