Kitabı oku: «Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi», sayfa 2
Mit der Verstärkung von mehr als zwei Dutzend Männern fühlte Mok sich sichtlich wohler und fragte in ruhigerem Tonfall: »Also, Mädchen, was willst du nun? Abgesehen davon, mal bei deinen Ältesten vorbeizuschauen?«
»Ich will, dass ihr alle eure Waffen niederlegt, das Grundstück räumt, freiwillig zum Gerichtshaus eines Magistrats marschiert und euch verurteilen lasst. Das nächste ist nur sieben Blöcke entfernt.«
Ein paar Schergen brachen in Gelächter aus. Einer von Moks Mundwinkeln hob sich. Kyoshi mochte der Avatar sein, aber sie war weit in der Unterzahl und in einem geschlossenen Raum gefangen. »Wir weigern uns«, sagte er und machte eine ausladende Handbewegung.
»Na schön. Wenn das so ist, hätte ich nur noch eine Frage.« Kyoshi blickte von einem zum anderen. »Gibt’s wirklich nicht mehr von euch?«
Die Triadenmitglieder warfen sich gegenseitig verwirrte Seitenblicke zu. Mok machte dicke Backen vor Wut und wurde rot wie eine Beere in der Sonne.
Sie wollte nicht unverschämt sein, es war reiner Pragmatismus. Ihr Sinn für Ordnung und Effizienz drang an die Oberfläche. »Sonst kann ich auch warten, bis alle da sind«, sagte sie. »Ich will nicht noch mal zurückgehen und jedes Stockwerk absuchen müssen.«
»Reißt sie in Stücke!«, kreischte Mok.
Die Mordgesellen drangen von allen Seiten auf sie ein. Sie zog einen ihrer Fächer. Beide wären etwas übertrieben gewesen.
Kyoshi trat über den Haufen stöhnender Triadenmitglieder hinweg. Immer wenn einer sich nicht regte, stupste sie ihn mit dem Schuh an, bis sie sah, dass er noch atmete.
Moks Robe, die über der Stuhllehne gehangen hatte, war während der Schlägerei heruntergefallen. Er hatte seinen Stuhl ein paar Handbreit nach hinten gerückt, um die Flucht zu ergreifen, da legte ihm Kyoshi die Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder auf die Sitzfläche zurück.
»Bleib ruhig sitzen, Onkel«, sagte sie. Bei aller Feindschaft war er schließlich immer noch älter als sie.
Zorn und Furcht rangen in Mok um Vorherrschaft, das konnte Kyoshi bis in die Fingerspitzen spüren. »Jetzt willst du mich also kaltblütig ermorden, wie du’s mit Xu gemacht hast. Blitze und zahllose Messer sollen dich zerfetzen, weil du deine eingeschworenen Brüder erschlagen hast!«
Dass Mok sie eine Mörderin nannte, störte sie mehr, als sie erwartet hätte. Xu Ping An hatte sich auf ein Duell eingelassen und er hatte sofort versucht, sie umzubringen. Sobald sie die Oberhand gewonnen hatte, hatte sie ihm Gelegenheit zur Kapitulation gegeben. Aber der frühere Anführer der Gelbnacken hatte ihr deutlich gezeigt, dass es für ihn keine Rettung geben konnte.
Trotz alledem dachte sie in schlaflosen Nächten immer wieder an Xu. Ständig stahl sich der niederträchtige Mann in ihren Geist, wenn sie eigentlich von denen, die sie liebte, hätte träumen können. Ja, sie dachte viel über Xu nach: Wie schwer er sich in ihrem Griff angefühlt hatte und wie sie am Ende des Kampfes einen Entschluss gefasst hatte.
Kyoshi schüttelte den Kopf. »Beim Lei Tai ist alles erlaubt«, sagte sie. Ihr Handeln laut zu rechtfertigen war eine bittere, unwirksame Medizin, die sie sich dennoch zu schlucken zwang. »Ich werde dich nicht umbringen. Du und deine Männer habt hier hinter den Mauern überraschend schnell Fuß gefasst, wenn man bedenkt, dass ihr den größten Teil eurer Zeit damit verbracht habt, als Banditenbande auf dem Land die Bauern zu drangsalieren. Du hast einen Kontaktmann in Ba Sing Se – und ich will wissen, wer das ist.«
Mok straffte sich und presste die Lippen aufeinander. Wahre Daofei gaben der Obrigkeit gegenüber niemals Informationen preis, selbst dann nicht, wenn es ihnen Vorteile bringen würde. »Mädchen, der Tag, an dem du mich zum Singen bringst, ist der Tag, an dem ich … auaaa!«
Kyoshi packte mit den Fingern zu und erinnerte ihn auf diese Weise daran, dass sich die Dinge geändert hatten, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Sie drückte auf die Nerven in seinem Arm, bis ihm klar wurde, wie ihre neue Beziehung zueinander aussah.
»Es war jemand aus dem Mittleren Ring!«, gestand Mok, sobald er aufgehört hatte, vor Schmerz zu quieken. »Wir haben nur über Mittelsmänner kommuniziert. Ich kenne seinen Namen nicht!«
Kyoshi ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. Sie hatte erwartet, er würde ihr einen Verbrecher aus dem Unteren Ring nennen, jemanden von hier, der ihm vielleicht früher die Bruderschaft geschworen hatte. Der Mittlere Ring war die Domäne der Händler und Akademiker. Irgendetwas passte hier nicht zusammen.
Mok umklammerte seine Schulter und zog sich hastig vom Schreibtisch zurück. »Wai!« rief er in Richtung der Tür hinter sich. »Jetzt!«
Kyoshi hatte sich ablenken lassen und den dritten großen Bruder der Gelbnacken vergessen. Die Tür flog auf und Kyoshi blieb keine Zeit zu reagieren.
Bruder Wai kam mit erhobenem Messer und gefletschten Zähnen auf sie zugesprungen. Den Lederriemen, den er sonst über dem Loch getragen hatte, wo einmal seine Nase gewesen war, hatte er abgelegt, was sein ausgemergeltes Gesicht umso mehr wie einen Totenschädel aussehen ließ. Schon damals bei den Gelbnacken war Wai ein schneller, bösartiger Mann gewesen, und daran hatte sich nichts geändert.
Als er allerdings erkannte, dass es sich bei dem Eindringling um Kyoshi handelte, mit Make-up und in voller Montur, da keuchte er und erstarrte mitten im Ansturm. Wai war einer der wenigen Augenzeugen gewesen, die sie im Avatarzustand gesehen hatten, und diese Erfahrung hatte den spirituellen Mann tief beeindruckt. Er trat zurück, um ihr mehr Raum zu geben, stieß dabei fast seinen Bruder um und fiel auf die Knie. Das Messer, das er gerade noch auf Kyoshi gerichtet hatte, legte er wie eine Opfergabe vor ihr nieder.
»Das ist doch nicht dein Ernst!«, schrie Mok, doch Wai senkte sein Haupt und warf sich dem Avatar zu Füßen.
Kyoshi trat aus dem Inneren des Wohnblocks auf die Straße hinaus. Der Tag war heller und heißer geworden. Eine Polizeieinheit, uniformierte Wachen aus Ba Sing Se, wartete bereits auf sie. Links und rechts vom Ausgang hatten sie sich aufgereiht. Junge Beamte, die den Avatar noch nie gesehen hatten, starrten Kyoshi an, als sie aus der Dunkelheit hervorkam. Einer ließ seinen Schlagstock fallen und hob ihn hastig wieder auf. Kyoshi ging an den einfachen Wachleuten vorbei, beachtete das Geflüster nicht, nahm ihre Verbeugungen kaum zur Kenntnis, und trat zu Captain Li an der Tür. Er war ein blässlicher Mann, der diesen Job offensichtlich schon zu lange machte, wegen seiner Spielschulden aber noch nicht in den Ruhestand gehen konnte. »Die Absperrung ist eingerichtet«, keuchte er mit seiner Pfeifenraucherstimme. »Hier draußen gibt’s so weit keine Schwierigkeiten.«
Die meisten Bewohner des Unteren Rings gingen ihren Geschäften nach und kümmerten sich nicht um die anwesenden Gesetzeshüter, doch Kyoshi bemerkte ein paar, die mit gespieltem Desinteresse zusahen, wahrscheinlich Kundschafter anderer fragwürdiger Organisationen. Mit Captain Li zusammenzuarbeiten hieß, dass Kyoshi ihren Daofei-Eid stark strapazierte. Niemals würde sie ein Lakai des Gesetzes werden, das hatte sie ihrer älteren Daofei-Schwester Kirima geschworen, während ihr älterer Daofei-Bruder Wong eine Klinge über ihren Kopf gehalten hatte.
Allerdings war Li ihr Werkzeug, ihr Informant gewesen – nicht andersherum. Von ihm hatte sie alles erfahren, was sie gebraucht hatte, um ihre Rechnung mit Mok zu begleichen, und er hatte auch die nötigen Leute für die anschließende Razzia bereitgestellt. »Ist das Gebäude sicher?«, fragte Li. Er schob seinen Hut zurück und tupfte sich die Stirn mit dem Ärmelaufschlag ab.
»Die Triadenmitglieder sind alle besiegt und können weggeschafft werden«, sagte Kyoshi. »Ihr solltet einen Arzt kommen lassen.«
»Ich kümmere mich natürlich sofort darum«, antwortete Li. Am gelangweilten Tonfall konnte Kyoshi klar erkennen, wie wenig ernst er ihren Vorschlag nahm. Er hob die Finger an die Lippen und stieß einen Pfiff aus. »In Ordnung, Jungs! Holt das Gesindel da raus!«
Die Wachleute stürmten in den Wohnblock hinein. Sie hatten freie Bahn, nun, da Kyoshi jeden Winkel auf Gefahren überprüft hatte. Sie wartete geduldig auf das Ergebnis ihrer Arbeit. Die Triade der Goldenen Schwinge musste bei Tageslicht gezählt und katalogisiert werden. Alles Geheimnisvolle würde sich verflüchtigen, wenn man sie erst mal wie Reissäcke wegschleppte. Das hoffte sie zumindest.
Aus dem Dunkel Loongkaus drangen laute Stimmen und Kampfeslärm hervor. Zwei Polizisten zerrten einen Mann ins Freie, der nicht unter Kyoshis Angreifern gewesen war. Er war ärmlich gekleidet, allerdings fiel ihm eine Brille von der Nase. Er musste ein Juwelier oder Schneider gewesen sein, dass er sich so etwas Teures hatte leisten können.
Bevor sie etwas sagen konnte, wurde die Brille von einem Stiefel zermalmt. Mit wachsendem Schrecken sah Kyoshi zu, wie weitere Polizisten herauskamen. Sie führten eine Frau vor sich her, die Hand in ihrem Genick. Sie hatte ein weinendes Kind auf dem Arm. Der Mann mit den schlechten Augen hörte das Kind und fing an, sich im Griff der Wachleute zu winden.
Das waren keine Mitglieder der Triade. Es war eine der armen Familien, die in diesem Block lebten. »Was machen Eure Leute da?«, schrie Kyoshi in Lis Richtung.
Er blickte sie verwirrt an. »Wir entfernen das kriminelle Element. Gewisse Leute warten schon lange darauf, diesen Schandfleck abzureißen.« Er zögerte wie ein Feilscher, der nicht zu viel Geld ausgeben wollte. »Wollt Ihr auch einen Anteil? Da müsst Ihr meinen Ansprechpartner im Mittleren Ring fragen.«
Der Mittlere Ring. Auf einen Schlag begriff sie.
Jemand mit großen, lukrativen Plänen für Loongkau hatte die Einwohner aus dem Block entfernen wollen, hatte dafür aber einen Vorwand gebraucht. Diese Person hatte zugelassen, dass die Triade sich dort niederließ, damit das Gesetz und der Avatar sich einmischen würden. Und dann hatte er Captain Li bestochen, damit er Unschuldige und Verbrecher gleichermaßen herausschaffte.
»Hört auf!«, befahl Kyoshi. »Hört sofort damit auf!«
»Ach je«, jammerte Li ohne einen Funken Ehrlichkeit. »Das tut mir leid, Avatar, aber ich erfülle nur meine Pflicht. Ich habe die Befugnis, im eigenen Ermessen diese Räumlichkeiten von Verbrechern zu befreien.«
»Mama!«, schluchzte das kleine Mädchen – das war mehr, als Kyoshi ertragen konnte. »Papa!«
Kyoshi zog ihre Fächer und ließ sie aufschnappen. Dann hob sie aus der Schicht direkt unter dem Staub der Straße, wo der Lehm noch feucht und formbar war, Erdbrocken herauf. Faustgroße Klumpen schossen davon und klatschten Li und seinen Männern auf Mund und Nase, wo sie wie Maulkörbe haften blieben.
Die Wachen ließen die Familie los und griffen sich panisch ins Gesicht, doch gegen Kyoshis Erdbändigen konnten sie mit bloßen Fingern nichts ausrichten. Li sank auf die Knie, seine Augen traten hervor.
Allzu bald würden sie nicht ersticken. Kyoshi steckte ihre Fächer weg. Dann schritt sie langsam die Reihe der Wachen ab, riss jedem das Stirnband herunter und überprüfte die quadratischen Metallsiegel des Erdkönigs, die am Stoff befestigt waren.
In die Abzeichen aller Beamten von Ba Sing Se waren Identifikationsnummern eingraviert, ein Beleg für die ungeheure Bürokratie der Stadt. Obwohl diese Männer gerade immer weniger Luft bekamen, verstanden sie doch, was es bedeutete, dass sie ihnen ihre Stirnbänder abnahm und unter ihrer Robe verstaute. Sie musste nur zu einer Verwaltungsbehörde gehen und sich nach ihrer Identität erkundigen, dann würde sie sie später problemlos wiederfinden können. Die meisten Einwohner von Ba Sing Se hatten die Gerüchte gehört, was Avatar Kyoshi ausmachte und wie sie mit Menschen umging.
Li hob sie sich bis zum Schluss auf. Als sie die Runde gemacht hatte und endlich bei ihm ankam, war er bereits puterrot angelaufen. Sie riss ihm das Stirnband unter der Mütze hervor, dann ließ sie den Lehm von seinem Mund herabfallen und befreite auch seine Männer von ihren Knebeln. Lis Einheit stürzte geschlossen zu Boden, alle rangen nach Atem. Der Captain landete auf der Seite, sein Atem rasselte wie Würfel in einem Becher. Sie beugte sich über ihn, doch bevor sie etwas sagen konnte, schleuderte er ihr einen Namen entgegen, in der Hoffnung, dass sie ihn dann verschonen würde. Er hatte wirklich kein Rückgrat. »Wo – so lautet sein Name! Der Mann, der mich bezahlt, ist Minister Wo!«
Kyoshi musste die Augen schließen, um ihre Frustration zu verbergen. In Ba Sing Se musste es mindestens ein Dutzend Minister mit dem Namen Wo geben. Der Name allein brachte ihr gar nichts. Die Stadt war zu groß. Das Erdkönigreich war zu groß. Sie konnte mit der Korruption nicht Schritt halten, die aus allen Löchern drang.
Sie holte tief Luft. »Jetzt hört mir mal genau zu, Captain«, sagte sie, so ruhig sie konnte. »Ihr werdet die Triadenleute wegschaffen und sonst niemanden. Dann treibt Ihr Papier und Pinsel auf und schreibt mir ein umfassendes Geständnis, in dem Ihr von diesem Wo erzählt und jede Bestechung auflistet, die Ihr jemals von ihm gekriegt habt. Und jeder Pinselstrich nichts als die Wahrheit. Haben wir uns verstanden, Captain Li? Ich werde es mir hinterher ansehen. Und ich will, dass Ihr Euer ganzes Herzblut in dieses Geständnis legt.«
Er nickte. Kyoshi richtete sich auf und bemerkte, dass die Frau und ihre Tochter sie mit großen angsterfüllten Augen anstarrten. Sie machte einen Schritt auf sie zu, wollte sie fragen, ob sie verletzt waren.
»Fasst sie nicht an!« Der Mann, der seine Brille verloren hatte, warf sich zwischen Kyoshi und seine Familie. Nahezu blind, hatte er wohl nicht erkannt, dass sie nur helfen wollte. Oder er hatte es erkannt, glaubte aber dennoch, dass sie eine Bedrohung darstellte.
Weiter entfernt, um die Absperrung herum, hatte sich eine Schar von Schaulustigen versammelt. Sie tuschelten und frische Gerüchte nahmen ihren Anfang: Der Avatar hatte nicht nur die Bewohner Loongkaus auseinandergenommen, Kyoshi hatte auch ihren unersättlichen Zorn gegen die Polizisten des Erdkönigs gerichtet.
Die Blicke der gewöhnlichen Bürger und der verängstigten Familie ließen ihre Haut kribbeln, verursacht durch ein Gefühl, das korrupte Männer wie Li oder Mok nie bei ihr hätten auslösen können. Es war Scham. Sie schämte sich dessen, was sie getan hatte, was sie war.
Ihr Make-up verbarg die Röte ihrer Wangen und die Furchen in ihrer Stirn. Ein letztes Mal legte sie Li vielsagend die Hand auf die Schulter, dann ging sie so gemächlich, wie sie gekommen war. Sie ließ Loongkau zurück wie eine teilnahmslose Statue auf dem Rückweg zu dem Altar, der sie zum Leben erweckt hatte. Die Farbe in ihrem Gesicht verbarg jedoch die Wahrheit, die sich auf ihren Zügen abzeichnete: Sie floh vom Schauplatz ihres Verbrechens, während ihr Herzschlag drohte, ihren Brustkorb zu zertrümmern.
DIE EINLADUNG
WER SICH DARÜBER BEKLAGTE, wie lange man brauchte, um Ba Sing Se zu durchqueren, rechnete gewöhnlich die verstopften Straßen mit ein. Für Kyoshi stellten sie kein Problem dar: Menschenmengen teilten sich vor ihr wie das Gras vor dem Wind.
Außerdem stand ihr eine Abkürzung zur Verfügung: Sie konnte Wasser bändigen und mit einem provisorischen Floß die Regenwasserkanäle nutzen, die aus dem Oberen Ring bis ganz nach unten in die Ackerbauzone führten, wo mit dem Wasser die Pflanzen bewässert wurden. Das ging extrem schnell, sofern man den abgestandenen Geruch aushalten konnte.
Gegen Abend erreichte sie den Mittleren Ring. Trotz der Tatsache, dass die Häuser hier alle Hausnummern hatten und die Straßen nach einem ordentlich geplanten Schema verliefen, fand sie sich zwischen den einförmigen, weiß gestrichenen Gebäuden mit ihren grünen Dachziegeln nur schwer zurecht. Ihr Weg führte sie über hübsche Brücken, die sich über sanft dahinströmende Kanäle spannten, an Teehäusern vorbei, aus denen der Duft von Jasminblüten strömte, und unter Bäumen hindurch, die ihre blassrosafarbenen Blüten auf die Wege streuten. Während ihrer Kindheit in der Gosse von Yokoya hatte Kyoshi sich das Paradies ziemlich genau wie den Mittleren Ring vorgestellt: sauber, ruhig, und wohin man blickte, gab es etwas zu essen.
Ladenbesitzer, die gerade ihre Böden fegten, blickten überrascht zu ihr auf, wandten sich aber bald wieder ihrer Arbeit zu. Sie kam an einer Schar schnatternder Schüler in dunklen Roben vorbei, die in ihre Richtung glotzten und sich mit den Ellenbogen anstießen, ihrem Blick aber nicht auswichen. Menschen, die sich in ihrer Stellung im Leben wohlfühlten, neigten weniger zur Furcht. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Gefahr in irgendeiner Gestalt auf ihrer Türschwelle erscheinen könnte.
Kyoshi schlüpfte ungesehen in eine dämmrige Nebenstraße. Mit einem Schlüssel, den sie in ihrer Schärpe aufbewahrte, öffnete sie eine schlichte Tür ohne Namensschild oder ein sonstiges Kennzeichen. Sie gelangte in einen Hausflur, ebenso verwinkelt und voller Treppen wie Loongkau, dabei jedoch wesentlich sauberer. Am Ende fand sich ein Durchgang zu einer kleinen Wohnung im ersten Stock, in dem lediglich ein Bett und ein Schreibtisch standen. Dieses Zimmer gehörte zu den diversen Immobilien, die Jianzhu ihr hinterlassen hatte, und es diente ihr als Unterschlupf, in dem sie die Nacht verbringen konnte, wann immer sie sich nicht offiziell bei der Dienerschaft des Erdkönigs anmelden wollte. Sie schnallte ihre Armschienen ab und warf sie im Vorbeigehen aufs Bett.
Dann ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und warf die entwendeten Stirnbänder auf den Tisch. Die Abzeichen klirrten wie beim Glücksspiel gewonnenes Geld. Mit mehr Vorsicht legte sie ihren Kopfschmuck ab. Eine Brise fuhr ihr durchs Haar. Sie kam durch das Fenster hereingeweht, von dem aus sie den Unteren Ring in seiner ganzen Weite und Armut überblicken konnte: Gerade versank die Sonne hinter den braunen Verschlägen und Hütten, die sich auf dem Land ausbreiteten wie Leder, das in der Sonne trocknet.
Ihre Wohnung besaß eine ungewöhnliche Lage. Viele Häuser des Mittleren Rings boten keinen Ausblick auf den Unteren Ring. Die Händler und Bankiers, die in diesem Distrikt lebten, gaben viel Geld aus, um sich den unerfreulichen Anblick zu ersparen.
Kyoshis Finger entwickelten ein Eigenleben und bildeten ordentliche Stapel aus den Abzeichen. Eine dumpfe Erschöpfung machte sich schmerzhaft pochend in ihrem Kopf breit. Heute war eine weitere Bürde auf ihrem Stapel von Aufgaben und Verantwortungen gelandet: Sie würde Loongkau noch einen Besuch abstatten müssen, um zu schauen, ob alle Einwohner sicher waren und nicht von irgendwem aus ihren Behausungen vertrieben worden waren. Außerdem würde sie Lis Hinweis nachgehen müssen, sonst würden der Captain und seine Unterstützer davon ausgehen, dass sie bloß warten mussten, bis der Avatar wie eine Wolke über ihren Köpfen weitergezogen war, ehe sie ihre korrupte Aktivität wieder aufnehmen konnten.
Sie wusste, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Sich einen einzelnen korrupten Gesetzeshüter in Ba Sing Se herauszugreifen, war im Großen und Ganzen nicht effektiver, als würde man einen Regentropfen aus dem Ozean schöpfen. Es sei denn …
Es sei denn, sie statuierte ein Exempel an Li und demjenigen, der ihn bestochen hatte. Sie könnte ihnen so sehr zusetzen, dass sich herumsprach, was geschah, wenn der Avatar jemanden erwischte, der wehrlose Menschen zu seinem eigenen Vorteil ausbeutete.
Es wäre schnell. Effizient. Brutal.
Jianzhu hätte so etwas sicher gutgeheißen.
Kyoshi schlug mit beiden Händen auf den Tisch. Die aufeinandergestapelten Abzeichen fielen klappernd auf die Tischplatte. Wieder einmal war sie in die Denkweise ihres verstorbenen »Gönners« verfallen. Ihre eigene Stimme hatte ihr seine Worte zugeflüstert, so inniglich, wie die Avatare angeblich mit ihren früheren Inkarnationen sprechen konnten.
Sie zog eine Schublade auf und holte ein Handtuch hervor, das in einer kleinen Schale mit einer speziellen Lösung gelegen hatte. Sie zog das feuchte Tuch mit Nachdruck über ihr Gesicht und versuchte, zusammen mit dem Make-up auch den tiefer liegenden Schmutz wegzuwischen, den sie in ihrem Inneren spürte.
Angewidert schauderte sie. Sie hatte Li mit genau der gleichen Technik den Atem geraubt, die Jianzhu gegen sie angewandt hatte. Eigentlich hätte sie einen heftigen Widerwillen empfinden müssen, schließlich wusste sie, wie sich das anfühlte: langsam zu sterben, während die eigene Lunge kollabierte. Beim Umgang mit Li war sie so leicht in Jianzhus Haut geschlüpft wie in ihre Kleider.
Die ebenso ein Geschenk von ihm gewesen waren.
Wieder schlug sie mit der Faust auf den Tisch und hörte, wie das Holz protestierend knirschte. Es kam ihr so vor, als führte jeder Schritt, den sie als Avatar tat, in die falsche Richtung. Kelsang hätte niemals Gewalt als Taktik in Erwägung gezogen. Er hätte versucht, die Lage der Bewohner von Loongkau und des Unteren Rings zu verbessern, bis sie der Herrschaft der Triade und der Unterdrückung seitens des Mittleren Rings etwas hätten entgegensetzen können. Er hätte als ihre Stimme fungiert.
Das war es, was Kyoshi tun musste: im Wesentlichen das Gleiche, was Kelsang für sie getan hatte, das verlassene Kind, das er in Yokoya gefunden hatte. Es war die richtige Vorgehensweise und auf lange Sicht am effektivsten.
Nur würde es dauern. Eine sehr … sehr lange Zeit.
Jemand klopfte an die Tür. »Herein«, sagte sie.
Ein junger Mann öffnete die Tür. Er trug das wallende orangefarbene Gewand der Luftnomaden. »Geht es Euch gut, Avatar Kyoshi?«, fragte Mönch Jinpa. »Ich habe Lärm gehört und … aah!«
Der Papierstapel, den er im Arm hatte, flog in die Luft, als er erschrocken zusammenzuckte. Kyoshi fing an, Kreisbewegungen mit der Hand zu vollführen, bändigte die Luft und fing die Papiere in einem Miniaturtornado ein, bevor sie sich im ganzen Raum verteilen konnten. Jinpa überwand seine Überraschung, fuhr mit den Händen von unten aufwärts durch den Luftwirbel und legte so den Stapel wieder zusammen – allerdings ragten nun überall die Ecken heraus.
»Verzeiht, Avatar«, sagte er, nachdem er ihre Post zusammengeklaubt hatte. »Ich war überrascht wegen Eures, äh …« Er deutete auf sein eigenes Gesicht, um nicht unhöflich auf ihres zeigen zu müssen.
Sie hatte den Rest der Schminke noch nicht fertig abgewischt. Wahrscheinlich sah sie wie einer jener Schädel aus, die Ärzte zur Veranschaulichung verwendeten, die Hälfte der Haut heruntergezogen. Kyoshi griff nach dem Tuch, um die Arbeit zu beenden. »Mach dir nichts draus«, sagte sie und fuhr vorsichtig mit dem Tuch an ihrem Augenwinkel entlang, damit sie nichts von dem Präparat, das die Farbe auflöste, ins Auge bekam.
Jinpa widersetzte sich ihrem Befehl und blickte weiterhin besorgt drein. »Außerdem blutet Ihr am Hals.«
Ach ja. Genau. Mit ihrer freien Hand öffnete sie einen Fächer und zielte mit dem Blatt auf die Garrottenwunde an ihrer Kehle. Durch Erdbändigen wurden die Glassplitter aus ihrer Haut gezogen und ballten sich vor ihr zu einem Klumpen zusammen. Einen Moment lang schwebte er in der Luft, dann fiel er zu Boden, als sie ihre Aufmerksamkeit einem Krug in ihrer Nähe zuwandte.
Ein dünner Wasserstrahl schlängelte sich aus dem Gefäß hervor und legte sich um Kyoshis Hals. Das Wasser war kühl und linderte den Juckreiz. Sie konnte spüren, wie sich ihre Haut wieder zusammenfügte. Jinpa sah ihr mit großen, sorgenvollen Augen bei ihrer kruden Selbstverarztung zu.
»Müsste Heilwasser nicht leuchten?«, fragte er.
»Hab ich noch nie hingekriegt.« Die Büchereien des Anwesens in Yokoya waren voller dicker Schwarten, die die medizinische Nutzung des Wasserbändigens behandelten, aber Kyoshi hatte bisher weder Zeit noch einen ordentlichen Lehrer gehabt, um sich dieses Wissen anzueignen. Trotzdem hatte sie so viele der Texte gelesen, wie sie konnte, und die Wunden, die sie sich als Avatar einhandelte, gaben ihr reichlich Anlass, an sich selbst zu üben.
Eines hatte sie sich jedenfalls geschworen: Wie begrenzt ihr Wissen auch sein mochte oder wie unzureichend ihre Technik – nie wieder würde sie tatenlos zusehen, wie jemand, der ihr etwas bedeutete, vor ihren Augen einfach starb.
Sie schleuderte das Wasser in den Krug zurück und fuhr mit dem Finger über die Narbe, die an ihrem Hals zurückgeblieben war. Wenn das so weitergeht, seh ich bald wie Tante Muis Flickendecke aus. Die Narbe würde sie mit mehr Make-up oder einem höheren Kragen verstecken können. Die fleckigen, geheilten Brandwunden an ihren Händen, die sie Xu Ping An zu verdanken hatte, erinnerten sie jedoch daran, dass ihr bald die Körperteile ausgehen würden, an denen sie sich verletzen und die sie dann verstecken könnte. »Was gibt es für Neuigkeiten?«
Jinpa nahm Platz und zog einen der vielen an den Avatar gerichteten Briefe heraus, deren Siegel er bereits gebrochen hatte. Dieses Privileg hatte sie ihm eingeräumt. Während sie sich zum ersten Mal als Avatar im Südlichen Lufttempel aufgehalten hatte, hatte er ihr fortwährend mit der Planung und Kommunikation geholfen. Irgendwann hatten die Älteren seines Ordens nur noch mit den Schultern gezuckt und ihn offiziell als Kyoshis Sekretär eingesetzt. Ohne seine Hilfe wäre sie völlig überfordert gewesen und irgendwann einfach zusammengebrochen.
»Statthalter Te berichtet untertänigst: Das Dorf Zigan hat seine vormals höchste Einwohnerzahl überschritten und kann sich nun einer neuen Schule und einer Kräuterklinik rühmen, die den ärmsten Bürgern beide unentgeltlich zur Verfügung stehen«, las Jinpa laut vor. »Na, so was. Die Familie Te ist nicht gerade für ihre Großzügigkeit bekannt. Ich frag mich, was plötzlich in den jungen Sihung gefahren ist.«
Ja, was nur? Te Sihung hatte als erster Amtsinhaber des Erdkönigreichs erfahren, dass Kyoshi der Avatar war – kurz nachdem sie beschlossen hatte, ihn beim Überfall der Daofei auf sein Haus nicht zu ermorden. Gleich nach ihrer öffentlichen Enthüllung hatte sie Te klargemacht, dass er nach wie vor in ihrer Schuld stand und sie ihn weiterhin beobachten würde. Das Wissen, dass seine Macht ihn nicht immun gegen Konsequenzen machte, hatte anscheinend sein Mitgefühl und sein Können als Statthalter beflügelt.
Gute Neuigkeiten waren derzeit selten. »Was noch?«, fragte sie Jinpa in der Hoffnung auf mehr.
Er zog den Mund schief. »Der Rest der Briefe sind Ersuche um Audienzen von Adligen, die Ihr bereits abgewiesen oder gar nicht erst beachtet habt.«
»Alle?« Sie beäugte den hohen Papierstapel und runzelte die Stirn.
Jinpa zuckte mit den Schultern. »Ihr habt bereits eine Menge Adlige abgewiesen oder ignoriert. Die Leute des Erdkönigreichs sind eben besonders hartnäckig.«
Kyoshi widerstand dem Drang, den ganzen Stapel in Brand zu setzen. Sie musste nicht alle Briefe lesen, um zu wissen, dass jeder einzelne irgendeine Forderung stellte, dass der Avatar in einer geschäftlichen, politischen oder finanziellen Angelegenheit zugunsten des Schreibers entscheiden möge.
Das hatte sie schon nach den ersten paar Stichproben verstanden. Wann immer Kyoshi eine unverfängliche Einladung zu einem Bankett akzeptierte, eine spirituelle Zeremonie leitete oder einen neuen Kanal oder eine Brücke segnete, kam irgendwann der Gastgeber, der Statthalter oder der mit dem größten Landbesitz – oftmals handelte es sich dabei um ein- und dieselbe Person – und wollte mit ihr unter vier Augen über materielle Dinge sprechen, mit denen sie Kuruk oder die große Yangchen niemals behelligt hätten. Aber Kyoshi war ja nicht wie die anderen, richtig? Sie verstand, wie im Erdkönigreich Geschäfte gemacht wurden.
Sie verstand es tatsächlich. Das bedeutete allerdings nicht, dass es ihr auch gefiel. Dieselben Weisen, die Jianzhus letztem Willen und Testament zum Trotz vehement ihre Avatarschaft abgestritten hatten, dieselben Adligen, die sie des Betrugs bezichtigt hatten, obwohl sie mit angesehen hatten, wie Kyoshi Wasser und Erde über ihrem Kopf herumwirbeln ließ, sie alle wurden schlagartig zu wahrhaftigen Gläubigen, wenn sie annahmen, dass es ihnen helfen würde, sich innerhalb der endlosen Hierarchien des Erdkönigreichs mehr Wohlstand und Macht einzuverleiben. Der Avatar konnte ein Urteil darüber fällen, wo die Grenze zwischen zwei Provinzen zu liegen hatte und welcher Statthalter auf reichem Getreideland die Steuern eintreiben können würde. Der Avatar konnte einer Handelsflotte helfen, ihre Route schneller und sicherer zu bewältigen und so das Leben der Seeleute schützen, doch am Ende sicherte sie so vor allem den Auftraggebern gewaltige Profite.
Kyoshi hatte schon bald gelernt, solche Gesuche zu ignorieren und sich auf das zu konzentrieren, was sie mit ihren eigenen Händen erreichen konnte. »Diese Nachrichten können warten«, sagte sie. Insgeheim hoffte sie, die ganze Korrespondenz würde einfach verpuffen, wenn sie nur hinreichend kalt und herrisch klang.
Jinpa bedachte sie mit einem sanften, aber tadelnden Blick. »Avatar … Ihr mögt mir verzeihen, aber ein wenig müsst Ihr Euch schon mit den gehobenen Kreisen abgeben. Ihr könnt Euch der Frage nach der Führung des Erdkönigreichs nicht auf ewig entziehen.«
Das Erdkönigreich hat keine Führung, dachte Kyoshi. Ich hab geholfen, denjenigen umzubringen, der einem Anführer am nächsten gekommen wäre.
»Die Pflichten, die Ihr in Eurer Position habt, gehen über die eines mächtigen Bändigers hinaus«, fuhr er fort. »Ihr habt das Land von den größten Banditengruppen befreit, und wie Ihr diesen Mok aufgespürt und davon abgehalten habt, weiterhin Unschuldige zu verletzen, war höchst beeindruckend. Aber jetzt verausgabt Ihr Euch nur noch und mischt immer wieder dieselben Halunken auf. Den Boden des Verbrechensfasses zu schrubben, ist das denn wahrhaftig schon das Beste, was Ihr für die Vier Nationen tun könnt? Ganz zu schweigen von den Risiken für Eure persönliche Sicherheit.«