Kitabı oku: «Kreuz Teufels Luder», sayfa 4

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Plötzlich war sie einfach da gewesen, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Am selben Tag, an dem meine Mutter mir sagte, dass ich ein Geschwisterchen bekommen würde. So, wie ich die Schwester meines Bruders sei, komme noch jemand dazu, der viel kleiner sei als ich und viel schlafen würde. Mir schien, dass die Katze zu viel war, denn die ass ja auch. Sie bekam von der Mutter jeden Abend etwas zu essen, und wir hatten manchmal nichts. Sie durfte sogar auf dem Bett der Mutter schlafen und manchmal auf ihrem Schoss sitzen. Diese Katze konnte nicht bei uns bleiben, diese Katze musste weg.

Eine Zeit lang geschah nicht viel, ausser dass ich auf dem Tisch tanzen musste. Der Tisch hatte sich fest in meine Kinderwelt geschoben, die Hölle hatte mich immer wieder und machte, dass ich fast keinen Hunger mehr hatte. Ich verwandelte mich in ein kleines Höllengerippe. Das Bäuchlein meiner Mutter wuchs. Und die schwarze Katze strich dauernd um mich herum und berührte meine Beine. Manchmal schnurrte sie dabei.

Vater Jakob tauchte auf und verschwand im Zimmer meiner Mutter. Es dauerte nicht lange, bis wir Schreie hören konnten, es rumpelte und Türen knallten. Arabat verschwand unter seiner Decke. Vater Jakob war dieses Mal genauso wütend wie Mutter Lilith. Die beiden schaukelten sich gegenseitig auf in ihrem Zorn. Wieder flogen uns Gegenstände um die Köpfe. Und dieses Mal würde der Vulkan ausbrechen. Meine Mutter öffnete plötzlich das Fenster, rannte Jakob schnaubend entgegen, packte ihn, hob ihn in die Luft, rannte mit ihm auf das Fenster zu und warf ihn mit voller Kraft hinaus. Für einen kurzen Augenblick herrschte Ruhe, gerade so lange, dass ich einmal ein- und ausatmen konnte. Mein Mund stand offen, ich staunte darüber, dass mein Vater fliegen konnte. Meine Mutter befahl mir, nach ihm zu schauen, und ich lief, so schnell ich konnte, zu ihm hinaus. Vater Jakob lag reglos da, ich kniete mich zu ihm hin und sah ihn einfach an. Sein Bauch und sein Gesicht waren zum Boden gerichtet und sein Rücken und Hinterteil Richtung Himmel. Wohin seine Beine und Arme zeigten, fand ich nicht recht heraus. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, nur seine Ohren, und da tropfte Blut heraus. Ich sah einen Fremden vor mir liegen. Meine Mutter rief etwas von oben herab, was ich nicht verstand. Dann kam ein Auto mit Blaulicht, ohne Sirene, mit Frauen oder Männern, die sich um Jakob kümmerten, ihn auf einer Bahre ins Auto schoben. Vater Jakob war nun für sehr lange Zeit weg. Der Sturz aus dem Fenster hatte ihm beide Arme und Beine gebrochen.

Nun wusste ich, wie ich es anstellen konnte, dass die schwarze Katze unser Haus verliess. Ich musste ihr nur das Fliegen beibringen. Ich öffnete das Fenster, schaute hinunter, ob Arabat seinen Posten bezogen hatte, nahm die Katze und warf sie hinaus. Unten knallte sie auf den harten Boden und war ganz benommen. Arabat brachte sie mir dann wieder hinauf und ich knallte sie nochmals aus dem Fenster. Das Spiel mit der Katze ging so lange, bis der Tod sie endlich packte.

Da lag sie nun mit offenen Augen, und ihr Zünglein hing heraus. Plötzlich wollte ich, dass die Katze wieder lebendig wäre. Ich warf Steine nach ihr. Doch sie blieb einfach reglos liegen. Ich trat die Katze mit den Füssen, versuchte sie auf die Pfoten zu stellen. Aber sie fiel in sich zusammen, ihr Zünglein draussen und mit halb geöffneten Augen. Ich gab meine Versuche auf, sie wieder lebendig zu machen, und legte sie an die Hausmauer. Keiner, der zur Mutter kam, bemerkte die tote Katze. Und da Mutter Lilith nicht nach draussen ging, lag die Katze noch eine ganze Weile da, sodass ich sie immer wieder besuchen konnte. Ich machte noch einen letzten Versuch und legte ihr Futter hin, ich dachte, wenn sie Hunger hätte, würde sie gewiss aufwachen. Manchmal war das Futter dann weg, aber die Katze lag immer noch da, und auf ihr immer mehr Tierchen. Ich nahm an, dass die Katze aufwachte und frass, weil das Futter ja weg war, wenn ich nachschaute. Also brachte ich immer wieder neues hin und immer mehr kleine Lebewesen gesellten sich zur Katze. Ich konnte beobachten, wie die kleinen, weissen Würmchen auf ihr herumturnten, sich aus ihren Augen und in ihren Mund bohrten, sogar in den kleinen Nasenlöchern gingen sie ein und aus. Mit der Zeit stank es sehr. Die weissen Würmchen begannen mich zu ekeln, und dieses Todesfressen faszinierte mich nicht mehr. Mutter Lilith trauerte der schwarzen Katze noch lange nach und hoffte, sie komme wieder. Aber ich wusste es besser, ich hatte ein Geheimnis, das Geheimnis vom Tod.

Wieder zogen wir um, weil man uns unserer Mutter wegnehmen wollte. Wir wohnten nun in einem alten Käserhaus. Die neue Käserei war nicht allzu weit davon entfernt. Jeden Morgen und jeden Abend konnte ich die Bauern mit ihren Traktoren und Anhängern mit den grossen Milchkannen beobachten. Sie brachten die Milch ihrer Kühe dorthin. Die Bauern und der Käser hatten dicke Oberarme, denn eine solche Kanne war sehr schwer. Wir hatten nun regelmässig Milch zu trinken. Wir tranken viel, hatten aber trotzdem Hunger. Mutter Lilith kam mit dem Geld nicht aus, weil sie eine Menge Trink- und Rauchwaren, Schminke und Schuhe für sich brauchte. Oft hatten wir zu wenig Milchbatzen.

Aber Mutter Lilith war schlau und weihte uns in die Kunst der Elstern ein. Arabat und ich mussten in der Käserei sein, be­vor die ersten Bauern ihre Milch brachten. Die Käserfrau hatte dann schon alles vorbereitet, auch die Kasse mit den Milchbatzen lag immer offen da. Meistens waren der Käser und die Käserin noch beschäftigt, bevor das Eintreiben der Milch begann, und so waren wir allein in der Käserei. Arabat hielt das Milchchübeli in der Hand und ich hatte meine Hand in der Kasse, um mir ein paar Batzen zu greifen. Hatte ich die Batzen, so standen wir wartend da, bis die Milchbauern kamen und es kesselte und laut wurde. Wenn dann die Käserin kam, streckte ich ihr die Hand mit den Batzen hin, die ich mir vorher genommen hatte, und wir bekamen so viel Milch, wie es dafür gab. Manchmal hatten wir ein ganzes Chübeli voll, meistens jedoch nur ein halbes. Meine Hand war zu klein und zu zart, um genügend Batzen für ein volles Milchchübeli zu greifen. Mutter Lilith war stolz auf mich, weil ich das mit dem Milchholen so gut machte. Sie konnte sich auf mich verlassen und es ganz uns beiden überlassen. Und für mich war klar, dass ich das Geld nehmen durfte, weil es ja so offen dalag.

Nach einer Weile zogen wir wieder um, damit meine Mutter in Ruhe gebären konnte. Es war keine Geburt im Spital, die kleine Mascha kam zu Hause in unsere Welt. Ich durfte mit Vater Jakob die Nachgeburt im Wald vergraben. Wir gruben mit den Händen ein tiefes Loch in die Erde, Vater Jakob legte die Nachgeburt hinein und übergoss sie mit einer ganzen Flasche von dem stark riechenden Wasser. Vorher nahm er noch einen grossen Schluck davon. Unsere Hände deckten die Nachgeburt, gesegnet mit diesem Feuerwasser, mit Erde zu. Ich durfte Holz sammeln und es, dort wo die Nachgeburt im Dunkeln lag, auf einen Haufen legen. Als wir genug Holz hatten, kam Mutter Lilith mit Arabat und der kleinen Mascha dazu. Mascha sah man nicht, sie war in eine Decke eingewickelt. Papier wurde zwischen die Hölzer gestopft und noch eine Flasche Feuerwasser geopfert, dann kamen die rot-, gelb- und blauorangen Flam­men. Es zischte, krachte und rauchte.

Mir war, als wollten die Flammen mir etwas sagen, doch ich konnte es nicht verstehen, wie so vieles. Ich starrte in die Flammen und spitzte die Ohren. Ich sah das Feuer und seine Farben. Und manche Farben, die ich darin sah, konnte ich auch an den Menschen, Pflanzen und Tieren erkennen. Das Feuer weckte in mir das Bedürfnis, es zu berühren. Das helle Licht der Flammen berührte sanft meine Seele und liess mich am Zauber seiner Wärme teilnehmen. Ich wurde selbst zu einer Flamme und tanzte, knisterte, krachte und rauchte mit dem Feuer. Zum ersten Mal erlebte ich Glück. Und dieses Glück gefiel mir viel, viel besser als das Tanzen auf dem Tisch. Das Glück fühlte sich so warm an. Das Tanzen aber war eisige Kälte. Bald darauf rief die Teufelin aber wieder ihre Dämonen aus der Hölle. Das Opfer lag schon auf dem Tisch bereit. Mascha durfte nicht auch ein Höllenopfer werden.

Die Tage gingen dahin und nichts veränderte sich bei uns zu Hause. Tagein, tagaus dasselbe. Ich hatte bloss ein Kind mehr, um das ich mich sorgte und kümmerte, damit niemand es anfassen möge. Die Männer kamen und nahmen mich und meine Mutter. Mutter Lilith wurde wieder schwanger, und bald war auch Bruder Alioscha unter uns. Mutter Lilith zog mit uns weiter, diesmal aber direkt in die Arme der Behörden. Vater Jakob hatte dafür gesorgt, dass wir endlich von ihr weggeholt wurden. Er konnte es nicht mehr mit ansehen, wie wir leben mussten. Helfen konnte er uns nicht, denn er konnte sich selbst nicht helfen. Weil es bei der Gemeinde ein Hin und Her gegeben hatte und keiner die Verantwortung dafür übernehmen wollte, wer was und wie viel bezahlen müsse, ging Vater Jakob schliesslich zu Leuten, die schon bei Lilith und ihrer Mutter im Spiel gewesen waren. Jakob wurde von ihnen mit offenen Armen empfangen, und dann ging es blitzschnell. Wir Kinder kümmerten sie nicht allzu sehr, sie fragten kaum nach, warum und wieso. Es genügte ihnen, zu wissen, dass meine Mutter eine Fahrende, eine Vagantin war. Und weil mein Vater kein Fahrender war, durfte er wünschen, wo er uns haben wollte. Er wollte uns in seiner Nähe haben.

10. Juni 1963,

Akte einer Schweizer Stadt

Mit Entscheid vom 14. August 1962 hat die Vormund­schaftsbehörde der Stadt über Arabat und Luisa eine Erziehungskontrolle angeordnet und gleichzeitig die Wegnahme der beiden Kinder aus dem elterlichen Haushalt beschlossen.

Vater Jakob ist am 25. August 1962 von der Stadt fortgezogen. Die zuvor längere Zeit von ihm getrennt lebende Ehefrau Lilith hat die Stadt ebenfalls verlassen. Sie ist nun zu ihrem Jakob zu­rück­gekehrt und auch die Kinder Arabat und Luisa haben wieder Aufnahme in der Familiengemeinschaft gefunden. Daraus ergibt sich, dass die Vormundschaftsbehörde der Stadt zur Führung der Erziehungskontrolle nicht mehr zuständig ist und die Massnahme nach Art. 284 ZGB nicht mehr vollziehen kann. Auf Grund dieser Situation ersuchte die Vormundschaftsdirektion der Stadt am 3. April 1963 die nun zuständige Vormundschaftsbehörde des neuen Kantons die Erziehungskontrolle zu übernehmen und die rechtskräftig beschlossene Wegnahme der Kinder durchzuführen. Eine Antwort auf dieses Gesuch ist bis jetzt nicht eingegangen.

21. Oktober 1965,

Protokoll der neuen Wohngemeinde

(...) Die mit Schlussnahme vom 13. Juni 1963 vormundschaftlich eingesetzte Erziehungs-Kontrollperson Herr Pfarrer Reinhard erstattet Schlussbericht in der Angelegenheit der Familie Jakob, Lilith, deren Kinder Arabat und Luisa.

Dem Bericht ist zu entnehmen dass beide Elternteile ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen seien und dass eine Gefährdung der Kinder durch das charakterliche Benehmen der Eltern (Nikotin, Alkohol, Herumziehen etc.) bestehe. Herr Pfr. Reinhard kommt in seinem Bericht zum Schluss, dass eine Überwachung und Betreuung der Erziehung der Kinder auch in Zukunft nötig ist.

Auszug von Pfr. Reinhard

Ich habe die Familie einige Male besucht. Zuerst hatte ich den Eindruck, dass die Kinder sehr vernachlässigt waren. Ich habe der Mutter zugesprochen, sich hier ein wenig aufzuraffen. Leider war die oft nicht daheim. Dafür traf ich einen Mann, der im Hause war. Es schien mir, dass durch die Erziehungskontrolle die Eltern doch wenigstens besorgt waren im Haus bessere Ordnung zu halten und die Kinder ein wenig mehr zu pflegen.

Ich musste die Feststellung machen, dass die Eltern (zum Teil mit den Kindern) viel unterwegs waren.

Um eine Unterstützung wurde ich nur einmal in der ersten Zeit ihrer Niederlassung gebeten.

Einer Überwachung und Betreuung werden die Kinder auch in Zukunft bedürfen. Die beiden Eltern sind ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen, vor allem wird das charakterliche Benehmen der Mutter und der Männer die ein und ausgehen (Nikotin, Alkohol, viel auswärts sein, keine religiöse Bedürfnisse) die Kinder sehr gefährden. (...)

8. November 1965,

Protokoll der neuen Wohngemeinde

Als Erziehungskontrollperson wird ernannt Frau Alice am Hübeliweg mit dem Auftrag, periodische Kontrollen durchzuführen und dem Gemeinderat ­Mitteilung zu machen, falls sich Massnahmen im Sinne von Art. 283/85 ZBG aufdrängen sollten. Nach Ablauf von 2 Jahren ist dem Gemeinderat über die Erziehungskontrolle schriftlich Bericht zu erstatten.

9. Dezember 1965,

Schreiben der Gemeindepolizei

Im Gemeinderat ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass die im Dollhaus wohnhafte Frau Lilith in sittlicher Beziehung zu Klagen Anlass gebe. Es sei deshalb die Frage zu prüfen, ob die Kinder der dort lebenden Lilith in sittlicher Beziehung nicht gefährdet seien.

Wir ersuchen Frau Alice, diese Feststellung auf ihre Richtigkeit zu prüfen und uns Bericht erstatten zu wollen.

21. Mai 1966,

Brief von Zuhälter Pietro an den Gemeinderat

Nach Beschreibung von Frau Alice wollen sie Lilith zwei Kinder wegnehmen, so wie sie sagen wenigstens zwei! Ich bin bis Jetzt für diese Frau und deren Kinder aufgekommen, seit Vater Jakob aus dem Haus ist.

Ich habe sie während der Scheidung unterstützt. So wie Frau Alice mir sagte sind die Kinder in Ordnung und finde es nicht nötig das die Kinder fort müssen, ich habe ja Anfangs Januar unterschrieben das ich für alle sorgen werde. Wenn sie die beiden Kinder holen wird der Frau und mir grosses Leid angetan. Ich hoffe sie übersehen die Schreibfehler, da ich sonst nur Italienisch schreibe, und nur mich wehren möchte um mein Recht.

Hochachtungsvoll

Grüsst

31. Mai 1966,

Schreiben der Gemeindepolizei

Prekäre Familienverhältnisse

Bei der Gemeindepolizei gingen in letzter Zeit häufig Klagen ein, dass die Familienverhältnisse bei der Fam. Lilith stets prekärer werden.

Wir verweisen auf den Bericht vom 15. Dez. 1965.

Es zeigte sich, dass Vater Jakob seit einem Monat nicht mehr bei der Familie nächtigt. Seit dem ­November 1965 ist ein anderer Mann bei der Frau, anfänglich ca. 1 Monat. Er arbeitete an verschiedenen Stellen und konnte keine halten. Er wurde bei der letzten Stelle fristlos entlassen, da er nur gelegentlich zur Arbeit erschien und zudem verlangte er stets Vorschuss.

Dieser Mann äusserte sich mir gegenüber, dass er unter allen Umständen Lilith heiraten werde!!!

Vor ca. 3 Monaten zog noch ein anderer Mann noch zu Lilith. Seit der Mann bei Lilith wohnte kümmerte er sich nirgends um einen Arbeitsplatz. Auf dem Betreibungsamt ist der Mann Fr. 1759.– ­eingeschrieben.

Der Mann wurde von mir aufgefordert, das Haus zu verlassen. Bei allen Kontrollen stellte ich fest, dass die Kinder ärmlich gekleidet sind. Zudem wurden wir von den Nachbarn dieser Familie aufmerksam gemacht, dass die Kinder bei ihnen Geld und Brot betteln. Ausserdem hat Mutter Lilith Lebensmittelschulden Fr. 166.–.

Am 26. Mai 1966 hatten sie zum Mittagessen ­Hundefleisch. Die Wohnung ist ihnen seit dem ­13. Januar 1966 gekündigt. Eine andere haben sie bis jetzt noch nicht.

Wir schildern ihnen diese Umstände, weil in nächster Zeit fürsorgliche Massnahmen getroffen werden müssen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

[Der Gemeindepolizist]

1. Juni 1966,

Brief des Gemeindeammanns an Zuhälter Pietro

Dem Gemeinderat ist bekannt geworden, dass Sie nicht regelmässig Arbeiten. Wir sehen uns deshalb veranlasst, Sie wegen dieses arbeitsscheuen ­Lebenswandels allen Ernstes zu verw[arnen und Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Personen, die sich der Gefahr eines Notstandes und der Verarmung aussetzen gemäss Art. 370 ZGB unter Vormundschaft gestellt werden müssten. Wir wären veranlasst gegen sie vormundschaftliche Massnahmen zu ergreifen, falls Sie in Zukunft nicht regelmässig ar­beiten sollten.

Hochachtungsvoll

Im Namen des Gemeinderates

1. Juni 1966,

Brief des Gemeinderates an Frau Alice

(...) Wir übermitteln Ihnen beiliegend die zwei Zuschriften an die beiden Zuhältern von Frau ­Lilith, sowie den Bericht der Gemeindepolizei über die Familienverhältnisse vom 31. Mai 1966 mit dem Ersuchen, zu diesen Akten Stellung nehmen zu ­wollen. Der Gemeinderat wird sowohl die beiden Herren auffordern, sofort für regelmässige Arbeit zu sorgen, ansonst der Gemeinderat gehalten wäre, entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Der Zu­hälter Kurt hat in der Gemeinde keine Schriften deponiert, weshalb ihm auch Wegweisung angedroht wird. Wie uns der Herr Gemeinderat mitteilt, wäre Vater Jakob bereit, zwei der vier Kinder auf seine Kosten und freiwillig in das Kinderheim zu ver­bringen. Wir ersuchen Sie, mit ihm in dieser Angelegenheit zu sprechen und von ihm eine schrift­liche Erklärung zu verlangen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Im Namen des Gemeinderates

25. Juni 1966,

Schreiben der Gemeindepolizei

Wir stellen fest, dass Frau Lilith mit den Kindern und ihren beiden Zuhältern Kurt und Pietro um 20 Uhr unsere Gemeinde fluchtartig verlassen hat!

Vater Jakob hat seinen Wohnsitz immer noch in unserer Gemeinde.

Mit vorzüglicher Hochachtung

[Gemeindepolizei]

9. November 1966,

Schreiben der Leitung einer Organisation

Mit einem Schreiben haben wir das Gerichtspräsidium der Stadt ersucht, im Ehescheidungsverfahren Mutter Lilith und Vater Jakob die vorsorglichen Massregeln gemäss Art. 145 ZGB in Bezug auf die Versorgung der Kinder zu treffen.

Als Begründung für diese Massnahme haben wir festgestellt, dass der Stadtrat, als Vormundschaftsbehörde am 14. August 1962 die Wegnahme der Kinder verfügt hat. (Diese Verfügung wurde im ­Beschwerdeverfahren am 18. Februar 1963 sanktioniert)!

Da sich für die Kinder in der Zeit nichts geändert hat, sei eine Wegnahme der Kinder dringend erforderlich.

Das Gerichtspräsidium teilt uns nun mit, das bis heute kein Präliminarbegehren eingegangen sei, gestützt auf welches die Verhältnisse der Familie zu regeln wären.

Wir bitten Sie, das administrative Verfahren im Sinne von Art. 283 und 284 ZGB durchzuführen und die Kinder zu versorgen!

Mit freundlichen Grüssen

7. Januar 1967,

Bericht von Frau Alice

Am 2. Januar 1967 besuchte ich gemeinsam mit mei­nem Mann die Familie Lilith in ihrer Wohnung. Bekanntlich lebt Vater Jakob nicht zuhause bei Lilith und Kindern, doch ist ein anderer Mann anwesend, ein Untermieter, wie Frau Lilith mir ­mitteilte.

Obwohl wir unangemeldet vorsprachen, fanden wir eine gut aufgeräumte Wohnung vor. Die Kinder waren sauber gekleidet. Alle vier Kinder ent­wickeln sich nach unserem Dafürhalten absolut normal. Anzeichen einer Unterernährung oder seelischern Verwahrlosung konnten wir nicht beobachten. Mutter Lilith erwartet ihr fünftes Kind.

Gesprächsweise sind wir auf die Frage der ­Versorgung der Kinder in einer Anstalt eingegangen. Mutter Lilith wehrte sich energisch.

Wir haben Mutter Lilith in Anwesenheit des dort lebenden Mannes dringend gebeten, in Bezug auf die Ehe, nun endlich geordnete Verhältnisse anzustreben.

Anschliessend möchten wir festhalten, dass sich eine Versorgung der Kinder aus den oben ­erwähnten Beobachtungen nicht aufdrängt, dass die finanziellen Mittel aber sehr knapp sein dürften (Miet­zinsrückstand) und sich Massnahmen eher in diesem Bereich aufdrängen dürften.

Mit freundlichen Grüssen

Frau Alice

11. Januar 1967,

Schreiben des Fürsorgeamtes

Bekanntlich ist der Fall Mutter Lilith die am 18. Juni 1966 in eine andere Gemeinde fortzog, neuer­dings aktuell geworden.

Folgende Erkenntnisse haben wir gewonnen

1. Die Familie wurde von Frau Alice, die durch den Gemeinderat mit dem Schreiben vom 8. Nov. 1965 mit der Erziehungskontrolle über die vier Kinder ­beauftragt worden war, häufig besucht und intensiv betreut.

Ich selber habe die Familie nur wenige Male besucht, dabei aber leider nie befriedigende ­Verhältnisse angetroffen. Die vier Kinder waren in einem Zimmer eingesperrt – die Mutter lag um 11 Uhr noch im Bett, ein andermal waren sie ebenfalls aus der Stube ausgeschlossen und hatten im kalten Gang, zum Teil dürftig bekleidet, sich zu verweilen, Küche und Stube in bedenklicher Unordnung.

Als durch die Gegenwart sowohl von Vater Jakob als auch von einem anderen Mann im gleichen Haushalt immer grössere Probleme und Schwierigkeiten entstanden, tendierte das Fürsorgeamt in Richtung Wegnahme der beiden älteren Kinder.

Vater Jakob war schliesslich mit einer Platzierung in ein Kinderheim einverstanden. Im letzten Moment weigerte er sich indessen, die entsprechende Erklärung zu unterzeichnen.

Am 18. Juni 1966 zogen die Leute weiter und entzogen sich damit unserer Einflusssphäre.

2. Aus dem Bericht von Frau Alice ist zu entnehmen, dass die Kinder im gegenwärtigen Milieu zu belassen seien.

3. Unsere Stellungnahme ist folgende:

Man tut der Mutter einen Dienst, wenn man Ihr die Kinder belässt. Ob aber auch den Kleinen?

Die Familie stösst bei jeder Gemeinde an und fällt mir ihrem Verhalten auf. Mutter Lilith lebt mit verschiedenen Männern in unsittlicher Weise im Konkubinat. Vater Jakob teilt immer wieder ­Lilith mit den bei ihr lebenden vorbeikommenden Männern.

Die Szenen spielen sich immer gleich ab, auch wenn sie weiterziehen.

Dieses sich teilen von verschiedenen Männern ist ernstlich bedenklich.

Ob das körperliche-seelische Wohl der Kleinen einigermassen gewährleistet ist, ist fraglich.

Ein wichtiges Moment in unsere Frage spielt der Umstand, dass Mutter Lilith das 5te Kind erwartet. Sie hat verschiedentlich gedroht, dass ein Familiendrama entstehe, (sie meint damit, dass sie sich selber und die Kleinen umbringen würde), wenn man auch nur eines der Kinder wegzunehmen versuche.

Das Problem um die Kinder kann nicht für sich gesondert behandelt werden, sondern steht in engstem Zusammenhang mit den Problemen der Eltern. Es muss eine Gesamtlösung angestrebt werden. Es ist für die Familie auch psychologisch erträglicher, wenn die Regelung der Kinderfrage im Rahmen des immer freiwillig angestrebten Entscheidungsprozesses geschieht. Wichtig aber, im Interesse der Kinder, ist nun unbedingt eine beschleunigte Prozessführung und eine rasche Entscheidung darüber, was mit den Kindern zu geschehen hat (bloss nicht vor der Geburt des 5. Kindes!). Aus menschlichen Erwägungen sollten sodann auf keinen Fall alle Kinder mit­einander weggenommen werden, – und bei auch nur einigermassen günstiger Weiterentwicklung nur als vorübergehende Massnahme.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Fürsorgeamt

12. Januar 1967,

Brief von Frau Alice an das Fürsorgeamt

Wie uns scheint dramatisiert der Gemeindeschreiber den ganzen Fall sehr, um das Konkubinat von Mutter Lilith bald aus seinem Arbeitsbereich herauszubekommen. Unsere Ansicht wird durch verschiedene Berichte von Gemeindemitgliedern bestärkt.

Wir stellen fest, dass diese Leute weder mit materiellen noch mit geistigen Gütern gesegnet sind. Das Konkubinat von Mutter Lilith wird nicht von langer Dauer sein. Wir sind der Ansicht, dass man das ganze Problem reifen lassen muss.

Auf eine Wegnahme der Kinder reagieren die Leute bitter. Hilfe aus der Armenkasse wirt nicht gewünscht.

Neben der fürsorgerischen Seite, welche der materiellen wenn immer möglich vorgezogen werden sollte, ist auf die ernormen Auslagen, welche eine Versorgung der Kinder verursachen würde, hin­zu­weisen.

Ich beantrage, dem Gemeinderat zu empfehlen, Frau Lilith und ihre Kinder armenrechtlich gem. Konkordat zu unterstützen. Eine solche Massnahme dürfte vorerst für die zahlungspflichtigen Gemeinden die billigste und nach Ansicht von mir für die Familie auch die beste Lösung sein.

Mit freundlichen Grüssen

Frau Alice

10. Februar 1967,

Schreiben der Vormundschaftsbehörde

Frau Lilith und ihre Kinder wurden auf die Strasse gestellt. Die Frau und Ihre vier Kinder haben Un­ter­schlupf gefunden bei Vater Jakob.

Hinsichtlich Hausrat ist folgendes festgestellt worden:

Es ist ein einziges Bett vorhanden, in das sich Vater Jakob und die vier Kinder teilen, (3 Kinder schlafen auf der Obermatratze, nur dürftig bedeckt, – Vater Jakob und Luisa benützen die Untermatratze). Frau Lilith schläft auf dem alten Sofa im kleinen Stübli.

Den Kindern fehlt es an Kleidern, sie tragen ­defekte, schmutzige Kleidchen.

Das Dringendste haben wir den Kindern im Anschluss an den Hausbesuch aus den Mitteln des Fürsorgefonds sofort angeschafft.

Das jetzige Logis ist für die Kinder absolut ungeeignet.

Zudem duldet Vater Jakob es nur als rein vor­übergehend, kurzfristige Lösung.

Menschlich-psychologische Situation:

Sie ist im Prinzip die genau gleiche wie vor einem Jahr, 4 Kinder, 2 bis vier Männer und eine Frau.

Die Kinder sind oft alleine, sogar tagelang.

Folgende Lösung:

Die vier Kinder sind vorläufig wegzunehmen.

Für die Durchführung ist polizeiliche Hilfe unerlässlich. Auf Grund einer telefonischen ­Besprechung mit dem Bezirksammann, mit dem wir den überaus heiklen Fall näher diskutierten, sowie einer Besprechung zwischen Herrn Gemeinderat und der Kantonspolizei wird vorgeschlagen, dass die Kinder durch je einen Gemeinde- und einen Kantonspolizisten abgeholt werden. Die Aufgabe der ­Fürsorgerin wird darin bestehen, das Möglichste zu tun, dass die weitere Betreuung der Kinder ­soweit nur immer denkbar auch die spärlichen Ansätze einer positiven Zusammenarbeit mit der ­Mutter nicht zum vornherein zerschlagen werden. Sie wird die Kleinen ins Heim begleiten, nicht aber dabei sein bei der Abholung im Hause der Mutter.

Die Frage: wohin platzieren wir die Kinder, ist bis zur Stunde trotz intensiver Bemühung noch nicht gelöst.

Die Geschwister sollten wenn immer möglich ­beieinander bleiben.

Hochachtungsvoll

[Vorsteher der Vormundschaftsbehörde]

Die Kantonspolizei, der Bezirksschreiber und eine Frau standen vor der Haustür. Mutter Lilith war mit uns Kindern alleine zu Hause. Es war schon dunkel. Als die Türglocke verstummt war, klopfte es an der Tür. Meine Mutter schaute aus dem Fenster. Ein Schrei, dann sammelte sie uns hastig zusammen, ich spürte, wie ihr Körper zitterte, als wollten tausend kleine Flämmchen zu einem grossen Feuer werden. Auch ihre Stimme zitterte, und wir bekamen es mit der Angst zu tun. So kannte ich meine Mutter nicht. Wenn wir alleine waren oder wenn ein Freier für sie vor der Tür stand, war sie anders. Sie nahm den einjährigen Alioscha auf den Arm und drückte ihn fest an sich. Mascha, noch keine zwei Jahre alt, krallte sich vor Angst an Mutter Liliths Bein. Und Arabat hielt Mascha mit einer Hand, die zur Faust wurde, am Röckchen fest. Ich stand losge­löst von den anderen da, und mein Herz klopfte so schnell, als wollte es aus mir hinausspringen und wegrennen.

Ich meinte, den Tod riechen zu können. Meine Mutter stürzte mit Alioscha auf dem Arm, Mascha an ihrem Bein und Arabat an Maschas Röckchen in die Küche und holte sich ein Messer. Mascha fiel hin, meine Mutter fast mit ihr, Mascha schrie und Alioscha begann zu weinen. Arabat weinte mit. Und ich stand immer noch einfach da. Ich kam mir verlassen vor, wollte an diesem wilden Durcheinander nicht teilnehmen, wünschte mir aber eine menschliche Berührung.

«Aufmachen, hier ist die Kantonspolizei!», tönte es durch die Tür. Mit Alioscha im Arm, Mascha am Bein, Arabat im Schlepptau und dem Messer in der Hand öffnete Mutter Lilith die Tür und schrie den uniformierten Männern ins Gesicht. Sie fuchtelte wild mit dem Messer herum und im Handge­menge hielt sie es plötzlich auf Alioscha gerichtet. In diesem Augenblick stand allen der Atem still. Ich war die Einzige, die schrie. Ich tat es aus voller Kehle, als hätte ich gerade den Todesstoss bekommen. Meine Mutter liess das Messer fallen, als hätte ihr mein Schrei bewusst gemacht, was sie in ihrer Verzweiflung vorgehabt hatte. Dann ging alles ganz schnell: Alioscha wurde ihr aus dem Arm gerissen, Mascha von ihrem Bein gezerrt und Arabat, der sich noch immer an Maschas Röckchen klammerte, gleich mit. Und ich, Luisa, stand immer noch da, ganz allein. Ich glaubte schon, sie hätten mich vergessen. Da trat die Frau zu Mutter Lilith und sagte: «Reissen Sie sich doch zusammen, Sie bekommen sie ja wieder!» Mit diesem Satz nahm sie meine Hand und führte mich ganz ruhig zur Tür hinaus. Ich wusste, sie hatte meine Mutter angelogen.

Es wurde eine lange Fahrt in die Nacht hinein mit drei weinenden Kindern. Ich war still, schaute in die Dunkelheit, grelle Lichter rasten an mir vorbei. Alioscha kötzelte weinend vor sich hin, und es roch unangenehm. Die grellen Lichter wurden immer zahlreicher, und dann hielten wir plötzlich an und mussten aussteigen. Ich stand vor einem Tor. Es kam mir riesig vor und begann sich langsam zu bewegen. Zum Vorschein kam eine von Kopf bis Fuss schwarz gekleidete Gestalt. Sie hatte ein Gesicht mit zwei Augen, einer Nase und einem Mund, so wie wir, aber keine Ohren und auch keine Haare. Stattdessen hatte diese Gestalt etwas Weisses über der Stirn und trug ein schwarzes, langes Tuch. Sie machte mir Angst, und ich blieb stehen. Doch dann wurde ich sanft, aber bestimmt hineingeschubst. Ich hörte, wie das grosse Tor mühevoll ins Schloss fiel, es stöhnte wie meine Mutter, wenn sie mit einem Mann zugange war. Ich wurde über viele kleine Kieselsteinchen weitergeschubst bis zu einer grossen Tür, wo noch mehr schwarze Gestalten warte­ten.

Wir gelangten in einen langen Gang aus roten Steinen, und manche der Steine bewegten sich unter meinen Füssen. Es gab keine Fenster, dafür riesige Wände und an der Decke hingen grosse Lampen, viel zu grosse. Zu Hause hatten wir nur kleine. Es roch nach nichts, und mich fröstelte. Am Ende des Ganges war wieder eine Tür, und ich musste auch dort hindurch. Wir kamen in einen riesigen Raum mit vielen Tischen und Stühlen, der zu Fangis und Versteckis einlud. Eine Wand bestand ganz aus Fenstern, und man konnte die Nacht draussen gut sehen. Ich konnte sie sogar fühlen. Wir mussten uns setzen und ein wenig warten, zusammen mit einer dieser Gestalten, die man hier Schwester nannte. Das schien mir doch etwas seltsam, denn meine Mutter hatte ja immer kleine Schwestern mit in die Familie gebracht, und die sahen gar nicht aus wie diese. Ich wollte zu dem grossen Fenster laufen und in die Nacht schauen, doch die Schwester hielt mich mit der Hand zurück und befahl mir, mich wieder hinzusetzen. Aber das Warten dauerte mir einfach zu lange, und ich rannte los, um die Tische herum und zum grossen Fenster. Mascha wollte mir nach, aber sie hatte noch zu kurze Beine. Ich kletterte auf das Fensterbrett, presste mein Gesicht an die kalte Scheibe und sah in die tiefe, dunkle Nacht hinaus. Ich konnte nichts erkennen. Mein Herz wurde schwer, und ich weinte.

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