Kitabı oku: «Agro-Food Studies», sayfa 5

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Die Unterstützung lokaler Firmen kann rasch in Skepsis und Angst gegenüber allem „Nicht-Regionalen“ umschlagen (Winter 2003; DuPuis und Goodman 2005). Auch zu hinterfragen ist, wieso heimische Bauernfamilien schutzbedürftiger sein sollen als solche in Südosteuropa oder im Globalen Süden. Zum Beispiel schützt auch die reformierte Zuckermarktordnung die europäische Zuckerproduktion, womit weitgehend verhindert wird, dass wesentlich preisgünstigerer Zucker aus dem Globalen Süden importiert und damit dort Einkommen geschaffen wird. Unter dem Motto trade not aid beanstanden NGOs und die Fair-Trade-Bewegung die Abschottung europäischer Märkte von Importen aus Entwicklungsländern. Morgan und Sonnino (2010) plädieren daher für einen cosmopolitan localism, bei dem sich Regionalität als Teil einer nationalen oder internationalen Gemeinschaft regionaler LebensmittelaktivistInnen versteht.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass – wie bereits oben dargelegt – heimische Lagerware oder Produkte aus Glashauskultur bezüglich Klima und Energie negativere Umwelteffekte aufweisen können als Importware aus Übersee. Aus der engen Perspektive des Energieverbrauchs und des Klimaschutzes ist wohl auch im Supermarkt angebotene Massenware in der Regel Produkten aus dezentralen, kleinstrukturierten und ineffizienten Produktions- und Logistiksystemen überlegen.

Die Präferenz für Lebensmittel aus der Region ist bei jenen Produkten am stärksten, bei denen die Kaufentscheidung von Frische, Vertrauen und Sicherheit abhängt. Das sind u. a. Fleischwaren, Brot und Gebäck sowie Obst und Gemüse. Je höher der Verarbeitungsgrad eines Lebensmittels, desto niedriger werten VerbraucherInnen die Bedeutung der Herkunft des Produkts (Sauter und Meyer 2003). Nur eine kleine Minderheit folgt Ernährungstrends wie z. B. jenem der Lokavoren oder der 100-Meilen-Diät, die beide auf eine Ernährung mit Lebensmitteln abzielen, die ausschließlich im nahen Umkreis produziert und verarbeitet wurden. Eine solche zwangsweise saisonal ausgerichtete Ernährung kann in Gebieten mit einer kurzen Vegetationszeit und einem langen Winter sehr eintönig werden. Außerdem braucht es viel Zeit, spezifische Kenntnisse und weitreichendes Wissen, um regionale Saisonware, die oftmals nicht im Supermarkt als hoch verarbeitetes → Convenience-Produkt zu finden ist, zu besorgen, zu verarbeiten, zu lagern und zuzubereiten. Darüber hinaus legen die wenigsten Kantinen, Gastbetriebe oder Hotels die Herkunft ihrer Zutaten offen. Angesichts knapper Zeitressourcen und steigender Außer-Haus-Verpflegung ist für viele Haushalte der Wunsch nach Regionalität in der Praxis daher nur bedingt realisierbar.

3.4 Kontinuum statt Dichotomie

3.4.1 Stärker und schwächer eingebettete Lebensmittelsysteme

Die beiden vorangehenden Abschnitte haben globale und regionale Lebensmittelsysteme aufgrund ihrer unterschiedlich intensiven Einbettung in soziale Beziehungen kontrastiert. Global gehandelte Massenware mit geringer sozialer Einbettung ist gekennzeichnet durch frei zirkulierende standardisierte und somit vorwiegend über den Preis vergleichbare Güter, welche VerkäuferInnen und KäuferInnen in kurzfristigen und flexiblen Transaktionen austauschen. KonsumentInnen können die geografische Herkunft der Produkte und die am Produktionsort geltenden sozialen und ökologischen Standards in der Regel nicht in Erfahrung bringen. Regionale kurze Wertschöpfungsketten fußen hingegen oft auf sozialer und geografischer Nähe, Reputation, lokalen Traditionen und einer Vielfalt von regional differenzierten Qualitäten und Produktionsstilen. VerbraucherInnen können durch direkte Interaktion mit regionalen Betrieben Einblick in die Herkunft und die konkreten Bedingungen der Lebensmittelproduktion erlangen.

Sowohl in globalen als auch in regionalen Lebensmittelsystemen gibt es Fehlverhalten und Betrug. Der Umgang damit ist jedoch unterschiedlich. Während in der Logik der globalisierten Märkte auf formalisierte Regeln, einheitliche Standards, Dokumentationspflichten, Zertifizierungen und externe Kontrollen gesetzt wird, geht es bei regionalen Lebensmittelsystemen um Vertrauen, gegenseitige Verpflichtungen, soziale Kontrolle und Reputation, die durch wiederholte persönliche Beziehungen gewachsen sind.

Sowohl in globalen als auch in regionalen Systemen gibt es eine kleine, aber wachsende Gruppe von AkteurInnen, die sich um eine ökologisch und sozial nachhaltigere Lebensmittelversorgung bemühen; allerdings verfolgen sie Nachhaltigkeitsziele mit unterschiedlichen Instrumenten. Globale Systeme setzen auf extern kontrollierte Zertifizierungssysteme wie Bio oder Fair Trade und damit auf weltweit sehr ähnlich implementierte ökologische und soziale Standards. Regionale Lebensmittel punkten mit kurzen Transportwegen, Erhaltung der Biodiversität und der kulturellen Vielfalt sowie Transparenz und Mitbestimmung bei sozialen und ökologischen Standards.

Die Globalisierung hat dazu beigetragen, dass vormalige Luxusprodukte wie Fleisch, Südfrüchte, Kaffee, Lachs oder Schokolade für die Mehrheit der Bevölkerung in der industrialisierten Welt erschwinglich wurden. Die Versorgung mit regionalen Qualitätsprodukten hingegen scheint in Nordamerika und weiten Teilen Europas bis dato eher ein Privileg der besser verdienenden und höher gebildeten Schichten.

Globalisierte und regionalisierte Wertschöpfungsketten lassen sich als die beiden Seiten ein und derselben Medaille interpretieren. Regionalisierte Systeme wie Lebensmittelkooperativen oder die solidarische Landwirtschaft werden mitunter aber auch als Nischen gesehen, die das vorherrschende → Nahrungsregime herausfordern und so zu einem Regimewechsel beitragen könnten (→ transition theory). Im folgenden Abschnitt werden globale und regionale Lebensmittelsysteme allerdings als zwei dynamisch in Austausch stehende und sich ergänzende Pole eines Kontinuums unterschiedlicher Einbettung diskutiert.

3.4.2 Kontinuum sozialer Einbettung

Die hier auch aus didaktischen Überlegungen skizzierte Dichotomie globaler und regionaler Lebensmittelsysteme ist weitgehend analytisch und entspricht nicht der vielfältigen Realität und Dynamik der realen Interaktionen von MarktteilnehmerInnen entlang unterschiedlicher Warenketten. Was für die wissenschaftliche und analytische Betrachtung hilfreich sein mag, beschreibt sehr idealisierte Formen der Lebensmittelproduktion, die in dieser Reinform in der Realität kaum zu finden sind.

Auch entlang internationaler Wertschöpfungsketten gibt es langfristige Beziehungen, die auf einem engen persönlichen Kontakt zwischen VerkäuferIn und KäuferIn beruhen. Nicht alle internationalen Transaktionen stützen sich auf formale Lieferverträge, die alles im kleinsten Detail unter Androhung von Strafzahlungen regeln. Manche beruhen auch auf vertrauensbasierten und langfristigen Austauschbeziehungen. Sind einmal gut funktionierende Wirtschaftsbeziehungen zu einem Zulieferbetrieb aufgebaut, wollen Betriebe auch weiterhin mit ihm kooperieren, um jene Kosten und Risiken zu vermeiden, die mit der Suche und Etablierung neuer Lieferbeziehungen verbunden sind. Erfahrungen zeigen also, dass die Verkaufs- und Einkaufsbeziehungen entlang globalisierter Ketten nur selten dem Ideal des neoklassischen Spotmarkt-Modells entsprechen, d. h. nur in wenigen Fällen kurzfristige, automatisierte und anonymisierte Transaktionen basierend auf standardisierten Verträgen darstellen.

Umgekehrt verlassen sich auch regionale Lebensmittelsysteme nicht ausschließlich auf langfristig etablierte Wirtschaftsbeziehungen und positive Erfahrungen vergangener Zusammenarbeit. Auch eine Person, die zum ersten Mal auf einem lokalen Markt einkauft oder in einem neuen Restaurant zu Gast ist, will sich darauf verlassen können, dass die am Marktstand oder auf der Speisekarte beworbenen Lebensmittel tatsächlich mit jenen im Einkaufskorb oder auf dem Teller übereinstimmen. Umgekehrt können auch langfristige Austauschbeziehungen enttäuscht werden bzw. sich vorwiegend am Preis orientieren und instrumentell auf den persönlichen Vorteil ausgerichtet sein (Hinrichs 2000). Persönliche Beziehungen mögen zwar eine Voraussetzung für Vertrauen sein, sie sind jedoch keine hinreichende Bedingung dafür, dass Fehlverhalten, Opportunismus und Betrug auch tatsächlich in jedem Fall verhindert werden können (Granovetter 1985). So profitieren wohl auch KonsumentInnen regionaler Lebensmittel von der staatlichen Lebensmittelaufsicht, die Hygiene- und Qualitätsstandards in Verkaufsstätten und Gastronomiebetrieben kontrolliert oder überprüft, ob die angepriesenen Lebensmittel mit den tatsächlich verkauften übereinstimmen. Strenge Qualitäts-, Sozial- und Umweltstandards – gekoppelt mit externen Kontrollen – können ebenso zu Sicherheit und Vertrauen beitragen wie langfristige, auf wiederholte persönliche Interaktionen ausgerichtete Austauschbeziehungen.

Zudem kombinieren landwirtschaftliche Betriebe Regionalisierungsstrategien wie etwa die Direktvermarktung mit der Ablieferung von Produkten an Großhändler zur Verbreitung auf internationalen Märkten. Die wenigsten KonsumentInnen ernähren sich ausschließlich von regionalen Lebensmitteln (Lokavoren oder 100-Meilen-Diät). Die meisten kombinieren Produkte unterschiedlichster Herkunft bzw. wissen gerade beim Außer-Haus-Konsum gar nicht, woher die von ihnen verzehrten Lebensmittel kommen.

Global und regional organisierte Wertschöpfungsketten sind nicht voneinander abgeschottete Systeme, vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig. So bieten auch ProduzentInnen regionaler Spezialitäten Online-Versand bis ins Ausland und Convenience-Produkte, die sonst vor allem von etablierten Vertriebsformen angeboten werden. Umgekehrt greifen international agierende Supermarktketten das Bedürfnis nach Regionalität auf, indem sie Regionalregale einrichten oder regionale ProduzentInnen einladen, ihre Produkte im Supermarkt persönlich vorzustellen. Multinationale fast-food-Ketten greifen das Bedürfnis nach Regionalität auf, indem sie mit der regionalen Herkunft ihrer Zutaten werben oder ihre Speisen an die jeweiligen lokalen Geschmackspräferenzen und Kulturen anpassen (Heterogenisierung; Robertson 1995). Global leicht kommunizierbare kulinarische Highlights wie etwa Pizza, Burger oder asiatische Wok-Gerichte werden beliebig mit Versatzstücken diverser „Ethnoküchen“ kombiniert (siehe Box 3.6). Umgekehrt werden bisher nur in einer konkreten Region produzierte und konsumierte Produkte so adaptiert, dass sie attraktiv für globale Märkte und den Massengeschmack einer breiten internationalen KonsumentInnenschaft werden (Homogenisierung). Aus diesem Verständnis heraus sind Regionalisierung und Globalisierung kein Gegensatz, sondern bedingen sich gegenseitig. → „Glokalisierung“ – also die Gleichzeitigkeit von Homogenisierungs- und Heterogenisierungsprozessen, von Globalisierung und „Re-Regionalisierung“ – wurde in den 1980ern von japanischen Ökonomen als Marketingbegriff geprägt und später von Robertson (z. B. 1995) auch in den sozialwissenschaftlichen Diskurs eingebracht.

Box 3.6: „McWorld“ vor Ort als Beispiel für Glokalisierung

McDonald’s steht für die globale Standardisierung der Esskultur. Doch u. U. stellt sich die → fast-food-Kette auch auf lokale Geschmacksvorlieben ein. So etwa werden in Norwegen McLaks, Sandwiches aus Vollkornbrot mit gegrilltem Lachs und Dillsauce, angeboten. In den Niederlanden wirbt der Groenteburger, ein vegetarischer Hamburger, um Kundschaft. In Uruguay gibt es McHuevos, Hamburger mit pochiertem Ei, und McQuesos, Sandwiches mit Käse. Japanische KundInnen können Chicken Tatsuta Sandwich, gebratenes Huhn mit Sojasauce, Ingwer, Kohl und Senfmayonnaise, bestellen. In Russland wird für Pirozhok, Kartoffeln mit Champignons und Käsekuchen, geworben. In Großbritannien äußert sich die Vorliebe für indische Küche in Gerichten wie McChicken Korma Naan und Lamb McSpicy. Nicht nur die McDonald’s-Produkte, sondern auch die sozialen Konsumpraktiken variieren nach lokalen Kulturen. So etwa gelten McDonald’s-Lokale in Beijing nicht als Orte des schnellen Essens, sondern als Treffpunkte, wo man stundenlang ‚herumhängt‘. Derartige Verbindungen von Globalem und Lokalem lassen sich als Ausdruck der „Glokalisierung“, der lokalen Aneignung globaler Einflüsse, begreifen (Ritzer 2006, 263–266).

Zwischen den beiden Polen der globalisierten Produktion und der sehr kurzen, regionalen Ketten gibt es eine Vielzahl mehr oder weniger eingebetteter Zwischenformen. Als ein Beispiel dieser Mischformen seien rechtlich geschützte Herkunftsangaben vorgestellt, die auf Vertrauen und Langfristigkeit basierende regionale Wirtschaftsbeziehungen mit externen Kontrollen und internationalem Handel verbinden.

3.4.3 Geschützte Herkunftsangaben als Beispiel regional eingebetteter und dennoch international ausgerichteter Produktionssysteme

Angaben zur geografischen Herkunft kommunizieren den Ort und die Standards der dortigen Produktion auch zu weit entfernten KonsumentInnen (Quiñones-Ruiz et al. 2016). Sie schützen regionale Betriebe vor der missbräuchlichen Verwendung der geografischen Bezeichnung durch Trittbrettfahrer außerhalb der Region (z. B., wenn Käse, der nicht aus dem Allgäu stammt, als Allgäuer Bergkäse vertrieben wird). Auch KonsumentInnen, die ein Produkt mit geschützter Herkunftsangabe weit entfernt vom Ort der Produktion kaufen, erhalten über das Label verlässliche Informationen zur Produktherkunft und können über die veröffentlichte Produktspezifikation die jeweiligen Standards der Produktion nachlesen, welche bei arbeitsteilig hergestellten und international gehandelten Lebensmitteln ansonsten in der Regel nicht nachvollziehbar sind.

Während sich beim Wein die Verknüpfung von Qualität und Herkunft bis in die Antike zurückverfolgen lässt und weltweit inzwischen auch rechtlich durch die WTO anerkannt ist, waren geschützte Herkunftsangaben für andere Lebensmittel lange Zeit nur in einzelnen Ländern Südeuropas gebräuchlich. Nationalstaatliche Herkunftsbezeichnungen sind beispielsweise das französische AOC-Siegel (Appellation d’Origine Contrôlée) oder das DOC-Siegel (Denominazione di origine controllata) in Italien. Seit 1992 schützt auch die EU geografische Herkunftsangaben für Lebensmittel. Gruppen von ProduzentInnen eines klar zu definierenden Produktionsgebiets, die einen Antrag auf Herkunftsschutz stellen, argumentieren für die herausragende Qualität ihres Produktes mit spezifischen Bodencharakteristika oder Klimabedingungen, mit regional angepassten Züchtungen und Sorten oder den hohen regionsspezifischen Produktionsstandards, den Fertigkeiten und dem traditionellen Wissen der regionalen ProduzentInnen und VerarbeiterInnen. Ist die geografische Bezeichnung einmal EU-rechtlich geschützt, darf sie nur noch für Produkte verwendet werden, die von in der ausgewiesenen Region angesiedelten zertifizierten und extern kontrollierten Betrieben unter Einhaltung der regionalen Qualitätsstandards produziert wurden.

Das Register der EU-rechtlich geschützten Herkunftsangaben enthält Hunderte geschützte Ursprungsbezeichnungen (g. U.), d. h. Herkunftsangaben für Produkte, deren Produktionsschritte alle im abgegrenzten Gebiet erfolgen müssen, und ebenso Hunderte geschützte geografische Angaben (g. g. A.), die garantieren, dass einer der Produktionsschritte (meist die Verarbeitung) in der Herkunftsregion erfolgt. Bei der geografischen Angabe reicht es folglich aus, dass etwa Pökelware im ausgewiesenen Gebiet verarbeitet worden ist. Das Fleisch kommt daher oftmals aus einem ganz anderen Gebiet. Woher genau, bleibt den KonsumentInnen in der Regel verborgen.

Abgesehen vom registrierungspflichtigen Herkunftsschutz einzelner geografischer Produktbezeichnungen sehen das europäische Recht und viele nationale Gesetze die verpflichtende Kennzeichnung für unverarbeitetes Obst und Gemüse, Eier, Fisch, Bioprodukte sowie für frisches, gekühltes oder gefrorenes Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch vor. Auf dem Etikett ist anzugeben, wo das Tier aufgezogen und wo es geschlachtet wurde. Darüber hinaus sind jene Fleischteile, die gleichzeitig verarbeitet wurden, mit einer Partienummer zu deklarieren, um den Konnex zwischen Fleisch und Tier zu wahren. Die Herkunftskennzeichnung stößt allerdings bei verarbeiteten Lebensmitteln oder bei Produkten, die aus mehreren Rohstoffen bestehen, sehr rasch an die Grenzen der Kommunizierbarkeit.

Neben den registrierten Herkunftsbezeichnungen und den rechtlich geregelten und staatlich kontrollierten Herkunftsangaben am Etikett gibt es noch eine unüberschaubar große Anzahl von Regionalmarken und mehr oder weniger fantasievoll gestalteten Labels, die eine Verbindung des Produkts zu einem bestimmten Ort suggerieren. Bei den meisten dieser Labels gibt es aber weder externe Kontrollen noch transparente Qualitätsstandards.

Auf persönlichen Beziehungen beruhendes Vertrauen und Kontrolle

Erzeuger rechtlich geschützten Herkunftsangaben wie Rioja-Wein oder Darjeeling-Tee argumentieren, dass biophysikalische und klimatische Bedingungen, aber auch die Anbau- und Verarbeitungstradition der im Produktionsgebiet arbeitenden Betriebe ‚authentische‘, regionstypische Qualitäten hervorbringen Mit dem Kauf dieser Produkte wollen auch weit entfernte KonsumentInnen dazu beitragen, dass es sich für die regionalen Betriebe auch weiterhin lohnt, auf Qualität zu setzen.

Bei rechtlich geschützten Herkunftsangaben definieren nicht Behörden oder multinational agierende Unternehmen die Qualitätsstandards, sondern selbstorganisierte Gruppen von ProduzentInnen in der Herkunftsregion (Quiñones-Ruiz et al. 2015). Diese gemeinschaftlich definierten Standards sollen dazu dienen, die Reputation des Produkts zu erhalten bzw. auszubauen. Externe Zertifizierungsorganisationen prüfen die Einhaltung der Standards. Somit verbindet dieses System langfristige Beziehungen zwischen Firmen in der Produktionsregion, die gemeinsame Lernprozesse und regionsspezifische Produktcharakteristika hervorbringen, mit staatlicher Registrierung, Zertifizierung und externen Kontrollen.

Kritik an Herkunftsangaben

Herkunftsbezeichnungen werden u. a. wegen ihrer heterogenen Qualitätsstandards kritisiert. Diese sind anders als bei international abgeglichenen Biostandards nicht generell gültig, sondern eigens für jedes Produkt in sehr unterschiedlich ausgestalteten Produktspezifikationen definiert, deren Zusammenfassung zwar auf einem EU-Web-portal publiziert, aber aufgrund ihrer Heterogenität für KonsumentInnen schwer zu durchschauen sind. Zumal sind auch diese Produktspezifikationen wie jegliche Information, die den KonsumentInnen über ein Essen, ein Lebensmittel oder ein Agrarerzeugnis vonseiten der HerstellerInnen zur Verfügung gestellt wird, „eine ‚Präsentation‘ von Herkunft, Qualität und/oder Produktionsweise […], die zwar nach bestimmten Regeln erfolgt, die aber niemals in der Lage sein kann, die Wirklichkeit vollständig und objektiv widerzuspiegeln“ (Ermann 2015, 78). Diese Heterogenität der Qualitätsstandards, welche von den regional organisierten ProduzentInnen selbst definiert werden, erschwert Kaufentscheidungen, aber auch die externe Zertifizierung und Kontrolle. Umgekehrt ermöglicht sie – anders als im Ökolandbau – ein gehöriges Maß an regionaler Selbstbestimmung und die Anpassung der Produktionsstandards an regionale Besonderheiten und Bedürfnisse, was zu vielfältigen Produktionskulturen beiträgt.

Umweltstandards waren nicht Inhalt traditioneller Herkunftssysteme und sind auch im europäischen Herkunftssystem nicht zwingend vorgesehen. Untersuchungen zeigen, dass insgesamt nur sehr wenige Produktspezifikationen auf ökologische Aspekte der Produktion eingehen (Belletti et al. 2015).

Regional stark eingebettete Lebensmittelsysteme werden in der Regel mit südeuropäischen Ländern wie Frankreich oder Italien assoziiert, wo die Produktqualität, etwa von Wein, schon in der Antike mit konkreten Regionen verknüpft wurde. Champagner, Parmaschinken oder Parmesan stehen für eine hohe Qualität und profitieren von ihrer Reputation. Hingegen hinterfragen FreihandelsverfechterInnen, ob Herkunft tatsächlich ein Qualitätsmerkmal ist oder lediglich dem Protektionismus (→ Liberalismus) und der Beeinflussung von KonsumentInnen dienen soll, um diese dazu zu bringen, heimische gegenüber ausländischen Firmen zu bevorzugen.

Während Herkunftssysteme, die jenem der EU ähnlich sind, auch in Ländern Lateinamerikas und Asiens implementiert werden, lässt sich im angloamerikanischen Kulturraum eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Herkunftsangaben ausmachen. Charakteristisch für die USA, Kanada, Australien oder Neuseeland sind vielerorts weniger weit zurückreichende Herstellungstraditionen, eine Skepsis gegenüber zusätzlichen staatlichen Regulierungen, eine höhere Mobilität der Firmen und vor allem eine starke Markentradition. Während Marken in der Regel im Eigentum eines einzelnen Unternehmens sind und auch an Firmen in anderen Ländern verkauft werden können, sind Herkunftsangaben unveräußerlich. Rechtsprobleme ergeben sich dort, wo geografische Namen in verschiedenen Ländern unterschiedlich geschützt sind. Wer in den USA „Budweiser“-Bier kauft, erhält ein in Amerika produziertes Lagerbier einer amerikanischen Firma, die diesen Namen bereits 1870 markenrechtlich geschützt hat. Wer in Deutschland „Budweiser“-Bier kauft, kann hingegen davon ausgehen, dass dieses Bier in der tschechischen Stadt Budweis gebraut wurde. Die Bezeichnung „Parmesan“, welche seit 2008 in der EU ausschließlich für ‚echten‘ Parmigiano Reggiano (g. U.) aus Parma verwendet werden darf, gilt in den USA als generischer Name für eine bestimmte Art der Käsezubereitung, der von unterschiedlichsten Firmen an verschiedensten Standorten verwendet wird.

Die rechtlichen Divergenzen bezüglich der Bezeichnung von Lebensmitteln beeinträchtigten auch die Verhandlungen über bilaterale Handelsabkommen zwischen Nordamerika und der EU. In diesem Zusammenhang zeigen sich auch sehr unterschiedliche Paradigmen der Lebensmittelqualität. Überspitzt formuliert könnte man resümieren, dass nordamerikanische Regierungen auf Lebensmittelhygiene, standardisierte und kontrollierte Qualität setzen und krankmachende Keime auf ungechlorten Hühnern oder in Rohmilchkäse fürchten (Kontrolle der Endproduktqualität). Die Europäische Union legt hingegen besonderen Wert auf die Kontrolle der Herstellungsweise, auf Herkunftsinformation und ‚regionale‘, ‚authentische‘ Lebensmittel und europäische KonsumentInnen nehmen genetisch veränderte Organismen, Chlorhuhn- und Hormonfleischimporte tendenziell als Bedrohung wahr. Regionalisierte Lebensmittelsysteme können jeweils auf lokal vorherrschende Qualitätserwartungen eingehen; globalisierte Ketten sind mit unterschiedlichen Paradigmen und kontextbezogenen Qualitätsmaßstäben konfrontiert.

3.5 In Zukunft: regional, global oder glokal?

Dieses Kapitel erläutert die Triebfedern, Charakteristika und Folgen der parallel ablaufenden, sich gegenseitig bedingenden Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der Lebensmittelversorgung. Die Polarität zwischen regional und global soll jedoch nicht zu einer vereinfachten Diskussion von „entweder – oder“ führen, sondern vielmehr die wechselseitigen Dynamiken und Abhängigkeiten regionaler und globaler Lebensmittelsysteme verdeutlichen. Geänderte Praktiken der Lebensmittelversorgung können zu Verschiebungen beitragen, sei es bei der Definitionsmacht über die Produktqualität, bezüglich des Verhältnisses von sozialen Beziehungen und Markt oder bei der Verteilung von Rechten und Verpflichtungen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größe und Herkunft, AkteurInnen im Globalen Norden und Süden, Industrielobbys und KonsumentInnenverbänden.

Eine simplifizierende Gleichsetzung von „regional = gut“ ist nicht geboten. Auch vor der eigenen Haustür produzierte Lebensmittel können Erwartungen bezüglich Umweltschutz, Arbeitsbedingungen oder Tierschutz enttäuschen. Zudem ist aus ethischen Überlegungen zu hinterfragen, warum heimische Betriebe gegenüber bäuerlichen Familien aus dem Globalen Süden bevorzugt werden sollen. Im Gegensatz zu anonymer Massenware ohne Herkunftsbezug haben wir bei regional produzierten Lebensmitteln jedoch eher Einblick in die Produktionsprozesse und können diese bis zu einem bestimmten Grad auch mitgestalten und so zur Vielfalt der Produktionskulturen beitragen.

Die Diversität von mehr oder weniger globalisierten oder regionalisierten, sozial unterschiedlich eingebetteten, langen und kurzen Ketten kann auch als Chance für Synergien und ein resilientes Lebensmittelsystem (siehe Abschnitt 4.2.4) gesehen werden. International gehandelte Lebensmittel mit bekannter geografischer Herkunft zeigen, wie sich Vorteile sozialer Einbettung und heterogener Produktionsstandards mit jenen des internationalen Handels verbinden lassen.

Kontrollfragen

Was sind die Errungenschaften globalisierter Lebensmittelmärkte? Was würde sich für Sie ändern, wenn Sie sich ausschließlich von Lebensmitteln ernähren müssten, die im Umkreis von 100 km produziert werden?

Was waren/sind die wesentlichen Triebfedern und Phasen der Globalisierung?

Was erwarten sich KonsumentInnen von in der eigenen Region produzierten Lebensmitteln? Welche dieser Erwartungen könnten enttäuscht werden und warum?

Diskussionsfragen

Preisgünstige standardisierte Lebensmittel für die breite Masse oder hochpreisige regionale Premiumprodukte für die Eliten?

Bekämpfung des Welthungers durch die Liberalisierung der Agrarmärkte oder durch eine weitgehend auf Selbstversorgung ausgerichtete und national reglementierte Landwirtschaft?

Versorgungssicherheit in Krisen- und Kriegszeiten durch globale Vernetzung oder durch regionale Selbstversorgungsstrukturen?

Wie fair sind globale bzw. regionale Lebensmittelmärkte in Bezug auf soziale Ungleichheit oder Umweltfragen?

Wem oder worauf vertrauen Sie in Hinblick auf Lebensmittelqualität?

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