Kitabı oku: «Kullmann und die Schatten der Vergangenheit», sayfa 5
Kapitel 8
Als Anke morgens das Büro betrat, tat ihr die Wärme gut, die ihr durch den Flur entgegenschlug. Kaum hatte sie sich ihres dicken Mantels und Wollschals entledigt, kam Erik auf sie zu.
»Endlich bist du da«, begrüßte er sie.
»Was soll das? Ich bin pünktlich – nicht endlich«, konterte Anke schlecht gelaunt. Der letzte Abend lag ihr auf dem Gemüt. Sie war mitten in der Nacht mit schmerzenden Gliedern und so düsteren Träumen auf dem Sofa aufgewacht, dass sie sich gewünscht hatte, sie wäre gar nicht eingeschlafen.
»Förster Morgett ist da. Ich habe ihn gestern nicht mehr auftreiben können, da habe ich ihn einfach hierher bestellt. Er sitzt schon seit einer halben Stunde hier und grinst dämlich. Kannst du mir bei der Befragung helfen? Ich weiß nicht, was ich mit dem Waldschrat anfangen soll.«
»Mit Naturburschen hast du es wirklich nicht«, erkannte Anke. »Aber zuerst darf ich mir Kaffee einschenken. Oder hat die Befragung äußerste Priorität?«
»Nein. Trotzdem will ich, dass diese Sache abgeschlossen ist. Das Gespräch bringt uns ohnehin nicht weiter.«
»Klar. Aber diese Aufgabe hat Forseti dir übertragen, nicht mir.«
»Was ist los mit dir?« Endlich bemerkte Erik Ankes schlechte Laune.
»Nichts!«
»Verdammt! Ich will nicht, dass wir uns strigge wie die Muuzepuckel.«
»Wenn du deutsch mit mir redest, bin ich schon zufrieden«, murrte Anke.
»Ich will nicht, dass wir uns streiten. Also sag schon: Was ist los?«
»Was soll ich sagen. Nichts ist los – und das ist es, was mich nervt.«
Verständnislos schaute Erik seine Kollegin an.
»Ich sehe meine Tochter immer erst spät abends. Aber dann ist sie nach einem langen Tag müde und schläft.«
»Ich glaube, es wird eine Weile dauern, bis du mehr Freude an Lisa hast. Solange Kinder klein sind, schlafen sie viel.«
Anke wusste, dass Erik aus Erfahrung sprach. Er war selbst einmal Vater einer Tochter gewesen. Sie spürte, dass sie ihm Unrecht tat, denn Eriks Schicksalsschlag war hart. Während sie über ein schlafendes Kind jammerte, ertrug Erik geduldig ihre Launen, dabei hatte er Frau und Kind durch einen Unfall verloren.
Schweigend schauten sie sich an, bis Anke meinte: »Ich bin wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden. Das Alleinsein macht mir zu schaffen. Ich könnte abends ein gutes Gespräch vertragen.«
Erik nickte. Warum kam nicht mehr von ihm?
»Hallo! Wink! Scheunentor!«
»Ich hatte keine Zeit. Aber das werde ich ändern. Versprochen.« Erik grinste.
Anke seufzte.
Georg Morgett saß im Flur und wartete geduldig. Die Gelassenheit, die dieser Mann ausstrahlte, war beneidenswert. Er wirkte glücklich und zufrieden. Selbst die Aufforderung, zur Befragung zur Kriminalpolizeiinspektion zu kommen, brachte ihn nicht aus der Ruhe.
Auf Ankes Gruß hin erwiderte er freundlich: »Ich weiß ja nicht, wie ich Ihnen helfen kann. Aber hier bin ich – zu allem bereit.«
»Wir setzen uns am besten in mein Büro. Dort ist es gemütlicher. Außerdem haben wir frischen Kaffee. Möchten Sie welchen?«, bot Anke an.
»Gerne«, lachte Morgett. »So viel Großzügigkeit habe ich nicht erwartet.«
Auf dem Weg zu Ankes Büro begegneten ihnen Esther und Bernhard. Ihre Gesichter wirkten übernächtigt.
Bernhard ging zitternd vor Kälte an Anke vorbei und murrte zum Gruß: »Wie kann es im April nur so kalt sein!?«
»Es frieret selbst im dicksten Mantel der Mensch mit schlechtem Lebenswandel«, sprach Georg Morgett in seiner urtypischen Ruhe.
Anke lachte über den schlauen Spruch.
Bernhard schaute den Alten böse an. Bevor er etwas Unangemessenes entgegnen konnte, stellte Anke ihn vor. Das veranlasste den Kriminalbeamten dazu, ruhig zu bleiben. Anke drehte sich nach Esther um, aber sie war verschwunden. Ob ihr Georg Morgetts Anspielung peinlich war? Das Auftreten der beiden verriet ohnehin mehr, als Bernhard und Esther zugeben wollten.
Georg Morgett nahm auf dem Stuhl vor Ankes Schreibtisch Platz. Erik setzte sich daneben.
Anke schenkte dem Förster zuerst Kaffee ein, bot ihm Milch und Zucker an, bevor sie mit den Routinefragen begann: »Sie arbeiten in diesem Bezirk als Förster?«
Morgett nickte.
»Wie ich Ihren Angaben entnehme, wohnen Sie in Nalbach.«
Wieder ein Nicken.
»Kennen Sie die tote Frau?«
Eine Weile überlegte der Förster, bevor er zögernd erklärte: »Eine Nalbacherin ist sie auf keinen Fall. Dann hätte ich sie sofort erkannt.«
»Aber?«, hakte Anke nach.
»Ich hatte den Eindruck, sie schon mal gesehen zu haben. Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Sprechen Sie Ihre Vermutung ruhig aus. Wir nehmen jeden Hinweis auf.«
»Also gut. Ich kann mich an eine Frau mit schwarzen Locken erinnern. Sie kam aus dem Nichts, verursachte viel Wirbel im Dorf und verschwand wieder im Nichts.«
»Sie sprechen in Rätseln.«
»Sie war eine Schönheit. Deshalb wurde sie von den Männern des Dorfes begehrt und von den Frauen gehasst.«
»Wie hieß diese Frau?«
Der Förster überlegte lange, bis er meinte: »Sie war eine exotische Erscheinung – in jeder Hinsicht. Aber der Name? Es ist wohl zu lange her.«
»Lassen Sie sich Zeit«, forderte Anke auf.
Morgett zog seine Stirn in Falten, bis ein Aufblitzen seiner Augen auf seine plötzliche Erkenntnis hinwies. »Jetzt weiß ich es wieder: Roswitha Loew.«
»Zuerst wollen Sie die Tote nicht erkannt haben und nun können Sie uns Details über sie aufzählen«, funkte Erik skeptisch dazwischen.
Fragend schaute Morgett den Kriminalbeamten an.
»Da kommt mir doch der Verdacht, dass Sie einen Grund hatten, zunächst über die Identität der Toten zu schweigen.«
»Ich glaube, dass Sie ein eifriger und guter Ermittler sind. Aber vergessen Sie nicht, dass ich als Förster nicht darauf geschult bin, mir alle Details von Toten zu merken. Das gelingt mir bei einem geschossenen Bock. Aber bei einer Leiche? Es war die erste in meinem Leben. Sie war in keinem guten Zustand. Sie hatte nicht mehr viel mit der Schönen von damals gemeinsam.«
Diese geschickte Antwort veranlasste Erik, sich an Anke zu wenden: »Ich werde nachsehen, was Esther über die Tote in Erfahrung bringen konnte.«
Eilig verschwand er.
»Ist Ihnen in den letzten Tagen etwas auf dem Litermont aufgefallen?«, fragte Anke weiter. »Menschen, die sich auffällig benahmen?«
»Seit der Litermont zum Premium-Wanderweg Nummer eins gekürt wurde, laufen dort viele Touristen herum. Die benehmen sich schon manchmal auffällig. Woran denken Sie genau?«
»An einen Menschen, der unbemerkt bleiben wollte. Es hätte doch sein können, dass Ihnen der Mörder von Roswitha Loew begegnet ist. Da Sie oft dort oben sind, ist das gar nicht so unwahrscheinlich.«
»Da ist in der Tat jemand, der unbemerkt bleiben will. Leider so erfolgreich, dass ich ihn noch nicht aufgetrieben habe.«
»Und das soll ich jetzt verstehen?«, hakte Anke nach.
»In letzter Zeit treibt ein Wilderer auf dem Litermont sein Unwesen. Oft finde ich verendete Tiere, die nicht waidmännisch erlegt worden sind. Als ich Roswitha Loew fand, war ich zunächst davon überzeugt, wieder ein verstümmeltes Tier entdeckt zu haben. Umso erschrockener war ich, dort einen toten Menschen zu sehen.«
Anke nickte, machte sich Notizen und fragte weiter: »Sind Sie verheiratet?«
»Witwer. Meine Frau ist vor Jahren an Krebs gestorben.«
»Das tut mir leid. Wie lange ist Ihre Frau schon tot?«
»Neun Jahre, fünf Monate und siebzehn Tage«, zählte Morgett auf. »Ich habe meine Frau geliebt. Ihr Tod hat mich hart getroffen.«
»War sie lange krank?«
»Ja. Sie musste drei Jahre leiden, bis sie endlich erlöst wurde. Ich habe sie selbst gepflegt, das hatte sie verdient.«
Erik kehrte mit Unterlagen in der Hand zurück.
Diesen entnahm Anke, dass Roswitha Loew vor elf Jahren in Nalbach einen Unfall mit Todesfolge verursacht hatte. Wegen Fahrerflucht und Totschlag durch Unterlassen war sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden.
»Das ist ja hochinteressant«, staunte sie.
Morgett trank in der Zwischenzeit seinen Kaffee.
»Dem Bericht dieser Akte ist zu entnehmen, dass Roswitha Loew vor etwa elf Jahren in Nalbach gelebt hat«, resümierte Anke.
Sie berichtete Erik, was sie von Morgett erfahren hatte. Erik ahnte, was Anke dachte.
»Also waren Sie genau zu dieser Zeit ein unglücklicher Mann, weil Ihre Frau todkrank war. Stimmt das?«, fragte er den Förster sofort.
»Unglücklich würde ich das nicht nennen. Ich war traurig.«
»Haben Sie damals nicht das Bedürfnis gehabt, eine junge, hübsche Frau wie Roswitha Loew näher kennenzulernen?«
Morgett lächelte. Verwundert schauten Anke und Erik sich an. »Wissen Sie, Roswitha Loew genoss keinen guten Ruf in unserem Dorf. Für ein kurzes Amüsement mit ihr hätte ich es mir mit allen Dorfbewohnern auf Lebenszeit verscherzt. Glauben Sie, dass es mir das wert war?«
»Was hätten Sie denn aufgegeben?«, hakte Erik nach. »Ihre Arbeit, Ihre Existenz?«
»Nein! Aber im Dorf hätte ich mich nicht mehr blicken lassen können.«
»Männer haben schon für viel weniger viel mehr aufgegeben.«
»Zu diesen Männern gehöre ich nicht. Ich bin in diesem Dorf geboren und aufgewachsen. Das prägt. Ich halte mich an die ungeschriebenen Gesetze, die in einer Dorfgemeinschaft herrschen, weil ich es niemals anders gelernt habe«, wurde Morgett deutlicher. »Roswitha Loew war wirklich aufregend und in jedem Fall eine Sünde wert. Aber für eine Nacht der Gefühle bringe ich nicht mein ganzes Leben durcheinander.«
Erik richtete seine Aufmerksamkeit auf die Akte des Opfers. Roswitha Loew konnte eine interessante Vergangenheit vorweisen. Als gelernte Krankenschwester hatte sie mehrere Jahre in der St. Elisabeth-Klinik in Saarlouis gearbeitet. Weil sie im Verdacht stand, Medikamente gestohlen zu haben, wurde sie entlassen. Einige Jahre später der nächste Eklat: Sie verursachte einen verhängnisvollen Unfall mit Todesfolge. Der Tote hieß Markus Kreuwisch und war zum Zeitpunkt des Unfalls gerade vierundzwanzig Jahre alt. Roswitha Loew wurde beobachtet, wie sie den Mann vor seinem eigenen Haus mit ihrem Wagen überrollte und liegen ließ. Nach einjähriger Untersuchungshaft wurde sie zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht ordnete an, die Zeit der Untersuchungshaft nicht auf die Freiheitsstrafe anzurechnen. Markus Kreuwisch wäre noch zu retten gewesen, da Roswitha Loew ausgebildete Krankenschwester war und somit an Ort und Stelle fachgerechte Erste Hilfe hätte leisten können.
Erik überreichte Anke das Aktenstück. An den Förster gewandt fragte er: »Kannten Sie Markus Kreuwisch?«
»Wer ist das?«, fragte er statt einer Antwort.
»Roswitha Loew wurde vor elf Jahren wegen eines Unfalls mit Fahrerflucht und Todesfolge verhaftet. Das Unfallopfer war Markus Kreuwisch.«
»Jetzt begreife ich«, rief der Förster. »Deshalb ist Roswitha Loew so plötzlich verschwunden. Dieser Fall war lange Zeit Dorfgespräch Nummer eins.«
»Wie konnten Sie das vergessen?«
»Hören Sie mal, junger Mann«, empörte sich der Förster. »Das liegt elf Jahre zurück. Glauben Sie, mein Leben wäre in dieser Zeit stehengeblieben, nur weil ich in einem Dorf wohne?«
Das Kontra saß.
»Wo waren Sie gestern Abend?«, fragte Erik zum Abschluss. »Ich habe Sie nirgends finden können.«
»Ich war im Gasthaus Schmidt in Nalbach am Hubertusplatz. So ein Fund in den frühen Morgenstunden wühlt selbst einen erfahrenen Förster wie mich auf – und das an dieser legendären Stelle! Da musste ich ein Bier trinken.«
»Spielen Sie wieder auf Ritter Maldix an?«
Anke stieß Erik unsanft an.
Morgett grinste, schüttelte langsam den Kopf und antwortete: »Für uns hat diese Geschichte große Bedeutung. Der Litermont ist ein Wahrzeichen unserer Heimat. Mit seiner Höhe von vierhundertdreizehn Metern ragt er weit über unser Wohngebiet hinaus. Die fromme, schauerliche Sage um den Ritter Maldix verleiht dem Ort etwas Mystisches. So wird sein Andenken ewig bewahrt.«
»Es trägt vielleicht nicht gerade zur Lösung unseres Falles bei«, erkannte Anke, »trotzdem ist es eine interessante Geschichte um den Litermont. Sollte der Täter ein Insider sein, ist es nicht auszuschließen, dass er bewusst diesen Ort gewählt hat, um sie zu töten.«
»Natürlich«, funkte Erik dazwischen. »Der Mörder wollte die alte Geschichte neu aufleben lassen.«
Anke schaute ihn böse an, was ihn dazu bewog, einen freundlicheren Ton anzuschlagen: »Sie sind hier fertig. Wenn wir noch Fragen haben, wenden wir uns an Sie.«
»Tun Sie das«, sagte der kleine, rundliche Mann im Aufstehen.
Doch bevor er das Büro verließ, drehte er sich um und meinte: »Im Gasthaus habe ich erfahren, was mit Isolde Jennewein passiert ist. Es ist wirklich schrecklich, dass in der kurzen Zeit gleich zwei Menschen so tragisch sterben müssen.«
»Kannten Sie Isolde Jennewein?«
»Wer kennt diese Familie nicht?«
»Erinnern Sie sich noch an die Entführung vor elf Jahren?«, horchte Anke auf.
»Natürlich. Das war etwas, das niemand im Dorf vergessen hat. Es wurde so ein großer Wirbel darum gemacht, dass es keinem entgehen konnte.«
»Wissen Sie etwas Näheres darüber?«
»Nur, was in den Zeitungen stand.«
Der Alte verabschiedete sich.
»Ich habe das Gefühl, du lässt dich von dem Alten einwickeln«, wandte Erik sich sofort an seine Kollegin. »Hoffentlich verlierst du nicht den Überblick, wenn du dich von Legenden und Sagen mitreißen lässt.«
»Es hat unserer Arbeit noch nicht geschadet, den Menschen zuzuhören, die wir befragen. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass Ritter Maldix unser Täter ist, trotzdem hat mich die Geschichte fasziniert. Was ist daran so schlimm?«
»Nichts.«
»Trotz allem bringt mich der Förster auf eine gute Idee: die Zeitungen!«
»Die Zeitungen?«
»Nadine spricht nicht über ihre Vergangenheit. Sie mauert. Da habe ich nicht die geringste Chance durchzudringen. Ich werde heute noch im Zeitungsarchiv nach alten Berichten suchen.«
»Apropos Archiv: Sollte heute nicht Kullmann kommen?«
»Doch.« Anke schaute erschrocken auf die Uhr. »Er müsste eigentlich schon da sein.«
Kapitel 9
Staatsanwalt Foster saß auf dem bequemen Sessel der Couchgarnitur, die Forseti für Dienstbesprechungen beantragt hatte, und rauchte. Forseti riss das Fenster weit auf, als wolle er dem Staatsanwalt damit seinen Unmut über dessen Laster vor Augen führen.
»Ich dachte, unser ehemaliger Chef wäre schon da«, meinte Anke zur Begrüßung.
»Ist er auch«, bestätigte Foster, genüsslich kleine Ringe in die Luft blasend. »Sein erster Gang führte ihn ins Archiv zu Fred Feuerstein. Er wollte zuerst in die Akte sehen, bevor er zur Besprechung kommt.«
Betretenes Schweigen herrschte, bis Foster fragte: »Was hat die Hausdurchsuchung im Haus der Familie Jennewein ergeben?«
»Meine Mitarbeiter Anke Deister und Erik Tenes werden die Hausdurchsuchung erst noch durchführen. Dann kann ich Ihnen Ergebnisse vorlegen«, antwortete Forseti.
Anke stöhnte innerlich. Sie hatte schon befürchtet, dass sie für diese unangenehme Aufgabe vorgesehen war.
»Bis die Kollegen Kullmann und Feuer kommen, lese ich Ihnen den Bericht des Entomologen vor«, kündigte Forseti an. Mit einem gekünstelten Husten und einem strafenden Blick in Richtung Rauchfahne begann er vorzulesen: »Dr. Wedick hat folgende Aspekte seinen Berechnungen zugrunde gelegt: Es wurden Maden auf der Leiche sichergestellt und in Formalin haltbar gemacht. Es handelt sich um die Aasfliegenmade der Schmeißfliege. Diese Nekrophagen sind die ersten Besiedler einer Leiche, was einen wichtigen Bestandteil der Berechnungen darstellt. Die in der Leiche abgelegten Eier haben sich zu Larven entwickelt, die zu einer Größe herangewachsen sind, deren Messung einen Rückschluss auf eine Leichenliegezeit von zwanzig bis vierundzwanzig Stunden erlaubt. Also starb Roswitha Loew am Freitag, den zweiten April, zwischen neun und dreizehn Uhr.«
»Ist diese Berechnung verlässlich?«, fragte Foster.
»Der Entomologe hat alle Umwelteinflüsse mit einberechnet. Er hat sich mit dem Wetteramt in Verbindung gesetzt, sich von dort die genauen Temperaturen angeben lassen. Er ist sich sicher, ein zuverlässiges Ergebnis erzielt zu haben«, bestätigte Forseti.
»Der Fundort ist auch der Tatort?«, fragte Foster weiter.
»Ja. An der Kleidung der Leiche wurden Spuren gefunden, die vom Felsen am Litermont stammen. Die Tote schlug an drei Stellen auf, bevor sie unter dem Baum landete.«
»Und was ist die Todesursache?«
»Hirnbluten durch Schädelverletzungen.«
»Bringt sich eine Frau auf so grausame Weise selbst um?«, zweifelte Foster. Dabei schaute er Anke an. Diese zuckte die Schultern. Sie erinnerte sich daran, wie sie selbst auf der Plattform des Litermont-Kreuzes gestanden hatte. Die zerklüfteten Felsen sahen bedrohlich aus – heimtückisch.
»Ich frage mich selbst, warum Roswitha Loew gerade diese Stelle gewählt haben soll. Sie kommt von Saarbrücken nach Nalbach, um sich umzubringen. Auf dieser langen Strecke gibt es bestimmt viele Gelegenheiten, sich weniger spektakulär in den Tod zu stürzen«, sprach Anke ihre Überlegung aus.
»Den Aspekt dürfen wir nicht aus den Augen verlieren«, erkannte Staatsanwalt Foster. »Außerdem besteht im Fall Roswitha Loew die Möglichkeit, dass jemand Rache geübt hat. Sie hatte vor elf Jahren den jungen Markus Kreuwisch totgefahren. Die Hinterbliebenen müssen überprüft werden.«
Forseti fügte an: »Wir müssen herausfinden, warum sie an den Ort zurückkehrte, an dem dieser Unfall geschah. Vielleicht wurde sie von Angehörigen des Toten dorthin bestellt, um ihr eine Falle zu stellen.«
»Bedeutet das, dass es kein Selbstmord war?«, hakte Anke nach.
»In dem Bericht werden Hämatome an Körperstellen der Toten aufgeführt, die Fragen aufwerfen«, antwortete Forseti. »Zum Beispiel ein Bluterguss am Hals. Wie kann dieser Bluterguss durch einen Aufprall entstehen?«
»Ich will mir absolut sicher sein, dass ich keinen Mörder frei herumlaufen lasse«, reagierte Staatsanwalt Foster darauf. »Wir werden feststellen, ob Roswitha Loew Telefonate mit der Familie Kreuwisch geführt hat, seit sie aus dem Gefängnis entlassen wurde. Nur so können wir feststellen, warum sie genau diesen Ort ausgewählt hat.«
Es klopfte an der Tür. Norbert Kullmann und Fred Feuerstein traten ein.
»Wir sind fündig geworden«, begrüßte Kullmann die wartenden Kollegen. »Aber leider muss ich zugeben, dass ich mich erst wieder in den Fall einlesen muss, bevor ich etwas Nutzbringendes dazu beitragen kann. Das Ganze liegt immerhin schon elf Jahre zurück. In der Zwischenzeit ist viel passiert.«
Foster trat auf seinen ehemaligen Weggefährten zu und begrüßte ihn: »Schön, dass du uns helfen willst. So komme ich wieder in den Genuss, mit dir zusammenzuarbeiten.«
»Ob es ein Genuss wird, stellt sich noch heraus«, entgegnete Kullmann.
»Immer noch der Alte«, lachte Foster. »Mit allen Ecken und Kanten.«
Forseti machte auf sich aufmerksam, indem er fragte: »Können Sie uns etwas über die Entführung berichten, ohne die Akte gelesen zu haben?«
Kullmann überlegte eine Weile, bis er sagte: »Ich erinnere mich noch gut an das Mädchen Nadine Kruchten. Sie zeigte ein Verhalten, aus dem ich niemals schlau wurde. Ich hatte damals, als der Fall abgeschlossen wurde, das Gefühl, dass er eigentlich gar nicht abgeschlossen war.«
»Wie sollen wir das verstehen?«
»Ich hatte es damals selbst nicht verstanden – wie sollte ich es jetzt aus der bloßen Erinnerung heraus tun? Deshalb werde ich mir die Zeit nehmen, die Akte zu lesen. Notfalls müssen wir die Kollegen hinzuziehen, die damals mitgearbeitet haben – sofern diese Kollegen noch im Dienst sind.«
»Das hat bereits Staatsanwalt Foster vorgeschlagen«, stellte Forseti klar.
»Zunächst einmal unser Amtsleiter Wollny«, begann Kullmann. »Außerdem arbeiteten die Mitarbeiter Anton Grewe, Andrea Westrich und Walter Nimmsgern im Kommissariat ›Entführung, Erpressung, Geiselnahme‹.«
Bei der Erwähnung des letzten Namens fielen alle in Schweigen.
Walter Nimmsgern war vor zwei Jahren einem Polizistenmörder zum Opfer gefallen. Dieser Fall hatte ihre Gemüter erschüttert, weil der Täter kein Fremder gewesen war, sondern jemand aus den eigenen Reihen. Nimmsgern war damals das erste Opfer einer ganzen Serie von Polizistenmorden gewesen.
»Ihn werden wir nicht mehr fragen können«, schluckte Anke schwer.
»Es gibt noch jemanden, den wir heute nicht mehr fragen können«, fügte Kullmann an.
»Andreas Hübner?«, wagte sich Anke zu fragen. Bei der Erwähnung seines Namens spürte sie heute noch ambivalente Gefühle zwischen Wut und Trauer. Anke hatte den Fehler gemacht, sich in den Arbeitskollegen zu verlieben, der sie danach schamlos betrogen hatte. Doch sein Tod übertraf alles bisher Erlebte.
Kullmann nickte: »Ich hatte ihn um Mithilfe gebeten, weil wir damals unterbesetzt waren. Der Dienststellenleiter, Willy Pechstein, hatte einen Herzinfarkt erlitten und war nicht mehr zum Dienst zurückgekehrt. So kam es, dass ich die Ermittlungen leiten musste. Ich war froh für jede Hilfe, die ich bekommen konnte.«
»Dann bleiben uns noch Andrea Westrich und Anton Grewe«, resümierte Forseti.
»Außerdem die Polizeipsychologin, Frau Dr. Ina Knappe«, fügte Kullmann an. »Ist sie noch im Dienst?«
Forseti zog scharf die Luft ein, warf einen kurzen Blick aus dem Fenster, bevor er sich wieder auf die Anwesenden in seinem Büro konzentrierte. Seine Gesichtsfarbe wirkte plötzlich grau.
»Im letzten Jahr fing eine Frau Dr. Ina Knappe im Bundeskriminalamt in Wiesbaden an«, berichtete er. »Als ›operative Fallanalytikerin‹. Sollte das Ihre Polizeipsychologin von damals sein?«
»Ich werde das herausfinden«, versprach Esther.
Für Kullmann war die Besprechung an diesem Punkt zu Ende. Er verabschiedete sich von den Kollegen und eilte mit der Akte unter dem Arm davon.
»In der Zwischenzeit arbeiten wir mit den Fakten, die wir haben«, entschied Forseti, der wieder zu seiner alten Form zurückgefunden hatte. »Dr. Jennewein hat bei der Befragung zugegeben, dass er Nadine Kruchten adoptieren wollte. Sie sollte seinen Namen tragen.«
Die Kollegen staunten: »Er hat sich also doch noch dazu durchgerungen?«
»Vor wenigen Wochen hatten sich Isolde und Arthur Jennewein zu dem Schritt entschlossen – trotz Samanthas Versuche, es zu verhindern, so seine Worte.«
»Wie kann eine junge Frau so viel Einfluss auf wichtige Entscheidungen der Eltern ausüben?«, fragte Anke.
»Arthur Jennewein hat seine Tochter allein großgezogen«, berichtete Forseti. »Seine Frau hatte ihn und seine Tochter kurz nach der Geburt verlassen. Das könnte eine Erklärung für die enge Bindung zur Tochter sein. Arthur Jennewein glaubt, dass Samantha immer in der Angst lebe, ihn ebenfalls zu verlieren.«
»Ich glaube, Arthur Jennewein kennt seine eigene Tochter nicht«, murrte Bernhard.
Daraufhin richteten sich alle Augen auf ihn. Es war seine Aufgabe gewesen, Samantha zu vernehmen. Auf das Ergebnis waren alle gespannt.
»Samantha war gestern unauffindbar«, erklärte er. »Ihr Vater konnte mir auch nicht sagen, wo sie ist. Ich habe ihn gebeten, sie heute Morgen zu uns ins Büro zu bestellen. Ich bin gespannt, ob sie kommt.«
»Ich habe den Halter des Porsche Carrera ermittelt«, warf Anke ein.
»Hilft uns das weiter?«, fragte Forseti.
»Er heißt Günter Weber, behauptet, die Familie Jennewein nicht zu kennen und niemals an dem Haus vorbeigefahren zu sein. Daraufhin habe ich überprüft, was er in der Zeit gemacht hat. Er war bei der Arbeit.«
»Kann er sich von dort unbemerkt entfernt haben?«
»Nein. Er arbeitet bei den Ford-Werken am Fließband. Wer dort weggeht, fällt auf.«
»Dann muss er uns angeben, wem er das Auto geliehen hat«, wies Forseti an.
»Er behauptet, er verleihe seinen Porsche nicht.«
»Das müssen wir klären. Also, machen wir uns an die Arbeit«, bestimmte Forseti. Er schaute in die Runde. Als sein Blick auf Erik traf, entschied er: »Für uns bleibt im Moment nur der Fall Roswitha Loew. Die geschädigte Familie Kreuwisch könnte ein Rachemotiv haben. Das übernehmen Sie.«
Erik nickte.
»Aber bevor Sie zur Familie Kreuwisch fahren, suchen Sie den Gerichtsmediziner und den Entomologen auf. Ich will den endgültigen Autopsiebericht auf meinem Schreibtisch haben.«
»Und was mache ich mit Günter Weber?«, hakte Anke nach.
»Sie begleiten Erik. Anschließend kümmern Sie sich um den Porschefahrer.«
Das war das Abschlusswort des Chefs. Hastig eilten die Kollegen aus dem Zimmer.
Samantha Jennewein stolzierte mit schwingenden Hüften durch den langen Flur. Ihre blonden Haare hatte sie lässig zu einem Knoten zurückgebunden, viele lose Strähnen zierten ihr makelloses Gesicht. Ein rotes Kleid schmiegte sich eng an ihren schlanken Körper, hochhackige Schuhe ließen ihre Beine noch länger wirken. Ihr Auftreten verriet, dass sie es mochte, so angestarrt zu werden.
»Wo ist Kommissar Diez?«, fragte sie und ließ ihren Blick durch die Menge der Beamten wandern. »Er war es, der mich hierher bestellt hat.«
Bernhard trat vor. Sein Interesse an ihrem engen Kleid war nicht zu übersehen.
»Wenn Sie mir in die Augen schauen wollen, müssen Sie den Kopf etwas anheben«, bemerkte Samantha.
Leises Gelächter ging durch den Flur.
»Natürlich.«
»Welche Augenfarbe habe ich?«, fragte sie, um ihn zu testen.
»Grün.«
»Stimmt. Ihren Argusaugen entgeht nichts. Bei Ihnen bin ich richtig.«
Sie verschwanden in Bernhards Zimmer, was die übrigen Kollegen enttäuscht auf die zufallende Holztür starren ließ.
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