Kitabı oku: «Avatar - Der Herr der Elemente: Der Schatten von Kyoshi», sayfa 5

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»Nicht so schnell«, sagte Rangi. »Bitte berichtet, Bruder Jinpa.«

Der Mönch trat vor wie ein Rekrut an seinem ersten Tag und begann zu berichten, ohne Kyoshi zu beachten. »Trotz meiner wiederholten Ermahnungen hat sie nicht ordentlich gegessen.«

»Hmm.« Rangi presste missbilligend die Lippen aufeinander. »Ja, sie ist manchmal störrisch.«

»Hey!«, sagte Kyoshi. »Hört auf, über mich zu reden, als wäre ich nicht da!«

Jinpa fuhr fort, allerlei Fälle von Fehlverhalten an den Fingern abzuzählen. »Sie kriegt kaum Schlaf. Nachts finde ich sie dann zusammengesunken über einem Buch, einer Karte oder einer Anleitung. Sie nimmt sich nicht genug Zeit, um sich von ihren Verletzungen zu erholen. Und sie besteht darauf, wahllos irgendwelchen Berichten von Gewaltausbrüchen überall im Erdkönigreich persönlich nachzugehen! Wisst Ihr eigentlich, wie schwer sie es mir macht, ihren Zeitplan zu verwalten?«

Kyoshi hatte sich angesichts des Besuchs vor allem Möglichen gefürchtet. Dieses Szenario hingegen, in dem ihr Sekretär und ihre Leibwächterin sich gegen sie verbündeten, hatte sie nicht vorhergesehen. »Habt ihr beide hinter meinem Rücken Nachrichten ausgetauscht?!«

»Nur das eine Mal«, sagte Rangi. »Als ich deine Einladung abgeschickt hab, hab ich auch ihm einen Brief geschrieben. Nur so konnte ich einen ehrlichen Lagebericht darüber bekommen, ob du gut auf dich achtgibst. Und das hast du ja offenbar nicht gemacht.«

»Hat sie nicht«, bestätigte Jinpa. »Ganz im Gegenteil. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie pickt sich absichtlich die gefährlichsten Situationen raus und stürzt sich hinein, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit!«

»Gar nicht wahr!«

»Ach, dann bist du wohl aus Versehen mit dem Hals voran auf einen scharfen Gegenstand gestürzt?«, fragte Rangi und funkelte Kyoshi böse an. »Hast du gedacht, mir wären deine neuen Narben entgangen? Kommt mir ganz so vor, als würdest du meine Lieblingsstellen absichtlich kaputt machen.«

Dass er sich diese Last endlich mal von der Seele reden konnte, machte Jinpa ganz emotional. Er wischte sich die Augen. »Sie ist so anstrengend«, murmelte er in seine Faust und schniefte leise.

Rangi erhob sich vom Bett und tätschelte ihm den Rücken. »Ich weiß. Ich weiß, dass sie das ist. Sie ist unmöglich. Du hast dich heldenhaft um sie gekümmert und jetzt bin ich da, um dir zu helfen.«

»Ich bin der Avatar!«, rief Kyoshi, ein letzter verzweifelter Versuch, sich vor weiteren Vorwürfen zu schützen. »Nicht irgendein hilfloses Kind!«

Dabei stampfte sie mit dem Fuß auf und untergrub sich damit selbst. Rangi und Jinpa kniffen die Augen zusammen und tauschten einen vielsagenden Blick. Sind wir da auch sicher? Ich bin mir nicht so sicher.

Kyoshi tat der Kopf weh. Sie hatte viele Monate damit verbracht, dicke Schutzwälle um sich herum zu errichten, hatte sich im Königreich den Ruf erarbeitet und das Selbstbild entwickelt, dass mit ihr nicht zu spaßen sei. Nicht einmal eine Stunde hatte Rangi hier in der Feuernation gebraucht, um diese Mauern niederzureißen und Jinpa hereinzulassen.

Sein Grinsen zeigte ihr, dass dies seine Rache war, so herrlich wie ein guter Wein, den man bis zum richtigen Moment reifen lässt. So zahlte er es ihr heim, dass sie ihm so oft befohlen hatte, nicht über ihre Verletzungen zu sprechen, dass sie seine Ermahnungen, die Bücher wegzulegen und sich ein wenig auszuruhen, immer wieder in den Wind geschlagen hatte. Endlich wusste sie, was sie von dem jungen Mann zu halten hatte, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten und sich mit Anstand und Mitgefühl um sie gekümmert hatte.

Eine dreckige Petze war er. »So kannst du nicht über mich sprechen!«, fuhr sie ihn an. Dem Daofei-Kodex zufolge wurden Petzen mit Blitzen und Messern bestraft. »Ich bin deine Vorgesetzte!«

»Das mag ja sein, aber das Sagen hat offensichtlich sie.« Er neigte seinen kahlen Kopf in Rangis Richtung, augenscheinlich hocherfreut, dass er diese neue Methode gefunden hatte, den Avatar zu bändigen. »Wenn nur Quieken hilft, damit Ihr gesund bleibt, dann haut mich mit einer Feder und nennt mich ein Schweinehuhn.«

»Raus hier«, schnauzte Kyoshi ihn an.

Jinpa wechselte wieder einen Blick mit Rangi, während er rückwärts durch die Tür hinausging. Schaut nur, wie sie versucht, hart zu sein. So niedlich.

Und dann, plötzlich, waren Kyoshi und Rangi zum ersten Mal nach langer Zeit endlich allein. Es war, als hätte ein Geist ihr einen Wunsch gewährt, ehe sie bereit dafür war. Sie hatte das Gefühl, ihre Worte sorgsam wählen zu müssen, um ihn nicht zu vergeuden.

Rangi nahm ihr die Entscheidung ab. »Wie läuft alles im Herrenhaus?«, fragte sie ruhig. Sie hatte zusammen mit Kyoshi dort gelebt. Yokoya war auch ihr Zuhause gewesen, bis zu jener Nacht, in der sie mitten im Sturm geflohen waren.

»Es ist weniger los.« Das Anwesen war nicht mehr so voller Leben und Trubel wie zu Kyoshis Dienstzeit. Der größte Teil der Belegschaft hatte sofort gekündigt, nachdem die Ermittler des Erdkönigs den Vergiftungsfall abgeschlossen hatten. Kyoshi, die neue Herrin, hatte sie nicht ersetzt, da sie ohnehin keinen großen Haushalt führen wollte. Daher blieben die meisten Flure leer und die Gärten wurden vernachlässigt. Die Dörfler mieden das größtenteils verwaiste Haus und munkelten, es würde Pech bringen. »Tante Mui ist noch da und tut, was sie kann. Ich weiß nicht, warum sie noch nicht gegangen ist.«

»Na wegen dir!« Rangi blickte sie schmerzerfüllt und frustriert an, als hätte jemand in einer alten Wunde herumgestochert, die schon längst hätte verheilt sein sollen. »Sie will dir beistehen, Kyoshi.«

Sie schien mehr dazu sagen zu wollen, entschied sich jedoch dagegen. Sie mussten alle anderen Dinge ausräumen, um so viel Platz wie möglich zu schaffen, damit sie zu ihrem nächsten Thema gelangen konnten. Eine Zeit lang starrten sie beide dieselbe Ansammlung blutroter Fäden an, die in den Teppich eingewebt worden waren.

Wieder einmal ergriff Rangi zuerst das Wort. »Und Yun?«

Sie erinnerte sich gut an eins der Versprechen, die sie Rangi damals gegeben hatte, bevor sie an Bord des Schiffes gegangen war, das sie in den eisigen Norden bringen würde: Was es auch kosten möge, sie würde ihren gemeinsamen Freund finden. Diesen Schwur hatte sie irgendwie zwischen all den Tränen und festen Umarmungen untergebracht, von denen ihre Schultern noch Tage später geschmerzt hatten. Die Hafenarbeiter und Matrosen auf dem Pier, die murrend einen Bogen um sie hatten schlagen müssen, weil beide nur noch aneinander gedacht hatten, waren ihre einzigen Zeugen gewesen.

Doch in den Weiten des Erdkönigreichs hatte sich die Kraft ihres Schwurs alsbald verflüchtigt. Schnell hatte sie begriffen, dass es tatsächlich unmöglich war, jemanden ohne jeden Ansatzpunkt auf dem größten Kontinent der ganzen Welt zu finden – nicht einmal, wenn die Person so berühmt war wie Yun. Sie hatte keinen Shirshu, um seine Witterung aufzunehmen, keine spirituellen Trigramme, mit denen sie seinen Aufenthaltsort hätte bestimmen können. In den Dörfern, durch die sie wegen ihrer Avatarpflichten kam, die einfachen Leute zu fragen, ob sie einen gewissen Erdbändiger gesehen hatten, war lachhaft. Eine graue Hand hat er? Kenn ich, mein Cousin hat auch solche Hautprobleme.

Rückblickend war von ihren großartigen Absichten nicht mehr übrig geblieben, als ihre kurzen Briefe an Weise zu schreiben, denen nicht mal in den Sinn kam, ihr zu helfen. Warum sollten sie auch? Nicht nur Lu Beifong zog es vor zu glauben, dass Yun tot war.

»Ich dachte, wenn ich rauskriege, wie er überlebt hat, finde ich vielleicht einen Hinweis«, sagte Kyoshi. »Aber ich hab nur Dokumente zu Volkserzählungen gefunden, in denen berichtet wurde, dass Menschen in körperlicher Form von Geistern verschleppt wurden, und keiner von ihnen hat überlebt. Ich hab keine Erklärung dafür, wie er zurückkommen konnte.« Oder warum er sich verändert hat.

Sie rieb sich die Augen. Es schmerzte sie so sehr, ihr Scheitern noch einmal zu durchleben, dass sie kaum geradeaus schauen konnte. »Am nächsten dran war noch die Erzählung über den Sohn eines Provinzstatthalters während der Hao-Dynastie. Er war von einem Geist besessen. Seinem Bericht nach ist ein Drachenvogel durch seinen Körper geflogen, hat sein körperliches Erscheinungsbild verändert und ihm ungewöhnliche Fähigkeiten verliehen.«

»Ist das die Lösung?«, fragte Rangi. »Vielleicht fällt es Menschen, die von Geistern berührt worden sind, leichter als anderen, die Grenze zwischen der Geisterwelt und dem Reich der Menschen zu überschreiten.«

»Schwer zu sagen. Der Text hat von keinem Übertritt zwischen den Welten berichtet. Es heißt nur, dem Jungen wären Federn und ein Schnabel gewachsen, als der Drachenvogel in seinen Körper gefahren ist. Äußerlich hat Yun nicht anders ausgesehen als damals in Qinchao. Aber er ist nicht mehr derselbe. Das weiß ich einfach.«

Kyoshi war in ihrem roten Gemach nach Schreien zumute. Mehr hatte sie nicht zusammenkratzen können, um ihren Freund aufzuspüren: eine alte Geschichte und eine wilde Vermutung. Rangi konnte sie nichts vormachen. Das ganze Gewicht ihrer vergeblichen, vergeudeten Bemühungen lastete auf ihren Schultern.

»Kyoshi … hast du je in Erwägung gezogen, dass er sich abgewandt haben könnte?«

Sie schaute bei Rangis Frage verwirrt auf. »Wovon?«

»Von uns.« Rangi schluckte, es schien sie zu schmerzen, die Worte auszusprechen. »Nach allem, was du mir erzählt hast, glaube ich, er will gar nicht gefunden werden.«

Als Kyoshi protestieren wollte, hob Rangi die Hand. »Denk mal drüber nach. Er hätte auf so viele Arten mit dem Avatar in Kontakt treten können. Er kennt die Weisen des Erdkönigreichs. Er hätte ihnen eine Nachricht hinterlassen können. Dass du nichts von ihm gehört hast, spricht Bände.«

Kyoshi konnte glauben, dass die Adligen des Erdkönigreichs, was Yun betraf, lieber ihre Köpfe in den Sand steckten. Aber Rangi? Wie konnte sie nur?

»Du meinst also, dass wir ihn vergessen sollen«, sagte Kyoshi. Sie spürte, wie ihr die Brust eng wurde. »Ihn aus unserem Gedächtnis zu tilgen, wie Lu Beifong und der Rest der Weisen es wollen.« Wie Jianzhu es wollte.

»Nein, Kyoshi, das meine ich nicht. Ich spreche davon, dass wir unserem Freund erlauben sollten, zu uns zurückzukehren, weil er es will, nicht weil wir es fordern. Ich will, dass die Menschen, die mir was bedeuten, auch mal ihre Ruhe haben, statt ständig zwanghaft über andere nachzudenken.« Sie seufzte.

»Du hast gesagt, es wäre ihm gut gegangen, als du ihn gesehen hast«, fuhr Rangi fort. »Ich glaub, wir müssen uns über sein Überleben keine Gedanken machen. Jemand mit Yuns Talenten kommt überall im Erdkönigreich blendend zurecht. Ich würde meine Ehre dafür verwetten, dass er auftaucht, sobald er bereit ist. Und wenn’s so weit ist, dann nehmen wir ihn für alles, was passiert ist, ins Gebet.

Und danach«, verkündete sie mit der Kraft eines frischen Schwurs, »kehren wir drei gemeinsam nach Yokoya zurück und lassen uns von Tante Mui das größte Abendessen kochen, das wir je gegessen haben. So sollte unser Plan aussehen.«

Kyoshi rang sich ein Lächeln ab. Jianzhu. Das Teehaus in Qinchao. Wie Yun dem Griff jenes infernalischen Geistes entkommen und ins Tageslicht zurückgekehrt war. Vielleicht wäre es möglich, den Knoten zu lösen – vorausgesetzt, dass sie es immer noch mit ihrem alten Freund zu tun hatten.

Alle drei vereint, so wie damals, bevor die Avatarschaft eine Ecke des Dreiecks abgetrennt hatte. Sie wollte jene alte Zeit wiederhaben, mehr als alles andere auf der Welt. Doch im Innersten fürchtete sie sich vor der Wahrheit, die die Welt ihr immer wieder aufzwingen wollte: Kyoshi bekam selten, was sie wollte, wenn überhaupt jemals.

Rangi sah, dass sie nicht zu ihr durchdrang. Sie beschloss, etwas anderes zu versuchen, und näherte sich, wobei sie die Hüfte betont hin und her schwingen ließ. »Weißt du, bis zur Feier sind’s noch ein paar Stunden«, hauchte sie mit glühender Stimme. Sie streckte den Arm aus und fuhr mit Daumen und Zeigefinger sanft über den Aufschlag von Kyoshis Waffenrock. »Ich hab eine Idee, wie ich dich bis dahin auf andere Gedanken bringen kann.«

Ein dummes Grinsen breitete sich auf Kyoshis Gesicht aus. Sie beugte sich hinunter, bis sie an ihrem Ohr Rangis Lippen spürte.

»Stand-Training«, flüsterte Rangi. Plötzlich hatte sie Kyoshi fest an den Kleidern gepackt. Mit einer raschen Bewegung trat sie Kyoshis Füße auseinander, bog ihre Knie mit Gewalt durch und zwang sie in einen tiefen Stand.

»Weißt du, wie leicht es war, dich am Tor aus dem Gleichgewicht zu bringen?!«, schrie Rangi. »Du hast nicht geübt! Ich dachte, ich könnte darauf bauen, dass du in meiner Abwesenheit nicht verweichlichst, aber da hab ich mich wohl geirrt!«

Kyoshi stotterte bestürzt: »Aber … ich dachte, wir …«

»Was wir tun, wenn niemand zusieht, bestimmt, wer wir sind!« Rangi schien entschlossen, ihr die verpassten Trainingsmonate aus dem Leib zu prügeln, so oder so. »Zwanzig Minuten ohne Pause, sonst landest du wieder bei null, was dein Training angeht! Dann kannst du zusammen mit irgendwelchen zehnjährigen Versagern von der Akademie Feuerkniebeugen machen. Willst du das? Na?«

Als sich das Brennen in ihren Beinen und in ihrem unteren Rücken auszubreiten begann, begriff Kyoshi, dass es ein Fehler gewesen war herzukommen. Wieder mit Rangi vereint zu sein bedeutete, dem grausamsten und strengsten Menschen, den sie kannte, ausgeliefert zu sein: dem Feuerbändigungs-Sifu des Avatars.

»Tiefer!«, brüllte Rangi.


DIE AUFFÜHRUNG


ALS KYOSHI AUS DEM Ankleidezimmer trat, fühlte sie sich den Prüfungen, die vor ihr lagen, ein klein wenig besser gewachsen. Sie hatte mittlerweile Übung mit den vielen Schichten ihrer Ausstattung und konnte sie nun ohne Hilfe anlegen. Als sie ins Schlafzimmer kam, zog sie die Schärpe fest, als würde sie einen Schild festschnallen.

Rangi saß auf einem dick gepolsterten, thronartigen Stuhl. »Du hast Veränderungen vorgenommen«, sagte sie und begutachtete die Stellen, an denen die Farben anders waren, als sie sie in Erinnerung hatte.

»Ich hab den ursprünglichen Stoff immer wieder geflickt, aber irgendwann war er einfach zu abgenutzt. Also hab ich mir neue Muster ausgesucht, die mir gefielen, und ein paar Teile ersetzen lassen.« Trotz Kyoshis üblem Ruf hatten sich die besten Schneider Ba Sing Ses förmlich überschlagen bei der Aussicht darauf, Kleidung für den Avatar nähen zu dürfen. Gratiswerbung war schließlich immer noch Gratiswerbung.

Rangi fiel ein Detail ins Auge und sie legte die Stirn in Falten. »Das Kettenhemd als Innenfutter hast du aber beibehalten. Hast es sogar verstärken lassen.«

In dem Kommentar schwang einiges mit. Kyoshi konnte Rangi ansehen, was für Gedanken ihr durch den Kopf gingen. Welchen Gefahren hast du dich ohne mich ausgesetzt? Sie versuchte, irgendwas zu sagen, das ihre Freundin beruhigen würde. »Sicherheit geht vor, nicht wahr?«

Rangi seufzte. »Kyoshi, das ist doch nicht alles. Du bist heute Abend der Ehrengast. Du hättest die feinsten Gewänder der Welt anziehen können, hast dich aber stattdessen für dieselben alten Klamotten entschieden, in denen du immer kämpfst. Das hier ist ein kleiner, informeller Empfang mit einer Handvoll Gäste, persönlich eingeladen von Feuerlord Zoryu. Du ziehst nicht in die Schlacht. Du musst nicht ständig im Krieg sein.«

Kyoshi erinnerte sich noch gut ans letzte Mal, als sie sich erlaubt hatte, sich ohne jede Sorge ganz und gar zu entspannen. Jedes Detail von damals hatte sich in ihre Erinnerung eingebrannt.

Es war ein sonniger Nachmittag im Dorf Zigan gewesen und er war ihnen umso lichter erschienen, da sie gerade die Gelbnacken überlebt und in die Flucht geschlagen hatten. Ihre inzwischen verheilten Hände hatten noch schwach nach der Tinktur aus Heilkräutern gerochen. Kyoshi war die Straße entlangspaziert, mit Rangi an ihrer Seite.

Und mit Lek.

Sie fragte sich oft, wie Rangi über jene Tage dachte, ob die Zeit, die sie mit der Fliegenden Operngesellschaft verbracht hatten, real für sie war oder nur ein Mantel, den man auf dem Weg zur ordentlichen Avatarschaft abwarf. Würde Rangi auf der Feier Kyoshis andere Bändigungsmeister erwähnen? Würden ihre Taten in der Daofei-Stadt Hujiang, der rechtswidrige Überfall auf Statthalter Tes Anwesen, zur amüsanten Anekdote taugen? Oder würde sie so tun, als hätte es die Bande nie gegeben? Im Hinblick auf das große Ganze war ihre Reise sicherlich kaum mehr als ein kurzer Augenblick.

Kyoshi schluckte die Bitterkeit herunter, die mit Gewalt in ihr emporzuquellen drohte. »Dann lässt du mich wohl nicht meine Armschienen tragen.«

»Selbstverständlich nicht! Wir können dir ein Paar Handschuhe besorgen, wenn du willst, aber in diesem Land würde wegen deiner Hände kaum jemand eine Miene verziehen. Die meisten der Gäste heute Abend verstecken hier und da Duellnarben unter ihrer Kleidung.«

»Du nicht.« Alles, was Kyoshi von Rangis Haut hatte sehen dürfen, war makellos.

Rangi schnaubte. »Weil ich keine Duelle verliere.«

Sie sprang vom Stuhl auf und wirbelte herum, sodass sie den Saum ihres Kleides von allen Seiten begutachten konnte. Rangi trug ein formelles Seidengewand, in dem sie so elegant wirkte wie das Staubgefäß einer Blume, umgeben von blutroten Blütenblättern. Sie sah liebreizender aus als ein Garten nach einem Regenschauer.

»Es mag dir albern und verschwenderisch vorkommen, aber der äußere Anschein spielt hier im Palast eine große Rolle«, sagte Rangi. »Die Art und Weise, wie die Adligen der Feuernation sich kleiden und benehmen, drückt ihre Klanzugehörigkeit und ihren Rang aus. Unsere Standesgenossen bemerken die kleinsten Details und weisen ihnen Bedeutung und Absichten zu.«

Sie glättete eine Falte in Kyoshis Rock. »Weit draußen im Erdkönigreich hat keiner so genau hingesehen. Darum sind wir auch mit so vielen Mätzchen durchgekommen. Hier in der Feuernation haben uns alle im Blick. Bitte merk dir das gut. Alle. Beobachten. Uns.«

Kyoshis Anspannung wuchs und ihr Magen grollte unglücklich. »Wir ziehen also nicht in die Schlacht«, sagte sie. »Es ist schlimmer.«

Rangi widersprach ihr nicht. »Deine Sachen werden fürs Erste genügen, aber wenn das Fest voranschreitet, solltest du dir was anderes anziehen. Außerdem, das müsste dir aber auch klar sein: keine Gesichtsbemalung während der Feiertage.«

Kyoshi wollte protestieren, aber Rangi pikste sie mit dem Finger mitten in den Solarplexus. »Die Schminke ist da, um mit unseren eingeschworenen Brüdern und Schwestern Dinger zu drehen«, flüsterte sie und in ihren Augen funkelten Erinnerungen. »Nicht um sich unter Buckler und Spießer zu mischen, die nichts vom Kodex verstehen.«

Kyoshi starrte sie an. Dann schloss sie die junge Frau, die ein gutes Stück kleiner war als sie selbst, langsam und bedächtig in die Arme und küsste sie auf die Stirn. Rangi erwiderte die Umarmung mit enormer Kraft.

Kyoshi hätte nie irgendwelche Zweifel zulassen sollen. Die Feuerbändigerin hatte zwar nicht offiziell den Eid abgelegt, doch die Fliegende Operngesellschaft, das waren auch ihre Freunde. Und Freunde waren Rangi so heilig wie Ehre. Kyoshi hatte so lange ohne ihre Mitte gelebt, dass sie fast vergessen hatte, wie es sich anfühlte. Rangi machte sie wieder zu einem Menschen, brachte sie ins Gleichgewicht, machte sie vollkommen.

»Koste es lieber jetzt aus«, murmelte Rangi, als Kyoshi mit ihren Lippen ihr Haar streifte. »Wenn wir unter Leuten sind, darfst du auf keinen Fall meinen Kopf, mein Gesicht oder meine Haare berühren.«

Aber gerade das waren doch Kyoshis Lieblingsstellen. »Wirklich? Aber bisher hast du das doch immer zugelassen.«

Rangi löste sich von Kyoshi und überprüfte den Sitz ihrer Haarnadeln. »Im Erdkönigreich war das egal, aber hier gilt es als die respektloseste Geste, die man sich vorstellen kann, den Kopf von jemandem zu berühren, der nicht zur engsten Familie gehört. Am besten vermeidest du es komplett, andere Leute anzufassen, mich eingeschlossen. Mir gefällt es ebenso wenig wie dir, aber jetzt sind wir nun mal im Palast und müssen die Etikette einhalten.«

Sie beäugte Kyoshi misstrauisch, da sie wegen des Größenunterschieds oft genug von ihr auf den Kopf geküsst worden war. »Ich mein’s ernst. Hände weg vom Hals aufwärts.«

»Schon gut, ich hab’s kapiert!«

Jemand klopfte an die Tür. »Avatar, Herrin Rangi, es wird Zeit«, rief Jinpa mit gedämpfter Stimme. Sie traten zu ihm auf den Gang hinaus.

Der Mönch hatte sich für die Version des traditionellen Luftnomadengewandes entschieden, bei der eine Schulter bedeckt und die andere frei war. Ein Arm und die Seite seines Torsos waren bis zur Taille entblößt und offenbarten, wie erstaunlich muskulös dieser hoch aufgeschossene junge Mann war.

»Was?«, fragte Jinpa, als sie ihn schweigend anblickten. »Zu ländlich?«

Rangi zuckte mit den Schultern. »Gewöhnlich laufen die Leute nicht ohne Hemd im Königspalast rum, aber für Nationalkleidung gibt es bestimmt Ausnahmen. Das ist schon in Ordnung.«

Kyoshi war froh, dass Rangi kein Wort zu ihren Fächern gesagt hatte. Sie steckten in ihrer Schärpe und gingen wohl als Hofmode durch, wenn sie nicht gerade jemandem mit den schweren Dingern eins überzog. Es war ironisch, dass sie sie zuerst für weniger nützlich als ein Schwert gehalten hatte. Angesichts der beängstigenden Aufgabe, die vor ihr lag, würde sie den Trost, den sie boten, gut gebrauchen können.

Sie stieß den Atem durch die zusammengebissenen Zähne aus. »Na gut. Dann statten wir dem Feuerlord mal einen Besuch ab.«


»Ihr beiden seid nutzlos«, flüsterte Kyoshi und gab sich redlich Mühe, ihren Ärger gleichmäßig auf Rangi und Jinpa zu verteilen, die links und rechts von ihr knieten. »Ihr seid gefeuert.«

»Lord Zoryu hat mir versprochen, dass zwanzig bis dreißig Leute kommen würden, höchstens!«, erwiderte Rangi leise, während sie ihr verkniffenes Lächeln aufrechterhielt. »Eine kleine Zusammenkunft!«

»Sieht das für dich nach einer kleinen Zusammenkunft aus?!«

Über fünfhundert goldene Augenpaare blickten dem Avatar und seinen Begleitern entgegen. Die drei hockten auf einem erhöhten Podium, das in Windeseile im Garten errichtet worden sein musste. Von Yingyongs Rücken aus hatten sie noch keine Spur davon gesehen. Der gesamte Adel der Feuernation schien anwesend zu sein – alle standen stramm und schauten einzig und allein Kyoshi an.

Ein kleines Stück von der Zuschauerschar entfernt stand eine Reihe von Trommlern. Sie stießen Schreie aus und schlugen mit ihren Stöcken auf Trommeln so groß wie Weinfässer. Erhu-Spieler sägten so wild über die Saiten ihrer Instrumente, dass ein Haufen zerstörter Bögen hinter ihnen lag. Die Opfer ihrer Darbietung warfen sie über die Schulter und zogen frische Bögen aus Köchern zu ihren Füßen, ohne auch nur ein einziges Mal aus dem Takt zu kommen. Die Geschwindigkeit und martialische Intensität der Musik standen im krassen Gegensatz zur beinahe meditativen Stille der Zuhörer. Kyoshi konnte nicht einschätzen, ob ihnen die Aufführung gefiel oder nicht. Nur hin und wieder sah sie einen Höfling in ihrer Nähe kaum merklich anerkennend nicken.

Sie hätte gleich wissen müssen, dass etwas nicht stimmte. Dairin hatte sie direkt vor ihren Quartieren aufgegabelt, sie durch eine Reihe unergründlicher Korridore gescheucht und dabei erklärt, es habe in letzter Minute eine Programmänderung gegeben. Und hier waren sie nun und wurden in gleichem Maße mit Ehre und Taubheit bedacht.

Kyoshi selbst hatte als Dienerin bei ein paar Großveranstaltungen mitgearbeitet und wusste, dass ein Gastgeber nur dann sämtliche Register zog, wenn er etwas zu beweisen hatte. Aber warum hätte der Feuerlord sich unsicher fühlen sollen? Es sei denn, er glaubte, sie würde ihn anhand des Aufwands bewerten, den er für seine Feier betrieb. Wenn sie je zu Lord Zoryu durchdringen sollte, würde sie ihm versichern, dass ein derartiges Aufhebens wirklich unnötig war.

Im Augenblick befand sich der Feuerlord sehr weit weg, auf der anderen Seite dieses Meers aus Adligen: Er saß auf einer Plattform, die der von Kyoshi gegenüberlag. Aus der Entfernung konnte sie kaum mehr als den Goldbesatz auf den schwarzen Schulterstücken der Rüstung ausmachen, die er über seinem Gewand trug, und ein paar seiner hervorstechendsten Merkmale: Der Feuerlord war ein junger Mann mit einem spitzen Kinn und einer hohen Stirn. Mehr konnte sie nicht erkennen, sonst hätte sie die Augen zusammenkneifen müssen, und das wäre unhöflich gewesen, zudem hätte es die ganze Versammlung mitbekommen.

Als wäre die Situation nicht unbehaglich genug, war ausgerechnet Lu Beifong hier. Der alte Mann saß am Rand der Menge auf einem Klapphocker. Eine kleine Gruppe von Weisen aus dem Erdkönigreich stand um ihn herum. Wenn sie von den Gesichtern ausging, die sie erkannte, musste er sie handverlesen haben, und zwar allein nach dem Kriterium, wer Kyoshi am wenigsten leiden konnte.

»Es tut mir leid, Avatar«, sagte Jinpa und rutschte unbehaglich auf seinen Knien herum: Er war diese Haltung nicht gewöhnt, da die Luftnomaden mit gekreuzten Beinen meditierten. »Aus keiner meiner Quellen ging hervor, dass eine Delegation aus dem Erdkönigreich erscheinen würde. Ich werde versuchen, sie von Euch fernzuhalten, damit sie Euch nicht mit irgendwelchen belanglosen Gesuchen belästigen.«

Die Vorführung endete mit einem Knall, bei dem die Musiker im Chor aus voller Lunge einen letzten Schrei ausstießen. Diejenigen, die beim Musizieren gesessen hatten, sprangen auf und breiteten die Arme weit aus, und die Trommler hielten ihre Stöcke wie Siegesfahnen über dem Kopf hoch. Schwer atmend verharrten sie einen Augenblick lang in dieser Pose.

Das Publikum spendete höflichen Applaus, der ebenso abrupt endete, wie er begann. Die Musiker ließen sich nicht anmerken, ob sie über die verhaltene Reaktion enttäuscht waren oder nicht. Wortlos begannen sie, ihre Instrumente einzupacken, während die versammelten Aristokraten sich einander zuwandten. Die ohrenbetäubende Musik wurde durch das Gemurmel feiner Konversation ersetzt.

»Das war alles?«, fragte Kyoshi und ihre eigene Stimme kam ihr plötzlich zu laut vor. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Dairin ihnen ein Zeichen gab, die Plattform zu verlassen. Sie stiegen zu dem Kanzler hinab. »Und was passiert jetzt?«, fragte sie ihn.

»Der Etikette einer Palastgartenfeier gemäß … mischt Ihr euch nun unter die Gäste, wobei ihr allmählich in Richtung des Feuerlords schlendert«, erklärte Dairin. Er wirkte so nervös wie Tante Mui vor einem Bankett und sein Schnurrbart zuckte vor Anspannung. »Er wird seinerseits das Gleiche tun. Dies gestattet beiden, sich als Gleichgestellte zu begegnen, so vollkommen wie zwei Blätter, die auf der Oberfläche eines Teichs aufeinander zutreiben. Diese Art, einen Gast zu empfangen, ist eine der höchsten Ehren, die die Herrscherfamilie gewähren kann. Mir steht es nicht zu, an Eurer Seite zu verweilen.«

»In Ordnung«, sagte Kyoshi. Diese Zielvorgabe war eindeutig. »Hingehen und mit dem Feuerlord sprechen. Verstanden.«

»Nein!«, sagte Rangi, die sofort durchschaut hatte, was in Kyoshis Kopf vorging. »Du kannst nicht direkt zu Lord Zoryu gehen, das wäre den anderen Gästen gegenüber unhöflich.« Im Schutz der Plattform, die sie gegen die Blicke der anderen Gäste abschirmte, zupfte sie hastig Kyoshis Aufschläge und die Schärpe zurecht und fegte Fussel und Blütenpollen vom Stoff.

»Muss ich etwa mit jedem sprechen, dem ich über den Weg laufe?«

»Nein! Nur bestimmte Individuen besitzen den nötigen Status, um in deiner Gegenwart zu sprechen!«

Kyoshi geriet in Verzweiflung. »Und woher weiß ich, wer die sind?«

»Diejenigen, die das Recht haben, den Avatar anzusprechen, werden diejenigen vorstellen, die es nicht haben«, sagte Rangi. »Merk dir dies: In der Feuernation stellt immer der Höherrangige den Niederrangigen vor. Die Vorstellung ist der Schlüsselmoment und bestimmt den Verlauf der ganzen Konversation.«

Sie bemerkte die Angst in Kyoshis Gesicht. »Du darfst direkt ansprechen, wen du willst, ohne Einleitung, bis hinauf zum Feuerlord, ihn eingeschlossen. Vom Avatar selbst gegrüßt zu werden, ist ein großer Segen. Aber ich möchte dir unbedingt empfehlen, dir diese Ehre für Lord Zoryu aufzusparen. Jinpa und ich werden bei dir sein, aber wir dürfen nur dann sprechen, wenn die Situation es zulässt.«

Sie musste sich so viel merken, dass ihr Kopf anfing wehzutun. »Ich geh hier noch ein!«, stöhnte Kyoshi und rieb sich die Stirn.

»Sorgt Euch nicht, Avatar«, sagte Jinpa. Er trat vor und ließ die Schultern kreisen. »Als Euer Kammerdiener habe ich Euch heute Abend schon einmal enttäuscht. Das passiert mir nicht noch einmal.«


Seiner Tapferkeit zum Hohn fiel Jinpa der Schar von Adligen zuerst zum Opfer: Als sie in die Menge traten, wurde er sofort von einer kleinen Gruppe Höflinge in Beschlag genommen, die sich die Gelegenheit, sich mit einem Luftnomaden zu unterhalten, auf keinen Fall entgehen lassen wollten. Offenbar galt ein Luftbändiger bei den meisten Anwesenden als Freiwild.

Sie mussten ihn zurücklassen, während er versuchte, Fragen über den Westlichen Lufttempel und seine außergewöhnliche, auf den Kopf gestellte Architektur zu beantworten. Kyoshi nahm an, dass er viele der inneren Details aus dem Stegreif erfand, schließlich lebten im Westtempel ausschließlich Nonnen.

Ihr erhabener Status als Avatar hielt die Gäste davon ab, sich ihr zu nähern, verhinderte jedoch nicht, dass man sie eingehend musterte. Die Höflinge erwiesen ihr Respekt, indem sie den nötigen Abstand wahrten. Dadurch entstand eine kleine Blase, die sich mit Kyoshi und Rangi im Zentrum fortbewegte, was die Seitenblicke und das plötzliche Verstummen von Gesprächen, wenn sie vorübergingen, während sie über den Rand eleganter Gläser hinweg angestarrt wurden, nur noch offensichtlicher machte.

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