Kitabı oku: «Hinter hessischen Gittern», sayfa 4
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Susanne war tief getroffen. Es war das erste Mal gewesen, dass Dirk dermaßen ausfällig geworden war. Sie musste sich setzen. Seit über fünf Jahren kannte sie nur einen charmanten, aufmerksamen und äußerst kultivierten Dirk, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Er musste wirklich in großen Schwierigkeiten stecken, anders war seine Reaktion nicht zu erklären. Seit einiger Zeit war er oft mürrisch und schnell gereizt. Als sie seine finanziellen Schwierigkeiten einmal zum Thema machen wollte – sie hätte ihn leicht unterstützen können – wies er sie mit den Worten:
»Da wir Gütertrennung vereinbart haben, gehen dich meine finanziellen Sorgen nichts an«, brüsk zurück. Danach sprach sie das Thema nicht mehr an. Dieser Angriff jedoch am Telefon war eindeutig zu viel für sie. Egal, welche Schwierigkeiten er hatte, es gäbe ihm nicht das Recht, so mit ihr zu reden. Sollte er ruhig in Darmstadt bleiben, sie würde mit Katie einige Tage auf der Insel Usedom verbringen. Ein wenig frische Luft und Erholung hatte sie sich wahrlich verdient. In ihrem Telefonbuch war die Nummer des Grand Hotels in Heringsdorf gespeichert, mit ein wenig Glück würde sie morgen ihr Abendessen auf der wunderschönen Terrasse einnehmen und den Sonnenuntergang genießen. Abstand würde ihr und Dirk sicher guttun. Sie nahm ihr Handy zur Hand und wählte die Telefonnummer des Hotels, als ihre Sekretärin mit der Unterschriftenmappe in ihr Büro trat. Frau Krüger erwähnte die verbale Attacke ihres Mannes mit keiner Silbe, aber an ihrem Gesicht konnte Susanne sehen, dass sie alles gehört hatte. Sie hing mit ihrem Telefonat in der Warteschleife und sagte zu Frau Krüger, die gerade wieder das Büro verlassen wollte:
»Gut, dass Sie mich an Usedom erinnert haben, die ganze Zeit wollte ich schon buchen, aber ständig kam etwas dazwischen. Können Sie bitte die Damen und Herren der Marketingabteilung informieren, dass das Meeting am Freitag ausfällt. Ich denke, wir alle haben die letzten Wochen genug geschuftet und können die Sitzung verschieben. Ich bringe heute noch die wichtigsten Sachen zu Ende, und morgen früh fahre ich direkt los.«
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»Kommen Sie herein.« Anstaltsleiter Richard Meurer, der zuständige Beamte für Frank Hattinger, saß in seinem Büro und winkte Maria zu sich heran. Auf einem kleinen Tisch neben der Tür lag eine Ausgabe der aktuellen Tageszeitung. Als Maria beim Schließen der Tür einen Blick darauf warf, entdeckte sie ein Foto von Meurer mit einem anderen Mann. Beide lächelten zufrieden in die Kamera. Darunter stand: »Rotarier spenden 10.000 Euro für einen Kindergarten.« Maria war verblüfft, lächelnd hatte sie Meurer noch nie gesehen. Zynische Bemerkungen und abwertende Blicke waren eigentlich sein Markenzeichen. Ein Chef, der gefürchtet wurde, nicht respektiert. Der Flurfunk besagte, dass er als Jurist innerhalb der Justiz Karriere machen wollte. Das hessische Ministerium der Justiz war sein Ziel. Jedoch hatte er bis dato den Sprung dorthin nicht geschafft. Richard Meurer war arrogant und ließ andere gerne spüren, dass er sie für ihm unterlegen hielt. Selbstgefällig sah er, dass Maria den Zeitungsartikel in Augenschein nahm, erwähnte ihn aber mit keiner Silbe.
»Frau Saletti, können Sie mir etwas mehr über den Drogenfund sagen? In Ihrem Bericht, den ich hier vor mir habe, wird nicht so ganz deutlich, wem die Schuhe nun gehören. Zeitgleich habe ich eine Meldung auf den Tisch bekommen, in der Frank Hattinger seine Schuhe als gestohlen gemeldet hat. Herr Hattinger ist aber überhaupt nicht für Drogen bekannt, oder wissen Sie da etwas anderes?« Er hatte seine Lesebrille auf der Nase und blickte sie über deren Rand an. Maria trat zögerlich zwei Schritte näher an Richard Meurers Schreibtisch.
»Nein, Herr Meurer, der Gefangene Hattinger ist in keiner Weise auffällig, was Drogen angeht. Jedoch hat er näheren Kontakt zu Carlos Ribeiro, und dieser fällt auf, weil er bei der Urinkontrolle ständig positiv auf Heroin getestet wird.« Maria blieb stehen, irgendetwas hinderte sie daran, näher an den Schreibtisch zu treten.
»Wie kommt der an die Drogen, was meinen Sie?« Meurer hatte sich aufgerichtet und blickte Maria nun freundlich an.
»Ich weiß es wirklich nicht, vielleicht über den Besuch, aber ich habe schon in der Besucherliste nachgesehen. Carlos Ribeiro bekommt nur von seiner Mutter Besuch, und das ist ein altes Mütterchen, das wohl kaum das Heroin in ihren Körperöffnungen in den Knast schmuggelt.«
Meurer machte eine bedeutungsvolle Pause, wobei er sie genau ansah.
»Suchen Sie weiter auf dieser Station nach Drogen und beobachten Sie, mit wem dieser Ribeiro noch Kontakt hat. Danke!« Meurer lächelte sie an, wobei er dabei nur seinen Mund verzog, bis zu seinen Augen reichte das Lächeln nicht. Augenblicklich wanderte sein Blick wieder nach unten auf eine Akte, die vor ihm lag.
Das war eindeutig die Aufforderung zu gehen. Maria nickte und verließ das Büro.
Als sie im Flur stand und die Tür hinter sich geschlossen hatte, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Wie schaffte es Meurer nur immer, sie so zu verunsichern. Er hatte eine imposante Größe von mindestens einem Meter 90, aber da war etwas anderes, was ihn so einschüchternd wirken ließ. Normalerweise konnte man sie nicht so schnell ins Bockshorn jagen, nur in seinem Beisein fühlte sie sich wie ein Nichts. Gut, dass sie für den bösen Blick gerüstet war. Ihre Großmutter hatte ihr vor Jahren einen kleinen Anhänger, ein Hörnchen aus Gold, geschenkt, diesen trug Maria immer bei sich. In Neapel nannte man es Corno, es bewahrte den Träger vor dem bösen Blick.
Auf der Station II5 angekommen, sah sie gerade Savic mit Ribeiro sprechen. Es war offensichtlich kein Gespräch unter guten Freunden. Als beide Maria entdeckten, verstummten sie sofort, und Ribeiro trollte sich.
»Na, Frau Saletti, Sie sehen aus, als hätte Sie jemand geärgert.« Savic schien Maria genauestens zu beobachten.
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Einige Stunden später, die Gefangenen hatten Freizeit und durften sich für zwei Stunden frei auf ihrer Station bewegen, schlich Ribeiro über den Flur und holte sich einen Tee an dem aufgestellten Teespender. Er sah miserabel aus. Blass und seit Tagen nicht geduscht, schleppte er sich wieder in seine Zelle. Er kratzte sich ständig, sodass auch der Blödeste es verstand: Er war auf Entzug. Die Russen hatten sich einen kleinen Tisch aufgestellt und spielten Karten. Einige von ihnen saßen in der Hocke um die Kartenspieler herum. Diese Art des Sitzens konnte Maria bisher nur bei ihnen beobachten. Manche hielten auch eine lange Kette mit Holzperlen in der Hand, die sie ununterbrochen zwischen ihren Fingern hindurchgleiten ließen. Ausnahmslos waren alle irgendwie auf Drogen, auch wenn in deren Wahrnehmungsbogen kein Delikt wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgeführt war. Fast jeder der Männer war abhängig. Viele waren blass und mager, ja mangelernährt. Zudem hatten sie sich die Köpfe fast kahlgeschoren. Sie sahen aus, als kämen sie geradewegs aus dem Gulag. Männer mit nicht einmal 30 Jahren sahen aus wie ihre eigenen Großväter, hässliche Tätowierungen waren auf ihren weißen Körpern zu sehen. Die Tattoos wurden verbotenerweise hier im Knast angefertigt und sahen wenig professionell aus, hatten aber für Knastinsider wichtige Bedeutung. Man konnte anhand der Tätowierungen den kriminellen Werdegang eines Deutschrussen ablesen. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, und keiner von ihnen würde je mit einem Beamten mehr als unbedingt nötig sprechen. Es gab unter ihnen genaue Hierarchien, und sie wusste von Jan Gerber, dass sie eine gemeinsame Kasse unterhielten, die Abschak genannt wurde. Jeder Landsmann, der in Haft kam, wurde sofort von der Russengemeinschaft mit Kaffee und Tabak versorgt. So weit, so gut, aber die Zinsen waren hart. Wenn er dann Geld verdiente, musste er seine Schulden eins zu zwei zurückzahlen. Wenn er ein Päckchen Tabak erhalten hatte, musste er dafür zwei Päckchen an die Gemeinschaft zurückzahlen. Eigene Gesetze innerhalb der Mauern.
Sie schaute sich die anderen Insassen nun genauer an. Wer war hier drin mit wem befreundet? Wer hatte am Wochenende Besuch? Irgendwie mussten die Drogen ja in den Knast kommen. Es war bekannt, dass oft die Angehörigen der Gefangenen Drogen reinbrachten, da nützte das ganze Abtasten nichts, denn die Frauen oder auch Männer versteckten die Drogen in ihren Körperöffnungen und gingen während des Besuchs auf die Toilette und holten die Päckchen hervor. Blitzschnell wurde dann beim Abschiedskuss das Suchtmittel weitergegeben. Auch wenn man den Gefangenen nach dem Besuch untersuchte und abtastete, hatte man wenig Erfolg, der Gefangene hatte die Drogen bereits geschluckt, und so waren sie für die Kontrolle nicht auffindbar. Ein ewiges Katz und Maus Spiel. Maria schaute auf die Besucherliste, aber hier war, was Häufigkeit und zeitliche Abfolge betraf, nichts Auffälliges zu entdecken. Ribeiro bekam immer nur Besuch von seiner Mutter. Kurz bekam überhaupt keinen Besuch, und Hattinger hatte den letzten Besuch von einem Hartmut Siebert erhalten. Maria öffnete eine andere Seite, um nachzusehen, ob Hartmut Siebert schon einmal in Dieburg eingesessen hatte. Bingo – er hatte zwei Jahre zuvor wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz gesessen. Sie schloss die Seite und schaute aus ihrem Büro in die Gefangenenstation. Ribeiro war gerade dabei, in Hattingers Zelle zu verschwinden.
Donnerstag, 6. September
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Frankfurt, die Hitze war kaum auszuhalten. Über Monate hatte es nicht geregnet. Beton und Asphalt waren dermaßen aufgeheizt, dass auch die Nächte keinerlei Abkühlung brachten. In den Häuserschluchten hielt sich die Hitze unerbittlich. Staub und Abgase machten den Menschen zudem zu schaffen. Die Fahrt nach Frankfurt in einem überfüllten Zug war für Frank Hattinger alles andere als angenehm, jedoch wollte er ein wenig räumlichen Abstand zwischen sich und die JVA Dieburg bringen. Ein Internetcafé in Darmstadt war ihm zu gefährlich, jederzeit hätte er entdeckt werden können. Frankfurt war größer, anonymer. Hier würde er nicht so schnell auffallen. Mit kreischenden Bremsen hielt der Zug im Frankfurter Hauptbahnhof. Hattinger blickte sich um. In der Bahnhofshalle war es etwas kühler als auf der Straße. Menschen eilten an ihm vorbei. Wenige Minuten zuvor hatte er eine ominöse SMS aus der Schweiz erhalten. Nur eine Buchstaben- und Zahlenkombination mit der Endung »onion«. Zunächst wollte er wissen, was es mit diesem Code auf sich hatte. Was wollten diese Schweizer von ihm? Danach würde er am Bahnhof nach einem süßen Kerl Ausschau halten.
Im Internetcafé angekommen, kaufte er sich eine Cola und nahm an einem Rechner in der Ecke Platz. Mit schweißnassen Händen gab er den Code ein. Nichts. Was war falsch? Die Endung – onion – brachte ihn drauf. Es war ein Code für das Darknet. Nach einigen Minuten, die ihm wie Stunden vorkamen, hatte er es geschafft. Er war in einem Chatroom, in dem er einige Fragen beantworten musste. Kurz darauf las er das Angebot:
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Maria wusste nicht, wie sie die Hitze überstehen sollte. Im Gefangenenhaus war die Luft dermaßen stickig, dass sie froh war, als sie in die Verwaltung musste. Der alte Klosterbau mit seinen dicken Mauern war deutlich kühler als das Hochhaus aus Beton. Sie ging durch den langen Flur zum Büro von Richard Meurer. Sie musste ihm von Hattingers Besuch erzählen und dass dieser möglicherweise die Drogen in die Anstalt geschmuggelt hatte. Sie hasste es, zu Meurer zu gehen, aber da Hattinger mit der Beschaffung von Drogen zu tun hatte und sich täglich im Ausgang befand, musste dies unbedingt gemeldet werden. Sie klopfte an, und als sie nichts hörte, öffnete sie langsam die Tür. Richard Meurer saß hinter seinem großen Schreibtisch, der bis auf eine Tageszeitung, die er vor sich ausgebreitet hatte, leer war.
»Kommen Sie ruhig rein und setzen Sie sich.« Meurer sah nicht auf und wies mit vager Geste auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. Das Büro war sehr groß und spartanisch eingerichtet. Offensichtlich war er noch ganz in einen Zeitungsbericht vertieft, erst einige Sekunden später sah er sie erstaunt an.
»Was führt Sie zu mir, Frau Saletti?« Er nahm die Lesebrille nicht ab, sondern schaute über sie hinweg, was seinem Gesicht einen skeptischen Ausdruck verlieh.
»Herr Meurer, ich wollte Ihnen mitteilen, dass möglicherweise der Gefangene Hattinger für den Drogenschmuggel verantwortlich ist. Ich habe die Besucherliste überprüft und festgestellt, dass Frank Hattinger von einem Mann Besuch bekommt, der hier einmal wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz inhaftiert war.« Maria schluckte nervös, Meurers Blick schüchterte sie ein.
»Glauben Sie, dass Hattinger seinen Ausgang durch Drogenschmuggel für andere Insassen aufs Spiel setzt? Er ist ja nachweislich nicht abhängig. Er wurde, soweit ich es in Erinnerung habe, die letzten Jahre immer negativ auf Drogen getestet. Sonst hätte man ihn ja auch nicht in den Freigang lassen können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hattinger, nach so vielen Jahren im geschlossenen Vollzug, seine kleine Freiheit aufs Spiel setzt. Wissen Sie, es ist selten, dass ein Gefangener aus dem geschlossenen Vollzug fast täglich in den Ausgang darf. Jeder Verdacht muss normalerweise sofort mit einer Ausgangssperre geahndet werden. Wollen wir das, Frau Saletti? Haben Sie denn Beweise?« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort. »Ich glaube, Sie müssen noch an anderer Stelle suchen, aber gut, dass Sie so aufmerksam sind.« Er durchbohrte sie mit seinem Blick, Maria wusste, für ihn war das Gespräch beendet. Er konnte es ihr nicht deutlicher zeigen.
»Gut, Herr Meurer, dann halte ich weiter die Augen offen.« Maria wartete auf eine Antwort, bekam aber nur ein Nicken. Langsam schob sie den Stuhl nach hinten, der dabei laut über den Fußboden knarzte. Dieses Geräusch hallte in ihren Ohren, und sie wäre am liebsten im Boden versunken.
Betont aufrechten Ganges verließ sie das Büro. Es war mehr als deutlich geworden, Richard Meurer hielt ihre Verdächtigungen für puren Blödsinn. Enttäuschung stieg in ihr auf, die Herren der Schöpfung in diesem Haus nahmen Frauen nicht ernst. Sie war sich sicher, wenn ein Kollege mit diesem Hinweis bei Meurer aufgetaucht wäre, hätte er ihn nicht so brüsk abgewiesen. Sie ging zur Damentoilette und ließ kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Es war fast wie zu Hause, als ihr Vater noch bei ihnen wohnte. Was sie und ihre Mutter sagten, wurde oft als Unsinn abgetan, ein Umstand, der sie schon damals wütend machte. Sie nahm den Aufgang zur Zentrale, wo Rolf Klein an diesem Tag Dienst hatte. Als sie den Raum betrat, hörte sie die letzten Worte einer Einsatzbesprechung.
»Müller, bitte heute den Gefangenen El Abdelkader unter Verschluss lassen. Für den Gefangenen Burasi gilt das Gleiche. Die zwei sind gestern Abend aufeinander losgegangen, wir müssen erst mit dem Sicherheitsdienstleiter Gerber besprechen, wie es mit den beiden weitergehen soll. Danke, meine Herren.« Rolf Klein hatte sofort beim Eintreten von Maria gesehen, dass etwas nicht in Ordnung war. Als die anderen Kollegen gegangen waren, sah er Maria in die Augen.
»Na, was ist passiert? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Klein nahm sich einen Kaffee und schenkte Maria auch eine Tasse ein.
»Ich war bei Meurer, um ihm den Verdacht wegen Hattinger mitzuteilen. Der nimmt mich einfach nicht ernst.« Maria nahm die Tasse Kaffee und setzte sich auf einen Stuhl gegenüber von Klein.
»Ja, der Meurer, der ist echt mit Vorsicht zu genießen. Es kursieren Gerüchte aus der Zeit, als er Chef vom Ausbildungsseminar war. Man sagt ihm nach, er halte nichts von Frauen im Männervollzug. Irgendwas muss dort auch mal vorgefallen sein, aber alle, die damals vor Ort waren, hüllen sich in Schweigen.«
»Kein Wunder, er kann dir mit Blicken mitteilen, dass er dich für blöd hält.« Maria nahm einen großen Schluck Kaffee. »Ab sofort halte ich meine Klappe.« Maria nahm den letzten Schluck und stellte die Tasse in die Spüle.
3
Sie fühlte sich schwer, müde und ausgelaugt. Die Fahrt von Frankfurt nach Darmstadt hatte länger gedauert als gewöhnlich, und im Wagen war es trotz Klimaanlage unerträglich heiß. Sie freute sich auf die Abkühlung an der Ostsee und träumte sich bereits an den Strand. Zu Hause angekommen, stellte sie sich unter die kalte Dusche, zog ein leichtes Kleid an und setzte sich in den Schatten auf ihrer Terrasse. Dirk war nicht da. Sicherlich würde er noch in seinem Büro versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten war. Sie spürte ein großes Bedürfnis nach Ruhe und hätte sich am liebsten hingelegt, geschlafen und über nichts mehr nachgedacht. Sollte sie versuchen, Dirk zu erreichen und mit ihm reden? Nein, es war an ihm, das wieder geradezubiegen, was er verbockt hatte. Die Vorfreude auf den Urlaub ließ sie aufstehen, um die ersten Urlaubsutensilien zusammenzusuchen. Sie würde heute Abend schon ihren gepackten Koffer ins Auto bringen, so müsste sie morgen früh nur noch Katie und ihre Handtasche schnappen und könnte nach einer kleinen Gassirunde die Fahrt antreten. 860 Kilometer waren zu bewältigen, aber mit einem guten Hörbuch und ab und an einer Pause wäre sie am Nachmittag sicherlich im Hotel.
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Ribeiro versuchte, ruhig zu bleiben. Er lief im Stationsflur auf und ab, dann setzte er sich wieder kurz auf den Stuhl, den er vor seine Zelle gestellt hatte. Wann endlich würde Hattinger vom Ausgang zurückkommen? Die Schmerzen waren kaum auszuhalten. Er brauchte dringend einen Schuss. Endlich sah er Hattinger in Begleitung eines Beamten die Treppe zur Station hochkommen. Als der Beamte Hattingers Zelle aufgeschlossen hatte und außer Hörweite war, sagte Ribeiro leise:
»Frank, hast du was für mich dabei?«
»Halt die Fresse und wart’s ab.« Hattinger verschwand in seiner Zelle. Ribeiro war drauf und dran, einfach die Zellentür aufzureißen, er konnte sich kaum noch beherrschen. Sein Körper schrie nach dem Gift, das Sekunden, nachdem er es sich gespritzt hatte, seine entspannende Wirkung zeigen würde. Die Schmerzen hätten augenblicklich ein Ende, und er würde sich sicher und geborgen fühlen, wie in Watte gepackt. Nach etwa fünf Minuten, die Carlos wie eine Ewigkeit vorkamen, hörte er Hattinger rufen:
»Komm rein und verdien dir dein Leckerchen.« Ribeiro atmete tief durch und ging in die Zelle. Frank Hattinger saß mit runtergelassener Hose auf seinem Bett und zeigte mit seinem rechten Daumen auf seinen steifen Schwanz.
»Bemüh dich, sonst wird es nix mit dem Stoff.« Ribeiro schluckte und machte sich an die Arbeit.
Freitag, 7. September
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Vogelzwitschern und ein Sonnenstrahl ließen sie am darauffolgenden Morgen erwachen. Sie rekelte sich in ihrem Bett und genoss es, ohne Zeitdruck aufzustehen. Dirk war offensichtlich irgendwann in der Nacht nach Hause gekommen, da hatte sie bereits geschlafen. Er lag neben ihr und schlief tief und fest. Die Sorgen hatten ihn gezeichnet. Tiefe Falten auf der Stirn und um seinen Mund waren Zeugen der letzten anstrengenden Monate. Sie konnte ihm nicht böse sein, sicherlich würde er sie heute im Laufe des Tages anrufen und um Verzeihung bitten. Eine Woche Abstand, in der sie Kraft tanken konnte, würde beiden guttun. Sie schlüpfte leise aus dem Bett und gab Katie ein Zeichen. Gemeinsam schlichen sie aus dem Schlafzimmer, und kurz darauf rieselte kühles Wasser ihren Körper herunter. Ihre Lebensgeister waren geweckt. Sie zog ein leichtes Sommerkleid an, band ihre langen Haare zu einem Zopf zusammen und legte ein wenig Make-up auf. Nachdem sie ihren Espresso getrunken hatte, sah sie auf die Uhr, 8.20 Uhr. Sie war gut in der Zeit. Sie nahm Katies Leine von der Garderobe, schnappte sich ihre Handtasche und sah noch kurz hinein. Alles war an seinem Platz, und den Koffer hatte sie am Vorabend bereits in den Kofferraum gelegt. Als sie die Haustür öffnete, flitzte Katie schwanzwedelnd an ihr vorbei. Ihr Auto stand in der Auffahrt, sie stellte ihre Handtasche hinein, verriegelte den Wagen und ging mit ihrem Hund in den angrenzenden Wald. Die Vögel zwitscherten, und noch war die Luft einigermaßen frisch, aber schon bald würden die Temperaturen auf 35 Grad klettern. Unerträglich im Rhein-Main-Gebiet.
Nach etwa 200 Metern blieb Katie plötzlich stehen und spitzte die Ohren. Wie versteinert ging sie keinen Meter mehr weiter, und als Susanne an ihr vorbeiging und sie lockte, fing sie an zu fiepen. »Katie, nun komm, was ist los mit dir?« Der Hund bewegte sich nicht und knurrte. Plötzlich vernahm Susanne ein Knacken. Kam es von vorne? Oder ächzte der Wald unter der wochenlangen Hitze?
»Hallo?«, rief sie, »ist da jemand?« Was für eine lächerliche Frage, dachte sie, und dennoch kroch die Angst in ihr hoch. Schnell drehte sie sich auf dem Absatz um und suchte mit dem Blick ihren Hund, der zwischenzeitlich einige Meter weiter wieder zu knurren anfing. Sie hatte nichts bei sich, was sie als Waffe nutzen konnte. Der Autoschlüssel war auch nur noch ein kleines Teil aus Plastik. Sie sah sich um, aber da war nichts. Es gab sicherlich 1.000 harmlose Erklärungen. Warum hatte sie also so eine Angst? Aus dem Augenwinkel registrierte sie eine Bewegung, aber da war es bereits zu spät.