Kitabı oku: «Kullmann auf der Jagd», sayfa 4
Kapitel 6
Steiner stand auf den breiten Steinstufen vor dem Fabrikplatz und schaute sich nach allen Richtungen um. Rechts von ihm lag das Restaurant Funzl, ein grünes Eckhaus an der Hauptstraße, das vom Zerfall bedroht wurde. Gegenüber das Limited, das mit seinen mittelalterlichen Kellergewölben warb. Dicht vor ihm fiel sein Blick auf das Gasthaus Zum Felix mit seinem Biergarten, flankiert vom Botan-Grill, der genau auf den China-Thai-Imbiss blickte, das Eckhaus zu Steiners linker Seite. Genau auf Augenhöhe lauerte der Donze. Rechts war er an die Park-Apotheke angebaut. Nützlich, bei dem ungesunden Klima in der alten Kaschemme. Das änderte aber nichts daran, dass Steiner die Trinkbrüder nur bleich und kränklich kannte. Ein einfaches Karlsberg-Urpils-Schild lockte die Gäste an. In diesem Gasthof versammelte sich der Kern der Dorfbewohner, dort wurde über alles geredet, was sich im Dorf ereignete. Wenn Steiner etwas erfahren wollte, musste er zum Donze gehen, auch wenn ihm die düstere Atmosphäre widerstrebte.
Er setzte an, die Straße zu überqueren, als sich die schwarz gekleidete Frau näherte. Sie sah ihn nicht, wirkte verstört, taumelte. Besorgt eilte er auf sie zu und hinderte sie daran, auf die Straße zu stolpern, wo gerade einige Autos vorbei schossen. Überrascht schaute sie hoch. Als sie sein Gesicht sah, blaffte sie: »Gibt es in Wallerfangen nur alte Lustmolche?«
Steiner sah, dass mehrere Knöpfe ihrer Bluse fehlten und einige Haarsträhnen zottelig abstanden. Auch das Zittern, das sie zu unterdrücken versuchte, entging ihm nicht.
»Was ist passiert?«
»Willst dich wohl aufgeilen, oder was?«, kam es schnippisch zurück.
»Nein, ich mache mir Sorgen. Eine junge Frau sollte nachts nicht allein herumlaufen«, beschwichtigte er. »Und schon gar nicht im Wald – so wie Sie das anscheinend ganz gerne tun.«
»Halt dich aus meinem Leben raus, das wird dir doch nicht allzu schwer fallen!«
Die Sturheit brachte Steiner dazu, sie einfach gehen zu lassen. Er schaute ihr nach, wie sie auf unsicheren Beinen über die Straße und genau in die Kneipe stolperte, die er ebenfalls anstrebte.
Langsam folgte er ihr. Vor dem Eingang zögerte er. Eine Weile lauschte er durch die geschlossene Tür den lauten Gesprächen, die offensichtlich von Betrunkenen geführt wurden. Es wurde gestritten, gelacht, Bierhumpen knallten zusammen.
Entschlossen öffnete er die Schwingtür und trat ein. Schlagartig verstummten die Gäste. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. An der Theke saß Rolf West, der mit seiner wuchtigen Masse Platz für zwei beanspruchte und viel Rauch aus Mund und Nase schnaubte. Rechts am großen Stammtisch lümmelte sich Peter Magath in seinem Blaumann, der beängstigend über seinem Bauch spannte. Ihm war der Spitzname Rohr-Pitt verpasst worden. Neben ihm Arthur Winter, genannt Wintergoldhähnchen, dessen Gesicht wie immer gelb schimmerte und dessen spärlicher Haarkranz in einem erstaunlich steilen Winkel zu seinem platten Hinterkopf abstand. Oliver West, Rolf Wests Sohn durfte in der Runde nicht fehlen. Wie sein Vater rauchte er Kette, sein Aschenbecher quoll über.
Anne Richter trat gerade aus der Damentoilette auf den Stammtisch zu. Als sie Steiner sah, stoppte sie kurz, um dann aber ihren Weg fortzusetzen. Sie ließ sich neben Oliver West nieder, der seinen Arm um ihre Schultern legte.
Die Wirtin, eine kräftige Frau, stemmte beide Arme auf die Theke, starrte mit grimmigem Gesicht auf ihre Gäste und blaffte: »Habt ihr keine Manieren? Was soll das, mitten im Satz abzubrechen, wenn einer das Lokal betritt?«
»Ha ha«, kam es von Oliver West. »Steiner kann machen, was er will. Er hat bei den Frauen einen Stein im Brett. Das kann unser Wintergoldhähnchen bestätigen. Seine Frau hat ihn wegen Steiner sitzen lassen.«
Gute Einführung in die Kneipenrunde, dachte Steiner grimmig. Das Gelächter, das Oliver Wests Spruch begleitete, überhörte er. Er sah nur, dass die Gesichtsfarbe von Arthur Winter noch gelber wurde.
Er trat auf die Theke zu und bestellte sich ein Urpils vom Fass. Sofort verließ Rolf West seinen Barhocker, gesellte sich zu anderen Gästen am Ecktisch auf der linken Seite und brüllte: »Neben einem Mörder bleibe ich nicht sitzen.«
Steiner spürte, wie sein Blutdruck in die Höhe schoss.
Absolute Stille herrschte. Sogar der Wirtin hatte es die Sprache verschlagen.
»Du bist vorschnell mit deinen Behauptungen«, entgegnete Steiner, als er wieder Luft bekam. »Die Polizei ist durchaus in der Lage, einen Mörder zu überführen. Und da ich nichts mit der Tat zu tun habe, bin ich auf freiem Fuß.«
»Du bist einer von denen«, dröhnte Rolf West unbeirrt. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Nur deshalb bist du frei und wir müssen um unser Leben fürchten.«
Zustimmendes Gemurmel ging durch die Kneipe. Alle waren sich in diesem Punkt einig.
Steiner fühlte sich wie im Rampenlicht. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Die Informationen, die er sich erhofft hatte, würde er in dieser Gesellschaft nicht bekommen. Jeder Versuch, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen, käme einem Schuldbekenntnis gleich. Also trat er die Flucht nach vorn an und fragte: »Warum ist Bernd Schumacher nach Wallerfangen gekommen?«
Die Wirtin rümpfte die Nase, zapfte Bier und sprach: »In der Not weiß jeder, wo er seine Mutter findet.«
»Wer ist das?«
»Die Frau von …«
»Halt deine blöde Klappe!«, kam es von dem Ecktisch. Das war die Stimme von Rolf West.
Steiner schaute zu dem hitzköpfigen Mann. Welchen Grund hatte er, dass der Name der Mutter nicht erwähnt wurde? Er ahnte es.
»Dann hat er dir auch gesagt, was er oben auf dem Limberg wollte«, sprach Steiner Rolf West direkt an.
Der Kopf des Alten wurde hochrot vor Wut, er atmete tief durch und wollte sich von seinem Platz erheben, aber Peter Magath hielt ihn auf.
»Du weißt, zu was Steiner fähig ist«, flüsterte Peter Magath, dass ihn jeder verstehen konnte. »Also bring dich nicht in Lebensgefahr!«
Damit konnte der kleine Mann in seinem Blaumann Rolf West überzeugen, was ihn aber nicht davon abhielt zu brüllen: »Glaub bloß nicht, dass du aus der Sache heil rauskommst! Schumi Bernd hat gesehen, wie du den Bock angeschossen hast und wollte dich zur Rede stellen. Wir hier im Dorf wissen alle, was dort oben passiert ist. Du brauchst dich nicht wie ein Unschuldiger aufzuspielen. Den nimmt dir keiner ab.«
Die Tür ging auf und Siegmund Gerstner, der Oberlehrer, trat ein. Sein rechtes Auge war inzwischen dunkelblau und angeschwollen, sein Gang schwankend. Er setzte sich zu Rolf West an den Tisch.
Steiner konnte es nicht fassen. Helmut Brack hatte nicht getan, was notwendig gewesen wäre. Zu seiner Entrüstung kam eine weitere Erkenntnis: Er sah, dass Anne Richter noch blasser wurde. Sie wollte aufstehen, doch Oliver West zog sie auf ihren Platz zurück. Steiners Blick wechselte zwischen Siegmund Gerstner und der jungen Frau hin und her. Was war zwischen den beiden geschehen?
Trotz des hohen Alkoholspiegels Siegmund Gerstners gelang es ihm, von sich abzulenken. Mit Blick auf Steiner fragte er: »Was will der denn hier? Hat der nicht Lokalverbot?«
»Du bringst uns auf richtig gute Ideen«, reagierte Rolf West sofort darauf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass alle Gläser sprangen.
»Ich schlage vor, wir schicken ihn ins Gasthaus Stranguletti. Wenn er sich dort nicht selbst aufhängt, findet sich bestimmt einer, der nachhilft.«
Grölendes Gelächter folgte auf den makaberen Witz.
»Hast du gehört, Frau Wirtin. Der Kerl bekommt hier nichts zu trinken!«
»Wenn du so weiter säufst, bist du der erste, dem ich kein Bier mehr zapfe«, gab die Wirtin Rolf West zur Antwort.
»Die ist ja schlimmer als meine Alte«, raunte es brummig durch die rauchige Luft.
Oliver West torkelte zum Herrenklo. Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, verließ Anne Richter das Lokal.
»Blöde Weiber«, lallte Siegmund Gerstner. »Zuerst machen sie einen an, dann wollen sie nicht mehr.«
Die anderen Männer nickten verstehend, dabei wusste keiner, wovon der Alte sprach. Nur Steiner verstand es. Damit hatte er die Antwort auf seine Fragen, wer aus Siegmund Gerstners Auto gestiegen war und woher das blaue Auge kam. Einerseits freute es ihn, dass Anne Richter sich gut wehren konnte. Andererseits ärgerte es ihn, dass er den Alten deshalb nicht festnageln konnte, weil er dazu nicht mehr befugt war.
Die Stille wurde mit Siegmund Gerstners nächster Frage unterbrochen: »Wo ist der Boss?«
Alle Augen richteten sich auf Steiner.
»Ja! Wo steckt er?«, brüllte Rolf West. »Seit gestern ist er verschwunden. Was hast du mit ihm gemacht?«
»Wer ist der Boss?«, fragte Steiner die Wirtin.
»Das ist Markus Darren. Seine Mutter ist die Schwester von Rolfs Frau.«
»Halt die Klappe«, ertönte es aus der linken Ecke.
»Warum dieser Spitzname?«
»Er war mal Vorarbeiter in der Firma Stahlbau-Rohre. Wurde entlassen, legt aber sein Chefgebaren nicht ab. Er läuft Tag für Tag in seinem schwarzen Anzug herum, womit er den Eindruck erweckt, er sei der Boss.«
»Warum wurde er entlassen?«
»Es reicht jetzt!« Dieses Mal brüllte Rolf West so laut, dass die Wirtin aufhörte zu sprechen.
Steiner hatte genug. Er bezahlte sein Bier und verließ den Donze. Vor der Tür zog er die frische Luft ganz tief ein. Der Rauch, der die Luft in dieser Kneipe verpestete, tat ihm nicht gut. Der Kneipenbesuch auch nicht. So hatte er nur die Bestätigung dafür, dass sie ihn für den Mörder hielten. Er durfte die hitzköpfigen Trinker nicht unterschätzen. Wer wusste schon, auf welche Ideen sie noch kamen? Der Anschlag auf seinen Hund sprach eine deutliche Sprache.
Durch die geschlossene Tür hörte er die aufgebrachten Stimmen der Dorfleute. Am lautesten war Rolf West: »Musst du dem alles erzählen? Vielleicht ist er der Oberguru dieser Satanssekte dort oben.«
»Ich weiß, warum du Harald Steiner nicht leiden kannst. Aber das mit dem Satan kannst du ihm wirklich nicht anhängen, das glaubt dir keiner«, kam es von der Wirtin zurück.
»Bei Schumi Bernd lag kein Blut. Was hat Steiner wohl damit gemacht?«
Steiner erschrak. Rolf West war an der Fundstelle gewesen. Er hatte gehört, was der Gerichtsmediziner festgestellt hatte. Es nun unter den Dorfleuten zu verbreiten, schürte den Hass noch mehr. Aber aufhalten konnte Steiner ihn nicht.
Er fuhr den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Der Mond stand sichelförmig am Himmel und spendete Licht. Der Nebel hatte sich verzogen.
Da war etwas.
Eine Bewegung zwischen den Bäumen.
Die Gestalt war groß. Aufrecht. Das war kein Tier.
Er hielt den Wagen an und versuchte etwas zu erkennen. Aber alles war reglos und still. Sein Nachtsichtfernglas lag in seinem Zimmer auf dem Gutshof.
Langsam fuhr er weiter.
Da sah er es wieder. Eine gerade Gestalt, aber kein Mensch. Die Umrisse konnte er nicht zuordnen. Er spürte, wie ihm Gänsehaut über Arme und Nacken kroch. Hatte er wirklich Angst? Die Erinnerung, wie Bernd Schumachers Überreste blutleer in der Spaltmaschine steckten, löste Beklemmung in ihm aus. Die Umgebung, in der er sich befand, war einsam und dunkel.
Die Silhouette bewegte sich nicht. Und doch glaubte er zu erkennen, wie sich ein dicker Baumstamm wölbte. Die Konturen des Baumes veränderten sich auf eine Weise, die ihn schaudern ließ. Dort versteckte sich jemand.
Lange verharrte er in seinem Wagen. Als ihn die Gewissheit überkam, sich die Veränderungen am Baumstamm nur einzubilden, ließ er die Autoscheibe herunterfahren.
Totenstille umgab ihn. Er stieg aus.
Plötzlich ertönte ein lang gezogenes sonores »Buuuhooo«.
Steiner zuckte zusammen. Erst nachdem er sich wieder beruhigen konnte, erkannte er den nächtlichen Laut, der in den letzten Jahren wieder vermehrt in den heimischen Wäldern zu hören war.
Was war er für ein Jäger, der vor dem Ruf eines Uhus in die Knie ging?
Zögerlich näherte er sich der reglosen Gestalt. Als er direkt davor stand, kam der nächste Schreck. Es war ein Reh, das sich in einer heimtückischen Falle verfangen hatte. Die Schlinge war an dem Baum befestigt und, nachdem der Kopf des Tieres sich darin verfangen hatte, in die Höhe geschnellt. Das Tier hatte sich qualvoll erhängt.
Erschrocken über den grotesken Anblick, wich Steiner zurück. Erst nach einigen Sekunden wusste er, was zu tun war. Er nahm sein Messer heraus, schnitt das Seil durch und legte das Tier auf der Erde ab. Mit einer Taschenlampe untersuchte er den Kadaver. Das Reh war schon lange tot, also keine Notwendigkeit, es auszuweiden und in die Wildkammer zu befördern. Also lud er es in seinen Wagen und beschloss, am nächsten Morgen Jürgen Schnur den Kadaver zu zeigen.
Kapitel 7
Der neue Morgen begann mit einem Geräusch, das Steiner vertraut vorkam. Seine Müdigkeit hinderte ihn daran, sofort zu reagieren. Schon leckte ihm Moritz über das Gesicht, was besser wirkte als jede kalte Dusche.
Erst jetzt erkannte Steiner die ungewöhnliche Situation. Jemand machte sich vor seinem Haus zu schaffen, ohne dass der Hund anschlug.
Er zog sich an und trat hinaus. Moritz verschwand blitzschnell aus Steiners Blickfeld. Hastig folgte Steiner ihm. Im hinteren Teil des Geländes erblickte er Micky, wie er gerade ein großes Loch mit angehäufter Erde zuschüttete. Steiner ahnte, dass dort der Rehkadaver vergraben worden war.
»Wie schaffst du es, so früh hier oben zu sein?«
Micky lachte seinen Freund an: »Ich muss dir doch helfen. Schließlich bin ich dein Adjutant.«
Das zufriedene Lächeln im Gesicht des Jungen versetzte Steiner einen Stich. Er wusste, dass Micky es gut meinte. Gleichzeitig erkannte er, dass er Micky niemals begreiflich machen konnte, dass ihm das Verscharren der Tiere mehr schadete als nützte. Doch wie sollte er Micky von seiner guten Absicht abhalten, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen?
»Nach dieser anstrengenden Arbeit hast du bestimmt Hunger?« Etwas anderes fiel ihm gerade nicht ein.
Micky nickte.
Steiner wusste, dass Micky sich zu nachtschlafender Zeit aus dem Elternhaus schlich, weshalb er grundsätzlich mit leerem Magen bei Steiner auftauchte. So war ein gemeinsames Frühstück mit Micky für Steiner inzwischen zur Gewohnheit geworden – und noch mehr. Er genoss Mickys Gesellschaft.
Während sie am reich gedeckten Tisch saßen, überlegte Steiner, wie viele Kadaver Micky inzwischen schon vergraben hatte. Immer waren es Opfer mutwilliger Zerstörung. Anfangs hatte er dieser Tatsache keine Bedeutung beigemessen. Inzwischen sah er das anders. Zu viele Tiere wurden überfahren. Im Wald herrschte kein reger Autoverkehr; im Dorf lief das Wild nicht auf der Straße. Also waren es keine Zufallsopfer, die vor seiner Tür abgelegt wurden. Jetzt gesellten sich auch noch todbringende Schlingen dazu. Das Wild war in seinem vertrauten Wald nicht mehr sicher. Der Anblick des erhängten Tieres haftete noch in seinem Kopf. Viele Rehe und noch mehr Hasen ließen ihr Leben auf unwaidmännische Weise, wodurch Steiner sich nicht in der Lage sah, seinen Abschussplan für dieses Jahr einzuhalten.
Der Gedanke ließ ihn frösteln. Ließen die Dorfbewohner nichts aus, ihn um den Posten des Revierjägers vom Limberg zu bringen?
Moritz begann zu bellen. Schritte näherten sich dem Haus.
Hastig stand Steiner auf und eilte zur Tür. Bevor sein Besuch klingeln konnte, hatte er sie aufgerissen.
Vor ihm stand Esther Weis, die Kriminalkommissarin.
»Na, wenn das mal keine positive Überraschung ist?«
»Ich muss Sie enttäuschen«, entgegnete die blonde Frau. »Wir haben den Beschluss von der Staatsanwaltschaft bekommen, Ihr Haus zu durchsuchen.«
Steiners Gesicht wirkte zunächst ratlos. Einige Sekunden verstrichen, bis er endlich reagierte. Schicksalsergeben raunte er ihr zu: »Eine genaue Untersuchung meines Körpers reicht Ihnen wohl nicht. Sie wollen mein ganzes Leben durchleuchten.«
Esther verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, bevor sie meinte: »Ich habe das nicht veranlasst. Das war Jürgen Schnur, mein Chef.«
»Tun Sie nur, was er sagt?«
»Solange es dienstlich ist, ja!«
»Das verstehe ich als Abweisung, ich bin enttäuscht.« Steiner grinste Esther von oben herab an.
Sie trippelte nervös. »Wer wird hier gefilzt, Sie oder ich?«
»Finden Sie es heraus!« Steiners Grinsen nahm mokante Züge an.
»Sie schaffen es doch tatsächlich, mich in Verlegenheit zu bringen«, gestand sie. »Dabei dachte ich, ich sei abgebrüht.«
»Das macht wohl das Alter aus.«
»Ich lebe auch nicht erst seit gestern.«
»Aber zwischen uns liegt ein großer Altersunterschied. Ich könnte Ihr Vater sein.«
Esther erwiderte seinen Blick nicht, sie schaute auf die eintreffenden Kollegen, die gleich mit ihrer Arbeit begannen – allen voran Jürgen Schnur.
»Jetzt können Sie so richtig meine Privatsphäre unter die Lupe nehmen.« Steiner feixte. »Hoffentlich enttäusche ich Sie nicht.«
»Es reicht jetzt«, funkte Schnur dazwischen.
Sofort änderte Steiner seinen Tonfall, als er mit dem ehemaligen Kollegen sprach: »Du spielst dich hier auf wie ein Despot. Hast du vergessen, wer ich bin?«
»Ich glaube, dass du etwas vergessen hast«, konterte Schnur. »Heute leite ich hier die Ermittlungen im Fall Bernd Schumacher. Inzwischen bin ich zum Hauptkommissar mit Leitungsfunktion befördert worden und sehe zu, dass ich meiner Aufgabe gerecht werde.«
»Das hat aber ganz schön lange gedauert, bis du endlich mal Karriere gemacht hast«, stichelte Steiner. »Warum wohl?«
»Während du dich damals Tag und Nacht um die Arbeit gerissen hast, hatte ich eine Familie, die meine Aufmerksamkeit brauchte. Bis heute bereue ich meine Entscheidung nicht.«
Die Parade saß. Steiner schluckte.
In einem versöhnlicheren Tonfall fügte Schnur an: »Und dann trittst du ganz plötzlich vom Dienst zurück. Nicht etwa, um deine Familie zurückzugewinnen – nein, weil ein Einsatz ohne dein Verschulden schief gelaufen ist. Warum?«
»Warum was?« Steiner fühlte sich überrannt.
»Warum hast du damals das Handtuch geworfen? Dein Einsatz wurde hundert Mal bis ins Detail nachbereitet. Die Dienstaufsicht konnte keinen Fehler deinerseits feststellen. Es war ein dummer Zufall, dass der Hund dieser Frau einfach nicht hören wollte.«
Steiner schwieg.
»Bernd Schumacher hatte den tödlichen Schuss abgefeuert. Nicht du. Auch nicht einer deiner Männer auf deinen Befehl hin. Das wurde zweifelsfrei bewiesen«, sprach Schnur weiter.
»Schumachers Komplize wurde tödlich getroffen, als es auf meinen Befehl hin zum Schusswechsel kam«, hielt Steiner dagegen. »Durchsiebt von einer MP!«
»Das war Notwehr. Es wurden überall Projektile von Schumachers Waffe gefunden.«
»Und der dritte Mann, der die Entführung organisiert hat, ist spurlos verschwunden. Bis heute gibt es keinen Hinweis auf ihn«, zählte Steiner weiter die Liste seiner Fehler auf.
»Schumacher hat ihn niemals verraten. Wie sollten wir den Mann ausfindig machen, von dem wir nichts wussten – weder Namen, noch Aufenthaltsort?«
»Wer sagt uns, dass dieser dritte Mann nicht weiter Kindesentführungen plant und ausführt?«
»Das oblag nicht deinen Aufgaben«, hielt Schnur dagegen. »Den dritten Mann zu finden war die Aufgabe des Kommissariats für Entführung, Erpressung und Geiselnahme. Warum sich für andere den Kopf zerbrechen?«
Steiner verstummte.
»Niemand von uns hat deine Reaktion von damals verstanden. Du warst ein guter SEK-Beamter, der beste Einsatzleiter mit einer Karriere wie aus dem Bilderbuch. Und dann kapitulierst du nach einem Missgeschick, das jedem hätte passieren können.«
»Ich möchte nicht mehr darüber reden«, blockte Steiner ab. »Sag mir lieber, was diese Hausdurchsuchung soll. Bin ich immer noch verdächtig?«
»Wir haben das Ergebnis der Obduktion der Leiche …«
»Lass mich raten, was die Todesursache ist«, fiel ihm Steiner ins Wort. »Nierenversagen.«
»Was soll das? Du weißt doch, dass er geköpft wurde.«
»Eben! Was sollte die Obduktion für Überraschungen bringen?«
»Am erstaunlichsten ist die geringe Menge Blut am Tatort. Das Team der Spurensicherung hat einen halben Kubikmeter Erde darunter ausgehoben und untersucht. Nichts!«
»Dafür kommen die Satanisten infrage, nicht ich.«
»Bisher gehörte das Köpfen durch eine Holzspaltmaschine nicht zu den üblichen Praktiken einer Schwarzen Messe«, entgegnete Schnur schroff.
»Deshalb suchst du bei mir nach Blut?«
»Nicht nur das: Der Tote hatte außerdem Schmauchspuren an den Händen.«
»Es wurde ein Schuss abgefeuert, weshalb ich im Wald war, um die Nachsuche zu machen.«
»Es wurde aber keine Waffe bei dem Toten gefunden.«
»Vielleicht liegt sie dort, wo der Kopf gelandet ist«, schlug Steiner vor.
»Was glaubst du eigentlich, was wir hier machen?« Schnur wurde ungeduldig. »Ich bin nicht mehr der nette Kaffee kochende Kollege, der sich die Arbeiten aufs Auge drücken lässt, die sonst keiner machen will. Ich habe dazugelernt.«
»Freut mich für dich! Und was suchst du hier bei mir?«
»Die Waffe, die Bernd Schumacher bei sich trug.«
»Woran willst du sie erkennen?«
»Wir werden alles, was wir hier finden, nach Fingerabdrücken untersuchen und prüfen, ob in letzter Zeit ein Schuss abgefeuert wurde.«
»Ich habe mit meiner eigenen Waffe einen Schuss abgefeuert – und zwar einen Fangschuss für den angeschossenen Bock. Den Revolver kann ich dir mitgeben.«
»Danke für dein Entgegenkommen«, bemerkte Schnur, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. »Außerdem müssen wir zu der Stelle, an der du den Bock gefunden hast. Wir brauchen die Patrone.«
»Das wird nicht einfach«, gab Steiner zum Besten. »Hier oben wird viel geschossen. Vermutlich findest du dort hunderte Patronen.«
»Du wirst mir zeigen, wo der Bock angeschossen worden ist. Dein Hund kann uns hinführen.«
»Wann gehen wir los?«
»Wenn wir das Haus durchsucht und alle Waffen sichergestellt haben.«
»Alle? Das kannst du nicht machen«, fuhr Steiner aufgebracht hoch. »Ich habe dir doch gesagt, welche Waffe ich für den Fangschuss im Einsatz hatte. Warum noch die anderen mitnehmen?«
»Du stellst Fragen!«, gab Schnur zurück. »Hast du in den Jahren, seit du hier als Waldschrat in der Einsamkeit lebst, vergessen, was Polizeiarbeit ist?«
»Ich brauche meine Waffen. Das ist mein Arbeitswerkzeug.« Steiner ging nicht auf Schnurs Anspielung ein.
»Du kannst sie dir heute Abend bei uns im Kriminallabor abholen. Theo Barthels wird dich anrufen, wenn er fertig ist.«
»Der gute alte Theo.« Steiners Stimme klang sofort besänftigt, als er den Namen hörte. »Der hatte Glück mit seiner Laufbahn. War es nicht Norbert Kullmann, der ihn an diesen Platz brachte?«
Jürgen Schnur nickte.
»Was macht Kullmann eigentlich? Ist er in Pension oder hat es ihn erwischt?«
»Er ist in Pension und glücklicher Ersatzopa.«
»Was ist ein Ersatzopa?«
»Er hat eine junge Kriminalbeamtin eingearbeitet, Anke Deister. Sie wurde alleinerziehende Mutter, Kullmann zur gleichen Zeit Rentner. Da ergab es sich wie von selbst, dass Kullmann und seine Frau sich um das Kind kümmerten, damit Anke weiter ihrer Arbeit bei uns nachgehen kann.«
»Norbert Kullmann ist verheiratet?« Steiner staunte. »Meine Güte! Wie viel sich doch verändert hat. Dem alten Kauz hätte ich so was nie zugetraut.«
»Er hat Martha aus Marthas Kneipe geheiratet. Das war eine gute Wahl, denn Kullmann sieht so gut aus wie nie zuvor.«
»Da sieht man wieder, dass es für die Liebe nie zu spät ist«, sinnierte Steiner und beobachtete, wie Esther Weis mit seiner Blaser R 93 in der Hand an ihm vorbeiging.
Ein Beamter trat auf Schnur zu und erklärte: »Wir haben eine Repetierbüchse Sauer 90 Stutzen mit Kaliber 6,5 x 57, eine Blaser R 93 Standard, Kaliber 9,3 x 62, eine Bockbüchsflinte, Kaliber 12/76 mit Einstecklauf 5,6 x 52R, eine Blaser BBF 95, einen Revolver .357 Magnum und eine Pistole mit Kaliber 7,65 gefunden. Wenn Herr Steiner in dem Haus keine geheimen Kammern oder unterirdische Gänge unterhält, dürfte das sein gesamtes Waffenarsenal sein.«
Die Polizisten verließen das Haus.